Читать книгу: «Das beste von Nikolai Gogol», страница 9
Ostap kam im Galopp geritten.
»Vater, was hast du getan? Bist du es, der ihn erschossen hat?« fragte er.
Taraß nickte.
Ostap schaute dem Toten lange in die Augen. Ihn dauerte der Bruder, und er sprach:
»Vater, geben wir ihm ein ehrliches Begräbnis, daß seinen Leichnam nicht die Feinde schänden, daß ihn die Raben nicht zerreißen!«
»Der wird auch ohne uns begraben!« sagte Taraß. »An Klageweibern wird es dem nicht fehlen!«
Ein Weilchen überlegte er dann, ob er Andri den räuberischen Wölfen zum Fraße liegen lassen oder ob er in ihm den Rittermut ehren solle, dem der Tapfre bei jedem Feinde Achtung zollt, und sei es, wer es sei – da sieht er Golokopytenko hergesprengt kommen.
»Schlecht steht es, Hetman! Die Polen haben Zuzug erhalten. Frische Kräfte sind angerückt!«
Golokopytenko hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da kommt Wowtusenko gesprengt.
»Schlecht steht es, Hetman! Schon wieder rückt ein neuer Haufe an!«
Wowtusenko hatte noch nicht zu Ende gesprochen, da kommt der letzte der drei Pißarenko zu Fuße angerannt, weil er kein Pferd mehr hat.
»Wo steckst du, Alter? Die Kosaken rufen nach dir. Gefallen ist der Oberst Newylytschki, Sadoroschni ist tot, Tscherewitschenko ist tot. Aber noch halten die Kosaken stand, sie wollen dir ins Auge sehn, bevor sie sterben, sie wollen, daß dein Auge sie vor ihrer Todesstunde noch einmal sieht.«
»Aufgesessen, Ostap!« sagte Taraß und eilte, die Kosaken noch lebend zu treffen, sie noch einmal zu sehn, ihnen vor der Todesstunde noch einmal das Auge des Hetmans zu zeigen. Aber sie kamen nicht mehr aus dem Wald. Schon waren sie umzingelt, ringsum zwischen den Bäumen erschienen feindliche Reiter mit Speer und Schwert.
»Ostap, Ostap, ergib dich nicht!« schrie Taraß, zog blank und bediente, was ihm in den Weg kam, mit kräftigen Hieben nach rechts und links, über Ostap aber fielen gleich sechs auf einmal her; doch hatten sie sich keine gute Stunde dazu gewählt: dem ersten flog der Kopf herunter, der zweite machte kehrt und zahlte Fersengeld, dem dritten fuhr die Lanze zwischen die Rippen, der vierte war der keckste, er wich mit dem Kopf der heißen Kugel aus, aber da fuhr sie seinem Gaul in die Brust – der Rappe bäumte sich wild auf, krachte zu Boden und erdrückte den Reiter unter sich.
»Brav so, mein Sohn! Recht so, Ostap!« schrie Taraß. »Nur zu. Ich folge dir.«
Taraß schlägt sich selber wacker mit den Angreifern. Er haut gewaltig um sich und drischt so manchem den letzten Segen über den Schädel. Dabei schaut er aber immer nach Ostap und sieht, daß jetzt wieder gleich acht auf einmal über den her sind.
»Ostap, Ostap! Ergib dich nicht!« Doch schon ist der junge Oberst bezwungen. Einer hat ihm die Schlinge ums Genick geworfen. Sie binden ihn. Er ist gefangen.
»He, Ostap, Ostap!« schreit Taraß und bricht sich Bahn zu ihm und haut in Stücke, was ihm in den Weg kommt. »He, Ostap, Ostap!«
Doch in dem Augenblick trifft es Taraß selber – wie einen schweren Steinwurf fühlt er es. Alles dreht sich und kreist vor seinem Blick. Flüchtig sieht er ein wirres Durcheinander von Köpfen, Lanzen, Rauch, von Feuerblitzen, grünen Blättern vorübersausen. Und schwer dröhnt er zu Boden, gleich einer Eiche, die die Axt gefällt hat. Dichter Nebel sinkt ihm auf die Augen.
Zehntes Kapitel
»Ich hab wohl lange geschlafen?« fragte Taraß. Ihm war, als erwache er aus der Betäubung schwerer Trunkenheit. Er suchte die Dinge um sich zu erkennen.
Eine schreckliche Schwäche lähmte ihm die Glieder. Zweifelnd tastete sein Blick über die Wände der fremden Stube … War aber der Mann, der da an seinem Bett saß und auf jeden seiner Atemzüge zu lauschen schien, nicht der Oberstleutnant Towkatsch?
