Weihnacht von Karl May

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Zeit darauf verwendet, mir ihren Inhalt zu eigen zu machen. An den Besuch einer Universität

konnte ich natürlich nicht denken; dazu fehlten mir die geistigen und auch die andern Mittel.

Wenn ich überhaupt an eine Hochschule denken durfte, so konnte das nur eine amerikanische

sein. Ich ging also nach Hamburg und nahm, um nicht zahlen zu brauchen, Arbeit auf einem

nach New York bestimmten Segelschiffe. Dort angekommen, wurde ich wieder Barbier, doch

mit dem Unterschiede, daß es mir gelang, nebenbei das Columbia-Colleg zu besuchen. Ich

will Sie, Mylord, nicht mit einer langen Erzählung belästigen; es genügt, zu sagen, daß ich vor

einem halben Jahre die St. Louis-Universität mit guten Zeugnissen verlassen habe.«

Als er jetzt eine Pause machte, reichte ich ihm die Hand und sagte:

»Das ist aller Ehren wert, Herr Doktor. Ich gestehe Ihnen, daß ich Ihnen meine Achtung zolle.

Aber wie sind Sie auf den Gedanken gekommen, hier Kellner zu werden?«

»Sie finden das sonderbar, aber für Amerika ist das gar nichts Außergewöhnliches. Ich bin

Mediziner, mag aber von Medizin, wie sie von unsern Ärzten verordnet und gegeben wird,

nichts wissen. Ich bin vielmehr der Ansicht, daß der kranke Körper, wenn er überhaupt noch

Lebensfähigkeit besitzt, keine fremden, wohl gar giftigen Stoffe in sich aufzunehmen braucht,

um wieder gesund zu werden. Die durch die Krankheiten verursachten Störungen im

menschlichen Körper müssen durch die Natur selbst wieder ausgeglichen werden, wobei ich

aber keineswegs behaupte, daß diese Ansicht auf alle Krankheiten und auf alle Arzneimittel

anzuwenden sei. Ich habe mir vorgenommen, auf diesem Wege weiter zugehen, und bin der

Meinung, daß die sogenannten wilden Völker, weil auf die Natur angewiesen, Anhänger

meiner Überzeugung sind. Darum entstand in mir der Gedanke, nach dem Westen zu gehen,

um bei irgend einem Indianerstamme meine Studien zu machen. Die Mittel zur Ausrüstung

besaß ich zwar nicht, aber ich machte mich doch auf den Weg und kam bis hierher, wo ich

diese Stelle annahm, um Geld zu verdienen und eine passende Gelegenheit nach dem Westen

abzuwarten. Heut las ich, daß Old Shatterhand in St. Joseph sei, und faßte sofort den

Entschluß, mich an ihn zu wenden. Vielleicht nimmt er mich mit, und wenn nicht, so bedarf

es nur einer Empfehlung von ihm oder Winnetou an einen ihnen befreundeten Stamm, um

mich einer guten Aufnahme dort sicher sein zu lassen. Was sagen Sie dazu, Mylord?«

»Ich betrachte Sie jetzt allerdings mit andern Augen als vorhin, wo ich Sie, der ich Sie nur für

einen Kellner hielt, sagen hörte, daß Sie Old Shatterhand bitten wollten, Sie mitzunehmen. Ich

war überzeugt, daß dieser Wunsch Ihnen nicht in Erfüllung gehen werde, zumal ich weiß, daß

er mit Winnetou jetzt nicht nach dem Westen, sondern nach dem Osten gehen wird.«

»Nach Osten? Wie bedaure ich das!«

»Suchen Sie ihn trotzdem auf! Er wird Ihnen wenigstens seinen Rat nicht vorenthalten, und

wenn Winnetou damit einverstanden ist, halte ich es nicht für unmöglich, daß Sie von ihnen

eine Empfehlung in Gestalt eines Totem für einen ihnen befreundeten Häuptling bekommen.

Am besten wäre es, Sie erbäten sich ein Totem für einen der Winnetou untergebenen

Apatschenstämme. Da könnten Sie nicht nur einer guten Aufnahme, sondern auch aller

möglichen Unterstützungen und Auskünfte sicher sein. Das ist so meine Ansicht; was Old

Shatterhand dazu oder darüber sagen wird, das ist freilich eine andere Sache.«

»Aber Sie kennen ihn. Er hat Ihnen sogar erlaubt, Ihre Hände mit ihm in dasselbe

Waschbecken zu tauchen; er würde also einen Wunsch von Ihnen nicht ganz unberücksichtigt

lassen. Würden Sie, Mylord, vielleicht die große Güte haben, mir ein Empfehlungsschreiben

an ihn mit nach St. Joseph zu geben?«

»Warum nicht? Ich bin gern bereit, Ihnen diesen Wunsch zu erfüllen, kann Ihnen aber nicht

versprechen, daß dieses Schreiben auch wirklich den beabsichtigten Erfolg haben wird.«

