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Soll und Haben

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Anton beugte sich über sie und sah in leidenschaftlicher Bewegung auf die schöne Gestalt, die so vertrauend aus ihren Tränen zu ihm aufsah. »Ich will Ihnen nützlich sein, wo ich kann«, sprach er in mächtiger Aufwallung seines Gefühls, »ich will Ihnen nahe sein, sooft Sie meiner bedürfen. Sie haben eine zu gute Meinung von meinen Kenntnissen und meiner Kraft, ich kann Ihnen weniger helfen, als Sie glauben. Was ich aber vermag, das werde ich tun, in jeder Tätigkeit und auf allen Wegen.«

Mit einem warmen Druck lösten sich ihre Hände, ein Vertrag war geschlossen.

Die Baronin kam in das Zimmer zurück. »Unser Anwalt war heut morgen bei mir. Jetzt bitte ich Sie um Ihren Rat. Wie der Anwalt mir mitteilt, ist keine Aussicht, das Familiengut dem Freiherrn zu erhalten.«

»In dieser Zeit, wo das Geld teuer und schwer zu haben ist, keine«, erwiderte Anton.

»Und auch Sie sind der Meinung, daß wir alles anwenden müssen, um die polnische Herrschaft uns zu retten?«

»Ja«, versetzte Anton.

»Dazu wird Geld nötig sein. Vielleicht vermag ich durch meine Verwandten Ihnen eine wenn auch geringe Summe zugänglich zu machen; sie soll mit diesem« – sie wies auf den Koffer – »ausreichen, die Kosten der ersten Einrichtung zu decken. Ich wünsche den Schmuck nicht hier zu verkaufen, und für die Übernahme der Geldsumme, welche ich erhoffen darf, wird eine Reise nach der Residenz unvermeidlich werden. Der Anwalt des Freiherrn hat mit großer Achtung von Ihrer Umsicht gesprochen. Es ist zugleich sein Wunsch, der mich bestimmt, Ihnen ein Anerbieten zu machen. Wollen Sie uns für die nächsten Jahre, wenigstens so lange, bis die größten Schwierigkeiten überwunden sind, Ihre ganze Zeit widmen? Ich habe mit meinen Kindern beraten, beide sehen, wie ich, in Ihrer Tätigkeit die einzige Rettung. Auch der Freiherr ist damit einverstanden. Es fragt sich, ob Ihre Verhältnisse Ihnen erlauben, uns Unglücklichen Ihren dauernden Beistand zu gönnen. Unter welchen Bedingungen Sie dies tun wollen, wir werden Ihnen dankbar sein. Wenn Sie irgendeine Form finden, in der wir die großen Verpflichtungen, die wir gegen Sie haben, auch in Ihrer äußern Stellung ausdrücken können, so sagen Sie mir das.«

Anton stand erstarrt. Was die Baronin von ihm forderte, war Trennung von dem Geschäft und Trennung von seinem Chef und Sabine. War ihm derselbe Gedanke schon früher gekommen, wenn er vor Lenore stand oder wenn er sich über die Briefe des Freiherrn beugte? – Jetzt, wo das Wort ausgesprochen wurde, erschütterte es ihn. Er sah auf Lenore, welche hinter der Mutter ihre Hände bittend zusammenlegte. »Ich stehe in einem Verhältnis«, erwiderte er endlich, »welches ich nicht ohne Einwilligung anderer lösen darf, ich bin auf diesen Antrag nicht vorbereitet und bitte Sie, gnädige Frau mir Zeit zur Überlegung zu lassen. Es ist ein Schritt, der über meine Zukunft entscheidet.«

»Ich dränge nicht«, sagte die Baronin, »ich bitte nur. Wie Ihre Entscheidung auch ausfalle, unser warmer Dank wird Ihnen bleiben; wenn Sie außerstande sind, unsere schwache Kraft zu stützen, so fürchte ich, finden wir niemanden. Denken Sie auch daran«, bat sie flehend.

Mit glühenden Wangen eilte Anton über die Straße. Der bittende Blick der Edelfrau, die gerungenen Hände Lenorens winkten ihm hinaus aus dem dunkeln Kontor in größere Freiheit, in eine ungewöhnliche Zukunft, aus deren Dunkel einzelne Bilder leuchtend vor ihm aufblitzten. Mit großem Sinn war eine Forderung an ihn gestellt, und es zog ihn mächtig, ihr gerecht zu werden. Ein unermüdlicher, aufopfernder Helfer war den Frauen nötig, um sie vor dem letzten Unheil zu bewahren. Und er tat ein gutes Werk, wenn er dem Drange folgte, er erfüllte seine Pflicht.

