gern viele Worte machen. Wir pflegten unsere beiderseitige Barschaft zwar nicht in eine
gemeinsame Reisekasse zu verschmelzen, aber doch der eine mit den Mitteln des andern zu
rechnen, was zur Folge hatte, daß der, welcher mehr besaß, sich stets bemühte, heimlich dafür
zu sorgen, daß der gegenwärtig Ärmere nicht unter seinem augenblicklichen Proletariat zu
leiden hatte. Es kamen da Beispiele von Selbstlosigkeit und Aufopferung vor, welche wirklich
rührend waren, obgleich oder vielleicht grad weil es sich dabei um ganz geringe Beträge, um
Groschen oder gar nur um Pfennige handelte. Das ganz natürliche Ergebnis dieses Verhaltens
war, daß am Schlusse jeder solchen Reise bei beiden der Rest ihres Geldes genau derselbe
war. Wenn einer unserer heutigen Finanzminister dabeigestanden und gehört oder gesehen
hätte, mit welch einer weisen und bedachtsamen Wichtigkeit wir über die geringste Ausgabe
verhandelten, er hätte von uns lernen können. Wir sind sogar einmal über den Fluß
geschwommen, um zwei Kreuzer Fährgeld zu ersparen.
Dieser prächtige Junge wollte die von mir geplante Weihnachtsreise gar zu gern mitmachen,
glaubte aber, daß ich ihn dieses Mal nicht mitnehmen wolle, weil er nicht mehr als zwei
Thaler zusammenbringen konnte; da war ich gegen ihn doch der reine Millionär! Ich machte
ihn aber durch die Versicherung glücklich, daß es einem solchen Millionär ein Leichtes sei,
einen armen Teufel mit durchzuschleppen. Er mußte mit! Wir konnten die Wanderung nicht
gleich mit dem Beginne der Weihnachtsferien antreten, denn es verstand sich ganz von selbst,
daß wir die Feiertage bei unseren Eltern verlebten, und als wir dann am bestimmten Orte
zusammentrafen – denn wir hatten natürlich wie alle bedeutenden Menschen ein
»Rendezvous« verabredet, teilte er mir strahlenden Auges mit, daß sein Vater ihm einen
Thaler zugelegt habe. Wir standen also nicht mehr 2 sondern 3 zu 5, und er hatte sich meiner
Million ganz bedeutend genähert.
Und wohin sollte unsere Reise gehen?
Gewöhnlich marschierten wir auf dem Gebirge zwischen Sachsen und Böhmen hin. Wir
konnten uns da einbilden, die Pyrenäen zwischen Frankreich und Spanien oder gar den
Himalaya zwischen Tibet und Indien zu durchwandern. Wir hatten da Städte und Dörfer,
Berge und Thäler, Felsen und Wiesen, Flüsse und Bäche, Sonnenschein und Regen, kurz,
alles, was unser Herz begehrte. Mehr konnten wir nicht verlangen und auch in keiner andern
Gegend finden. Dieser Schauplatz unserer Weltreisen war uns lieb geworden, und es gehörte
schon ein ungewöhnlicher Entschluß nach einer vorhergehenden langen Konferenz dazu,
wenn wir einmal einen andern wählten.
Eigentlich hatte diese treue Anhänglichkeit auch einen weniger psychischen Grund, den ich,
nachdem wir ihn so lange geheimgehalten haben, heut doch einmal verraten will. Ich kann das
nun ohne größere Gefahr thun, weil wir jetzt doch nicht mehr da oben herumsteigen und also
andere, ebenso würdige Menschen von den Vorteilen unseres Geheimnisses profitieren lassen
können.
Es gab eine für uns sehr wichtige Ursache, welche uns stetig oder vielmehr unstet zwischen
Österreich und Sachsen hin und her pendeln ließ. Diese Ursache hieß: Kurs, der Geldkurs
nämlich. Man glaube ja nicht, daß nur wirkliche, faktische Millionäre sich mit den
Geldkursen zu beschäftigen haben, o nein; je weniger man besitzt, desto wichtiger wird der
Kurs; das haben wir beide an uns selbst erlebt. Damit soll freilich nicht etwa gesagt sein, daß
folglich der Kurs für den am allerwichtigsten sei, der gar nichts besitzt, sondern es müssen
zwei tüchtige Geldleute zusammentreten, welche gewisse, sichere Fonds besitzen, z.B. der
eine drei und der andere fünf Thaler; die machen eine Reise, eine sogenannte Kursreise, von
welcher sie, besonders wenn sie dem privilegierten Stande buntbemützter Schüler angehören,
ganz ungeahnte Vorteile ziehen können. Aber pfiffig muß man sein, und Schüler muß man
sein! Warum, das werde ich gleich erklären.
