Des Richters Recht - Ein Fall für Harald Steiner

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Des Richters Recht - Ein Fall für Harald Steiner
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Des Richters Recht – Ein Fall für Harald Steiner

Ansgar Morwood

Copyright: © 2014 Ansgar Morwood

published by: epubli GmbH, Berlin

www.epubli.de

ISBN 978-3-7375-0061-6

Personenregister

Harald Steiner: Hauptkommissar der Kripo Köln

Monika Mink: Assistentin Steiners und seine Ehefrau

Patricia Unkel: Kriminalrätin der Kripo Köln

Ralf Frisch: Kommissar der Kripo Köln

Heinz Schmidt: Kommissar der Kripo Köln

Kurt Remich: Hauptkommissar der Kripo Köln

Hubert Land: Oberkommissar der Kripo Köln

Alfred Boomberg: Leiter der Spusi

Ernst Lambrecht: Gerichtsmediziner

Antonia Wimmer: Staatsanwältin

Ibrahim Mühsam: Strafrichter

Marianne Mühsam: Ehefrau von Ibrahim Mühsam

Jonas Mühsam: Sohn von Ibrahim und Marianne Mühsam

Rahel Mühsam: Tochter von Ibrahim und Marianne Mühsam

Wilfried Manherr: Firmeninhaber, wurde ermordet

Sandra Manherr: Ehefrau von Wilfried Manherr

Johann Manherr: Bruder von Wilfried Manherr

Jochen Manherr: Großvater von Wilfried Manherr

Walter Hack: Kompagnon von Wilfried Manherr, wurde ermordet

Gerda Hack: Ehefrau von Walter Hack

Ludo Hack: Bruder von Walter Hack

Klaus Hummel: Angeklagter in einem Mordprozess

Gerhard Hummel: Vater von Klaus Hummel

Jens Hummel: Bruder von Klaus Hummel

Gisbert Zöller: Freund von Rahel und Jonas Mühsam

Thomas Zöller: Rechtsanwalt und Vater Gisbert Zöllers

Oswald Helferich: Chef der Bauabteilung der Kölner Diakonie

Ludwig Kormann: Architekt

Silke Kormann: Architektin

Jessica Jäger: Angestellte bei Kormann

Ulrich Kemka: Inhaber eines Elektrofachbetriebs

Paul Gerber: Inhaber einer Modeboutique

Anita Gerber: Ehefrau von Paul Gerber

Olaf Mattes: Privatdetektiv

Hauptort der Handlungen

Köln

1. Des Richters letztes Urteil

Donnerstag, Richter Mühsams Todestag

Ibrahim Mühsam (63) galt seit Jahren als der unbequemste Vorsitzende am Strafgerichtshof Köln. Unbequem, aber nicht ungerecht. Im Gegensatz zu seinen Kollegen hinterfragte Mühsam Details, über die andere Richter hinwegzugehen pflegten.

Staatsanwälte mochten ihn nicht, weil er sich nicht von ihnen einlullen ließ. Verteidiger mochten ihn nicht, weil er sich selten auf Kompromisse einließ.

Trotzdem oder gerade deswegen wurde er ausnahmslos in Juristenkreisen respektiert, geachtet und sogar als das empfunden, was alle Richter sein sollten, aber selten sind: unparteiisch. Unter Mühsams Vorsitz gab es keine wortgewaltigen Dispute. Der Richter erteilte das Wort, der Richter entzog das Wort. Er quittierte Beleidigungen umgehend und ohne Vorwarnung mit Ordnungsgeldern, verwies Zwischenrufer aus dem Publikum sofort des Saales und duldete kein Gerangel oder Gemeckere auf den Zuschauerrängen. Ein laut werdender Staatsanwalt wurde umgehend von ihm zur Ordnung gerufen. Ein aufmüpfiger Strafverteidiger wurde von ihm gemaßregelt. Er hatte seine strikten Regeln, und alle befolgten strikt seine Regeln. Unter dem Strich hatte es nie einen ersichtlichen Grund gegeben, seinen Führungsstil zu kritisieren.

Daher sollte diesbezüglich besonders sein letzter Prozess, dem er wenige Stunden vor seinem Versterben vorsaß, einigen Leuten noch sehr zu denken geben.

Das Verfahren gegen Klaus Hummel (21) wegen des Doppelmordes an Wilfried Manherr (30) und Walter Hack (29) lag Richter Mühsam von Anfang an schwer im Magen. Vieles sprach eindeutig gegen den Angeklagten und nur wenig für ihn.

