Wir hatten mal ein Kind

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Da tanzte sie, strahlend und jung, und sie, die Justine, die Silberkuh, ohne Tadel, ohne Fehl vom Scheitel bis zur Sohle, sie war und blieb die einzige, die da wußte, daß ihr Malte manchmal grübelnd saß, was es wohl für eine Bewandtnis damit haben mochte, daß sein Urahn Gunnar durch einen Schimmel ums Leben, er aber ins neue Leben gekommen sei. Nun, darüber konnte man lange grübeln, namentlich wenn man aus einem Nebellande ist, und erst recht, als die Justine im vierten Kindbett aus seinem Leben ging. Man konnte grübeln und grübeln und darüber aus einem jungen unbekümmerten Mann ein tiefsinniger Alter werden, voller Bissigkeit, der im Menschenhass eine Tafel an der Straße aufstellte und voll Weiberverachtung seiner neuen Wirtschafterin über das gemeinsame Schlafen Bescheid sagte.

Diese Hochzeit aber, diese Ehe bringt uns auf den Stinkteich, ja sie ist die eigentliche Ursache zu seiner späteren Anlage.

Es ist viele Jahre später, als ihn wieder ein Malte Gäntschow anlegt, der Sohn des Hochzeiters von dunnemals, der nun nach dem Tode des Vaters den Hof übernommen hat. Er ist der erste lesende Gäntschow – doch wir müssen beim Anfang des Stinkteichs beginnen.

Da hatten sie nun also in ihrer Festesfreude die Wände aus den Zimmern herausgeschlagen, daß das ganze Haus, von der Küche abgesehen, einen großen Raum bildete. Nun, nach der Feier mußten neue Wände gezogen werden, warme Wände, Lehmklutenwände, zu denen man die Steine aus Lehm und Häcksel backt.

Zwischen Garten und Scheune, dicht am Haus, ist eine schöne Lehmstelle, das weiß der Malte von jedem Regenwetter her. Und daraus nehmen sie dann also auch den Lehm, den sie brauchen. Es entsteht ein Loch, oder richtiger gesagt kein Loch, eine mäßige Senkung, deren tiefster Punkt etwa zwei Meter unter dem übrigen Gelände liegt. Hier läuft das Regenwasser von Stall- und Scheunendach zusammen, hierher fährt der Bauer die Grannen und Spelzen von der gedroschenen Gerste, die man nicht verfüttern kann, hier werden die Fuhren mit Quecken, mit altem Kartoffelkraut entladen.

Das ging jahraus und jahrein, bis die Senkung wieder voll war. Es sackte noch etwas nach, weil all der Pflanzenkram verrottete, aber dabei blieb es dann auch.

Gut, nun kam viele Jahre später der zweite Malte Gäntschow, der junge Besitzer, der auch schon lange nicht mehr jung war. Er hatte die Gewohnheit, mit einem kleinen Stahllöffel, der unten an seinem Handstock befestigt war, überall im Boden zu bohren, ja, er kostete sogar die Erde. An dieser wüsten Stelle nun, die übrigens von Kirschenbäumen und Holunder umstanden war, drang sein Stock tief in den Boden. Die Erde lag locker, er betrachtete sie, er prüfte sie, die schönste Entdeckung war gemacht: eine köstliche Humuserde, vergleichlich der besten Komposterde.

Wagen auf Wagen kam, die Erde wurde fortgefahren, um die Mutterkrume eines sandigen Feldes zu vermehren und zu verbessern, schließlich war die Kuhle wieder da.

Auch dieser Malte wußte etwas mit ihr anzufangen. Schon lange hatte es ihn geärgert, daß das Regenwasser vom Hof, von allen Stall-, Scheunen-, Haus- und Schuppendächern in seine Dunggrube lief. Es wusch den Mist aus, es verwässerte ihn, machte ihn fast wertlos, diese kostbare Gabe. Und er tat, was schon sein Vater getan hatte, aber er tat es gründlich und mit Methode: er leitete mit Gräben und Rohren alles Wasser des Hofes in die Senkung. Ein kleiner Teich entstand, der auch den Sommer überdauerte, eine herrliche Gelegenheit für Enten und Gänse, sich den Staub aus den Federn zu waschen, an heißen Tagen ein kühles Fußbad zu nehmen.

Nun ist der Teich also wieder da, aber noch ist er kein Stinkteich, er ist ein hübscher, von den Bäumen und Büschen kühl gehaltener Regenwasserteich – und nun muß wieder erst etwas anderes erzählt werden.

