Читать книгу: «Eigensinn und Bindung», страница 19

Шрифт:

Wagnis der Weisheit und menschliche Größe

Die Lebhaftigkeit und der Bilderreichtum, mit denen Wust hier diesen Weg des mystischen Lebens beschreibt, lassen vermuten, dass er diesen Weg bis zu einem gewissen Grade auch selbst durchschritten hat. Bis zu welcher Stufe er vorgedrungen ist, wissen wir allerdings nicht. Verschiedene Ausführungen lassen aber vermuten, dass er sicherlich den „niederen Weg“ durchlaufen hat. In diese Richtung deutet auch das letzte Kapitel von „Ungewißheit und Wagnis“, das den Titel trägt „Die Geborgenheit des Menschen in seiner Ungeborgenheit“. Hier ermutigt Wust den Leser, das „Wagnis der Weisheit“ einzugehen, das die Aufgabe des Eigenwillens und seiner Selbstsucht zur Voraussetzung hat und letztlich „zu der tiefen inneren Stille des Herzens [führt], in der die Stimme der Liebe vernehmbar wird“ (UW 189). Mit dem Mystiker Franz von Sales fasst Wust dieses Ziel dann so zusammen: „Ni désirer, ni refuser.“ (UW 189)27 Dieses Wort aufgreifend, wird Wust nur wenige Wochen vor seinem Tod an seine Tochter Else vom Krankenbett aus schreiben: „Alles wie Gott es will. Man muß so weit in der Gelassenheit kommen, daß man, wie der hl. Franz von Sales, der berühmte Bischof von Genf, es formuliert, weder etwas Angenehmes wünscht, noch etwas Unangenehmes abweist.“ (GW VIII, 118)

Philosophie und Mystik schließen sich nicht grundsätzlich aus – ganz im Gegenteil; viele große Mystiker, wie beispielsweise der pagane Denker Plotin aus dem dritten nachchristlichen Jahrhundert oder Meister Eckhart aus der Zeit der Hochscholastik, waren auch große Philosophen. So hat auch Wust auf seine Weise versucht, Einsichten der Existenzphilosophie mit christlich-mystischen Motiven zu verbinden, und das nicht nur denkerisch, sondern auch existenziell.

In der Einleitung zu seinem Werk „Die großen Philosophen“ schreibt Karl Jaspers unter der Überschrift „Von menschlicher Größe überhaupt“: „Was auch ein anderer hätte leisten können, ist nicht groß. Was sich identisch übernehmen, lernen und noch einmal tun läßt, wenn es auch einer zuerst getan haben muß, verleiht nicht Größe. Die Unersetzlichkeit allein hat Größe.“28 Man kann zwar darüber geteilter Meinung sein, ob Wust zu den „großen Philosophen“ zu zählen ist.29 Dass Wust „menschliche Größe“ in dem von Jaspers angesprochenen Sinne besitzt, scheint mir aber unzweifelhaft zu sein. Das bestätigt auch der priesterliche Freund Karl Pfleger, der kurz nach dessen Tod in einem fiktiven Brief an ihn u. a. Folgendes schreibt: „Übrigens, alles in allem genommen ist dein Lebenslauf ja auch ein Roman, ein von der göttlichen Gnade und deiner Mitwirkung gemeinsam geschriebener Roman, und man könnte ihm den Titel deines letzten Buches geben: ,Ungewißheit und Wagnis‘. Mit dem für dich kapitalen und segensreichen Unterschied, daß das Wagnis, das dort bloß denkerisch gefordert wird, hier existierend vollzogen wurde. Aus dem theoretischen Postulat wurde der erst zögernd beschlossene und dann heroisch gewagte Salto mortale in Gott hinein.“30

Schriften von Peter Wust: Gesammelte Werke. Hg. v. Wilhelm Vernekohl. 10 Bde. Münster 1963 – 1969 – John Stuart Mills Grundlegung der Geisteswissenschaften. Diss. Bonn 1914 – Die Oberrealschule und der Moderne Geist. Leipzig 1917 – Im Rahmen der „Edition Peter Wust“, der v. Herbert Hoffmann u. Werner Schüßler hg. Schriftenreihe der Peter-Wust-Gesellschaft, sind erschienen: Ungewißheit und Wagnis. Einl. u. Anm. v. Werner Schüßler. Münster 2002 (22007) – Ein Abschiedswort. Nachw. v. Werner Schüßler. Münster 2007 (22008).