– Geschlafen hast du freilich eine Weile, dachte Towkatsch bei sich, – hätte leicht sein können, daß du gar nicht mehr aufgewacht wärst!
Doch sagte er nichts; er drohte nur mit dem Finger und drückte den dann warnend an die Lippen.
»Ja, Herrgott, sag mir, wo bin ich!« rief Taraß und marterte sein Hirn, um die Erinnerung an das Geschehene wiederzufinden.
»Mund halten!« herrschte ihn der alte Kamerad an. »Was brauchst du’s zu wissen! Daß du halb zuschanden gehauen bist, spürst du wohl selbst; oder …? Zwei Wochen sind es, daß ich mit dir reite, ohne mich einmal auszuruhen, und daß du in deinem Fieber den dümmsten Unsinn sprichst. Heut hast du zum erstenmal ruhig geschlafen. Halt den Mund! Das Sprechen hat ja keinen Wert. Du machst dich damit bloß kaputt.«
Taraß jedoch strengte sich weiter an, seine Gedanken zu ordnen. »Ja, haben mich die Polacken denn nicht gefangen? Ich war doch umzingelt und konnte mich nicht mehr durchhaun!«
»Halt den Mund, wenn ichs dir sag, verfluchter Satansbraten!« schrie Towkatsch erbost, im Ton einer Amme, die ungeduldig ihren widerspenstigen Säugling schilt. »Was schert es dich, wie du herausgekommen bist! Hauptsache, daß du draußen bist! Es sind wahrscheinlich Leute dagewesen, die dich nicht stecken ließen – das kann dir genug sein! Wir beide, lieber Freund, dürfen noch manche Nacht zusammen reiten. Bist du so dumm und glaubst du, die Brüder taxieren dich für einen einfachen Kosaken? Da täuschst du dich: zweitausend Dukaten haben die Polacken freundlichst auf deinen Kopf gesetzt.«
»Und … und Ostap?« schrie Bulba in plötzlichem Erinnern und strengte alle Kraft an, sich aufzurichten. Es stand ihm klar vor Augen, wie sie Ostap gefangen und gebunden hatten. So war sein Sohn nun in der Hand der Feinde …
Wild schüttelte der Schmerz den Alten. Er riß die Verbände von seinen Wunden und warf sie weit ins Zimmer; er wollte sprechen, doch nur ein sinnlos wirres Stammeln kam ihm aus dem Mund. Die Glut des Fiebers hielt ihn von neuem gepackt, und er begann irre zu reden. Fluchend stand der treue Towkatsch neben dem Bett und überhäufte den Kranken mit Vorwürfen und den saftigsten Schimpfworten, die ihm nur einfallen wollten. Dann hielt er ihm die Arme und Beine fest und wickelte ihn in Tücher wie ein kleines Kind, verband die Wunden frisch, rollte ein Ochsenfell um den gewaltigen Leib, verschnürte den ganzen Packen mit Bast und Stricken und lud ihn vor sich aufs Pferd, stieg in den Sattel und ritt schleunigst weiter.
»Und bring ich dich nicht lebend heim – nach Hause bring ich dich!« sprach er. »Das duld ich nicht, daß die Polacken deinen Kosakenleichnam in Stücke hauen und ihn dann ins Wasser schmeißen! Und will es der liebe Gott schon, daß dir ein Adler die Augen aushackt, dann solls ein Steppenadler sein, einer von unsern Adlern, und kein verfluchter Polackenvogel, der aus dem fremden Land kommt. Bring ich dich auch nicht lebend heim – ins Grenzland bring ich dich!«
So sprach der treue Kamerad. Und ohne Rast und Ruhe ritt er weiter, Tag um Tag und Nacht um Nacht, bis er am Ende mit dem bewußtlosen Taraß glücklich im Heimatlager ankam. Dort pflegte er seine Wunden sorgsam mit Kräuterbalsam und machte eine heilkundige Jüdin ausfindig, die dem Kranken solange kräftige Mixturen eingab, bis es ihm endlich besser ging. Lag es nun an der Arznei, oder siegte seine eiserne Kraft – um die Mitte des zweiten Monats stand Taraß wieder fest auf den Füßen. Die Wunden waren verharscht – nur noch die tiefen Säbelnarben gaben Kunde davon, wie die Polacken den alten Recken in der Arbeit gehabt hatten. Doch wich der schwere Trübsinn nicht von ihm. Drei scharfe Falten hatte der Gram in seine Stirn geprägt, und die verlor er nicht mehr bis ans Ende. Blickte er um sich, dann dünkte ihn im Lager alles so neu und fremd – die alten Genossen waren tot. Keiner lebte mehr von denen, die mit ihm für die gute Sache, für Glauben und Kameradschaft ins Feld gezogen waren. Auch der Teil des Heeres, den der Hetman auf die Verfolgung der Tataren mitgenommen hatte, war aufgerieben worden bis zum letzten Mann, gestorben und verfault. Die einen hatte der Feind im Schlachtgewühl gefällt, die andern waren vor Hunger und Durst in den weiten Salzsümpfen der Krim verschmachtet, die dritten an Scham und Gram dahingesiecht in der Gefangenschaft der Heiden. Auch den Hetman hatte der Tod ereilt, ihn und alle die andern getreuen Kameraden. Gras wucherte schon wieder auf den Hügeln, darunter so viel feurige Kosakenkraft zur ewigen Ruhe gebettet lag.