Da stand er auf, verbeugte sich dreimal, und zwar tiefer als vorher, und sagte:

»Ergebensten Dank, Mylord! Der Erfolg wird nicht auf sich warten lassen. Gestatten Sie, daß

mir eine innere Stimme sagt, daß ich auf jeden Fall ein Totem bekommen werde. Sie meinen

also, ein solches für einen Apatschenstamm würde am vorteilhaftesten sein?«

»Ja. Freilich hätten Sie dann von hier aus eine größere und gefährlichere Reise, als wenn Sie

sich nördlicher wohnenden Indianern anschließen wollten. Das bringt mich auf die Frage, wie

es mit Ihren Fähigkeiten bezüglich einer solchen Reise und eines Aufenthaltes in der Wildnis

steht.«

»Oh, was das betrifft, so bin ich gesund, ausdauernd und habe gelernt, ein Pferd zu regieren.

Da ich meinen Zweck bei allem, was ich that, im Auge behielt, habe ich mich während

meines Aufenthaltes in St. Louis sehr fleißig im Gebrauch der Waffen geübt. Ich bin zwar

kein Prairiemann, darf aber sagen, daß ich unter zehn Schüssen sechs- oder siebenmal das

Schwarze treffe.«

»Das ist allerdings ganz hübsch, aber wenn man einen guten Westmann erzählen hört, erfährt

man freilich, daß Scheibenschüsse, und wenn auch hundertmal ins Schwarze, einem richtigen

Savannenläufer gar nicht imponieren können.«

Wir wurden jetzt gestört, denn der Kellner hatte einen jetzt eben eingetretenen neuen Gast zu

bedienen. Dieser war einem Geistlichen ähnlich ganz schwarz gekleidet und glatt rasiert und

hatte einen kleinen Handkoffer bei sich. Er gab sich ein frommes, würdevolles Aussehen, zu

welchem aber, wie ich nicht jetzt gleich sondern später erst bemerkte, sein unstäter und

ruhelos umherforschender Blick nicht recht passen wollte.

»Ah, der Prayer-man,« sagte der Wirt, indem er auf ihn zuging, um ihn mit der Hand zu

begrüßen.

»Ja, der Prayer-man,« näselte der Fremde salbungsvoll. »In dieser sündhaften Welt ist der

Prayer-man notwendiger als jeder andere Mann. Die Menschen wollen sich nicht mehr von

Gott strafen lassen; sie wandeln die Wege des Verderbens, und wenn nicht eine zweite

Sündflut kommen und alles Lebende verderben soll, müssen die Gott treu Gebliebenen

versuchen, die Irrenden auf den Pfad des Glaubens zurückzuführen. Grad hier an der Grenze

zwischen der Civilisation und dem wilden Westen treffen die Kinder dieser Welt zusammen

und verderben durch ihr Beispiel die wankenden Seelen, welche vielleicht noch zu retten

wären.«

»Leider, leider ist das so!« stimmte der Wirt bei. »Können Sie sich besinnen, daß wir bei Ihrer

letzten Anwesenheit davon sprachen, daß der Händler, welcher da gegenüber wohnte, sein

Haus und Geschäft verkauft hatte und nach Memphis ziehen wollte?«

»Ich kann mich nicht mehr darauf besinnen!«

»Ich dachte, Sie wüßten es noch. Er hatte den Kaufpreis ausgezahlt bekommen; es wurde

aber, ich glaube zwei Tage nach Ihrer Abreise, bei ihm eingebrochen; das Geld war fort.«

Da schlug der Prayer-man entsetzt die Hände zusammen, und hob die Augen fromm empor

und rief:

»Welch eine Sündhaftigkeit! Du sollst nicht stehlen! Wer dies Gebot nicht achtet, ist

unwürdig, das Reich Gottes zu erben!«

»Und drüben in Plattsburg geschah ein ganz ähnlicher Fall, einen oder zwei Tage vorher,

wenn ich mich nicht irre. Pretter, der Advokat, hatte einem Klienten zweitausend Dollars

auszuzahlen, konnte das Geld aber nicht gleich an den Mann bringen, weil dieser verreist war;

da kamen die Einbrecher und holten es. Sie kennen doch den Advokaten?«

»Nein, denn die Kinder der Seligkeit vermeiden allen Zank und Streit; sie führen keine

Prozesse und brauchen also auch keine Advokaten!«

»Ich dachte, Sie wären damals von Plattsburg direkt nach Weston herüber gekommen!«

»Ich wandle die Pfade meines himmlischen Berufes und merke mir die irdischen Wege nicht.

