Wir hatten mal ein Kind

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Als weder in Scheune noch im Stall, in keiner Kammer, auf keinem Boden mehr Platz zu finden war, schüttete er das Korn auf den Hausboden. Und als auch der voll war, ließ er die Fenster zur guten Stube mit Brettern vernageln, durchschlug die Decke und ließ es hinabrinnen ins Zimmer, bis auch das voll war. Dann kam das Esszimmer daran, dann die Leutestube. Unaufhaltsam drang das Korn vor, es vertrieb die Menschen von Raum und Raum, es verjagte die Leute mit seinem Gestank, mit seinem unübersehbaren Gefolge von Käfern, Ratten und Mäusen.

Als er schließlich starb, hatte er nur noch allein mit seinem Weibe in einer kleinen Geschirrkammer gehaust. Dort war er auf prall gefüllten Weizensäcken gestorben, vielleicht glücklich.

Viele Wochen dauerte es, bis der Sohn die Getreideernte von rund vierzig Jahren auf die Felder als Dünger gefahren hatte, denn zu etwas anderm taugte sie nicht mehr. Man sagt, daß der sogenannte Pastorenacker am Gäntschow'schen Hof darum der beste Acker von ganz Fiddichow sei, weil er die vierzig Jahre Frucht des ganzen Hofes empfangen habe. Aber es muß für den Sohn ein seltsames Geschäft gewesen sein, als aus dem Moder und Schimmel der Äcker, aus dem Schrumpel- und Brandkorn die aus der Kinderzeit nur noch halb erinnerten alten Möbel wieder auftauchten, zugeschüttet gewesen, und nun wieder auftauchten. Ein alter Schrank, in dem noch die Staatskleider der Mutter hingen, oder ein Bett mit all seinen Decken, Kissen und Laken, dessen Schläfer schon unter der kühlen Erde schlief, seit plötzlich aus der angebohrten Decke vom Boden her die Springwoge der gelben, rötlichen und grauen Körner wie eine Flut hinabbrauste.

Wie alt das jetzt stehende Haus ist, weiß niemand, der Hausbrief stammt nach dem Grundbuch vom 30. März 1847. Einmal hat Malte Gäntschow, nicht der Großvater des Johannes, sondern sein Vater, der auch Malte hieß, den Besuch eines hohen Herren von der Landwirtschaftskammer gehabt, der in dasiger Gegend irgendwelche Kunstdüngerversuche anfangen wollte. Und beim Mittagessen aus gepökelten Schweinsrippchen, gefüllt mit Mandeln, Rosinen und Backpflaumen, recht fett gebraten, einem rechten Bauernessen – der Herr hat mit sehr hohem Zahn daran gekaut –, hat der hohe Beamte denn auch mit dem Bauern Konversation machen wollen. Er hat gefragt, wie alt denn das Haus wohl sei? Vierhundertsiebenundsechzig Jahre hat Gäntschow gesagt, wie aus der Pistole geschossen. Der Landwirtschaftskammerherr hat etwas hilflos ausgesehen und hat gemeint, so alt hätte er das Haus nie taxiert, so alt sähe es noch gar nicht aus.

Der Bauer hat keine Miene verzogen, sondern ernst gesagt, das mache hier das Klima.

Was?! Daß die Häuser neu aussähen?!

Ja, eben das mache das Klima.

Aber –! Es sei doch allgemein bekannt, daß hier auf der Insel das Klima ziemlich rau sei, mit schrecklichen Stürmen?

Eben! Und die Seeluft mache es auch.

Aber die Seeluft mit ihrem hohen Feuchtigkeitsgehalt sei doch bekannt dafür, daß sie besonders rasch Verwitterungserscheinungen hervorrufe? Der Herr war ganz verzweifelt über so viel Unwissenheit.

Fragte der Bauer dagegen, ob der Herr denn nicht wisse, daß die Seebäder Fabiansruh und Dreege hier auf Fiddichow immer mehr in Aufnahme kämen?

Ja, das wisse er. Aber er verstehe den Zusammenhang nicht –? Und die Städter wüßten doch Bescheid, sagte der Bauer Gäntschow streng. Wenn die gesund und frisch und wieder heil vom Seeklima würden, wie viel mehr da noch die Häuser, die nicht nur sechs Wochen, sondern immer in diesem gesund machenden Seeklima stünden. Nein, vierhundertsiebenundsechzig sei das Alter, und nicht weniger, wenn man es dem Hause auch nicht ansähe.