Wie steht heut der Gulden? So und so! Hm! – – Wenn der gewöhnliche Sterbliche mit
Thalern zahlt und Gulden heraushaben will, dann stehn die Thaler schlecht. Zahlt er Gulden
und will Groschen haben, so stehen die Gulden schlecht. Und will er sich überzeugen, so ist
kein Kurszettel zu haben. Tritt aber ein ungewöhnlicher Sterblicher, also ein Schüler herein,
so traut man ihm kein Geld zu, obgleich er entweder drei oder gar fünf Thaler in der Tasche
hat. Man sagt ihm ganz ehrlich, wie heut der Gulden steht, und wenn man das nicht weiß, so
zieht er selbst einen für ihn vorteilhaften Kurszettel hervor, von welchem leider das Datum
abgerissen ist. Er ißt und trinkt, bezahlt und geht dann fröhlich von dannen. Wohin? Ja, darin
liegt das großartige Geheimnis. Nämlich steht der Gulden schlecht, so kehrt der Schüler auf
sächsischer Seite ein und läßt sich für einen Thaler österreichisches Geld geben; steht der
Gulden hoch, so kehrt er auf böhmischer Seite ein und wechselt die Kreuzer in Groschen und
Pfennige um. Wenn der Schüler ein bedeutender Kapitalist ist und es also lange genug
aushalten und durchführen kann, so ist es ihm nicht schwer, Gewinne von solcher Höhe
einzustreichen, daß ein gewöhnlicher Sterblicher, wenn er dies erführe, ihn beneiden würde.
Carpio und ich, wir also, haben bei einem Reisegelde von zusammen vier Thaler in acht
Tagen böhmischerseits elf Kreuzer und auf der sächsischen Seite sechzehn Pfennige profitiert,
was unserm Reiseunternehmen einen vorher ganz ungeahnten Schwung verlieh. Es gehörte
aber auch ein gradezu großartiger Aufwand von Scharfsinn und Unternehmungsgeist dazu,
die Kursverwickelungen zu durchschauen und jede Chance augenblicklich zu benutzen. Wir
sind z.B. in strömendem Regen stundenweit von Sachsen hinüber nach Böhmen oder in
umgekehrter Richtung gerannt, um uns für fünfzig Kreuzer Pfennige oder für fünfzig
Pfennige Kreuzer geben zu lassen. Der Profit wurde in Powidl, sauren Gurken oder andern
nahrhaften Dingen angelegt, und reichte er nicht aus, so war das Kapital ja auch nur da, um
nach und nach verbraucht zu werden. Auf diese Weise kam man im Zickzack zwischen
Sachsen und Böhmen herüber und hinüber immer vorwärts, hatte geistige und geschäftliche
Anregung in Menge, triumphierte über alle Kurse der Erde und fühlte eine wahre
Protzenseligkeit, weil man alle Tage von früh bis zum Abende mit Geld nur so um sich warf,
was man dann nach den Ferien leider nicht mehr konnte. Wir haben da köstliche Zeiten
verlebt, in denen uns kein Talken und kein Zwetschgenbrötchen zu teuer war, die Bauerngüter
gar nicht mitgerechnet, in denen man umsonst mit essen und soviel Milch trinken durfte, daß
die Kuh hätte brummen mögen!
Im Winter, wo der Schnee da oben im Gebirge zuweilen haushoch liegt, war es freilich
schwieriger, dem Kurs hinüber und herüber nachzusteigen; aber wir hatten uns, wie man
weiß, mit ganz beträchtlichen Mitteln versehen und konnten nun auch einmal als Kapitalisten
reisen, denen der Kurs von Zeit zu Zeit mal Schnuppe ist.
