Читать книгу: «Immanuel Kant: Der Mann und das Werk», страница 13
Äußere Lebensweise
Kehren wir von diesem Exkurs zu des Philosophen äußerem Leben während der 60er Jahre zurück. Wie wir sahen, wählte er seinen Umgang am liebsten unter Nicht-Fachgenossen. Denn er haßte die Gelehrten-Pedanterie ebensosehr wie das Cliquenwesen, das sich so leicht in abgeschlossenen Berufskreisen bildet. Er hat sich auch Zeit seines Lebens nie an offizielle Gelehrte Gesellschaften, deren mehrere in Königsberg bestanden, oder an Geheimbünde, wie der Freimaurer-Orden, angeschlossen, obwohl eine Anzahl seiner nächsten Bekannten dazu gehörten. Er verkehrte vielmehr mit gebildeten Männern und Jünglingen der verschiedensten Stände. Auch darf man sich die äußere Lebensweise des Magisters Kant keineswegs so streng nach der Uhr geregelt vorstellen, wie die des späteren Professors. Nachdem er seine Vormittag-Vorlesungen beendet, ging er gern in ein Kaffeehaus, um eine Tasse Tee zu trinken, unterhielt sich dabei über die Ereignisse des Tages oder spielte sein beliebtes Billardspiel. Mittags speiste er in einem guten Gasthaus an offener Tafel, falls er nicht, was oft genug vorkam, von privater Seite zu Tisch geladen war; er vermied dabei alle gelehrte Unterhaltung. Auch die Abende verbrachte er damals noch häufig im Gasthaus oder in Privatgesellschaften in angenehmem Gespräch oder nicht ungern beim L'Hombre, das er, wie wir uns erinnern, schon von seiner Studentenzeit her gut spielte, und das er für eine nützliche Übung nicht bloß des Verstandes, sondern auch in der Selbstbeherrschung und zugleich als das "einzige sichere Mittel, den Kopf von angestrengtem Denken abzuziehen und zu beruhigen" erklärte. Später gab er es auf, weil ihm die Mitspieler zu langsam spielten und er auch die Unterhaltung und den Verkehr mit Männern wie Green jenem bloßem "Notbehelf" vorzog. Ja, der heute von vielen als rigoristisch verschriene Denker konnte sogar – und in gewissem Sinne gilt dies für ihn bis in sein Alter hinein – recht seßhaft und trinkfest sein! Abegg hörte 1798 in großer Abendgesellschaft zu Königsberg den Kriegsrat Deutsch in dieser Beziehung ein nettes Stückchen erzählen, das uns den großen Philosophen auch einmal mit einer menschlichen Schwäche behaftet zeigt: "Kant konnte (nach Tisch) bis abends 7—8 Uhr sitzen bleiben und unterhalten, wenn nur jemand bei ihm blieb. Er war überaus munter, trank gerne Wein, so wie unser einer, und erzählte gar lustig, wie er einmal — das Loch in die Magistergasse nicht haben finden können" [mit dem "Loch" war vermutlich einer der engen Zugänge in diese heute noch ziemlich gut erhaltene Gasse vom Pregel aus gemeint; da er sie in der ersten Hälfte der 60er Jahre bewohnte, so muß die kleine Extravaganz in diese Jahre fallen]. Auch dem Besuch von Konzert und Schauspiel – seit 1755 besaß Königsberg ein ständiges Theater – war er in jener Zeit noch nicht abhold: so dass er manchmal erst um die mitternächtige Stunde nach Hause kam, während er seinen Grundsatz regelmäßigen Frühaufstehens trotzdem durchführte.