Der Bauer aß ernst und streng an seinen Schweinerippchen weiter, der Gast aus der Stadt mußte auch weiteressen und sah den Wirt nur manchmal verstohlen, zweifelnd und verzweifelnd von der Seite her an. Hinterher meinte der Herr in der Vorstandsversammlung vom Fiddichower landwirtschaftlichen Verein, der Bauer Gäntschow bleibe doch wohl besser aus dem Dünge-Versuchsring heraus, er habe ein bißchen sehr rückständige Auffassungen, wie, was? Und der Bauer war denn ja auch mit diesem Resultat ganz zufrieden.

Wie alt das Haus nun aber auch sein mag, ob vierhundertsechzig oder ob sechzig Jahre, jedenfalls stammt es noch mit seinen drei Stuben für eine ganze Bauernfamilie aus einer sehr anspruchslosen Zeit, und da die Gäntschows zwar vielerlei Sparren, aber nie den Bausparren gehabt haben, so ist an diesen drei Stuben auch nie etwas geändert worden. Und sie haben eigentlich Lebenszuschnitt und Lebenshaltung der Gäntschows bestimmt, viel stärker als die Zeiten, mochten die auch einmal für den Bauern sehr gut sein.

Nein, das Haus ist kaum je ein Heim, sondern mehr eine Höhle für die Gäntschows gewesen, in die man sich nur bei schlimmstem Wetter verkroch. Es soll zwar ein Gäntschow gewesen sein, der, bei solch schlimmen Wetter an den Ofen gelehnt, mit einem tiefen Aufatmen das Wort gesprochen haben soll: Ist gut, daß die Häuser so hohl sind, daß Menschen drin wohnen können – aber wenn die Häuser nicht so hohl gewesen wären, die Gäntschows hätten sich auch mit der nächsten Erdhöhle oder noch besser mit dem nächsten Krug beholfen. Die Männer heißt das. Was mit den Frauen geworden wäre, bleibt fraglich, aber nie für den Bauern: über ihre Frauen und wie sie im Leben zurecht kamen und was aus ihnen wurde, haben sich die Gäntschows kaum besondere Gedanken gemacht. Sie sind immer ein Männergeschlecht gewesen, für männliche Arbeit, männlichen Streit. Die Frauen führten daneben ein Schattendasein mit Essenkochen, Kinderkriegen, Hühnerbesorgen. Nicht einmal der Kuhstall wurde ihnen hier zugestanden. Kühe waren schon zu kompliziert für solche Wesen.

Als der Großvater Malte Gäntschow längst Witwer und schon in den Siebzigern war, hatte er einmal eine neue Wirtschafterin zu engagieren. Das fünfundzwanzigjährige Mädchen fragte den weißhaarigen Greisen, was es wohl so zu tun hätte auf dem Hof, und er zählte auf: Essenkochen!

Joa, kann ich.

Hühner besorgen.

Joa, Bur, kann ich.

Wäsch' waschen.

Joa, Bur, kann ich auch.

Schwein einschlachten.

Joa, Bur, kann ich.

Schlafen.

Als wie was? Schlafen –?

Dumme Deern, bi mi slopen, versteiht sick!

Joa, wenn't sin möt, Bur ...

Versteiht sick.

Joa, wenn't sin möt, Bur, kann ick.

Nein, keine Probleme, es kam, aber es kam als letztes, hinter den Hühnern und dem Einschlachten.

Dieser alte Malte Gäntschow ist es übrigens auch gewesen, der sich statt einer Kuh eine Frau gekauft hat, und noch dazu auf dem Festlande drüben, woher die Fiddichower sich im allgemeinen nicht ihre Frauen holen. Alle Jahre bis zu ihrem frühen Tode in einem Kindbett hieß die junge Frau statt ihres christlichen Taufnamens Justine die Silberkuh, und das kommt von der Sache mit den Silberkühen, über die die alten Leute der Insel heute noch zu erzählen wissen.

Damals, als der noch ganz junge Malte Gäntschow unverheiratet nach seines Vaters Tode den Hof übernahm, also vor fast hundert Jahren, hatten die Bauern auf Fiddichow noch nicht das schöne schwarzbunte Niederungsvieh mit seinen hohen Milcherträgen wie heute, sondern struppige, rotbraune Kühe, klein wie Ponys. Sie gaben wenig Milch und waren wild und ungebärdig wie die Katzen.