Ausgerüstet waren wir in jeder Weise so vorzüglich, daß wir sofort eine Besteigung des
Montblanc hätten vornehmen können, ohne etwas zu vermissen. Regenschirme gab es
natürlich nicht; das wäre unmännlich gewesen, Spazierstöcke auch nicht; unsere Wanderstäbe
wuchsen, ihrer Erlösung harrend, in irgend einem Busche. Überröcke? Pfui! Wir waren
deutsche Jünglinge! Handschuhe? Wenn der Mensch welche tragen sollte, wäre er mit
Handschuhen geschaffen worden. Irgend welches Pelzwerk? Nein; das ist für Eskimos da,
aber nicht für einen Carpio und seinen fünf Thaler schweren Freund! Aber eine
gemeinschaftliche Zeichenmappe hatten wir uns aus fünf Bogen Konzeptpapier
zusammengeheftet; Carpio trug sie in einem alten, verwaisten Fernrohrfutterale auf dem
Rücken. Es ist leider nichts hineingekommen, denn stets wenn wir einen des Kopierens
werten Gegenstand fanden, waren unsere Finger vor Kälte so steif, daß wir den Bleistift nicht
regieren konnten. Ich hatte eine Botanisiertrommel umhängen, aber natürlich nicht zum
Botanisieren oder Pilzesuchen jetzt im Winter; sie enthielt unser ganzes Reisegepäck nebst
allen Toilettenartikeln, welche für uns auszudenken waren; ich werde mich hüten, sie zu
verraten! Viele Nummern aber waren es nicht! Zwei Landkarten hatte Carpio auch besorgt,
eine von Sachsen und eine von Böhmen, weil wir doch zwischen beiden lust- und
schneewandeln wollten; aber schon am ersten Tage stellte es sich heraus, daß sie, wie er
behauptete, von seiner Schwester verwechselt worden waren; die eine war von Schweden und
Norwegen, die andere von Algier, Tunis und Tripolis. Wir beschlossen einstimmig, sie nicht
wegzuwerfen, sondern für spätere Reisen nach diesen Ländern aufzubewahren. Auch
Nähzeug war da. Man braucht das auf Reisen, der abgerissenen Knöpfe wegen; aber was eine
Häkelnadel dabei wollte, das war mir ein Rätsel.
Mit Cigarren waren wir sehr gut versehen. Jeder hatte zwei Stück à drei Pfennige. Sie waren
nur für ganz besonders festliche Gelegenheiten bestimmt, und wir faßten den kühnen Plan, sie
nicht zu verzollen, sondern nach Österreich einzuschmuggeln. Wir steckten sie also in die
Stiefelschäfte. Als wir sie am Abende hervorholen wollten, waren sie zu Mehl zerrieben; sic
transit gloria mundi!
Die übrigen Ausrüstungsgegenstände waren mehr intimer Natur, je nach den individuellen
Passionen des Besitzers: Bindfaden, Feuerschwamm; ein Eissporn Carpios, zum
abwechselnden Gebrauch für beide Beine; ein Fläschchen Fischthran als Stiefelschmiere; er,
oder vielmehr seine Schwester wieder, hatte aber Terpentin erwischt; ein Brennglas, welches
ein Erbstück von seinem Großoheim war. Als ich ihn fragte, zu was es jetzt im Winter dienen
solle, warf er alle meine Kenntnisse durch die herablassende Bemerkung über den Haufen,
daß man im Winter ebenso wie im Sommer den Meridian von Komotau berechnen könne.
Noch andere Dinge anzuführen, würde indiskret sein. Höchstens darf ich noch erwähnen, daß
Carpio ein hölzernes Sicherheitsschloß eigener Erfindung bei sich trug. Es sollte zur
Sicherstellung unsers Lebens und mehr noch unserer Kapitalien dienen, falls wir gezwungen
sein sollten, in einem fragwürdigen Hause zu übernachten. Als er es gleich im ersten Quartier
an die Thür befestigen wollte, hatte er, oder vielmehr seine Schwester, wie er behauptete, die
dazu nötigen vier Schrauben daheim gelassen.
Es muß gesagt werden, daß unser Rendezvous das Städtchen Rehau in Oberfranken war. Von
da wanderten wir, die vier Cigarren schmuggelnd, nach Asch, und dann ging es auf Eger zu.