Dieser Malte Gäntschow war ein stiller Mann, er ging immer allein für sich mit seinem Löffelstock und grübelte, auch las er viel in gedruckten Büchern. Er war nicht schlecht zu seinen Leuten, nein gar nicht, ganz im Gegenteil, aber er sprach nicht gerne mit ihnen, er sprach überhaupt nicht gerne, und vor allen Dingen war es ihm ein Greuel, auf ihre Arbeit aufzupassen, zu treiben, zu schelten. Da er nun zu einer Zeit in den Genuss des Hofes kam, da es den Bauern gut ging, so nahm er sich für diese ihm unangenehmen Dinge einen Wirtschafter, einen gewissen Herrn Strehlin.

Strehlin aß wohl an seines Herrn Tische mit und nicht in der Leutestube, aber er war nun beileibe kein solcher Herr, daß er mit dem Stock über die Felder wandeln und nur der Donner seines Herrn sein durfte, Strehlin hatte feste mit anzupacken, dazu war er das Sprachrohr und der Wille seines Herrn. Er wurde darum auch von Malte Gäntschow mit Sie angeredet, der doch all seine andern Leute nur du nannte.

Strehlin war ein kleiner kompakter Mann, stets schwitzend, stets im Trab, stets heillos beschäftigt. Malte Gäntschow beobachtete ihn scharf aus dem Augenwinkel, er sah dem Hetzer zu.

Es war nun nicht mehr weit von Weihnachten, es lag Schnee, da sagte der Bauer eines Morgens bei der Mehlsuppe zu seinem Wirtschafter: Strehlin, wir bekommen bald Tauwetter. Sehen Sie zu, daß die Abzugsgräben zum Teich offen sind.

Jawohl, Herr Gäntschow, sagte der Wirtschafter und schoß von seiner Mehlsuppe auf den Hof. Der Bauer aber nahm seinen Stock und ging aufs Feld.

Es war am nächsten Abend, da traf der Bauer seinen Wirtschafter auf den Stufen vor dem Haus. Die Abzugsgräben sind nicht offen? fragte er.

Wird morgen früh sofort gemacht, sagte der Wirtschafter und schoß in den Pferdestall.

Es wird tauen, sagte am dritten Tage der Bauer mit Nachdruck, und ein aufmerksames Ohr hätte nicht nur Nachdruck, sondern auch ein aufziehendes Gewitter in diesen paar Worten gespürt.

Jawohl, die Abzugsgräben, bestätigte Strehlin. Sofort! Und er stürzte in die Scheune, aus der der Bauer zwei Minuten darauf das Schnupp-Schnupp der Häcksellade hörte. Der Bauer ging wieder ins Haus, auf den Dächern lag friedlich weißer Schnee, ziemlich dick.

Am nächsten Morgen kurz nach sieben scholl über den Hof ein gewaltiger Schrei. Der Bauer stand auf den Stufen vor seinem Haus, es regnete stark, der ganze Hof war eine gurgelnde, strömende Sintflut.

Strehlin!! hatte der Bauer gebrüllt.

Strehlin kam aus dem Schweinestall geschossen, eine Schaufel in der Hand. Er stand unten an den Stufen, sein Herr oben.

Die Abzugsgräben, jawohl, die Abzugsgräben, Herr Gäntschow, sagte er eilig. Ich habe schon die Schaufel in der Hand, jawohl, sofort!

Es sind fünf Stufen, aber der Bauer war mit einem Schritt unten. Die Gäntschows sind nie Schwächlinge gewesen, und mit einem Griff hob der Bauer den Wirtschafter von der Erde. Er trug ihn durch den Regen über den Hof zur Pumpe. Der geschäftige Strehlin aber war so erschrocken, daß er in den Bauernarmen ruhig wie ein Kind im Arme der Mutter lag.

Gäntschow hielt vor der Pumpe an. Mit einem steifen Arm hielt er den Wirtschafter unter die Pumpe, mit dem andern pumpte er ...

Naß, sagte er nur dazu. Nasses Wasser, sagte er nur.

Das nasse Wasser war eiseskalt. Als der Mann bis auf die Haut naß war, nahm ihn der Bauer wieder auf den Arm. Er war immer noch so erschreckt, daß er kein Tönlein von sich gab. Der Bauer ging mit ihm ins Haus, über die Treppe auf den Boden, in die Kammer des Wirtschafters, er stellte ihn auf die Erde, er sagte bloß: Packen!

Der triefende Strehlin wollte etwas sagen.

Packen! wiederholte der Bauer mit Nachdruck und sah nach dem Fenster, als wollte er sehen, ob die Öffnung groß genug sei, einen dicken Mann hindurchzuschießen.