Ausflüge; Freude an der Natur
Ebenso ist es ein Irrtum, anzunehmen, was in fast allen Darstellungen zu lesen steht, dass Kant so gut wie gar nicht aus den Toren Königsbergs hinausgekommen sei. Das trifft – ganz abgesehen von seinen Hauslehrerjahren, die ihn in zwei entgegengesetzte Ecken der Provinz verschneite – wenigstens für die Magisterzeit durchaus nicht zu. Schon die wenigen Zufallsnachrichten, die uns über diese an sich ziemlich unerheblichen Dinge erhalten sind, zeigen, dass Kant in seinen jüngeren Jahren jedenfalls kein grundsätzlicher Gegner des Reisens gewesen ist. Er hat sogar einmal vorgehabt, England zu besuchen, und Ruhnken und Wielkes laden ihn nach Holland ein (W. an Kant, 18. März 1771); Frau Jacobi rechnet auf seine Begleiterschaft von Berlin nach Königsberg. Und, wenn er auch zu diesen großen Reisen nicht gekommen ist, so ist doch, außer den kleineren Landreisen mit Göschen und Hippel und dem Besuch bei General von Lossow (1765) in dem ziemlich entfernten Goldap in Masuren, auch eine Reise mit Freund Motherby nach Braunsberg zu einer Familie von Schorn bezeugt, die wahrscheinlich in den Anfang der 70er Jahre fällt (v. Baczkos Selbstbiographie, Bd. II, S. 13). Falls vor 1772, so wäre der Philosoph sogar über die Grenzen des damaligen Ostpreußen hinausgekommen; denn Braunsberg liegt bekanntlich in dem bis 1772 noch polnischen Ermeland. Zudem muß man bedenken, welche Anforderungen an den Beutel und – die körperliche Leistungsfähigkeit für einen ohnedies schwächlichen Mann wie Kant eine weitere Reise in damaliger Zeit stellte. Besaß doch noch zwölf Jahre nach seinem Tode die ganze Provinz Preußen erst — eine Meile Chaussee. Die Folgen waren Staub im Sommer, Morast im Winter, tiefe Löcher, Baumstümpfe, Steine überall, infolgedessen steckenbleibende Postwagen usw. Noch im August 1811 spottete der Kant befreundete Dorow, als er mit der Fahrpost von Königsberg abreiste: der Generalpostmeister habe die Lederüberzüge über den Wagen offenbar nur deshalb angeordnet, damit "die Vorübergehenden nicht die Jammergesichter sehen sollten, welche die Mitreisenden über die durch den fürchterlichen Wagen ihnen zugefügten Torturen schnitten". Und wie sollte unseren Kant eine Reise nach Berlin reizen, wenn ihm der viel jüngere Freund und Schüler Marcus Herz nach seiner Ankunft von dort schrieb: "das ungewöhnliche Wachen, das fünftägige Fahren und die ununterbrochenen Erschütterungen, die man auf dem Postwagen empfindet", hätten ihn dermaßen angegriffen, dass er mehrere Tage langunfähig zu der kleinsten geistigen Anstrengung gewesen wäre (H. an Kant, 11. Sept. 1770).
In die nähere und weitere Umgebung Königsbergs dagegen hat er öfters Ausflüge unternommen. So besuchte er mit Green "etlichemal" die sogenannte "Störbude" und die "angenehmen Gegenden um Pillau" (Borowski). Unter der Störbude ist wahrscheinlich ein kleines Haus zu Alt-Pillau zu verstehen, in dem der Stör mariniert und sein Rogen zu "preußischem", bis nach England, Frankreich und Rußland ausgeführtem Kaviar verarbeitet wurde34; Kant hat sich vermutlich die Zubereitung an Ort und Stelle ansehen wollen. Der Stör, der sich übrigens – wie heute noch vereinzelte Möven – manchmal bis nach Königsberg verirrte, wurde bei Pillau in solcher Menge gefangen, dass schon Friedrich Wilhelm I. 1725 dem zur Stadt erhobenen bisherigen "Stördorf" Pillau den einträglichen Meeresbewohner als Wappentier gab. So hat Kant nicht bloß, wie in der Seen-landschaft bei Goldap und zum Teil auch bei Arnsdorf, ansehnliche, bis zu 270 Meter Höhe aufsteigende Hügel gesehen, sondern auch mehr als einmal das Meeresbrausen aus nächster Nähe vernommen, wenn er bei Pillau an den Dünen des Haffs oder der Ostsee gestanden hat und durch die dortigen anmutigen Waldungen gewandert oder gefahren ist. Einmal, als er die Rückfahrt nach Hause zu Schiffe durch das Haff machte – sie betrug bei gutem Wetter vier Stunden —, hat er sogar die Seekrankheit bekommen: wie er in seiner "Anthropologie" meint, "durch die Augen", indem er, aus dem Kajütenfenster sehend, bei dem Schwanken des Schiffs selbst bei gelindem Winde bald den Himmel, bald die See bzw. die Uferhöhen mit der alten Burgruine Balga "in die Augen bekam"; wodurch dann nach seiner Ansicht Magen und Eingeweide zu einer "antiperistaltischen" Bewegung von unten nach oben gereizt wurden.