Es verbreitete sich aber über die Halbinsel Fiddichow das Gerücht, daß jetzt drüben auf dem festen Lande eine andere Art Rind aufkäme, schwere, tief gebaute Rinder mit breiter Brust, mit einem Rücken gerade wie ein Eschenstamm, mit kurzen silbrigen Hörnern, gutartig, fromm, hoch in der Milch und mit einer nie vernommenen Sahnenausbeute. Das Gerücht mag mit den Holzfahrern aus den Buchenwäldern Jasmunds über die Kerbe gekommen sein. Oder Fischer, die nach Stralsund mit ihren Böten gefahren waren, mögen es mitgebracht haben. Jedenfalls, keiner, der davon sprach, hatte das Vieh mit eigenen Augen gesehen, konnte sagen, auf welcher Hofstätte, in welchem Dorf es denn nun eigentlich stand.

Aber je weniger Deutliches man wußte, um so mehr wuchsen die Gerüchte, die im Schwange waren, die Bullen wurden zwanzig, ja fünfundzwanzig und dreißig Zentner schwer, wahre Urtiere, die durch die Tür keines Fiddichower Stalls zu bringen gewesen wären. Die Milch der Kühe floß aus einem übergroßen Euter so reichlich, daß man nicht mit einem, nein, mit zwei Melkeimern zu jeder Kuh kommen mußte, und daß ein starkes Mädchen von dem Melken zweier Kühe müde werden sollte. Was aber die Farbe anging, so wurde allmählich aus den Silberhörnern eine ganze Silberhaut. Ohne Flecken, schlohweiß sollten die Tiere sein, mit einem Glanz des Fells, von dem man noch nie vernommen.

Die Bauern saßen in den Schenken und hörten mißtrauisch und grinsend auf dies Gerede, zuerst waren es ja keine Bauern, die davon sprachen, sondern fahrendes Volk: Fuhrleute, Fischer, auch die braunen Zigeuner in ihren grün gestrichenen Wohnwagen. Sie horchten darauf, als erzählte man Erwachsenen Kindermärchen, und sie fragten wohl auch, ob der Erzähler sich nicht verguckt hätte und dem Elefanten aus dem Naturgeschichtsbuch im Traum begegnet wäre. Eine Weile waren die Wörter Elefantenmilch und Elefantenkäse beliebte Wörter für Lügen auf der Insel. Allmählich aber entzündete sich die Phantasie der Leute an diesen Geschichten, es gab in jenen Tagen so viel Neues, das erste Dampfboot hatte fauchend und qualmend im Rieker Hafen gelegen, neuartige Ackergeräte ganz aus Eisen waren aufgetaucht, und man sprach davon, daß die Schafwolle nichts mehr gelte, sondern daß eine andere Wolle, die auf Pflanzen wüchse, alle Schafe ausrotten würde. Die Spötter verstummten allgemach, ein und das andere vorsichtige Wort fiel, man solle doch einmal solch ein Tier mitbringen, über den Preis werde sich schon reden lassen. Oder man solle doch wenigstens genau verkünden, wo solche Tiere zu sehen seien.

 

Natürlich waren es mehr die jungen Leute, die solche Äußerungen taten, die älteren hüteten sich wohl, ihren langsam erworbenen Ruf der Erfahrung und Weisheit durch irgendein Eingehen auf solches Gerede zu gefährden. Unter den jüngeren war es aber nun am meisten der Malte Gäntschow, der sein Herz an diese Geschichten hing. Er bedrängte alle, die etwas wissen konnten, mit Fragen, was die Silberkühe für Klauen hätten und ob sie wohl auch das stark mit Schilf versetzte Heu der hiesigen Wiesen fressen möchten. Die vagen Auskünfte befriedigten ihn immer weniger, er gab den Fahrenden fleißig Aufträge mit. Aber übers Jahr kamen nicht wieder dieselben Zigeuner, sondern ein anderer Trupp. Die Holzfahrer wollten wohl Botschaft bis Bergen oder gar bis Stralsund gesandt haben, aber es kam nie eine Antwort auf diese Botschaft, sondern nur ein anderes Gerücht. Und was die Fischer anging, so hatten sie mit ihrem Heringsverkauf zu viel zu tun, um auf die Suche nach Silberkühen zu gehen.

Malte Gäntschow war auch darin ein echter Gäntschow, daß er von einem Gedanken, von einem Wunsch, der ihn einmal angefaßt hatte, nicht wieder los konnte: er dachte Tag und Nacht an die Silberkühe. Eines Abends im Frühjahr – es wurden grade die ersten Kartoffeln gesteckt – sagte er im Kirchdorfer Schwedischen Hof: so, nun habe er es satt, nun gehe er selbst auf die Suche nach den Silberkühen. Und er komme nicht eher zurück, er hätte denn eine.

