Weihnacht von Karl May

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»Sollte etwa wieder deine Schwester – –?« erkundigte ich mich zart andeutungsvoll.

»Die?« antwortete er, ohne meine arglistige Verworfenheit zu ahnen. »Diesesmal ist sie

unschuldig, wirklich unschuldig, denn ich habe den Paß ja im Stiefel gehabt. Alle Wetter,

sollte ich ihn etwa wieder hineingesteckt haben? Das wäre ja eine Zerstreutheit, und die

kommt bei mir niemals vor. Der Schuster hat die Nagelspitze ja doch abgezwickt! Aber besser

ist besser; ich werde nachsehen. Welcher Stiefel war es denn? Weißt du es, Sappho?«

»Nein,« antwortete ich, den ewigen Gesetzen der Wahrheit leider ganz zuwider.

»So muß ich in alle beide Stiefel gucken; dann ist der richtige auf alle Fälle dabei.«

Er zog sie einen nach dem andern aus; der Paß war nicht da. Er zog der Sicherheit wegen

dann auch die Strümpfe aus, überzeugte sich aber, daß auch sie ihm keinen Unterschlupf

geboten hatten. Nun war guter Rat teuer. Wir suchten schließlich unter dem Tische, an

welchem wir vorhin gesessen hatten, und da sah ich die weggeworfenen Reste der Fidibus,

mit denen er sich seine Cigarren so oft in Brand gesteckt hatte. Ich wickelte sie auf, und

richtig – – –!

»Hier, lieber Carpio, schau her!«

Als er die Rudera seiner polizeilichen Existenzberechtigung in Augenschein genommen hatte,

wurde sein Gesicht länger und immer länger.

»Hier ist ein Viertel vom Direktorialstempel!« rief er aus. »Das stammt von meinem Passe!

Wer hat die Fidibus gemacht?«

»Du selbst.«

»Wirklich?«

»Ja. Ich kann beschwören, daß deine Schwester nicht hier gewesen ist.«

»Das kann ich auch. Aber mir ist ganz so, als ob du mir die Fidibus gegeben hättest!«

»Fällt mir nicht ein! Ich bin keine Schwester – eine Behauptung, welcher du wohl zustimmen

wirst.«

»So bleibt freilich nichts anderes anzunehmen, als daß ich es selbst gewesen bin, der in meine

Westentasche gegriffen hat. Unbegreiflich! Eine solche Gedankenlosigkeit ist mir in meinem

ganzen Leben noch nicht vorgekommen! Nun ist der Paß futsch, vollständig futsch! Wenn es

nun der Polizei einmal einfällt, mich mit einem gesuchten Raubmörder oder durchgegangenen

Bankdirektor zu verwechseln, so kann ich mich nur ruhig einsperren lassen, bis mich mein

lieber Vater wieder holt!«

»Mach dir darüber keine Sorge! So lange ich bei dir bin, reicht mein Paß für uns beide aus,

denn erstens habe ich keine Schwester, welche alle Dummheiten begeht, zweitens geht bei

mir kein Nagel durch die Stiefelsohle, und drittens habe ich es auch noch nicht zum

Fidibusfabrikanten en gros gebracht. Übrigens hast du weder mit einem Raubmörder noch mit

einem Bankdirektor die geringste Ähnlichkeit.«

»Wirklich?«

»Ja.«

»Warum?«

»Weil du für einen Bankdirektor viel zu jugend- und für einen Raubmörder viel zu tugendhaft

aussiehst. Du wirst also einstweilen noch nicht eingesperrt werden.«

Diese Ausführungen waren von solcher Beweiskraft für ihn, daß er sich beruhigte.

Unser guter Franzl wurde durch die bekannte Association der Ideen von den Fidibus auf die

Cigarren geleitet; er offerierte uns von neuem welche. Ich griff zu, warnte aber Carpio, dies

auch zu thun, denn die Wirkung der mit dem Reisepaß genossenen war noch nicht vorüber. Er

warf die Oberlippe verächtlich auf und würdigte mich keiner Antwort. Gegen den Wirt aber

wurde er um so zutraulicher, was so weit ging, daß er ihm versprach, ihn zu den Osterferien,

wo wir wiederkommen würden, mit gepaschten Cigarren zu versehen. Als Franzl dies hörte,

machte er ein außerordentlich appetitliches Gesicht und fragte:

»Gepaschte? Hm! So etwas raucht man freilich lieber als diese hier; aber verstehen Sie sich

denn auch auf dieses Geschäft?«

»Na, und ob!« antwortete Carpio, indem er eine Miene zog, als ob er schon Wagenladungen

von Cigarren über die Grenze geschmuggelt hätte. »Wir sind ja diesmal auch nicht so ganz

ohne gekommen!«

»Wie? Was? Wirklich? Wo haben Sie denn abgeladen?«

»Gleich hinter Eger. Am ersten Abend, nachdem wir über die Pfähle waren.«

»Bei wem denn?«

»Geschäftsgeheimnis!«

»Viel?«

»Will ich meinen!«

»Auf welche Art haben Sie denn das fertig gebracht?«

»Auf eine höchst – – höchst – –«

Da der Schmugglerhauptmann Carpio vor Verlegenheit ins Stocken kam, fuhr ich an seiner

Stelle fort:

»Auf eine höchst lederne Art und Weise. Es hängt das mit dem vorübergehenden Domizile

seines Passes eng zusammen.«

»War es bedeutend?«

»Vier.«

»Vier Tausend oder vier Centner?«

»Wir paschen nicht nach dem Tausend und auch nicht nach dem Centner, sondern nach der

Qualität, und die war ausgezeichnet, so ungefähr wie ungarisches Weizenmehl Nummer Null.

Wenn es uns auf unserer Osterreise in derselben Weise wieder glückt, werden Sie große

Augen machen. Mehr kann ich jetzt nicht sagen!«

Der jetzige Gesprächsgegenstand hätte auch ohnedies nicht weitergeführt werden können,

weil wir unterbrochen wurden. Die fremde Frau kam wieder zu uns. Sie brachte ihren Knaben

mit und sagte, da ihr Vater nun eingeschlafen sei, würde es sie glücklich machen, hier im

warmen Zimmer noch ein Weilchen bei uns sitzen zu dürfen. Es wurde ihr natürlich gern

erlaubt. Franzl gab ihr noch ein Glas Wein und beschloß, um den Knaben zu erfreuen, die

gegen seine Frau geplante Kriegslist schon jetzt gleich in Ausführung zu bringen. Er holte

neue Lichter, welche aufgesteckt und angezündet wurden. Dann saß die Frau, ihr Kind

zärtlich an sich gedrückt, im Glanze des Weihnachtsbaumes mit wehmütigem Lächeln da,

ohne an unserem Gespräch teilzunehmen.

Carpio war infolge des ungewohnten Weines außerordentlich mitteilsam geworden; er

erzählte seinen ganzen Lebenslauf oder vielmehr alles nach seiner Ansicht Merkwürdige, was

sich auf demselben zugetragen hatte. Diese Merkwürdigkeiten bestanden meist darin, daß ihm

durch die unbegreifliche Zerstreutheit anderer Leute die mannigfaltigsten Drangsale bereitet

worden waren; besonders spielten seine Schwestern dabei eine große, für ihn verhängnisvolle

Rolle, und wenn seine Erlebnisse wirklich so geschehen waren, wie er sie berichtete, so hatte

er seine ganze Zeit und alle seine Geisteskräfte nur dazu anzuwenden gehabt, die

Gedankenlosigkeit dieser jungen Damen für sich unschädlich zu machen. Als er dann auch

auf unsere innige Freundschaft zu sprechen kam, hatte er die freundliche Gewogenheit, meine

jungen Vorzüge mit einigen gütigen Streiflichtern zu berühren. Er erwähnte dabei, daß ich

auch ein nur mit Sappho zu vergleichender Dichter sei, und daß das vorhin deklamierte

Weihnachtsgedicht aus meiner berühmten Stahlfeder stamme. Als die Frau dieses hörte, fragte

sie mich:

»Ist das wahr, wirklich wahr? Sind Sie wirklich der Verfasser dieses Gedichtes, Sie junger

Mann?«

Ich bejahte diese Frage mit dem bekannten, sanften Erröten, welches ein Zeichen jener

verdienstvollen Bescheidenheit ist, die jeden zeitgenössischen deutschen Dichter ziert.

»Wie mich das freut! Denn eigentlich bin ich dieses Gedichtes wegen noch einmal

heruntergekommen. Es hat auf mich und ganz besonders auf meinen Vater einen tiefen

Eindruck gemacht; ja, es schien, als ob es gerade nur für uns und für keinen andern Menschen

gedichtet worden sei. Ich möchte es darum gern, ja gar so gern besitzen, und wollte Sie, der

Sie es deklamiert haben, fragen, ob Sie mir es wohl diktieren möchten, falls ein Papier

vorhanden wäre.«

Diese letzteren Worte waren an Carpio gerichtet, welcher Busenfreund sofort aufsprang und

sein Notizbuch hervorzog. Ich habe bereits erwähnt, daß es eine Zeit gab, in welcher jeder

Mitschüler mein Gedicht bei sich trug; Carpio war diesem Brauche treu geblieben. Dieser