Sekundärliteratur: Ekkehard Blattmann: Peter Wust als Denker und Leser des Bösen. Frankfurt a. M. u. a. 1994 – Ders. (Hg.): Peter Wust – Aspekte seines Denkens. F. Werner Veauthier zum Gedächtnis. Münster 2004 – Alexander Lohner: Peter Wust: Gewißheit und Wagnis. Eine Gesamtdarstellung seiner Philosophie. Paderborn 21995 – Marc Röbel: Das „Andere der Vernunft“ – Staunen und Ehrfurcht bei Peter Wust. In: Trierer Theologische Zeitschrift 117 (2008), H. 3, 181 – 191 – Ders.: Staunen und Ehrfurcht. Eine werkgeschichtliche Untersuchung zum philosophischen Denken Peter Wusts. Münster 2009 – Werner Schüßler: Zur Aktualität der Philosophie Peter Wusts. In: Trierer Theologische Zeitschrift 114 (2005), H. 1, 1 – 10 – Ders.: „Die Philosophie schließt nur eine Nebenpforte auf zum Zentrum des Lebens.“ Peter Wust zum Problem „Glaube und Vernunft“. In: Wissenschaft und Weisheit 70 (2007), H. 1, 120 – 132 – Ders.: „Geborgen in der Ungeborgenheit.“ Einführung in Leben und Werk des Philosophen Peter Wust (1884 – 1940). Münster 2008 – F. Werner Veauthier: Kulturkritik als Aufgabe der Kulturphilosophie. Peter Wusts Bedeutung als Kultur- und Zivilisationskritiker. Heidelberg 1998.

Hugo Ball (1886 – 1927)
Von Dada zu Dionysios Areopagita
Hugo Balls Gegenwelten
Hans Dieter Zimmermann

Er stand nur wenige Minuten auf der Bühne der Weltliteratur, doch diese wenigen Minuten machten ihn berühmt. Es waren die Bretter einer schummrigen Kneipe in der Zürcher Unterstadt, in der mitten im Ersten Weltkrieg Exilanten verschiedener Länder Europas zusammenkamen, die sich mehr schlecht als recht in Zürich durchschlugen, mit oder ohne Aufenthaltserlaubnis. Er selbst saß eine Woche in Haft, weil er sich falsche Papiere zugelegt hatte: Hugo Ball. Und das, was er auf diesen Brettern des „Cabaret Voltaire“ vortrug, waren sinnlose Lautreihen, sechs Gedichte, nicht mehr, mit denen eine neue Kunstrichtung begann, die bis heute Folgen zeitigt: Dada.

Seiner Frau Emmy Ball-Hennings, keine unbedeutende Schriftstellerin, war dieser Auftritt so unwichtig, dass sie ihn in ihrem Vorwort zu einer Neuauflage seines Tagebuchs „Flucht aus der Zeit“ von 1946 nicht einmal erwähnte. Dieses Tagebuch beruht auf Notizen, die sich Hugo Ball von 1913 bis 1921 machte; es ist eine Bearbeitung dieser Notizen von Anfang 1926. Mag auch manches aus der Sicht des „späten“ Hugo Ball formuliert oder auch umformuliert worden sein, so ist – neben seinen Briefen, die nun in drei Bänden vorliegen – kein Zeugnis seinen eigenen Gedanken und Erfahrungen so nahe wie dieses bearbeitete Tagebuch. Es erschien Mitte 1926 im Verlag Duncker & Humblot, dessen Lektor Ludwig Feuchtwanger, Bruder des Schriftstellers Lion, ihm zugetan war. Ein Jahr später, am 16. September 1927, starb Hugo Ball mit 41 Jahren im Tessin, wohin er sich ab Juni 1917 immer wieder zurückgezogen hatte. Sein größter literarischer Erfolg, die Biographie des Freundes Hermann Hesse, war gerade zu dessen 50. Geburtstag bei Samuel Fischer erschienen.

