Weihnacht von Karl May

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Weihnacht von Karl May
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Karl May

Weihnacht von Karl May

5 historische Kapitel auf über 200 Seiten

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Inhaltsverzeichnis

Titel

Weihnacht von Karl May

Einleitung

Der Prayer-man - Kapitel 1

Der Prayer-man - Kapitel 2

Der Prayer-man - Kapitel 3

Old Jumble - Kapitel 1

Old Jumble - Kapitel 2

»Sti-i-poka« - Kapitel 1

»Sti-i-poka« - Kapitel 2

Im Schnee - Kapitel 1

Im Schnee - Kapitel 2

Im Schnee - Kapitel 3

Impressum neobooks

Weihnacht von Karl May

Inhalt:

• Einleitung

• Der Prayer-man

• Old Jumble

• »Sti-i-poka«

• Im Schnee

Einleitung

Weihnacht!

Welch ein liebes, liebes, inhaltsreiches Wort! Ich behaupte, daß es im Sprachschatze aller

Völker und aller Zeiten ein zweites Wort von der ebenso tiefen wie beseligenden Bedeutung

dieses einen weder je gegeben hat noch heute giebt. Dem gläubigen Christen ist es der

Inbegriff der heißersehnten Erfüllung langen Hoffens auf die Erlösung aller Kreatur, und auch

für den Zweifler bedeutet es eine alljährlich wiederkehrende Zeit allgemeiner Festlichkeit, der

Familienfreude und der strahlenden Kinderaugen. Jenem leuchtet in der tiefsten Tiefe seines

Herzens der Wahrspruch »Jesus Christus gestern und heut und derselbe in alle Ewigkeit!« und

dieser stimmt wohl unwillkürlich auch mit ein oder läßt wenigstens seine Kinder einstimmen

in den Frohgesang

»Welt ging verloren,

Christus ward geboren;

Freue dich, o Christenheit!«

Unter Palmen ging der längst erwartete Zweig Isais, des Bethlehemiten, auf, und über

Bethlehem strahlte der Stern, welcher die Weisen aus dem Morgenlande zu der

Weihnachtskrippe leitete. »Ehre sei Gott in der Höhe!« sangen die himmlischen Heerscharen

über diese Stadt, von welcher ein Strahl des Lichtes ausgangen ist, der alle Welt erleuchten

und beglücken soll. »Friede auf Erden!« erklang es nach dem himmlischen Gloria, und der

Friede, dessen Sinnbild noch heut die Palmen sind, hat sich von dorther ausgebreitet über alle

Länder und in alle Herzen, welche seinem Einzuge offen standen. Und wo im Norden keine

Palmen wehen, da haben ihre Wedel sich in Tannenzweige verwandelt, welche Sterne und

Lichter tragen in der schönen seligen Zeit, welcher die Worte des Propheten gelten: »Mache

dich auf, und werde Licht, denn dein Licht kommt, und die Herrlichkeit des Herrn geht über

dir auf!« Da glänzt der Weihnachtsbaum im Palaste und in der Hütte; da schallen

Glockenklänge, um die Geburt des Erlösers zu verkünden, durch die stille Nacht, und von

allen Kanzeln und Altären, von Mund zu Mund erklingt der Engelsruf: »Siehe, ich verkündige

Euch große Freude, die allen Nationen widerfahren wird, denn Euch ist heute der Heiland

geboren, welcher ist Christus, der Herr in der Davidsstadt!«

Zwei Bibelworte sind es vorzugsweise, welche, als ich noch ein kleiner Knabe war, aus dem

Munde der alten, frommen Großmutter einen tiefen, unauslöschlichen Eindruck auf mich

machten. Lag es an der Erzählerin oder an dem Inhalte dieser Worte selbst, ich weiß es nicht,

aber Thatsache ist, daß diese Verse noch heut zu meinen Lieblingsbibelsprüchen zählen. Der

eine Spruch lautet Hiob 19,25: »Ich weiß, daß mein Erlöser lebt, und er wird mich aus dem

Grabe auferwecken«, und der zweite ist eben die Verkündigung des Engels: »Siehe, ich

verkündige Euch große Freude – – denn Euch ist heute der Heiland geboren – –«. Der

Eindruck dieser Stellen auf mich war ein solcher, daß ich – in noch ganz unreifem Alter –

beide komponiert und über die zweite auch noch ein Gedicht – fast möchte ich sagen,

verbrochen habe.

Daß ich dies hier nicht etwa erwähne, um mich zu brüsten, habe ich durch die Altersangabe

und das Wort »verbrochen« bewiesen, vielmehr werden meine lieben Leserinnen und Leser

bald bemerken, daß diese Erwähnung einen ganz andern und zwar bessern Zweck verfolgt.