Busenfreund nahm es aus dem Buche und reichte es der Frau mit jener wundervoll

abgerundeten, gentlemanliken Armbewegung hin, welche nur jungen Gymnasiasten eigen ist,

wobei er sagte:

»Ich besitze es zweimal, nämlich im Kopfe und hier auf dem Papiere. Nehmen Sie, bitte, die

Abschrift, und lassen Sie mir den Kopf, so ist uns beiden geholfen.«

Der gute Mensch schien diesen Worten nach zu fühlen, daß ihr mit seinem Kopfe

wahrscheinlich sehr wenig geholfen sei. Sie zögerte nicht, sein Geschenk anzunehmen, und

die Art und Weise, wie sie dies that und sich bei ihm und mir bedankte, bestätigte aufs neue

unsere Ansicht, daß sie früher nicht das gewesen sei, was sie jetzt war. Dies brachte auf

meinen Freund eine so gute Wirkung hervor, daß er ihr in geheimnisvoller Weise andeutete,

es sei ihm auch außerhalb dieses Gedichtes möglich, ihr einen vielleicht noch größeren Dienst

zu erweisen.

Als sie ihn hierauf stumm fragend anblickte, brannte er sich eine neue Cigarre an und begann

dann, von Christoph Kolumbus und Amerigo Vespucci zu erzählen. Er durchflog die Zeit

vom Ende des fünfzehnten bis zum Beginn der zweiten Hälfte des neunzehnten Jahrhunderts

mit feierlicher Gründlichkeit, überging nichts von allem, was während dieser Zeit in Amerika

geschehen war, brachte dann seinen geheimnisvollen Verwandten zur Sprache und ließ dann

endlich, worauf ich längst gewartet hatte, die drei bekannten Blitze los – El Dorado, Millionär

und Universalerbe. Als er glaubte, sie nun gehörig vorbereitet zu haben, machte er ihr das

Anerbieten, ihr ein Empfehlungsschreiben an diesen Verwandten mitzugeben.

Ich war fast starr vor Erstaunen! Mir, seinem Busenfreunde, hatte er ein solches

 

Empfehlungsschreiben noch niemals offeriert, was er doch ganz gefahrlos hätte thun können,

weil er mein Ideal, ein Globetrotter zu werden, nicht kannte und also annehmen mußte, daß

ich während meines ganzen Lebens nicht in die Lage kommen würde, dieses Schreiben

abzugeben. Und hier, wo er hundert gegen eins wetten konnte, daß man es abgeben werde, bot

er es einer ganz fremden Person an, deren Busenfreund er nie gewesen war und auch niemals

werden konnte!

Und die Frau? Sie ging auf seinen Vorschlag ein, vielleicht nur, um ihn nicht zu beleidigen,

denn auf das Empfehlungsschreiben eines jungen Schülers war wohl nur wenig Wert zu

legen. Er bat den Wirt um Schreibzeug und Papier und erklärte, als er dies bekommen hatte,

der Frau, daß er nun freilich ihren Namen wissen müsse. Sie nannte ihm denselben, und so

erfuhr ich, daß sie Elise Wagner hieß. Indem er schrieb, setzte er sich so, daß mein Blick das

Papier nicht erreichen konnte. Also eine Fremde durfte die Adresse seines einstigen

Erblassers wissen, ich aber nicht! Ich fühlte mich dadurch nicht beleidigt, denn ich war

gewohnt, allen seinen Eigenheiten Rechnung zu tragen, und wendete mich ganz von ihm ab,

damit er ganz sicher sei, daß ich ihm nicht ins Geheimnis schaue. Er vollendete, während ich

mich mit dem Wirte unterhielt, den Brief, welchen er dann der Frau mit der bescheidenen

Andeutung überreichte, daß ihr dieses Schreiben von ungeheurem Nutzen sein werde.

Grad als er dies that, wurde die Thür geöffnet, und die Wirtin trat herein. Der liebe Franzl

mochte darüber wohl ein wenig erschrecken, beherrschte sich aber unsertwegen so, daß ihm

nichts anzumerken war. Mein Busenfreund duckte sich zusammen, als ob er der Schuldige

sei. Die fremde Frau sah dem Kommenden mit sichtlicher Bangigkeit entgegen. Franzl

brannte sich, um sich für den Kampf zu stärken, eine neue Cigarre an.

Die Wirtin blieb erst ganz verwundert an der Thür stehen; dann kam sie langsam näher, bis sie

vor ihrem Manne stehen blieb.

»Was brennst du denn da, Franzl?« fragte sie ihn in einem eigentümlich freundlichen Ton,

dessen Bedeutung ich damals noch nicht kannte.