Im allgemeinen zog er wohl dem erhabenen Anblick des wogenden Meeres den idyllischen von Wald, Wiese und kleineren Flußtälern vor. So erzählte er noch in seinen letzten Jahren seinem treuen Pfleger Wasianski "mit fast poetischer Malerei, die er sonst in seinen Erzählungen vermied", gern von der Zeit, die er öfters auf Wohnsdorf, dem Rittergute der Familie von Schroetter, bei Friedland an der Alle zugebracht hatte; wie sie dann, er mit seinem Gastherrn und dem General von Lossow, an schönen Sommervormittagen in einer noch heute dort als Kantlaube gezeigten Gartenlaube an dem hohen Ufer des Flüßchens bei Kaffee und Tabak gesessen hätten. Man sieht: er war mit wenigem zufrieden. Er fühlte sich dort besonders wohl, weil er da ganz wie zu Hause, nach eigenem Gefallen leben konnte, und so war dies das einzige Haus in weiterer Entfernung von Königsberg, das er "sehr oft" und "auf mehrere Tage", anscheinend auch noch in seinen späteren Jahren, besuchte. In der Nähe der Stadt dagegen lag sein vielleicht liebster Aufenthaltsort überhaupt: das etwa eine Meile nördlich von Königsberg entfernte Forsthaus Moditten, mitten im Walde gelegen, der sich auf dieser Seite damals noch bis vor die Tore der Stadt hinzog. Im Forsthause selbst wohnte Kants Freund, der Oberförster Wobser, gleich den meisten seiner Berufsgenossen ein Mann von großer Natürlichkeit, gesundem Verstand und wackerem Herzen. Bei ihm hielt sich Kant während der Universitätsferien öfters sogar, was bei ihm viel heißen wollte, länger als eine Woche auf. Dort, in der Stüle des Waldes, schrieb er 1764 seine dem größeren Publikum damals wohl bekannteste Schrift, die allgemeinverständlichen und geistreichen 'Beobachtungen über das Gefühl des Schönen und Erhabenen'. Hier konnte er unter "hohen Eichen und einsamen Schatten" sogar schwärmen von der "ruhigen Stüle eines Sommerabends", wenn "das zitternde liebt der Sterne durch die braunen Schatten der Nacht hindurchbricht und der einsame Mond im Gesichtskreise steht" und ihn "allmählich in hohe Empfindungen zog von Freundschaft, von Verachtung der Welt, von Ewigkeit". So hat auch der für nüchtern geltende Kant der Zeit des Gefühls und der Empfindsamkeit seinen Tribut bezahlt. Noch heute zeigt man dem Besucher die Giebelstube des jetzt in eine ländliche Restauration umgewandelten Forsthauses, in welcher der Philosoph gewohnt, die alte Linde, in deren Hochsitz er gesessen, unter deren Schatten er seine Schrift geschrieben haben soll. Nicht weit davon hat man eine schöne Aussicht über das Pregeltal bis zu dem fernen Haffe hin. Der wackere Wobser aber, der lange vor ihm starb, blieb ihm so unvergeßlich, dass er bei der Erinnerung an ihn noch in seinen letzten Lebensjahren warm und lebhaft werden konnte.