Mit dieser für unsere Finanzen ganz bedeutenden Großstadt konnten wir uns nicht abgeben,
wanderten also hindurch und noch einige Kilometer weit nach Tirschnitz, wo wir nach
langem, anstrengendem Marsche abends spät und ermüdet ankamen. Wir zahlten jeder ein
Bier, für zwanzig Kreuzer Kartoffeln mit Quark und ließen uns dann unsern Schlafsalon
anweisen, welcher die schwere Summe von fünfzig Kreuzern kostete. Hier war es, wo uns die
Cigarren die größte der Enttäuschungen bereiteten und dann das Sicherheitsschloß den Dienst
versagte. Wir steckten unsere Kapitalien also in den Ofen, aus welchem Carpio aber nach
einigem Überlegen seine Einlage wieder herausnahm, um sie in seinem Bette zu verbergen. Er
meinte, es sei nicht vorteilhaft, beide Beträge an einem und demselben Orte aufzubewahren,
wo dann, falls ein Einbrecher käme, alles verloren sei; man müsse sie vielmehr trennen, damit
der Spitzbube nur den einen Teil bekomme, der andere aber gerettet werde. Ich fügte mich
seiner überlegenen Weisheit, legte mich nieder und schlief bald ein, wurde aber bald wieder
durch ein Geräusch erweckt. Es wurde von Carpio verursacht, welcher mir auf mein Befragen
mitteilte, daß er vorhin beim Scheine unserer Zündhölzer ein Stück Ziegelstein hinter dem
Ofen habe liegen sehen. Dieses hatte er hervorgeholt und in sein Taschentuch geknotet,
wodurch ein höchst brauchbarer Totschläger entstanden war, mit welchem er jedem
hoffentlichen Einbrecher den Kopf behämmern wollte. Tief getröstet und beruhigt durch diese
uns sichernde Maßregel meines Busenfreundes schlief ich wieder ein und wachte nicht eher
wieder auf, als bis Carpio mich an den Armen emporriß und mir im höchsten Zorne die
Entdeckung zuschrie:
»Höre, mein Geld ist weg, mein ganzes, ganzes Geld mitsamt dem Portemonnaie! Der
Totschläger ist unnütz gewesen; es ist doch so ein Halunke hereingekommen und hat in den
Ofen gegriffen! Aber warum er nur mein Geld genommen und das deine liegen gelassen hat,
das wird mir ein ewiges Rätsel bleiben! Ich laufe hinab, sofort! Der Wirt muß alles, alles
ersetzen!«
»Warte noch! Dein Geld hat im Ofen gelegen?«
»Natürlich!«
»Du hast es selbst wieder herausgenommen und in dein Bett versteckt. Suche nach!«
Er suchte und fand es, holte erleichtert und tief Atem und sagte:
»Das ist ein Glück für den Wirt! Ich hätte weder geruht noch gerastet und ihn nötigenfalls bis
zur Auspfändung getrieben. Weißt du, was der Kaffee kosten wird?«
»Zehn Kreuzer ohne Brot.«
»Und das Brot?«
»Zehn Kreuzer ohne Kaffee.«
»So bestellst du Kaffee für dich, und ich laß mir Brot für mich geben; dann teilen wir und
zahlen bloß zwanzig Kreuzer. Was wir hier sparen, können wir dem Mittagessen zulegen. Bist
du einverstanden?«
»Ja. Nobel ist das zwar nicht, aber wir machen dann schnell, daß wir fortkommen und nicht
lange bekrittelt werden.«
»Bekrittelt? Willst du dich nicht für akademisch gebildete Kapitalisten eines bessern
Ausdruckes bedienen? Diese Böhmen werden alles, was wir thun, für vornehm halten, wenn
sie es auch nicht begreifen können.«
Wir frühstückten also für zwanzig Kreuzer, ließen uns für vornehm halten und reisten dann
ab. Unser heutiges Ziel war Falkenau, wo wir gegen Abend lebendig ankamen, obgleich mein
Freund das Unglück gehabt hatte, seinen Eissporn zu verlieren; wie das zugegangen war, das
wußte er selber nicht und ich noch viel weniger. Er war nicht nur schmerzlich bewegt,
sondern sogar tief betrübt über diesen ebenso schweren wie unersetzlichen Verlust, und ich
gab mir ihm zuliebe den Anschein, als ob der Eisenstachel auch meinem Herzen teuer
gewesen sei. Wir blickten ihm voll Trauer in die Vergangenheit nach und wendeten uns dann
mit männlicher Resignation einer einfachen Herberge zu, deren Aussehen mit unserm
heutigen Budget zu harmonieren versprach.
Eben wollten wir eintreten, da kam ein Gendarm heraus, der sich darüber zu wundern schien,
daß wir dahinein wollten. Er grüßte höflich und fragte dann:
»Sie sind doch wohl Studenten, meine Herren, nicht?«
Ich nickte; Carpio aber zog seinen Schülerpaß aus der Brusttasche, schob ihn dem
Sicherheitsbeamten in die Hand und antwortete:
»Ja, wir sind Studenten. Bitte, überzeugen Sie sich!«
Der Gendarm öffnete den Paß, las ihn und gab ihn mit einem eigentümlichen Lächeln und den
Worten zurück:
»Wenn Sie das alles sind, was hier verzeichnet steht, so sind Sie ein gemachter Mann, lieber,
junger Herr!«
»Das alles bin ich allerdings!« versicherte mein Busenfreund in stolzem Tone. »Es ist sogar
der Gymnasialstempel daraufgedrückt.«
»Den sehe ich nicht!«
Carpio sah den Paß nun selbst auch an und fand, daß das, was er in der Hand hatte, ein
Verzeichnis der Regierungsjahre der deutschen Kaiser von Karl dem Großen bis auf Franz
den Zweiten war. Er suchte eine ganze Zeit lang nach dem Passe und rief, als er ihn nicht
fand, entrüstet aus:
»Das ist nun wieder einmal ein Versehen von meiner Schwester, die mir diese Tabelle anstatt
des Passes in die Tasche gesteckt hat. Solche Tollheiten können doch unbedingt nur bei
Personen vorkommen, welche keine Masculina, sondern entweder Feminina oder Neutra
sind!«
»Machen Sie sich darüber keine Sorgen!« tröstete ihn der Polizist. »Ich habe nicht nach Ihrem
Paß gefragt; man sieht es Ihnen ja an, daß Sie das sind, wofür Sie sich ausgeben, und wenn es
unter besonderen Umständen nötig sein sollte, so wird Ihr Kollege seinen Paß besitzen,
welcher Sie dann beide legitimiert.«
»Hast du denn deinen?« fragte mich Carpio.
