Der Teufel lauert auch im Paradies

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Kapitel 7

»Du glaubst gar nicht, wie gut es mir tut, heute Nachmittag frei zu haben«, gestand Lene Huscher ihrer Begleiterin in der Fußgängerzone. »So gerne ich meinen Beruf ausübe, manchmal strengt mich die mangelnde Achtung gegenüber anderen Menschen einfach an.«

Ekaterina Hantuchova – sie hatte ihren neuen Namen »Hilpertsauer« seit der Hochzeit noch immer nicht hundertprozentig verinnerlicht – begleitete die Kommissarin bei schönstem Sonnenschein während eines entspannten Bummels durch die Heidelberger Altstadt. Sie drückte Lenes Arm, den sie eingehakt hielt, seit sie sich am Bismarck-Platz getroffen hatten. »Das kann ich durchaus nachvollziehen«, zeigte sie Verständnis für Lenes kleinen Durchhänger. »Wenn ich mit meinem Studium fertig bin, kommt in dieser Hinsicht sicherlich auch noch einiges auf mich zu.«

»Werden deine Erwartungen bisher erfüllt?«, erkundigte sich Lene interessiert.

»Na ja, weit bin ich ja noch nicht gekommen«, überlegte Ekaterina. »Auf der einen Seite sind die theoretischen Grundlagen in der Sozialpädagogik durchaus notwendig und spannend, aber auf der anderen Seite bin ich eher praktisch veranlagt. Am Ende kommt es doch vor allem darauf an, wie der Mensch mit seinem Wissen umgehen kann. Und das hängt letztlich von seiner Persönlichkeit ab.«

Die beiden blieben vor dem Fenster des »Kaufhofs« stehen und schauten über die Sommerkleider, die dort ausgestellt waren. »Ich glaube, hier muss ich nicht reingehen«, war Lene von dem Angebot nicht übermäßig angetan.

»Immerhin hängt noch nicht die Winterware drin«, nahm Ekaterina es mit Humor. Sie lachte. Ihr tat es ausgesprochen gut, ihren Freundeskreis erweitert zu haben. May Lin, ihre Freundin und ehemalige Kollegin, sah sie inzwischen seltener, seit sie geheiratet hatte und nicht mehr in Frankfurt arbeitete. May Lin hatte sich dort in den neuen Mitarbeitern der EZB eine zahlungskräftige Kundschaft erschlossen, mit der sie sehr zufrieden war. Die meisten waren eher spießig. Die Wünsche fielen meist recht harmlos aus, so dass es kaum zu Grenzverletzungen kam.

Gemütlich gingen die beiden Frauen weiter. »Weißt du eigentlich schon, was du mal machen möchtest?«, nahm Lene das Thema wieder auf, während sie andauernd ganzen Horden von Touristen ausweichen mussten.

»Grundsätzlich, ja. Aber ich bin mir noch nicht ganz im Klaren, ob das für mich auf Dauer gut ist.« Sie lenkte Lene mit dem Arm zu einer kleinen Boutique. »Mein Ziel bleibt bis auf Weiteres die Prostituiertenberatung ... Schau mal: Das Kleid würde dir ausgezeichnet stehen.«

»Welches meinst du?«

»Das grüne hier«, zeigte Ekaterina mit dem Finger auf ein hübsch tailliertes Etuikleid. »Was meinst du?«

Lene wiegte den Kopf leicht hin und her. »Die Farbe auf jeden Fall. Aber ich bezweifele, dass es mir passt. Es scheint mir eher für deine Oberweite geschnitten zu sein.«

»Das werden wir herausfinden«, ließ Ekaterina sich nicht beirren und zog sie kurzerhand in den Laden hinein.

Angesichts der Bestimmtheit ihrer Freundin musste Lene schmunzeln. Sie konnte sich noch gut daran erinnern, wie zurückhaltend, fast schüchtern, Ekaterina aufgetreten war, als sie sie das erste Mal im »Peppers« beim Umtrunk aus Anlass ihrer eigenen knappen Rettung getroffen hatte. Franz Hilpertsauer hatte damals alle Überredungskünste aufbringen müssen, um sie vom Mitkommen zu überzeugen. Lene hörte, wie Ekaterina die Verkäuferin nach dem grünen Kleid in Größe 36 bat. Sie seufzte ergeben, sich des Ergebnisses bereits hinreichend bewusst.