Endlich zog Kant auch die begabtesten unter seinen Zuhörern zu gelegentlichem Verkehr mit sich heran, öfters geschah es in diesen seinen jüngeren Jahren, dass er nach dem letzten Vormittagskolleg einen oder zwei Studiosen zu einem gemeinsamen kleinen Spaziergang aufforderte. Von seinem Verhältnis zu einzelnen, wie Herder, wird noch besonders zu reden sein. Und er muß bei der Studentenschaft nicht bloß als geistvoller Lehrer, sondern auch als Kenner feinerer Sitte geschätzt gewesen sein; gerade er sollte, wie Hamann im April 1764 an Lindner schreibt, bei dem Leichenbegängnis des von den Studierenden ebenfalls sehr geschätzten Professors der Rechte Dr. Funk "das Gepränge veranstalten". Ob er infolge aller dieser im Vorigen geschilderten geselligen Beziehungen zeitweise wirklich "durch einen Strudel gesellschaftlicher Zerstreuungen fortgerissen" war, wie der nämliche, seinerseits freilich ganz abseits vom Strome der Königsbeiger Geselligkeit lebende Hamann, phantasiereich wie immer, behauptet, wollen wir dahingestellt sein lassen. Spricht dieser doch in dem gleichen Briefe (vom 1. Februar 1764) von den zahlreichen schriftstellerischen Arbeiten und Plänen, die der "kleine Magister" damals in seinem Kopfe trug, und die er, wie wir bald sehen werden, zum größten Teil auch ausgeführt hat; und entfaltete der nämliche fleißige Magister doch gerade in den 60er Jahren eine besonders reiche Vorlesungstätigkeit. Immerhin, wenn man bloß nach der Außenseite urteilte, wenn man sah, wie er, alle Pedanterie und alle Gelehrtenzopfigkeit verachtend, gern und gewandt sich in allen Kreisen bewegte, mochte man ihn wohl den "galanten" Magister nennen. Dass jedoch hinter dieser weltmännischen Außenseite sich, den meisten verborgen, eine reiche und tiefgehende innere Entwicklung vollzog, werden wir jetzt sehen.
Drittes Kapitel.
Geistige Entwicklung der 60er Jahre
Rousseau und Hume
Vorlesungen
Wir werfen zunächst einen Blick auf seine Vorlesungstätigkeit während dieser Zeit. Schon quantitativ stellt sie eine ganz bedeutende Leistung dar. Es hat wohl selten einen fleißigeren Privatdozenten gegeben als Magister Kant. Für das Sommersemester 1761 z. B. kündigte er nicht weniger als sechs Kollegia auf einmal an: von 8—9 Logik, von 9—10 Mechanik, 10—11 Physik, 11—12 Metaphysik (diese vierstündig); nachmittags von 2—3 Physische Geographie (sechsstündig), von 3—4 Arithmetik, Geometrie und Trigonometrie, dazu Mittwoch und Sonnabend von 8—9 noch ein "Disputatorium", das er schon 1758 eingeführt, in dem "die in den vorigen Tagen abgehandelten Sätze polemisch betrachtet" werden sollten; "welches meiner Meinung nach eines der vorzüglichsten Mittel ist, zu gründlichen Einsichten zu gelangen". Ja, außerdem erbot er sich noch, auch die übrigen Mittwoch- und Samstagstunden gratis "Wiederholungen und Lösung von Zweifeln" widmen zu wollen. Und wenn auch nicht alle diese Vorlesungen zustande gekommen sein sollten, so hat doch die Durchschnittszahl während seiner Magisterjahre nicht unter 16 Wochenstunden betragen. Die wohl mit Rücksicht auf die schlechte Vorbildung seiner Zuhörer ziemlich elementar gehaltenen mathematischen Kurse gab er allerdings seit 1763 auf; dafür kamen aber seit 1767 Naturrecht und "Enzyklopädie der ganzen Philosophie nebst einer kurzgefaßten Geschichte derselben" (für Anfänger und Nichtphilosophen) hinzu. Metaphysik las er 1766/67 sechs- bis achtstündig, ebenso anscheinend im folgenden Winter. Und dabei strengte er sich auch körperlich an. Während andere Königsberger Professoren "vom Morgen bis Abend saßen und ihren Mund bewegten, ohne dass sie über ihre Leibesbeschaffenheiten zu klagen hatten", trug Kant "mit vieler Anstrengung" vor (Marcus Herz an Kant, 11. September 1770). Er wollte eben keine Kompendien ableiern, sondern Eigenes geben, wollte, wie er in der für das Verständnis seiner Lehrweise äußerst wichtigen 'Nachricht von der Einrichtung seiner Vorlesungen in dem Winterhalbjahre 1765/66' erklärt, nicht eine fertige Philosophie eintrichtern, sondern philosophieren lehren.