Sozialist, Ästhet und Mönch

Das Tagebuch „Flucht aus der Zeit“ soll hier Anhaltspunkte geben für Hugo Balls Entwicklung als Künstler und Kritiker seiner Zeit, als Sozialist, Ästhet und Mönch, könnte man sagen, denn es heißt gegen Ende des Tagebuchs am 5. Januar 1921: „Der Sozialist, der Ästhet, der Mönch: alle drei sind sich darüber einig, dass die moderne bürgerliche Bildung dem Untergang zu überantworten sei. Das neue Ideal wird von allen dreien seine neuen Elemente nehmen.“ Diese Sicht Hugo Balls, der die drei unterschiedlichen Gestalten aus drei unterschiedlichen, einander bisweilen sogar feindlichen Bereichen, in sich, in seinen eigenen Bestrebungen zu vereinen suchte, gilt es festzuhalten gegen alle landesüblichen Trennungen, will man den Autor, seine Intention, seine Arbeit verstehen.

Deshalb ist es auch nicht ganz richtig, den „späten“ Hugo Ball, der nur vier Jahre nach den Auftritten im „Cabaret Voltaire“ zur katholischen Kirche zurückkehrte, von dem Dadaisten abzutrennen. Und jener Hugo Ball, der 1919 nach der furchtbaren Katastrophe des Ersten Weltkriegs seine fulminante Analyse der deutschen Ideologie „Zur Kritik der deutschen Intelligenz“ nicht nur gegen die evangelisch-lutherische Kirche als Staatsreligion des militaristischen Preußens wandte, sondern auch gegen die katholische Kirche, die mit Habsburg im Bunde war, jener Hugo Ball wiederum ist dem nur ein Jahr später revertierten Katholiken näher, als es zunächst den Anschein hat.

Ich sehe diese drei kurzen Phasen eines allzu kurzen Lebens miteinander verbunden in der einen Person und ihrem Streben, das immer aus einer Quelle gespeist wurde, wenn es auch in verschiedene Richtungen ging. Diese drei Phasen werden durch drei Werke markiert:

1. Die Lautgedichte

Das sind in der Ausgabe „Gesammelte Gedichte“ der Stieftochter Annemarie Schütt-Hennings von 1963 nur sechs von 78 Gedichten, die anderen sind „konventioneller Art“; die Lautgedichte stellen also im lyrischen Schaffen Hugo Balls eine Ausnahme dar. In dem von Franz L. Pelgen 1996 herausgegebenen Band „Die nichtgesammelten Gedichte“, die noch einmal 51 Gedichte aus dem Nachlass enthalten, sind es wiederum zwei Gedichte; dazu kommt noch eines, „Bambo sbugi ninga gloffa“, aus dem kleinen Roman „Tenderenda der Phantast“. In der kritischen Ausgabe aller Gedichte, die Eckhard Faul in den „Sämtlichen Werken“ im Jahre 2007 vorlegte, sind es nun zehn von insgesamt 150 Gedichten. Zehn Gedichte, die die Welt bewegten. Mir scheint, man muss nicht mehr machen, um das Prinzip zu demonstrieren, um das es hier geht. Im Übrigen, meint Eckhard Faul in seinem Nachwort, seien die Unterschiede zwischen den einzelnen Phasen seines lyrischen Schaffens nicht so groß, wie gemeinhin angenommen werde; eine genauere Analyse seines lyrischen Gesamtwerks, die nun möglich ist, steht freilich noch aus.