So trat er in das Haus der Handlung. Ach, was hier sein Auge ansah, streckte eine Hand aus, ihn festzuhalten. Er sah in dämmrige Warengewölbe, in die treuen Gesichter der Hausknechte, auf die Ketten der großen Waage und über den Farbentopf des ehrlichen Pix und empfand wieder, daß er hierher gehörte. Der Hund Sabinens stupfte seine Hand mit feuchter Schnauze und lief hinter ihm her bis an sein Zimmer. Sein und Finks Zimmer! Hier hatte das kindliche Herz des verwaisten Knaben einen Freund gefunden, gute Kameraden, eine Heimat, ein festes, ehrenhaftes Ziel für sein Leben. Und er sah durch das Fenster hinab in den Hof, auf die Winkel und Vorsprünge des mächtigen Hauses, auf das Gitterfenster, hinter welchem Herr Liebold am Hauptbuch saß, in das Kontor, wo sein Pult stand, und auf die kleine Stube, wo der arbeitete, der ihm jetzt zürnte und der jahrelang sein väterlicher Freund gewesen war. Da fiel sein Blick auch auf das Fenster von Sabinens Vorratsstube; oft hatte sein Auge dort einen wandernden Lichtschimmer gesucht, der das ganze große Haus erhellte und auch Behagen in sein Zimmer sandte. Und schnell aufgerichtet sprach er zu sich selbst: »Sie soll entscheiden.«

Sabine erhob sich überrascht, als Anton mit schnellem Schritt vor sie trat. »Es treibt mich unwiderstehlich zu Ihnen«, rief er. »Ich soll über meine Zukunft einen Entschluß fassen, und ich fühle mich unsicher und traue meinem Urteil nicht mehr. Sie sind mir immer eine gütige Freundin gewesen, vom ersten Tage meines Eintritts. Ich bin gewöhnt, auf Sie zu sehen und an Sie zu denken bei allem, was in diesem Hause mein Herz erregt. Lassen Sie mich auch heut aus Ihrem Munde hören, was Sie für gut halten. Mir ist von Frau von Rothsattel der Antrag gemacht worden, als Bevollmächtigter des Freiherrn in ein festes Verhältnis zu ihm zu treten. Soll ich annehmen oder soll ich hierbleiben? Ich weiß es nicht; sagen Sie mir, was recht ist für mich und für andere.«

»Nicht ich«, sagte Sabine zurücktretend, und ihre Wange erblich. »Ich darf nicht wagen, darüber zu entscheiden. – Und Sie selbst wollen das nicht, Wohlfart, denn Sie haben bereits entschieden.«

Anton sah vor sich hin.

»Sie haben daran gedacht, dies Haus zu verlassen, und aus dem Gedanken ist ein Wunsch geworden. Und ich soll Ihnen recht geben und Ihren Entschluß loben. Das wollen Sie von mir«, fuhr sie bitter fort. – »Das aber kann ich nicht, Wohlfart, denn ich traure, daß Sie von uns gehen.«

Sie wandte ihm den Rücken zu und stützte sich auf einen Stuhl.

»O zürnen Sie mir nicht, Fräulein Sabine«, flehte Anton, »das kann ich nicht ertragen. Ich habe in den letzten Wochen viel gelitten. Herr Schröter hat mir plötzlich sein Wohlwollen entzogen, das ich lange für den größten Schatz meines Lebens hielt. Ich habe seine Kälte nicht verschuldet. Nicht unrecht war, was ich in der letzten Zeit getan habe, und mit seinem Vorwissen habe ich es getan. Ich war wohl verwöhnt durch seine Güte, ich habe deshalb auch seinen Unwillen um so tiefer empfunden. Und wenn ich eine Beruhigung hatte, so war es der Gedanke, daß Sie mich nicht verurteilen. Seien Sie jetzt nicht kalt gegen mich, es würde mich elend machen für immer. Ich habe keine Seele auf Erden, die ich um Liebe bitten darf und um Verständnis für meine Zweifel. Hätte ich eine Schwester, heut würde ich ihr Herz suchen. Sie wissen nicht, was mir, dem Einsamen, Ihr Gruß, Ihr fröhlicher Handschlag bis heut gewesen ist. Wenden Sie sich nicht kalt von mir, Fräulein Sabine.«

Sabine schwieg lange, und von ihm abgewandt fragte sie endlich zurück: »Was zieht Sie zu den Fremden? – Ist’s eine frohe Hoffnung – ist’s das Mitgefühl allein? – Seien Sie strenger gegen sich selbst, als ich gegen Sie bin, wenn Sie sich darauf antworten.«