»Hier«, strahlte Ekaterina sie an, als bekäme sie eine Provision. »Das wird super aussehen.«

Etwas unwillig nahm sie das Kleid mit in eine Umkleidekabine. Nachdem sie es angezogen hatte, schaute sie sich dort im Spiegel an. Es war genau so, wie sie es vorhergesehen hatte. Um die Brust fehlte ihr das füllende Fettpolster – oder das Kleid verfügte über zu viel Stoff.

»Und?«, wurde Ekaterina ungeduldig.

»Passt nicht«, murrte sie, während sie mit einem Arm bereits aus dem Kleid glitt. Sie hielt inne, weil Ekaterina den Vorhang zurückzog und sie eingehend musterte.

»Komm da mal raus!«, bat sie Lene mit Nachdruck in der Stimme. »Bei dem Licht siehst du doch gar nichts.«

Widerwillig folgte Lene der Aufforderung. Dabei wunderte sie sich, wie viel Vertrauen sie dieser Frau entgegenbrachte, die sie erst ein knappes halbes Jahr kannte. »Wie ich gesagt habe, zufrieden?«, grummelte sie dennoch vorsichtshalber.

Ekaterina war dagegen hin und weg. »Du siehst in diesem Kleid einfach hinreißend aus«, stellte sie fest. »Die Farbe passt perfekt zu deinen roten Haaren und deiner hellen Haut. Aber du kannst das genauso gut anziehen, wenn du im Sommer brauner wirst. Und deine grünen Augen dazu! So hübsch. Dazu müssen wir dir noch die passenden Schuhe suchen und eine Handtasche ...«

»Ich bitte dich wirklich nicht gerne darum«, erwidere Lene sarkastisch, »aber könntest du mal im Detail hinschauen, wenn du dich hinsichtlich der Farbe beruhigt hast?«

Nach einer längeren Diskussion saßen sie schließlich im »Cafe Burkhardt« – inklusive einer Tragetasche, die das umstrittene Kleid enthielt. Ekaterina hatte keine Ruhe gegeben. Als alle Überredungskünste erfolglos geblieben waren, hatte sie das Kleid nicht nur kurzerhand anprobiert, sondern auch gekauft.

»Wir müssen nachher noch zu meiner griechischen Änderungsschneiderin«, eröffnete Ekaterina ihr beiläufig, nachdem sie die Bestellung aufgegeben hatten.

Lene runzelte die Stirn. »Wieso? Das Kleid sitzt doch perfekt.«

»Dir steht die Farbe aber viel besser.«

»Und?«, verstand ihre Freundin immer noch nicht.

Ekaterina lachte schelmisch. »Hast du wirklich geglaubt, ich kaufe das Kleid für mich, obwohl das wie für dich gemacht ist? Loukia schafft das schon. Du wirst sehen. Dann schenke ich´s dir.«

Sprachlos schaute Lene sie an und gab nach kurzem Zögern ihren grundsätzlichen Widerstand auf. »Du kannst mir unmöglich dieses teure Kleid schenken«, protestierte sie dennoch energisch. »Ich gebe dir für den unwahrscheinlichen Fall, dass die das hinbekommt, natürlich das Geld dafür.«

»Du darfst hier die Rechnung übernehmen«, wiegelte Ekaterina ab, nachdem die Kellnerin ihnen einen Milchkaffee, eine heiße Schokolade und zwei Stücke gedeckten Apfelkuchen gebracht hatte.

»Du willst mich wohl auf den Arm nehmen«, wehrte sich Lene erneut gegen die Aussicht, ein Kleid geschenkt zu bekommen. Das war sie weder gewohnt, noch fand sie das angemessen, so ohne jeglichen Anlass.

Ekaterina rührte bedächtig in ihrer Schokolade. »Wieso? Du trägst immer noch das Risiko, dass die Änderung nicht möglich ist und du ohne Kleid dastehst. Betrachte es halt als Lotterie.«

»Mal sehen«, blieb sie störrisch, nur vorübergehend ihren Widerspruch aufgebend.