Einstweilen sei nur gesagt, daß die Worte »Ich verkündige Euch große Freude« mir damals

auch in ganz besonderer Beziehung zu einer wahren Weihnachtsbotschaft wurden.

Ich, der ärmste unter den Schülern meiner Klasse, liebte die Musik glühend und nahm außer

dem gewöhnlichen Unterrichte noch Privatstunden in der Harmonielehre u.s.w., was mich auf

trockenes Brot setzte, denn ich ernährte mich durch Unterrichtgeben à Stunde 50 Pfennige

und mußte also die Stunde Harmonielehre zu einem Thaler mit sechs Stunden meiner

Privatzeit bezahlen. Das that ich aber gern, und der Hunger von damals hat mir bis heute noch

nichts geschadet.

In der Theorie – nicht etwa praktischen Komposition – bei der Motette angelangt, setzte ich

mich eines Tages mit der nur durch meine Jugend zu entschuldigenden Idee hin, über das

Lieblingsthema »Ich verkündige Euch große Freude« eine Weihnachtsmotette zu

komponieren. Wie gedacht, so gethan! Das opus operatum sollte freilich tiefes Geheimnis

bleiben, war aber schon bald nach seiner Vollendung aus meinem Kasten verschwunden.

Später erfuhr ich, daß ein mir übelwollender Mitschüler es mir wegstibitzt und, um mich zu

blamieren, es meinem Lehrer, einem alten, braven Kantor, durch die Post zugeschickt hatte.

Ich suchte lange nach dem verlorenen Heiligtume und gab es endlich auf, es jemals

wiederzufinden.

Wie nun selten ein Unglück allein kommt – und das eigenmächtige Überschreiten der einem

Schüler gezogenen geistigen Grenzen kann leicht zum Unglück für ihn werden –, kam mir

grad zu jener Zeit ein Unterhaltungsblatt zu Gesicht, in welchem eine Konkurrenz, ein

Weihnachtsgedicht betreffend, mit drei Preisen zu 30, 20 und zehn Thalern ausgeschrieben

wurde. Mein Lieblingsthema, meine Armut und wer weiß was sonst noch für gute oder nicht

gute Gründe, »drückten mir«, wie berufene Dichter zu sagen pflegen, »Die Feder in die

Hand«; ich setzte mich abermals hin und brachte ein Gedicht von 32, schreibe und sage mit

Worten: zweiunddreißig vierzeiligen Strophen zu Papier. Es ist jedermann, besonders aber

jedem Redakteur bekannt, daß ein Gedicht, je länger es ist, desto leichter in den Papierkorb

wandert, und auch ich wußte wenigstens, daß der Wert eines Poems nicht mit seiner Länge zu

wachsen pflegt; aber nach der Disposition, die ihm zu Grunde lag, hatte es eben nicht kürzer

werden können; im Gegenteile, wenn ich alle Gedanken, die mir gekommen waren,

niedergeschrieben hätte, wären es wohl tausend Zeilen geworden. Ich fertigte also das

verlangte Motto an, steckte dieses mit dem Gedichte in ein Couvert für 3 Pfennige, siegelte es

mit für 5 Pfennige Rotlack zu, klebte mein letztes Geld in Gestalt von Briefmarken in die

Ecke rechts über der Adresse der Redaktion und trug den Brief in höchst feierlicher

Stimmung bis zur übernächsten Straße, wo der Briefkasten hing. Als er mit hohlem Geräusch

hineingefallen war, sah ich den Kasten noch lange an. Er kam mir jetzt ganz anders vor, als er

früher ausgesehen hatte. Das war aber auch sehr leicht zu erklären, denn zweiunddreißig

Strophen auf einmal zu verschlingen, das hatte wohl noch kein vernünftiger Mensch von ihm

verlangt.

Aber auch mit mir ging eine Veränderung vor. Wer mich beobachtete, der mußte unbedingt

bemerken, daß ich ein schlechtes Gewissen hatte. Meine Haltung kam mir unmännlich und

mein Gang schlottrig vor; die Augen verloren ihre bisher nach vorn gerichtete Direktion und

begannen, sich vorzugsweise und verstohlen bald nach rechts und bald nach links zu richten,

ob mir die zweiunddreißig Strophen vielleicht anzusehen seien. Kein Brot, selbst das ganz

trockene, wollte mir mehr schmecken; der Schlaf streikte, und wenn er seine Pflicht einmal

that, so träumte ich von allerlei Ungeheuerlichkeiten, z.B. von einem großen Briefkasten,

welcher in Gestalt einer blauen Riesenkröte auf mein Bett gekrochen kam und mich so lange

drückte, bis ich mit einem Schrei erwachte.