Jetzt will ich einige Tage hier in Weston bleiben. Kann ich die kleine, bescheidene Stube

wiederbekommen, welche ich damals bewohnte?«

»Ja; sie steht Ihnen zu Verfügung.«

»So will ich gleich einmal versuchen, ob mein heutiger Eintritt in Ihr Haus ein vom Herrn

gesegneter ist.«

Er öffnete seinen Koffer, suchte eine Handvoll Schriften zusammen, kam zu mir, legte sie vor

mich hin und fragte:

»Verstehen Sie deutsch, mein werter Herr?«

Ich nickte.

»So habe ich wahrscheinlich die Freude, in Ihnen einen Landsmann zu begrüßen, der das

Bibelwort kennt: Der Teufel geht wie ein brüllender Löwe umher, um zu suchen, wen er

verschlinge. Noch ist es Zeit, ihm auszuweichen. Erfassen Sie die Gelegenheit, und greifen

Sie nach dem Rettungsanker, der sich Ihnen hier in diesen frommen Werken bietet, deren

geringer Preis auf den Titelblättern zu lesen ist!«

Mit einer Geste, als ob er mich segnen wolle, wendete er sich von mir ab und seinem Tische

wieder zu, wo er sich niedersetzte, um zu sehen, ob ich lesen und auch kaufen werde. Also

das war die Probe, ob sein Eintritt ein vom Herrn gesegneter sei.

Der Amerikaner hält sehr viel auf Religiosität; darum werden in den Vereinigten Staaten mehr

fromme Bücher als in andern Ländern gekauft. Herumziehende Traktätchenhändler machen

kein übles Geschäft. Ein solcher Händler war dieser Prayer-man. Ich gehöre zu den

Menschen, denen ihr Glaube höher als alle irdischen Angelegenheiten steht; aber das

zudringliche Zurschautragen der Frömmigkeit ist mir verhaßt, und wenn jemand vor Salbung

förmlich überfließt wie dieser Mann, so zuckt es mir in der Hand, und ich möchte ihm am

 

liebsten mit einer Salbung anderer Art antworten. Ich kann mir da nicht helfen: ich muß dabei

stets an die Fabel vom Wolf im Schafsfell denken. Es widerstrebte mir, die Schriften

anzufassen, aber ich that es doch, denn nicht nur der Prayer-man beobachtete mich, sondern

auch der Wirt und der Kellner sahen zu mir her. Ich wollte nicht in den Verdacht kommen, ein

Verächter der Religion zu sein, und sah die Sachen durch.

Es waren Predigten und fromme Abhandlungen in englischer und in deutscher Sprache; auch

kleine Gebetbücher und Liedersammlungen gab es dabei; doch stießen mich die meisten Titel

schon ab. Da stand zu lesen: »Himmelsrettung eines räudigen Erdenschafes«, »Psalterklänge

auf fünf Seelensaiten«, »Kanzeldonner für verfluchte Menschenschlangen«, »Religiöses

Fernrohr zur Entdeckung des Wegs zur Seligkeit«. Ich mag vielleicht unrecht haben, aber

solche Bezeichnungen empören mich. Die Sprache soll für das Höchste, was der Mensch

besitzt, die edelsten ihrer Worte haben; hier aber war es trivialisiert. Ein einziges kleines

Heftchen hatte einen Titel, der mir wenigstens nicht widerwärtig war; er lautete: »Sechs

ergreifende Festgedichte für Weihnachten, Ostern und Pfingsten.« Es kostete fünfundzwanzig

Cents, war also teuer genug. Ich behielt es, ohne hineingesehen zu haben, schob die andern

Sachen fort und legte das Geld darauf. Da kam der Prayer-man wieder, nahm Geld und die

Hefte zu sich und sagte:

»Mein Freund, Ihre Auswahl ist eine sehr bescheidene. Es ist die Pflicht eines jeden guten

Christen, die heilige Religion zu unterstützen; Sie aber scheinen mehr an den irdischen Gütern

als an den himmlischen zu hängen; darum gebe ich Ihnen zu bedenken, daß einem jeden

dereinst mit demselben Maße gemessen wird, mit dem er hier gemessen hat. Ihre Sparsamkeit

wird Ihnen keinen Lohn im Himmel bringen!«

Ich hatte mit dem Manne gar nicht sprechen wollen, konnte mich aber jetzt nicht enthalten,

ihm zu antworten:

»Das lassen Sie meine Sorge und nicht die Ihrige sein! Behalten Sie Ihren geistlichen Rat für

sich, um den ich Sie nicht gebeten habe!«

Er wollte etwas erwidern, denn er öffnete schon den Mund dazu, aber die Veränderung,

welche in meinem vorher gleichgültigen Gesichte unwillkürlich vorgegangen war, schien ihn

zu belehren, daß Schweigen jetzt besser sei als Reden; er wendete sich mit einer hochmütigen