Der junge Herder
Dafür erntete er denn auch die Begeisterung aller begabten Köpfe und des Enthusiasmus fähigen Gemüter unter seinen Hörern. So erzählte der spätere Kriminalrat Jensen noch nach 30 Jahren Abegg, wie interessant Kant in seinen Vorlesungen gewesen sei. Er sei wie in einer Begeisterung aufgetreten und habe dann gesagt: Da und da sind wir stehen geblieben. Die Hauptidee habe er sich so tief und lebendig eingeprägt, dass er nur nach derselben und in derselben die ganze Stunde lebte und oft auf das Kompendium, worüber er las, wenig Rücksicht nahm. Der berühmteste seiner Hörer wurde der junge Herder, der nach einer trüben, in seinem Heimatstädtchen Mohrungen verlebten Jugend mit 18 Jahren nach Königsberg kam, um alsbald ein begeisterter Verehrer Magister Kants zu werden. Gleich die erste Vorlesung, in der dieser seine freieren religiösen Ansichten durchblicken ließ, machte mächtigen Eindruck auf ihn. Seine glühende Begeisterung machte sich in enthusiastischen Versen Luft, die man in seinem Nachlaß gefunden hat: "Als ich in Sklavenketten lag, da kam Apoll – die Fessel weg! mein Erdenblick ward hoch – Er gab mir Kant!" Und ähnlich zwei Jahre später: "Die Fessel weg – so sprach Apoll," er schwingt den "neuen Hut der Freiheit" und – "hörte Kant". Dieser ließ den begabten, aber armen Studenten, der sich sein Brot durch Unterricht am Fridericianum verdienen mußte und deshalb nur wenig Zeit zum Collegienhören hatte, wie er in solchen Fällen gern tat, unentgeltlich an allen seinen Vorlesungen teilnehmen. So hörte Herder in den vier Semestern 1762—1764 bei ihm Logik, Metaphysik, Mathematik, Moral und – mit besonderem Wohlgefallen – Physische Geographie. "Mit gespannter Aufmerksamkeit", teilte nach Herders Tode dessen Jugendfreund und Mithörer, der Kriegsrat Bock, der Witwe mit, "faßte er jede Idee, jedes Wort des großen Philosophen auf und ordnete zu Hause Gedanken und Ausdruck … Einst in einer heiteren Frühstunde, wo Kant mit vorzüglicher Geisteserhebung und, wenn die Materie die Hand bot, wohl gar mit poetischer Begeisterung zu sprechen und aus seinen Lieblingsdichtem Pope und Haller Stellen anzuführen pflegte, war es, wo der geistvolle Mann sich über Zeit und Ewigkeit mit seinen kühnen Hypothesen ergoß. Herder wurde sichtbarlich und so mächtig davon betroffen, dass, als er nach Hause kam, er die Ideen seines Lehrers in Verse kleidete, die Hallern Ehre gemacht hätten. Kant, dem er sie am folgenden Morgen vor Eröffnung der Stunde überreichte, war ebenso betroffen von der meisterhaften poetischen Darstellung seiner Gedanken und las sie mit lobpreisendem Feuer im Auditorium vor." Ein ebenso schönes Zeugnis für den Meister wie für den Schüler!