In der Nacht noch weckte er Mutter und Vorknecht, übergab ihnen auf unbestimmte Zeit den Hof und alles, was sein war, und saß morgens um fünf, gut mit Proviant und Geld versehen und mit einer festen Düffeljacke angetan, in seinem Boot und segelte mit dem schwachen Sonnenaufgangs-Wind auf den Rieker Bodden hinaus.

Malte Gäntschow hatte nur ein kleines Schwertboot, aber der Rieker Bodden ist weder sehr breit noch sehr tief. Malte mußte auf engstem Fahrwasser ständig kreuzen, und so dauerte es viele Stunden, bis die Rieker Feldsteinkirche am Horizont versank. Vom Wasser schlug ein kühler Hauch hoch, gegen Mittag frischte der Gegenwind auf, der Rassower Strom, in dem er nun segelte, war noch schmäler.

Immer mehr trieb er zum öden, verlassenen, urwaldhaften Bug hinüber, hinter dem Röhricht standen einsame Fichten – der Bauer war froh, als er in der Dämmerung das Fiddichower Posthaus in Sicht bekam, und er hatte alle Mühe, verklammt wie er war, das Boot ordentlich an Land zu bringen und zu vertäuen. Es knackte und krachte in seinem Rücken, als er sich aufrichtete zum Gehen, und die rechte Hand, die den ganzen Tag die Segelleine nicht hatte loslassen können, war gar nicht wieder grade zu bekommen.

Aber kaum saß er im Posthaus bei den alten Gierkes, die froh waren, in ihrer Einsamkeit endlich einmal einen Menschen zu sehen, so fing er an, sich vorsichtig nach den Silberkühen zu erkundigen. Gradezu mochte er ja nicht sagen, daß er auf solcher Suche war, so berichtete er nur kurz, er fahre auf Stralsund zu einem Vetter, fragte dann nach Neuem und bekam wirklich mancherlei Nachrichten von der Insel Hiddensöe, wo die Winterstürme auf dem flachen Neuendorfer Ende, namentlich auf dem Gellen, schweren Schaden angerichtet hatten, ja, die ganze Insel sollte beinahe in zwei Stücke zerbrochen sein.

Aber nichts von den Silberkühen – und als er nun selbst die Sprache auf das brachte, was man bei ihnen auf Fiddichow erzählte, da nickte die uralte Großmutter auf der Ofenbank und erzählte mit ihrer hellen Altweiberstimme: ja, sie wisse das wohl, sie gedächte dessen. Ihre Urahne schon habe ihr von den schlohweißen Silberkühen erzählt, früh, urfrüh, in ihren kleinsten Kindertagen. Und es seien die heiligen Kühe Friggas, der Gattin Odins, der Göttin der Fruchtbarkeit und des Hausstandes. Kein Mensch dürfe sie besitzen, wer sie aber einmal erschaue, dem gedeihe alles ausnehmend wohl, ihm wie seinen Kindern und Kindeskindern.

Malte Gäntschow ging mit einem schweren Zorn hernieder auf seine Strohschütte, er war einen Tag gesegelt, um Sicheres zu erfahren, und er erfuhr alte Sagen von einem uralten Weib. Das war schlechte Vorbedeutung, und richtig, als er am nächsten Morgen in seinem Boot saß, war der Wind noch widriger als am Tage zuvor. Zudem ist es da eine besonders böse Ecke: ist man am Buger Haken vorbei, so kommt der Wind mit aller Gewalt von der hohen See über die Insel Hiddensöe fort und versucht die Boote nach Fährort zu treiben.

Er mühte sich viele Stunden, zwischen Steinort und Hiddensöer Fährinsel durchzuschlüpfen. Aber es schien ganz umsonst, bis sich schließlich doch gegen Abend der Wind günstiger drehte und ihn durch die Enge in den Schaproder Bodden schoß. Hier, zum Schluss seines zweiten Fahrtages, fuhr er dahin mit Rückenwind, ohne die Segelleine anzurühren. Die Wellen klatschten Kumm! Kumm! an sein Boot, und erst in tiefer, von Sternen kaum durchleuchteter Dunkelheit ließ er sein Fahrzeug auf einem flachen Ufer auflaufen. Er meinte, er sei nun wieder auf der Insel Rügen gelandet, in Wahrheit aber hatte er auf der kleinen Schaproder Oie angelegt, die damals noch nicht mit dem Dorf Schaprode durch eine Brücke verbunden war, sondern ein ausnehmend düsterer, dick mit kurzem Kiefernwald und sparrigem Weidengestrüpp bestandener Erdenfleck war, auf dem zwei seltsame Menschen lebten.