»Was mir jetzt möglich macht, von hier zu scheiden, weiß ich nicht. Wenn ich für die Bewegung in mir einen Namen suche, so ist es Dankbarkeit gegen eine. – Sie war die erste, die freundlich zu dem wandernden Knaben sprach, als er allein in die Welt zog. Ich habe sie bewundert in dem ruhigen Glanz ihres vergangenen Lebens. Ich habe oft kindlich von ihr geträumt. Es war eine Zeit, wo eine zärtliche Empfindung für sie mein ganzes Herz erfüllte, damals glaubte ich für immer an ihr Bild gefesselt zu sein. Aber die Jahre zogen ein neues Grün darüber, ich sah die Menschen und das Leben mit andern Augen an. Da fand ich sie wieder, angstvoll, unglücklich, verzweifelt, und die Rührung in mir wurde übermächtig. Wenn ich von ihr entfernt bin, weiß ich, daß sie mir eine Fremde ist, und wenn ich vor ihr stehe, fühle ich nichts als ihren hinreißenden Schmerz. Damals, als ich aus ihrem Kreise wie ein Übeltäter ausscheiden mußte, damals eilte sie mir nach, und vor den Augen der spöttischen Gesellschaft reichte sie mir die Hand und bekannte sich zu mir. Und jetzt kommt sie und fordert meine Hand zur Hilfe für ihren Vater. Darf ich sie ihr verweigern? Ist es ein Unrecht, daß ich so fühle? Ich weiß es nicht, und niemand kann es mir sagen, niemand als nur Sie.«

Sabinens Haupt hatte sich heruntergeneigt bis auf die Lehne des Sessels. Jetzt erhob sie sich schnell, und mit tränenvollen Augen, mit einer Stimme voll Liebe und Schmerz rief sie: »Folgen Sie der Stimme, die Sie ruft! Gehen Sie, Wohlfart, gehen Sie!«

Viertes Buch

1

An einem kalten Oktobertage fuhren zwei Männer bei dem Torgitter der Stadt Rosmin vorüber in die Ebene, welche sich einförmig und endlos vor ihnen ausbreitete. Anton saß in seinen Pelz gehüllt, den Hut tief auf der Stirn, neben ihm der junge Sturm im alten Reitermantel, die Soldatenmütze lustig auf dem Ohr. Vorn hockte auf einem Strohbund der Knecht eines Ackerbürgers und peitschte die kleinen Pferde. Der Wind fegte mit seinem riesigen Besen Sand und Strohhalme über die Stoppelfelder, die Straße war ein breiter Feldweg, ohne Gräben und Baumreihen, die Pferde wateten bald durch ausgefahrene Wasserpfützen, bald durch tiefen Sand. Gelber Sand glänzte zwischen dem dürftigen Grün der Äcker überall, wo eine Feldmaus den Eingang zu ihrer Grube angelegt oder wo der emsige Maulwurf nach Kräften gearbeitet hatte, die Ebene durch kleine Hügelketten zu unterbrechen. In den Senkungen des Bodens stand schlammiges Wasser; an solchen Stellen streckten die ausgehöhlten Stämme alter Weiden ihre verkrüppelten Arme in die Luft, ihre Ruten peitschten einander im Wind, und die welken Blätter flatterten herunter in das trübe Wasser. Hier und da stand ein kleiner Busch zwerghafter Kiefern, ein Ruheplatz für Krähen, die, durch den Wagen aufgescheucht, mit lautem Schrei über die Häupter der Reisenden flogen. Kein Haus war zu sehen an der Straße, kein Wanderer und kein Fuhrwerk.

 

Karl blickte zuweilen auf seinen schweigsamen Gefährten und sagte endlich, nach den Pferden zeigend: »Wie struppig ihr Haar ist und wie schön ihr graues Mäusefell! Ich möchte wissen, wieviel Stück von diesen Tieren auf das Pferd meines Wachtmeisters gehen. – Als ich von meinem Vater Abschied nahm, sprach der Alte: ›Vielleicht besuche ich dich, Kleiner, zu Weihnachten, wenn sie die Christbäume anzünden.‹ ›Du wirst nicht imstande sein‹, sagte ich. ›Warum nicht?‹ fragte er. ›Du traust dich in keinen Postwagen‹, sagte ich. Da rief der Alte: ›Oho! Die Postwagen haben eine gute Bauart, ich traue mich schon.‹ – Jetzt, Herr Anton, weiß ich, daß mein Vater uns niemals besucht.«

»Warum nicht?« fragte Anton.

