Intrigante Baumeister, hinterlistige Bräute - Ein Fall für Harald Steiner

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3. Erste Zeugenvernehmungen

Harald meinte, alle seine Knochen spüren zu können, als er aufwachte. Draußen war es schon hell. Ein Blick auf seine Armbanduhr verriet ihm die Zeit; 6.24 Uhr. Er wollte so schnell wie möglich von diesem Lager aufstehen. Während er sich aufrappelte, sah er Monika immer noch so im Bett liegen, wie er sie am Abend zuvor dort liegen gesehen hatte. Er staunte ein wenig über ihre freien Schultern, die er nun besonders gut ausmachen konnte, nahm aber an, sie trage einen BH ohne Schulterbändchen.

Er begab sich zum Kleiderschrank. Heute konnte er sich nachträglich beglückwünschen, doch in seiner Zerstreutheit komplette Anzugsgarnituren eingepackt zu haben, denn heute würde er mal wieder amtlich unterwegs sein. Dann ging er ins Badezimmer, ließ sich ein warmes Bad ein und unterzog sich einer gründlichen Körperpflege. Anschließend putzte er seine Zähne, rasierte sich und warf sich in Schale.

Kaum war er aus dem Badezimmer getreten, traf ihn fast der Schlag. Die Mink stand, ihm mit dem Rücken zugewandt, vor einem geöffneten Kleiderschrankabteil und hantierte mit irgendwelchen Textilien. Das, was ihn derart aus der Fassung brachte, war der Umstand ihres Outfits. Sie war komplett nackt. Er wusste nicht, was er hiervon zu halten hatte. Wollte sie ihn anmachen? Wenn ja, dann war sie bei ihm aber an der falschen Adresse. Obwohl, hübsch anzusehen war sie ja schon so von hinten.

Er räusperte sich. Sie drehte sich um und hielt einige Kleidungsstücke in ihren Händen, die Harald nicht wesentlich größer als Herrentaschentücher vorkamen. Sie machte sich nicht einmal die Mühe, diese irgendwie zu nutzen, sie vor ihrem Schambereich zu halten.

„Ah, guten Morgen, Chef.“ Das kam so unschuldig und zwanglos über ihre Lippen, als wäre sie gerade zünftig angezogen in sein Büro hereinspaziert.

„Morgen“, murmelte er und versuchte seinen Blick demonstrativ von ihr abzuwenden, was ihm nicht ganz gelingen wollte, genau wie es ihm noch nicht eingefallen war, sich von der Türöffnung des Badezimmers wegzubewegen.

Sie kam mit ihren dürftigen Textilien über dem Unterarm gehangen lächelnd auf ihn zu, und er befürchtete schon, sie wolle ihn nun wirklich anmachen. Für einen Augenblick sah er in ihr die Tigerin, die ihn zerfleischen wollte.

Als sie vor ihm stand, fragte sie, weitaus weniger angriffslustig als eine hungrige Raubkatze: „Darf ich das Badezimmer benutzen, oder soll ich noch warten?“

Er kam wieder etwas von seiner Irritation herunter. „Äh ... äh, ja, selbstverständlich.“ Er trat zwei Schritte zur Seite, und sie ging an ihm vorbei.

Während sie im Begriff war, die Tür zu schließen, rief sie noch: „Kaffee und Frühstück stehen schon draußen auf dem Tisch.“

Er ging nach draußen und ließ sich immer noch unter dem Eindruck des gerade Erlebten auf seinen Stuhl nieder. Dabei kam ihm ein beängstigender Verdacht. Hatte sie etwa die ganze Nacht unbekleidet im Bett, in seinem Bett gelegen? Hatte sie unbekleidet das Frühstück zubereitet und es dann ebenso nackig auf die Veranda hinausgetragen? Was sollte die Show? Aber immerhin, das Frühstück war erstklassig zubereitet.

Was ihn dann noch mehr wunderte, war ihr rasches Erscheinen nach ihrem Gang ins Badezimmer. Was ihn erneut schockierte, war das, was sie anhatte: Einen weißen Stringbody. Und jetzt setzte sie sich auch noch ungeniert ihm gegenüber, schenkte sich eine Tasse Kaffee ein und begann eine Scheibe getoastetes Brot mit Butter zu schmieren und Käse zu belegen, als sei es die normalste Sache der Welt, so etwas quasi nackt im Freien zu tun. Dabei schaute sie ihn immer wieder mal lächelnd an. Es verschlug ihm einfach die Sprache, mit welcher Selbstverständlichkeit sie das alles tat.