Taraß ging durch die Tage wie im Gedenken an ein verrauschtes überschäumend frohes Fest. Alles Geschirr ist zu Splittern zerschlagen, du findest keinen Tropfen Wein mehr, die Gäste und die Diener haben die kostbaren Becher und Schüsseln gestohlen; da stehst du, ein betrübter Hausherr, und denkst in deinem Sinn: – Hätte ich das Fest doch gar nicht erst gefeiert!
Die andern Kosaken taten alles, den Alten zu zerstreuen und aufzumuntern – umsonst! Gar mancher graubärtige Pandoraspieler, der in das Lager kam, pries in seinem Lied die ruhmvoll stolzen Taten des Obersten Taraß – umsonst! Finster und teilnahmlos blieb Bulbas Gesicht, unendlich tiefe Trauer brütete in seinem Blick, hangenden Hauptes murmelte er vor sich hin: »Mein Sohn! Ostap!«
Die Kosaken rüsteten einen neuen Beutezug über das Meer. Zweihundert Kähne stark, fuhren sie den Dnjepr hinunter, und Kleinasien lernte von neuem die Männer mit den langen Schöpfen auf den rasierten Schädeln kennen. Feuer und Schwert hausten mörderisch an den fruchtbaren Küsten. Die Turbane der Moslim sprenkelten die blutgetränkten Felder so dicht wie Wiesenblumen und schwammen hundertweise in den Bächen und Flüssen. Überall wimmelte es von teerbefleckten Kosakenpluderhosen, überall schwangen kräftige Fäuste die schwarzen Knuten. Jeder Weinberg wurde von den Kosaken leergefressen und verwüstet, in den Moscheen ließen sie Berge von Kot zurück, kostbare persische Schale zerrissen sie zu Fußlappen oder gürteten ihre schmierigen Röcke damit. Lange Jahre nachher noch fand man in den Winkeln der Moscheen kurze Kosakenpfeifen. Endlich machten sie sich frohen Muts auf die Heimfahrt; doch ein mit zehn Geschützen bestücktes Türkenschiff jagte ihnen nach und blies mit einer Breitseite ihre morschen Kähne wie einen Schwarm Wandervögel auseinander. Der dritte Teil der Mannschaft versank im tiefen Meer, der Rest sammelte sich wieder, kam wohlbehalten in die Dnjeprmündung und brachte zwölf Fässer bis an den Rand voll goldner Zechinen in das Lager heim.
Taraß war dies alles einerlei. Er streifte durch die Steppe, als wolle er auf die Jagd; doch Kraut und Lot blieben ruhig im Lauf. Endlich setzte er sich müde und kummervoll am Strande nieder und warf die Büchse in den Sand. Lange konnte er so hangenden Hauptes sitzen. Und immer wieder murmelten seine Lippen das eine: »Ostap! Ostap! Mein Sohn!«
Vor seinem Blick wogte funkelnd das Schwarze Meer, im Schilfrohr drüben klang ein Möwenschrei; des Alten Schnauzbart glänzte wie Silber in der Sonne, Träne um Träne rann ihm aus den Augen.
Und endlich riß es Taraß zu einem Entschluß empor.
»Soll kommen, was will!« sprach er zu sich. »Ich muß erfahren, was ihm geschehen ist: ob er noch lebt, ob er im Grabe liegt, ob sie ihm gar im Tod kein Grab vergönnen. Das muß ich wissen – soll kommen, was will!«
Und keine Woche war seit diesem Entschluß vergangen, da sah man ihn schon in der Stadt Uman, in voller Waffenrüstung, hoch zu Roß, die Lanze in der Faust, den Pallasch umgegürtet. Am Sattel hing die hölzerne Feldflasche, der Kessel voll Buchweizengrütze, das Pulverhorn, der Koppelstrick, und was ein Mann sonst auf der Reise braucht. Er machte vor einem schmutzigen Häuschen halt, dessen kleine Fenster man kaum erkennen konnte vor lauter Dreck. Der Schornstein war mit einem Lappen verstopft, auf dem löcherigen Dach wimmelte es von Spatzen. Vor der Tür lag ein großer Unrathaufe. Zum Fenster heraus schaute der Kopf einer Jüdin in einer Haube, die mit schwarzgewordnen echten Perlen besetzt war.