Meine Arbeiten fertigte ich mit derselben Gewissenhaftigkeit wie vorher, aber sie wurden mir

schwerer als früher; meine roten Wangen wurden blaß; ich magerte ab und wurde wortkarg

wie eine Stimmgabel, die auch nur dann erklingt, wenn man ihr einen Stoß versetzt. Es war

 

eine schwere, eine schlimme Zeit! Und sie dauerte übermäßig lang. Ende Juli hatte ich dem

Briefkasten mein Schicksal vorzeitig anvertraut, denn die »Galgenfrist« ging erst am ersten

Oktober zu Ende, und am ersten November sollte die Entscheidung fallen. Wenn ich doch

meine »Zweiunddreißig« wieder hätte; ich wollte nicht nur auf jeden, selbst den dritten Preis

verzichten, sondern das heilige Versprechen ablegen, nie wieder einen Reim zu schreiben!

Das war viel, sehr viel gesagt, weil Reime mir nicht die geringste Schwierigkeit bereiten und

mir auch der dritte Preis, zehn harte, blanke Thaler, als ein kleiner Schatz erschienen wäre.

Daß mir nichts beschieden sei, also eines negativen Erfolges, war ich vollständig überzeugt,

aber diese Angelegenheit konnte auch eine positive und zwar sehr unangenehme Wirkung für

mich haben. Ich konnte nämlich den Gedanken nicht los werden, daß die »löbliche«

Redaktion mein Gedicht nicht an mich zurücksenden, sondern es mit einigen besondern

Randbemerkungen unserem strengen »Alten« zur Nachachtung zustellen werde. Wer

Gymnasiast entweder war oder noch ist, der weiß, wen ich mit diesem »Alten« meine, und

wird mein heimliches Grauen zwar nicht ermessen und nachfühlen aber doch wenigstens

ahnen können. Seiner gestrengen hatte mir zwar immer wohlgewollt und manche Härten

meiner Lage zu mildern gesucht; er ließ mich sogar seinem Sohne wöchentlich zwei Stunden

Nachhilfsunterricht erteilen, wofür ich Sonnabends in der Küche Reis mit Rindfleisch bekam

und dann als Nachgenuß der Lieblingskatze seiner Frau den Rücken krabbeln durfte; aber

falls die »Löbliche« meine Befürchtung zur Wahrheit werden ließ, so war für nichts mehr,

weder für den Reis noch für die Katze einzustehen!

So also türmten sich die Wetterwolken immer schwärzer und drohender über mir zusammen,

und als der erste November kam, war er, wie ich heut noch weiß, ein zwar kalter aber

sonniger Herbsttag, in meinem Innern aber schneite es schwere, große Flocken, nicht hellen

Schnee, sondern es war ein ganz anderer und viel dunklerer Stoff. Nun konnte ich die Tage,

nein, die Stunden zählen; sie wurden mir zu Ewigkeiten; aber irdische Ewigkeiten gehen

vorüber, diese also auch. Und nun kommt es – – – es ist da; das fürchterliche Verhängnis

nämlich!

Es war am sechsten November, nach der letzten Vormittagsstunde, als ich zum »Alten«

gerufen wurde. Zwei Treppen hinauf, jede zwanzig Stufen, auf jede zwanzig Schläge meines

Herzens, macht in Summa achthundert; weniger sind es wahrscheinlich nicht gewesen. Ich

klopfte an, trat ein und – – sah nichts, weil meine Augen nebelten. Es vergingen einige

Augenblicke; der Nebel teilte sich, und ich sah den Gewaltigen mit Augen, als ob er mich

durchbohren wolle, vor mir stehen.

»May!« erklang es in seinem tiefsten Baß.

Ich verbeugte mich. Was ich für ein Gesicht gemacht habe, das weiß ich nicht, denn nur er hat

es gesehen und mir nichts darüber angedeutet.

»May!!«

Ich verbeugte mich wieder.

»May!!!«

Dritte Verbeugung; aber nun war ich entschlossen, mich nicht mehr zu bücken.

»Sie – – sind – – ja – – ein – – ganz – –«

Ich sah ihn so scharf an, daß er innehielt; beleidigen wollte ich mich auf keinen Fall lassen.

Da lachte er und fuhr in einem ganz andern Tone fort:

»Geht mich eigentlich nichts an, ganz und gar nichts; ist nur Ihre Privatsache, wenn Sie sich

mit Blamagen herumriskieren. Warum auch nicht? Sie sprechen ja stundenlang in

Knüppelversen, und Ihr Deutsch – – hm! Aber Sie hätten es mir doch wenigstens vorher zur

Durchsicht geben können!«

»Das Gedicht?« fragte ich.