»Den Baum,« antwortete er mit ganz derselben Liebenswürdigkeit.

»Warum?«

»Weil's Weihnacht ist.«

»Für wen?«

»Für mich.«

»Seit wann?«

»Seit kurzer Zeit.«

»So, so, schau, schau! Seit kurzer Zeit! Da sind die Lichte ein Viertel abgebrannt und vorher

waren sie schon halb abgebrannt. Woher mag das wohl kommen?«

»Weil es wahrscheinlich eine Sorte ist, die vom Verbrennen länger wird.«

»So eine gute Sorte kenne ich nicht; die möchte ich mir auch gleich kaufen! Es wird aber

wohl so sein, daß du erst die halben verbrannt und dann noch neue angezündet hast, damit ich

nichts merken soll. Du hast gedacht, daß ich wie gewöhnlich nicht wieder hereinkommen

werde. Ist es so, oder ist es nicht so, Franzl?«

»Es ist schon so.«

»Höre, ich will dir sagen: Es ist gut, daß du es wenigstens zusiehst! Also für dich brennst du

den Baum?«

»Ja.«

»Nur für dich?«

»Für mich und diese Herren Studenten.«

»Dagegen hätte ich nichts, wirklich nichts, denn du bist auch einer gewesen, worüber wir

beide noch heute unsere Freude haben. Also du brennst ihn für sonst weiter gar niemand?«

»Nein.«

»Schön! Jetzt sagst du mir die Wahrheit nicht. Du magst für dich und die Herren Studenten

anbrennen, was und wann du willst, Wein trinken und Cigarren rauchen, so viel du willst,

aber – aber –« und jetzt stieg ihre Stimme plötzlich um eine Septime höher, und sie stemmte

die Hände in die Hüften – – »für wen, frag ich, hat er denn vorhin gebrannt, als die Wurst und

der Kuchen und die Kleider und das Geld darunterlagen und dieser Herr Student ein so

schönes Gedicht geredet hat, von dem ich jedes Wort verstanden hab'?«

Jetzt sprang Franzl auf.

»Weib,« rief er, »du hast gehorcht!«

»Ja, gehorcht hab ich,« nickte sie triumphierend.

»Wo?«

»Dort am Fensterladen.«

»Grad dort am Fenster, wo der Baum auf dem Tische steht?«

»Ja, grad dort am Fenster, wo der Laden ein großes Astloch hat!«

»Du, das machst du mir nicht wieder!«

»Nicht? Warum sollte ichs nicht wieder machen? Das Haus ist mein; der Laden ist mein, und

das Astloch ist also auch mein; ich kann hindurchgucken, wann es mir beliebt. Von dem

ganzen Hause ist nicht einmal dieses Astloch dein, und du verschenkst mein Geld und meine

Sachen und willst mir auch noch zu befehlen haben?«

»Höre, beleidige mich nicht in Gegenwart von Studenten, sonst zeige ich dir, was Sapienti

pauca heißt!«

Er wußte höchst wahrscheinlich ebenso wenig wie sie, was diese beiden Wörter bedeuteten,

dennoch verfehlten sie den Zweck, ihr zu imponieren, nicht. Er wollte ihr durch sein Latein

nur zeigen, daß er ihr geistig überlegen sei; mochte sie nun dies anerkennen oder dem Worte

pauca einen etwas gewaltthätigen Sinn beilegen, kurz und gut, sie antwortete:

»Einverstanden! Pauke deine Sapienti jetzt, aber morgen früh sehen wir uns wieder!«

Sie drehte sich um und ging hinaus.

»Bei allen Heiligen,« seufzte er, indem er sich wieder niedersetzte, »sie hat gelauscht; sie hat

alles gesehen und gehört! Dieses Astloch, das verteufelte! Na, morgen nagle ich es zu; ich

nehme das dickste Brett und schlage es drauf!«

Die Wirtin aber hatte die Thür nicht zugemacht, sondern nur angelehnt; sie war draußen

stehen geblieben und hatte seine Worte gehört. Jetzt kam sie wieder herein, ging auf ihn zu,

legte ihm die Hand vertraulich auf die Achsel und sagte lachend:

»Franzl, ich weiß ein Brett, das so dick wie kein anderes ist; du hasts vor deinem Kopf. Nimm

das und nagle es vor das Loch; dann geht nicht nur kein Blick, sondern sogar auch keine

Kanonenkugel durch! Kennt dieser Mann seine Frau noch nicht! Sollte man das für möglich

halten? Bin ich etwa eine Geizkatze, he? Sehe ich dir auf die Finger, wenn du Geld ausgiebst?