Irgendwann meinte Monika, ein Gespräch anleiern zu müssen. „Wie sehen unsere Planungen heute konkret aus?“

Endlich fand er doch zu Worten. „Während Sie sich gleich nach dem Frühstück anziehen, werde ich mit Frisch in Köln telefonieren und ihn auf die Leute ansetzen, deren Namen auf Wagners Liste stehen. Ist das erledigt, fahren wir zuerst nach Eupen zu der Architektin. Auf der Hinfahrt müssen wir noch in Weiswampach eine Befragung an einer Tankstelle durchführen. Auf der Rückfahrt hören wir uns im Hotel Schiltz in St. Vith um, ob uns dort jemand etwas zu Wagner sagen kann. Alles andere wird sich daraus ergeben.“

„Fahren wir etwa schon sofort los? Ich meine, weil Sie sagten, ich soll mich anziehen.“

Jetzt war Harald wieder total verblüfft. „Haben Sie etwa vor, in diesem Aufzug hier herumzuhüpfen bis wir losfahren?“

„Warum nicht? Ich bin ja schnell fertig. Ein Slip, ein Rock, ein Top, dafür brauche ich vielleicht nur zwei Minuten.“

„Ich will ja nicht behaupten, Frau Mink, dass mir ihr Body nicht gefällt, aber ich finde ihn doch recht freizügig“, versuchte er ihr seine Sichtweise nahezubringen.

„Oh, so laufe ich aber bei warmem Wetter immer zuhause herum. Da ist doch nichts dabei.“

„Finden Sie? Und wenn mal jemand an die Tür kommt? Der Briefträger oder so.“

Sie lachte. „Der wäre gewiss weniger überrascht als Sie. Man könnte meinen, Sie haben noch nie eine Frau in Natura gesehen.“

„Doch, das habe ich garantiert. Ich war schließlich auch mal verheiratet. Allerdings kann ich mich nicht entsinnen, jemals eine Frau gesehen zu haben, die mir im Stringbody oder gar ganz nackt die Haustür geöffnet hätte. Das geziemt sich doch nicht.“

„Na hören Sie mal, Chef, wir werden nackt geboren, und es ist nicht verboten, in seinen eigenen vier Wänden ohne Klamotten umherzulaufen. Außerdem verhüllt so ein Body doch alles, was verhüllt werden soll“, erwiderte sie grinsend. „Aber wenn es Sie stört ...“

„Frau Mink, würde ich Ihre Ansichten mit Ihnen teilen, müsste ich es schlichtweg zulassen, dass Sie morgens im Flittchenkostüm im Präsidium erscheinen. Sie wissen, dass ich das nicht zulasse, und ich frage Sie, wieso ich es hier zulassen sollte.“ Seine Stimme blieb bei diesen Sätzen auffallend ruhig.

„Wir sind hier aber nicht im Präsidium, sondern bis wir uns auf den Weg machen oder jemand uns hier besuchen kommt, sind wir ganz privat. Aber wenn Sie einen solchen Wert darauf legen, kann ich mich ja jetzt gleich nach dem Frühstück schon fertigmachen.“

Er überlegte einige Minuten, während er seinen Kaffee trank. Im Grunde machte sie nicht den Anschein, als wollte sie ihm mit dieser Aufführung den Kopf verdrehen, und optisch war sie ja wirklich ganz reizvoll. Es klang auch durchaus glaubwürdig, dass sie bei sich zuhause unbekleidet oder sehr knapp bekleidet umherlief. Das Problem lag wohl eher bei ihm selber. Sie löste gewisse Gefühle bei ihm aus, die er schon lange zu verdrängen verstanden und inzwischen für abgestorben geglaubt hatte. Er rang sich zu einer Stellungnahme durch.

„Meinetwegen laufen Sie hier im Haus so herum, wie Sie es für richtig halten. Nur wünsche ich, dass Sie das für sich behalten. Ich will nicht später von anderen hören, ich sei Ihnen an die Wäsche gegangen, die Sie sowieso nicht anhaben.“

Sie belohnte ihn für dieses Zugeständnis mit ihrem schönsten Lächeln. Natürlich hatte sie gewusst, wie sehr sie ihn mit ihrer körperlichen Blöße herausgefordert hatte. Es ging ihr keineswegs darum, ihn zu verführen. Sie wollte ihn lediglich entkrampfter, entspannter erleben, als sie ihn bislang mitgemacht hatte. Vielleicht wollte sie - aber das war ihr doch nicht so bewusst - ihre Grenzen bei ihm abtasten und neu definieren.