2. „Zur Kritik der deutschen Intelligenz“

Dies ist eine große Polemik gegen die deutschen Intellektuellen von Martin Luther über Kant und Hegel bis zu Nietzsche und Marx, die 1919 in Bern erschien, eine Art Gegenschrift, könnte man sagen, zu der im gleichen Jahr publizierten Apologie der deutschen Ideologie durch Thomas Mann: „Bekenntnisse eines Unpolitischen“. Das sind zwei unabhängig voneinander entstandene Schriften, die eine in Deutschland, die andere im Exil geschrieben. Sie sind wie Antipoden und sollten deshalb immer miteinander gelesen und interpretiert werden. Die von Hugo Ball ist ungleich luzider als die von Thomas Mann und fast unbekannt. Erst 1970 wurde sie leicht gekürzt von Gerd-Klaus Kaltenbrunner wieder herausgegeben, zunächst bei Rogner & Bernhard, dann 1980 in der Bibliothek Suhrkamp; jetzt liegt eine vollständige und kritische Ausgabe im Rahmen der „Sämtlichen Werke und Briefe“ im Wallstein-Verlag Göttingen vor, die auch die spätere Kürzung und Bearbeitung enthält, die Ball „Die Folgen der Reformation“ nannte.

3. „Byzantinisches Christentum. Drei Heiligenleben“

Dies ist eine Schrift, an der Ball seit Ende 1920 arbeitete und die 1923 bei Dunker & Humblot erschien. Sie ist ein Triptychon, ein dreiflügeliger Altar, könnte man sagen, in dem Hugo Ball drei frühe orientalische Kirchenväter porträtiert, Heilige und Asketen: Johannes Klimax, Dionysios Areopagita und Simeon der Stylit. In der Mitte, am ausführlichsten behandelt, steht Dionysios Areopagita, der Begründer der abendländischen Mystik. Unter dem 18. Juni 1921 heißt es im Tagebuch: „Als mir das Wort DADA begegnete, wurde ich zweimal angerufen von Dionysios Areopagita: D. A. – D. A.“ Und in Klammern fügt er hinzu: „Über diese mystische Geburt schrieb H., auch ich selbst in früheren Notizen. Damals trieb ich Buchstaben- und Wort-Alchimie.“ Hier schließt er die erste und die dritte Phase seines Werkes aus späterer Einsicht zusammen: Dada und Dionysios Areopagita. Unnötig zu sagen, dass auch diese Schrift kaum rezipiert wurde. Eine Neu-Auflage erschien 1958 im katholischen Benziger-Verlag in Einsiedeln; auch sie wird in den „Sämtlichen Werken“ publiziert werden.

Diese drei Phasen seines Lebens und Arbeitens ließen sich als die ästhetische, die politische und die religiöse Phase bezeichnen – und die Tätigkeit Balls davor als eine Art Vorspiel. Das sind seine zwei mit künstlerischer Arbeit als Autor, Regisseur und Dramaturg in München angefüllten Jahre von 1912 bis 1914. Hier begründete er die bis heute existierenden Münchener Kammerspiele, hier lernte er all die später berühmten Künstler und Schriftsteller der Münchener Bohème kennen, seine Bekanntschaft mit Kandinsky und dem „Blauen Reiter“ begann. Es folgte von 1914 auf 1915 ein Jahr in Berlin, in dem er den deutschen Anarchisten Gustav Landauer traf und sich zum ersten Mal mit dem russischen Anarchisten Michail Bakunin beschäftigte, einem Atheisten, der gleichwohl ein weiterer Kirchenvater für Hugo Ball wurde. Auch der Kontakt mit Richard Huelsenbeck, mit dem Kreis um die Zeitschriften „Sturm“ und „Aktion“, wurde hier geknüpft.

Ball war auch nach seiner Emigration nach Zürich im Mai 1915 mitten unter wichtigen Intellektuellen und Künstlern seiner Zeit bis zu seinem Rückzug ins Tessin. Zürich war damals ein Tummelplatz nicht nur politischer, sondern auch künstlerischer Intelligenz aus aller Herren Länder, siehe all die großen Namen, die im „Cabaret Voltaire“ 1916 und im Jahr darauf in der „Galerie Dada“ auftauchten. Neben den „Dadaisten“, also Hans Arp, Richard Huelsenbeck, Tristan Tzara, Marcel Janco, hielt er Kontakt zu: René Schickele, Leonhard Frank, Max Oppenheimer, Hans Richter, Friedrich Glauser, Rudolf von Laban, Mary Wigman.

