Weihnacht von Karl May

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Der Prayer-man - Kapitel 1

Eine Reihe von Jahren war nach dem bisher Erzählten vergangen; das Leben hatte mich in

seine strenge Schule genommen und aus dem unerfahrenen Knaben einen Mann gemacht.

Aber die Härte, mit welcher es mich behandelte, war eine nur scheinbare, denn ich hatte mir

ja meinen Weg selbst vorgezeichnet und neben all den Anstrengungen und Entbehrungen,

welche mich trafen, auch Freuden und Genugthuungen gefunden, die mir bei einem andern,

ruhigeren Lebensgange versagt geblieben wären. Hatte ich doch – und das war eine der

reichsten Gaben, die mir geworden sind, – meinen herrlichen, unvergleichlichen Winnetou

kennen gelernt und mit ihm eine Freundschaft geschlossen, welche ich fast als einzig

dastehend bezeichnen möchte. Diese Freundschaft allein wäre schon eine vollwichtige

Entschädigung für alle erlittenen Mühsale und Entsagungen gewesen, aber an dem rauhen

Pfade, den ich wanderte, standen auch noch andere schöne Blüten und Früchte, welche ich

mir pflücken durfte. Hierzu gehörte vor allen Dingen die Liebe, welche mir von allen meinen

braven Bekannten entgegengebracht wurde, während diejenigen, welche kein reines Gewissen

hatten, nichts so fürchteten wie die Namen Winnetou und Old Shatterhand.

Meinen letzten Ritt hatte ich mit diesem edelsten der Indianer vom Rio Pecos aus durch Texas

und das Indianer-Territorium nach dem Missouri gemacht, von welchem aus er, während ich

zurückblieb, nach den Bergen ritt, um Nuggets zu holen. Da ich von vielen meiner Leser über

die zwischen Winnetou und mir herrschenden Geldverhältnisse gefragt worden bin, benutze

ich die jetzige Gelegenheit eine Andeutung darüber zu geben.

Man sprach und spricht noch heute sehr oft davon, daß die Indianer große Goldlager gekannt

haben oder noch kennen, welche sie weder selbst ausbeuten noch den Weißen verraten. Selbst

der qualvollste Tod könne sie nicht bewegen, ein solches Geheimnis mitzuteilen. Nun haben

zahlreiche Schriftsteller, welche nie über den Ocean gekommen sind und von den Indianern

und deren Verhältnissen überhaupt keine blasse Ahnung besitzen, diese Sage aufgegriffen und

unsere Litteratur mit einer Menge von Büchern – – ja nicht etwa bereichert, in denen

regelmäßig von der Entdeckung solcher verborgener Goldlager erzählt wird. Die Herren

Verfasser haben sogar sehr häufig die Güte, mir ihre Machwerke mit der Bitte einzusenden,

ein Vorwort dazu zu schreiben oder ihnen in sonst irgend einer Weise in Beziehung auf den

»wohlverdienten« Absatz beizuspringen. Mich ekelt sehr oft schon der Titel an, und wenn ich

mich trotzdem überwinde und einen Blick auf den Inhalt werfe, so dauert es gewöhnlich nur

kurze Zeit, bis ich das Dings zuklappe, um es dem Verfasser wieder zuzustellen. Eigentlich

sollte man solche nichtsnutzige oder gar schädliche Schreibereien gleich verbrennen dürfen,

zumal sie ja meist für die Jugend bestimmt sind, ohne daß der Verfasser zu wissen scheint,

daß für diese das Beste eben nur grad gut genug ist.

Ich habe eben jetzt so eine Lehrjungenarbeit zugeschickt bekommen, welche den Titel »Der

König der Illoris« führt und drüben in den Felsengebirgen spielt. Nun frage ich, wo es einen

Stamm dieses Namens giebt. Der Herr Verfasser, von welchem leider, leider schon mehrere

Indianergeschichten für die Jugend, und noch dazu von einer hervorragenden

Verlagsbuchhandlung, veröffentlicht worden sind, weiß nicht einmal, daß die Indianer nicht

von Königen regiert werden, sondern sich selbst ihre Häuptlinge wählen, die sie ebenso gut

wieder absetzen können. Und das ist bloß der Titel! Der Inhalt bringt ein fortwährendes

Blutvergießen; jede Person, mit welcher der Verfasser nichts mehr anzufangen weiß, läßt er

ermorden; da ist er sie doch los. Die Namen sollen indianische sein, kommen aber in keiner

einzigen Sprache der Erde vor, weil er sie alle erfunden hat. Was von dieser Erzählung

verdaulich ist, hat er mir nachgemacht. Er bringt genau eine so innige Freundschaft, wie

zwischen Winnetou und mir herrschte, ferner meinen Jagdhieb, meinen Henrystutzen, meinen