Mühsam hatte sich in den ersten drei Prozesstagen ein sehr genaues Bild von den Taten, den Umständen, den Zeugen, den Opfern und vom Angeklagten gemacht. Überwiegend hatte er es der Anklage und der Verteidigung überlassen, die Fragen zu stellen, und ihnen in Maßen erlaubt, gelegentlich ihre Zwischeninterpretationen kundzutun. Wie bereits erwähnt, hatte er sich im Wesentlichen darauf beschränkt das Wort zu erteilen oder zu entziehen. Da die Staatsanwältin Antonia Wimmer (34) und der Rechtsanwalt Volker Liebmann (46) bereits mit seinem Führungsstil von früheren Prozessen her vertraut waren, hatten sie sich artig seiner Moderation angepasst.

Alle anderen Richter hätten bei einem Doppelmord mindestens sieben Sitzungstage veranschlagt. Mühsam meinte aber, schon jetzt genug gehört zu haben, um ein Urteil fällen zu können. Die gesamte Anklage basierte auf Schwammigkeiten.

Um die wenigen Zweifel, die er noch hatte, auszuräumen, zitierte er eine halbe Stunde vor der anberaumten vierten Sitzung Antonia Wimmer, Volker Liebmann und den Hauptkommissar Harald Steiner, der den Fall bearbeitet hatte, in sein Richterbüro.

Der Richter sprach sogleich Klartext. „Meine Dame, meine Herren, ich kann es drehen oder wenden, wie ich will, aber der angeklagte Herr Hummel ist meines Erachtens nicht überführt. Was mir vorgetragen wurde, ist von geringem Gehalt. Da hieß es, Herr Hummel sei ein Alkoholiker, der in einem gewissen Zyklus von nüchtern und beschlagen zu lustig wechselt, dann zu nörglerisch, schließlich zu aggressiv, um dann nach einer Pause von zwei Tagen der Apathie wieder nüchtern zu sein. Die beiden Morde wurden nicht von einer Person ausgeführt, die halbwegs weggetreten ist. Sehen Sie das anders?“

Sofort erfolgte Liebmanns Reaktion. „Natürlich nicht.“

Anders die Wimmer. „Gerade der verwirrte Geist kann seltsame Dinge projizieren.“

Mühsam schien keinem der beiden Kommentare eine Bedeutung beizumessen und wandte sich nahezu demonstrativ KHK Steiner zu. „Was ist Ihre Meinung?“

Steiner zeigte sich ziemlich desinteressiert, während er antwortete. „Ich pflichte Ihnen bei, Herr Vorsitzender, Klaus Hummel ist in keinem Punkt der Anklage überführt.“

„Aber Herr Steiner“, regte sich die Wimmer auf, „Sie selber haben doch sämtliche Beiträge geliefert, die zur Anklage geführt haben.“

Hierauf widersprach Harald energisch. „Meine Leute und ich haben Beiträge geliefert, aber die Entscheidung, daraufhin eine Anklage zu erheben, lag in Ihrem Ermessen.“

Mühsam brach diesen Abschnitt der Diskussion entschieden ab. „Frau Wimmer, meine Herrn, wir brauchen gar nicht über den Geisteszustand des Herrn Hummel während der Tatzeiten zu diskutieren, nicht über seine Alibis oder Motive. Die Beisitzer und ich werden darüber zu entscheiden haben, ob ein junger Mann für fünfzehn Jahre oder mehr hinter Gittern wandert oder nicht. Wenn Ihnen jetzt nichts Besseres einfällt, als was Sie mir während den letzten drei Sitzungstagen vorgetragen haben, werde ich mich gezwungen sehen, den Angeklagten in dubio pro reo freizusprechen.“

„Aber Herr Vorsitzender…“, sprudelte es aus dem Mund der Staatsanwältin hervor, ohne dass eine Fortsetzung folgte.

Ehe das überhaupt geschehen konnte, ergriff Mühsam wieder die Parole. „Noch habe ich mir kein endgültiges Urteil gebildet. Hummel ist nicht der Mann, dem ich meine Spargroschen anvertrauen würde. Er ist aber auch nicht der Typ, der mir beim bloßen Ansehen Angst einflößen könnte, wenn ich ihm im Dunkeln auf der Straße begegnete. Mich hat mein Gefühl für Menschen noch selten getäuscht.“

Wie untertänige Lakaien beugten sich gleichzeitig Liebmann und Wimmer vor und lächelten heuchlerisch zustimmend, während Harald Steiner ungerührt stocksteif in seinem Sessel saß.