Nach einer kurzen Pause wollte Lene das Gespräch wieder aufnehmen, das sie vor dem Schaufenster begonnen hatten, war sich aber nicht sicher, ob Ekaterina Sinn dafür hatte. Daher genoss sie zunächst einen weiteren Bissen ihres Kuchens, der mit viel Zuckerguss, wenig Rosinen und einem würzigen Apfel einfach perfekt war. »Sag mal«, setzte sie schließlich doch mit leise gehaltener Stimme an, um sicherzustellen, dass an den Nachbartischen niemand hören konnte, was sie zu Ekaterina sagte, »kann ich dich noch einmal auf die Prostituiertenberatung ansprechen?«

Ihre Freundin hob erstaunt den Kopf. »Natürlich, warum nicht? Du brauchst auch nicht zu flüstern. Es gibt noch mehr, die da engagiert sind.«

Stimmt, es konnte niemand wissen, womit die ehemalige Frau Hantuchova ihr Geld verdient hatte. »Warum willst du damit überhaupt anfangen, wenn du dir Sorgen machst, ob das auf Dauer für dich gut ist?«

»Warum wechselst du nicht das Dezernat?«, kam prompt eine berechtigte Gegenfrage.

»Aus demselben Grund, warum ich mich in unserem Netzwerk engagiere«, gab Lene zurück. »Ich bin der Meinung, dass sich das Verhältnis von Männern zu Frauen immer noch grundlegend ändern muss. Und solange das nicht passiert, benötigt es halt leider Menschen, die bei den gröbsten Übergriffen ermitteln und zumindest entschieden darauf hinwirken, dass Rechtsnormen eingehalten werden.« Sie hörte noch kurz in sich. »Ja, so könnte man das wohl knapp zusammenfassen.« Erwartungsvoll blickte sie Ekaterina in die dezent geschminkten Augen.

»Wenn du dir überlegst, was ich für ein Glück gehabt habe«, erwiderte sie den Blick offen, »verstehst du auch, warum ich das Gefühl habe, etwas davon zurückgeben zu wollen – vielleicht sogar zu müssen. Ich stand in der Hierarchie als Callgirl immerhin ganz oben und du weißt, was selbst mir zu guter Letzt passiert ist. Stell dir Frauen auf dem Straßenstrich vor, nicht selten drogenabhängig, mit Zuhältern, die ihnen das meiste Geld auch noch abnehmen. Diese Frauen haben alleine kaum eine Chance und es ist eigentlich ein Armutszeugnis, wenn Männer das schamlos ausnutzen, Zuhälter wie Freier. Ich möchte diesen Frauen Wege aufzeigen, aus dieser Abhängigkeit herauszukommen. Das geht. Aber ich weiß natürlich, dass meine Bemühungen oft scheitern werden. Daher meine Sorge«, wirkte Ekaterina plötzlich ein wenig kraftlos.

»Das fürchte ich auch«, konnte Lene ihr hinsichtlich der letzten Bemerkung nicht widersprechen. »Aber wenn du schon von Armutszeugnis redest, dann liegt das noch größere darin, dass unsere werten Männer teilweise selbst von Frauen in ihrem Verhalten bestätigt werden. Es wird doch an jeder Ecke hinter mehr oder weniger vorgehaltener Hand darauf verwiesen, dass der Mann aufgrund seiner Hormone halt so sei. Die Frau müsse aber bitte schön keusch bleiben«, fügte die Kommissarin sarkastisch hinzu. »Ich möchte mal wissen, wo eine Prostituierte herkommen soll, wenn sich alle Frauen gemäß dem postulierten Moralideal verhalten würden. Oder wie sich auch nur einer der Herren die viel zitierten Hörner abstoßen wollte, wenn es nur ›sittsame‹ Frauen gäbe.« Lenes Gesicht hatte Farbe bekommen. Das Thema brachte sie in Rage, wenn sie sich nicht bewusst zurückhielt.

 

»Das Pärchen hinter dir hat ganz große Ohren bekommen«, wies Ekaterina Lene grinsend auf deren Neugier hin, bevor sie das Thema wieder aufnahm. »Aber recht hast du. Es existiert immer noch eine Doppelmoral, die zum Himmel schreit. Wann kapieren endlich alle, dass sich Männer einfach nur eine bequeme Ausrede schaffen, wenn sie Frauengruppen definieren, denen das Recht auf Achtung von vorneherein mit welcher Begründung auch immer abgesprochen werden kann. Ob das Prostituierte, Frauen aus einer angeblich niederen Schicht oder sogenannte Ungläubige sind, spielt doch überhaupt keine Rolle. Solange wir solche Begründungen unwidersprochen stehen lassen, wird es nie dazu kommen, dass sich Männer Frauen gegenüber jederzeit respektvoll verhalten.«