„Das will ich Ihnen gerne versprechen, Chef. Es ist aber so, wie ich gerade sagte. Bei mir zuhause ziehe ich wirklich selten mehr an. Und übrigens gehe ich immer ohne Nachthemd oder sonst was ins Bett. Ich ertrage es einfach nicht, wenn es überall zwickt und zwackt.“

Dazu fiel Harald etwas ein. „Sie haben doch ein kleines Kind, nicht wahr?“

Sie nickte. „Ja, Benni ist jetzt 3 Jahre alt.“

„Meinen Sie nicht, dass es eine ziemlich schlechte Sache für den Jungen ist, wenn er sie so sieht?“

„Wieso das denn? Ich trage immer Stringtangas, auch wenn wir an den Strand fahren. Da ist doch nun wirklich nichts dabei“, sagte sie. „Und wie eine Frau aussieht, das weiß doch heutzutage jedes Kind.“

„Mag sein, aber Kinder sind Plappermäuler. Irgendwann kommt Ihr Sohn in die Kita, später auf die Schule, und spätestens dann wissen viel mehr Leute über Ihre Hausmode Bescheid. Da gibt es bei uns ja immer noch gewisse Sittengesetze. Und ...“

„Darüber mache ich mir nun wirklich keine Sorgen. Ich vergewaltige ja nicht mein eigenes Kind. Andere Eltern nehmen ihre Kinder sogar mit an den FKK-Strand.“

Wie entwaffnend, musste sich Harald eingestehen, und entschied, das Thema für abgehakt zu betrachten.

Gegen 8 Uhr rief Steiner im K zwo an und hatte sofort Ralf Frisch an der Strippe, dem er während einer halben Stunde erklärte, wie der Stand im Mordfall Wagner war und was er nun von ihm verlangte.

Beim Erwähnen des Namen Jasper merkte Frisch an: „Ich glaube nicht, dass ich den ohne Hinzuziehung des Drogendezernats befragen darf.“

„Ist okay. Wenn die mitnudeln wollen, sollen sie eben mitnudeln“, entschied Steiner.

Kaum war das Gespräch beendet, surrte Haralds Handy. André Rollinger war am Apparat.

„Jetzt habe ich einen echten Hammer für Sie, Kollege Steiner. Die Kugel aus Wagners Kopf und die beiden Kugeln aus dem Kopf der Brandleiche stammen aus ein und derselben Waffe, also der 9 mm, die wir bei Wagner fanden. Was sagen Sie dazu?“

„Dass wir nun zwei Morde mit einer Mordwaffe haben“, entgegnete Steiner trocken. „Wenn es allerdings die Absicht des Täters war, Wagners Tod als Selbstmord erscheinen zu lassen, dann sollte der Tod dieser Frau wohl implizieren, dass Wagner ihr Mörder war. Das können wir aber ausschließen, da Wagner seinen Jaguar im Zeitraum vom Freitagabend bis zu seiner eigenen Ermordung nicht von der Stelle bewegt hat.“

 

„Da gibt es aber noch etwas, was Sie wissen sollten“, sagte der Commissaire. „Die Tatwaffe ist 1977 in Augsburg an einen Mann namens Alfons Wagner verkauft worden, und sie ist auch ordnungsgemäß auf ihn registriert gewesen.“

„Na super“, rief Harald wenig begeistert aus. „Dann spielt die Musik vielleicht nicht hier, sondern in Augsburg. Ich habe trotzdem vor, mein Programm heute so abzuarbeiten, wie wir es gestern besprochen haben.“

Harald betrat den Bungalow, um Monika mitzuteilen, dass es Zeit sei, loszufahren. Monika hatte sich inzwischen umgezogen. Sie sah echt sexy aus, fand er. Ein pinkfarbener Minirock, der nicht wesentlich weiter als gerade bis unter ihr Gesäß reichte und das rote Top vom Vortag. Dazu hatte sie sich ziemlich lange und auffallende Ohrringe angelegt und sehr hochhackige rote Pumps im selben Rot ihres Tops angezogen. Im selben Rot waren auch ihre Lippen angemalt. Da das Top den gepiercten Nabel freigab, musste Harald wohl davon ausgehen, dass sie den Body gegen einen sehr kleinen Slip ausgetauscht hatte. Blieb nur noch die Frage, ob man ihm jetzt noch in ihrem Beisein abkaufen würde, ein Kriminalbeamter zu sein, selbst wenn er seinen Dienstausweis vorzeigte.