Hengst, natürlich aber unter anderen Namen; ebenso kommen Doppelgänger von Old

Firehand, Sam Hawkens, Dick Stone, Bill Bulcher, den beiden Toasts u.s.w. vor; aber alles,

was er von ihnen erzählt, hat oder hätte da drüben in den Felsenbergen ganz unmöglich

geschehen können. Er besitzt auch nicht eine Spur von Kenntnis der dortigen Verhältnisse

und spricht von ihnen in der Weise, in welcher ein Kaffer etwa über das Parallelogramm der

Kräfte oder die Absorption des Sternenlichtes sprechen würde, falls er gezwungen wäre, zu

verschweigen, daß er überhaupt nichts davon weiß. Daß ein solches Buch keinen Nutzen

sondern nur Schaden bringen kann, versteht sich ganz von selbst, dennoch kann ich nur meine

Empfehlung verweigern, habe aber keine Macht, den Druck desselben zu verhindern. Der

Verleger ist zwar in Beziehung seiner Kenntnisse über die Indianer ebenso ein Idiot wie der

Verfasser, aber ein gewandter Geschäftsmann und wird Tausende von Exemplaren verkaufen,

ohne sich ein Gewissen daraus zu machen, daß er den wohlberechtigten Wissensdurst der

Jugend benutzt hat, sein ungesundes Mischmasch zu teurem Preise an den Mann zu bringen.

Natürlich behandelt auch dieses Werk einen armen Indianer, welcher ein ungeheures

Goldlager kennt und dem man mit geradezu scheußlichen Martern so lange zusetzt, bis er sein

Geheimnis verrät. Ich sage, wenn derartige Kenntnisse so häufig wären, wie solche

Erzählungen es den Lesern weismachen wollen, so würde es nicht Tausende und

Abertausende von armen, roten Männern geben, welche, hungernd und frierend, ihre Blöße

kaum bedecken können und als körperlich und moralisch heruntergekommene Bettler und

Vagabunden vor den Thüren derer herumstreichen, von denen sie um alles, was sie früher

besaßen, gebracht worden sind.

Damit soll freilich nicht gesagt werden, daß die Kunde von Indianern, welche solche

Geheimnisse gekannt haben, in allen Fällen eine Unwahrheit gewesen ist. Oh nein; ich selbst

habe ja auch Rote gekannt, und zu diesen gehörte mein Winnetou, welche, wenn sie Gold

brauchten, genau wußten, wo sie es zu holen hatten; aber das waren nicht gewöhnliche

Männer, sondern sie gehörten alten, hervorragenden Familien an, in denen derartige

Geheimnisse vom Vater auf den Sohn vererbten und niemals einem andern Familien- oder

Stammesmitgliede, am allerwenigsten aber einem Weißen mitgeteilt wurden. Man muß

nämlich wissen, daß der Sinn für Familienangehörigkeit, also der Stolz auf eine

ungewöhnliche Abkunft, dem Indianer nicht etwa etwas Unbekanntes ist. Dieser Sinn wird

ihnen allerdings sehr häufig abgesprochen; aber wer das thut, verrät dadurch nur seine

Unkenntnis und plappert gedankenlos Behauptungen nach, welche von den Unterdrückern der

roten Rasse vorgebracht worden sind, um ihr grausames Vergehen in einem weniger

verwerflichen Lichte erscheinen zu lassen. Es giebt unter den roten Stämmen berühmte

Familien, denen anzugehören eine große Ehre ist. Daran kann der Umstand, daß die Indianer

sonst keine Familiennamen besitzen, gar nichts ändern. Es ist da bei ihnen genau so wie z. B.

bei gewissen Völkern des Altertumes und des heutigen Orientes, die auch keine

Familiennamen kannten oder kennen und doch Familien aufzuweisen haben, welche sogar

weltgeschichtlich berühmt geworden sind.

Winnetou konnte eine ganze, lange Reihe berühmter Vorfahren aufzählen, welche alle

Häuptlinge gewesen waren. Er kannte ihre Wirksamkeit und jede einzelne ihrer Thaten und

hatte von ihnen die Kunde von Placers überkommen, über welche ihn selbst die

ausgesuchtesten Martern nicht hätten zum Reden bringen können. Ich war der einzige

Mensch, dem er, aber auch nur höchst selten und dann ganz, ganz von weitem, eine leise

Andeutung darüber machte. Dazu kam, daß sein überhaupt so unvergleichlich scharfes und

geübtes Auge einen ungewöhnlichen Blick für Fundorte edlen Metalles besaß. Ich wußte, daß

er auf seinen vielen Wanderungen von einem Stamme zum andern selbst auch Stellen

entdeckt hatte, wo Gold oder Silber zu finden war. Er hatte dann oft tage-, ja wochenlang

zugebracht, diese Orte unzugänglich zu machen oder wenigstens so zu verbergen, daß ein

anderer sich lange Zeit in unmittelbarer Nähe befinden konnte, ohne zu ahnen, daß er an einer

Quelle großen Reichtums sitze.

