Der Teufel lauert auch im Paradies

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Kapitel 11

Nachdenklich hatte Thomas Sprengel endlich das »Peppers« erreicht, wo sich die Kollegen wöchentlich zum Stammtisch trafen. An diesem Abend war es ungewöhnlich voll. Auch hatten sich Mitarbeiter der verschiedenen Dezernate zahlreich eingefunden, die sich auf die Bar sowie vier Tische verteilten. Dem müden Hauptkommissar missfiel der Lärmpegel erheblich, aber er hatte sich hier mit Lene auch verabredet, damit sie nicht kochen mussten. Keineswegs unhöflich, aber bestimmt drängelte er sich zwischen zwei Gäste an die Bar, um bei Bea seine Bestellung aufzugeben, bevor er sich zu den anderen an einen Tisch setzte.

»Hi, Bea«, übertönte er die Geräuschkulisse, sich an die am Zapfhahn stehende Barfrau wendend.

Die blickte kurz auf, um zu sehen, wer da etwas von ihr wollte. »Grüß dich, Thomas«, erwiderte sie trotz des Andrangs erstaunlich entspannt.

Sie schien sogar zu lächeln, aber das wirkte immer so. Zu ihrem elfenartigen Körper und den langen blonden Haaren hatte sie die Natur mit Gesichtsmuskeln gesegnet, die keinerlei Tendenz zeigten, hängende Mundwinkel unterstützen zu wollen. Oder lag das einfach daran, dass sie eine glückliche Beziehung führte? Ob die Mundwinkel wohl auch der Schwerkraft einer politischen Tätigkeit trotzen würden? Jedenfalls war sie sicherlich ein gutes Vorbild für die drei Kinder ihrer Partnerin, mit der sie seit fünf Jahren zusammenlebte. Das wiederum hatte sie so gut verborgen, dass nur aufgrund der kurzzeitigen amourösen Ambitionen seines Mitarbeiters Heiner Janetzky wenige Kollegen davon wussten.

»Überlegst du noch?«, fragte Bea stirnrunzelnd nach, während sie das gezapfte Pils abstellte.

»Äh ... nein, ein Alt-Cola und ... habt ihr noch ein Steak?«

Bea nickte. »Mit Salat?« Sie lachte umgehend, als sie sein enttäuschtes Gesicht sah. »Schon gut, ich rede mal mit deiner Frau. Ich möchte keineswegs, dass meine Gäste leiden.«

Diese Aussicht zauberte schlagartig ein Lächeln auf seine Lippen und seine Augen begannen zu leuchten. »Du bist ein Schatz, Bea!« Zu seinem Leidwesen hatte er mit Lene ausgemacht, an seinen Münchner Verhältnissen ernsthaft etwas zu ändern. Er war auch auf einem guten Weg, vier Kilo waren bereits runter. Nur an diesem Abend war er einfach mental zu geschwächt und überhaupt: der Regen, die Vernehmung, der Lärm, ach, was sollte er sagen ... Auch der stärkste Mann wurde ab und zu mal umgehauen. Dumm war nur, dass Bea von Lene über ihre Vereinbarung informiert worden war, um genau solche Situationen zu verhindern. Aber was alle Kollegen an Bea schätzten, war ihr Einfühlungsvermögen. Sie hatte ausnahmslos ein Gespür für die Stimmung ihrer Gäste und das, was diese gerade benötigten. Unvergessen blieb die »Abendsonne«, die sie Heiner verordnet hatte, als der in einem emotionalen Loch saß. Unvergessen auch wegen der daraus letztlich entstandenen Spekulationen und einer Wette, die Horst Jung in seinem jugendlichen Leichtsinn ziemlich teuer gekommen war.