Die erste Anlaufstelle, die Steiner anging, war eine Total-Tankstelle in Weiswampach im Norden des Landes. Gemäß einer von drei Tankquittungen hatte Wagner hier am Mittwochmorgen für 68 Euro Benzin getankt und am Donnerstagnachmittag nochmals für 61,43 Euro.

Steiner nahm die Gelegenheit wahr, ebenfalls seinen Mercedes aufzutanken. Er ging zum Bezahlen in den Shop, wo eine ältere Dame an der Kasse saß, die ihm auf Französisch einen guten Tag wünschte, was Harald dazu veranlasste, auch auf Französisch zu antworten. Nach dem Bezahlen fragte Harald die Frau, ob sie am Mittwochmorgen der vorigen Woche ebenfalls Dienst gehabt hatte. Monika war über die flüssige Aussprache ihres Chefs in dieser Fremdsprache sehr überrascht, zumal sie einmal im Kommissariat erlebt hatte, wie er einen tunesischen Vernehmungskandidaten sprichwörtlich zusammengeschissen hatte, weil der eine seiner Fragen statt auf Deutsch auf Französisch beantwortet hatte und ihn deswegen dann einen halben Tag festgehalten hatte, bis ein vereidigter Dolmetscher erschienen war.

Die Frau verneinte, zur angegebenen Tageszeit, Dienst gehabt zu haben. An dem Morgen habe ihre Kollegin Melanie die Tankstelle beaufsichtigt.

Harald fragte, wann diese Melanie denn wieder anwesend sein würde.

Die Frau sagte, die Melanie sei heute für den Spätdienst von 14 bis 22 Uhr eingeteilt.

Steiner wollte nun wissen, ob sie denn letzte Woche am Donnerstagnachmittag hier gewesen sei.

Ja, antwortete die Frau, da habe sie Dienst gehabt.

Steiner zeigte ihr ein Bild von Alfons Wagner. Es war ein vergrößertes Passfoto Wagners, das ihm Rollinger am Vorabend dagelassen hatte. Er erklärte der Madame, dieser Mann müsste sowohl am Mittwochmorgen wie auch am Donnerstagnachmittag hier getankt haben. So ginge es jedenfalls aus zwei Quittungen hervor. Um ihr ein wenig auf die Sprünge zu helfen, fügte er noch hinzu, dass dieser Herr einen bordeauxroten Jaguar mit deutschem Kennzeichen gefahren haben müsste.

Das ohnehin vorhandene Dauerlächeln der Kassiererin wurde noch breiter. Aber sicher konnte sie sich noch an den netten Herrn erinnern. Er hatte für eine ziemlich krumme Zahl getankt, und sie hatte festgestellt, nicht mehr genug Kleingeld in der Kasse zu haben, ihm das Wechselgeld rauszugeben. Da habe der nette Mann ihr fünf Euro in Münzgeld gegeben, sodass er mehr als drei Euro zuviel bezahlt hatte. Dieses Mehr an Geld ließ er ihr als Trinkgeld.

Der Hauptkommissar zeigte auf eine Videokamera im Raum und erkundigte sich, ob es sich dabei um eine Attrappe handele.

Nein, die sei schon echt. Die Aufnahmen würden jeden Abend von einem Angestellten des Tankstellenbetreibers zusammen mit den Tageseinnahmen abgeholt. Sie wusste aber nicht, was die in der Zentrale mit den Bändern anstellten.

Schließlich interessierte es Harald, ob der nette Kunde mit dem Jaguar noch jemanden dabei gehabt hatte. Das wusste die Frau aber nicht mehr, oder genauer gesagt, sie hatte gar nicht darauf geachtet, ob noch jemand im Wagen gesessen hatte.

Um halb elf erreichten Steiner und Mink Eupen und fanden auch umgehend die Adresse des Architekturbüros der Sandra Altiari, das in einem altehrwürdigen Herrenhaus aus der sogenannten Gründerzeit residierte. Steiner drückte den Klingelknopf. Nur wenige Sekunden später wurde die Haustür von einem jungen Mann geöffnet, dem er sich und Monika vorstellte und sein Begehr kundtat, Frau Altiari sprechen zu wollen. Der Mann bat Monika und Harald, einzutreten und einen Augenblick im Flur zu warten, während er in ein Zimmer ging, dessen Tür angelweit offenstand.

Monika und Harald konnten vom Korridor aus sehen, dass in dem recht großen Raum mindestens vier Personen an Zeichentischen und an Computern arbeiteten. Der Mann, der ihnen aufgemacht hatte, telefonierte indessen offenbar mit seiner Chefin.

