Intrigante Baumeister, hinterlistige Bräute - Ein Fall für Harald Steiner

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Von der Einrichtung her wirkte alles äußerst gediegen, vom Stil her eher wenig aufeinander abgestimmt. Harald hatte angesichts der ziemlich zentral betonten Platzierung des Doppelbetts den Eindruck, dem Bauherr und dem Architekt mussten bei der Konzeption dieser Hütte ein ganz bestimmtes Bild der künftigen Feriengäste vorgeschwebt haben. Denen schien unterstellt zu werden, sich entweder tagsüber nur außerhalb der Wohnung aufhalten zu wollen, oder nur hierherkommen zu wollen, um sich sexuell zu vergnügen, oder eben beides.

Für ihn war das aber unwesentlich. Ihm ging es nur um die Abgeschiedenheit und ein Minimum an zivilisiertem Komfort.

Er begab sich hinaus zu seinem Wagen und schleppte anschließend bei vier solcher Gänge sein Gepäck ins Haus. Zunächst verstaute er seine Kleider, und während er das tat, überraschte es ihn selber, auch drei komplette Anzugsgarnituren mitgenommen zu haben. Die brauchte er hier doch eigentlich nicht. Es war eben die Macht der Gewohnheit beim Einpacken gewesen, nahm er an. Für wichtiger erachtete er, dass die Flaschen des Kastens Bier, den er mitgebracht hatte, schnell im Kühlschrank verstaut waren, und das galt auch für die Essenswaren.

Als das geschehen war, nahm er sich aus seiner Kühlbox zwei weitere Bierflaschen und begab sich auf die Veranda, wo er es sich in einem der zwei Liegestühle gemütlich machte und alsbald in Anbetracht der warmen spätnachmittäglichen Julisonne eindöste.

Sehr lange konnte er noch nicht so vor sich hin geschlummert haben, als ihn ein unangenehmes, aber kurzes Geräusch aus dem Beinahschlaf herausriss. Erbost über diese Störung, blickte er in die Richtung der Lärmquelle und schnallte schnell die Ursache. Vor dem Ferienhaus neben dem seinen war eine Jaguarlimousine zum Stehen gekommen, und ihr Fahrer hatte vermutlich etwas arg scharf auf dem Kiesbelag gebremst.

Aus dem Jaguar stieg ein Mann von etwa Mitte fünfzig aus, der einen hellgrauen Anzug trug. Dieser Mann warf einen prüfenden Blick auf Steiners Mercedes. Harald begriff schnell, warum. Das Auto dieses Kerls trug ein Augsburger Kennzeichen, und vermutlich hatte er an diesem Ort nicht mit einem anderen deutschen Feriengast gerechnet. Das Großherzogtum war für gewöhnlich das Ferienrevier von „Flachlandtirolern“ (Niederländern).

Der Mann schaute zu Harald rüber. Als sich ihre Blicke kreuzten, winkte er Harald zu.

„Schönen guten Tag. Warm heute, was?“

Steiner winkte zurück und antwortete: „Ja, kann man wohl sagen.“ Er dachte aber, hoffentlich belässt der Kerl es bei dieser Floskel. Das tat der aber nicht.

„Sie suchen sicher auch die Ruhe, nehme ich an.“

„Genau das“, erwiderte Steiner knapp. Und hoffentlich lässt du mich jetzt auch in Ruhe,

„Wir sehen uns bestimmt später noch“, kündigte der Fremde an, was bei Steiner wie eine gefährliche Drohung ankam.

Der Mann verschwand in sein Feriendomizil, und Harald überlegte kurz, wieso er einen Anzug trug, wenn er hier nur der Ruhe wegen hergekommen war. Aber was sollte das ihn bekümmern?

Kurz vor Sonnenuntergang ging Harald ins Innere und machte sich einige der mitgebrachten Bratwürste warm, die er teils mit Senf und teils mit einer anderen scharfen Soße bestrich, um sie dann auf der Terrasse zu verspeisen.

Als er wieder mit seinem Teller und einer Flasche Bier auf die Veranda trat, sah er, dass sein Nachbar es sich ebenfalls auf der Veranda des benachbarten Chalets gemütlich gemacht hatte. Gemütlich? Nein, ganz so sah das eigentlich doch nicht aus, glaubte Steiner. Zwar war der Mann nun in Freizeitkleidung gehüllt, aber saß in seinem Liegestuhl aufrecht und war konzentriert in einem Aktenordner vertieft. Doch auch darum wollte Harald sich nicht scheren. Er mampfte seine Bratwürste, trank sein Bier und schlug anschließend die aus Köln mitgebrachte Tageszeitung auf.