Er setzte sich zu Lene, die ihm liebevoll über den Oberschenkel streichelte, weil auch ihr nicht verborgen blieb, wie geschafft ihr Gatte daherkam. Kurze Zeit später stellte Bea ein Alt-Cola vor Thomas und einen Caipirinha vor Lene ab, die überrascht zu ihr aufschaute, weil sie keinen bestellt hatte. Die Barfrau legte ihr daraufhin die Arme um die Schultern und beugte sich zu ihrem von Thomas abgewandten Ohr nach unten. Sofort schaute der zur anderen Seite und versuchte dennoch, etwas zu verstehen, was aber angesichts des Lärms aussichtslos war. Doch er hätte schwören können, den Blick seiner Frau im Rücken zu spüren.

»Auf dein Wohl, Lene«, hob er ihr sein Glas hoffnungsfroh entgegen, nachdem Bea an ihm vorbei zur Bar gegangen war.

Lene nahm ihren Cocktail und stieß mit ihm an. Ihr Gesicht verriet, wie immer in solchen Situationen, nicht das Geringste.

»Das war Beas Vorschlag«, verteidigte er sich prophylaktisch.

»Schlawiner«, war alles, was sie dazu sagte, bevor sie sich an ihrem Getränk erfreute. »Wie war euer Tag? Du siehst mitgenommen aus.«

Kein Kommentar, das war nun wirklich verdächtig, aber die Frage lenkte ihn ab. Er erzählte von Peter Hüsings Vernehmung, dem LSD und dass der Festgenommene bereits wegen einer Vergewaltigung vorbestraft war, die er allerdings abstritt. Selbst wenn seine Version stimmte, hatte er Sex mit einer Minderjährigen gehabt.

»Der ist nicht zufällig CSU-Mitglied gewesen?«, konnte Lene sich einen sarkastischen Kommentar nicht verkneifen. Alle am Tisch lachten, obwohl das nur traurig war. Wie wollte ein Politiker zum Wohle der Gesellschaft entscheiden, wenn er sich und seinen Verstand offensichtlich überhaupt nicht unter Kontrolle hatte. Während es zu einer Diskussion über Verantwortungsbewusstsein kam, tippte Frank Hartenstein, der mit dem Rücken zu den beiden am Nebentisch gesessen hatte, Lene und Thomas auf die Schultern.

»Ich habe mit einem halben Ohr mitgehört«, eröffnete er ihnen. »Aufgrund der Drogen, auch im Zusammenhang mit der Vorstrafe, ist mir eingefallen, dass wir bereits vor knapp vier Jahren eine Anzeige gegen Mitglieder dieses Yoga-Zentrums wegen einer Vergewaltigung gehabt haben.«

»Nicht vielleicht gegen Peter Hüsing?«, formulierte Thomas Sprengel seinen gefühlten Lottogewinn, obwohl er dazu neigte, dessen Aussage zu glauben.

Frank Hartenstein lachte, schüttelte dabei aber zu Thomas´ Enttäuschung den Kopf. »So einfach wird das wohl doch nicht. Nein, gegen den Leiter dieses Camps und gegen Unbekannt, falls ich mich noch richtig erinnere.«

»Wie geht das?«, wunderte sich Lene.

Ihr Mitarbeiter wehrte mit der Hand ab. »Weiß ich im Detail nicht mehr. Das war völlig abstrus. Lest euch die Akte durch. Morgen suche ich sie euch raus und bring sie dir, Lene.«

»Du willst uns nur auf die Folter spannen«, beschwerte sich Kommissar Sprengel säuerlich. Er konnte es schon nicht leiden, wenn Horst Jung ihn piesackte, indem er immer erst am Schluss mit den wirklich interessanten Informationen herausrückte.

Frank Hartenstein zwinkerte nur belustigt. »Ich habe bereits Feierabend und möchte mich nett unterhalten, ohne über Psychos zu räsonieren.«

»Das ...«, setzte Lenes Mann gerade an, als er von Bea abgelenkt wurde, die einen Teller für ihn auf den Tisch stellte.

»Guten Appetit, der Herr«, grinste Bea ihn über beide Backen an.