»Es ist möglich, daß er bis Rosmin kommt. Zwar nicht im Wagen, aber daneben. Denn solange er weiß, daß er einen oder zwei Plätze belegt hat, wird er allenfalls neben der Post herlaufen. Sobald er aber diese Pferde und diesen Weg sieht, kehrt er auf der Stelle um. ›Soll ich in eine Gegend, wo der Sand unter den Beinen wegläuft wie Wasser und wo die Mäuse im Geschirr gehen?‹ wird er sagen. ›Dieses Land ist mir nicht fest genug.‹«

»Die Pferde sind nicht das Schlechteste in dieser Gegend«, erwiderte Anton zerstreut, »sieh zu, auch diese laufen.«

»Ja«, antwortete Karl, »aber nicht als ordentliche Pferde, sie werfen ihre Beine durcheinander wie zwei Kater, die sich in der Petersilie balgen. Und was sie für Schuhe haben, deutliche Gänsefüße; für diese Hufe ist noch kein Eisen erfunden.«

»Wenn wir nur vorwärts kommen«, entgegnete Anton, »der Wind geht kalt, und mich fröstelt durch den Pelz.«

»Der Herr Bevollmächtigte haben die letzten Nächte wenig geschlafen«, sagte Karl salutierend. »Die Luft bläst hier wie über eine Tenne. Die Erde ist in dieser Gegend nicht rund wie anderswo, sondern platt wie ein Kuchen. Gerade hier haben sich die Leute eine Wüstenei angelegt, wir fahren schon über eine Stunde, und noch ist kein Dorf zu sehen.«

»Jawohl, eine Wüste«, seufzte Anton. »Hoffen wir, daß es besser wird.«

So ging es in tiefem Schweigen weiter. Endlich hielt der Kutscher neben einer Wasserlache, spannte die Pferde los, ohne sich um die Reisenden zu kümmern, und führte sie an das Wasser.

»Was, Teufel, soll das heißen?« rief Karl, vom Wagen springend.

»Ich füttere«, antwortete der Knecht mürrisch mit fremdem Akzent.

»Ich bin neugierig, wie er das anfangen wird«, sprach Karl in den Wagen. »Es ist auch nicht der Schatten eines Futtersacks zu sehen.«

Die Pferde aber bewiesen, daß sie auch ohne Hafer zu leben wußten, sie streckten die zottigen Hälse zum Boden und fraßen das Gras und die Blätter des Strauchwerks am Wasserrand ab, zuweilen senkten sie den Kopf bis auf die Wasserfläche und prüften den trüben Trank. Der Knecht aber holte seinen Beutel unter seinem Sitz hervor, setzte sich in den Schutz eines Erlenstrauches und schnitt mit seinem Messer Brot und Käse zurecht, ohne einen Blick auf seine Passagiere zu werfen.

»Höre, Ignaz oder Jakob«, rief Karl, ihn unsanft anstoßend, »wie lange soll das Frühstück dauern?«

»Eine Stunde«, erwiderte der Knecht kauend.

»Und wie weit ist es noch von hier nach dem Gut?«

»Zwei Stunden, vielleicht auch mehr.«

»Du wirst nichts mit ihm ausrichten«, sagte Anton, »wir müssen uns den Brauch der Landstraße gefallen lassen.« Er stieg vom Wagen und trat zu den Pferden.

Anton ist auf dem Wege zu der polnischen Herrschaft. Er ist jetzt Geschäftsführer des Freiherrn. Sorgenvolle Monate hat er verlebt. – Die Trennung von seinem Prinzipal und dem Hause war reich an bitteren Empfindungen. Anton stand die letzte Zeit allein, auch unter seinen Kollegen; nur der stille Baumann war auf seiner Seite, das übrige Kontor betrachtete ihn als einen Verlorenen. Mit eisiger Kälte hörte der Kaufmann seine Kündigung an, noch in der Stunde des Abschieds lag die Hand des Chefs wie hartes Metall in der seinen. – Seitdem hat Anton im Auftrag der Familie einige Reisen gemacht, nach der Residenz zu Gläubigern. Jetzt soll er mit Karl, den er für die Wirtschaft des Freiherrn geworben, auf dem neuen Gut eine bessere Ordnung einrichten. Ehrenthal hatte nach dem Termin der Versteigerung auf Grund seiner Vollmacht die Herrschaft übernommen, er hatte den polnischen Verwalter auch für den Freiherrn verpflichtet. Es war unordentlich zugegangen bei der Übernahme, und in Rosmin wußte man, daß der Verwalter des Gutes seitdem viele Verkäufe und Betrügereien vorgenommen hatte. So hat Anton keine Aussicht auf friedliche Tage.