Bulba stieg vom Gaul und schlang den Zügel durch den eisernen Ring neben der Tür. »Der Jude zu Hause?« fragte er.
»Worüm soll er nix sein ßu Hause?« sagte die Jüdin und trat eilends mit einer Metze Weizen für den Gaul und einem Becher Bier für den Ritter über die Schwelle.
»Wo steckt er denn, dein Jude?«
»Im hintern Zimmer, er betet!« flüsterte die Schickse. Und als Bulba den Becher zum Mund hob, verneigte sie sich tief und wünschte ihm, daß ihm der Trunk recht wohl bekommen möge.
»Du bleibst hier draußen und läßt den Gaul fressen und saufen. Ich geh hinein. Ich hab mit ihm allein zu reden. Geschäfte …«
Dieser Jude war niemand andres als der uns wohlbekannte Jankel. Er hatte sich mittlerweile zum Pächter und Schankwirt emporgegaunert. Hübsch unvermerkt bekam er einen nach dem andern von den benachbarten Junkern und Gutsherrn in die Klauen, hübsch unvermerkt preßte er ihnen langsam aber sicher ihr Geld ab. Der jüdische Halunke wirkte verderblich auf die ganze Gegend. Drei Meilen weit im Umkreis blieb auch nicht eine Hütte in der alten Ordnung, alles geriet ins Wanken und wurde morsch, die Trunksucht griff um sich, Armut und Verlumpung folgten ihr auf dem Fuß – keine gewaltige Feuersbrunst, keine tödliche Seuche hätte mehr Elend über den Bezirk bringen können. Wäre Jankel noch zehn Jahre am Ort geblieben, er hätte die ganze Provinz zugrunde gerichtet.
Taraß trat in die Stube. Jankel hatte sich einen schmierigen Gebetmantel über die Schultern geworfen und betete. Er wendete sich grade, nach den Vorschriften seines Glaubens zum letzten Mal hinter sich zu spucken, da sah er unerwartet Bulba im Zimmer stehen. Das erste, was dem Juden einfiel, waren natürlich die zweitausend Dukaten, die dem winkten, der seinen Gast der polnischen Regierung in die Hände spielte. Doch schämte er sich dann dieser häßlichen Regung und suchte mit aller Macht die ewige Geldgier zu bezwingen, die an der Seele des Judenvolkes frißt wie am Apfel der Wurm. Er sprang auf, machte einen Bückling vor Bulba und verschloß ängstlich die Tür, damit kein unerwünschter Zeuge sie zusammen anträfe.
»Hör einmal zu, Jankel!« sagte Taraß. »Ich hab dir dein Leben gerettet; denn die Kosaken hätten dich in Stücke gerissen wie einen Hund. Jetzt ist die Reihe an dir: du mußt mir einen Dienst tun!«
Jankels Gesicht wurde zusehends länger.
»Was soll es sein fer ä Dienst? Wenn es ä Dienst is, was liegt in meiner Macht – nu–u, worum ni–ich?«
»Sag gar nichts! Bring mich nach Warschau!«
»Warschau! Wie haißt: Warschau?« fragte der Jude. Seine Brauen und Schultern hoben sich vor Verwunderung.
»Erzähl mir gar nichts! Führ mich nach Warschau! Soll mir geschehen, was will: ich muß ihn noch einmal sehn, noch einmal sprechen, und wenn es nur auf ein Wort ist!«
»Sprechen? Mit we–em?«
»Mit ihm: Ostap, meinem Sohn.«
»Ja, is es dem Herrn nix bekennt, daß die …«
»Ich weiß schon, alles weiß ich: sie zahlen zweitausend Dukaten für meinen Kopf. Die Esel haben eine Ahnung, was dieser Kopf hier wert ist! Ich geb dir fünftausend. Da hast du für den Anfang gleich zweitausend; den Rest kriegst du, wenn ich zurück bin.« Bulba schüttete zweitausend Dukaten aus seiner Lederkatze.
Der Jude griff hastig nach einem Tuch und deckte es über das Geld.