Der warf seine Sachen, am ganzen Leibe zitternd, kunterbunt in den Korb, der Bauer faßte den einen Henkel, der Wirtschafter den andern. Es ging schweigend die Treppe hinunter, schweigend über den Hof, schweigend den Zufahrtsweg entlang, sie standen auf der Suhler Landstraße, unter dem Schild mit den verbetenen Besuchen.

So! sagte der Bauer, drehte sich um, ging wieder auf den Hof, nahm die Schaufel, die an den Treppenstufen hingefallen war, und machte sich daran, nun selbst die Abzugsgräben zu öffnen.

Es war übrigens der 24. Dezember und übrigens strengte auch der Wirtschafter Strehlin noch eine Klage gegen den Bauern an. Er gewann, und außer Prozesskosten, nachgezahltem Gehalt, Kostgeld, Arztkosten hatte der Bauer Malte Gäntschow noch drei Tage Haft wegen Ungebühr vor Gericht abzumachen. Weil er auf den Vorschlag des Richters zu schiedlich-friedlicher Einigung erklärt hatte, die einzige schiedlich-friedliche Einigung sei für ihn, dem Kläger Strehlin vor Gericht fünfundzwanzig mit einem nassen Handtuch auf den Hintern zu versetzen. Denn die Dummheit muß bestraft werden!

Das war also der Strehlin und die Abzugsgräben, die von ihm vernachlässigt wurden und nicht in den Stinkteich liefen, der aber damals noch kein Stinkteich war, es aber nun bald werden sollte. Denn dem Gäntschow, der, wie gesagt, gedruckte Bücher las, in denen dies und jenes aufgeschrieben ist, war ein Buch in die Hände gekommen über die Landwirtschaft in Japan.

Dieses Land nun ist dicht bevölkert. Der Boden muß zwei Ernten im Jahre bringen und die Viehhaltung ist gering. Um nun sein Land bei so übermäßiger Ausnützung genügend zu düngen, ist der Japaner gewaltig auf die menschlichen Auswurfstoffe erpicht. Es gibt Sonderschiffe, die die kostbare Ware von der Stadt aufs Land bringen. An der Straße stellt der Bauer Gefäße auf, errichtet kleine Hütten, von Tafeln gekrönt, die den Wanderer ermahnen, die gute Gottesgabe nicht lässig zu verstreuen, sondern dem Acker wiederzugeben, was der Acker spendete. Das so gewonnene Gut verwahrt der Landmann sorgsam dann in gemauerten Gruben. Fleißig gerührt, macht die Masse eine Gärung durch, um schließlich als geruchloser Dungstoff Mutter Erde neue Kraft zu spenden.

 

Eine verwandte Saite erklingt in Malte Gäntschows Brust. Waren ihm nicht von je die städtischen Entleerungshäuser ein Greuel und ein Unverstand? Dem Boden spenden, was des Bodens ist, da liegt es! Keine langen Quackeleien, keine Umwege! Und doch stehen auch auf seinem Hof – gegen sein Herz! – zwei solcher Tempel. Ihm waren sie von je ein Dorn im Auge, aber die Weiber meinten ja, ohne sie nicht leben zu können.

Da stehen sie, angeklebt an die Scheune, mit der Schmalseite dem Teich benachbart, und wir müssen uns einen Augenblick bei ihnen aufhalten. Recht tempelhaft führen drei breite gemauerte Feldsteinstufen zu ihnen empor, und die Türen sind mit einer scheußlichen braunroten Kalkfarbe getüncht. Das vorspringende Dach ist mit Teerpappe gedeckt.

Ehe wir die Tür öffnen, stellen wir fest, daß sie nicht festgefugt ist. Sie weist zentimeterbreite Spalten auf, aber diese Spalten sind nicht unzweckmäßig, wie wir gleich merken werden.

Wir öffnen die Tür und wir treten ein. Der enge, nicht unbehagliche Raum weist in seiner Ausstattung nichts Ungewöhnliches auf. Leuten mit scharfem Blick und raschem Verstand wird vielleicht die Kette mit dem Porzellangriff auffallen, die rechts vom Sitz niederbaumelt. Wasserspülung in einem Herzhäuschen auf einem Bauernhof? Sie ist eine Reliquie, diese Kette mit Griff, eine Erinnerung an jenen Tag, da der jetzige Bauer Käpten Düllmanns Tochter aus Dreege heiratete. Zu keinem Spülungskasten führte die Kette, nein, eine Platzpatrone war eingeklemmt oben an jenem Tag, und wer selbstvergessen zog, zog ein in alle Hofräume donnerndes Signal, daß die Gesichter gegen die Fensterscheiben fuhren: wer ist nun fertig und wieder reingefallen? Sie fielen alle immer wieder darauf rein, alle Hochzeitsgäste – und die Jungen sorgten ja auch fleißig dafür, daß immer wieder eine neue Patrone oben hineinkam.