»Jetzt ist die Stunde gekommen, wo ich meinen Auftrag ausrichten soll«, rief Karl und fuhr mit den Händen in das Stroh des Wagens. Er holte eine große Kapsel von lackiertem Blech hervor und trug sie zu Anton hinunter. »Dies hat mir Fräulein Sabine für Sie mitgegeben.« Vergnügt öffnete er den Deckel und präsentierte die Bestandteile eines reichlichen Frühstücks, eine Flasche Wein und einen silbernen Becher. Anton griff nach der Kapsel. »Sie hat eine sehr schlaue Einrichtung«, erklärte Karl, »Fräulein Sabine hat sie so bestellt.« Anton betrachtete das Gefäß von allen Seiten und stellte es sorgfältig auf ein weiches Grasbüschel, dann ergriff er den Becher und sah darauf seinen Namenszug graviert und darunter die Worte: ›Dein Wohl!‹ Darüber vergaß er das Frühstück und seine Umgebung und starrte nachdenklich auf das kleine Gefäß.

»Vergessen Sie das Frühstück nicht, Herr Generalbevollmächtigter«, erinnerte Karl.

»Setze dich zu mir, mein treuer Freund«, sagte Anton, »iß und trink mit mir. Deine höflichen Possen gewöhne dir ab; wir werden wenig haben, was wir aber erwerben, das wollen wir brüderlich miteinander teilen. Nimm die Flasche, wenn du kein Glas hast.«

»Nichts über Leder«, sagte Karl, ein kleines Trinkgefäß von braunem Leder aus der Tasche ziehend. »Und was Sie soeben zu mir gesagt haben, das war freundlich gemeint, und ich danke Ihnen dafür. Aber Subordination muß sein, schon wegen der andern Leute, und so wird der Herr Bevollmächtigte mir schon gütigst erlauben, daß ich Ihnen zuerst die Hand schüttele und im übrigen alles beim alten bleibt. Sehen Sie nur die Pferde, Herr Anton, meiner Treu, die Racker fressen auch Disteln.«

Wieder wurden die Pferde eingespannt, wieder warfen sie ihre kurzen Beine im Sande vorwärts, und wieder ging es fort in der kahlen Gegend. Zuerst durch eine leere Ebene, durch einen schlechten Kiefernwald, dann über eine Reihe von niedrigen Sandhügeln, die wie Dünen der öden Wasserflut über den pflanzenarmen Boden hervorragten, dann auf schadhafter Brücke über einen kleinen Bach. »Hier ist das Gut«, sagte der Kutscher, sich umdrehend, und wies mit der Peitsche auf einen Haufen dunkler Strohdächer, welcher gerade vor ihnen sichtbar wurde. Anton erhob sich von seinem Sitz und suchte die Baumgruppe, in welcher das Herrenhaus liegen konnte. Er sah nichts davon. Um das Dorf war manches nicht zu finden, was auch die ärmlichsten Bauernhäuser seiner Heimat schmückte, kein Haufe von Obstbäumen hinter den Scheuern, kein umzäunter Garten, keine Linde auf dem Dorfplatz, einförmig und kahl standen die schmutzigen Hütten nebeneinander.

»Das ist traurig«, seufzte er, sich niedersetzend, »viel ärger, als man uns in Rosmin gesagt.«

»Das Dorf sieht aus wie verwünscht«, rief Karl. »Die Gespanne arbeiten nicht auf dem Felde, und weder Kühe noch Schafe sind auf dem Stoppelland zu sehen. Wahrscheinlich haben die Leute hier Stallfütterung.«

Der Knecht schlug auf die Pferde, und in unregelmäßigem Galopp fuhren sie zwischen zwei Reihen von Lehmhütten durch das Dorf und hielten vor der Schenke an. Karl sprang vom Wagen, öffnete die Schenkstube und rief den Wirt. Ein Jude erhob sich langsam von seinem Sitz am Ofen und kam an die Haustür. »Ist der Gendarm von Rosmin angekommen?« fragte Anton. Er war in das Dorf gegangen. – »Wo ist der Weg nach dem Hofe?«

Der Wirt, ein ältlicher Mann mit verständigem Gesicht, beschrieb den Weg deutsch und polnisch und blieb an der Tür stehen, wie Karl behauptete, ganz außer sich über den Anblick von zwei Menschen. Der Wagen bog in einen Nebenweg ein, der auf beiden Seiten mit dicken Baumstümpfen besetzt war, den Überresten einer gefällten Allee. Durch die Löcher des Weges, durch Schlammpfützen und über Steine rasselte der Wagen vor einen Haufen von Lehmhütten, an denen noch die Reste eines weißen Kalkmantels hingen. »Die Scheunen und Ställe sind leer«, rief Karl, »denn in den Dächern sind Öffnungen, groß genug, um mit unserm Wagen hineinzufahren.«

Anton sprach nichts mehr, er war gefaßt auf alles. Durch eine Lücke zwischen den Ställen fuhren die Reisenden in den Wirtschaftshof, einen großen unregelmäßigen Platz, auf drei Seiten von schadhaften Gebäuden umgeben, die vierte offen gegen das Feld. Dort lag ein Haufen von Trümmern, Lehm und verfaulten Balken, die Überreste einer eingefallenen Scheuer. Der Hofraum war leer; von Ackergeräten und menschlicher Tätigkeit war nichts zu erblicken. »Wo ist die Wohnung des Inspektors?« fragte Anton betroffen. Der Kutscher sah sich suchend um, endlich entschied er sich für ein kleines Parterregebäude mit einem Strohdache und unsaubern Fenstern.