Dann kam er wieder zu den Besuchern in den Flur und bat sie, ihm zu folgen. Steiner ließ seiner Assistentin den Vortritt, als der Angestellte die Treppe zu den Obergeschossen anvisierte, und blieb dicht hinter ihr. Er konnte sich ausmalen, welch interessantes Bild sich einer zufällig unten auf den Flur tretenden Person angesichts Minks Miniröckchen und einem Slip, der nicht einmal ihre Pobacken zu verhüllen vermochte, bieten würde. Daher war es besser, er verdeckte selber diese freie Sicht.

Der Angestellte geleitete die beiden auf dem ersten Stock in ein geräumiges Arbeitszimmer und verschwand sogleich wieder. Hinter einem massiven, modernen Schreibtisch saß eine junge Frau von Schätzungsweise Mitte zwanzig. Nach Haralds Geschmack viel zu jung, ein solch großes Planungsbüro leiten zu können oder gar zu dürfen. So jung, Frau und Chefin von mehreren, zudem offenbar überwiegend männlichen Angestellten zu sein, das passte nicht in sein verkrustetes Weltbild.

Lächelnd erhob sich Sandra Altiari aus ihrem ledernen Drehsessel, umrundete ihren wuchtigen Schreibtisch und reichte zunächst Steiner, dann der Mink die Hand und stellte sich nun namentlich vor. Steiner seinerseits stellte sich und Monika ebenfalls vor und zeigte ihr seinen Dienstausweis.

Monika taxierte die junge Architektin. Gute Figur, geschäftsmäßig in einem grauen Midirock, einer weißen Bluse mit grauer Halsschleife gekleidet. Ihre langen blonden Haare waren nach oben aufgesteckt, ihr Make-up und ihre Ohrringe waren dezent, ihre langen, gelackten Fingernägel perfekt manikürt.

Steiner indes ließ eher die Räumlichkeit auf sich einwirken. Geschmackvoll und teuer eingerichtet, aber viel zu steril, um als Arbeitsplatz durchzugehen.

Die Altiari bot den beiden Besuchern Platz in den Sesseln vor ihrem Schreibtisch an und setzte sich selber wieder in ihren Drehsessel.

„Sie sind also von der deutschen Polizei“, stellte sie überflüssigerweise fest. „Ich darf annehmen, dass es um den bedauernswerten Herrn Alfons Wagner geht. Die hiesige Gerichtspolizei hat mich bereits gestern aufgesucht und mich zu Herrn Wagner befragt. Was kann ich also noch zusätzlich für Sie tun?“

Steiner schlug seine Beine übereinander und lehnte sich gewichtig in dem bequemen Sessel zurück. „Wenn ich mich nicht irre, haben unsere hiesigen Kollegen Ihnen nur ganz wenige Fragen gestellt. Haben sie Sie denn wenigstens über die Todesursache aufgeklärt?“

Wie auf Befehl verschwand das Lächeln aus Sandras Gesicht und machte einer betrübt wirkenden Miene platz.

„Nein, die Beamten beschränkten ihre Informationen darauf, mir mitzuteilen, dass Herr Wagner verstorben sei. Das hat mich schon sehr berührt, muss ich sagen. Schließlich war er einer meiner Kunden. Und Sie haben Recht, besonders viel wollten die Herren nicht von mir wissen. Ob und woher ich Herrn Wagner kenne. Das habe ich denen auch gesagt. Aber woran ist denn der Herr Wagner verstorben?“

„Er ist erschossen worden“, gab Harald kühl preis.

„Erschossen? Sie meinen, er ist ermordet worden?“ Der Ausdruck im Gesicht der Altiari wirkte aufrichtig entsetzt.

„Ja“, entgegnete Steiner knapp. „Und nun sind wir es, die gerne wissen wollen, was Sie mit Herrn Wagner zu tun hatten.“

„Nun ja, das habe ich ja auch schon den Leuten von der hiesigen Gerichtspolizei gesagt.“

„Das, was wir von denen hierzu vernommen haben, erscheint uns etwas zu lau“, sagte der Hauptkommissar mit strenger Betonung der Worte „etwas zu lau“.