Solche Stellen waren es, die er aufsuchte, wenn er einmal in die Lage kam, Geld zu brauchen.

Im wilden Westen war dies nie der Fall, denn da schoß er sich unterwegs das Fleisch, welches

er zur Nahrung brauchte, und konnte darauf rechnen, in jedem befreundeten Lager oder Zelte

mit Freuden als Gast aufgenommen zu werden. Aber wenn er ein Fort oder eine sonstige

Niederlassung aufsuchen mußte, um Munition zu kaufen, oder wenn er eine weitere Reise

nach den »civilisierten« Gegenden unternahm, dann brauchte er Geld, und da versah er sich

vorher stets mit einem Vorrate von Nuggets, welche er gegen geprägte Münze oder »mit

Zahlen versehenes Papier« umtauschte.

Daß dann seine Kasse, wenn ich bei ihm war, auch für mich offen stand, brauche ich

eigentlich nicht erst zu sagen; aber es kam das nicht sehr häufig vor, denn ich gehöre nicht zu

der Art von Menschen, für welche es eine Freundschaft nur giebt, um angezapft zu werden. In

 

der Not um Geld würde ich mich nur an Fremde, nie aber an einen Freund wenden, denn ich

weiß aus Erfahrung, welche ich an andern, sonst ganz guten Menschen machte, daß das

Borgen ein wahrer Freundschaftsmörder ist. Man sage mir dagegen, was man will, ich

behaupte doch: Es sei mir jemand noch so wohlgesinnt, er fühle eine noch so große

Hochachtung für mich und er sei von meiner Zahlungsfähigkeit auch noch so felsenfest

überzeugt, sobald ich mir hundert oder fünfzig oder auch nur zwanzig Mark von ihm borge,

fällt ein wenn auch noch so kleiner Tropfen auf die schönen Schwingen unserer Freundschaft

und nimmt, wenn auch nur einige der glänzenden Schuppen weg – – der Schmetterling ist von

jetzt an lädiert. Die wahre Freundschaft ist zum größten Opfer, die zwischen Winnetou und

mir war sogar zum Opfer des Lebens bereit; diese Opferbereitschaft ist etwas Hohes, Heiliges,

das Borgen aber etwas so Alltägliches, Niedriges, trivial Materielles, daß es zwischen

Freunden vermieden werden und nur – – zwischen zwei blutarmen Gymnasiasten und dem

lieben Franzl in Falkenau vorkommen sollte!

Zwar, wenn Winnetou für mich bezahlte, war das kein Borgen zu nennen, und er hatte die

Nuggets umsonst; aber auch dieses Wort »bezahlen« hat, wenn es für einen andern, und sei

dieser der beste Freund, geschieht, einen andern Klang als wenn man für sich selbst bezahlt.

Hätte er mich mit an das Placer genommen und mir erlaubt, soviel Nuggets, wie ich brauchte,

einzustecken, dann ja, gut! Aber was er in seiner Tasche hatte, das waren für mich nicht mehr

herrenlose Nuggets, sondern das war sein Gold, sein Geld, und wenn er das für mich ausgab,

so hatte ich immer das Gefühl, als dürfe ich nicht mit dabei sein, als müsse ich hinausgehen,

um es nicht zu sehen. Und dieses Gefühl war es, welches mich dafür sorgen ließ, von seinen

Nuggets möglichst unabhängig zu sein.

Sobald wir nämlich in eine bewohnte Gegend kamen, welche Postverbindung hatte,

verwandelte ich mich aus dem Westmanne in den Schriftsteller. Meine Arbeiten wurden von

jeder Zeitung gern aufgenommen und meist sofort und gut bezahlt. Diese Honorare waren es,

welche mir meine Unabhängigkeit ermöglichten, und diese Zeitungsbeiträge sind es, welche

den Reiseerzählungen zu Grunde liegen, mit denen ich seit einiger Zeit vor meine Leser

getreten bin. Winnetou fühlte genau wie ich. Es ist ihm nie eingefallen, mir auch nur die

geringste Andeutung darüber zu machen, daß dieses Schreiben für Honorar doch ganz

überflüssig sei. Er hat sogar oft, wenn die Bezahlung nicht gleich eintreffen wollte, mit mir

obgleich wir eigentlich keine Zeit dazu hatten, geduldig gewartet, bis sie kam, und sich dann

ebenso darüber gefreut, als ob er selbst der Verfasser, und zwar ein mittelloser Verfasser sei.