Der Richter setzte seinen Diskurs fort. „In wenigen Minuten beginnt die vierte Sitzung dieses Verfahrens. Der Angeklagte ist gehört worden, die Zeugen sind gehört worden, die Ermittler sind gehört worden, die Anklage hat ihre Fragen vorgetragen, und die Verteidigung hat ihre Fragen vorgetragen. Mir ist nicht zu Ohren gekommen, es gäbe da noch etwas, was das Gericht sich in diesem Fall anhören müsste…“

Hier merkte die Wimmer an: „Da ist noch das psychiatrische Gutachten.“

„Ja, ja”, winkte Mühsam ab. „Der Wisch liegt uns vor, und wir werden ihn auch bei der Urteilsfindung berücksichtigen. Es liegt uns auch ein Gutachten vor, das von der Verteidigung in Auftrag gegeben wurde. Auch das werden wir berücksichtigen.“

„Das muss doch…“, begehrte die Wimmer erneut auf.

„Nein!“, schallte Mühsams Stimme herrisch laut durch den Raum. „Heute wird dieser Prozess beendet. Und wir werden heute auch das Urteil fällen und verkünden. Klaus Hummel ist seit fast einem Jahr inhaftiert. Drei Tage musste ich mir anhören, dass es viele Indizien, aber keine Beweise für Hummels Beteiligung an den Taten gibt. Andere mögen unser Gerichtswesen mit Talkshows verwechseln, aber meine Verfahren fallen nicht darunter. Haben Sie mich verstanden?“

Die beiden anderen Juristen ereiferten sich, in ihrer Gestik Zustimmung zu bekunden, während Steiner sich immer noch unbeteiligt gab.

Der Richter fuhr fort: „Für heute habe ich alle relevanten Zeugen erneut geladen. Sinn der heutigen Sitzung wird sein, dass ich, - wohlgemerkt ich persönlich -, noch einmal die kardinalen Fragen stellen werde, die dem Befragten und sonstigen Beteiligten vielleicht auch schon vorher in diesem Verfahren einmal gestellt worden sind. Von Ihnen, meine Dame und meine Herrn erwarte ich während meinen Interviews absolute Zurückhaltung.“

„Was soll es bringen, auf Wiederholung zu schalten?“, motzte die Wimmer. „Soll das etwa dem Beklagten die goldene Brücke zu einer Revision eröffnen?“

Bist du ein blödes Huhn, dachte Harald. Diese Wimmer schnallte einfach nicht, wie unbeliebt sie sich mit ihren dummen Sprüchen beim Richter zu machen drohte.

 

Mühsam blieb souverän. „Es ist nicht meine Aufgabe, mir über eine Revision Gedanken zu machen. Herrn Hummel kann nach unserem Urteil der Einspruch genauso wenig verwehrt werden wie Ihnen, Frau Staatsanwältin. Nur sehe ich nach Sachlage der Dinge nicht ein, wieso wir nicht heute zum Abschluss kommen sollten. Ich werde also meine Fragen stellen und mir die Antworten anhören, während Sie, Frau Wimmer und Herr Liebmann, schweigen. Sobald ich meine Befragungen beendet haben werde, überlasse ich es Ihnen, Fragen zu stellen. Dann werde ich Sie auffordern, Ihre Plädoyers zu halten.“

„Das ist aber äußerst ungewöhnlich”, sagte Liebmann.

„Was die Schlussworte angeht, mögen Sie Recht haben, Herr Verteidiger”, entgegnete der Richter. „Es ist allerdings der Entscheidung des Vorsitzenden vorbehalten, wann er die Plädoyers hören will. Da gibt es im Gesetz keine Dispens, die den Parteien einen Aufschub gewährt. Als Juristen müssten Sie immerhin gelernt haben, aus dem Stehgreif argumentieren zu können.“

Was der Richter da von Klägerin und Verteidiger verlangte, war außergewöhnlich, aber so, wie er es dargelegt hatte, gesetzeskonform. Üblich war, dass es eine letzte Sitzung gab, in der irgendwelche (un-)qualifizierten Experten ihren Senf beitrugen, bevor dann nach einer oder zwei Wochen Pause die mündlichen Vorträge der Plädoyers der beiden Parteien erfolgten. Und dann, wenn das Richterkollegium zufällig mal belustigt sein sollte, würde nochmals eine, zwei oder auch drei Wochen später ein Urteil erfolgen. Wenn Mühsam in seiner Funktion aber darauf bestand, alles an einem, und zwar an diesem Tage geregelt sehen zu wollen, brauchte er sich dafür bestimmt keine Genehmigung an höherer Stelle und erst recht nicht bei der Wimmer oder bei Liebmann einzuholen.