»Ja, denn ich verlaß mich nicht auf meine Schwestern, die übrigens ihre Sinne stets
beisammen haben. – Kann vielleicht unsereins hier in diesem Hause auch wohnen, Herr
Unteroffizier?«
»Hm,« brummte der Mann. »Ich wunderte mich schon darüber, daß Sie hinein wollen, denn
es ist eine Herberge für Handwerksburschen. Kommen Sie lieber mit zum Franzl! Ich gehe
eben hin und werde Sie führen.«
Diese Aufforderung war jedenfalls recht gut gemeint, aber Carpio fiel schnell ein:
»Hat er ein Hotel, einen Gasthof? Ist es teuer bei ihm?«
Da schlug der Beamte eine breite, behäbige Lache auf und antwortete:
»Der Franzel? Teuer? Zumal gegen die Herren Studenten? Hahahaha! Da müssen Sie ihn
kennen lernen! Er ist auch Student gewesen; er hat auf Schulmeister studiert, die Sache aber
aufgegeben, weil ihn die reiche Wirtin zum Mann genommen hat. Nun spricht er von nichts
lieber als von seinem Studium und hat keine größere Freude als wenn Studenten bei ihm
einkehren. Wenn sie ihm gefallen, so ist es dann sein Gaudi, daß er sich nichts bezahlen läßt.
Kommen Sie nur; die Sache läßt sich wohl machen!«
Er ging voran, und wir beide folgten ihm; dabei hielt mich mein Freund ein wenig zurück und
fragte besorgt:
»Du, ob wir diesem famosen Wirte Franzl wohl gefallen werden?«
»Warum sollten wir denn nicht?«
»Weil jeder Mensch seinen besonderen Geschmack hat. Wenn er seinen Narren an uns frißt,
so ist es wohl möglich, daß wir nichts zu bezahlen brauchen; aber wenn er uns erst fein und
teuer traktiert und dann hinterher nicht leiden mag, so können wir leicht mit einem einzigen
Schlage um dein und mein ganzes Vermögen kommen!«
»Das steht nicht zu befürchten. Man bezahlt doch nichts, was man nicht selbst bestellt hat,
und wir werden uns wohl hüten, eine große Rechnung auflaufen zu lassen. Es giebt derartige
Menschen, wie der Gendarm den Franzl beschreibt – Schulmeister studirt! – sie besitzen
keine akademische Bildung, denken aber vielleicht, noch mehr als das zu können. Wenn man
sie bei dieser ihrer Meinung läßt, fließen sie vor lauter Freundschaft über. Dieser Franzel ist
vielleicht ein hübscher, junger Mensch gewesen und hat nur aus diesem Grunde eine reiche
Frau bekommen. Wir werden ja sehen.«
»Höre, Sappho, du sprichst ja wie ein Buch, und noch dazu gar wie ein gedrucktes! Das hast
du während unserer jetzigen Reise noch nicht gethan!«
Sappho! Da kommt es doch ans Tageslicht, was ich verschweigen wollte! Man weiß, daß fast
kein Student oder Gymnasiast ohne Spitznamen bleibt; ich war bis vor kurzem so glücklich
gewesen, nur bei meinem gewöhnlichen Namen genannt zu werden, aber das war seit meinem
Weihnachtsgedichte anders geworden. Man hatte nach einem Dichternamen für mich gesucht,
und da dieser doch einen scherzhaften Anstrich haben mußte, war man auf den sonderbaren
Gedanken gefallen, mich nicht nach einem Dichter, sondern nach einer Dichterin zu nennen.