Thomas Sprengel vergaß umgehend seinen Protest, als er ein saftiges Steak neben einem wahrhaftigen Berg Pommes und einem winzigen Salat erblickte. »Oh«, kam es aus seinem tiefsten Inneren. »Danke, Bea.«

»Wohl bekomm´s ...«

»Danke.«

»... der Hüfte«, kniff Lene die Lippen aufeinander, weil sie Mühe hatte, sich ein Grinsen zu verkneifen.

Wenn sie Bea schon das Okay gegeben hatte, warum musste sie ihm dann noch eine reinfahren? »Das ist nicht fair«, lamentierte ihr Mann, während er Messer und Gabel zur Hand nahm.

Horst Jung war dagegen weniger vornehm und langte einfach über den Tisch, um sich an den Pommes zu bedienen. »Die darfst du doch gar nicht«, legte er den Finger dabei nicht nur an die Kartoffelschnitze, sondern gleichfalls in die Wunde.

Der Kopf des so dreist Beklauten schnellte von Lene zu ihm herum. »Finger weg, Schmarotzer«, fuchtelte er mit seiner Gabel der Hand seines jungen Mitarbeiters hinterher. »Heb deinen Hintern selbst erst mal von der Couch.«

Lene musste endgültig im Verein mit Horst über ihren Mann lachen und nahm ihm die Gabel aus der Hand, mit der sie umgehend mehrere Pommes aufspießte.

»Was, du auch noch?«, fragte er sie entgeistert.

Aber Lene schob ihm nur kommentarlos die Gabel in den Mund, damit endlich Ruhe war.

Die Gespräche plätscherten vor sich hin. Während Thomas noch aß, hörte er mal hier und mal dort zu. Das Steak war köstlich – und der Salat auch. Nicht deswegen blieb ihm der letzte Bissen fast im Hals stecken. Lene hatte ihn angestoßen und Horst Jung reckte bereits neugierig den Hals, weil Harald Krämer das »Peppers« betrat: ohne Schnauzer, aber mit einem großen Blumenstrauß in der Hand. Und nicht nur das. Er kam an ihren Tisch, wo er zu aller Überraschung Franz mit Handschlag begrüßte, bevor er sich weiter zum Ende der Bar begab.

Keiner traute seinen Augen, nachdem vor nicht allzu langer Zeit Franz Hilpertsauer den unbeliebten Krämer wegen dessen Entgleisung mit körperlichem Nachdruck an die Luft gesetzt hatte. »Was ist denn hier los?«, war Horst Jung der Erste, der sich mit gedämpfter Stimme quer über den Tisch an den schmunzelnden Kollegen wandte. Bevor der antworten konnte, sahen alle noch verblüffter, wie Harald Krämer den Blumenstrauß bei Sonja ablieferte, die wie meistens am Kopfende der Bar saß. An dem verwunderten Gesicht von Beas Partnerin war zweifelsfrei abzulesen, dass die von der Aktion ebenfalls überrascht wurde.

»Häh?«, schüttelte Thomas Sprengel den Kopf, während seine Hand eigenmächtig die Gabel auf dem Teller platzierte. »Rede endlich, Franz! Oder habe ich Halluzinationen?«

Doch sein Mitarbeiter grinste nur umso mehr, weil er sich über die verständlichen Reaktionen seiner Kollegen köstlich amüsierte.

»Franz!«, kam es scharf von Lene, die im Allgemeinen besser über das informiert war, was hinter den Kulissen passierte, aber an diesem Abend genauso ahnungslos wie die anderen war.

»Ihr werdet es kaum glauben«, begann Franz, nur um gleich wieder eine Pause einzulegen, um die Spannung noch ein wenig zu steigern.

Sein Chef drohte zu platzen. Horst Jung hätte bereits eine Kopfnuss kassiert.