»Natürlich! Ich hätte die Fehler angestrichen, die noch drinstecken und von dem Redakteur

gar nicht bemerkt worden sind. So ein Mensch weiß ja gar nicht, was zu einem guten Gedicht

gehört; woher sollte er es auch wissen?! Kuh – Muskate – –!«

»Es ist also zurückgeschickt worden?«

»Ja, im Probedruck, so was man Korrektur oder Revision nennt. Dabei ein Brief, nicht an Sie,

sondern an mich. Sie bekommen ihn natürlich nicht zu lesen – – fällt mir gar nicht ein! Ich

werde antworten, daß zwar Ihr Name, aber sonst weiter gar nichts unter das Gedicht gesetzt

werden darf; Sie verfallen sonst dem Tintenteufel, der der schlimmste von allen Teufeln ist.

Haben mehr zu thun, als Gedichte zu machen! Junges Bürschchen!«

Ich holte tief, tief Atem. Also meine Zweiunddreißig waren angenommen worden! Dritter

Preis zehn Thaler – – –! Mir wollte es wieder vor den Augen nebeln! Da fuhr er fort:

»Was ich sagen wollte: Werde Ihnen die Nachhilfsstunden von jetzt an bar bezahlen, zweimal

fünf, also zehn Groschen. Den Sonnabendstisch behalten Sie trotzdem. Werde Sie wegen

Ihrer Kühnheit und dem Gedichte später noch extra vornehmen; habe jetzt keine Zeit; muß zu

Tische gehen. Hier ist das Geld. Nun gehen Sie!«

Er gab mir ein Couvert in die Hand. Ich bedankte mich mit vor Aufregung heiserer Stimme

und schoß zur Thür hinaus, nachdem ich eine ganz besonders tiefe Verbeugung gemacht

hatte, der ich doch vorhin fest entschlossen gewesen war, keine mehr zu machen.

Wie ich die Treppe hinunter und dann in meine »Bude« gekommen bin, das weiß ich selbst

heut noch nicht. Ich öffnete das Couvert. Was war darin? Ein kurzes Schreiben der Redaktion

– – drei Zehnthalernoten! Die schreckliche, große, blaue Kröte hatte, wie jede Kröte im

Märchen, Geld für mich bedeutet – – nicht den dritten, sondern den ersten Preis.

Was ich that, als ich wieder ruhig geworden war? Die Antwort ist nicht nötig! Ich habe weder

in guten noch in schlimmen Lagen jemals vergessen, daß das Gebet eine heilige Pflicht ist

und Erleichterung bringt.

Und wie es – wenigstens dem Sprichworte nach – mit dem Unglücke ist, so ist's auch mit dem

Glücke; es kommt niemals allein. Als ich am Nachmittag zum Unterricht bei meinem alten

Kantor erschien, zeigte er sich außerordentlich aufgeräumt. Er war zwar stets ein lieber, alter,

munterer Herr, heut aber zeigte er sich besonders heiter und gesprächig und ließ einige

Andeutungen über »gute Arbeit« und »Buchhändlergeld« fallen, so daß ich mir im stillen

sagte, daß er mit dem »Alten« über meinen Glücksfall gesprochen haben müsse. Als ich nach

der Stunde, wie ich gewöhnlich that, denn ich borgte nie, den Thaler auf die gewohnte Stelle

legte, sagte er:

»Ist nicht nötig, lieber May! Sie können Ihren sauer verdienten Thaler behalten.«

»Dieser hier ist nicht sauer verdient, Herr Kantor.«

»Nicht? Wieso? Vielleicht ein Geschenk?«

»Nein, kein Geschenk. Er ist verdient, aber nicht sauer. Ich habe dreißig Stück bekommen;

das wissen Sie doch!«

Er sah mich erstaunt an und fragte:

»Dreißig Stück, dreißig Thaler! Sie Krösus, Sie! Und ich soll es wissen? Keinen Laut, keine

Note, keine halbe, keine Sechzehntelnote habe ich davon gehört!«

»Aber Sie haben doch vorhin davon gesprochen!«

»Ich? Nicht daß ich wüßte!«

»Sie sprachen von Buchhändlergeld!«

»Ja, das habe ich freilich gethan; aber das ist etwas, wovon Sie noch gar nichts wissen. Was

hat es denn für eine Bewandtnis mit Ihren dreißig Thalern? Oder dürfen Sie es nicht

erzählen?«

»Natürlich darf ich es! Und grad Sie, Herr Kantor, sind der, dem ich es am liebsten erzähle!«

Er lief, indem ich es that, ganz aufgeregt in seinem kleinen Zimmer hin und her und rief, als

ich zu Ende war:

»Dreißig Thaler, dreißig schwere Thaler für ein Gedicht, für – – wieviel Strophen hat es?«

»Zweiunddreißig vierzeilige.«

»Auch noch bloß vierzeilige! Das macht achtundzwanzig Groschen pro Strophe und sieben

Groschen für jede Zeile, für jeden Vers! Dazu die Ehre, den ersten Preis errungen zu haben!