Man hing mir den Namen Sappho an, und als ich mich sträubte, dies zu dulden, bewies man
mir, daß es keinen bezeichnenderen geben könne, weil Sappho die berühmteste Dichterin des
Altertums und durch die unübertreffliche Reinheit und Schönheit ihrer Verse ausgezeichnet
sei. Was konnte ich nun thun? Ich mußte mich fügen!
Wenn Carpio sagte, daß ich während unserer Reise jetzt zum erstenmal wie ein Buch
gesprochen habe, so hatte er wohl recht. Damit er sich auf unserer Wanderung wohlbefinden
solle, gab ich mich ganz so, wie er war; ihm war das nur nicht aufgefallen, weil er keine Spur
von Beobachtungsgabe besaß. Der mir liebe, immer ernste und stets fleißige Freund besaß
einige Eigenschaften, welche leicht seine ganze Zukunft in Frage stellen konnten. Er war
zunächst von einer geradezu kindlichen oder gar kindischen Harmlosigkeit, die keine
Thatkraft aufkommen läßt und alles womöglich beim Schwanz anstatt beim Kopfe anfaßte.
Dabei liebte er es, der einfachsten Sache eine größere Bedeutung, als sie besaß, beizulegen
und besonders auf unsern Wanderungen dem nüchternsten Gegenstand oder Vorkommnis
eine romantische Färbung zu erteilen. Daher der Eissporn, das Sicherheitsschloß, das
Brennglas und andere Gegenstände, welche er mitgenommen hatte.
Eine andere und zwar seine hervorragendste Eigentümlichkeit war eine Zerstreutheit, welcher
man bei seinem jetzigen Alter zwar nur die heitere Seite abzugewinnen brauchte, die aber
doch schon versprach, später für ihn verhängnisvoll zu werden. Ich hatte mir, soviel es mir
möglich war, Mühe gegeben, ihn zur Sammlung anzuspornen, aber leider auch nicht den
kleinsten Erfolg gehabt. Im Gegenteile, wenn er auf seine Zerfahrenheit aufmerksam gemacht
wurde, steigerte sie sich nur; er wurde ängstlich und beging in dieser seiner Befangenheit
noch viel größere Fehler als vorher. Ich gab es also auf, ihn zu ändern; suchte seine
Eulenspiegelstreiche soviel wie möglich zu vertuschen und gab mich, wenn ich mit ihm allein
war, ebenso kindlich unbeholfen wie er selber. Dadurch hatte ich ihn wahrscheinlich noch
fester als früher an mich gekettet. Wir schienen zwei unbedachtsame Kinder zu sein; er war
auch eins; ich aber wachte heimlich über ihn und hielt, indem ich mir den Anschein gab ganz
in seinem Willen aufzugehen, alle Unannehmlichkeiten möglichst fern von ihm. Er glaubte,
selbständig zu handeln; in Wirklichkeit aber war ich es, nach dem er sich richtete, ohne es zu
wissen.
Zuweilen aber tauchte doch eine Ahnung in ihm auf, daß ich der Bestimmende und er der
Geleitete sei. So auch jetzt, wo ich meine Meinung über den Wirt Franzl äußerte, ohne ihn
gesehen zu haben. Ich fügte hinzu:
»Weißt du, Carpio, wenn jemand nicht bei seinem Familien- sondern bei seinem Vornamen
genannt und dieser letztere sogar in der Koseform, nicht Franz sondern Franzl gebraucht wird,
so ist mit Sicherheit anzunehmen, daß er ein sogenannter guter Kerl ist. So stelle ich mir den
Wirt vor, und als einen solchen guten Kerl müssen wir ihn behandeln, ihm dabei aber auch ein
bißchen imponieren.«
»Imponieren? Womit? Lateinisch oder griechisch reden?«
»Nein; das würde ihn abstoßen, weil er es wahrscheinlich nicht versteht. Er scheint ein
Lebemann zu sein; da müssen wir, so was man sagt, jovial auftreten, so thun, als ob wir
seinesgleichen und schon längst mit ihm bekannt seien. Und was das Imponieren betrifft, so –
– ah, da denke ich an das, was mir der »Alte« sagte, nämlich daß es mir keine Mühe macht,
stundenlang in Reimen zu reden. Du bist ja auch nicht auf den Kopf gefallen und hast mir
schon öfters mit ganz passablen Knüppelversen geantwortet. Wollen wir diesen Franzl mit
Reimen anulken?«
»Der Gedanke ist nicht schlecht; ich werde mein möglichstes thun. Aber wenn er es sich nun
nicht gefallen läßt?«
»Da halten wir inne und werden rasch vernünftig. Also los! Wir scheinen hier am Ziele zu
sein.«
Der Gendarm hatte uns durch einige Gassen geführt und lenkte nun zu einem Einkehrhause,
zu dessen Thür einige Stufen emporführten. Das Gebäude machte mit der Umgebung, die zu
ihm gehörte, einen stattlichen Eindruck. Wir schritten die Stufen hinan und kamen in einen
nach Stallduft riechenden Flur, wo der Polizist eine Thür öffnete, einen forschenden Blick in
die Gaststube warf und dann heiteren Tones rief:
»Grüß Gott, Franzl! Da bin ich schon wieder und bring famose Gäste mit.«
»Wen denn?« fragte eine fette Stimme.