„Herr Steiner, haben Sie noch etwas beizutragen, was nicht zur Sprache gebracht worden ist?“

Harald musste hierauf einen negativen Bescheid geben, womit für Mühsam das Programm für die anstehende Sitzung endgültig feststand.

Zum Erstaunen aller, die an dem vorher im Richterzimmer geführten Gespräch nicht teilgenommen hatten, rief Ibrahim Mühsam den Angeklagten erneut in den Zeugenstand.

„Herr Hummel, an dem Tag, an dem Ihre früheren Arbeitgeber Wilfried Manherr und Walter Hack ermordet wurden, waren Sie noch keine 21 Jahre alt. Wenn es also heute zu einer Verurteilung kommen sollte, hängt das zu verhängende Strafmaß ganz klar von unserer Einschätzung ab, ob Sie zum Zeitpunkt der Morde als geistig erwachsen oder noch als Jugendlicher zu betrachten waren. Ist Ihnen das klar?“

Klaus Hummel, dem dieses Prozedere nicht ganz geheuer war, weil sein Rechtsbeistand ihm wenige Minuten vor Beginn der Verhandlung ins Ohr geflüstert hatte, Mühsam sei des Verfahrens überdrüssig und neige zum Freispruch, starrte, statt eine Antwort zu geben, den Richter verwirrt an.

Der reagierte behutsam auf Hummels Schweigen. „Sie haben meine Frage nicht verstanden?“

Klaus antwortete kleinlaut: „Nein.“

Der Richter erklärte: „Sollten wir Sie des zweifachen Mordes für schuldig befinden, droht Ihnen im ungünstigsten Fall fünfzehn Jahre Haft, insofern wir der Meinung sein sollten, Sie müssten unter das Jugendstrafrecht fallen, oder lebenslängliche Haft, wenn wir der Meinung sind, Sie fallen unter das Erwachsenenstrafrecht. Haben Sie es jetzt verstanden?“

„Ja, aber ich bin unschuldig.“

„Unschuldig, Herr Hummel?“, sprach Mühsam mit skeptischem Unterton. „Immerhin gibt es viele Anzeichen dafür, Sie könnten die Taten ausgeführt haben. Da wäre zunächst das Motiv. Wenige Wochen, bevor die Herrn Hack und Manherr ermordet wurden, sind Sie von Ihren beiden Arbeitgebern entlassen worden. Weshalb?“

Der junge Hummel kam sich vor, als sei er der Hauptdarsteller in Lola rennt oder in Und täglich grüßt das Murmeltier. In beiden Filmen durchlebt der jeweilige Protagonist mehrfach dieselben Situationen. Wieso sollte er jetzt erneut eine Frage beantworten, die ihm die Staatsanwältin schon einmal am zweiten Sitzungstag gestellt hatte? Sie zu beantworten, war ihm peinlich gewesen, und so war es auch jetzt wieder, weshalb er nun auch seine Antwort sehr knapp hielt.

„Ich bin mehrfach betrunken zur Arbeit erschienen.“

„Genau das hatten Sie bereits ausgesagt, und so haben es auch mehrere Zeugen bestätigt. Was noch nicht erörtert wurde, war das, was Sie ob Ihrer Entlassung empfanden. Können Sie uns das beschreiben?“

„Im ersten Moment hatte mich die Wut gepackt. Doch dann habe ich eingesehen, dass die beiden Recht hatten.“

„Seltsam”, äußerte sich der Vorsitzende. „Sie wollen das eingesehen haben, haben sich aber dennoch weiter volllaufen lassen. Das ist doch irgendwie unlogisch.“

„Das kommt auf die Situation an. Jetzt nach fast einem Jahr Haft, in der ich nichts mehr getrunken habe, finde ich das auch unlogisch. Aber damals trieb mich die Entlassung erst recht zur Flasche.“

„Also erneut in die Wut”, hielt ihm Mühsam entgegen.

„Ja…Nein. Ich weiß nicht mehr, was alles in mir vorging.“

Der Richter redete gleichmütig weiter. „Halten wir nur fest, es ist durchaus denkbar, dass Sie sich aus einer Alkohol bedingten Wut heraus zu mehr als dem berühmten Schmollen in der Ecke hätten aufraffen können.“

„Nein, nein, nein!“, rief Klaus. „Das habe ich nicht.“

„Das sind Ihre Worte, aber keine Beweise.“ Der Richter wandte sich an die vom Gericht bestellte Psychologin, die neben dem Staatsanwalt saß. „Frau Doktor Nadler, Sie haben nun schon über neun Monate Herrn Hummel, also seit seiner Verhaftung, betreut. Wenn ich nicht irre, haben Sie zum Thema alkoholisierte Straftäter Ihre Doktorarbeit geschrieben und haben auch darüber promoviert. Wie schätzen Sie die Wahrscheinlichkeit ein, dass Herr Hummel seinerzeit in seinem von Alkohol bedingten Unvermögen zu einer sehr ausgeklügelten Gewalttat befähigt gewesen sein könnte?“