Dass der erstere, trotz der ihm entgegengebrachten glühenden Verehrung des Jünglings, für dessen Mängel nicht blind war, zeigt die Überlieferung, dass der Philosoph nach der Lektüre eines Herderschen Karfreitag-Gedichtes in der Königsberger Zeitung äußerte: "Wenn das brausende Genie wird abgegoren haben, wird er gewiß mit seinen großen Talenten ein nützlicher Mann werden." Die weitere Entwicklung des Verhältnisses zwischen beiden wird uns noch beschäftigen. In der Königsberger Periode Herders und der ihr zunächst liegenden Zeit finden sich jedenfalls "bewußte und unbewußte Reminiszenzen an des Lehrers gedruckte oder ungedruckte Worte zerstreut überall in den Stücken aus Herders Feder", wie "Herders Lebensbild" (von seinem Sohne, Erlangen 1846—1848) zusammenfassend bemerkt; "ja alles, was er von Philosophie besaß, trug im Grunde mehr oder weniger dessen Stempel." Auch zu seiner damaligen Rousseau-Begeisterung war er durch Kant geführt worden, desgleichen zu Hume. Kant hatte ihn "in die Rousseauiana und Humiana gleichsam eingeweiht, aber zugleich auch durch die Metaphysik darüber erhoben", wie er wenige Jahre später an Scheffner schreibt (4. Okt. 1766). Und in seinem 'Journal meiner Reise im Jahre 1769' ruft er, indem er seine radikalen Reformpläne in bezug auf den Philosophie-Unterricht entwickelt, begeistert aus: "Ein lebendiger Unterricht darüber im Geiste eines Kants, was für himmlische Stunden!"
So können wir es wohl begreifen, dass er noch nach drei Jahrzehnten, als sich längst seine Bahnen von denen des kritischen Philosophen getrennt hatten, in seinen Briefen zur Beförderung der Humanität (1795) die berühmte dankbare Charakteristik des einstigen Lehrers niederschrieb, die wir im Wortlaut wiedergeben müssen, weil sie am anschaulichsten und zusammenfassendsten die äußere Erscheinung wie die Lehrweise des Magisters Kant schildert: "Ich habe das Glück genossen, einen Philosophen zu kennen, der mein Lehrer war. Er, in seinen blühendsten Jahren, hatte die fröhliche Munterkeit eines Jünglings, die, wie ich glaube, ihn auch in sein greisestes Alter begleitet. Seine offene, zum Denken gebaute Stirn war ein Sitz unzerstörbarer Heiterkeit und Freude; die gedankenreichste Rede floß von seinen Lippen; Scherz und Witz und Laune standen ihm zu Gebot, und sein lehrender Vortrag war der unterhaltendste Umgang. Mit ebendem Geist, mit dem er Leibniz, Wolf, Baumgarten, Crusius, Hume prüfte und die Naturgesetze Keplers, Newtons, der Physiker verfolgte, nahm er auch die damals erscheinenden Schriften Rousseaus, seinen Emil und seine Heloise, sowie jede ihm bekannt gewordene Naturentdeckung auf, würdigte sie und kam immer zurück auf unbefangene Kenntnis der Natur und auf moralischen Wert des Menschen. Menschen-, Völker-, Naturgeschichte, Naturlehre, Mathematik und Erfahrung waren die Quellen, aus denen er seinen Vortrag und Umgang belebte, nichts Wissenswürdiges war ihm gleichgültig; keine Kabale, keine Sekte, kein Vorteil, kein Namensehrgeiz hatte je für ihn den mindesten Reiz gegen die Erweiterung und Aufhellung der Wahrheit. Er munterte auf und zwang angenehm zum Selbst denken; Despotismus war seinem Gemüte fremd. Dieser Mann, den ich mit größester Dankbarkeit und Hochachtung nenne, ist Immanuel Kant; sein Bild steht angenehm vor mir."35 So steht der damalige Dozent Kant in der Tat beinahe noch größer als der Schriftsteller da.
Herder hat uns soeben die Namen derjenigen Denker genannt, die Kants lebhaften Geist damals am stärksten beschäftigten. Von Newton und den Physikern haben wir schon im ersten Kapitel dieses Buches gesprochen. Dass er sich mit den Urhebern und Häuptern der eben damals erst ihren Glanz verlierenden deutschen Philosophenschule, den Leibniz und Wolff, und den selbständigeren unter ihren Nachfolgern, Baumgarten und Crusius, in seinem Metaphysik-Colleg auseinandersetzte, war selbstverständlich. Die neuen Namen aber, die uns schon wiederholt begegnet sind, lauten: Rousseau und Hume.
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