»Da hat es doch gestern Abend bei uns geklingelt und ratet, wer mit einem Geschenk vor der Tür stand!«

»Nein«, »nicht wahr«, »gibt es das«, kam es von verschiedenen Seiten. »Und der wollte was?«

 

»Ekaterina sprechen«, erklärte Franz ohne weitere Unterbrechungen. »Ich war erst skeptisch, schloss ihm die Tür vor der Nase und fragte Ekaterina, ob sie den überhaupt sehen wolle. Kurz darauf kam sie tatsächlich mit dem Krämer ins Wohnzimmer, wo er ihr ein Buch in die Hand drückte und sich endlos dafür bedankte, ihn nicht angezeigt zu haben.«

So habe ich mir das zwar nicht vorgestellt, dachte Thomas Sprengel, aber das Ergebnis ist vielleicht sogar noch viel besser.

»Deine Frau scheint ein Engel zu sein«, stellte Horst Jung ehrlich beeindruckt fest.

Franz Hilpertsauer nickte nur, wobei man ihm sein Glück ansah. »Dann hat er sich wortreich bei ihr entschuldigt und mir zugegeben, dass es schon recht gewesen sei, ihn damals hier herausbefördert zu haben. Man glaubt es kaum, gell.«

»Das ist der Megahammer«, war ihr Jüngster vollkommen perplex.

»Wo hast du den Wagen geparkt?«, erkundigte sich Lene Huscher, als sie mit ihrem Mann das »Peppers« verließ.

Bei dieser Frage musste Thomas Sprengel immer an ihren ersten Abend denken, nachdem sich damals die Runde ihrer Freunde rücksichtsvoll, weil frühzeitig verabschiedet hatte. »In der UB«, gab er zurück. »Der hat sich sogar seinen Schnauzer abrasiert«, konnte er das Geschehene noch nicht fassen.

»Sieht eindeutig weniger nach Swingerclub aus«, erwiderte Lene lakonisch.

Ihr Mann musste bei der Vorstellung lachen, wie sich über die Wampe von Harald Krämer ein Netzshirt spannte, während der untrainierte Hintern in einem String-Tanga steckte.

»Würdest du mich an deinen Gedanken teilhaben lassen, mein Schatz?«

Er malte ihr sein Bild als Szene in einem Etablissement, das sich irgendwo in einem gemischten Wohn- und Gewerbegebiet befinden könnte. Auf dem Weg zum Parkhaus legte er liebevoll seinen Arm um Lene.

»Du hast Ideen«, schüttelte sie gut gelaunt den Kopf.

»Du hast doch davon angefangen«, verwahrte er sich entrüstet gegen diesen impliziten Vorwurf.

Die Kommissarin schmiegte sich an ihren Mann, während sie inzwischen auf den Uni-Platz einbogen. »Weißt du was? Wenn Frank recht behält und da noch mehr dran sein sollte, ... so Sachen, die in mein Dezernat fallen, dann könnten wir doch eine Soko einrichten. Meinst du nicht auch, dass euch das personell entlasten würde?«

»Ganz selbstlos, nicht wahr?« Er drückte seine Frau zärtlich an sich.