Und ich habe Wunder gedacht, was ich da – – – na warten Sie noch! Haben Sie Ihr Gedicht

im Kopfe?«

»Ja.«

»Her damit! Ich will auch einmal ein Preisgedicht für dreißig Thaler hören!«

Während er immer noch lebhaft hin und her wanderte, stellte ich mich in die einzige freie

Ecke und deklamierte:

»Ich verkünde große Freude,

Die Euch widerfahren ist,

Denn geboren wurde heute

Euer Heiland Jesus Christ!

Jubelnd tönt es durch die Sphären,

Sonnen künden's jedem Stern;

Weihrauch duftet auf Altären,

Beter knieen nah und fern.

Horch, da schallt vom nahen Dome

Feierlich der Glocken Klang,

Und im majestätschen Strome

Schwingt sich auf der Chorgesang:

›Herr, nun lässest du in Frieden

Deinen Diener zu dir sehn,

Denn sein Auge hat hienieden

Deinen Heiland noch gesehn!‹ – –«

»Halt, halt!« unterbrach er mich da eifrig. »Das Gedicht scheint ja gut, ganz gut zu sein, aber

zweiunddreißig Strophen, das ist mir zu lang, viel zu lang. Ich muß Ihnen etwas sagen und

kann nicht damit warten, bis Sie zu Ende sind. Da, sehen Sie sich einmal das hier an! Kennen

Sie das?«

Er hielt mir ein gedrucktes Notenheft hin und sah mir dabei mit dem Ausdrucke größter

Spannung in das Gesicht. Es war die Partitur einer Motette, in welcher die separat gedruckten

Stimmen lagen. Ich las den Anfang des Textes: »Siehe, ich verkündige Euch große Freude – –

«

»Nicht hier lesen, nicht hier, sondern den Titel, den Titel!« drängte er ungeduldig.

Ich that es und erschrak, aber in freudiger Weise, denn es war meine Motette, die mir auf eine

so unerklärliche Art abhanden gekommen war.

»Nicht wahr, das ist etwas, das ist auch etwas?« fragte er triumphierend. »Eine gedruckte

Komposition ist mehr, viel mehr wert als ein gedrucktes Gedicht. Ein Gedicht kann jeder

machen, der die Reime dazu aus der Luft hergreift; aber eine Komposition, das ist etwas ganz

anderes; das kommt nicht aus der Luft, sondern wo anders her! Da muß man etwas gelernt

und ganz besonders einen tüchtigen Lehrer gehabt haben. Und gute, tüchtige Lehrer können

nur die Herren Kantores sein, welche die Orgel schlagen und den Kirchengesang leiten. Der

Kirchengesang ist die höchste – –«

»Aber bitte, Herr Kantor,« unterbrach ich seinen Redefluß »Sie sehen mich im höchsten

Grade erstaunt. Diese Motette habe ich nicht komponiert, daß sie gedruckt werden soll; sie ist

eine Übungsarbeit, die im Kasten liegen bleiben sollte; plötzlich aber war sie weg. Wie ist sie

in Ihre Hände gekommen, und woher wissen Sie, daß sie von mir ist? Auf dem Originale hat

mein Name nicht gestanden.«

»Das ist wahr, sehr wahr,« lachte er. »Aber denken Sie denn wirklich, daß ich Ihre

Handschrift nicht kenne und auch die von Krüger nicht?«

»Krüger?« fragte ich. »Welchen Krüger meinen Sie?«

»Dumme Frage! Natürlich Krüger, der Ihnen damals wegen Ihrer Arbeit über die

Quintseptaccorde die erste Censur abtreten mußte. Er hat sich rächen wollen, wird aber nun

durch mich bestraft, daß er sich blauärgern soll!«

»Ich verstehe Sie noch nicht.«

»Immer noch nicht? Sie sind doch sonst nicht so schwer von Begriffen. Da muß ich Ihnen

doch gleich noch zweierlei zeigen, worüber Sie sich, wenigstens über das eine,

wahrscheinlich wundern oder aber auch ärgern werden. Da, zunächst das. Wessen Handschrift

ist das?«

Er gab mir ein großes, abgestempeltes Couvert, auf welchem sein Name stand. Ich brauchte

nur einen Blick darauf zu werfen, um antworten zu können:

»Das hat Krüger geschrieben; man sieht es sofort.«

»Ja; der Kerl hat sich nicht einmal Mühe gegeben, seine Hand zu verstellen. Er hat

wahrscheinlich gedacht, daß ich das Couvert wegwerfe, ohne es anzusehen. Nun aber das.