Handbewegung von mir ab, legte die Drucksachen in den Koffer, zog ein Exemplar der

Gedichte, die ich behalten hatte, hervor und gab es dem Wirte mit den Worten hin:

»Als Gast dieses Hauses kann ich von Ihnen keine Bezahlung fordern. Ich verehre Ihnen diese

sechs ergreifenden Festgedichte unentgeltlich zum Heile Ihrer Seele. Ich erweise Ihnen diese

fromme Aufmerksamkeit auch deshalb mit, weil ich eines dieser Gedichte hier in Weston

erhalten habe.«

»Hier? Von wem?« fragte der Wirt, indem er das Heft aufschlug.

»Von einer sehr frommen Dame, welche mir schon öfters abgekauft hat. Es ist die Frau des

Pelzjägers, welcher schon seit einer Reihe von Monaten zurückerwartet wird und nicht

kommt. Ihr Sohn, welcher bei ihr wohnt, ist Lawyer, nimmt aber keine Stelle an.«

»Ah, Sie meinen Frau Hiller?«

»Ja, Hiller ist ihr Name; ich besinne mich jetzt. Als ich zum letztenmal bei ihr war, las sie mir

ein Weihnachtsgedicht vor, und dies gefiel mir so, daß ich sie bat, es mir abschreiben zu

dürfen. Ich habe es drucken lassen und verkaufe es nun.«

»Welches ist es?«

»Gleich das erste.«

»Also das mit der Überschrift: Weihnachtslust am Kindleinstall zu Bethlehem?«

»Ja. Das müssen Sie lesen, unbedingt lesen, oder vielmehr ich selbst werde es Ihnen vorlesen,

denn dies richtig thun zu können, muß man eine auserwählte Gabe besitzen, den Sinn des

Gedichtes zu erfassen und mit dem auf- und absteigenden Fall des Tones das Herz des

Zuhörers zu ergreifen. Erlauben Sie mir also!«

Er nahm das Heft dem Wirte wieder aus der Hand, schlug es auf und stellte sich an, das

Gedicht zu deklamieren.

»Weihnachtslust am Kindleinstall zu Bethlehem!« wieder so ein gassenfrommer Titel!

Jedenfalls war der Wert des Gedichtes diesem Titel angemessen. Ich mochte es gar nicht

hören und stand auf, um hinauszugehen. Schon war ich fast an der Thür, als er begann:

»Ich verkünde große Freude,

Die Euch widerfahren ist,

Denn geboren wurde heute

Euer Heiland Jesus Christ!«

Man kann sich denken, daß ich vor Erstaunen stehen blieb. War es denn möglich, daß ich

mein Gedicht, wirklich mein Gedicht da hörte? Oder war es ein anderes mit zufällig

denselben Anfangsversen? Ich horchte weiter; ja, es war das meinige, Wort für Wort das

meinige, welches er mit näselnder Stimme bis zu Ende deklamierte. Ich kehrte an meinen

Tisch zurück, auf welchem das von mir gekaufte Heft lag, schlug es auf und las:

»Weihnachtslust am Kindleinstall zu Bethlehem – Reuegedicht eines verlorenen, aber durch

das Lesen unserer Schriften wiederbekehrten Sünders.«

Ich war baff! Sollte ich lachen, oder sollte ich mit den Fäusten dreinschlagen? Da hörte ich,

noch ehe ich einen Entschluß fassen konnte, die Worte des Prayer-man:

»Wenn Sie sich von der Wirkung dieses Gedichtes überzeugen wollen, so sehen Sie sich den

Fremden dort an!«

Er zeigte mit der Hand auf mich und fuhrt fort:

»Er war zu sparsam, sich den Quell der Gnade ganz zu kaufen; er hat nur einen Tropfen

davon bezahlt, aber dieser eine Tropfen schon hat ihn so ergriffen, daß er in seinen Busen

greift und auch die andern Hefte noch verlangen wird. Ich eile, seine arme Seele vom ewigen

Tode zu erretten!«

Nach diesen Worten holte er die von mir zurückgewiesenen Hefte aus dem Koffer, legte sie

mir wieder vor und hielt mir die Hand hin, um das Geld in Empfang zu nehmen. Ich fühlte

mich durch diese Frechheit in jenen innern Zustand versetzt, welchen Winnetou mit den

Worten zu bezeichnen pflegte:

»Mein Bruder wird gleich losschießen; er hat die Patronen schon im Munde und auch in den

Fäusten.«

Ich pflegte dann gewöhnlich im freundlichsten Tone zu sprechen; aber was dann folgte, war

nichts weniger als Freundlichkeit. So fragte ich jetzt auch den Prayer-man mit gutmütigem

Lächeln:

»Das Gedicht hat allerdings einen tiefen Eindruck auf mich gemacht. Ist Ihnen der Verfasser

bekannt?«

»Ja,« antwortete er.