Ist nicht alles, was wir verdienen, ebenso gut dein wie mein? Aber es ist mir nicht

gleichgültig, wer in meinem Hause wohnt, und wenn du eine Christbescherung machst und

meine Kleidungsstücke verschenkst, so will ich auch dabei sein und vorher erst gefragt

werden! Den Kuchen, den du verschenkt hast, habe ich gebacken, und die Wurst habe ich mir

langsam und mit saurer Mühe, weil das Schwein partout nicht fett werden wollte, heranfüttern

müssen; da will ichs wenigstens wissen, wenn du etwas davon verschenkst! Also so etwas

nicht wieder hinter meinem Rücken machen! Verstanden? Man muß nicht nur geben, sondern

auch sparsam sein können! Und nun komm her, du alter überguter, offenhändiger Studente

du! Da will ich dir nun auch etwas schenken, wenn es auch keine Speckwurst ist. Hier! Und

damit gute Nacht!«

Sie nahm ihn beim Kopfe und gab ihm einen Kuß von solcher Resonanz, daß er eigentlich

eine volkstümlichere Bezeichnung verdiente. Dann ging sie wieder fort und machte die Thür

nun wirklich hinter sich zu. Franzl sah ihr schmunzelnd nach, wischte sich den Mund mit dem

Ärmel ab, schlug dann mit der Faust auf den Tisch und rief:

»Hab ich's nicht immer gesagt, was für eine kreuzbrave Frau ich hab'? Wer eine andere

Meinung von ihr hat, der mag nur herkommen; ich haue ihn zusammen, daß er sich selber

nicht mehr finden kann! Das ist eine Frau, die sich gewaschen hat! Verstanden? Es giebt

ihresgleichen nicht im ganzen, weiten Böhmerland! Wie hat sie mich geheißen? Du alter,

überguter Studente du! Ja, die weiß, was für einen Mann sie an mir hat! Nicht so einen, der

den Schnitt eines Buches nicht vom Rücken unterscheiden kann, sondern einen

hochgebildeten und studierten Mann, der sein Latein versteht. Qui tangit picem,

contaminabitur; so ist die Sache. Was sagen Sie dazu, meine lieben, hochgeehrten, jungen

Freunde?«

Ehe einer von uns beiden antworten konnte, stand Frau Wagner von ihrem Stuhle auf und

sagte, indem sie sich mit der Hand über das schmerzlich verzogene Gesicht strich:

»Auch ich habe gehört, was für eine brave Frau Sie haben und es thut mir leid, daß Sie sich

meinetwegen beinahe mit ihr überworfen hätten. Müßte ich nicht Rücksicht auf meinen armen

Vater nehmen, so würde ich noch diese Nacht, gleich jetzt, Ihr Haus verlassen; aber er muß

und muß heut schlafen, wenn er morgen nicht im Schnee liegenbleiben und erfrieren soll.

Dann werden wir Sie keinen Augenblick länger belästigen. Nehmen Sie meinen herzlichsten

Dank, und leben Sie wohl, meine Herren!«

»Aber, was fällt Ihnen ein?« versuchte Franzl, sie zu halten. »Sie haben ja gehört, daß meine

Frau gar nichts dagegen hat, daß Sie hier bei uns bleiben. Sie dürfen sich den Kuchen und die

Wurst nicht so zu Herzen nehmen; das hat sie nicht so schlimm gemeint, wie Sie es nehmen,

und – – Da ist sie fort, hinaus mit ihrem Knaben! Klang das, was sie sagte, nicht etwas

stolzer, als so ein nicht bezahlender Gast eigentlich sein darf, meine Herren?«

»Sie thut mir leid, außerordentlich leid« antwortete ich.

»Ich wollte, ich wäre reich, wenigstens wohlhabend genug, ihr helfen zu können. Sie wird

früh, wenn wir aufstehen, mit ihrem Vater und mit ihrem Kinde verschwunden sein.«

»Verschwunden? Fällt ihr nicht ein!«

»O doch!«

»Nein. Sie wird ausschlafen und dann Kaffee trinken; hernach werden wir sehen, ob der Alte

fortkann oder nicht.«

»Haben Sie nicht gehört, daß sie Lebewohl und nicht Gutenacht gesagt hat?«

»Das ist nicht so wörtlich zu nehmen, wie Sie denken.

Aber, Herr Capp – Carp – Carpio, was ist denn mit Ihnen? Was machen Sie für ein Gesicht?«

Mein Busenfreund hatte die Ellbogen auf den Tisch gestemmt und das Gesicht in die Hände

vergraben. Als er auf die Frage des Wirtes die Hände entfernte, sahen wir, daß seine Wangen

bleifarben und seine Augen matt geworden waren. Die Unterlippe hing ihm weit herab.