Selbst in seiner Berner Zeit von September 1917 bis März 1920 stand Ball in Verbindung zu bedeutenden Intellektuellen, vor allem zu Ernst Bloch, wie Ball Mitarbeiter an der wohl von der Entente finanzierten „Die freie Zeitung“, damals die Zeitung mit der höchsten Auflage in der Schweiz, aber auch Walter Benjamin wäre zu nennen, der zeitweise Balls Nachbar war, und dessen Freund Gershom Scholem.

Die erste Phase, die ästhetische, reicht also von 1915 bis 1917. Sieht man genauer hin, sind es nur wenige Monate: am „Cabaret Voltaire“ in der Spiegelgasse – um die Ecke wohnte Lenin und wartete auf die bolschewistische Revolution – war Ball nur von Februar bis Juli 1916 beteiligt, also kaum ein halbes Jahr, an der erfolgreichen „Galerie Dada“ in der feinen Bahnhofstraße nur von März bis Juni 1917, also kaum vier Monate. Danach zog er sich zum ersten Mal ins Tessin zurück.

Die zweite Phase, die politische, reicht von September 1917, als er für „Die freie Zeitung“ zu schreiben begann, bis März 1920, als die Zeitung eingestellt wurde. Im Verlag dieser Zeitung veröffentlichte Ball 1919 sein Pamphlet „Zur Kritik der deutschen Intelligenz“, das von Hermann Bahr, Ernst Bloch, Otto Flake und Franz Blei zustimmend besprochen wurde. Seine Hoffnung auf eine grundlegende Erneuerung Deutschlands nach all dem Grauen des Krieges erfüllte sich nicht; eine moralische Revolution hatte er erwartet. 1920 und 1921 unternahm er voll Hoffnung zwei Reisen nach Deutschland, von denen er tief enttäuscht zurückkehrte.

Die dritte Phase, die religiöse, setzt im Sommer 1920 ein. Er liest im Tessin die Heiligenleben, acta sanctorum. 1922 kehrte er nach einer Generalbeichte offiziell in die katholische Kirche zurück. 1924 und 1925 hielt er sich mit seiner Frau einige Zeit in Rom auf. Nach dem Misserfolg der Ende 1924 erschienenen Neufassung „Die Folgen der Reformation“ – sie wurde auch von der katholischen Kritik zurückgewiesen – lebte Hugo Ball mit Frau und Stieftochter einsam im Tessin. Nur der Freund Hermann Hesse blieb ihm erhalten, und nur die katholische Zeitschrift „Hochland“ druckte noch Aufsätze von ihm, aber auch dies mit Zurückhaltung.

Kritik der Zeit und Flucht aus ihr

Hugo Ball hatte sich aus der Zeit herausgeschrieben: „Flucht aus der Zeit“ heißt nicht ohne Grund sein Tagebuch. Er war ein Eremit geworden im damals noch armen Tessin. Die Gegenwelten, die er in seinen Werken schuf, die ästhetische, die politische, die religiöse, haben ihm nicht zum Erfolg gereicht. In der ästhetischen Welt hätte er, wäre ihm nicht allzu rasch die Lust an der Donquichotterie des Dadaismus verloren gegangen, weiterhin Erfolg haben können, doch das wollte er nicht. Andere haben es bewiesen, dass Dada Erfolg bringt: Richard Huelsenbeck in Berlin, wo er auf Kurt Schwitters, Raoul Hausmann, Hannah Höch und andere traf; und Tristan Tzara in Paris; in einem langen Gespräch über Dada, in Paris in den Fünfzigerjahren erschienen, erwähnt Tzara nicht einmal den Namen von Hugo Ball, geschweige denn dessen Anteil an der Entstehung der Bewegung. Schon am 11. April 1916 hatte Ball ins Tagebuch eingetragen: „Man soll aus einer Laune nicht eine Kunstrichtung machen.“