Es waren dies aber zwei alte Fräulein, Elfriede und Frieda Nipperwiese, Töchter eines zugrundegewirtschafteten und am Dauersuff dann verstorbenen Gutsbesitzers von der Halbinsel Mönchsgut. Von all seinem schönen ehemaligen Besitz hatte der Vater den beiden armen Unverheirateten nichts hinterlassen als dieses häßliche unbrauchbare Inselchen, das er einmal beim Trinken oder vielmehr im Betrunkensein einem Schaproder Bauern abgegaunert hatte. Jahre hindurch hatten die beiden alten verängstigten Mädchen den Niedergang der geliebten Heimat erlebt: die zerfetzten Strohdächer, die Wände, aus denen Fach um Fach fiel, die abgehauenen Prachtbäume, verkommende Äcker, schwindendes Vieh, Schandmähren statt Treckpferden, Wagen ohne Räder, leere Speisekammern, außer Betrieb gesetzte Butterfässer.

Statt Freundschaft und Nachbarschaft waren schmutzige Händler mit Schafpelzen ins Haus gekommen, die laut und zornig, Papiere in der Hand, redeten und selten ohne ein Stück ihrer Habe fortgingen. Die Diensten waren in alle Welt gelaufen, da sie sich nicht mehr satt essen konnten, und statt ihrer waren Gerichtsboten mit Amtsmützen aufgetaucht, die ständig Stempelpapiere zur Unterschrift vorlegten und das Hoftor mit Versteigerungsankündigungen vollpflasterten. Was Wunder, daß sich die beiden alten Fräulein, von ihrem immer betrunkenen Vater, an dem sie mit unwandelbarer Liebe hingen, stets belogen, nicht mehr in dieser Welt zurechtfanden, daß sie glaubten, jeder Mensch sei ihr Feind, und daß sie mit einem wahren Aufatmen nach dem Tode ihres Vaters auf die kleine einsame Schaproder Oie flüchteten, auf die nie ein Mensch kam.

Dort stand ein alter Viehstall mit einer Knechtekammer daneben, hier richteten sie sich mit den Resten ihrer Habe, einer halb verhungerten Kuh und ein bißchen Gartengerät ein. Sie brachen inmitten der Kiefernkuscheln ein Stück Roggenacker für sich um, dessen Körner sie in ihrer Kaffeemühle zu einem groben Mehl mahlten, sie führten am Strick die alte Kuh ins schilfige Ufergras, und sie waren in ihrer Einsamkeit so glücklich, wie es Menschen grade nach schweren Stürmen sein können.

Aber es war, als gönne ihnen das Schicksal nicht einmal diese dürftige Einsamkeit. In Stralsund, im Kloster zur heiligen Anna, dem fast ein Viertel der Insel Rügen gehört, besann sich irgendein Schreiberling darauf, daß jenem Schaproder Bauern die Oie gar nicht gehört, sondern daß er nur ein Erbpachtrecht auf sie besessen habe. Da wurde sich hingesetzt, da wurde den beiden alten Damen ein Brief geschrieben, und als auf den Brief keine Antwort kam, verkündete man ihnen den Streit. Post- und Gerichtsboten wurden nun auf die kleine Insel mit ihren Schreiben und Zustellungen gesandt. Die beiden alten Mädchen glaubten indes, der Feindteufel lasse ihnen auch hier in der letzten Dürftigkeit, auf dem wüstesten Land, auf dem noch keiner hatte sitzen mögen, keine Ruhe, und sie gerieten zuerst in eine große Verzweiflung mit endlosen Tränen und viel Schluchzen. Später aber besannen sie sich auf ihren Kaufvertrag, holten ihn aus ihrer Truhe, besahen ihn, prüften ihn, lasen ihn, und kamen zu dem Ergebnis, daß es nur äußerste Bosheit ihrer Widersacher sein könne, ihnen ihr kleines restliches Erbgut nicht zu gönnen.

An diesem Gedanken erstarkte der Mut der Schwachen, mit sich und ihrem Herrgott waren sie einig, und so erinnerten sie sich an einen urweltlichen Schießprügel ihres Vaters, der so verrostet und verkommen war, daß sich kein Käufer dafür hatte finden lassen wollen. Mit dieser verstummten und ungeladen bleibenden Donnerbüchse bewaffneten sie sich abwechselnd und hielten scharfe Wacht hinter den Kiefern auf der Inselseite gegenüber dem Dorf Schaprode.