Aber, wie schon gesagt, heute hängt die Kette leer, wer daran zieht, hört nur ein leichtes Klicks oben von der Spannfeder. Und es braucht auch keinen Donnernachweis mehr, damit der Bauer weiß, wer diesen verruchten Raum besucht. Der ist gut geweißt, und die unvermeidlichen Kalkspuren an den Kleidern sind wie eine notarielle Beurkundung über den Besuch, die nie dem scharfen Blick des Bauern entgeht.

Der eigentliche Thron mit der ungekünstelt einfachen Öffnung ist wie üblich. Wir möchten die Tür hinter uns schließen, bemerken aber, daß innen keine Befestigungsvorrichtung vorhanden ist. Wir lehnen die Tür an, aber ein Luftzug oder die schief stehenden Angeln öffnen sie wieder. In schon etwas ungeordneter Kleidung treten wir abermals auf die Schwelle, die Tür zu schließen, und stellen fest, daß gradeaus der Pferdeknecht, links die Frau am Fenster uns zusehen.

Wir ziehen die Tür heran. Dabei schwören wir uns zu, sie nicht wieder aus der Hand zu lassen, und wir verstehen nun die Zweckmäßigkeit der Spalten, durch deren eine wir die Fingerspitzen stecken, die wir an der Außenseite der Tür wie ein Verschlusssiegel an- und umlegen. Mit der zweiten, der freigebliebenen Hand nesteln wir an unsern Kleidern. Wir haben Geduld und wir werden das uns gesteckte Ziel schon erreichen.

Mittlerweile durchforschen unsere Augen eifrig durch die Risse den vor uns liegenden Hofraum, um etwaige Usurpatoren auf unsern Thron durch Räuspern, Gebrumm oder ein kurzes Besetzt rechtzeitig zu verjagen. Sind wir aber bei den Hofhunden, der Meute, beliebt, so haben wir noch eine andere Prüfung zu bestehen. Diese beschäftigungslosen Tiere juckt eine unermeßliche Neugierde nach jeder Art unsers Tun und Lassens. Schwänzelnd und freundlich nähern sie sich unserer Behausung und kratzen emsig an der Tür. Rufe wie: Ist schon gut! Geh nur wieder! sind verfehlt, sie nehmen das für eine Aufforderung zum Nähertreten und bohren so lange mit spitzer Schnauze zwischen Tür und Pfosten, bis sie mindestens den Kopf bei dir drin haben. Von außen bietet dieser Anblick viel Erheiterndes, selbst für solche, die binnen jetzt und einer Stunde in der gleichen Lage sein werden.

Mittlerweile sind wir aber nun doch mit unserer Kleidung fertig geworden und lassen uns nieder. Ganz gelingt uns das freilich nicht. Die Verankerung unserer Hand im Türspalt, die Kürze unseres Armes zwingen uns zu einer halb schwebenden Haltung, die sich auf die Dauer in unsern Kniekehlen bemerkbar macht. Zugleich trifft uns ein kühler Luftzug von unten. Eine seltsame Laune – hier an diesem Ort ist schlechterdings an Zufälle nicht zu glauben – läßt die von uns besetzte Öffnung ähnlich wirken wie das Rund eines kräftig ziehenden Fabrikschornsteins. Im Sommer, bei milder Witterung, ist das noch erträglich, ja, vielleicht sogar erfrischend. Wenn aber der Boreas braust, wenn im Winter Schneestürme heulen, dann scheint ein wahrer Eisbärenwind diesen viel zu wenig abgehärteten Körperteil anzufauchen.

Völlig prekär wird aber die Lage erst nach Beendigung der Verrichtung. Der fauchende Luftstrom treibt das Papier, das die Hand versenken möchte, brausend hoch zur Decke des Gemachs. Der Rettung suchende Geist gerät darauf, daß es notwendig wäre, mit der einen Hand das Papier zu versenken, mit der andern durch rasche Deckelauflage den Luftzug zu hemmen. Aber ach! der Unglückliche hat nur zwei Hände, er brauchte deren mindestens vier! Eine für die Tür, eine für die Kleider, eine für den Deckel, eine fürs Papier! Sein gequälter Geist erwägt fieberhaft, welche Position er am ehesten preisgeben kann.