»Wie immer. Du kennst mich doch.«

Kapitel 12

Nachdem Thomas Sprengel morgens die Arbeit aufgeteilt hatte, war er mit Horst Jung zum Yoga-Ashram gefahren, um mit dem Leiter des Zentrums zu sprechen. Am späten Abend war auch Heiner Janetzky endlich aus seinem Mallorca-Urlaub zurückgekehrt. Franz Hilpertsauer sollte ihn in Kenntnis setzen, um gemeinsam weiter nach Zeugen zu suchen, die die Aussage von Peter Hüsing bestätigen oder widerlegen würden. Zum Unwillen des Hauptkommissars war es Fatma Ünal gelungen, den Haftrichter davon zu überzeugen, den Verdächtigen Hüsing bereits wieder auf freien Fuß zu setzen, wenn auch mit der Auflage, sich täglich auf einem Polizeirevier zu melden. Er sah zwar ein, dass augenblicklich wenig gegen dessen Version sprach, aber ein bisschen Zeit musste man ihnen schon geben, Verdachtsmomente zu finden oder Zweifel auszuräumen. Zugegebenermaßen hielt er es nicht für wahrscheinlich, dass Hüsing am Tod von Frau Tröger eine Schuld traf. Es gab jedoch noch keine Gewissheit und bezogen auf eine eventuelle Fluchtgefahr war er der Meinung, Kontakte nach Indien könnten sehr wohl dazu genutzt werden, in dem Milliarden-Einwohner-Land unterzutauchen. Ohnehin würde der Fall eine mühevolle Kleinarbeit werden. Die Spurensicherung hatte in der Wohnung von Sylvia Tröger nicht den geringsten Anhaltspunkt finden können. Es hatte dort weder einen möglichen Grund für ihren Tod gegeben, noch ließ irgendetwas darauf schließen, ob sich für die junge Frau bei der Suche nach ihrer Schwester Hinweise ergeben hatten, die ihnen unter Umständen hätten weiterhelfen können. Am Ende gab es gar keinen Fall, weil Sylvia Tröger im Rahmen eines »bad trips« vollständig die Kontrolle verloren hatte?

Den beiden Kommissaren stand ihre Überraschung ins Gesicht geschrieben, nachdem eine formell gekleidete Sekretärin sie in das Büro des Ashram-Leiters geführt hatte. Es war nicht nur die hochwertige Einrichtung oder das Fehlen irgendwelcher Esoterik-Devotionalien, sondern gleichermaßen die elegante Erscheinung eines Mannes in einem perfekt sitzenden Business-Anzug – ohne Krawatte, wie das inzwischen bevorzugt wurde, wenn man sich lässig geben wollte. Als ob das vom Tragen dieses Accessoires abhing.

»Ich sehe schon«, wirkte der Kopf des Yoga-Paradieses amüsiert, »Sie haben etwas anderes erwartet. Grüße Sie, Matthias Untersberger.« Mit kräftigem Druck reichte er beiden die Hand.

»Morgen, Sprengel, Kripo Heidelberg«, stellte der Hauptkommissar sie vor, indem er auch auf seinen Kollegen deutete. »Das ist Herr Jung.«

»Angenehm«, zeigte sich Herr Untersberger höflich, »auch wenn der Anlass weniger erfreulich ist.« Bei der letzten Bemerkung wechselte sein aufgeschlossener Gesichtsausdruck zu einem betrübt-ernsthaften. »Setzen Sie sich doch. Möchten Sie einen Kaffee?«, blieb er seinen geschliffenen Umgangsformen treu, während er auf zwei bequeme Sessel vor seinem Schreibtisch deutete.

»Danke, nein«, lehnten seine Besucher ab.

»Was kann ich für Sie tun?«, zeigte ihr Gesprächspartner keinerlei Interesse an Small-Talk.

Als Thomas Sprengel dem Leiter des Zentrums die genauen Umstände zu Sylvia Trögers Tod darlegte, verdunkelte sich dessen Miene zusehends, während er schweigend mit aneinandergelegten Fingerspitzen zuhörte. Am Schluss nickte er nachdenklich. »Wie kann ich Ihnen also helfen?«

»Haben Sie eine Vorstellung, woher oder warum Sylvia Tröger LSD genommen haben könnte?«

Der Angesprochene kniff ein wenig die Augen zusammen und versuchte, die Absicht hinter der Frage zu ergründen, bevor er antwortete: »Falls Sie denken, Yoga würde immer noch hauptsächlich von Menschen praktiziert, die Drogen als Teil der Revolution gegen das Establishment betrachten, irren Sie sich. Yoga und die unkontrollierte Einnahme von Drogen passen nicht zusammen. Folgerichtig ist das in jedem Ashram unserer Gruppe verboten. Im Wiederholungsfall kann der Konsum sogar zum Ausschluss führen.«

»Sie wollen behaupten, dass niemals jemand Drogen nimmt, auch nicht kifft oder so?«, hakte Horst Jung skeptisch nach.