»Gott der Gerechte! Ä so ä feines Geld, ä so ä schönes Geld!« rief er, nahm einen der Dukaten, rieb ihn zärtlich zwischen den Fingern und probte ihn mit den Zähnen. »Mer kann bloß leid tun der Mensch, dem was der Herr hat weggenommen de goldnen Dukaten. Sicher hat er nix mehr gelebt ä einzigste Stund, sicher is er gegangen ins Wasser und hat sich versäuft vor Schmerz um seine guten Dukaten.«
»Ich würde dich nicht darum bitten …« sagte Taraß. »Den Weg nach Warschau fänd ich ohne dich. Ich fürchte bloß, daß mich die verdammten Polacken erkennen; dann wär ich geliefert, weil ich in Pfiffen und Kniffen kein so besondrer Held bin. Ihr Juden aber seid vom lieben Herrgott ja eigens dafür in die Welt gesetzt. Ihr redet dem Teufel selbst ein Ohr ab und versteht euch auf jeden Schwindel. Darum komm ich zu dir! Und auch in Warschau würd ich allein sicher gar nichts erreichen. Schnell also, spann ein und bring mich hin!«
»Gott soll mich strafen! Glaubt denn der Herr, das geht so mir nix, dir nix: ich zieh gemütlich den Gaul aus dem Stall und spann ein und brauch dann bloß noch sagen: ›Hüh?‹ Glaubt denn der Herr, ich kann ganz einfach fahren mit ihm, daß ä jeder es sieht? Das erste ist doch: ßu verstecken den Herrn.«
»Na, dann versteck mich! Tu, was du willst! Steck mich ganz einfach in ein Pulverfaß!«
»O waih geschrien! Was glaubt der Herr? Ich hör immer: ä Faß! Muß denn da nix ä jeder denken, es is Branntwein drinnen im Faß?«
»Dann denkt ers eben!«
»Wie haißt! Denken soll er, daß Branntwein drin is?« rief der Jude, riß sich verzweifelt an seinen Peißes und schlug dann die Hände über dem Kopf zusammen.
»Na, reg dich nicht auf!« brummte Taraß.
»Ja, weiß denn der Herr nix, daß der liebe Gott hat geschaffen den Branntwein, damit ihn ä jeder möcht gerne probieren? Und die vernaschten Polacken, die gehn drauf als wie de Fliegen auf Zucker. Ä ganze Stund weit läuft ä so ä hungriger Junker hinter dem Faß her und bohrt sich, wie ich ihn kenn, in den Boden hinein heimlich ä kleines Loch. Und dann merkt er doch gleich: es lauft nix raus: Was wird er sagen? ›Der Jüd‹, wird er sagen, ›hat ja kä Pulver drinnen im Faß; dahinter steckt eppes was andres‹. Und was werd dann sein? Der Jüd werd gepackt, der Jüd kriegt gebunden de Händ auf den Rücken, der Jüd kriegt genommen sein Geld, der Jüd werd geworfen ins Kittchen. Denn alles, was es gibt Böses auf der Welt – der Jüd is dran schuld; der Jüd werd angeschaut als ä Hund und nix als ä Mensch, bloß weil er geboren is als ä Jüd!«
»Na, dann versteck mich in einer Last Fische!«
»Es geht nix, Herr! Gott soll mich strafen, das geht erst recht nix! An Polen sind heutßutag de Leut verhungert als wie de Wölfe: se stehlen mir meine Fisch und grabbeln mit de langen Finger bis auf den Grund und erwischen den Herrn.«
»Versteck mich meinetwegen in einem Fuder Teufel – nur bring mich nach Warschau!«
»Herr Ritter, jetzt horcht ämal gut ßu, was ich Euch will verzählen!« sprach der Jude, schob seine Ärmelaufschläge zurück und näherte sich Bulba mit beschwörend ausgebreiteten Armen. »Ich weiß schon, wie mer es können machen. Im ganzen Land werd doch jetzt nix wie gebaut, lauter feste Schlösser und neue Mauern um alle Städte. Massenweis haben se sich lassen kommen französische Baumeister aus Deutschland. De Straßen sind voll von Fuhren mit Ziegel und andre Stein. Soll sich der Herr hineinlegen unten im Wagen, und ich leg von oben auf ihn drauf Ziegelstein. – Der Herr ist blühend und stark – ä bissel schwer wird es sein, aber er hält es schon aus. Und unten im Wagen mach ich ä Loch, wodurch ich kann geben dem Herrn ßu essen eppes ä Kleinigkeit.«
»Tu, was du willst! Nur bring mich nach Warschau!«
Knapp eine Stunde später rasselte ein Fuder Ziegel zum Städtchen Uman hinaus, gezogen von zwei elenden Kleppern, auf deren einem, hochragend wie ein Meilenpfahl an der Straße, der tüchtige Jankel thronte. Der stoßende Gang des Pferdes erschütterte grausam sein dürres Gestell. Im gleichen Takte tanzten die grauen Peißes unter dem schmierigen Judenkäppchen.