Und so verlassen wir ihn. Viel zu lange haben wir hier schon geweilt, aber jetzt verstehen wir das Kopfschütteln des Besitzers besser, daß trotz all dieser Erschwernisse der Weg über die Feldsteinstufen noch immer dem schönsten Aufenthalt im Korn- oder Kartoffelfeld vorgezogen wird.

Hinter der Scheune liegt der Komposthaufen. Bisher verwandelte sich hier der Inhalt der beiden Häuser in fruchttragende Erde. Nun hat das Buch über Japan eine Änderung herbeigeführt. Allwöchentlich einmal versenkt ein Bursche das Angefallene in den Teich. Nicht genug damit, verendete Schweine, krepierte Hühner, erschlagene Ratten wandern hinein. Der Teich schillert nun in Grün, Braun, Blau, Tiefschwarz. Eigentlich sind die Farben schön, aber wir haben keine Möglichkeit, sie recht zu betrachten, der Gestank des Stinkteichs vertreibt uns, er ist zu infernalisch. Er hüllt die beiden Häuslein ganz ein, ihr Besuch läßt nun endlich (wo es gar nicht mehr so nötig wäre) nach.

Nur der Bauer Gäntschow steht manchmal tiefsinnig am Teichrand. Er findet den Geruch nicht schlecht, aber er findet es nicht richtig, daß es riecht. Nach dem japanischen Buch müßte es längst gären und geruchlos werden. Aber davon sind wir noch weit entfernt. Und der Bauer beschließt, ein Rührwerk in den Stinkteich einzubauen. Mit einem langen Baume werden Burschen auf einer Achse angeordnete Schaufeln umtreiben, die die träge Masse in ständiger Bewegung halten werden. Der Bauer lächelt, da er dies Zukunftsbild sieht. Hilft aber auch das Rührwerk nicht, so wird er den Stinkteich ausmauern, er gibt nicht nach. Schließlich gibt er doch nach, er stirbt nämlich darüber, ehe die Geruchlosigkeit erreicht ist.

Zwischen Stinkteich und Haus liegt der Garten. Er ist das einzige Stück Land auf dem großen Hof, das die Frauen unter ihrem Kommando haben. Der Hof ist hundertachtzig Morgen groß, das sind vierhundertfünfzigtausend Quadratmeter, der Garten ist sechshundert Quadratmeter groß. Diese Zahlen drücken ziemlich richtig die Wichtigkeit vom Bauern und seiner Frau aus.

Die Einteilung des Gartens liegt von alters her fest – wie er aber bestellt wird, das bleibt den einzelnen Frauen überlassen. Zu der Zeit, von der jetzt gesprochen wird, als des Johannes Gäntschow Mutter Bauersfrau auf dem Hofe war, Hedwig Gäntschow, geborene Düllmann, von den Düllmans aus Dreege, da war der Garten, dessen Fläche durch zwei sich kreuzende Mittelwege in vier gleich große Stücke zerlegt war, zu einem Viertel mit Kartoffeln, zum zweiten Viertel mit Pferdebohnen bestellt. Das dritte Viertel ist zwiefach unterteilt, auf seiner einen Hälfte sind Erdbeeren gepflanzt, auf der andern stehen die gelben und roten Ruten der Himbeeren. Für den vierten Teil endlich scheint Arbeitskraft oder Zeit der Frauen nicht gereicht zu haben: er ist Wüste, blätterstilles Geheimnis, der Kern von Eden.

Alle diese vier Teile sind von längst nicht mehr verschnittenem Buchsbaum eingefaßt, dessen buschiges Gestrüpp mit seinen lederartigen, wie gelackten Blättern und seinen zähen Zweigen keinen Schaden leidet, wenn ein Fuß ungeschickt hineintritt oder sich ein Kind zum Spielen auf die Rabatte setzt. Der Buchsbaum steht wieder auf und hält Richtung.

Um den Garten herum aber läuft eine Schwarzdornhecke. Auch sie weiß schon lange nichts mehr von einer Gärtnerschere, sie ist weit über Mannshöhe gewachsen, eine wahre Wand, und ihre Zweige langen tief in den Garten.

In diesem Bauerngarten nun, der nicht mehr als dreißig Meter in der Länge und zwanzig in der Breite mißt, ist auch den Blumen eine Stätte bereitet, ohne damit den Nutzpflanzen ihren Raum zu nehmen. Inmitten des Längswegs liegt kurz vor seinem Ende ein kleines rundes Beet, wieder von Buchs gesäumt. Wie eine Insel liegt es in dem ruhigen Strom des Gartenganges und zwingt ihn, der sich rechts und links an ihm vorüberpresst, zu solcher Verengerung, daß der Schuh des Vorbeigehenden mit dem Buchs kämpft und mit Tautropfen übersät wird.