Es war schon erstaunlich, dass der Richter über die fachspezifische Orientierung der Nadler Bescheid wusste. Normalerweise werden Gerichtspsychologen aufgrund ihrer Diplome, aber nicht aufgrund ihrer Befähigungen berufen. Die Leute von der Justiz bekümmern Befähigungen in der Regel wenig, wenn die Diplome von Universitäten ausgestellt worden sind. Für Juristen sind Sachverständige sachverständig, wenn sie ein beglaubigtes Diplom vorweisen können. Ob und für was genau sie sachverständig sind, ist ihnen kaum eine Nachfrage wert. Hauptsache sie sind für irgendein weitläufiges Fachgebiet auf der Liste gerichtlicher Sachverständiger eingetragen.

Richter Mühsam waren solche Details nie egal gewesen. Die sogenannten gerichtlich bestellten Experten, vor allem die Psychologen, hielt er für das, was sie nicht selten auch sind, - für Dummschwätzer, denen es nur um das Einheimsen ihrer üppigen Honorare geht.

Es war der reinste Zu- und Glücksfall gewesen, dass Frau Doktor Nadler sich ausgerechnet mit der Psyche von Alkoholikern auskannte, und es war kein Zufall, dass Mühsam sie für diesen Fall auserkoren hatte.

„Herr Vorsitzender, der Angeklagte verfügt in nüchternem Zustand über ein sehr hohes Auffassungsvermögen”, referierte die Seelenklempnerin. „In diesem Zustand agiert er ausgewogen und sehr überlegt. Er erfasst komplizierte Zusammenhänge überdurchschnittlich schnell. Leider hatte ich nicht die Gelegenheit gehabt, seine Reaktionen zu testen, wenn er betrunken ist. Allerdings kann ich aus seinen eigenen Aussagen und den Berichten anderer, die ihn in solchen Situationen schon öfter erlebt hatten, ableiten, wie sich Alkohol auf seine Psyche auswirkt. Da muss es einen gewissen Punkt gegeben haben, bei dem seine gesamte Motorik abrupt auf physische Gewalt und verbale Abartigkeiten umschaltete. Wenn dieses Schema der Realität entspricht, könnte Herr Hummel tatsächlich eine brutale Aggressivität begangen haben, aber er wird sich wohl kaum im Vollrausch aufgerafft haben, um einen ausgeklügelten Doppelmord zu begehen. Im nüchternen oder angeheiterten Zustand wäre er wohl dazu in der Lage gewesen, aber, so glaube ich, festgestellt zu haben, hätten ihn dann moralische Skrupel letztendlich davon abgehalten, ein Verbrechen zu begehen.“

Mühsam befasste sich wieder direkt mit dem Angeklagten.

„Das ist ja das Schöne an psychologischen Gutachten, Herr Hummel. Sie basieren auf Annahmen und Wahrscheinlichkeiten. Mit anderen Worten, sie sind unfehlbar fehlbar und daher sehr nützlich, wenn man sie zu verwerten versteht.“ Er hätte stattdessen auch sagen können, wenig von psychologischen Gutachten zu halten, aber so deutlich durfte er das nicht hervorheben. Er fuhr fort: „Dennoch bleibt für uns die Frage offen, in welchem Zustand Sie an jenem Diensagabend im Juli des vergangenen Jahres verkehrten. Waren Sie nüchtern, waren Sie angeheitert, oder waren Sie voll wie zehn Haubitzen? Sagen Sie es uns.“

„An dem Tag war ich echt besoffen.“

Der Richter sah zu Steiner hinüber. „Stimmt das, Herr Hauptkommissar?“

Harald sagte: „Als wir Herrn Hummel am Vormittag des Tages nach der Ermordung des Herrn Hack in seiner Wohnung aufsuchten, - da wussten wir noch nicht, dass auch Herr Manherr ermordet worden war -, befand sich Herr Hummel in einem… in einem ziemlich erbärmlichen Zustand. Er war nicht betrunken im eigentlichen Sinne, sondern befand sich in einer Phase, die man landläufig verkatert nennt.“

„Was schlossen Sie daraus, Herr Hauptkommissar?“, hakte der Richter nach.