„Darf ich Sie kurz stören?“

Harald hatte vielleicht eine halbe Stunde konzentriert gelesen, als ihn diese Worte aus der Welt der Presse wieder in die Gegenwart rissen. Gleich vor ihm neben der Veranda stand der Kerl von nebenan.

Er antwortete höflich, wenn auch nicht besonders begeistert: „Aber sicher doch.“

„Darf ich mich vorstellen? Mein Name ist Alfons Wagner. Ich dachte mir, es wäre vielleicht kein schlechter Gedanke, statt allein ein Bier zu trinken, es zu zweit zu tun.“

Der KHK sah ihn ausdruckslos an. Er hatte gar nicht vor, mit jemandem einen Zechabend durchzuziehen, aber die gute Erziehung gebot ihm eine andere Fasson. „Wenn Ihnen danach ist, will ich mich dem nicht verschließen. Darf ich Sie einladen?“

Der Mann bestieg die zwei Stufen bis zur Terrasse, und Harald sah jetzt erst, dass an den Fingern seiner linken Hand ein Sechserpack Bierflaschen baumelte.

Als er vor Steiner stand, streckte er ihm die rechte Hand entgegen, und Harald schüttelte sie, stellte sich ebenfalls namentlich vor und sah sich genötigt, Wagner Platz auf dem zweiten Liegestuhl anzubieten.

Alfons Wagner begann sich unaufgefordert sehr leutselig und ausgiebig über sich selbst zu offenbaren. Er sei Bauunternehmer aus Augsburg, aber in den letzten Jahren habe er seine einst florierende Firma immer weiter zurückfahren müssen, weil die Kundschaft immer geringer, die Zahlungsmoral immer mieser und die Konkurrenz immer heftiger geworden war.

„Hält man sich an die Gesetze, ist man zu teuer, hält man sich nicht an ihnen, fliegt man früher oder später auf die Nase und ist trotzdem kaputt.“

„So, so“, hakte Steiner eher desinteressiert nach. „Und woran liegt das denn genau?“

„Ach, überall diese illegalen Ausländer, Schwarzarbeiter und Scheinfirmen“, redete sich Wagner in Rage. „Sobald man ein Angebot abgegeben hat, kriegt man zu hören, da seien mindestens vier andere Anbieter wesentlich billiger. Geiz ist eben geil, Herr Steiner. Da schaut keiner genau hin, ob unsere Mitbewerber sich unterbezahlter Ukrainer bedienen oder ob sich da irgendwelche Makaken selber in Deutschland als Unternehmer für nur ein oder zwei Projekte haben registrieren lassen. Sie kommen aus Polen oder so einem Billiglohnland, das neu in der EU ist, melden ein Gewerbe an, wofür Sie als Deutscher Jahre um eine Zulassung kämpfen müssten, das ihnen auch noch prompt sofort und unbesehen bewilligt wird, schleusen zwanzig ihrer Landsleute oder solche aus der Mongolei ohne Arbeitspapiere ein, machen die billigsten Preise, betreiben Pfusch am Bau, bezahlen ihre Lieferanten nicht, kassieren bis zu 80 % der Bausumme und verschwinden wieder, bevor alles fertig ist und sie zur Rechenschaft gezogen werden können.

Die Bauherrn sind dann zwar die Gelackmeierten, aber wir normalen und regelkonformen Unternehmer schauen in die Röhre.“

„Tja“, meinte Harald ungerührt, obwohl er durchaus Wagners Ansicht teilte, „die Europäische Einheit fordert nun einmal ihren Tribut.“ Lieber hätte er zum Ausdruck gebracht, seinetwegen könne man die gesamte EU in die Luft sprengen und zur Nationalstaatlichkeit zurückkehren. Einige bilaterale Verträge unter Staaten wären effektiver, billiger und vor allem nach Bedarf revidierbar.