»Ihre – – Ihre – – Frau – – Frau!« seufzte er.

»Was ist mit meiner Frau?«

»Die ist schuld!«

»Woran?«

»Mir ist, als – – als – – als ob ich – – sterben müßte!«

»Unsinn! Da ist die Cigarre schuld; die Virginias sind für Sie zu schwer gewesen.«

»Nein – nein – – nein! Über Ihre Frau bin ich – – – so sehr erschrocken – – – aber nicht über

die Virginias.«

»Erschrocken? Warum denn eigentlich?«

»Sie kam – – herein wie eine – – eine Furie!«

»Ach was Furie! Meine Frau ist eine Seele von einer Frau und keine Furie. Da, nehmen Sie

ein volles Glas, und trinken Sie es aus! Das ist das beste Mittel, wenn einen der Cigarrenteufel

in den Magen beißt.«

»Nein, nicht beißt, sondern hebt – hebt – – hebt und sogar um – – um – – umwenden will!«

»Trinken Sie nur! Es hilft; ich weiß es genau.«

Ich wußte nicht, ob das empfohlene Mittel wirklich anzuraten sei, denn meine Bekanntschaft

mit dem Weine und seinen Wirkungen war damals genau so tief und umfassend, wie die

Kenntnisse eines Eskimo über Datteln und Bananen; aber weil Franzl mit solcher

Überzeugung zuredete, unterstützte ich seinen Rat, worauf mein Busenfreund das Glas leerte

und dann wie ein Seekranker nach dem Kanapee wankte, um sich auf demselben

auszustrecken. Ich bat den Wirt, uns schlafen gehen zu lassen; er aber erklärte lachend:

»Fällt mir gar nicht ein! Wir bleiben noch recht hübsch beisammen. Ich muß die Gelegenheit

ausnützen, denn an Ihr Wiederkommen darf ich doch nicht glauben, denn das mit dem

Paschen war doch bloß Phantasie?«

»Ja; es versteht sich doch ganz von selbst, daß wir keine Schmuggler sind. Wir haben pro

Person zwei Cigarren in die Stiefel gesteckt, obwohl ich wußte, daß man mehr mitnehmen

darf. Ich wollte Carpio nicht um das Vergnügen bringen, sich für einen staatsgefährlichen

Menschen zu halten.«

Da richtete sich der Genannte kerzengerade vom Kanapee auf und sprach mich mit hohler,

drohender Grabesstimme an:

»Ich staatsgefährlich? Ja! Wenn es mir so bleibt, wie es mir jetzt ist, so – – so – – kann es

schrecklich werden, denn da – da – da falle ich gleich wieder um!«

Er that, was er gesagt hatte. Franzl lachte lustig auf; ich aber hatte Sorge um den Freund und

drang so lange in den unermüdlichen Wirt, bis er, allerdings gegen das Versprechen, morgen

 

noch bei ihm zu bleiben, darauf einging, uns unser Zimmer zu zeigen. Ich zog Carpio vom

Sofa auf und umfaßte ihn, um ihn zu führen; er aber riß sich los und sagte:

»Ich brauche keine Stütze. Ich bin nur drehend von den starken Cigarren, die – – die – – ich

habe ja nichts, gar nichts gegessen!«

»Ich glaube, der Wein ist auch mit schuld.«

»Möglich! Doch darüber später, wenn wir allein sind. Komm!«

Er nahm mich bei der Hand und wankte, während Franzl uns leuchtete, an derselben hinaus

und die Treppe hinauf, wo unsere »gute Stube« lag. Als uns der Wirt in diese geführt hatte,

sagte er uns Gutenacht und ging, indem er das Licht zurückließ. Wir sahen uns um.

»Gute Stube!« Jawohl, das war sie allerdings, und zwar eine sehr gute, eine außerordentlich

gute Stube! Man weiß, was für einen Raum der Bürgersmann mit diesem Ausdrucke zu

bezeichnen pflegt, nämlich eine Stube, in welcher alle möglichen und unmöglichen

sogenannten »besseren« Möbeln und sonstige Herrlichkeiten vom Urgroßvater her aufgestellt

und zusammengeschachtelt werden, wobei natürlich auch der obligate Glasschrank nicht

fehlen darf. Dieses Raritätenkabinett wird selten betreten, noch seltener gelüftet, gilt als

Familienheiligtum und darf nur alle Jahrhunderte einmal einem Gaste, den man besonders

ehren will, als Schlafzimmer dienen.