Der bäuerliche Garten ist sechshundert Quadratmeter groß, das Blumenbeet darin aber zwei – diese Zahlen drücken ziemlich richtig aus, wieviel Raum für die nutzlos schönen Dinge auf einem Bauernhof übrigbleibt.

Dort aber nun, wo der Weg sein Ende erreicht, ist ein Ruheplatz bereitet mit einer kleinen Laube, die ganz von wildem Wein überzogen ist. Eine Bank aus Latten ist aufgestellt, und wer da sitzt, der hat grade vor sich das kleine Blumenbeet. Es wachsen keine Seltenheiten darauf: in der Mitte eine Rose, ein hartes Gewächs, das es nicht übelnimmt, wenn es nicht rechtzeitig gegen Frost verpackt wird. Und rundum, was eben von irgendwann ausdauerte, denn neu wird nichts gepflanzt: Iris, Brennende Liebe, Vergissmeinnicht und die großäugige Schwester des Gänseblümchens, das Tausendschönchen. Es macht nichts, wenn die Hände der Kinder die Blüten abbrechen, sie kommen im nächsten Jahre wieder.

Übrigens sitzt nie einer auf der Bank, sieht nie einer nach den Blumen, dafür ist nie Zeit.

Aber der Platz in dieser kleinen Laube ist noch viel heimlicher, als ihn Wein allein machen könnte. Nach hinten gegen das Feld zu deckt die Schwarzdornhecke, und rechts und links des heranführenden Wegs wächst hier an seinem Ende eine wahre Buschwildnis: Jasmin, Flieder, Hagebutten, Goldregen, Haseln und Schneebeeren. Sie wachsen auf jenem Beetabschnitt der Wüste, die blätterstilles Geheimnis, Kern von Eden genannt wurde. Sie verwehren jeden Einblick und sie sind im Vormarsch: ein kurzes Endchen begleiten sie schon den Buchsbaum des Erdbeerlandes.

Es ist heimlich hier auf dem Platz, der Seewind mag noch so sehr brausen, seine letzten Ausläufer tauchen unter in den Armen des Gebüschs. Geschmeidig geben die Äste nach und das Auge erfreut sich an dem raschen Wechsel von glänzendem und mattem Grün, je nachdem sich ihm die bewegte Ober- oder Unterseite der Fliederblätter darbietet. Nicht einmal der so nahe Giebel des Wohnhauses wird sichtbar, denn ich habe zu sagen vergessen, daß auch Bäume in diesem Gärtchen wachsen: Apfelbäume und Birnbäume und rechter Hand – du siehst sie von hier nicht – eine ganz frühe Sauerkirsche. Weiter stehen auf beiden Seiten der ewig knarrenden Lattentür zwei Pappeln, geköpfte, gestutzte Pappeln (denn ihre Zweige sind gut zum Anheizen des Backofens), die nachgewachsenen schwachen Zweige stehen in einem lächerlichen Missverhältnis zu der Dicke der Stämme.

Auf einer von den beiden Pappeln liegt eine hölzerne Egge. Malte Gäntschow hat sie selbst hinaufgeschafft als eine Aufforderung an die Störche, dies als Nistgrund zu betrachten. Aber die Störche sind dieser Aufforderung nicht gefolgt. Dies erfolglose Hinauftragen einer Egge ist aber auch der einzige Eingriff des Bauern in den Garten. Die Kartoffeln, die Erdbeeren, die Pferdebohnen, sie sind ein Unternehmen seiner Frau Hedwig, geborenen Düllmann. Manchmal kam der Geist über die Frau – im Trubel von Haus-, Milch- und Geflügelwirtschaft erinnerte sie sich ihrer Gewächse, sie wollte ihnen einen Sondervorteil zuschanzen, mit dem Kindertöpfchen schoß sie zu den Erdbeeren, sie düngte eine Pflanze. Oder sie hackte und jätete einen Tag lang eifrig mit ihren Mädchen, es gab angebranntes Essen, mageres Essen, unpünktliches Essen. Dann vergaß sie wieder durch viele Wochen den Garten ganz, aus allem wurde so gut wie nichts.

 

Es war aber auch der reine Unverstand gewesen, unter den Bäumen solche Beete anzulegen, da konnte nie etwas werden. Das kam aber daher, daß die Frau keine richtige Bauerntochter war, wenn sie auch aus Dreege stammte, ihr Vater war ein Kapitän auf kleine Fahrt gewesen.