Wagner grunzte verächtlich. „Ich bin jetzt 57 Jahre alt. Ich habe nicht vor, bis zu meinem Ruhestand einen Bankrott hinzulegen, weil mir die Felle davonschwimmen oder ich mich darauf einlasse, Schwarzarbeiter zu beschäftigen. Und trotzdem beabsichtige ich nicht, die Segel zu streichen. Deshalb halte ich mich momentan in Luxemburg auf.“

Das interessierte Steiner schon etwas mehr. „Was haben Sie denn hier vor? Luxemburg ist immerhin genau wie Deutschland Mitglied der EU.“

Wagners Gesicht formte sich zu einem Überlegenheit ausdrückenden Lächeln. „Ihre Feststellung ist richtig, aber im Gegensatz zu Deutschland achten die Behörden hier in diesem kleinen Land noch sehr akkurat auf die Einhaltung der Arbeits- und Sozialgesetze. Deshalb will ich hier Fuß fassen, verstehen Sie?“

Steiner nickte, obwohl er es noch nicht ganz verstand. Welcher Arbeitgeber kann denn schon Arbeits- und Sozialgesetzen etwas abgewinnen? Andererseits unterband eine strenge Handhabung solcher Gesetze natürlich auch die Beschäftigung illegaler Arbeitskräfte.

„Jedenfalls beabsichtige ich, hier in Luxemburg eine neue Firma aufzubauen, eine Art Bauträgergesellschaft. Grundstücke habe ich schon in Aussicht, das Kapital dürfte ich auch schon bald zusammen haben, und jetzt kümmere ich mich um die Genehmigungen.“

Der eigentlich ungebetene Gast begann sich zu besinnen, hier Gast zu sein, und wechselte das Thema. „Welcher Profession sind Sie denn eigentlich?“

Darauf konkret zu antworten, behagte Harald weniger, und um möglichst jeglichen Nachfragen auszuweichen, antwortete er: „Ich bin Beamter im Öffentlichen Dienst.“

Wagners Reaktion war ziemlich atypisch. Eigentlich hätte er nachfragen müssen, in welcher Sparte Steiner tätig war, aber das schien er nicht für sonderlich wichtig zu erachten. Stattdessen äußerte er: „Dann haben Sie ja eine gewisse Ahnung, wie ich das mit diesen Ausländern und Schwarzarbeitern meinte.“

„Gewiss“, gab sich Harald zurückhaltend. „Auch wir haben da so unsere Erfahrungen machen müssen.“ Um aber nicht weiter darauf eingehen zu müssen, kam er nun seinerseits auf etwas anderes zu sprechen, nämlich auf die historischen Stätten, die er in den nächsten Tagen zu besichtigen gedachte.

Alfons Wagner kam so vom Thema jeglicher beruflicher Probleme ab, und die Diskussion begann sich um Banaleres zu drehen.

Nach etwa zwei Stunden belangloser Plaudereien zog sich Wagner zurück, und auch Steiner gedachte, zu Bett zu gehen.

Den Samstagvormittag verbrachte Harald mit Einkäufen im nahegelegenen Ettelbrück und in Diekirch. Er wollte seinen Lebensmittel- und Getränkevorrat für die nächsten Tage aufstocken. Nach der Einnahme eines bescheidenen Mittagsmahls in seiner Küche beschloss er, eine Wanderung in den nahen Wäldern zu unternehmen, wovon er gegen 17 Uhr zurückkehrte. Danach legte er sich für einige Stunden in einen der beiden Liegestühle auf der hinteren Terrasse, weil er keine Lust hatte, an diesem Abend nochmals mit Wagner seine Freizeit zu vergeuden.

 

Übrigens hatte er die vier Male, die er an diesem Tag an Wagners Bungalow vorbeigekommen war, festgestellt, dass der sich offenbar noch nicht nach draußen begeben hatte. Zumindest wies nichts auf Wagners Veranda darauf hin, die Gartenmöbel könnten bewegt worden sein, und der Jaguar war es mit angrenzender Sicherheit auch nicht.

Am Sonntagmorgen frühstückte Steiner ausgiebig auf der vorderen Terrasse. Dann machte er sich fertig, mit seinem Wagen einen Trip entlang von Our und Sauer zu unternehmen. Er wollte sich die an diesen Flüsschen gelegenen Burgen ansehen.

Als er gegen 18 Uhr zurückkehrte, sah er Wagner vor dessen Chalet im Liegestuhl sitzen. Offenbar trank er gemütlich ein Glas Bier. Schon beim Aussteigen rief ihm sein Feriennachbar zu: „Was würden Sie heute Abend von einer Partie Schach halten?“

Warum nicht, dachte Harald, der inzwischen innerlich etwas ausgeglichener geworden war, und kündigte an, sich eine Stunde später bei Wagner einzufinden, nachdem er geduscht und gegessen haben würde.

Man einigte sich auf drei Schachpartien, von denen Alfons Wagner zwei gewann, was Steiner einigermaßen überraschte, denn eigentlich war er ein selber sehr versierter Amateurspieler.