»Wer und was ist er?«

»Er war ein berüchtigter Pferdedieb.«

»Ah, er war – – ist es also nicht mehr?«

»Nein, denn das Lesen unserer Schriften hat ihn zur Reue geführt. Seine Reue war so tief, daß

er sich kurz vor seinem Tode noch hinsetzte, um diese Verse zu dichten.«

»Vor seinem Tode? Er lebt also nicht mehr?«

»Nein. Oder wissen Sie nicht, daß Pferdediebe hier in den Staaten gehängt werden?«

»Ah, gehängt worden ist er also! Das wissen Sie genau?«

»Ja; ich war es ja, von dem er die Schriften bekam, die ihn zur Reue führten, und bin bei

seinem seligen Verscheiden zugegen gewesen.«

»Er war ein Deutscher?«

»Was denken Sie, Herr! Hat es jemals einen Deutschen gegeben, welcher zum Pferdedieb

geworden ist?! Nein, er war ein Irishman.«

»Ich hörte aber doch, daß Sie das Gedicht bei einer Frau Hiller abgeschrieben und dann erst in

Druck gegeben haben?«

»Ja, das ist richtig,« gestand er zu und fuhr nach einer Pause der Verlegenheit fort: »Diese

Frau hat eine Abschrift des Gedichtes von dem betreffenden Gefängnisbeamten bekommen.«

»Stand der Name des Dichters dabei, als Sie es abschrieben?«

»Ja, ich habe ihn aber nicht notiert, um den armen Teufel, der so selig in das Jenseits

gegangen ist, nicht im Diesseits noch zu blamieren.«

Ich hatte meine Fragen einander immer schneller folgen lassen und sie in einem immer

steigenden Tone ausgesprochen. Er beachtete das gar nicht und war jetzt sogar so unverfroren,

mich aufzufordern:

»Sie haben die Macht der wahren Reue erkannt, lieber Herr, und werden nach dieser

Erkenntnis zu handeln wissen. Hier nehmen Sie nun auch die andern Schriften! Ich werde

Ihnen nur zwei Dollars und fünfzig Cents dafür berechnen.«

Jetzt war es mit meiner Zurückhaltung zu Ende. Ich prasselte ihn förmlich an:

»Schwindler, der Sie sind! Sie sagten vorhin, ich hätte in meinen Busen gegriffen; ich aber

sage Ihnen, daß ich Ihretwegen weder in meinen Busen noch in meinen Beutel greife! Sie

wären der Kerl dazu, meine arme Seele vom ewigen Tode zu erretten! Bekümmern Sie sich

um Ihre eigene Seele, die Ihnen wohl noch genug zu schaffen machen wird! Der Dichter

dieser Strophen soll ein Pferdedieb gewesen sein, der an seinem Stricke selig in das Jenseits

hinübergeschieden ist, weil Sie, Sie unverschämter Lügner, ihn durch Ihre Schriften von der

ewigen Verdammnis errettet haben? Sie wagen, mir zu sagen, daß ein Irländer ein solches

Gedicht in deutscher Sprache schreiben kann? Sie wagen es, auch mir die in Ihren

Druckwerken enthaltene Seligkeit für zwei und einen halben Dollar anzubieten? Hier haben

Sie den Rummel. Lesen Sie ihn selbst, denn Sie bedürfen der Reue und Buße mehr als selbst

der allerschlimmste Pferdedieb!«

Bei diesen Worten warf ich ihm die Schriften ins Gesicht. Er stand vor Erstaunen und Zorn

eine ganze Minute bewegungslos, dann trat er hart an mich heran, hielt mir die geballten

Fäuste vor das Gesicht und rief:

»Was haben Sie gethan?! Und wie haben Sie mich genannt?! Einen Schwindler und einen

unverschämten Lügner! Ich soll schlimmer sein als ein Pferdedieb! Sagen Sie nur noch ein

solches Wort, so haue ich Sie zu Staub!«

Er that, als ob er ausholen wolle.