„Also Herr Wagner ist im September vergangenen Jahres an mich herangetreten und bat mich, eine Vorstudie für ein Einfamilienhaus hier in der Eupener Gegend zu erstellen.“

Harald starrte sie einschüchternd an. „Das soll alles gewesen sein? War da nicht ein wenig mehr, Frau Altiari? Noch führen wir nur eine sondierende Befragung durch, aber wenn ich den Eindruck habe, dass Sie mir etwas sehr Wichtiges verschweigen, sehe ich mich genötigt, zur Staatsanwaltschaft zu stiefeln und einen Haussuchungsbeschluss zu erwirken.“

Monika staunte, wie rasch, wie direkt und wie schonungslos Steiner den Stier bei den Hörnen packte. Vor allem fand sie die Drohung mit der Haussuchung ziemlich dreist. Es war immerhin ziemlich unwahrscheinlich, dass er als deutscher Beamter hier in Belgien ohne einen bewilligten Antrag auf Amtshilfe überhaupt so etwas durchsetzen konnte. Sie konnte auch sehen, wie effektiv das auf die Altiari wirkte. Die wurde nämlich im Bruchteil einer Sekunde leichenblass. Sie schien nach Worten zu ringen, und Steiner gönnte ihr die nötige Frist dazu. Monika entnahm ihrer kleinen Handtasche einen Notizblock und einen Kugelschreiber.

„Also gut, Herr Kommissar“, sprach sie schließlich mit wenig fester Stimme, „ich habe den belgischen Polizisten und Ihnen nicht die volle Wahrheit gesagt. Es ist mir etwas peinlich, überhaupt darüber zu reden, was Sie vielleicht verstehen werden, wenn ich es Ihnen erkläre.“

„Es kommt auf einen Versuch an“, sprach Harald in nun weitaus freundlicherem Ton.

„Das, was ich gerade über das Vorprojekt für ein Wohnhaus sagte, entspricht der Wahrheit. Im September vorigen Jahres kamen Herr Wagner und eine Frau Kranz zu mir ...“

„Moment, Moment“, rief der KHK und griff in die Innentasche seines Jacketts, aus der er seine Brieftasche und einige zusammengefaltete DIN A4 Blätter zog. Letztere faltete er auf und sah sie durch, bis er das Blatt gefunden hatte, welches er suchte.

„Hieß die Frau Kranz zufällig Manuela Kranz?“

„Ja, genau“, antwortete die Architektin.

„Was können Sie uns über diese Frau sagen. In welcher Eigenschaft begleitete sie Herrn Wagner? Beschreiben Sie sie mir bitte.“

„Ich schätze Frau Kranz auf ungefähr Mitte vierzig. Sie ist eine sehr attraktive Erscheinung. Herr Wagner stellte sie mir zunächst als seine Anlageberaterin vor, was mir schon gleich etwas seltsam vorkam. Niemand braucht eine Anlageberaterin, um sich einen Bauplan für ein Einfamilienwohnhaus anfertigen zu lassen. Ich hatte eher den Eindruck, dass beide in einem anderen Verhältnis zueinander standen, was mir die Frau Kranz dann auch einige Monate später bestätigte. Allerdings war sie trotzdem seine Anlageberaterin.“

„Sehr interessant“, äußerte sich Steiner. „Kennen Sie denn auch die Wohn- oder Geschäftsadresse der Frau Kranz?“

„Tut mir leid. Die hat sie mir nie genannt. Ich habe nur ihre Handynummer. Sämtliche schriftlichen Kontakte liefen über Herrn Wagners Adresse in Augsburg.“

„Schön, dann erzählen Sie doch bitte weiter“, forderte Harald.

„Die beiden nannten mir ein Baugrundstück in Eynatten. Das ist ein Ort hier ganz nahe an der Grenze zu Aachen. Das hatte ich mir auch tags nach ihrem ersten Besuch angesehen. Darauf stand noch immer ein Schild eines hiesigen Maklers, was mir schon etwas sonderbar vorkam. Allerdings hatten mir Herr Wagner und Frau Kranz gelegentlich unserer ersten Unterredung bereits einen Vorschuss von 2.500 Euro in bar bezahlt. Folglich kümmerte ich mich nicht weiter um diese kleine Ungereimtheit.“

„Also erstellten Sie die gewünschte Vorstudie“, nahm Steiner an.

„Ja. Die war dann auch schon innerhalb von drei Wochen fertig, was ich dann auch Frau Kranz sogleich telefonisch mitteilte. Tatsächlich kamen Frau Kranz und Herr Wagner zwei Tage später zu mir und ließen sich die Studie zeigen. Sie waren sehr zufrieden mit dem Resultat, baten mich, einige kleine Änderung vorzunehmen, was auf unserem CAD-System nur eine Sache von Minuten war, und bezahlten mir anstandslos die restlichen vereinbarten 2.500 Euro. Ich nahm natürlich an, dass sie nun mit mir über die eigentlichen Bauplanungen reden wollten. Das war aber nicht der Fall.“

 

„Ehe Sie in Ihrem Bericht fortfahren, würde ich doch erst einmal gerne einen Blick auf diese Vorstudie werfen“, sagte Harald.