Nach den drei Partien kam es wieder zu einer ziemlich freibleibenden Unterhaltung zwischen beiden. Hauptthemen waren fast ausschließlich gesellschaftliche Fragen und die aktuelle Politik, und dabei kam Wagner zwischendurch wieder auf sein luxemburgisches Vorhaben zu sprechen.

„Morgen, Herr Steiner, werde ich Nägel mit Köpfen machen. Morgen Nachmittag habe ich einen Termin bei der Handelskammer in Luxemburg. Der Rest ist dann nur noch ein Selbstläufer“, behauptete der Bauunternehmer, und Harald hörte ihm nur halbherzig zu. Später sollte diese Aussage noch sehr von Bedeutung sein.

Am Montagmorgen verließ Steiner um 9 Uhr seine Ferienwohnung. Er beabsichtigte, sich in Luxemburg Stadt über für ihn interessante Sehenswürdigkeiten sachkundig zu machen. Diese Fahrt erwies sich als unergiebig, weil montags viele Stellen geschlossen waren.

So kehrte er um 13.50 Uhr etwas enttäuscht zur Ferienanlage zurück, wo ihm, noch bevor er auf den Zufahrtsweg einbog, ein Aufgebot von mehreren Fahrzeugen ins Auge stach, von denen drei als Polizeifahrzeuge zu erkennen waren. Diese Autos waren so ungünstig abgestellt worden, dass es für ihn unmöglich war, bis vor sein Chalet zu fahren. Leute in Uniform und in Zivil lungerten auf der Terrasse von Wagners Bungalow und davor herum, und die Tür des Ferienhauses stand angelweit offen.

Wie ein aufgeschrecktes Huhn eilte ein uniformierter Polizist heftig gestikulierend auf Steiners Wagen zu und zwang ihn so zum Anhalten, ehe er das Ende der parkenden Fahrzeugkolonne erreicht hatte.

Als Harald sein Seitenfenster heruntergelassen hatte, rief der Mann ihm zu: „Hier ist kein Durchgang.“

Steiner deutete mit seiner Hand in Richtung seines Chalets und sagte: „Ich habe das Ferienhaus dort hinten gemietet.“

Der Polizist war zunächst etwas ratlos, weil man ihm keine Direktiven im Falle des Erscheinens eines Bewohners der Ferienanlage gegeben hatte.

„Bitte Ihren Ausweis und Ihre Fahrzeugpapiere.“ Harald reichte sie ihm. „Warten Sie bitte hier. Ich werde den Herrn Commissaire hinzurufen.“

Natürlich stellte sich Steiner die Frage, was wohl der Anlass für dieses Aufgebot war, aber aus eigener Erfahrung wusste er, dass man in dieser Phase als Hinzugestoßener selten von einem Polizisten mit einer klaren Auskunft rechnen durfte. Er handhabte es bei seinen eigenen Fällen in ähnlichen Situationen ja auch nicht anders.

Nach wenigen Minuten kehrte der Beamte in Begleitung eines Herrn im Alter von geschätzten fünfundfünfzig Jahren, der in einem ausgebeulten Anzug gekleidet war, zu seinem Wagen zurück. Dieser ältere Mann, dessen Erscheinung ein wenig dem Klischee eines Französischen Beamten entsprach, weil er einen Oberlippenbart hatte und eine altmodische Brille trug, ansonsten gedrungen wirkte und eine Zigarette in seiner Hand hielt, dem eigentlich nur noch das unter dem Arm geklemmte Baguette fehlte, um den perfekten Franzosen zu karikieren, beugte seinen Kopf zum immer noch in seinem Mercedes sitzenden Steiner bis zum heruntergelassenen Seitenfenster vor.

„Guten Tag, Monsieur, mein Name ist Rollinger, Commissaire Principal (identisch mit KHK) der luxemburgischen Kriminalpolizei. Sie sind also Feriengast hier und bewohnen das Chalet neben Herrn Alfons Wagner?“ Harald bejahte dies. „Und wann haben Sie heute ihre Ferienwohnung verlassen?“

„Etwa um neun Uhr heute Morgen.“

„Wann haben Sie Herrn Wagner zuletzt gesehen?“

„Gestern Abend zwischen zirka 19 und 22 Uhr habe ich mit ihm auf seiner Terrasse Schach gespielt und mich mit ihm unterhalten“, antwortete Harald korrekt.

„Also kannten Sie Herrn Wagner näher“, nahm der Luxemburger an.