Lene blieb nachdenklich sitzen, während ihre Freundin auf die Toilette verschwand. Im Grunde hatte Ekaterina recht. Die ganze Diskussion wurde immer aus einer männlichen Perspektive geführt. Sie hatte vor Monaten nicht umsonst im »Peppers« die Frage nach dem wahren Mann aufgeworfen. Überall werden wahre Männer gebraucht, nur wo blieben die? Oder wann wurde ein Mann zu einem wahren Mann? Sie musste doch noch einmal ausführlicher mit Thomas über das Thema reden, auch wenn der das mit allen Tricks stets zu vermeiden suchte. Aber nur ein Mann konnte die Diskussion letztlich anstoßen. Sie kratzte sich nachdenklich an der Schläfe. Und außerdem durften nicht immer wieder privilegierte oder kurzsichtige Frauen dazwischenfunken, wenn sich dauerhaft für alle Frauen, auch die am wenigsten geschützten, etwas ändern sollte.

Nachdem Lene bezahlt hatte, waren sie zur Änderungsschneiderei neben dem Kaufhof aufgebrochen. Bevor sie die Tür öffnete, hielt Ekaterina sie kurz zurück: »Ich muss dich noch vorwarnen«, räumte sie ein, »Loukia ist sehr direkt.«

»Ich weiß nicht, ob mir das gefällt«, fühlte sich Lene nicht ganz wohl bei dieser Aussicht.

»Aber sie ist eine Künstlerin«, war ihre Freundin von deren Fähigkeiten überzeugt.

Durch einen schmalen Gang gelangten sie in den Hinterhof, wo sich der Eingang zu der Änderungsschneiderei befand. Niemand war zu sehen.

»Loukia?«, rief Ekaterina in den verwaisten Raum.

Augenblicke später kam eine kleine, dralle Griechin aus einem Nebenraum zu ihnen. »Eh, Ekaterina. Was kann ich für dich tun?«

Diese schilderte Loukia das Problem mit dem Kleid. Die Schneiderin schaute sich das schöne Stück kurz an. Daraufhin bat sie Lene in ein Umkleideabteil. Zugegebenermaßen nervös stand die schließlich vor den beiden Frauen.

»Da ist wirklich nichts«, kommentierte Loukia in ihrer ihr eigenen Art unverblümt, während sie nachdenklich den Mund verzog.

»Hören Sie mal ...«, entfuhr es Lene empört und auch irgendwie getroffen, obwohl sie nie Kummer wegen ihrer kaum vorhandenen Oberweite hatte – na ja, fast nie.

Die Schneiderin schüttelte unwirsch den Kopf und unterbrach sie einfach. »Es ist, wie es ist.« Sie trat an Lene heran und prüfte den Stoff und die Nähte mit knappen, versierten Griffen.

»Das ...«, setzte Lene noch einmal an, der die Zornesröte ins Gesicht gestiegen war.

»Nun bleib mal ruhig, Liebes, und halt still«, ließ sich die kleine Frau nicht aus der Ruhe bringen. »Besser so, als anders herum. Abnähen geht meistens, zugeben selten.«

»Du stimmst mir doch zu«, versuchte Ekaterina die Spannung zu entschärfen, »dass das Kleid mit seiner Farbe perfekt zu meiner Freundin passt.«

Loukia holte sich Nadeln. »Wird schwierig«, murmelte sie nur, als sie zu den beiden zurückkam.

Lene reichte es. »Ich gehe.« Sie hatte die Diskussion im Laden bereits mit Ekaterina geführt, in diesem Moment wurde es ihr eindeutig zu viel.

Loukia hielt sie am Arm zurück. »Nur langsam, Liebes.« Sie drehte Lene zu sich und drückte ihr mit beiden Händen kurz aber kräftig auf die Schultern, als wolle sie ihr damit bedeuten, dort stehen zu bleiben. »Besser so. Da wird später nichts hängen.« Die kleine Frau griff ungeniert unter ihre vollen Brüste und hob sie mehrfach an. »Siehst du. Das ist das Ergebnis, wenn man nicht ausnahmsweise das straffe Bindegewebe von Ekaterina hat. Auch nicht besser. Einer Freundin von mir hat der Mann damals das Stillen verboten, weil er fürchtete, sie könne davon einen Hängebusen bekommen. Den hätte ich aus dem Haus gejagt«, lamentierte die Schneiderin, während sie der zunehmend irritierteren Lene Nadeln in das Kleid steckte. »Aber wie soll man das machen, wenn man gerade ein Kind bekommen hat.«

Ekaterina grinste in sich hinein. Das war Loukia.