Der erste, der den kriegerischen Geist der Inselbewohner zu spüren bekam, war ein junger, nicht sehr heller Häuslerbengel aus Schaprode, den der Briefträger, dem längst das Gezeter der Inselbewohnerinnen über geworden war, mit der Besorgung eines Briefes betraut hatte. Kaum war sein Boot im seichten Inselwasser aufgelaufen, so sah er zu seinem Schrecken hinter einem Kiefernbusch ein altes wüstes Weib mit wilden weißen Haarzotteln im spitzen Gesicht hervorstürzen, eine Büchse schwingend und dabei wilde Schreie wie ein Raubvogel ausstoßend. Ehe er sich noch besonnen hatte, fühlte er den Flintenlauf auf der Brust, und eine fast geisterhafte Stimme befahl ihm, sich von hinnen zu machen und nie wieder diesen Strand zu betreten.

Da der Bengel nicht eben zu den Mutigsten gehörte, so stieß er sein Boot mit solcher Gewalt vom Ufer ab, daß er beinahe mit einem einzigen Stoß das bergende heimische Schaproder Ufer erreichte. Um aber seine Niederlage vor einem alten Weibe dem Dorfgespött zu verheimlichen, machte er aus seiner Flucht ohne Gegenwehr einen wilden Kampf, bei dem ihm die Schrote nur so um die Ohren gepfiffen seien.

In Schaprode kam man zu der Ansicht, daß die alten Hühner da drüben vollkommen verdreht geworden seien, und sandte den unbestellbaren Brief mit einem kurzen, aber inhaltvollen Bericht des Gemeindevorstehers an das Kloster zur heiligen Anna in Stralsund zurück.

Aber ehe hierauf noch etwas erfolgte, hatte der Gerichtsbote Eleazar Zörrgiebel eine Zustellung bei den beiden Fräulein Nipperwiese anzubringen. Ganz ungewarnt nahte sich dieser gute, etwas behäbige Mann, mit seinem Boot von Udars kommend, dem Gestade der Oie, wo er auch noch das Unglück hatte, grade zur Ablösung der Wache zurecht zu kommen. Er sah sich also nicht einer, sondern beiden Nipperwiese gegenüber, dazu einem drohenden Schießeisen und einer an einem Strick wild daher stürmenden Kuh. Denn die beiden Mädchen hatten sofort das verhaßte Mützenrot erspäht und waren, ohne alle theoretischen Kenntnisse in der Strategie, zum Überrumpelungsangriff übergegangen.

Ehe der gute Mann noch wußte, was eigentlich los war, hatte er drei oder vier kräftige Steine in Boot, Brust und Weiche, eine wild brüllende Kuh hatte versucht, mit ihren Vorderbeinen zu ihm in den Kahn zu klettern, was einem Schiffbruch mit schmählichem Ersaufen gleich gekommen wäre, und eine nicht weniger wild schreiende zweite Alte hatte ihm den Schießprügel vor den Brustkasten gestoßen, daß er von der Bank auf den Bootsboden sank.

Als er ächzend, an vielen Stellen blutrünstig und blau, wieder zu sich gekommen war, trieb er weit draußen auf dem Schaproder Bodden, und die schreckliche Oie lag nur noch fahl zusammengekrochen wie ein Untier am helleren Horizont.

Dieser Bericht wurde zu Stralsund mündlich erstattet, und mit so viel Zorn und ehrlicher Entrüstung, wie sie ein sonst nicht mehr leicht zu kränkendes Gerichtsbotenherz nur aufzubringen vermag. Die Folge war, daß schon nach einer Woche ein schwerbewaffneter Gendarm, von einem Hund groß wie ein Bullenkalb begleitet, nach der Schaproder Oie abgeordnet wurde.

Dort war die kriegerische Stimmung infolge der gewonnenen Schlachten bis zur Siedehitze gestiegen, und die beiden alten Fräuleins hatten beschlossen, fürder nicht einen Menschen mehr, er möge wollen, was er wolle, den heiligen Strand ihres Eigentums betreten zu lassen. Leider mußte aber trotzdem der Wachtdienst für eine Weile unterbrochen werden, denn Fräulein Elfriede, die beim Abstoßen des feindlichen Bootes unversehens in tiefes Wasser geraten war, wurde von einem besonders schweren und schmerzhaften Anfall ihres Rheumatismus heimgesucht. Einige Linderung gewährten ihr – neben der Freude über den errungenen Sieg – warme Moorschlammwickel, aufgelegt durch ihre Schwester Frieda.