„Ich machte am Freitagnachmittag seine Bekanntschaft, kurz nachdem ich hier eintraf. Ich würde es mal eine zufällige Urlaubsbekanntschaft nennen, wie das so ist, wenn sich Deutsche im Ausland zufällig begegnen und die Einzigen ihrer Art auf weiter Flur sind“, erwiderte Steiner und hatte längst festgestellt, wie der Uniformierte neben dem Kommissar nervös mit seinen Fingern am Halfter seiner Dienstwaffe herumspielte.

„Würden Sie bitte aussteigen, Herr Steiner“, forderte der Kripomann ihn auf. „Ihr Name ist doch Harald Steiner, wie ich es aus Ihren Papieren entnommen habe?“

„Ja, das ist mein Name“, sagte Harald und stieg langsam aus, immer darauf bedacht, keine allzu hektischen Bewegungen zu machen, denn diese Herren trauten ihm nicht so recht.

„Würden Sie sich bitte mit ihrem Gesicht zu ihrem Wagen drehen, die Hände aufs Dach legen und ihre Beine spreizen. Sicherheitshalber müssen wir Sie kurz abtasten“, erklärte Rollinger.

Steiner tat, was man ihm aufgetragen hatte, und wartete auf die Überraschung, der sich die beiden Luxemburger gleich gegenübergestellt sehen sollten.

Der Uniformierte zog zunächst die Brieftasche aus der Innentasche von Haralds Sommerjackett, warf einen Blick hinein und legte sie ohne weitere Beachtung aufs Autodach. Dann griff er nochmals in die Innentasche, weil darin noch etwas gewesen war, und förderte ein Ledermäppchen hervor, dessen Inhalt er ebenfalls kurz eines Blickes würdigte und sodann mit einem missmutigen Gesichtsausdruck dem Kommissar reichte. Der öffnete es und sah nun echt verblüfft aus.

„Mein Gott, Herr Steiner, warum haben Sie mir nicht sofort gesagt, dass Sie Beamter der Kölner Kriminalpolizei sind?“

„Ich wollte Ihnen nicht den Eindruck vermitteln, überheblich sein zu wollen“, entgegnete Harald, während er sich wieder umdrehte und eine wesentlich bequemere Position einnahm. „Jedenfalls hätte ich, wenn unsere Rollen umgekehrt gewesen wären, Sie sofort für einen Wichtigtuer gehalten, der sich mir bei meiner Arbeit aufdrängen will.“

Der Uniformierte murmelte etwas auf Französisch über „sales boches“, was eine wenig schmeichelhafte Formulierung für Deutsche ist und nicht für Haralds Ohren bestimmt war. Doch Rollinger gab ihm sogleich schroff den Befehl, sich zu entfernen, während Steiner so tat, als hätte er nichts von der Schmähung mitbekommen.

„Für welche Delikte sind Sie denn zuständig?“ erkundigte sich der Commissaire.

„Kapitalverbrechen“, sagte Harald knapp.

„Hm!“ Rollinger überlegte. „Also auch Mord und Selbstmord?“

„Überwiegend“, antwortete der KHK.

„Wären Sie bereit, mich bis zur Wohnung des Herrn Wagner zu begleiten und mir sodann Ihre spontanen Befindungen kundzutun?“

„Befindungen zu was?“ wollte Harald wissen.

„Ach ja, das können Sie ja noch nicht wissen. Herr Wagner ist tot aufgefunden worden. Erschossen.“

Harald nahm seinen Dienstausweis und seine Brieftasche wieder an sich, und sie gingen gemeinsam bis zu Wagners Bungalow. Dort erklärte Rollinger, man könne noch nicht hineingehen, weil die Spurensicherung zu Gange war. Aber von der Tür aus, sei es möglich, sich schon ein sehr gutes Bild machen zu können.

Das Chalet Wagners war eine exakte Kopie von Steiners Ferienwohnung. Wagners toter Körper lag auf dem Rücken im Bereich zwischen dem großen Doppelbett und der Tür zum Sanitärraum. In seiner Stirn klaffte ein von geronnenem Blut rotbraun umrandetes Loch. In seiner ausgestreckten Hand hielt er eine Faustfeuerwaffe, offensichtlich vom Kaliber 9 mm. Etwa drei Meter vor ihm zum Eingang hin lag eine Patronenhülse auf dem flauschigen Teppich.

„Mord oder Selbstmord? Was meinen Sie auf Anhieb?“ fragte der Commissaire.

„Mord“, war sich Steiner sicher.