Im Politischen, im Religiösen fand er keinen Widerhall; Hugo Ball blieb ein Einzelgänger, der nach dem Ende des Großen Krieges auch bei den Kriegsgegnern der Deutschen nicht mehr gefragt war, zumal seine Konzepte für Nachkriegsdeutschland ganz andere waren als die der französischen Regierung. So blieb nur Hermann Hesse, der den Freund schätzte, wenn er auch seine Ansichten nicht immer teilte, und der auch finanziell den hungernden Balls half. Ohne die Unterstützung durch Hesse hätte Ball die letzten Jahre seines Lebens nicht arbeiten können. Nicht zu vergessen, dass auch der weitab von Deutschland lebende Hermann Hesse sich einen unabhängigen Kopf bewahrt hatte; in seinen politischen Aufsätzen zu Beginn und im Verlauf des Ersten Weltkrieges zeigte er einen Weitblick, der den meisten Intellektuellen seiner Zeit fehlte. Diese Distanz zu den politischen Bewegungen mag auch einen Grund für die Freundschaft zwischen Ball und Hesse gebildet haben.

Hugo Ball starb an Magenkrebs. Im Tagebuch schrieb er schon unter dem 27. April 1921. „Ich habe mir an der Zeit die Zähne ausgebissen und mir infolge davon auch den Magen verdorben.“

In all diesen drei Phasen – in der ästhetischen, der politischen, der religiösen – spielen immer alle drei Komponenten eine Rolle, mag auch jeweils eine dominieren, dies meine These. Hugo Ball handelt immer aus einem Impuls, der alle drei zugleich umfasst. Dazu einige Erläuterungen, die ich dem Tagebuch „Die Flucht aus der Zeit“ entnehme, also einer authentischen Quelle.

Schon auf der ersten Seite des Tagebuchs, im „Vorspiel“, formuliert er: „Was nottut, ist eine Liga all derer, die sich dem Mechanismus entziehen wollen; eine Lebensform, die der Verwendbarkeit widersteht. Orgiastische Hingabe an den Gegensatz alles dessen, was brauchbar und nutzbar ist.“ Hier sind der umfassende Anspruch und die Hoffnung auf „Gegensatz“ und „Gegenwelten“, aber auch die Hoffnung auf eine Gemeinschaft von Gleichgesinnten, die er jeweils nur kurz, wenn überhaupt, im „Cabaret Voltaire“ – es waren fünf Freunde – und in „Die Freie Zeitung“ fand, dort waren es nicht mehr. Dann waren es Gustav Landauer und Kurt Eisner, auf die er seine Hoffnung setzte, diese Wenigen, die eine Woche lang die Münchener Räterepublik behaupteten, bevor sie ermordet wurden.

Die Absage an das Theater, das nichts als Theater ist, steht auf der dritten Seite des Tagebuchs: „1910 – 1914 war alles für mich Theater.“ Seine Konzeption von Theater ist eine weitergehende, eine, die alle Künste einbezieht, so wie es dann in der Spiegelgasse geschah: Malerei, Musik, Literatur, Schauspielerei, am besten in einer Vorführung verkörpert, heute würde man sagen „performance“. Sein Vortrag der Lautgedichte war ein solches „Gesamtkunstwerk“: Er war Autor und Schauspieler, Kostümbildner und Regisseur, und sein Sprechgesang der Verse ohne Worte näherte sich einer musikalischen Darbietung. Hier lag auch sein Interesse für Wassily Kandinsky begründet, der Malerei und Musik in seinen bildnerischen „Kompositionen“ miteinander verband. Die Namen, die Ball auf der vierten Seite des Tagebuchs programmatisch nennt, sind für uns heute „die klassische Moderne“, damals waren es belächelte Außenseiter: Kandinsky, Marc, Klee, Kokoschka; Mendelsohn, der Architekt; Kubin, der Grafiker, und Carl Einstein, der Literat, der mit seinem „Bebuquin“ das Motto vorgab: „Dilettanten des Wunders“.