Mit einer Nadel zwischen den Zähnen fragte die Lene: »Bist du verheiratet? ... Ah, ich duze dich, weil du zu Ekaterina gehörst. Ist doch in Ordnung, oder?« Ohne Lene eine Gelegenheit zu geben, auf die letzte Frage zu antworten, fuhr die Schneiderin fort: »Also, bist du verheiratet?«

»Ja?«

»Und geht dein Mann fremd?« Die nächste Nadel war im Stoff platziert.

»Nicht, dass ich wüsste«, war Lene zu perplex, um sich gegen das Thema zu verwahren.

Loukia schaute kurz auf. »Und worauf führst du das zurück?« Sie ließ Lene mit der Frage alleine, hob ihren linken Arm und zupfte an dem Stoff.

»Vermutlich, weil er ehrlich ist«, wusste Lene nicht so genau, worauf die Schneiderin hinauswollte.

Die schüttelte den Kopf, während sie Lenes rechten Arm hob. »Es gibt keine ehrlichen Männer mehr, seit uns Casanova beglückte. Zumindest ist mir noch keiner begegnet«, erwiderte sie lakonisch.

»Sondern?«

»Männer halten sich an ihre Versprechungen vor der Ehe, wenn sie zufrieden sind. Wenn nicht«, dozierte die kleine Griechin, »dann nehmen sie es damit nicht ganz so genau und erzählen dir auch noch, dass sie nur deshalb nichts gesagt hätten, weil sie dich nicht verletzen wollten.« Sie lachte abfällig, während sie Lene aus ein paar Schritten Entfernung musterte. »Deinem Mann scheint also zu gefallen, wie Gott dich geschaffen hat. Und falls nicht, wird er die Augen nicht mehr von dir lassen können, sobald er dich in diesem Kleid sieht.« Loukia lächelte zufrieden.

»Du meinst«, mischte sich Ekaterina voll Freude ein, »du schaffst das? Bis wann?«

Die Schneiderin verschwand hinter der Theke und sah in ihr Auftragsbuch. »Ende nächster Woche. Aber nur, weil du es bist«, hörte Lene die ältere Frau brummeln, während sie sich in der Umkleide umzog.

»Du bist ein Goldstück«, brachte die jüngere Frau ihre Freude überschwänglich zum Ausdruck.

Kapitel 8

Es war dunkel, wie immer, wenn sie alleine war. Sie konnte nur mit angezogenen Beinen liegen, sitzen war möglich, stehen hingegen nicht. Kalt war ihr nie, obwohl sie keine Kleidung trug. Sie hatte nur eine ungefähre Vorstellung, wie lange sie hier schon festgehalten wurde. Dennoch versuchte sie, das Zeitgefühl nicht vollständig zu verlieren, indem sie das Auftreten ihrer Menstruation zählte. Als Erstes nach nahezu jedem Erwachen erinnerte sie sich an deren Anzahl. Ansonsten hätte sie jedes Gefühl für die Zeit verloren. Inzwischen hatte sie bis sieben gezählt, wenn ihr Gedächtnis ihr keine Streiche spielte. Es waren sieben Monate oder mehr? Ob Jahre daraus werden würden, wusste sie nicht. Sie hatte nicht die geringste Vorstellung, wohin sie gebracht worden war. Neben der Zeit löste sich auch der Raum auf – und sie? Irgendwann war sie dazu übergegangen, sich an ihren Erinnerungen festzuhalten. Nur so behielt sie ein Gefühl dafür, wer sie eigentlich war. Nach einer Weile dämmerte sie in der Dunkelheit wieder weg.

Wach wurde sie aufgrund der Schmerzen in ihrem Rücken. Als sie sich noch gewehrt hatte, waren ihre Hände mit Handschellen an die zusammengebundenen Fußgelenke gefesselt worden. Seitdem sie keinen Widerstand mehr leistete, war diese Maßnahme entfallen. Die so gewonnene Freiheit nutzte sie auf dem engen Raum, um ihren schlanken Körper wenigstens etwas zu bewegen, bevor sie phasenweise in eine tiefe Lethargie verfiel. Ihre Stimmungslage schwankte stark. Seit zwei oder drei Wachzeiten wurden auch ihre Gedanken wieder sprunghafter und sie nahm die Situation deutlich verzweifelter wahr. Inzwischen hatte sie begriffen, dass nicht nur die schmerzhafte Anschwellung ihrer kleinen Brüste die nächste Menstruation ankündigte.