Nun wollte sie – aus purem Unverstand – mit dem Bauern konkurrieren. Sie hätte Schoten, Stangenbohnen, Schnittlauch, Porree, Kohl bauen sollen, das war ihr Gebiet. Aber nein, der Bauer baute Kartoffeln, so baute sie auch Kartoffeln.

Und ihre Kartoffeln wuchsen und wuchsen, die Blätter der Stauden waren blaugrün, ihre Stengel strotzten vor Saft. Der Sommer verging, der Herbst kam. Die Kartoffeln auf den Feldern waren längst abgewelkt und braun, sie hatten ihren Saft und ihre Kraft in die Knollen geschickt. Die Gartenkartoffeln, die Frauenkartoffeln – ihr Kraut lag triefend vor Nässe, tiefgrün, wie erschlagen auf dem Boden. Und als man sie schließlich aufnahm, was war die Ernte? Kartöffelchen wie Kirschkerne, wie Walnüsse, das war der Ertrag dieser Strotzenden. Sie hatten in ewigem Schatten gestanden, keine Sonne war zu ihnen gedrungen, sie hatten ihre ganze Kraft ans Blattwerk verschwendet, mit dem sie zum Licht hatten vordringen wollen. Es war ihnen nicht gelungen.

Und die Erdbeeren? Ja, auch sie litten unter zu vielem Schatten. Und dann war da diese Hecke, die der Herr nicht mehr beschneiden lassen wollte. Sie wuchs unmäßig wild und hoch, nach allen Seiten, in Himmel und Licht hinein. Aber da man sie so in den Himmel hinein wachsen ließ, hatte sie keine Kraft mehr, unten im Dunkeln, an der Erde Zweige zu treiben, sie wurde über dem Boden dünn und schütter. Und die Enten kamen gewatschelt und wanderten eine nach der andern durch die Heckenlöcher in den Garten. Sie fraßen wohl auch die Schnecken und das Gewürm, aber mit ihren breiten Schwimmfüßen stellten sie sich dabei auf die Erdbeerpflanzen, und da hielten sie glucksend und schwankend ihr Palaver. Manchmal schoß etwas Weibliches aus dem Haus und scheuchte sie, aber sie kamen immer gleich wieder.

Viele Jahre hindurch versuchte es die Frau mit dem Garten immer aufs neue. Aber dann gab sie es auf. Man hat eine glückliche Hand oder man hat keine. Frau Hete hatte keine. Und kein Mensch kümmerte sich nun mehr um diese Wildnis. Grade noch, daß im Herbst abgenommen wurde, was an Birnen und Äpfeln gewachsen war.

Nun wuchs alles, wie es wollte. Die Büsche wurden immer höher und dichter, die Hecke sperrte die Welt von dieser grün triefenden Wildnis ab, und Gras und Moos krochen über den Weg. Die Obstbäume streuten ihren Blütenblätterschnee über die Beete, in denen Vogelmiere, Pede und Nesseln wuchsen, und die Vögel, denen früher die kahle Ordnung des Gartens keinen Schutz gegen umherstreunende Hofkatzen gewährt hatte, kehrten zurück in die wogende Blätterfülle. In der Dornhecke hatten sie ihre Nester und alle Starkästen waren besetzt.

Und die Bienen hatten hier ihr Reich. Sie habe ich bisher vergessen. Ungefähr in der Mitte des Gartens, rechts vom Hauptweg, steht das Bienenhaus, aus Lehmfachwerk erbaut, mit Rohr gedeckt, gut mannshoch. Nach Sonnenaufgang hin ist es offen. Hier stehen in drei Reihen übereinander die gelben, aus gedrehten Strohseilen gefertigten Bienenkörbe. Man sieht sie sonst kaum mehr, sie sind als unwirtschaftlich abgeschafft, denn um die Honigernte zu bekommen, muß man das ganze Volk töten. Doch hier stehen noch die Strohkörbe. Den Gäntschows bedeutet es nichts, daß ihnen die Bienen nichts einbringen. Sie töten kein Volk. Jedem lassen sie über Winter die ganze Honigernte. Und so schwärmen die starken fröhlichen Völker durch den Garten aus und ein, nach den Lindenbäumen, nach den Bohnenfeldern, nach allem, was blüht.