Ich erinnere mich noch heut mit Vergnügen einer Zurechtweisung, die ein reicher Pflanzer,

dessen Knaben ich aus dem Missisippi gezogen hatte, von ihm erfuhr. Dieser Mann wollte,

weil er mich wegen meines abgetragenen Prairieanzuges für einen armen Teufel hielt, mich

mit einer Geldsumme belohnen; Winnetou aber trat sofort zwischen ihn und mich, blitzte ihn

mit seinen Augen zornig an und sagte:

»Kann man das Leben eines Menschen mit Geld bezahlen? Ich bin Winnetou, der Häuptling

der Apatschen, und dieser Gentleman ist Old Shatterhand, mein Freund. Er könnte Millionen

besitzen, wenn er sie von mir annähme; er mag sie aber nicht. Und du willst ihm diese

armseligen Dollars schenken? Stecke sie ein; du brauchst sie selbst!« –

Also ich war mit Winnetou an den Missouri gekommen, und zwar nach St. Joseph, wo es

damals fünf Zeitungen, darunter eine deutsche, gab und die Verbindung mit St. Louis,

respektive den Redakteuren der dortigen Zeitungen, eine so gute war, daß ich auf Erfüllung

meiner schriftstellerischen Wünsche nicht lange zu warten brauchte. Winnetou hatte sich da

von mir getrennt, um, wie bereits gesagt, Nuggets zu holen, denn wir hatten die Absicht, über

den Missisippi nach dem Osten zu gehen, wozu wir natürlich Geld brauchten. Das Ziel des

Häuptlings kannte ich nicht; er hatte nur gesagt, daß er sich nach Verlauf von zwei Wochen

wieder bei mir einstellen werde.

St. Joseph war damals der westliche Endpunkt der Hannibal-St. Joseph-Eisenbahn und hatte

unter seinen 7ooo Einwohnern ungefähr 2ooo Deutsche. Es bedurfte nur der kurzen

Benachrichtigung, daß Old Shatterhand da sei, so kamen die Besitzer der Newspapers, um

Beiträge von mir zu verlangen. Ich befriedigte sie alle binnen drei Tagen und konnte mir von

dem erhaltenen Honorare einen feinen Anzug und Wäsche für unsere Reise nach dem Osten

kaufen. Diesen Anzug nahm ich natürlich sogleich in Gebrauch, denn mein Habit aus Elkleder

war mir während des Schreibens zu schwer und unbequem. Dann schrieb ich für St. Louis und

erbat mir die Honorare nach Weston, wohin ich fahren wollte, um mir dort bis zu Winnetous

Rückkehr auch etwas zu verdienen.

Diese Stadt, deren Einwohner zum dritten Teile Deutsche waren, liegt in einer kulturell sehr

reichen Gegend und hatte sich durch die Emigrantenzüge sehr gehoben. Sie besaß damals,

glaube ich, fünf Kirchen, darunter zwei deutsche. Die Deutschen befanden sich in den besten

Verhältnissen und hatten mehrere Vereine, sogar eine Jägerkompagnie gegründet.

In St. Joseph war ich keine Viertelstunde lang mein eigener Herr. Es regnete förmlich

Einladungen, und da ich diesen, um lieber zu arbeiten, nicht folgte, so kamen die Leute zu

mir, um mich zur Schilderung unsers Lebens im Wildwest aufzufordern. Das paßte mir

natürlich nicht, und damit es mir in Weston nicht ebenso ergehen möge, nahm ich mir vor,

dort meinen Namen zu verschweigen. Und weil mein Pferd, dessen Beschreibung überall

bekannt war, mich hätte verraten können, gab ich es einem Farmer in Pflege und fuhr mit

einem Missouriboote von St. Joseph ab, nachdem ich nur meinen Wirt ins Vertrauen gezogen

und ihm gesagt hatte, wo ich vorkommenden Falls zu finden sei.

Ich muß sagen, daß ich seit langer Zeit nicht so anständig ausgesehen hatte wie jetzt in

meinem neuen Habitus. Das Pferd hatte ich zurückgelassen, die Waffen, den Patronengürtel

und alle andern Ausrüstungsgegenstände gut verpackt, und so konnte man mich wohl eher für

alles andere als für einen Westmann halten, der sich soeben erst mit Lebensgefahr durch das

Gebiet der feindlichen Komantschen und Kiowas geschlichen hatte.