Als sie Durst verspürte, suchte sie mit dem Kopf nach dem Schlauch einer Trinkflasche, der durch die Gitterstäbe ihres Käfigs reichte und saugte daran. Nach der anfänglich großen Verzweiflung hatte sie begonnen, die Abläufe zu beobachten. Ihre Lebenserhaltungssysteme hatten sich, wenn auch nur zeitweise, zurückgemeldet, immer in der Hoffnung, eine Möglichkeit zur Flucht zu finden. Ein einziges Mal hatten sie vergessen, ihren Käfig abzuschließen. Aber damals hatte sie keinen Weg gefunden, sich von ihren Fesseln zu befreien und die Zimmertür zu öffnen. Als sie erkannt hatte, dass die abgeschlossen war, hatte sie sich mit ihrem bescheidenen Gewicht immer wieder gegen die Tür geworfen. Doch die war stabil gewesen. In der Dunkelheit hatte sie außerdem nichts ertasten können, um auf das Fensterbrett zu klettern, das sie oberhalb der Heizung mit dem Kopf hatte spüren können. Irgendwann war sie einfach erschöpft liegen geblieben. Sie hatte verstanden, genau genommen durch ihren sinnlosen Widerstand aufgehalten worden zu sein. Aber seitdem sie sich nicht mehr wehrte, hatte es keine weitere Gelegenheit zur Flucht gegeben.

Wochen später hatte sie versucht, das Wasser zu meiden, weil das zu bestimmten Zeiten mit irgendwelchen Drogen versetzt wurde, um sie auf die nächste »Sitzung« vorzubereiten. Aber das hatte nichts genutzt. Sie hatten ihr das Wasser zwangsweise einverleibt. Schmerzhaft hatte sie die Erfolgslosigkeit ihrer Aktion eingesehen und lieber wieder selbst getrunken. Sie wusste nicht, was sie bekam. Doch sie hasste es, weil sie dadurch die Kontrolle über ihre körperlichen Empfindungen verlor.

Grundsätzlich wurde sehr auf ihre Gesundheit geachtet. Auch als sie das Essen verweigert hatte, hatten sie sofort eingegriffen, sie sediert und gefüttert. Nach einer Weile hatten sie das Medikament wieder abgesetzt, um zu sehen, ob sie begriffen hatte. Sie hatte! Sediert war alles noch schlimmer, weil sie damit jede Hoffnung aufgegeben hätte, vielleicht doch einen Weg aus dieser Lage zu finden. Jeden Tag kam eine verhüllte Gestalt, die ihr Nahrung brachte und für ihre Körperpflege sorgte. Deren Hände fühlten sich auf ihrer Haut ein wenig ledrig an. Weil die Person auch geschickt darin war, ihr einen Zopf zu flechten, vermutete sie, dass es sich um eine ältere Frau handelte. Außer ihr hatte sie nie jemanden gesehen, weil ihr sonst immer die Augen verbunden wurden. So auch, wenn die Alte mehr oder weniger regelmäßig von einer einzelnen Person begleitet wurde. Bei der durfte es sich wegen der samtweichen, stets zärtlichen Hände ebenfalls um eine Frau handeln. Sie hasste diese Hände. Denn ihr Verstand signalisierte ihr, nicht angefasst werden zu wollen, und dennoch waren diese Hände bei der Massage so geschickt, dass sie sich einem angenehmen Gefühl selbst bei klarem Verstand nicht gänzlich entziehen konnte. Manchmal begann sie dagegen aufzubegehren, getrieben durch die Wut auf ihren eigenen Körper, der ihre Seele zu verraten schien. Aber das führte lediglich dazu, dass die Gurte, mit denen sie auf die Liege geschnallt war, scharf in ihre Hand- und Fußgelenke schnitten.

Ihr verzweifeltes Flehen, sie laufen zu lassen, wurde meist nicht einmal kommentiert. Wie konnte eine Frau, die doch eigentlich die Gnade Gottes verkörperte, sich an dergleichen beteiligen? Der Grat zwischen Himmel und Hölle war offensichtlich sehr schmal. Resigniert sprangen ihre Gedanken in die länger zurückliegende Vergangenheit.

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