»Herr Jung«, dozierte der Ashram-Leiter ein wenig von oben herab. »Hier leben kaum noch Leute aus der Flower-Power-Bewegung. Und wie Sie bereits überrascht zur Kenntnis genommen haben, halten Sie sich in einem Büro auf, das Sie so in jeder Firmenzentrale finden. Wir sind ein global operierendes Wirtschaftsunternehmen im Bereich Gesundheit und Wellness. Drogen schaden erstens unserem Image und zweitens – salopp formuliert – weichen die nur das Hirn auf, so dass sie für unsere versprochenen Ziele kontraproduktiv sind. Sie können das absolut nüchtern betrachten. Wir haben keinerlei Verständnis für die beabsichtigte Legalisierung von Cannabis, wie das inzwischen häufiger in der Politik diskutiert wird.«

»Verstehe«, nickte der junge Kommissar. »Wie sehen denn Ihre Ziele aus?«

»Wir versprechen«, setzte Matthias Untersberger an, »nein, wir garantieren den Menschen Wohlbefinden durch eine ganzheitliche Lebensweise.«

»Sehr interessant«, unterbrach Thomas Sprengel jede weitere Ausführung, weil er nicht hergekommen war, um Werbeinformationen einzuholen. Es sah zumindest so aus, als ließe sich damit eine Menge Geld verdienen. Was hier herumstand und -hing, war eindeutig teurer als das Mobiliar im Vorstandsbüro von Günther Katz, dem Internetmillionär, der inzwischen auch seine Berufungsverhandlung verloren hatte. »Sie haben somit keine Erklärung für den Drogenmissbrauch?«

»Von unserer Seite verstößt das eindeutig gegen die Gruppenregeln«, unterstrich Matthias Untersberger nochmals die kodifizierte Haltung im Ashram.

Zur gleichen Zeit saß Lene Huscher bei einer Frau Ende zwanzig in der Küche, die akkurat aufgeräumt war. Nirgends stand oder lag Geschirr herum, kein Krümel war zu sehen. Cornelia Faber war die junge Frau, an deren Fall sich ihr Mitarbeiter Hartenstein erinnert hatte. Seitdem sie den Ashram verlassen hatte, arbeitete sie mangels einer anderen Ausbildung als Raumpflegerin hauptsächlich abends und nachts in einer Kolonne, die Büros reinigte. Die Frau machte auf Lene den Eindruck, als habe sie zwar Schicksalsschläge erlitten, lasse sich aber dennoch nicht einfach unterkriegen. Zäh wäre wohl die richtige Beschreibung.

»In Ihrer Akte habe ich gelesen, dass es zu keinem Schuldspruch gekommen ist, weil Sie vor den ... Handlungen Ihr Einverständnis gegeben haben. Können Sie mir das erklären?«

Cornelia Faber saß mit verschränkten Armen an die Stuhllehne zurückgelehnt da und schnaufte mit einem verächtlichen Gesichtsausdruck. Sie war misstrauisch, weil sie nicht verstand, warum nach Jahren jemand von der Kripo bei ihr auftauchte und alte Wunden aufzureißen drohte. »Weil es Menschen wie mich gibt, die zu doof zum Lesen sind«, entgegnete sie eine Spur zu patzig.

»Wie darf ich Sie verstehen?«, ignorierte Lene Huscher die ablehnende Haltung.

»Was wollen Sie eigentlich von mir?«, brach sich das ungute Gefühl, das sich bei der jungen Frau eingestellt hatte, energisch Bahn. »Damals hat mir auch keiner geglaubt.«

Die Kommissarin war sich sicher, die schroffe Reaktion richtig zu interpretieren. Es war keinesfalls klar, ob Frau Faber das Ganze vollständig verarbeitet hatte. Nach kurzem Zögern legte sie deshalb die Karten auf den Tisch und berichtete von Sylvia Trögers Schicksal.