Als ich mich, in Weston angekommen, nach einer guten Logiergelegenheit erkundigte, wurde

ich in ein Hotel gewiesen, welches zwar nur nach westlichen Anschauungen diese

Bezeichnung verdiente, aber für mich, den anspruchslosen Mann, ganz genügend war. Ich

verlangte vor allen Dingen Sauberkeit, und die fand ich hier, so daß ich beschloß, so lange da

zu wohnen, wie ich überhaupt in Weston blieb.

Der Wirt war ein Deutscher, die Wirtin eine freundliche, vor Reinlichkeit glänzende Frau, und

auch der Oberkellner redete mich, als ich in das Gastzimmer trat, in deutscher Sprache an; er

wurde Oberkellner genannt, obgleich es keinen Unterkellner gab.

Dieser junge, vielleicht achtundzwanzigjährige Mann war ein außerordentlich schmächtiger

und fast zu kleiner Mensch, denn er reichte mir nur bis an die Schulter, befand sich aber im

Besitze eines desto größeren und außerordentlichen Schnurrbartes, auf den er große Stücke zu

halten schien, weil er, wenn er nichts anderes zu thun hatte, ihn keinen Augenblick aus den

Händen ließ. Nachdem ich von ihm bedient worden war, kehrte er zu der Zeitung zurück, bei

der er vorher gesessen hatte, und während er las, hörte er nicht auf, den Bart nach rechts und

links zu streichen. Plötzlich stieß er einen lauten Ruf der Überraschung aus, sprang auf und

sagte zu dem Wirte, welcher rauchend und mich still beobachtend in meiner Nähe saß:

»Mylord, ich muß Sie sofort für heut und morgen um Urlaub bitten!«

Daß ein Kellner seinen Prinzipal mit Mylord antituliert, das hatte ich noch nicht gehört. War

das hier im Hause so gebräuchlich, oder geschah es von dem kleinen Manne aus gewohnter,

übertriebener Höflichkeit?

»Urlaub heut?« fragte der Wirt. »Sind Sie des Teufels? Urlaub, wo die Jäger heut ihr

Stiftungsfest feiern und bei uns große Festtafel mit Ball ist!«

»Thut mir leid, Mylord,« äußerte sich der Kleine mit einer tiefen, bedauernden Verbeugung.

»Ich bin bereit, Ihnen, hochverehrtester Herr, jedes Opfer zu bringen, nur dieses nicht. Ich

muß nämlich mit ihm sprechen!«

»Mit wem?«

»Mit Old Shatterhand.«

»Was? Wie?« rief der Wirt. »Old Shatterhand? Ist er etwa hier in Weston?«

»Nein, aber in St. Joseph oben.«

»Wissen Sie das?«

»Ja. Hier steht es in der Zeitung zu lesen. Er ist vor einigen Tagen dort angekommen und hat

sogleich einen Beitrag geliefert, welcher morgen erscheinen wird.«

Ah, der pfiffige Herausgeber des Blattes machte das Publikum auf meinen Aufsatz

aufmerksam, um möglichst viele Exemplare zu verkaufen! Die amerikanischen Zeitungen

sind bekanntlich weniger auf die Abonnenten als vielmehr auf den Verkauf angewiesen.

»Und da wollen Sie nach St. Joseph fahren?« fragte der Wirt.

»Ja.«

»Wissen Sie denn, wo er logiert?«

»Nein, aber ich werde es sehr leicht erfahren.«

»Sie werden es nicht erfahren!«

»Warum?«

»Weil Sie sich gar nicht danach erkundigen werden, denn ich kann Ihnen die Erlaubnis zu der

Reise nach St. Joseph heut nicht geben.«

Da machte der Kellner dieselbe tiefe Verbeugung wieder und antwortete:

»Ich kenne nicht nur meine Pflicht, Mylord, sondern ich widme Ihnen auch die größte

Hochachtung, deren mein Herz fähig ist, aber dennoch muß ich Ihnen durch die Mitteilung

leid thun, daß ich diese Reise unbedingt machen muß.«

»Aber doch nicht gleich heute!«

»Allerdings gleich heute, denn morgen könnte Old Shatterhand nicht mehr zu haben sein.«

»Aber Sie müssen doch einsehen, daß Sie mich in die größte Verlegenheit bringen, wenn Sie

grad heut fortgehen.«

»Das weiß ich freilich, kann es aber beim besten Willen nicht ändern. Ich habe Ihnen doch

gesagt, daß ich nach dem Westen muß, und Sie darauf vorbereitet, daß mir jede Gelegenheit,

diesen Vorsatz auszuführen, höher steht, als der Dienst in Ihrem Hotel.«

»Aber was hat das mit Old Shatterhand zu thun?«

»Bitte gehorsamst, diese Frage doch lieber nicht zu thun, weil sie sich ganz von selbst

beantwortet. Ich werde Old Shatterhand bitten, mich mit nach dem Westen zu nehmen.«