Elftes Kapitel
Zu jener Zeit gab es an den Landstraßen noch keine Zöllner und Grenzer. Ohne Sorge vor diesem Schrecken aller unternehmenden Handelsleute konnte deshalb jeder seine Ware durchs Land führen. Wenn doch einmal einer die Ladung untersuchte, so tat er es auf eigne Faust. Voraussetzung war dabei immer, daß er der Kraft und Schwere seiner Faust auch wirklich vertrauen durfte, und daß der Inhalt des Fuders das Wagnis lohnte.
Ziegelsteine aber lockten keinen Strauchritter an; und so rasselte Jankels Wagen denn endlich wohlbehalten unter der Torwölbung hindurch in die Warschauer Hauptstraße. Bulba merkte in seinem Versteck fürs erste nichts von der Stadt als Lärm und Kutschergeschrei. Der Jude lenkte das staubbedeckte Rößlein, auf dem er schwankend thronte, nach mancherlei Umwegen in ein enges, finstres Gäßchen, das den Namen Dreck-oder Judengasse führte. In der Tat hausten hier auch fast sämtliche Juden von Warschau. Diese Straße erinnerte stark an einen Hinterhof im Armenviertel. Es sah nicht aus, als dringe ihr jemals ein Sonnenstrahl bis auf den Grund. Düster blickten die altersschwarzen Holzhäuser darein. Vereinzelt stand wohl ein Ziegelbau dazwischen, aber auch das Rot seiner Mauern hatte sich schon fast gänzlich zu Schwarz verdunkelt. Nur an den Giebeln oben leuchtete hier und da ein verputztes Stückchen Wand in der Sonne und tat mit seiner grellen Weiße den Augen weh. Allerlei Unrat lag am Boden herum: alte Dachrinnen, Lumpen, Küchenabfall, zerbrochne Töpfe. Jeder warf, was ihm im Weg war, kurzerhand vor die Tür hinaus – mochte sich, wer vorüberkam, dabei denken, was er sich dachte. Ein Reiter zu Pferd hätte mit gestrecktem Arm beinah die Wäschestangen erreichen können, die von Fenster zu Fenster quer über die Straße liefen, und an denen Strümpfe, Hosen, geräucherte Gänse und andre Herrlichkeiten baumelten. Hübsche junge Schicksen mit schmutzigen Wachsperlenschnüren um den Hals zeigten ihre Gesichter hinter den trüben Scheiben. Ein Haufe von ungewaschnen, zerlumpten krauslockigen Judenbengeln wälzte sich schreiend im Dreck. Ein rothaariger Jude, besprenkelt mit Sommersprossen wie ein Spatzenei, streckte den Kopf zum Fenster heraus und begann, als er Jankel erblickte, in seinem Kauderwelsch auf diesen einzureden; Jankel nickte ihm zu und lenkte sein Gespann durchs Tor in den Hof. Grade kam noch ein andrer Jude des Weges, er machte Halt und mischte sich in das Gespräch. Als Bulba sich endlich unter seinen Ziegeln hervorgearbeitet hatte, erblickte er drei Hebräer, die lebhaft durcheinander mauschelten.
Jankel trat auf Taraß zu und sagte ihm, sie wollten die Sache schon machen. Ostap säße im städtischen Gefängnis. Es würde ein schweres Stück Arbeit sein, die Wärter herumzukriegen, aber er hoffe dennoch, ihm Zutritt zu dem Kerker Ostaps zu verschaffen.
Bulba begab sich mit den drei Juden ins Haus.
Wieder erhoben die Hebräer ein großes Gemauschel in ihrer unverständlichen Sprache. Taraß schaute von einem zum andern. Ein Sturm von Gefühlen schüttelte ihn; aus seinen sonst so harten und ruhigen Augen brach ein heftiger Strahl von Hoffnung – wahnwitziger Hoffnung, wie sie den Menschen grade in der tiefsten Verzweiflung zuweilen packt; sein altes Herz schlug so voll und heftig, als sei er ein Jüngling.
»Hört einmal zu, ihr Juden!« sagte er, und seine Stimme hatte fast etwas Verzücktes. »Ihr bringt ja alles fertig in der Welt; und liegt ein Schatz auf dem Grunde des Meeres – ihr fischt ihn heraus. Es ist ja ein altes Sprichwort: Ein Jude ist fähig, den eignen Kopf zu stehlen, wenn er sonst nichts zum Stehlen erwischt. Befreit mir meinen Ostap! Helft ihm aus den Krallen dieses Teufelsgesindels! Ich hab dem Mann da fünftausend Dukaten versprochen, ich leg noch einmal fünftausend dazu. All mein Geld, das ich habe, meine kostbaren Becher und mein vergrabnes Gold, mein Haus und meine letzten Kleider verkauf ich; und ich geb es euch schriftlich auf Lebenszeit, daß ihr von allem, was ich noch jemals im Krieg erbeute, die Hälfte bekommt!«
»Es geht nix, goldner Herr, es geht nix!« sagte Jankel mit einem tiefen Seufzer.