»Nieder mit den Händen!« befahl ich ihm. »Weil Sie auch einer sind, schäme ich mich in

meinem Leben zum ersten mal, ein Deutscher zu sein! Der Dichter dieser Strophen soll

gehängt worden sein! Wissen Sie, wer es ist? Er steht hier vor Ihnen, und Sie werden mir den

Vorrat, den Sie haben, ausliefern, damit ich ihn verbrennen lasse!«

»Sie – Sie – – Sie wollen der Dichter sein?« lachte er höhnisch auf. »Ihr Gesicht ist ja ein

solches Schafs – –«

Weiter kam er in seiner Rede nicht, denn ich gab ihm eine solche Ohrfeige, daß er, zwei

Stühle mit sich niederreißend, zu Boden stürzte. Er sprang aber schnell wieder auf, riß ein

langes Messer aus der Tasche und drang damit, vor Wut keine Worte findend, auf mich ein.

Ich empfing ihn mit dem emporgehobenen Fuß und versetzte ihm einen so kräftigen Tritt

gegen den Leib, daß er wieder niederstürzte. Noch hatte er sich nicht halb aufgerafft, so stand

ich bei ihm, nahm ihn mit der linken Hand beim Genick, riß ihn vollends empor, schlug ihm

mit der Rechten das Messer aus der Hand, gab ihm noch zwei schallende Ohrfeigen, schleifte

ihn zu seinem Koffer und befahl ihm dort:

»Heraus mit den Gedichten, die verbrannt werden müssen! Wenn du nicht sofort gehorchst,

helfe ich nach!«

Der fromme Mann hatte mehr als genug. Er schien sich zwar weigern zu wollen, aber ein

vermehrter Druck an seinem Halse brachte ihn zum Gehorsam. Er warf die Exemplare des

Gedichtes aus dem Koffer auf den Tisch und grinste dabei drohend:

»Mir kann es recht sein, denn wenn sie gegen meinen Willen verbrannt werden, muß ich sie

bezahlt bekommen; es giebt noch Gerechtigkeit in der Welt, also hier im Westen auch!«

»Jawohl hier im Westen auch! Das habe ich dir schon gezeigt und bin bereit, es dir auch noch

weiter zu beweisen. So, da bist du fertig, und ich bin es einstweilen mit dir auch. Nimm dich

in acht, daß wir nicht noch einmal in dieser Weise zusammentreffen. Man kommt nicht immer

so gut aus meinen Händen, wie ich dich jetzt aus ihnen entkommen lasse. Merk dir das,

frommer Augenverdreher!«

Ich gab ihn frei und nahm die Schriften, um sie selbst in die Küche zu tragen, wo ich mich

überzeugte, daß sie alle in den Ofen gesteckt und verbrannt wurden. Als ich dann in das

Zimmer zurückkehrte, war der Prayer-man nicht mehr da.

»Er ist auf seine Stube gegangen,« sagte der Wirt im Tone des Bedauerns, indem er mich halb

vorwurfsvoll, halb prüfend mit dem Blicke maß. »Das kam so schnell, so unerwartet! Sie

sprachen so freundlich zu ihm, und plötzlich bekam er die Schriften in das Gesicht! Und dann

 

die gewaltige Ohrfeige, diese Schnelligkeit, dieser Tritt in den Leib und dieser Griff in das

Genick – – so etwas habe ich noch gar nicht gesehen. Das ging doch so rasch wie das

Bretzelbacken!«

»Ja, so etwas habe auch ich noch nicht gesehen!« stimmte der Kellner bei. »Das war alles in

zwei kurzen Augenblicken fertig, als ob es vorher extra einstudiert worden sei. Und da habe

ich, als Sie meinten, daß Old Shatterhand Ihre Gestalt und Länge habe, gesagt, daß ich ihn mir

viel kräftiger vorgestellt hätte! Gestatten Sie, Mylord, daß mir eine innere Stimme sagt, daß

Sie diesen gewaltigen Griff in das Genick wahrscheinlich von ihm gelernt haben! Da muß ja

jedem gewöhnlichen Menschen sofort der Atem ausgehen!«

»Haben Sie die Gedichte wirklich alle verbrannt?« erkundigte sich der Wirt.

»Alle,« antwortete ich.

»Da werden Sie sie wohl bezahlen müssen!«

»Pshaw! Es wird diesem Kerl gar nicht einfallen, mich darüber zur Rechenschaft zu ziehen.«

»So sind Sie also wirklich der Verfasser des Gedichtes?«

»Ja.«

»Sonderbar! Er sagte doch – – hm! Er ist ein sehr frommer und sehr ehrenwerter Mann!«

Es war dem Wirte nicht schwer anzusehen, daß er diesem sehr frommen und sehr ehrenwerten

Manne mehr Glauben schenkte als mir. Ich fühlte keinen Beruf, ihn von dieser Ansicht zu

bekehren, und erwähnte den Prayer-man also nicht weiter, sondern erkundigte mich:

»Sie kennen die Frau Hiller, von welcher gesprochen wurde?«

»Ja.«

»Ist sie auch eine Deutsche?«

»Ich glaube eher, daß sie eine Deutschösterreicherin ist. Man hat nicht oft Gelegenheit, mit

diesen Leuten zu sprechen.«

»Sie leben einsam?«

»Sehr. Der Mann ist Pelzjäger für eine bedeutende Firma in St. Louis und meist nur zwei oder

drei Monate während des ganzen Jahres daheim. Da pflegt er sich, widmet sich seiner Frau

und seinem Sohne und läßt sich wenig sehen. Sie werden die jetzigen Verhältnisse des Fellund

Pelzhandels wohl schwerlich kennen, denn ein Mann, der Gedichte macht, hat für so

unpoetische Sachen keine Zeit; er ist lange nicht mehr so in Flor wie früher, weil das Wild

immer seltener wird. Der Jäger, welcher Geschäfte machen will, muß jetzt mehr wagen als

früher und in die gefährlichsten Gegenden der Rocky-Mountains vordringen, wo zwar noch

gute Beute zu holen ist, dabei aber gefährliche Zusammenstöße mit Indsmen nicht zu

vermeiden sind. Es ist da schon mancher hinaufgegangen und nicht wiedergekommen; Hiller

aber hat stets Glück gehabt. Er geht nie allein in die Berge, sondern pflegt alljährlich eine

Gesellschaft von Jägern und Fallenstellern anzuwerben, deren Master er in jeder Beziehung

ist. Diese Leute werden von ihm nach der Zeit, nicht nach der Stückzahl honoriert, gleichviel,

ob er gute Geschäfte macht oder nicht; er scheint aber dabei doch stets seine Rechnung

gefunden zu haben, denn es sind von ihm stets ganze Massen von Pelzwerk nach St. Louis

geliefert worden. Die Jäger drängen sich dazu, von ihm engagiert zu werden, und die Indsmen

scheinen Respekt vor ihm zu haben, wenigstens darf man dies aus dem Umstande schließen,

daß sie ihm einen Kriegsnamen gegeben haben, was sie bei keinem gewöhnlichen Manne zu

thun pflegen.«

»Kennen Sie diesen Namen?«

»Ja; er lautet Nana-po. Wie das heißt, und aus welcher Sprache es ist, das weiß man nicht.«

»Wirklich nicht? Hat Hiller es niemandem gesagt?«

»Nein. Wenn er sich hier befindet, so lebt er einsam und ist ein so wortkarger Mann, daß ihn

wahrscheinlich noch kein Mensch nach diesem Namen gefragt hat.«

»Das Wort ist abgekürzt und lautet vollständig Nana-po-pahwitsch und gehört den Dialekten

der Utahs und Schoschonen an, welche miteinander verwandt sind. Dieser Ausdruck bedeutet

soviel wie »mein älterer Bruder« und ist nach Indianerbrauch eine ehrende Bezeichnung. Da

die Utahs nicht in einer an Pelztieren reichen Gegend wohnen, so vermute ich, daß es die

Schoschonen sind, die ihm diesen Namen gegeben haben. Er muß auf freundschaftlichem

Fuße zu ihnen stehen und sich durch seine Eigenschaften ihre Achtung erworben haben, sonst

würden sie ihn nicht ihren Bruder, sogar ihren älteren Bruder nennen. Ich bin überzeugt, daß

die Bewohner von Weston stolz auf diesen ihren Mitbürger sein können.«

»Davon haben wir gar keine Ahnung gehabt,« gestand der Wirt. Und indem er mich mit

erstaunten Augen musterte, fuhr er fort: »Sie zeigen da Kenntnisse, die man bei Ihnen gar

nicht vermuten konnte. Ein Westmann sind Sie nicht, denn ein solcher hat kein Geschick, sich

in einer Kleidung, wie die Ihrige ist, so zu bewegen wie Sie; aber die Sprachen der Roten sind

Ihnen bekannt, und Sie machen Gedichte. Wahrscheinlich gehören Sie dem studierenden

Stande an?«

»Sie haben recht; ich bin ein Federfuchser.«

»Und, bitte, wie heißen Sie? Sie entschuldigen diese Frage. Man muß doch wissen, wie man

Sie zu nennen hat.«

Da ich verschweigen wollte, wer ich war, und mein richtiger Name möglicherweise auch hier

als derjenige Old Shatterhands bekannt sein konnte, legte ich mir in der Schnelligkeit einen

ähnlich klingenden bei, indem ich antwortete:

»Mein Name ist ein so seltener, daß Sie ihn wahrscheinlich noch niemals gehört haben; ich

heiße nämlich Meier.«

»Meier?« lachte er. »Allerdings höchst selten! Aber kennen thue ich ihn doch, denn ich muß