„Dass Herr Hummel wohl am Abend zuvor ziemlich gut gebechert hatte.“

„Anzunehmen”, schloss sich Mühsam Steiners Vermutung an. „Und eines der größten Probleme, die sich für die Verteidigung des Angeklagten stellt, geht aus einhelligen Aussagen seiner nächsten Nachbarn hervor. Wenn Herr Hummel betrunken war, konnte man sehr gut hören, wie er sich in seiner Wohnung von einer Stelle zu einer anderen bewegte, weil er dabei heftiger als üblich mit seinen Füßen auf den Boden auftrat. Wenn mich meine Erinnerungen nicht trügen, will keiner dieser Nachbarn solche Geräusche am Tatabend vernommen haben. Wie erklären Sie sich das, Herr Hummel?“

„Weiß nicht. Vielleicht bin ich vor dem Fernseher eingeschlafen.“

„Lassen wir das mal im Raum stehen”, sagte der Richter und führte weiter aus. „Dann war da die Sache mit der Mordwaffe. Die ist nie gefunden worden, aber bei Ihren Ermittlungen, Herr Hauptkommissar, sind Sie auf eine gewaltige Ungereimtheit gestoßen.“

„In der Tat”, erwiderte Steiner. „Natürlich suchten wir auch die Eltern und Geschwister des Verdächtigen in Dellbrück auf. Wir hatten da bereits rausgefunden, dass der Vater des Verdächtigen, Herr Gerhard Hummel, einen Waffenschein besaß und mehrere Waffen des Kalibers 9 mm auf ihn eingetragen waren. Herr Hummel war sofort bereit, uns seinen Waffenschrank in einem der Kellerräume seines Hauses zu zeigen, und stellte dann selber fest, dass drei Waffen dieses Kalibers und die dazugehörige Munition fehlten. Die Schlösser zu dem Kellerraum und zum Waffenschrank wiesen keine Spuren auf, die ein gewalttätiges Eindringen hätten nahelegen können. Auch war nicht in das Haus der Hummels eingebrochen worden.“

Hierzu merkte der Richter an: „Genau das haben Sie und Herr Hummel senior bereits in einer der vorigen Sitzungen ausgesagt. Und es soll sogar nahezu unmöglich gewesen sein, dass ein anderer als Herr Gerhard Hummel Zugang zu den Schlüsseln für den Kellerraum und den Waffenschrank gehabt hatte. Kaum, das heißt, bis auf die Bewohner des Hauses oder eben Klaus Hummel, der seine Eltern regelmäßig besuchte. Was sagen Sie dazu, Herr Hummel?“

Klaus zuckte mit den Achseln. „Was weiß ich?! Meine Brüder sind in einem Alter, in dem man nie genug Taschengeld hat. Wozu hätte ich drei Knarren stehlen und Wilfried und Walter dann mit ein und derselben Puste abknallen sollen?“

„Gewiss, Herr Hummel, das ist schon etwas skurril”, gab der Richter zu. „Nochmals zu Ihnen, Herr Steiner.“ Harald begann sich zu fragen, wieso Hummel und nicht er auf dem Zeugenstuhl saß, so oft wie Mühsam ihm jetzt schon Fragen gestellt hatte. „Nach allem, was wir wissen, muss der Täter über ein Fahrzeug verfügt haben. Herr Hummel besaß einen VW Golf. Was gibt es dazu zu sagen?“

„Dass zumindest ein Fahrzeug im Spiel gewesen sein muss, ergibt sich aus den Zeitabläufen der beiden Morde. Herr Manherr hatte an jenem Tag einen Termin bei einem Großkunden in Dormagen. Er litt an einer Inkontinenz seiner Blase, weshalb er jedes Mal, wenn er nach Dormagen fuhr, am Worringer Bruch anhielt, um sich zu erleichtern. Dort fand man auch am Tag nach seiner Ermordung seinen Wagen und Blutspuren, die von ihm stammten. Herr Manherrs Leiche wurde zwei Tage später in der Nähe eines Truckstopps bei Frechen gefunden. Da Herr Manherr nicht, wie vereinbart, bei seinem Kunden in Dormagen erschienen war, wohl aber kurz vor 16 Uhr das Geschäft in der Kölner Innenstadt verlassen hatte, ist davon auszugehen, dass seine Ermordung vor der Ermordung seines Kompagnons stattgefunden hatte. Ungeachtet dessen, ob sein Mörder seine Leiche nun sofort anschließend nach Frechen zu der Stelle verbrachte, wo man sie später fand, oder ob er erst in die Innenstadt gefahren ist, um Herrn Hack zu erschießen, muss er Manherrs Leiche in ein Fahrzeug verstaut haben. Es besteht kein Zweifel darüber, dass Herr Manherr bereits beim Zusammentreffen mit dem Täter am Worringer Bruch getötet worden ist, weil bis auf die tödliche Schusswunde in seinem Herzen keine anderen Verwundungen festgestellt wurden, die die Blutrückstände am Tatort erklären könnten.“