Sehen Sie es sich genau an!«

Es war meine Partitur der Motette. Indem ich die Systeme nur flüchtig überblickte, fand ich

nicht, was er meinte; da machte er mich darauf aufmerksam:

»Halten Sie das Papier gegen das Licht, so werden Sie die radierten Stellen finden.«

»Was! Er hat radiert?«

»Ja, er hat radiert, um Fehler hineinzumachen; die Absicht können Sie sich wohl denken!«

»Das wäre eine Schlechtigkeit, eine Gemeinheit, die –«

»Lassen Sie das!« unterbrach er mich. »Ich habe die Sache schon selbst in die Hand

genommen. Ich habe ihn vorgehabt, und er hat es eingestehen müssen; die Sache wird noch

vor die Konferenz kommen. Inzwischen habe ich eine Abschrift, natürlich ohne die

 

hineingemachten Fehler, genommen und die Motette dann dem Buchhändler eingeschickt,

Ihnen zuliebe und diesem Krüger zum Ärger. Er hat sie angenommen, und wissen Sie,

welches Honorar er Ihnen zahlt?«

»Honorar? Also Geld, auch hier Geld?«

»Natürlich! Geschriebene Noten gegen Banknoten oder klingende Münze; anders thue ich es

nicht. Er hat einstweilen fünfhundert gedruckt und dafür fünfundzwanzig Thaler bezahlt. Sie

bekommen also zwar bloß fünfzehn Pfennige für das Exemplar, aber das ist doch immer

besser, als wenn die Motette in Ihrem Kasten läge und gar nichts brächte. Er schickte

Papiergeld; ich habe es aber umgewechselt, weil Silber besser klingt. Es ist ein ganzer, großer

Haufen Geld. Da haben Sie ihn! Lassen Sie nichts davon fallen!«

Er zog den Tischkasten auf, griff mit beiden Händen hinein und hielt sie mir dann, gefüllt mit

Thalerstücken hin. Ich war beinahe bestürzt über diese zweite, so ganz unerwartete Gabe des

Glückes. Er schob mir das Geld lachend hüben und drüben in die Hosentaschen und rief

dabei:

»Nehmen Sie nur, nehmen Sie! Wer weiß, ob Ihnen in Ihrem ganzen Leben wieder einmal

eine Komposition auch nur einen Groschen einbringt; drum greifen Sie jetzt zu; Sie können es

ja brauchen! Übrigens wird die Motette eingeübt und hier in der Kirche gesungen; der Krüger

muß platzen vor Ärger, das heißt, wenn er nicht schon vorher fort muß, denn die Gemeinheit,

welche er hier bewiesen hat, verdient eine so exemplarische Bestrafung, daß ich überzeugt

bin – –«

»Bitte, Herr Kantor,« fiel nun ich ihm einmal in die Rede. »Sie sind mir immer freundlich

gesinnt gewesen, und ich denke, daß Sie mir auch jetzt die Erfüllung eines Herzenswunsches

nicht abschlagen werden.«

»So? Hm, ich ahne schon! Was ist das für ein Wunsch?«

»Bringen Sie Krüger nicht vor die Konferenz! Ich bin heute so glücklich und würde die ganze

Freude an diesem Glück verlieren. wenn er in Strafe käme.«

»Ist das nicht zuviel verlangt?«

»Wohl nicht. Er ist ja die eigentliche Ursache der frohen Überraschung, die Sie mir bereitet

haben. Sie hätten gewiß keinen Verleger für die Motette gesucht, wenn er sie Ihnen nicht

eingeschickt hätte, um mich in Ihrer Meinung herabzusetzen.«

Da gab er mir die Hand und sagte, jetzt ernster als vorher:

»Sie machen mir eine doppelte Freude. Nämlich erstens, daß Sie für Krüger bitten. Ich habe

ihn nur deshalb noch nicht zur Anzeige gebracht, um ihn mit meinem Verweise und einem

tüchtigen Ärger davonkommen zu lassen. Darum habe ich gewartet, bis die Motette gedruckt

worden ist. Hätten Sie die Anzeige gewollt, so wäre sie erfolgt; nun aber soll er noch einen

kräftigen Rüffel unter vier Augen bekommen und dabei erfahren, daß er die übrige

Straflosigkeit nur Ihrer Fürbitte verdankt. Er wird sich blau und schwarz darüber ärgern, daß

die Motette im Druck erschienen ist, daß sie Ihnen Geld eingebracht hat und daß er sie nun

sogar mitsingen muß.«

»Soll er das?«

»Ja; anders thue ich es nicht; er hat eine gute Stimme und soll sogar, grad zu seinem Ärger,

ein Solo bekommen, nämlich, wissen Sie, den dreistimmigen Solosatz in As-dur mit dem

Texte: ›Drum gehet hin nach Bethlehem; da werdet Ihr finden das Jesuskind in einer Krippe

liegen.‹ Das war der erste Punkt, über den ich mich um Ihretwillen freue. Der andere Punkt

bezieht sich auf Ihre Einsicht, daß ich Ihre Komposition ohne den angegebenen Grund wohl

keinem Verleger angeboten hätte.«

»Natürlich! Eine Schülerarbeit, mit vielen Unterlassungsfehlern, weiter nichts!«

»Richtig, sehr richtig! Das Wort Unterlassungsfehler ist gut gewählt und bezeichnet genau

das, was ich sagen will. Da Sie die Musik nicht als Fachstudium treiben wollen, werden Sie

zwar soviel komponieren lernen, wie man, um mich eines Volksausdruckes zu bedienen, für

Haus und Küche braucht, mehr nicht; das genügt aber auch für Sie. Aber auch nur so weit

sind Sie jetzt noch lange nicht. Sie haben zwar mit dieser Motette aus Zufall einen Treffer

gemacht, aber ob Sie jemals wieder einen solchen machen werden, das läßt sich jetzt nicht

sagen, denn Sie haben noch viel, sehr viel zu üben und zu lernen. Ich meine, daß Ihnen ernste,

fromme Themata am besten glücken werden; das liegt überhaupt auch so in Ihrem ganzen

Wesen. Direkte Fehler, sogenannte Begehungssünden, kommen in Ihrer Motette nicht vor; sie

ist da sauber geschrieben. Aber die Übung fehlt, die Gewandtheit, die Inspiration. Denken Sie

sich einen guten Sonntagsreiter und dann einen Schulreiter im Cirkus! Der Sonntagsreiter in

der Komposition sind Sie; es fehlt Ihnen die hohe Schule; Sie kennen Ihr Pferd nicht und auch

nicht die verschiedenen Hilfen, die Sie ihm geben müssen. So etwas will nicht nur angeboren,

sondern auch gepflegt und geübt sein. Ein geübter Reiter der hohen Schule würde Ihre

Motette ganz anders ein- und zugeritten haben. Verstehen Sie mich?«

»Ja, Herr Kantor. Ich sitze zu steif im Sattel und habe zwar körperliche aber nicht auch

geistige Fühlung mit dem Pferde.«

»So ist es; ja, so ist es ganz genau! Darum habe ich, wie Sie später wohl merken werden,

einigen Ihrer steifen Figuren mehr Gewandtheit verliehen. Sie werden mir das, wenn Sie die

Motette erst singen hören, nicht übelnehmen, zumal ich Ihnen von Ihren fünfundzwanzig

Thalern nicht einen einzigen dafür in Abzug bringe.«

Der liebe, alte Herr sagte das mit seinem hübschen, herzgewinnenden Lächeln; dann fügte er

hinzu, indem er mir die Hand zum Abschiede reichte:

»Ich würde Ihnen, dem armen Teufel, den Unterricht gern umsonst erteilen, aber Sie wissen

ja, daß ich das bei meinen Gehaltsverhältnissen nicht kann. Sie werden das überstehen und

vielleicht einst wohlhabender werden, als ich bin. Denken Sie dann an Ihren alten Kantor, der

Ihrer ersten Motette auf die Beine geholfen hat. Nehmen Sie das Leben auch fernerhin so

ernst wie jetzt, und nun für heut, leben Sie wohl!«

Dieser brave Kantor, der mir stets mit gleichem Wohlwollen entgegenkam, gehört zu

denjenigen Personen, denen ich noch jetzt, nach langen Jahren, eine unverminderte