Ihnen sagen, daß ich auch so heiße. Hatten Sie eine bestimmte Absicht, in welcher Sie sich

nach der Familie Hiller erkundigten?«

»Ja. Es ist des Gedichtes wegen, welches vor einer Reihe von Jahren verfaßt wurde. Wer es

sich so lange aufgehoben hat, der muß ein ganz besonderes Interesse daran haben, und so

versteht es sich ganz von selbst, daß ich es gern wissen wollte, wer diese Frau Hiller ist.«

»So besuchen Sie sie doch einmal! Sie hält sich zwar, ebenso wie ihr Mann, sehr zurück, wird

aber doch wohl nicht so unhöflich sein, Sie abzuweisen.«

»Es ist, wie ich höre, auch ein Sohn da?«

»Ja. Er hat, wie bereits gesagt, auf den Lawyer studiert, nimmt aber keine Stelle an, sondern

sitzt zu Hause bei einer Menge von Büchern, mit denen er sich den ganzen Tag beschäftigt,

als ob er sie auswendig lernen wolle. Sonst aber ist er, wenn man ihm begegnet, ein ganz

freundlicher, junger Mann.«

Es war so, wie ich gesagt hatte: der Umstand, daß diese Frau mein Gedicht besaß, fiel mir auf.

Woher hatte sie es? Sie war eine Deutschamerikanerin. Stammte sie aus meiner Heimat?

Hatte sie es mit herübergebracht, oder war es ihr von einem Verwandten geschickt worden?

Es fiel mir nicht ein, das Gedicht für so wertvoll zu halten, daß sie es nur dieses dichterischen

Vorzuges wegen so lange aufgehoben hätte; ich sagte mir vielmehr, daß es damit eine andere

Bewandtnis haben müsse, und bin aufrichtig genug, zu gestehen, daß mich die Neugier trieb,

sie kennen zu lernen. Ich ließ mir also ihre Wohnung beschreiben und ging, diese

aufzusuchen.

Das hübsche Häuschen hatte einen Seitengarten, in welchem eine Frau beschäftigt war,

Spätrosen abzuschneiden. Ihr Kopf war zum Schutze gegen die Sonne mit einem weit

vorgezogenen Tuche bedeckt, so daß ich ihr Gesicht nicht vollständig sehen konnte. Als ich

mich bei ihr erkundigte, ob Frau Hiller zu sprechen sei, fragte sie, wer ich sei und was ich

wolle. Ich nannte mich Meier und sagte, daß ich eine kurze Erkundigung beabsichtige und

also gar nicht lange stören werde.

»Gehen Sie hinein; ich komme gleich,« beschied sie mich und wendete sich dann wieder ihrer

Arbeit zu.

Im Flur gab es rechts und links eine Thür; die links war verschlossen; ich trat also rechts ein

und befand mich dann in einem zwar kleinen aber für mich hochinteressanten Parlour,

welches mit Waffen und indianischen Trophäen ausgestattet war. Ich fand aber keine Zeit zu

einer langen Betrachtung derselben, denn die Frau, welche ich im Garten gesehen hatte, kam

sehr bald nach und sagte, indem sie auf einen Stuhl zum Niedersitzen deutete:

»Ich bin Frau Hiller. Womit kann ich Ihnen dienen, Mr. Meier?«

Indem ich antworten wollte, nahm sie das Tuch vom Kopfe und legte es beiseite; ich bekam

ihr ganzes Gesicht zu sehen und behielt vor Überraschung die Antwort auf den Lippen.

»Nun, bitte!« sagte sie, als sie sah, mit welchem Erstaunen ich sie betrachtete.

War es Wirklichkeit, oder irrte ich mich infolge einer Ähnlichkeit, die allerdings auffällig

gewesen wäre, wenn eine Täuschung vorgelegen hätte? Nun war es mir freilich klar, warum

diese Frau mein Gedicht aufgehoben hatte, denn es bildete ein Erinnerungszeichen an die

vielleicht trübsten Tage ihrer Vergangenheit.

»Sie wollten sich nach etwas erkundigen – –?« fragte sie, als ich noch immer mit der Antwort

zögerte.

»Allerdings,« ließ ich mich endlich hören. »Diese Erkundigung wird nun, da ich Sie sehe,

freilich eine andere sein, als die, welche ich vorher beabsichtigte; sie ist der Art, daß ich alle

Ursache zu der Bitte habe, sie mir nicht übelzunehmen.«

»Sprechen Sie nur!« forderte sie mich auf, indem sie mich erwartungsvoll anblickte. Dabei

trat ein Ausdruck in ihr Gesicht, von dem ich nicht wußte, ob er einer plötzlich aufsteigenden

Besorgnis zuzuschreiben sei oder dem Bemühen, in meinen Zügen etwas ihr noch unklar

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