»Zwei Studenten aus Bayern oder anderswo, die für die Nacht gern ein warmes Nest haben
möchten.«
»Studenten? Halloh, herein mit ihnen! Für solche Herrschaften habe ich soviel Nester, wie sie
sich nur wünschen können. Ubi bene, ibi patria!«
Wir traten in die Stube, die ziemlich groß aber niedrig war. Links stand eine Frau beim
Butterfaß. Sie hatte »gebuttert« und war nun beschäftigt, die Buttermilch – meine Wonne! –
durch ein Seihtuch zu gießen. Das war die Wirtin. Rechts von der Thür saßen einige Männer
gewöhnlichen Schlages beim billigen böhmischen Schankbier. Aber der Thür gegenüber gab
es einen großen runden Tisch, an welchem einige Personen, denen man die Honoratioren
ansah, Platz genommen hatten. Einer von ihnen war aufgestanden und sah uns erwartungsvoll
entgegen. Ich konnte gar nicht bezweifeln, daß er der Franzl war. Ja, er mußte vor Jahren ein
fescher Bursche gewesen sein; noch jetzt trug er sein glänzend eingefettetes dunkles Haar in
verlockend gelegte Ringel. Eine blütenweiße Schürze bedeckte den Schmeerbauch; über dem
Latze derselben thronte eine sanft quatschelige Unterkehle, die in ein glattrasiertes, volles und
rotwangiges Gesicht überging, in welchem wohlwollende Heiterkeit ihren Wohnsitz
aufgeschlagen hatte. Als der Blick der freundlichen Augen kurz auf uns geruht hatte, kam der
Mann vollends hinter dem Tische hervor, streckte uns die Hand zum Gruße entgegen und
sagte:
»Ja, man sieht es der ganzen, vornehmen Haltung an, daß Sie Studenten, wirkliche, echte
Studenten sind. Seien Sie uns willkommen; setzen Sie sich hier bei uns an diesem Tische
nieder, und sagen Sie, wozu Sie Appetit haben!«
Ich schüttelte ihm die Hand und antwortete unverzüglich mit dem ernstesten Gesichte der
Welt:
»Ich bitte, nicht verkehrt zu fragen – – und will die Wahrheit Ihnen sagen: – – Wir haben, wie
ein jeder sieht – – nicht Appe- sondern Trinketit!«
Der liebe Franzl fuhr zwei Schritte zurück, riß die Augen weit auf und fragte ganz erstaunt:
»Wie – – wa – – was? Appe – – Trinke – – tit – – tit – –? Sie meinen, daß Sie nicht essen
sondern trinken wollen? Gut! Was darf ich bringen?«
»Es läuft aus diesem großen Faß – – hervor ein delikates Naß, – – das in der Stadt und auf
dem Land – – als Buttermilch ist weltbekannt; – – wir wollen weder Bier noch Wein; – –
schenkt uns davon zwei Gläser ein!«
»Faß – – – Naß – – – Land – – – Kanne – – – Wein – – – ein – – –? Hören Sie, sagen Sie: Sie
sind wohl gar ein Dichter, ein wirklicher, unzweifelhafter, ausgebildeter Dichter?!«
»Ich bin ein Dichter, aber nicht – – für jeden mach ich ein Gedicht, – – doch unsers guten
Franzls wegen – – kann man sich schon aufs Dichten legen, – – denn er ist ein gar kluger
Mann, – – der diese Kunst begreifen kann; – – drum gebt das Glas mit Milch jetzt her; – – auf
Franzls Wohl trink ich es leer!«
Zu meiner Freude fiel Carpio auch schnell ein:
»Auch ich trink bis zum Boden aus, – – zum Gruß dem Wirt und seinem Haus, – – und thu
ich das um seinetwillen, – – so mag er es auch wieder füllen!«
Wir tranken aus und gaben ihm die Gläser zurück. Er schien das große Glück, unsere
Bekanntschaft machen zu dürfen, immer noch nicht ganz begreifen zu wollen; dann aber warf
er die leeren Gläser plötzlich in die Ecke auf das Kanapee, nahm uns bei den Händen, zog uns
zum Tische hin und rief:
»Ach was, Buttermilch! Wein her, Wein! Wir haben da nicht nur einen sondern gleich zwei
Dichter! Fama crescit fundo! So eine Überraschung, so eine Freude! Hol Wein, Anna, Wein!