»Also gut.« Frau Faber beugte sich vor und stützte die Unterarme auf die Tischplatte, auf der ein Wachstischtuch ausgebreitet war. »Ich habe denen vertraut, so einfach erklärt sich das. Yoga hat mir gutgetan. Ich komme aus einer armen Familie – ja, die gibt es auch in Deutschland. Das sind die Menschen, die den Hochwohlgeborenen ihren Luxus ermöglichen und zum Dank wie lästige Insekten behandelt werden.« Ihre Augen spiegelten den über Jahre angestauten Zorn Frau Fabers wider. »In meinem ersten Ashram in Hamburg konnte ich in eine Wohngemeinschaft ziehen und in der dortigen Küche arbeiten, wofür ich neben Kost und Logis ein kleines Taschengeld erhielt. Die Übungen entfalteten mit der Zeit ihre positiven Wirkungen. Das erste Mal in meinem Leben hatte ich keine Sorgen, weil meine Bedürfnisse bescheiden waren und ich ja rundherum versorgt war. Nach ein paar Jahren nahm ich die Gelegenheit war und wechselte in den Heidelberger Ashram, weil dort eine Stelle als Köchin frei geworden war, wodurch sich zusätzlich mein kleiner Lohn aufbesserte. Damals war ich überglücklich. Nicht lange nach meinem Umzug wurde ich gefragt, ob ich in das Spezialprogramm aufgenommen werden wolle.«

»Was darf ich darunter verstehen?«, musste Lene die Erzählung unterbrechen.

»In jedem der Erneuerungs-Ashrams üben Externe, die nur zu den Yoga-Einheiten kommen und viel Geld bezahlen. Der äußere Zirkel besteht aus allen, die in dem Ashram leben und teilweise, wie ich, dort arbeiten. Wer sich entscheidet, endgültig zu bleiben, kann sich einer besonders intensiven Übung unterziehen. Allerdings muss man darauf warten, gefragt, also ausgewählt zu werden«, erklärte die auffallend schlanke Frau, während sie sich eine blonde Haarsträhne hinter ein Ohr klemmte, die ihr in die Stirn gefallen war. »Ich dumme Kuh war damals so stolz, dass ich bei dem zweiten Gespräch mit dem Untersberger überhaupt nicht mehr darauf geachtet habe, was ich da eigentlich unterschreibe.«

»Aber ...«

»Ich weiß, was Sie sagen wollen«, unterbrach Frau Faber die Kommissarin. »Ich war jung, gerade Köchin geworden, mein altes Leben lag längst hinter mir. Bis dahin hatte es nie einen Anlass gegeben, misstrauisch zu sein. Ich vertraute diesen Leuten, deren Organisation ich bis dahin ein besseres Leben verdankte. Dazu wurde ich noch für meine Disziplin und die Anmut meiner Übungen gelobt, um schließlich gefragt zu werden, ob ich besonders intensiv an mir arbeiten wolle, um endgültige Befreiung zu erlangen. Natürlich wollte ich das, diese außergewöhnlich herausfordernde Ausbildung, die nur den begabteren Suchenden offen stand. Die Einverständniserklärung unterschrieb ich quasi blind. Der Untersberger kann reden, dass Sie sich wie Gott persönlich fühlen, glauben Sie mir!«

 

»Sie wussten also nicht, was passieren konnte?«

»Was mir klar war, war die Einwilligung in eine Form roten Tantras«, erwiderte Frau Faber ärgerlich.

»Könnten Sie mir den Begriff erklären?«, bat Lene, der diese Terminologie fremd war.