Bei dem Geräusch des Wagens trat ein Mann auf die Türschwelle und wartete phlegmatisch ab, bis die Reisenden abgestiegen waren und dicht vor ihm standen. Es war ein breitschultriger Gesell mit einem aufgedunsenen Branntweingesicht, in einer Jacke von zottigem Zeuge; hinter ihm steckte ein ebenso zottiger Hund die Schnauze aus der Tür und knurrte die Fremden an. »Sind Sie der Inspektor dieser Güter?« fragte Anton.

»Der bin ich«, erwiderte der kurze Mann in gebrochenem Deutsch, ohne sich von der Stelle zu rühren.

»Und ich bin der Bevollmächtigte des neuen Eigentümers«, sagte Anton.

»Das geht mich alles nichts an«, grollte der zottige Mann in grobem Ton, drehte kurz um, ging in die Stube zurück und verriegelte die Tür von innen.

Anton war empört. »Schlag das Fenster ein und hilf mir den Schurken festnehmen«, rief er seinem Begleiter zu. Dieser griff kaltblütig nach einem Stück Holz, schlug auf die Scheiben, daß der morsche Fensterflügel klirrend in die Stube fiel, und sprang mit einem Satz durch die Öffnung hinein. Anton folgte. Das Zimmer war leer, die Kammer daneben auch, von dort führte ein offenes Fenster ins Freie, der Mann war hinausgesprungen. »Durchs Fenster herein und wieder hinaus, wie die Teufel«, schrie Karl und sprang dem Flüchtling nach, Anton eilte zurück um das Haus herum. Er hörte Hundegebell und sah, wie Karl über den ungetreuen Haushalter herfiel und ihn unter dem wütenden Gekläff des Hundes am Kragen faßte. Anton sprang zu Hilfe und hielt den Ausreißer fest, während Karl dem Hunde einen Fußtritt gab, daß dieser weit weg auf den Boden flog. Darauf brachten beide den Inspektor, welcher heftig um sich schlug, um die Ecke herum in das Haus zurück.

»Fahr zur Schenke und hole den Gendarm und den Wirt«, rief Anton dem Kutscher zu, der unbekümmert um die Händel der Herren unterdes das Gepäck der Reisenden vom Wagen abgeladen hatte. Der Knecht fuhr gemächlich ab, der Flüchtling wurde in die Stube geführt, Karl ergriff ein altes Tuch und band ihm die Hände auf den Rücken. »Entschuldigen Sie, Inspektor«, sagte er, »es ist nur auf einige Stunden, bis der Gendarm aus Rosmin kommt, den wir bestellt haben.« Unterdes sah sich Anton in der Wohnung um; außer dem notdürftigsten Hausrat und dem Bett des Mannes war nichts zu finden, weder Bücher noch Rechnungen. Es war kein Zweifel, auch die Wohnung war bereits ausgeräumt. Aus der Rocktasche des Gefangenen ragte ein Bündel Papiere, Anton zog sie dem Widerstrebenden heraus, es waren Verhandlungen und Aktenstücke in polnischer Sprache. Unterdes kam der Knecht mit dem Schenkwirt und dem bewaffneten Polizeibeamten zurück. Der Wirt blieb verlegen an der Tür stehen, dem Gendarm erklärte Anton kurz den Zusammenhang. »Machen Sie eine Eingabe an das Amt«, sagte der Gendarm, »und geben Sie mir den Mann auf der Stelle mit. Er soll in Ihrem Wagen nach Rosmin fahren. Es wird am besten sein, wenn Sie sich den Menschen vom Halse schaffen, denn es ist eine schlechte Gegend hier, und er wird Ihnen zu Rosmin sicherer sein als hier, wo er Freunde und Spießgesellen hat.« Aus der Schenke wurde nach langem Suchen ein Bogen Papier herzugebracht. Anton schrieb die Anzeige nieder und legte auf das Ansuchen des Polizeibeamten, der die polnischen Schriftstücke kopfschüttelnd durchgesehen hatte, diese bei; der Gefangene wurde auf den Wagen gehoben, der Gendarm setzte sich neben ihn und sagte vor der Abfahrt noch zu Anton: »Ich habe mir lange gedacht, daß so etwas kommen würde. Sie werden mich vielleicht noch öfter in diesen Tagen brauchen.« So fuhr der Wagen aus dem Hofe, und so verlief die Übernahme des Gutes durch Anton. Er war ausgesetzt, wie auf einer wüsten Insel. Seine Lederkoffer und Reisebedürfnisse standen im Freien an einer Lehmwand, der Schenkwirt des polnischen Dorfes war der einzige Mensch, der ihnen Auskunft geben konnte und Rat schaffen in der unbehaglichen Lage.