 

Als der Missgeschicke bösestes mußte grade in das Auflegen eines solchen heißen Moorwickels der Landgendarm mit seinem Hund hineingeraten. Er war in den Stall eingetreten, ehe sie es sich versahen. Die Kranke stieß einen wilden Schrei aus, halb aus Schmerz, denn sie hatte sich ungeachtet ihres Leidens aus dem Bett auf den Eindringling stürzen wollen, viertel aus Scham, da sie wegen des Wickels entblößt war, viertel aus Kampfeslust. Die andere Schwester war wild auf die Büchse, Kranke und Wickel vergessend, zugeschossen, der Landgendarm sagte höflich guten Tag, der Bullenkalbhund bellte wild die Kuh an, die ihm das Horn zuneigte, der Stall war von einem Wirrwarr von Geräuschen erfüllt. Da hatte schon der Mann das gefährliche Schießgewehr dem schwachen weiblichen Arm entwunden, hatte aber auch auf den ersten Blick gesehen, was von den Fabelmärchen von spritzenden Schroten und knallenden Schüssen zu halten war. Aus dieser Büchse war seit einem Vierteljahrhundert kein Schuss abgegeben worden, und sollte so etwas je versucht werden, würde der Schütze jedenfalls nicht mit dem Leben davonkommen.

Und während der besonnene Mann den Hund zur Ruhe brachte, die Kuh aus dem Hause trieb, dabei sein Gesicht gegen die Nägelangriffe des alten Fräuleins verteidigte, fand er sogar noch die Zeit, eine Art Vernehmung anzustellen, bei der ihm die Größe der Verwirrung, der Armut und des Jammers, die in diesem alten Kuhstall untergekrochen waren, so recht klar wurde.

Der Landgendarm muß nicht nur ein sehr besonnener, sondern auch ein sehr rechtlicher Mann gewesen sein, mit einem Gefühl für die Kreatur, denn auf seine Schilderung hin wurde der unsinnige Prozeß um ein wüstes Stück Land abgebrochen (die verdrehten Olschen werden ja doch bald sterben, und ohne Erben sind sie auch), ja, die Bevölkerung der Umgegend wurde ausdrücklich verwarnt, den Boden der Schaproder Oie zu betreten. Diese weisen Entschließungen hatten nur den einen Fehler: sie wurden den am tiefsten Betroffenen nicht mitgeteilt.

Nach der Gesundung von Elfriede setzten die beiden ihren aufreibenden Wachtdienst fort, wobei sie jetzt statt des konfiszierten Schießgewehrs die viel gefährlichere Mistforke mit sich führten. Und wenn sich auch Jahr für Jahr kein Feind mehr sehen ließ, das durch so viel bittere Erfahrungen entstandene Mißtrauen ließ sich nicht wieder einschläfern. Diese Stille war das Allerverdächtigste und verbarg nur schlimmste Pläne einer feindlichen Welt.

So beschaffen waren nun die Bewohner des Strandes, auf den Malte Gäntschow ahnungslos in sinkender Nacht sein Boot auflaufen ließ. Der junge Bauer tastete sich im Sternenlicht mühsam etwas entlang, von dem seine Füße glaubten, es sei ein Pfad. Die Zweige der niedrigen Kiefern schlugen gegen ihn und wuschen Gesicht und Düffeljacke mit reichlichem Tau. Als er noch auf See in Nähe des Strandes gewesen war, hatte er ein spärliches rotes Licht in der Schwärze zu sehen gemeint. Jetzt aber war es fort, nichts war um ihn als tiefste Nacht. Die Sterne flimmerten, es würde eine kalte Nacht geben, an Draußen-Schlafen war nicht zu denken.

Verbissen drängte er sich durch das widerspenstige Buschholz, er meinte, es sei hier wie auf Fiddichow, wo fast die ganze Küste von einem schmalen Streif Kiefern gesäumt ist, der das Verwehen des Dünensandes auf die Felder hindern soll. Nach einer Weile hatte er aber jeden Pfad und jede Richtung verloren, er stand keuchend da, dann warf er sich wieder mit aller Wucht ins Gehölz. Die dürren Äste brachen krachend ab, um ihn wurden die Waldgeräusche laut: ein auffahrender Vogel, irgendein Huschen am Boden. Als er einen Augenblick still stand, hörte er deutlich das warnende Klopfsignal eines Karnickelrammlers in seinem Bau. Dann meinte er, es vor sich etwas heller werden zu sehen. Mit einem Schwung warf er sich durch die letzten Stangen – und stand wieder an der See, die leise plätschernd auflief.