»Gott straf mich, nein, es geht nix!« stimmte der rote Jude ein.
Die drei Juden wechselten Blicke.
»Nu–u, aber probieren …?« sagte der dritte und schaute, fast über sich selbst erschrocken, scheu auf die andern. »Wenn Gott will …«
Und nun begannen die drei auf deutsch zu verhandeln. So eifrig Bulba die Ohren spitzte, er verstand keine Silbe. Nur daß häufig der Name »Mardochai« fiel, wurde ihm klar.
»Horcht ämal, Herr!« sagte Jankel. »Mer müssen besprechen die Sache mit einem Mann – einem Mann, wie es noch niemals hat keinen gegeben ßu sein in der Welt. Straf mich Gott! Der is so weise als wie der grauße Salomo; und wenn er es nix macht – kä andrer macht es erst recht nix. Bleibt nur hier sitzen! Da is der Schlüssel. Und laßt bloß kä Seele von Menschen ins Zimmer!«
Die Hebräer verließen das Haus.
Taraß verschloß die Tür, stellte sich an das kleine Fenster und sah auf die schmutzige Gasse hinaus. Die drei Juden standen draußen und führten eine hitzige Unterhaltung. Ein vierter gesellte sich zu ihnen, und dann noch ein fünfter. Immer wieder erklang der Name: »Mardochai, Mardochai.« Die ganze Schar blickte nach dem einen Ende der Straße hinunter. Endlich trat dort über die Schwelle eines schmutzigen Hauses ein Fuß in jüdischem Schuh, über dem die Schöße des Kaftans flatterten.
»Mardochai, Mardochai!« schrieen die Hebräer wie aus einem Munde.
Ein hagrer Jude, dem aus dem faltenreichen Gesicht eine ungeheure Oberlippe ragte, etwas kleiner von Wuchs als Jankel, näherte sich der ungeduldigen Schar; alle seine Glaubensgenossen schnatterten in wildem Durcheinander rasend schnell auf ihn ein. Mardochai ließ die Augen öfter zu dem Fenster wandern, hinter dem Taraß stand. Dieser konnte leicht merken, daß von ihm die Rede war. Mardochai focht mit den Händen in der Luft, hörte zu, stellte hie und da eine Zwischenfrage, spuckte häufig zur Seite, hob die Schöße des Kaftans, wobei er eine äußerst schäbige Hose enthüllte, versenkte die Hände tief in die Taschen und holte irgendwelchen Klapperkram hervor. Schließlich erhoben die Hebräer ein solches Geschrei, daß der eine von ihnen, der den Auftrag hatte, Wache zu halten, das Warnungszeichen geben mußte. Taraß begann schon für seine Sicherheit zu fürchten, beruhigte sich aber bald wieder, kannte er doch den jüdischen Brauch, alles immer auf offner Straße zu verhandeln, und wußte er doch, daß aus diesem Gemauschel nicht einmal der Teufel selber klug werden konnte.
Nach einer kleinen Weile strömte die Judenschar zu ihm ins Zimmer. Mardochai trat auf Taraß zu, klopfte ihm auf die Schulter und sagte: »Wenn mir und der liebe Gott uns annehmen um de Sach, denn werd gewiß nix versäumt, was geschehn kann.«
Taraß musterte prüfend diesen weisesten Salomo, der je auf der Welt gelebt hatte, und schöpfte wieder einige Hoffnung. Mardochais Äußeres vermochte in der Tat Vertrauen einzuflößen. Diese Oberlippe war einfach ein Monstrum – sie konnte ihre Dicke nur Einwirkungen von fremder Hand verdanken. Der Bart des Juden zählte höchstens fünfzehn Haare, und die befanden sich alle auf der linken Seite. Sein Gesicht wies soviel Spuren von Püffen auf, die dem »weisen Salomo« für seine Frechheit versetzt worden waren, daß er sicher selber längst nicht mehr Buch über diese Beulen führte und sich entschlossen hatte, sie schlechtweg als Muttermale zu betrachten.