»Wissen Sie denn, daß er dorthin will?«

»Ja. Wohin sollte er sonst wollen? Ein Westmann wie er gehört doch nach dem Westen!«

»Er kann doch auch von dort kommen!«

»Nein. Gestatten Sie, daß eine innere Stimme mir sagt, daß er nicht aus dem Westen kommt,

sondern im Begriff steht, dorthin zu gehen! Eine bessere, eine vortrefflichere Gelegenheit,

meinen Vorsatz auszuführen, kann ich ja niemals finden!«

»Aber eine bessere Gelegenheit, sich hier bei mir nützlich zu machen und Geld zu verdienen,

haben Sie auch noch nicht gehabt!«

»Meine Absicht steht mir höher als alles Geld!«

»Und Sie denken, daß Old Shatterhand Sie mitnehmen werde?«

»Ich bin überzeugt davon.«

»Mann, bilden Sie sich das nicht ein!«

»Warum?«

»Old Shatterhand wird sich hüten, sich mit Ihnen abzugeben. Man weiß ja, daß er am liebsten

mit Winnetou allein ist und es so viel wie möglich vermeidet, daß sich andere an ihn hängen.

Er pflegt da nur mit Leuten von Ruf eine Ausnahme zu machen.«

»Er wird sie auch mit mir machen.«

»Mit Ihnen, der Sie gar kein Westmann sind?!«

»Ja.«

»Das bezweifle ich.«

»Gestatten Sie, daß mir meine innere Stimme sagt, daß er diese Ausnahme mit mir machen

wird!«

»Wird sich hüten! Ich sage Ihnen im voraus, daß Ihre Reise nach St. Joseph vollständig

umsonst sein wird. Ich begreife überhaupt nicht, daß Sie auf den Westen so versessen sind.

Sie haben es doch bei mir so gut, wie Sie es sich nur wünschen können, und verdienen genug,

um in absehbarer Zeit daran denken zu können, sich selbständig zu machen!«

Der Kellner verbeugte sich jetzt zweimal anstatt einmal und antwortete:

 

»Ich habe allerdings die Ehre, Ihnen mitzuteilen, daß ich meinen Platz für einen so

vorzüglichen halte, daß ich ihn nicht aufgeben würde, wenn mich mein Beruf nicht geradezu

zwänge, den Westen aufzusuchen.«

»Ach was, Beruf!« sagte der Wirt, jetzt unwillig. »Der Teufel hat den Beruf, nach den

›finstern und blutigen Gründen‹ zu gehen, um sich dort langsam abmorxen zu lassen, aber

nicht Sie!«

»Ich bitte inständigst, Mylord, haben Sie doch die Gewogenheit, diese Ansicht ja nicht

festzuhalten. Wenn ein Mensch den Beruf in sich fühlt, diese Richtung einzuschlagen, so bin

ich es. Das habe ich die Ehre gehabt, Ihnen schon des öfteren auseinander zu setzen, leider

aber immer ohne den gewünschten Erfolg.«

»Sie werden diesen Erfolg auch niemals bei mir haben! Wie oft sagte ich Ihnen doch schon,

daß Ihnen hier in Weston eine Zukunft offen steht. Sie sind ein belesener und gewandter, dazu

ein sparsamer, junger Mann, und unsere Stadt blüht einer Zukunft entgegen. Wie lange wird

es dauern, so können Sie sich hier selbständig machen!«

»Dazu gehört mehr Geld, als ich habe!«

»Nein, denn Sie besitzen Kredit, und auch ich würde Ihnen gern behilflich sein, hier ein

Hotel, einen Saloon oder etwas derartiges zu eröffnen, denn es ist mir lieber, Sie zum

Konkurrenten zu haben als einen andern, der fremd herkommt und keine Rücksicht gegen

mich zu nehmen braucht. Das habe ich Ihnen schon oft gesagt, doch aber immer leider ohne

Erfolg.«

»Diese Güte, welche Sie mir erweisen, Mylord, kann keinen Erfolg haben, weil mein Beruf

ein anderer als der eines Wirtes ist.«

»Sprechen Sie doch nicht von Beruf! Was Geld einbringt, das ist Beruf!«

»Ich werde, wenn ich einst mit erweiterten Kenntnissen und Erfahrungen aus dem Westen

zurückkehre, mehr Geld machen, als ich in Ihrem Fache jemals machen würde; das weiß ich

genau. Ein Mann, welcher den großen, vorderen, gekerbten Muskel so gut von dem

Kaputzenmuskel zu unterscheiden versteht, wie ich das gelernt habe, der hat andere Ziele vor