Die Altiari nahm den Telefonhörer in die Hand, drückte zwei Tasten und erteilte jemandem den Auftrag, ihr die gewünschten Unterlagen hochzubringen. In Abwartung des angeforderten Dossiers spornte Harald sie an, schon einmal ihren Rapport fortzusetzen.

„Tja, die beiden gaben mir nun zu verstehen, dass dieser Auftrag eigentlich nur ein Test gewesen war. In Wirklichkeit ginge es ihnen um eine größere Sache, und zwar um den Bau von zwei Gebäuden mit Appartementwohnungen in unmittelbarer Nähe der Stadt Luxemburg.“

„Wie sind die denn überhaupt auf Sie gekommen?“ fragte Monika.

„Frau Kranz sagte mir, sie habe schon mehrfach in Luxemburg Baustellen gesehen, auf deren Bauschildern mein Name als Projektautorin angegeben war. Vor allem hatten ihr mein Baustil und die Geschwindigkeit, mit der die Objekte hochgezogen wurden, imponiert. Und nun ...“

Sie wurde in ihren Ausführungen unterbrochen, weil es an der Tür klopfte. Es trat derselbe Angestellte ein, der Monika und Harald die Haustür geöffnet hatte, der nun seiner Chefin eine relativ schmale Faltmappe überreichte. Während der Angestellte sich wieder nach unten begab, übergab Sandra dem Deutschen die Mappe, der sich sofort die Pläne und Beilagen durchsah.

Monika nutzte diese Gelegenheit, eine Frage an die Architektin zu stellen. „Wie mir scheint, floriert ihr Planungsbüro ja ganz schön.“

Die Altiari entspannte sich wieder sichtlich, und ein Anflug von Stolz ergriff Besitz von ihr. „In der Tat kann ich nicht über meine Auftragslage klagen. Ich habe mich erst vor drei Jahren selbständig gemacht, und dank meines sehr unkonventionellen Stils gelang es mir, sehr viele Kunden zu gewinnen.“

„Wie alt sind Sie denn, wenn ich fragen darf.“

„Siebenundzwanzig. Und stellen Sie sich vor, als ich anfing, arbeitete ich noch von zuhause aus. Ich wohnte damals noch im Haus meiner Mutter. Mein Vater ist schon einige Jahre tot. Irgendwann ging es dann aber ratzfatz bergauf. Schon nach einem Jahr musste ich mich nach größeren Räumlichkeiten umsehen und kaufte dieses Haus mit einer Bankhypothek und einem Existenzgründerzuschuss von der Wallonischen Region. Innerhalb der letzten beiden Jahre musste ich wegen der vielen Arbeit Mitarbeiter einstellen. Inzwischen beschäftige ich drei Leute in Vollzeit und drei in Teilzeit.“

Harald legte die Mappe auf den Schreibtisch und bereitete der Plauderei der Frauen ein Ende. „Wie mir scheint, sind Ihre Honorare nicht gerade am unteren Ende der Tarifskala angesiedelt. 5000 Euro für zwei DIN A1 Zeichnungen im Maßstab 1 zu 100 auf dem CAD, eine sechsseitige Baubeschreibung und eine dreiseitige Kostenberechnung. Außerdem hätten Sie laut letzterer dann auch noch einmal 12.300 Euro an Honoraren eingefordert, wenn es zur Vergabe der eigentlichen Bauplanungsarbeiten an Sie gekommen wäre.“

„Oh, das sehen Sie dann aber mit zu kritischen Augen“, verteidigte sich die Altiari. „Auch wenn diese Unterlagen nur sehr wenig Papier umfassen und die schriftlichen Informationen in gekürzter Form wiedergegeben sind, heißt das nicht, es hätte nicht viel Arbeit dahinter gesteckt ...“

Steiner gebot ihr Einhalt. „Wie Sie Ihre Arbeit verkaufen, geht uns eigentlich nichts an. Machen Sie bitte dort weiter, wo Sie zuletzt stehengeblieben waren. Mit dem Bau der beiden Residenzen.“

„Wie Sie meinen. Diesmal sollte ich also auch eine Vorstudie ausarbeiten. Wagner überreichte mir Skizzen, wie er sich diese Anlagen in etwa vorstellte. Ich sollte meine Arbeiten in der Art der Vorstudie, wie ich sie für das fiktive Wohnhaus erstellt hatte, bis zum Ende des Jahres oder früher fertig haben. Anfang Dezember schickte ich Herrn Wagner dann die gewünschten Unterlagen. Kurz vor Weihnachten hatten wir hier in diesem Haus wieder eine Arbeitsbesprechung. Herr Wagner bat um einige kleinere Änderungen ...“

„Sie hatten also auch für diese Studie eine Besichtigung der Grundstücke vor Beginn Ihrer Arbeiten vorgenommen?“ unterbrach die Mink sie.