Rollinger war sich da keineswegs so sicher. „Er hält die Tatwaffe in der Hand. Jedenfalls ist aus der erst kürzlich ein Schuss gelöst worden, und das Magazin ist bis auf eben nur eine fehlende Patrone voll. Es liegt auch nur eine Patronenhülse hier herum. Seine Hände weisen Schmauchspuren auf. Warum also Mord?“

„Die Patronenhülse liegt zu weit von ihm entfernt. Auch die Richtung, wo sie liegt kann nicht mit der Richtung des Auswurfs der Waffe übereinstimmen, es sei denn, Herr Wagner sei enorm weit nach hinten gestolpert, nachdem er sich ein Loch in den Kopf geschossen hatte. Außerdem geben sich die, die sich selber auf diese Weise umbringen wollen, meistens im Sitzen oder im Liegen die Kugel. Ferner stelle ich fest, dass Herr Wagner einen Anzug trägt, so als hätte er vorgehabt ...“

„Schon gut, schon gut“, gebot ihm der Commissaire Einhalt. „Wäre es möglich, unsere Unterhaltung in Ihrem Chalet fortzusetzen?“

Harald stimmte dem Ansinnen zu, und beide Männer begaben sich zu seiner Ferienwohnung, wo sie in Sesseln der Wohnzimmerecke Platz nahmen.

„Sie hatten schon Recht, Herr Steiner, als Sie vermuteten, dass auch ich mir nicht gerne Ratschläge von Kollegen aufdrängen lassen will“, gab Rollinger unumwunden zu. „Allerdings sollten Sie wissen, dass bei uns in Luxemburg die Ferienzeit gerade erst begonnen hat. Wer Kinder im schulpflichtigen Alter hat, bekommt in dieser Periode Urlaub, was impliziert, dass unsere Dienststellen für solche Fälle momentan unterbesetzt sind. Der einzige augenblicklich arbeitende kompetente Gerichtsmediziner hat bereits eine Brandleiche einer erschossenen Frau auf seinem Tisch liegen, und die meisten Beamten meiner Behörde befinden sich an irgendeiner Costa del sowieso.

Ich stehe also ziemlich hilflos vor einem Berg Arbeit, da ich es mit zwei ungeklärten Fällen zu tun und nur einen Kriminalinspektor und einige Berufsanfänger als Gehilfen zur Verfügung habe. Doch bevor ich Ihnen mein Problem weiter darlege, muss ich Sie fragen, wo Sie sich heute zwischen 11.30 und 12.30 Uhr aufgehalten haben.“

Harald fand nichts Anrüchiges an dieser Frage. Er hätte sie selber auch so gestellt. Er griff nach seiner Brieftasche, der er die Rechnung eines Restaurants entnahm. Rollinger nahm sie in Augenschein und stellte fest, dass der Ausdruck 12.13 Uhr angab und sich das betreffende Restaurant in der Hauptstadt befand. Gemäß den aufgelisteten Speisen und Getränken musste Steiner mindestens eine halbe Stunde dort verbracht haben, also etwa von 11.45 bis 12.15 Uhr, und innerhalb einer Viertelstunde wäre es ihm nicht gelungen, von dort bis hierher zu gelangen.

„Nun gut“, meinte der Commissaire, „das wird natürlich noch routinemäßig überprüft werden, aber ich glaube Ihnen, dass Sie wohl kaum Wagners Mörder sein dürften, falls er denn ermordet worden ist.“

Er zupfte sich an seinem Oberlippenbart, ehe er fortfuhr. „Auch wenn Sie nicht zum Tatzeitpunkt hier vor Ort waren, sind Sie für uns ein wichtiger Zeuge. Da Sie zudem selber ein Mann unseres Fachs sind, könnten Sie uns ja vielleicht auch ein wenig logistisch von Nutzen sein.“

Deutlich war, Rollinger wartete auf Steiners Reaktion.

„Ich kann Ihnen nur das sagen, was ich über Herrn Wagner weiß, weil ich es selber von ihm gehört habe, und meine doch wohl subjektive Meinung zu dem kundtun, was ich über das denke, was ich gerade in seiner Wohnung gesehen habe. Vergessen Sie nicht, ich bin nur Urlaubsgast und keineswegs befugt, hier Ermittlungen anzustellen.“

„So weit wollte ich Sie nun auch nicht in den Vorgang einbinden“, sprach Rollinger besänftigend. „Erzählen Sie mir zunächst bitte, wann und wie Sie Herrn Wagner kennenlernten und worüber Sie sich mit ihm unterhalten haben.“

 

Das tat Steiner in aller Ausführlichkeit, während sich der Commissaire Notizen machte. Es war für diesen nicht erforderlich, Nachfragen zu stellen, denn Steiner wusste alles so präzise auf die Reihe zu setzen, wie er es selber auch am liebsten aus dem Mund eines Zeugen hätte hören wollen.