»Tantra hat die Einswerdung zum Ziel und dient damit der Erweckung der Kundalini, einer Energie, die am Ende der Wirbelsäule schlummert und zur Entfaltung gebracht werden soll, um ein kreatives und selbstbestimmtes Leben führen zu können. Rotes Tantra setzt dazu Sexualpraktiken ein, die eine außergewöhnliche Beherrschung verlangen. Verwechseln Sie das bitte nicht mit weißem Tantra, das ausschließlich Gruppenmeditationen nutzt. Im Allgemeinen wurden die Menschen im Ashram zu einem enthaltsamen Leben angehalten, um die Sexualenergie nicht zu vergeuden, sondern für die eigene Heilung zu nutzen. Es wurde stets betont, dass nur besonders ausgewählte und fortgeschrittene Schüler zu rotem Tantra eingeladen werden. Eigentlich kann man dabei gar nicht mehr von rotem Tantra sprechen.« Sie brach ab, weil der Gedanke, wie sie manipuliert worden war, sie nach wie vor fassungslos machte.

»Deshalb haben Sie dann Anzeige wegen Vergewaltigung erstattet?«, verstand Lene Huscher das Verhalten der Frau noch nicht ganz.

»Untersberger wiegelte damals ab, die Unterschrift sei nur eine Formalie, um das Informationsgespräch zu dokumentieren«, kamen Wut und Enttäuschung in der Frau hoch, »und da habe ich unterschrieben und nicht gesehen, dass auf den möglichen Einsatz von psychogenen Drogen hingewiesen wurde. Angeblich um Blockaden zu lösen, die sich selbstredend im Sexualbereich befinden.« Unter Tränen berichtete die mitgenommene Frau, was ihr schließlich widerfahren war.

Die Kommissarin hörte der gutgläubigen Frau schockiert zu und konnte das Gehörte kaum fassen. Der Teufel lauerte also auch im Paradies.

»Was ich Sie noch fragen wollte«, drehte sich Thomas Sprengel auf dem Weg zur Tür noch einmal zu dem ihnen folgenden Leiter des Zentrums um. »Wieso war eigentlich die Tür in der Schallschutzwand offen?«

»War sie das?«, gab sich Matthias Untersberger zunächst überrascht. »Natürlich«, schlug er sich mit der flachen Hand leicht vor die Stirn, »sonst wäre Frau Tröger vermutlich noch am Leben. Ehrlich gestanden, ich weiß es nicht. Vielleicht wurde sie nach Wartungs- oder Mäharbeiten versehentlich nicht abgeschlossen?«

»Wen könnten wir dazu befragen?«, gab sich der Hauptkommissar nicht mit einer Vermutung zufrieden.

»Am besten fragen wir meine Sekretärin«, schlug ihr Gesprächspartner vor, bereits im Begriff die Tür zu seinem Vorzimmer zu öffnen.

Horst Jung lenkte den Passat zurück zum Präsidium. Zuerst schwiegen beide. Der junge Kommissar, weil er auf die nervös wirkenden Verkehrsteilnehmer achten musste. Thomas Sprengel, weil er seine Gedanken sortierte. Nach einiger Zeit fragte er schließlich seinen Mitarbeiter: »Und, was hältst du davon?«

Der zuckte zunächst nur mit den Schultern, weil er sich ganz auf den dichten Verkehr konzentrieren musste, der sich über die neu gestaltete, unübersichtlichere Verkehrsführung an der Bahnstadt vorbei Richtung Heidelberger Innenstadt quetschte.

Sein Chef wartete ausnahmsweise geduldig eine Antwort ab.

Erst als Kommissar Jung den Wagen auf den Parkplatz des Präsidiums dirigierte, fiel ihm die ihm gestellte Frage wieder ein. »Wenn ich bedenke, wie viel Geld im Spiel zu sein scheint, ließe sich möglicherweise ein Motiv konstruieren ...«

»Könnte sein«, nickte der Dezernatsleiter nachdenklich, während sie ausstiegen.

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