Ich weiß, was man so geistreichen Herren vorzusetzen hat! Setzen Sie sich nieder, immer nur
nieder, denn wissen Sie, habenti dabitur et abundabit!«
Ich setzte mich zwar, wehrte aber ab:
»O nein, bringt ja noch keinen Wein; – – es darf nur Buttermilch jetzt sein, – – doch ist der
erste Durst gestillt, – – dann sind wir auch zu Wein gewillt!«
»Na, dann meinetwegen Buttermilch, wenn es denn nicht anders sein darf; aber später müssen
Sie mir erlauben, Sie als meine ganz besonderen und persönlichen Gäste zu betrachten! Zu
bezahlen haben Sie natürlich nichts, keinen Kreuzer, ganz und gar nichts!«
Carpio warf mir einen Blick zu, und als ich diesen nicht beachtete, versetzte er mir einen
kräftigen Fußtritt, der freilich deutlicher war. Und nun folgte eine sehr bewegte Scene. Die
Gäste, welchen vorhin vor Verwunderung die Sprache ausgegangen zu sein schien, fanden sie
jetzt wieder; die, welche am andern Tisch gesessen hatten, blieben nicht länger dort; sie
kamen herbei und präsentierten uns ihre Biergläser, die wir natürlich zurückwiesen. Alle
sprachen auf uns ein und jeder wollte ganz besonders von uns gehört werden. Die an uns
gerichteten Fragen wurden alle von uns mit Reimen beantwortet, was auf Franzl einen
solchen Eindruck machte, daß er seiner Frau, die auch ganz entzückt von solchen Gästen war,
die Weisung erteilte:
»Höre, Anna, diese hochgeehrten Herren bekommen keine gewöhnlichen Gastbetten, sondern
sie schlafen in der guten Stube, wo der Glasschrank steht. Ich weiß, was Bildung heißt.
Corvus corvo nigredinem objicit!«
Dieses sein Latein machte mir riesigen Spaß. Da er nur Sprichwörter brachte, nahm ich ihn
sehr stark in Verdacht, sie irgend einem alten Verzeichnisse entnommen und sich eingeprägt
zu haben, um sie gelegentlich loszulassen und als Lateiner zu gelten. Den lateinischen Text
hatte er sich gemerkt, aber nicht den Sinn desselben, und so durfte man sich nicht darüber
wundern, daß er sie meist grad dann in Anwendung brachte, wenn ihr Gebrauch zum Unsinn
wurde. Es giebt solche eigentümliche Menschen, und er ist nicht der einzige dieser Art, den
ich kennen gelernt habe.
Es kann nicht meine Absicht sein, die nun folgende Unterhaltung wiederzugeben; sie wurde
von uns mit Reimen und von seiten des Wirtes mit den tollsten Lateineleien gespickt,
wodurch er aber den sich sehr zahlreich einstellenden Gästen außerordentlich zu imponieren
schien. Welche Schule er besucht und welchen Bildungsgang er hinter sich hatte, das konnten
wir nicht erfahren; er schien Gründe zu haben, nicht davon zu sprechen, und wir waren nicht
so rücksichtslos, ihm darauf bezügliche Fragen vorzulegen.
Ein kleines Intermezzo darf ich nicht umgehen. Mein Carpio hatte unterwegs bemerkt, daß
ihn ein durch die Stiefelsohle gedrungener Nagel in den Fuß stach, und den Stiefel
ausgezogen, um ein zusammengefaltetes Stück Papier unterzulegen. Jetzt bemerkte er, daß
der Nagel auch in dieses Papier ein Loch gemacht hatte und ihm nun neue Schmerzen
bereitete. Er vertraute diese schmerzliche Angelegenheit einem mit anwesenden Schuhmacher
an, und da dieser sich bereit erklärte, die vorwitzige Nagelspitze abzustumpfen, so zog er den
Stiefel aus, um ihn dem Helfer in der Not anzuvertrauen. Dabei fiel das nun durch die
eingedrungene Feuchtigkeit des Schnees sehr unscheinbar gewordene Papier heraus. Es sah
wie ein alter, abgebrauchter Guldenzettel aus. Als ich es aufhob, bemerkte ich, daß es
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