Er fluchte laut. Dann beschloss er, am Strand entlang bis zu seinem Boot zu gehen, machte drei Schritte und blieb wieder stehen: in welcher Richtung sollte er denn nun eigentlich das Boot suchen? Sein Ortssinn wollte ihm einreden, das Boot müsse in seinem Rücken liegen, aber das war ja unmöglich, konnte vorn und hinten die See sein? Ja, vielleicht, wenn er auf einer schmalen Landzunge war.

Es wurde immer frischer, er schauderte, durchtaut wie er war. Dann ging er einfach in einer Richtung los, jedes Gehen war besser als dies tatenlose Umherstehen. Aber wenn er sich auch auf diesem Wege beschimpfte, das Licht, auf das er von der See hingehalten, nicht besser ausgemacht zu haben, auf den Gedanken, nun etwa die ganze Fahrt nach den magischen Silberkühen zu verfluchen, kam er nicht. Diese Fahrt war gut, wenn auch der Fahrer schlecht war.

Plötzlich fuhr er zusammen. Dort waren Lichter, nicht eins, sondern sieben, acht, neun, ein ganzes Dorf lag dort unter dem hohen Nachthimmel, friedlich geduckt, flimmernd mit Lichtern aus warmen Stuben – aber die See war dazwischen. Nicht viel, kaum mehr als ein breiter Flussarm, im Sommer ohne weiteres zu durchschwimmen. Aber er mußte ja am Rande einer Bucht stehen, ging er in derselben Richtung fort, so kam er um die Bucht herum und in das Dorf.

Wieder ging er los, hundert Schritt weit schien es, als biege die Küste um, näher schimmerten die Lichter, dann kam ein Knick, Gebüsch, Wald schoben sich dazwischen, die Lichter waren fort.

Er kehrte wieder um. Da lag es von neuem, das Dorf mit seinen Lichtern, wütend starrte er hinüber, einen dicken Ast, der ihm die Mütze vom Kopf fegen wollte, riß er ab und schlug damit wild auf die Ufersteine los. Dann pumpte er seinen Brustkasten voll Luft, legte die Hände an den Mund und schrie: Hol über!

Er schrie drei Minuten, er schrie fünf Minuten, er schrie unermüdlich Hol über, die Lichter blinzelten. Dann ging eines am linken Dorfende aus, dann eines in der Mitte. Er stand in atemloser Wut.

Plötzlich war es ihm, als riefe etwas hinter ihm, nicht sehr weit ab: Halloh! Er fuhr herum, lauschte. Es war richtig, eine helle hohe geisterhafte Stimme rief nicht sehr entfernt: Halloh!

Mit einem Ruck warf er sich wieder ins stachlige Geäst, die Stimme rief unermüdlich weiter: Halloh! Halloh! Brechend, tretend, selber rufend, kam er ihr näher, wieder wurde es heller, die Geisterstimme rief noch einmal Halloh! ... er brach durch die letzten Büsche, wieder stand er am Wasser, die Stimme war verstummt. Er rief, er rief, alles blieb stumm. Aber er war doch sicher, der, der eben noch gerufen hatte, mußte ja in seiner allernächsten Nähe sein, er fragte halblaut: Ist hier jemand?

Nichts, nichts. Und plötzlich etwas wie ein leises Rascheln.

Ja?! schrie er schreckhaft.

Ein ruhiger Mann stand da, mit erhobenem Arm. Er ging zögernd auf ihn zu, er fragte: Haben Sie gerufen? Der Mann antwortete nicht, er ging noch einen Schritt, noch einen, fragte: Ja?

Der Mann stand drohend und schweigend da, nun berührte er seinen Rock – nein, es war eine Weide.

In diesem Augenblick fing es wieder an zu rufen, nicht übermäßig entfernt, aber doch immer so weit, daß es unmöglich der Rufer von eben sein konnte. Er stand da, er fühlte ein Schaudern, Kindergeschichten, Spukgeschichten fuhren durch seinen Kopf. Er erinnerte sich an eine Erzählung seines Vaters. Der war durch das Kirchdorf gegangen, die alte Behn hatte mit dem Reiserbesen vor ihrer Katentür gestanden. Plötzlich war sie vor den Augen seines Vaters fort gewesen, und ein Kolkrabe war schwarz und krächzend von der Schwelle hoch geflogen.

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