Steht der Sommermittag über dem Garten, scheint das Summen und Brausen anzuschwellen zu einem tönenden Schwingen der Himmelskuppel selbst. Der Wind schmiegt sich ein in die Blätter. All das Grün zittert im Licht. Auf der Erde ist Gold über Gold verschüttet. Die kleinen Vögel schlagen einmal mit den Flügeln und sitzen wieder still. Und der kleine nutzlose Garten schaukelt wie eine goldgrüne Schaukel summend im Lichte. O selig! – Man hat eine glückliche Hand oder man hat keine. Schon Hedwigs Vater, der olle Käpten Düllmann, hatte keine. Die Leute nannten ihn den alten Mann, der immer ut de Tüt kommt. Jemand, der aus der Tüte kommt, kann nicht wissen, was unterdes außerhalb seiner Tüte geschehen ist. Kapitän Düllmann wußte das auch nie. Jedem kann die Frau früh sterben, manchem Käpten ist schon ein Dampfer abgesackt, aber bei Käpten Düllmann wurde das alles erst dadurch recht schlimm, daß er stets aus der Tüte kam, wenn was geschah, ganz fassungslos aus der Tüte kam.

Man erzählte von ihm, daß es damals, als seine Maria Kathrein vor Pillau im dicken Nebel mit einem Schlepper zusammenstieß und sank, daß er damals, als alles Hals über Kopf in die Boote ging, denn die Maria Kathrein sackte in einem gräsigen Tempo weg, daß er also damals in höchster Leibesnot den Schiffsjungen, der grade ins Boot springen wollte, festgehalten und ihm ernst, aber mit Tränen in den Augen, den Auftrag gegeben habe, doch seine lütten leewen Kaktusse noch en beten zu begießen, weil daß sie vorige Woche schon kein Wasser gekriegt hätten.

Sicher ist diese Geschichte – der Schiffsjunge soll dabei auch noch um ein Haar versoffen sein – erstunken und erlogen, denn wäre sie wahr gewesen, so hätte ihm das Seeamt sicher nicht sein Kapitänspatent gelassen. Aber sie paßte wunderschön auf Kapitän Düllmann, wie ein Dutzend Geschichten mehr noch, die von ihm im Schwange waren. Johannes Gäntschow erinnerte sich sein ganzes Leben lang sehr gut an diesen Großvater, der so viel Spannung in die langweiligen täglichen Mahlzeiten brachte. Da saß der dicke blonde Mann mit seinem blassblonden Schnurrbart, der wie ausgelaugt aussah, mit seinen blaßblauen Augen, die ganz ausdruckslos guckten, und aß fleißig seine Bohnensuppe oder was es eben gab. Aber mitten im Essen – Johannes spannte schon – seufzte er plötzlich aus tiefster Brust kummervoll auf, der Löffel blieb auf halbem Wege zum Munde halten. Bewegungslos saß er da, und nun konnte man ihn ansprechen, so viel man wollte, Grotvadding tat keinen Mucks. Dann, nach einer langen Weile, nach drei Minuten, nach fünf Minuten, nach sieben Minuten, in denen er stocksteif vor sich hin gesehen hatte, seufzte er wieder tief auf, sah um sich wie ein Schläfer, der erwacht, entdeckte den Löffel in seiner Hand. Er seufzte noch einmal und fing wieder mit Essen an. Und immer fand sich einer, trotzdem das eigentlich streng verboten war, der den Kapitän Düllmann fragte: Großvater Hanning, was war denn?

Dann seufzte der alte Mann noch einmal und sagte immer noch ganz benommen: Da is eben eine schwarze Wolke über meine Seele gegangen, mein liebes Kind.

Derart war Kapitän Düllmann und derart wohnte er vier oder fünf Jahre auf dem Gäntschow'schen Hofe. Als nämlich die Maria Kathrein abgesackt war, gab Kapitän Düllmann die Seefahrerei auf. Er besaß ein hübsches kleines Häuschen an der Dampferlände in Dreege – aber warum sollte der alte verwitwete Mann in das leere Häuschen ziehen (das so gut zu vermieten war!), wo er drei verheiratete Töchter hatte!

Großvadding hatte nun die Wahl, und daß er die Wahl hatte zwischen allen dreien, das machte neben dem Häuschen die feste, altersbraune Seemannskiste mit Eisenbändern und einem großmächtigen Schloss, wie es heutzutage gar keins mehr gibt. Über den Inhalt dieser Seemannskiste gingen die tollsten Gerüchte, goldene Münzen in Säcken, Brillanten und Edelgestein in Beutelchen, goldene Ringe und Bänder, ja ganze Barren – das war das mindeste, das von dieser Kiste, die nie einer offen gesehen hatte, gefabelt wurde. Und nicht nur von den Kindern, die dem ollen Kapitän Düllmann nachsagten, er habe Störtebekers alten Schatz gefunden und alle Matrosen nach und nach erschlagen, die ihm beim Ausbuddeln geholfen. (Daher die schwarze Wolke.)

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