Seine Kritik an der Zeit ist radikal: Diese sei bestimmt durch Nekrophilie, durch Liebe zu Totem, schreibt er: „Der Glaube an die Materie ist der Glaube an den Tod.“ Auf der zweiten Seite steht schon dieser Satz. Und die Einsicht, dass auch dies „eine Art Religion“ sei. Unter dem November 1914, da war der Krieg schon in blutigem Gange, vermerkt er die Lektüre der russischen Anarchisten, der radikalsten Kritiker der bürgerlichen Gesellschaft. Am 12. Dezember trifft er zum ersten Mal Gustav Landauer, einen „abgezehrten älteren Mann mit wallendem Hut und dünnem Bart“, wie es heißt, „pastoral sanft“. „Ein überlebter Eindruck“. Hier tritt ihm in der Gestalt des alternden Landauer sein eigenes Bild entgegen: So gewissermaßen überlebt erscheint der sanfte, abgezehrte Hugo Ball in seinen letzten Lebensjahren, „ein Politiker, den der Ästhet verpfuscht hat“, wie Ball einen anderen über Landauer sagen lässt. So ist es bei Ball und Landauer: „Politiker und Ästhet“ und mehr Ästhet als Politiker sind sie – und Mystiker dazu. Als Landauer wegen Majestätsbeleidigung im Gefängnis saß, übersetzte er Meister Eckhart aus dem Mittelhochdeutschen ins Neuhochdeutsche.

Hugo Ball steht mit seinen Vorlieben nicht so allein, wie es zunächst erscheint. Mystik und Rationalität, um mit Robert Musil zu sprechen, waren die Pole der Zeit. Und fast alle, die wir heute zur klassischen Moderne zählen, haben nach spirituellen Anregungen gesucht. Erwähnt sei wenigstens Kandinskys Programmschrift der abstrakten Malerei „Über das Geistige in der Kunst“ von 1911, die auf die Theosophie hinweist und die abstrakte Malerei als Weg nach Innen bezeichnet. Kunst und Mystik also – die Politik spielt bei Kandinsky keine Rolle. Hier vereint Hugo Ball die Interessen des Literaten Landauer mit denen des Malers Kandinsky. Und ein dritter wäre noch zu nennen, mit dem es eine Parallele gibt, wodurch wiederum die Breite von Hugo Balls Interessen bestätigt wird: Gershom Scholem. Ähnlich Ball verehrte er Gustav Landauer, wie er in seinen Erinnerungen berichtet. Landauers Anarchismus war für ihn und die jungen Zionisten in Berlin eine Orientierung in den Schrecken des Weltkriegs. Und nach dessen Ende wandte sich Scholem wie Ball den Mystikern zu, den acta sanctorum des Judentums, den Schriften der Kabbala.

Im Vortrag über Kandinsky, den Hugo Ball am 7. April 1917 in der „Galerie Dada“ in Zürich hielt, nennt er drei Dinge, die „die Kunst unserer Tage bis ins Tiefste erschütterten, die ihr ein neues Gesicht verliehen und sie vor einen gewaltigen neuen Aufschwung stellten“: „Die von der kritischen Philosophie vollzogene Entgötterung der Welt, die Auflösung des Atoms in der Wissenschaft und die Massenschichtung der Bevölkerung im heutigen Europa.“ Die Philosophie – „Gott ist tot“, die „Umwertung aller Werte“, wie er dann schreibt – ist natürlich vor allem die Nietzsches, die den jungen Ball beschäftigte, es ist aber auch die Erkenntnis der Naturwissenschaft und die unübersichtliche Massengesellschaft, die Folgen haben: „der Sinn der Welt schwand“. Und: „Chaos brach hervor.“

Бесплатный фрагмент закончился.

Возрастное ограничение:
0+
Объем:
1161 стр. 3 иллюстрации
ISBN:
9783766641168
Редактор:
Издатель:
Правообладатель:
Bookwire
Формат скачивания:
Подкаст
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
По подписке
Текст, доступен аудиоформат
Средний рейтинг 4,6 на основе 1906 оценок
По подписке
Текст
Средний рейтинг 5 на основе 1 оценок
Текст, доступен аудиоформат
Средний рейтинг 4,8 на основе 22 оценок
По подписке
Аудио Авточтец
Средний рейтинг 5 на основе 1 оценок
Подкаст
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Текст
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок
Текст, доступен аудиоформат
Средний рейтинг 4,4 на основе 245 оценок
По подписке
Текст, доступен аудиоформат
Средний рейтинг 4,6 на основе 265 оценок
По подписке
Текст
Средний рейтинг 0 на основе 0 оценок