 

Jetzt, da der Inspektor entfernt war, wurde der Wirt gesprächig, er zeigte guten Willen und erbot sich demütig zu allen Diensten. Eine lange Unterredung begann. Das Ergebnis war ungefähr so, wie Anton nach den Warnungen des Justizkommissars Walther und der Beamten zu Rosmin gefürchtet hatte. Der abgeführte Verwalter hatte in den letzten Wochen noch nach Kräften gearbeitet, das Inventarium zu verwüsten; er war sicher geworden durch ein Gerücht, das aus der Stadt in die Dörfer gedrungen war, auch der neue Besitzer werde die Güter nicht übernehmen. Endlich schloß Anton die Verhandlung mit den Worten: »Was jener schlechte Mann veruntreut hat, darüber wird er Rechenschaft ablegen; unsere nächste Sorge ist, festzuhalten, was auf den Gütern noch vorhanden ist. Ihr müßt heut unsern Führer machen.«

So durchsuchten sie den menschenleeren Hofraum. – Vier Pferde mit zwei Knechten – sie waren in das Holz gefahren –, wenige schadhafte Pflüge, ein paar Eggen, zwei Leiterwagen, eine Britschka, ein Keller mit Kartoffeln, einige Wispel Hafer, wenig Stroh – die Aufzeichnung nahm keinen großen Raum in Anspruch; die Gebäude waren sämtlich schadhaft, nicht durch hohes Alter, sondern durch die Gleichgültigkeit der Menschen, welche das Eindringen der Elemente seit Jahren nicht verhindert hatten.

»Wo steht das Wohnhaus?« fragte Anton. Der Wirt führte sie aus dem Hofraum auf den Anger, eine weite Fläche, welche allmählich zu dem Ufer des Baches abfiel. Es war eine große Viehtrift. Die Rinder und Schafe hatten Löcher ausgetreten, die Rüssel begehrlicher Schweine hatten den Boden aufgewühlt, graue Maulwurfshügel und üppige Grasbüschel erhoben sich auf dem Grund. Der Wirt streckte die Hand aus: »Dort ist das Schloß. Dies Schloß ist berühmt in der ganzen Umgegend«, fügte er mit Bewunderung hinzu, »ein solches steinernes Haus hat kein Edelmann im Kreise. Die Herren im Lande wohnen hier in Lehm und Holz. Auch der reichste, der von Tarow, hat nur ein niedriges Haus.«

Etwa dreihundert Schritt von der letzten Scheuer erhob sich ein mächtiger Bau von rohen Backsteinen, mit schwarzem Schieferdach und einem dicken runden Turm. Das finstere Mauerwerk auf dem Weideland ohne Bäume, ohne eine Spur von Leben, stand unter dem grauen Wolkenhimmel wie eine gespenstige Festung, welche ein häßlicher Geist aus den Tiefen der Erde gehoben hat, um von ihr aus das grüne Leben der Landschaft zu vernichten.

Die Männer traten näher heran. Das Schloß war zur Ruine geworden, bevor die erbauenden Handwerker ihre Arbeit vollendet hatten. Seit uralter Zeit hatte an dieser Stelle der unförmliche Turm gestanden, er war aus großen Feldsteinen gemauert, mit kleinen Fenstern und Zuglöchern. Die alten Herren der Landschaft hatten von seiner Höhe aus die Wipfel der Bäume gesehen, welche damals wohl noch weiter in die Ebene hineinreichten; sie hatten von dort als strenge Herren mit den Leibeigenen geschaltet, die vor ihren Füßen das Land bauten und für sie arbeiteten und starben. Mancher Sarmatenpfeil war durch die kleinen Fenster auf den ansprengenden Feind herabgeflogen, und manches anstürmende Tatarenpferd war zurückgeprallt vor der feindlichen Steinmauer. An diesem grauen Turm hatte vor vielen Jahren ein Despot der Landschaft zur Buße für begangene Sünden die Mauern eines Klosters aufgerichtet. Aber das Kloster war niemals fertig geworden, und lange hatten die Mauern zwecklos dagestanden, bis der verstorbene Graf sie zu einem Herrenhaus für sein Geschlecht ausbaute. Er wollte einen Prachtbau aufführen, wie die Umgegend keinen andern kannte.