Schließlich befand André Rollinger: „So, wie es Ihnen Herr Wagner geschildert hat, scheint er ja wirklich einerseits existenzielle Probleme befürchtet und andererseits munter an Abhilfe dessen gearbeitet zu haben.“

„Den Eindruck hatte ich jedenfalls“, stimmte der KHK zu.

Rollinger folgerte weiter: „Jetzt verstehe ich auch, wieso Sie eben, als wir den Tatort in Augenschau nahmen, auf den Anzug, den Herr Wagner trug, hinweisen wollten. Er hatte Ihnen gesagt, heute Nachmittag einen Termin bei der Handelskammer in der Stadt zu haben.“

„Stadt? Welche Stadt meinen Sie?“ fragte Harald irritiert. „Ich sagte Luxemburg. Die nächst gelegene Stadt wäre doch Ettelbrück, oder?“

„Wenn wir hier im Großherzogtum über ‚die Stadt’ reden, meinen wir immer die Hauptstadt“, erläuterte der Kollege amüsiert. „Und Sie haben ja jetzt selber nochmals gesagt, er habe heute nach Luxemburg Stadt fahren wollen.“

„Genau“, erwiderte Steiner knapp. Er fühlte sich ein wenig von sich selber überrumpelt, hätte er doch von sich aus auf diese landesspezifische Eigenheit kommen können, da es außer der Hauptstadt keine Städte gab, die, nach Einwohnerzahlen gemessen, ein solches Prädikat verdienten. Und sogar die Hauptstadt war mal knapp etwas größer als Euskirchen.

„Demnach hätte er sich also bestimmt nicht chic zu machen brauchen, wenn er sich ohnehin eine Kugel in den Kopf jagen wollte, nicht wahr?“

„Es sei denn, er wollte seinen Selbstmord wie einen Mord aussehen lassen“, ergänzte Steiner.

„Sehen Sie, Herr Kollege, und somit stehen wir jetzt wieder eins zu eins, was die beiden Thesen Mord oder Selbstmord angeht. Und ich werfe noch ein gewichtiges Argument für die Suizidthese in die Waagschale. Weshalb sollte Herr Wagner bei der Handelskammer vorstellig werden wollen, wenn er nicht einmal ein Dossier bei sich hatte?“

Harald dachte kurz nach. Am Freitagabend hatte er doch deutlich gesehen, wie sein Nachbar auf seiner Veranda beflissen in einer Akte gelesen hatte, und auf seinem Tisch hatten auch noch Ordner und Schnellhefter gelegen.

„Er hatte Akten bei sich“, merkte er daher an und berichtete von seiner diesbezüglichen Beobachtung am ersten Abend nach seiner Ankunft in Wellscheid.

„Das ist aber merkwürdig“, meinte Rollinger. „Bislang haben unsere Leute nichts dergleichen gefunden, auch nicht in seinem Auto. Vielleicht hat er die Akten ja inzwischen weggefahren.“

„Weggefahren?“ Diese Frage stellte Harald an sich selber. Nein, so überlegte er, den Jaguar hatte Wagner, seit er ihn am späten Freitagnachmittag zum ersten Mal gesehen hatte, augenscheinlich nicht mehr von der Stelle bewegt. Als Harald heute von seiner Fahrt nach Luxemburg zurückgekommen war, stand der Jaguar immer noch am selben Platz.

„Nein, Herr Rollinger, mit seinem Auto ist er nicht weggefahren. Er könnte Besuch gehabt haben oder mit einem anderen in dessen Auto weggewesen sein. Aber ... Ich hätte es nicht unbedingt mitbekommen müssen. Ich war am Samstag, am Sonntag und heute immer mal selber einige Stunden weg gewesen.“

„Das hilft uns also nicht richtig weiter“, stellte der Commissaire fest.

„Da haben Sie wohl Recht“, schloss sich Harald dieser Ansicht an. „Aber man muss die Sache einkreisen. Ist der Schuss aufgesetzt gewesen? Wenn nicht, kann es kein Selbstmord gewesen sein. Was ist mit Wagners Handy? Hatte er ein Notizbuch dabei ...“

Wieder einmal sah sich Rollinger genötigt, den Deutschen auszubremsen.