 

„Ja, ja“, reagierte Mühsam leicht gereizt, „das wissen wir ja alles schon. Mir ging es aber in erster Linie um den Golf des Herrn Hummel.“

„Der wurde natürlich sofort am Tag nach den Morden in die KTU verbracht. Spuren von Herrn Manherr darin konnten nicht nachgewiesen werden.“

„Hierzu hatte sich ja bereits die Staatsanwältin auf den Standpunkt gestellt, Herr Hummel habe die Leiche des Opfers sorgfältig in Plastik verpackt”, erinnerte sich der Richter. „Aber was wissen wir denn nun über den Verbleib des Golfs während der Tatzeiten?“

„Für gewöhnlich stellte Herr Hummel seinen Wagen wenige hunderte Meter von seiner Wohnung entfernt ab. Wir befragten die Bewohner der an dem Parkplatz umliegenden Häuser und erhielten drei unterschiedliche Antworten. Einige behaupteten, der Golf habe seit Tagen dort gestanden und sei nicht von der Stelle bewegt worden, andere glaubten, er habe nicht laufend dort gestanden, und wieder andere wussten es einfach nicht. Jedenfalls hat niemand eindeutig gesehen, dass Herr Hummel am Tattag in sein Auto gestiegen, weggefahren und später zurückgekehrt ist.“

„Und wie bewerten Sie normalerweise solche Aussagen?“, interessierte es den Richter.

„Wenn 90% der Befragten eine eindeutige Aussage machen und der Rest das Gegenteil behauptet oder es nicht genau zu wissen vorgibt, neigen wir dazu, der Mehrheit zu glauben. So, wie die Antworten ausfielen, konnten wir nur in Erwägung ziehen, dass Herr Hummel möglicherweise am Tattag sein Auto benutzt hatte.“

„Sie haben doch gewiss auch die Öffentlichkeit um Hinweise zu dem verdächtigen Fahrzeug gebeten”, nahm Mühsam an.

Harald lächelte gequält. „Das liegt auf der Hand, aber es liegt auch auf der Hand, dass es uns nicht erlaubt ist, die kompletten Kennzeichen eines Fahrzeugs preiszugeben. Der Golf des Angeklagten ist kein Unikat. Von der Sorte in der Farbe fahren hunderte durch die Stadt, und dementsprechend wollten auch viele Zeugen ein solches Auto zur passenden Zeit mal am Worringer Bruch, mal in der Nähe des Truckstopps und mal in der Nähe des Geschäfts der Herrn Manherr und Hack gesehen haben. Übrigens wusste keiner der Zeugen, jemals ein komplettes Kennzeichen des von ihnen beobachteten Fahrzeugs zu benennen, geschweige denn eine Beschreibung seines Fahrers zu geben, die auf Herrn Hummel zutrifft.“

Der Richter seufzte. „Herr Hummel, setzen Sie sich bitte zu Ihrem Anwalt. Und Sie Herr Steiner nehmen bitte im Zeugenstand Platz.“

Also doch, dachte Steiner.

„Herr Steiner, lediglich die Schüsse auf Walter Hack sind von Zeugen beobachtet und gehört worden. Mich interessiert nun exakt das, was die Zeugen gesehen haben wollen. Berichten Sie bitte.“

„Insgesamt gibt es acht direkte Zeugen dieser Tat. Man sah Herrn Hack aus dem Geschäft kommen. Er schloss die Tür ab und drehte sich um, wohl um zu seinem Auto zu gehen. Ein Mann trat vor ihm hin, zog eine Waffe, feuerte zwei Schüsse auf ihn ab und rannte davon.“

„Soweit, so gut. Mich interessiert das, was man über den Täter aussagte.“

„Er war etwa 1,75 bis 1,80 Meter groß, trug Bluejeans, braune Schuhe, und einen dunklen, vielleicht gar schwarzen Kapuzenanorak, dazu überlange Handschuhe. Niemand hat sein Gesicht oder seine Haupthaare gesehen. Bei der späteren Gegenüberstellung mit dem Verdächtigen glaubten die Zeugen, Herrn Hummel am ehesten als den Mörder wiederzuerkennen.“

„Am ehesten, Herr Hauptkommissar, was ist das, ‚am ehesten‘?“

„Körpergröße, Statur, Körperhaltung eben.“

„Ist das nicht reichlich subjektiv?“, fragte Ibrahim Mühsam vorwurfsvoll.