„Anders geht das wohl kaum. Schließlich muss ich mich ja mit den Eigenheiten des Geländes vertraut und mir ein Bild von den Zufahrtswegen und dergleichen machen. Das sind elementare Bestandteile für die Kostenschätzung.“

„Was kam denn dabei heraus?“ wollte Harald wissen. „Ich meine jetzt vom preislichen Standpunkt her gesehen.“

„Wenn Sie auf die Einsichtnahme in die Detailplanungen für den Augenblick verzichten wollen, kann ich ihnen eine Kurzversion dessen geben. Denn nachdem ich im Januar dann die definitive Vorstudie fertig hatte, in der ich Herrn Wagners Korrekturwünsche verarbeitet hatte, sollte ich einen Prospekt für potenzielle Investoren produzieren.“

Sandra zog eine der Schubladen ihres Schreibtischs auf und legte den beiden Kripobeamten einen solchen Hochglanzprospekt vor.

Harald blätterte ihn durch und war sehr von der Präsentation beeindruckt. Zwei Seiten fanden sein besonders Interesse, nämlich diejenigen, die die Kosten-/Renditenberechnung umfassten. Die versetzten ihn wahrlich ins Staunen.

„Verstehe ich das hier richtig? Diese Apartments sollen für Preise zwischen 290.000 und 420.000 Euro an den Mann gebracht werden und der Gesamtverkauf soll 32,6 Millionen Euro erbringen? Wer bezahlt denn solche Preise für so kleine Klitschen?“

Die Architektin zeigte eine Spur von Beleidigtsein. „Immerhin handelt es sich um sehr hochwertige Einheiten mit Balkonen oder im Parterre mit Wintergärten, mit genügend Stellplätzen im Außenbereich und je einem Garagenplatz pro Einheit. Zudem gibt es für jede der Residenzblöcke einen Hausmeister, und die Außenanlagen werden ebenfalls im Auftrag des Promotors unterhalten, gepflegt und gewartet. Die Kosten hierfür werden allerdings auf die Wohngemeinschaften umgelegt. Für luxemburgische Verhältnisse ist das Gesamtpaket preiswert.“

„Ja, ja“, würgte Steiner ihre Aufzählungen von echten oder vermeintlichen Vorzügen ab. „Das mag ja alles richtig sein. Aber dann setze ich dem die Errichtungskosten gegenüber. Deren Gesamtvolumen soll sich gerade mal auf 17 Millionen Euro belaufen. Das entspräche ja einem Gewinn von mehr als 15 Millionen vor Steuern. So etwas gibt es doch im Baugewerbe gar nicht.“

„Sie wollen doch nicht die Objektivität meiner Kalkulationen in Zweifel ziehen?“ konterte die Altiari nun wirklich beleidigt. „Bei meinen Berechnungen für Bauten ist noch nie ein Objekt teurer ausgefallen, als ich es veranschlagt habe. Meistens liege ich dabei sogar noch um runde zehn Prozent zu hoch, weil ich die Ausgabenseite absichtlich immer höher ansetze, als sie sein dürfte. Das ist mein Markenzeichen und der Grundstein meines Erfolgs.“

„Auch gut. Sogar das will ich Ihnen unbesehen glauben“, lenkte Steiner abwiegelnd ein, weil er Kritik von Frauen schon gar nicht gut ertragen konnte, wenn sie zudem begründet schien. „Wäre da also noch die Frage, wie die ganze Chose finanziert werden sollte.“

„Das haben Frau Kranz, Herr Wagner und ich ebenfalls erörtert, und in diesem Punkt tat sich Frau Kranz durchaus als eine versierte Anlageberaterin hervor. Sie hatte dazu nämlich bereits ein Konzept entwickelt. 3,4 Millionen, also etwa 20 % wollten sie und Herr Wagner zur Verfügung stellen. Der Rest, also 13,5 Millionen Euro, sollte durch Investoren beigetragen werden. Deshalb sollte ich ja auch den Prospekt erstellen und drucken lassen.“

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