Mardochai empfahl sich mit seinen Freunden, die voll von Staunen ob seiner Weisheit waren. Bulba blieb allein. Er hatte Gefühle durchzukosten, die ihm bisher völlig fremd geblieben waren: zum erstenmal in seinem Leben befand er sich in fieberhafter Unruhe. Er war nicht mehr der unbeugsame, unerschütterliche, baumstarke Mann von einst, er war kleinmütig und schwach. Jedes Geräusch, jede Judengestalt, die am Ende der Gasse auftauchte, machten ihn zittern. In solchen Ängsten verbrachte er den Tag; er aß nicht, er trank nicht, seine Augen schweiften rastlos durch das niedrige Fenster auf die Straße.
Endlich, spät am Abend, erschienen Jankel und Mardochai. Taraß stand das Herz still.
»Nun? Wie ist es?« fragte er, ungeduldig wie ein wilder Steppengaul.
Aber bevor die Juden sich noch zu einer Antwort gesammelt hatten, sah Bulba, daß Mardochai seiner letzten einsamen Locke beraubt war, die sich heute früh, wenn auch in ziemlich ruppigem Zustand, doch immer noch hübsch kraus unter seinem Käppchen hervorgeschlängelt hatte. Der »weise Salomo« wollte augenscheinlich etwas sagen, aber er stammelte solch einen wirren Blödsinn hervor, daß Taraß nicht eine Silbe verstand. Auch Jankel hielt sich in einem fort die Hand vor den Mund, als hätte er sich heftig erkältet.
»Waih geschrien, mein goldner Herr!« sagte Jankel. »Es geht nix, de Zeiten sind ßu schlecht! Gott soll mich strafen: es geht nix! So ä gemeines Volk! Mer sollt ihnen spucken auf die Köpf! Mardochai muß es selber sagen! Mardochai hat Sachen gemacht – so was war noch nix da! – Dreitausend Soldaten bewachen das Gefängnis, morgen früh werden hingerichtet de ganzen Kosaken.«
Taraß schaute den Juden fest in die Augen. Zorn und Ungeduld waren aus seinem Blick verschwunden.
Jankel fuhr fort: »Und wenn der Herr noch möcht sehn den Herrn Sohn, dann muß es morgen sein ganz in der Früh, bevor daß aufgeht die Sonn! De Wächter lassen es ßu, und einer von de Aufseher hats üns versprochen. Bloß – se sollen haben kein Glück im ewigen Leben: waih geschrien, wie diese Gannefs aufs Geld sind! Schlimmer noch als wie ünsere Leut! Fufzig Dukaten hat ä jeder verlangt, und der Aufseher erst …!«
»Ist schon recht. Führ mich nur hin!« sagte Bulba entschlossen. Die Kraft war in sein Herz zurückgekehrt.
Jankel schlug ihm vor, er solle sich verkleiden und einen fremdländischen Grafen spielen, der grade aus Deutschland gekommen wäre. Das Gewand dafür hatte der schlaue Jude vorsorglich mitgebracht. Bulba erklärte sich einverstanden.
Es war schon Nacht. Der Hausherr, jener rothaarige Jude mit den Sommersprossen, schleppte so etwas wie eine dünne Matratze herbei, legte sie auf die Bank und breitete eine Matte darüber. Dies sollte Bulbas Lager sein. Jankel bettete sich am Boden auf eine Matratze von gleicher Art. Der rote Jude trank ein Schnäpschen und zog seinen Kaftan aus. Als er dann in Strümpfen und Schuhen durchs Zimmer stieg, glich er ganz merkwürdig einem magern Küken. Er kroch zum Schlafen mit seiner Schickse in eine Art Schrank. Vor dem Schrank lagen die beiden Söhne des Paares wie Hündchen auf dem bloßen Estrich. Taraß machte von seinem Lager keinen Gebrauch. Er saß, ohne sich von der Stelle zu rühren, und seine Finger trommelten leise auf der Tischplatte. Er hatte die Pfeife im Mund und rauchte so mächtig, daß der rote Jude im Halbschlaf niesen mußte und seine Nase unter der Decke versteckte.
Kaum zeigte sich das erste Dämmern des Morgens am Himmel, da gab Bulba Jankel einen Stoß mit dem Fuß. »Steh auf, Jude, und gib mir dein Grafengewand!«
Im Nu war Bulba umgezogen. Er schwärzte sich den Schnauzbart und die Brauen und zog sich ein dunkles Mützchen über den rasierten Schädel. So hätte ihn nicht einmal ein Kosak aus der eignen Gemeinde erkannt, keiner hätte ihm mehr gegeben als fünfunddreißig Jahre. Frische Röte lag auf seinen Wangen, und auch die Narben dienten nur dazu, ihm etwas Gebieterisches zu verleihen. Das goldgestickte Gewand kleidete ihn prächtig.
Начислим
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