„Wir haben nur Fakten zusammengetragen. Für die Anklageerhebung sind wir nicht zuständig. Wenn Sie mich aber um meine persönliche Meinung fragen, ja, das ist subjektiv.“

„Haben Sie denn wenigstens entsprechende Kleidungsstücke bei Herrn Hummel sichern können?“

„Ja, das haben wir bis auf solche Handschuhe.“

Hier meinte sich Klaus Gehör verschaffen zu müssen. „Als ob ich der Einzige wäre, der Bluejeans und einen Kapuzenanorak im Schrank hängen hätte. Da wird es doch wohl noch tausende andere Männer meines Alters in dieser Stadt geben.“

„Sicher, Herr Hummel, aber ich habe Sie nicht um eine Stellungnahme gebeten”, rügte ihn der Vorsitzende. „Herr Steiner, Sie betonten soeben, dass Sie nicht für die Erhebung der Anklage verantwortlich sind. Aber warum, denken Sie, ist ausgerechnet gegen Herrn Hummel Anklage erhoben worden?“

„Da bin ich wohl nicht die richtige Stelle, diese Frage zu beantworten.“

„Ich könnte Frau Wimmer direkt fragen. Aber ich will Ihre Meinung hören.“

Harald schnaubte missmutig. „Die erste Frage, die sich uns bei einem scheinbar kalkulierten Mord aufdrängt, ist die Motivfrage. Die Firma Hack-Manherr hatte keine Schulden, es lagen keine Streitigkeiten mit Kunden oder Lieferanten vor. Die Angestellten waren äußerst zufrieden mit ihren Chefs. Die Nachfragen über die familiären Verhältnisse der beiden Firmeninhaber ergaben nicht die geringsten Unstimmigkeiten. Das Einzige, was bei den Vernehmungen der Angestellten zu Tage trat, war die Entlassung des Herrn Hummel wenige Wochen vor den Geschehnissen. Daraufhin fokussierten sich unsere Ermittlungen auf seine Person. Selbstverständlich haben wir uns auch mit den Alibis der nächsten Verwandten und der Mitarbeiter der Opfer befasst. Die erwiesen sich aber als wasserdicht. Nur Herr Hummels Alibi hinkte. So haben wir es der Staatsanwaltschaft weitergeleitet.“

„Sind Sie selber also gar nicht von Herrn Hummels Täterschaft überzeugt?“

„Ich halte sie nicht für erwiesen.“

„Herr Vorsitzender…“, versuchte sich die Wimmer Gehör zu verschaffen.

„Nein!“, rief ihr Mühsam brüsk und bestimmt zu. „Sie sind jetzt nicht gefragt.“ Er sah Steiner wieder an, während die Antonia Wimmer rot vor Scham anlief. Es war ihr noch nie passiert, dass ein Richter sie so abgekanzelt hatte. In der Regel lassen es die Richter zu, dass sich Staatsanwälte nach Herzenslust austoben können. Ein Unding, das sich aus Kaisers und Führers Zeiten hinübergerettet hat, aber durchaus üblich ist. Diesmal war es eben nicht üblich.

„Herr Hauptkommissar, nehmen wir einmal an, der Angeklagte hat keinen der Morde begangen, wer könnte denn dann die Taten ausgeführt haben?“

„Wäre nur einer von zwei Firmeninhabern umgebracht worden, könnte man auf ein sehr persönliches Motiv tippen. Bei beiden muss man ja schon zwangsläufig von einem Zusammenhang ausgehen, der mit dem Betrieb zu tun hat. Ein irrer Triebmörder kommt wohl kaum in Betracht. Ich muss hervorheben, dass die Stelle, an der Herr Manherr erschossen wurde, nur wenigen Leuten als jene bekannt war, wo er anzuhalten pflegte, um sich zu erleichtern. Einer davon war Herr Hummel, ein anderer war Herr Hack. Ansonsten haben wir niemanden auftreiben können, der darüber Bescheid wusste, was aber nichts bedeuten muss.“

„Wie erfuhren Sie denn davon, dass Herr Manherr diese Stelle am Worringer Bruch zum Austreten zu benutzen pflegte, wenn er zu seinem Kunden nach Dormagen fuhr?“

Steiner war über den Scharfsinn des Richters erstaunt. „Ludo Hack, der Bruder von Walter Hack hat das ausgesagt. Er habe das einmal beiläufig von seinem Bruder gehört.“

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