„Das mit dem aufgesetzten Kopfschuss wird die Pathologie klären. Das andere ist Sache der Spurensicherung und der Kriminaltechnik.“

Dennoch hatte Steiner seinerseits auch einige Fragen zu stellen.

„Wie, wann und vom wem ist Alfons Wagners Leiche denn gefunden worden?“

„Gefunden wurde er kurz vor ein Uhr heute Mittag von der Eigentümerin des Hofs. Sie wollte Herrn Wagner die heutige Ausgabe des ,Luxemburger Wort’ vorbeibringen, wie sie es schon jeden Tag seit seinem Einzug in das Chalet vor etwa einer Woche gemacht hatte. Ich war dann etwa eine halbe Stunde später vor Ort. Ein Arzt des Notdienstes von Ettelbrück war vor uns und gleichzeitig mit der ersten Streife aus Ettelbrück hier eingetroffen. Der Arzt hatte den Tod festgestellt und die Todeszeit auf 11.30 bis 12.30 Uhr eingekreist. Der Schuss dürfte unmittelbar tödlich gewesen sein.“

„Die Waffe in Wagners Hand war nicht mit einem Schalldämpfer versehen. Den Schuss muss man dann doch weithin gehört haben“, gab Steiner zu bedenken.

Rollinger lächelte mitleidig. „In den Ferienhäusern wohnen momentan Touristen. Was machen die bei einem solch schönen Wetter? Sie suchen das Wasser auf oder gehen wandern. Und die Eigentümer waren bis kurz vor eins auf einem einige Kilometer entfernten Feld bei der Heuernte. Auf diesem Areal befanden sich also zur Tatzeit nur Herr Wagner und sein Mörder, wenn es denn einen solchen gibt.“

„Tja, dann müssen wir wohl abwarten, was sich sonst noch ergibt“, meinte Harald. „Ich wüsste allerdings nicht, wie ich Ihnen noch behilflich sein kann.“

„Das werden wir sehen“, sagte der Commissaire. „Zunächst warte ich die Befunde der Sachverständigen ab. Mir wäre ein eindeutiger Selbstmord jedenfalls genehmer.“

Rollinger war wieder zum Nachbarhaus gegangen, und Harald machte es sich wieder einmal mit einer Flasche Bier und einer unterwegs bei seinem Abstecher in die Hauptstadt gekauften Tageszeitung in seinem Liegestuhl auf der vorderen Veranda bequem.

Trotz allen Bemühens, sich in die Lektüre zu vertiefen, schweiften seine Gedanken immer wieder zu dem Geschehnis in der Nachbarhütte ab. Mord oder Selbstmord? Betrachtete man es von der Seite der wirtschaftlichen Lage der Augsburger Firma Wagners her, war es durchaus denkbar, dass er sich einen möglichst als Mord auslegbaren Abgang ausgedacht haben könnte. In dem Fall hieße das, er hätte Steiner in den letzten Tagen nur zur Show ein Märchen über einen hoffnungsvollen Neustart in Luxemburg aufgetischt. Aber wie erklärte sich dann sein Termin bei der Handelskammer, den er an diesem Montag wahrnehmen wollte? Oder war auch das nur eine Finte?

Der KHK glaubte in diesem Fall nicht an eine gespielte Augenwischerei seitens Wagner ihm gegenüber. Er hatte ein Gespür dafür, wann Menschen logen, und bei Wagner hatte er eher das Gefühl gehabt, dass er tatsächlich in Euphorie schwelgte.

Nun überlagerten sich mehrere Gedankengänge. Sollte es doch ein gut ausgeklügelter Selbstmord gewesen sein, dann musste man doch irgendwie rausbekommen können, wie die Akten verschwunden waren. Entweder hatte Wagner sie zu Fuß weggeschleppt und irgendwo im näheren Umkreis so gut versteckt, dass man sie nach größter Wahrscheinlichkeit niemals mehr wiederfinden würde, oder es gab jemanden, der sie entgegengenommen hat, ehe Wagner den Suizid beging.

War es aber Mord, dann war die Tat so ausgeklügelt worden, dass man sie für einen Selbstmord halten musste oder zumindest konnte. Hatte man ihn womöglich gezwungen, sich selbst die Waffe an die Stirn zu setzen und abzudrücken? Ein riskantes Unternehmen für den Nötiger, da er ihm ja eine geladene Waffe in die Hand gegeben hätte. Wer schießt sich schon in die Stirn? In die Schläfe, in den Mund schräg aufwärts oder vom Kinn senkrecht aufwärts, ja, das wären die logischeren Suizidmethoden gewesen, aber nicht so, wie es passiert war.

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