Auch die besser situierten Stände haben gute Stuben, allerdings »Salons« genannt. An ihre

Einrichtung ist mehr Geld verschwendet worden, als die Mittel eigentlich erlauben; diese

teuren Sachen müssen geschont werden; darum sind sie nicht zum Gebrauche sondern zum

Prunk, zum Anstaunen da, und selbst wenn der Hausherr es einmal wagen wollte, sich auf

einen solchen Stuhl zu setzen oder den Teppich mit seinen Stiefeln zu berühren, würde er von

der Dame des Hauses einfach und ohne Anwendung übermäßiger Höflichkeit zur Thür

hinauskomplimentiert.

Das Zimmer, in welchem wir schlafen sollten, war nicht gebrauchsunfähig und dennoch,

zumal nach unserer persönlichen Ansicht, eine gute Stube im wahrsten Sinne des Wortes. Es

standen da zwei breite Betten, so breit, daß jedes von ihnen drei Personen genügend Platz

geboten hätte, der schon erwähnte Glasschrank, ein Tisch, ein Kanapee und zwei Stühle.

Mehr als diese Möbel aber interessierte uns ein dreibeiniger hölzerner Schragen, welcher

wohl ein Dutzend Äpfel-, Käse-, Quark- und andere Kuchen trug. Noch entzückender war der

Anblick des Himmels über uns. In diesen, nämlich in die hölzerne Zimmerdecke, waren

zahlreiche Haken eingeschraubt, an denen Schinken, Räucherspeck, sonstiges Fleisch und alle

möglichen Sorten von Würsten hingen. Diese Herrlichkeiten erfüllten die gute Stube mit

einem kräftigen Dufte, dessen Wirkung sich nicht nur auf die Geruchs-, sondern auch auf alle

übrigen Nerven zu erstrecken schien, denn Carpio, der eben noch so hinfällige, richtete sich

zu seiner vollen Länge empor, sog den Geruch mit Wohlbehagen ein und sagte:

»Freund Sappho, ein gütiges Geschick hat uns in das Elysium geführt; Franzl ist das

Geschick, und wo sich das Elysium befindet, das brauche ich dir wohl nicht zu sagen. Es weht

ein Odem überirdischen Behagens hier, dem jede Krankheit weichen muß. Ich werde die

letzten zwei Stunden in meinem ganzen Leben nicht vergessen; es war mir unbeschreiblich

schauderhaft zu Mute. Ich fühlte mich nicht mehr als Mensch, sondern ich kam mir wie ein

großer, dicker Sack voll Jammer und Elend vor. Ich habe alle zehntausend

Niederträchtigkeiten des Erdenlebens in diesen beiden Stunden durchgemacht und bin davon

so vollständig befriedigt worden, daß ich satt genug für immer bin. Das Nikotin ist ein

Drache, der mich niemals wieder in seine Krallen bekommen soll, und das Alkohol eine

Schlange, die ich zähmen werde, weil man doch nicht für immer von ihr loskommen kann,

denn sie taucht in hunderterlei Arten auf, die oft gefährlich, zuweilen aber auch nützlich sind.

In meiner höchsten Qual und Not nahm ich mir vor, dir, meinem Freunde, an Eides statt ein

heiliges Versprechen abzulegen, nur wußte ich noch nicht in welcher Form. Nun ich aber hier

in dieser guten Stube die verloren gegangene Lebensfreude wieder finde und auch fast wieder

logisch denken kann, verspreche ich dir bei diesen Schinken und Würsten, welche die

erlaubten, die wahren Genüsse des Lebens repräsentieren, daß ich mich niemals wieder von

einem heuchlerischen, hinterlistigen Genusse verlocken lassen werde, auf meine

Menschenwürde, wenn auch nur für eine Stunde, zu verzichten. Es ist nicht Scherz, sondern

mein vollster, wahrster Ernst. Nie wieder soll der Tabak meine Lippen berühren, und jedes

Getränk, welches Alkohol enthält, sei mir fortan nur als Arznei erlaubt. Ich habe mein

Versprechen bei diesen ehrlichen Schinken und hochachtbaren Würsten abgelegt; du bist

dessen Zeuge und sollst mich vor jedermann für einen ehrlosen Menschen erklären, wenn du

mich jemals rauchend oder gar berauscht zu sehen bekommst. Hier, meine rechte Hand

darauf!«

Der sonst so wortkarge Freund pflegte nur gegen mich, zumal während unsrer Wanderungen,

aus seiner Schweigsamkeit herauszutreten; jetzt hatte er gar eine Rede gehalten, was mir als

unumstößlicher Beweis dafür diente, daß es ihm völliger Ernst mit seinem Versprechen war.

Ich will übrigens gleich jetzt und im voraus bemerken, daß, wie meine lieben Leser später

auch selbst noch sehen werden, er dieses Versprechen stets gehalten hat.