Augen als das, durch den Verkauf von Spirituosen ein reicher Mann zu werden.«

»Von Ihrer Muskelei verstehe ich nichts; ich weiß nur, daß ich Sie heut unmöglich entbehren

kann. Fahren Sie doch morgen, wenn der Ball vorüber ist!«

»Das geht nicht, denn da könnte Old Shatterhand schon nicht mehr in St. Joseph sein.«

»Fragen Sie doch telegraphisch bei ihm an!«

»Ich weiß nicht, wo er wohnt!«

»Man wird ihn finden!«

»Davon bin ich überzeugt, aber selber ist der Mann! Er könnte leicht auf den Gedanken

kommen, mich durch eine abweisende Antwort von sich abzuschütteln. Ich muß selbst hin.«

Da bat auch die Wirtin den Kellner, doch noch bis morgen zu warten. Sie stellte ihm vor, daß

man ihn heut doch unmöglich missen könne, doch waren auch ihre Bemühungen umsonst; er

antwortete in der höflichsten Weise, nannte sie Mylady und machte eine Verbeugung nach der

andern, ließ sich aber von seinem Vorsatze, die Fahrt nach St. Joseph heut zu machen, nicht

abbringen. Dieser junge, energische Mann war mir trotz des drolligen Anfluges, den er hatte,

sympathisch. Was er eigentlich war und was er im wilden Westen suchte, das wußte ich nicht.

Die Erwähnung der beiden Muskel ließ vermuten, daß er ein Beflissener der löblichen

Arzneikunst sei. In Amerika kann auch ein Mediziner leicht dazu kommen, vorübergehend

die Rolle eines Kellners zu übernehmen. Um der Verlegenheit des Wirtes zu Hilfe zu

kommen, mischte ich mich in das Gespräch:

»Erlauben die Herren eine Bemerkung! Die Reise nach St. Joseph würde resultatlos sein, denn

Old Shatterhand ist nicht mehr dort.«

»Nicht? Nicht? Wissen Sie das genau? Wer hat es Ihnen gesagt?« fragten beide

durcheinander.

»Ich weiß es genau, denn ich habe es von ihm selbst erfahren,« antwortete ich.

Im Nu saßen sie rechts und links zu meinen beiden Seiten, und der Wirt erkundigte sich:

»Sie haben also mit ihm selbst gesprochen?«

»Ja. Ich komme von St. Joseph.«

»Das ist interessant, im höchsten Grade interessant! Man sagt, daß er ein Deutscher sei.

Wissen Sie vielleicht, ob dies wahr ist?«

»Es ist wahr.«

»Das freut mich; das freut mich ungemein! Ich bin nämlich ein so guter Deutscher, wie es

drüben im alten Lande nur irgend einen geben kann. Wissen Sie, woher er stammt?«

»Ich habe ihn nicht darnach gefragt.«

»Freilich! Solchen Mann darf man nicht aushorchen wie andere Leute. Also er ist nicht mehr

in St. Joseph? Wohin ist er denn?«

»Das weiß wahrscheinlich niemand außer er selbst.«

»Das ist unangenehm, höchst unangenehm!« rief der Kellner. »Ich hätte sonst was drum

gegeben, wenn ich hätte mit ihm sprechen können!«

»Was das betrifft, so kann ich Sie beruhigen. Er hat nämlich nur einen Ausflug vor und will

wiederkommen.«

»Wirklich? Wirklich? Wann denn, wann?«

»Das ist noch unbestimmt. Er scheint Winnetou in St. Joseph erwarten zu müssen.«

»Winnetou? Der kommt auch? Das ist ja alles, was ich mir nur wünschen kann! Ich werde

beide sehen, beide, Old Shatterhand und Winnetou! Bitte, haben Sie die freundliche

Gewogenheit, uns zu sagen, was für ein Mann er ist, wie lang, wie breit, was für Augen,

welchen Bart, wie gekleidet, sodann Haltung, Gang, Stimme und – –«

»Halten Sie ein, halten Sie ein!« fiel ich ihm lachend in die Rede. »Wer kann sich alle diese

Fragen merken!«

»Richtig! Ich bin zu hastig gewesen!«

Er erhob sich, machte mir eine tiefe Verbeugung und fuhr fort:

»Gestatten Sie, Mylord, daß ich meine Fragen einzeln vorlege. Wie hoch ist er?«

»So hoch wie ich.«

»Wie breit?«

»Auch wie ich.«

»Hm! Gestatten Sie, daß eine innere Stimme mir immer gesagt hat, daß er viel höher und viel

breiter sei! Wie ist seine Haltung?«

»Aufrecht.«

»Sein Gang?«

»Wenn er läuft, geht er mit zwei, wenn er aber reitet, mit sechs Beinen.«

»Oh, bitte, bitte, nicht solche Scherze! Ich zolle diesem Manne Gefühle, welche jeden Witz

ausschließen. Was hat er für einen Bart?«

»Schnurrbart und Fliege.«

»Also auch wie Sie. Kleidung?«

»Trapperanzug aus Elkleder.«

»Mit Menschenhaar?«

»Nein, sondern mit roten Lederfransen.«

»Ja. Man weiß, daß er es nicht liebt, sich wie eine Rothaut mit barbarischen Siegeszeichen zu

schmücken. Sie haben mit ihm gesprochen?«

»Ja.«

»Worüber?«

»Über Verschiedenes.«

»Hat er Ihnen von seinen Erlebnissen erzählt?«

»Nein. Aber ich habe mit ihm gegessen und getrunken, mich mit ihm rasieren lassen, in seiner

Stube mit ihm geschrieben, bin mit ihm ausgegangen und habe sogar sein Waschbecken, seine

Seife und sein Handtuch mit benutzt.«

»Was Sie sagen, Mylord! Das ist ja ein intimer, ein höchst intimer Verkehr gewesen, um den

ich Sie beneide!«

Er stand wieder auf, verneigte sich vor mir und fuhr fort:

»Hoffentlich haben Sie die Güte, mir noch mehr über ihn zu sagen. Ich freue mich herzlich

darüber, daß Sie hier bei uns wohnen wollen, und es soll mir eine hochgeschätzte Ehre sein,

Sie so zu bedienen, wie ein so intimer Bekannter Old Shatterhands es verlangen kann.

Kommen Sie vielleicht wieder mit ihm zusammen?«

»Ja.«

»Bitte, wann?«

»Ich werde der erste sein, der seine Rückkehr nach St. Joseph erfährt.«

»Und so lange bleiben Sie hier?«

»Ja.«

»Dann ersuche ich Sie inständigst, mich mitzunehmen und ihm vorzustellen! Wollen Sie das

thun, Mylord?«

»Hm! Er ist kein Freund von neuen Bekanntschaften, und ich weiß, daß er grad jetzt mit

Winnetou allein reisen will.«

»Vielleicht überlegt er sich das doch noch anders, wenn er mir Gehör geschenkt hat. Stellen

Sie mich ihm nur vor, damit ich mit ihm sprechen kann!«

»Ich weiß nicht, ob es ihm lieb sein wird, wenn ich Ihnen diese Bitte erfülle. Ich habe vorhin

gehört, daß Sie den Wunsch haben, sich ihm anzuschließen, gebe Ihnen aber zu bedenken,

daß er kein Fremdenführer ist.«

»Was sagen Sie, was denken Sie, Mylord! Ich weiß sehr genau, was ich von ihm zu halten

habe. Ich weiß, daß hundert verdiente Westmänner es für die größte Ehre halten würden, sich

ihm und Winnetou wenn auch nur für ganz kurze Zeit anschließen zu dürfen, und ich bin

nichts weniger als ein Westmann; aber wenn er hört, was ich will, so wird er mich vielleicht

nicht von sich weisen.«

»Nun, was wollen Sie denn von ihm? Ich frage nicht aus Neugierde, sondern weil ich, wenn

ich Sie ihm vorstellen soll, doch wissen möchte, in welcher Absicht Sie dies wünschen.«

Da stand er abermals auf, verbeugte sich und sagte:

»Gestatten Sie, Mylord, daß ich Sie über meine Person genügend unterrichte. Ich heiße

Hermann Rost, bin ein Deutscher und meines Zeichens eigentlich ein Barbier. Mein Ideal

war, Medizin zu studieren, aber meine Eltern waren zu arm dazu; darum wählte ich den

erwähnten Beruf, den man doch vielleicht eine Vorstufe zu dem Ziele, nach welchem ich

strebe, nennen kann. Ich habe dieses Ziel während meiner Lehrlings- und Gehilfenzeit stets

vor Augen gehabt und stets fleißig gearbeitet. Zwei Gymnasiasten, welche bei meinem

Prinzipal logierten, interessierten sich für mich und unterstützten mich im Latein, welches ich

jetzt wenigstens soweit kenne, wie ein Arzt es beherrschen muß. Ich verwendete alle meine

geringen Ersparnisse dazu, mir die einschlägigen Werke zu kaufen, und habe alle meine freie

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