Dankbarkeit widme. Man wird später erkennen, warum ich diese freundliche Scene von ihm

erzählt und dabei keinen Namen genannt habe. Er war ein Ehren- und humaner Mann,

verlegte aber seine Welt nur in das kleine Notenzimmer, weil er auf Familienglück hatte

verzichten müssen. Man kannte seine Frau als arge Xantippe, die, wie man sich erzählte, den

einzigen Sohn, den sie besaßen, durch ihre Härte nach Amerika getrieben hatte. –

Ich war also im Besitze von fünfundfünfzig Thalern; damals welch ein großartiger Reichtum

für mich! Es war mir zu viel; ich war ja gesund und konnte arbeiten. Dreißig schickte ich

meinen armen Eltern; zwanzig legte ich für unvorhergesehene Bedürfnisse zurück, und fünf

bestimmte ich zu einer Weihnachtsreise, auf welcher ich mich ausnahmsweise einmal recht

splendid behandeln wollte. Fünf harte Thaler zu einer Reise von höchstens einer Woche, die

konnten ja gar nicht alle werden! Noch mehr als zwanzig Groschen pro Tag, das mußte ja das

reine Schlaraffenleben werden! Ich munkelte sogar ganz heimlich schon davon, natürlich zu

mir selbst, daß ich mir unter Umständen eine halbe Flasche Wein, natürlich so billig und aber

auch so gut wie möglich, gestatten werde. Welche Sorte ich wohl wählen und wie hoch im

Preis ich gehen dürfe, das beschäftigte mich sehr lebhaft täglich in der halben Viertelstunde,

welche dem Einschlafen voranzugehen pflegte! Du glückliche Zeit, wie lange bist du vorüber

und niemals, niemals zurückgekehrt!

Der Kantor machte sein Versprechen wahr; die Motette wurde eingeübt und Krüger mußte das

dreistimmige Solo mitsingen, wofür er mich mit einem Haß bedachte, der mir manchen Ärger

bereitete.

Dann erschien mein Weihnachtsgedicht; jeder Mitschüler wollte es haben; die betreffende

Nummer des Blattes wurde infolgedessen in vielen Exemplaren von unserer Buchhandlung

bezogen, und als nachher das allmonatliche Freideklamieren stattfand, so genannt, weil jeder

sein Gedicht sich selbst wählen konnte, leiteten alle meine dreiundzwanzig Klassengefährten

ihre rhetorischen Produktionen folgendermaßen ein: »Weihnacht, Gedicht von Karl May«. Ich

war der einzige, welcher einem sogenannten Klassiker die Ehre erwies, auch mit genannt zu

werden. Es wurde Mode, mein Gedicht im Notizbuch überall mit herumzutragen, um es bei

jeder unpassenden Gelegenheit hervorzunehmen, und ich hatte das zweifelhafte Glück, noch

monatelang mit Fragen bestürmt zu werden, warum ich grad diese und nicht jene Wendung

gebraucht oder grad diesen und keinen anderen Reim gewählt habe. Es wurden Verse über

Verse geschmiedet, bis die ganze Lehrerschaft sich endlich über die »Katheten und

Moneten«, »Verbalien und Australien«, »Romulus und Fidibus«, »Multiplikant und Elefant«

so erbost fühlte, daß unter dem Vorsitze des bereits genannten »Alten« beschlossen wurde,

gegen diesen Unfug ohne Nachsicht vorzugehen. Die nun folgenden Verweise und anderen

Strafen erreichten zwar ihren Zweck, hatten aber leider für mich die Folge, daß ich, der vorher

so Vielumworbene, nun wie eine Selters- unter lauter Champagnerflaschen gemieden wurde,

was den ebenso wohlbegründeten wie unerschütterlichen Vorsatz in mir wachrief, meine

etwaigen Gedichte auf alle Fälle erst nach meinem Tode erscheinen zu lassen. Daß ich diesem

Entschlusse bis auf einige wenige Ausnahmen treu geblieben bin, macht mich gewiß des

Dankes der Mit- aber wohl schwerlich der Bewunderung der Nachwelt wert!

Was die oben erwähnte Weihnachtsreise betrifft, so pflegte ich in allen Ferien eine längere

Fußwanderung vorzunehmen. Ich lag zufolge meiner Neigung, meiner Zukunftspläne und aus

noch anderen Ursachen mehr über den Büchern als meine Mitschüler und mußte mich darum

von Zeit zu Zeit einmal tüchtig körperlich ausarbeiten, was durch eine weite Gehtour am

besten geschehen konnte. Dabei schloß sich mir meist ein mir sehr sympathischer Mitschüler

an, der, wenn auch nicht so arm wie ich, aber doch ebenfalls zur Sparsamkeit veranlaßt war.

Ein fleißiger und ernster Junge, pflegte er, außer mit mir, nicht viel zu sprechen und wurde

deshalb Cyprinus Carpio oder kurz weg Carpio genannt, weil Karpfen bekanntlich auch nicht

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