Ich nahm die mir dargereichte Hand, schüttelte sie ihm herzlich und sagte:

»Es freut mich, daß du die Lehre, welche du erhalten hast, beherzigen willst. Die Virginias

wachsen nicht für Knaben, sondern nur für erwachsene Männer auf den Tabaksbäumen

Österreichs.«

»Du nennst mich, deinen Busenfreund, einen Knaben?!«

»Ja.«

»Und denkst wohl aber, du selbst seist ein Mann?«

»Ja.«

»Wohl etwa nur darum, weil die Cigarren dich nicht elend gemacht haben wie mich?«

»Ja, denn es war eine höchst männliche Selbstbeherrschung von mir, daß ich dieses Kraut des

Teufels mäßig genossen habe, während du grad wie ein kölner Funke geräuchert und

gestopfholzt hast.«

»Dafür hast du aber mehr Wein getrunken als ich!«

»Weil ich merkte, daß ich ihn vertragen konnte!«

»Ja, leider bist du in dem glücklichen Besitze eines Magens, dem es ganz gleichgültig ist, ob

er jetzt drei volle Tage hungern und gleich darauf einen ganzen Berg voll Kieselsteine,

Beißzangen und Ofengabeln verdauen muß! Das ist aber gar kein Beweis der Männlichkeit,

mit welcher du dich brüstest. Wer einen Knaben seinen Busenfreund nennt, ist selbst noch ein

Knabe; das merke dir. Nicht du selbst bist mir über, sondern nur dein Magen ist besser als der

meinige; das ist die ganze, bevorzugte Stellung, welche du in der heutigen Weltgeschichte

einnimmst.«

»Mein Sohn, ich habe dich vor den Folgen des Tabaks gewarnt, und wer einen andern

Menschen warnt, der beweist damit, daß er ihm über ist. Ich habe sogar jetzt wieder eine

Warnung, eine sehr ernste, eindringliche und berechtigte Warnung auf den Lippen.«

»Welche?«

»Bist du bereit, sie zu vernehmen?«

»Ja.«

»Und wird deine Moralität auch kräftig genug sein, sie zu beherzigen?«

»Ich hoffe es.«

»So sage mir: Wie lautet das siebente Gebot, mein lieber Sohn?«

»Du sollst nicht stehlen,« antwortete er ernsthaft, als ob er ein Examen zu bestehen hätte.

»Hältst du mich etwa für fähig, ein Dieb zu sein?«

»Ja.«

»Mensch, ich fordere dich!«

»Das ändert nichts an der Sache. Wer moralisch so heruntergekommen ist, daß er bayrische

Cigarren nach Böhmen schmuggelt, der ist jeder Schandthat fähig.«

»Also du auch, mein ehrwürdiger Vater! Kannst du mir beweisen, daß ich schon einmal

gestohlen habe?«

»Ob ich das kann, ist hier gleichgültig; die Hauptsache ist, daß du höchst wahrscheinlich heut

in der Nacht gestohlen haben wirst, ehe der Hahn zum drittenmal kräht.«

»So sage mir doch endlich, was mich reizen soll, eine solche Sünde gegen dein bescheidenes

Eigentum zu begehen!«

»Ich spreche nicht von meinem, sondern von dem Eigentume unsers hochherzigen Gastgebers

Franzl. Schau um dich, und schau über dich! Wende ganz besonders deinen Blick nach

oben!«

»Ach, jetzt verstehe ich!« lachte er.

»Lache nicht, oh du mein armes Schmerzenskind! Wer bei dem Gedanken an die Sünde so

leichten und fröhlichen Herzens sein kann, wie du bist, der ist ihr bereits verfallen. Du hast

weder am Mittag noch am Abend etwas gegessen; es wird die Pein des Hungers über dich

kommen und dich aus dem Schlafe wecken. Wenn du dann den erquickenden Duft der

Fleischer-, Schlächter-, Selcher- und Wurstler-Gilde verspürst und dein geistiger Blick sogar

zu gleicher Zeit nach jenen lieblichen Kuchenschragen gerichtet wird, so steht dir die

schwerste Versuchung nahe, da in jeder Wurst ein Satan wohnt und der oberste der Teufel die

Gewohnheit hat, grad die frömmsten Herzen mit geräuchertem Schinken zu bombardieren. Es

ist meine Pflicht, dich zu warnen; nun sorge du dafür, daß meine wohlgemeinten Worte nicht

auf den Felsen oder unter die Dornen fallen, wo sie nicht aufgehen und Früchte tragen

können! Halte fest an deiner Pflicht, und bleibe ein ehrlicher Mensch! Und nun Gutenacht,

mein teurer Sohn!«

»Gute Nacht, lieber Urgroßvater! Willst du dich wirklich schon schlafen legen?«

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