Die Front des Hauses war so an den Turm gemauert, daß er in ihrer Mitte stand und aus der geraden Linie im Halbkreis vorsprang, zwei Flügel des neuen Baues gingen auf den Bach hin. Es war die Absicht gewesen, eine hohe Rampe vor dem Schloß aufzuführen, der Haupteingang war in den Turm eingeschlagen und ausgewölbt worden, aber die Rampe war nicht aufgeschüttet, und die steinerne Schwelle der Haustür lag weit über Manneshöhe in der Turmmauer, ohne Leiter nicht zu betreten. Keine Tür verschloß die große Öffnung. Die Fensterlöcher des untern Stocks wiesen noch die rohe Mauer, sie waren mit Brettern notdürftig verschlagen, im oberen Stock waren einzelne Fenster mit künstlichen Rahmen von gedrehtem Holz verziert, und große Scheiben hatte man eingefügt; aber wieder zerschlagen. In andern Fensterlöchern hingen Notrahmen aus rohem Kiefernholz mit kleinen trüben Glasaugen. Auf der Zinne des Turmes saß eine Gesellschaft Dohlen und blickte verwundert herab auf die fremden Männer, zuweilen flog eine mit lautem Schrei auf und ließ sich an einer andern Stelle des Daches nieder, um wieder auf die Unwillkommenen herabzustarren.

»Ein Haus für Krähen und Fledermäuse, aber nicht für Menschen«, rief Anton. »Noch sehe ich keinen Zugang zu diesem Räuberschloß.« Der Wirt führte sie um das Gebäude herum. Auf der hintern Seite, wo zwei Flügel die Form eines Hufeisens bildeten, waren niedrige Eingänge zum Erdgeschoß und den Kellern, dort unten waren Ställe, große gewölbte Kochräume und kleine Zellen für die unfreien Diener. Von dem Anger aber lief eine Holztreppe hinauf in das untere Stockwerk. Knarrend bewegte sich die Tür in ihren Angeln, ein schmaler Gang führte durch den Seitenflügel in die Räume des Vorderhauses. Dort war alles in großen Verhältnissen angelegt und auf eine reiche Ausstattung berechnet. Die runde Vorhalle, ein Gewölbe des alten Turms, war mit bunten Marmorstücken mosaikartig gepflastert, aus ihr sah man durch die große Türöffnung hinaus ins Freie. Eine breite Treppe, wie für ein Königsschloß, führte in den oberen Stock. Hier wölbte sich eine zweite runde Halle mit kleinen Fensterlöchern, das zweite Stockwerk des Turms. Zu ihren beiden Seiten lag die Reihe der Zimmer. Überall hohe wüste Räume, schwere eichene Flügeltüren und schmutzige Kalkwände; die Decken waren aus dicken Fichtenstämmen gezimmert, die im Schachbrett ineinandergefügt waren, in einigen Stuben standen ungeheure grüne Kachelöfen, in anderen fehlten die Öfen ganz, in einigen war der Fußboden kunstvolles Täfelwerk, in andern knorrige Kiefernbretter; ein großer Saal mit zwei riesigen Kaminen für Klafterscheiter hatte eine Notdecke von alten Latten. Das Schloß war angelegt für einen wilden asiatischen Hofhalt, für Tapeten von Leder und Seide aus Frankreich, für kostbare Holzbekleidung aus England, für massives Silbergerät aus deutschen Bergwerken, für einen stolzen Herrn, für zahlreiche Gäste und für eine Schar leibeigener Knechte, welche die Hallen und Vorzimmer anfüllen sollten. Der Erbauer des Schlosses hatte an das reichliche Leben seiner wilden Ahnherren gedacht, als er den Bau ausführen ließ, er hatte dafür Hunderte von Stämmen aus seinem Wald niedergeschlagen und seine Leibeigenen mit ihren Beinen und Händen viele tausend Ziegel geknetet; aber die Zeit, die unerbittliche, hatte ihren Finger aufgehoben gegen seine Pläne, und nichts war lebendig geworden, was er gehofft hatte. Er selbst war verdorben und gestorben während des Baues, und sein Sohn, ein Kind der Fremde, hatte den Untergang seines Erbes, so sehr, als einem Unsinnigen möglich, im fernen Lande beeilt. Jetzt standen die Mauern des Slawenschlosses mit geöffneten Türen und Fenstern, aber kein Gastfreund sprach im Eintreten dem Hause seinen Glückwunsch, nur wildes Geflügel flog aus und ein, und der Marder schlich neugierig über die Balkenlage. Nutzlos und häßlich standen die Mauern, sie drohten zu zerbröckeln und zu zerfallen wie das Geschlecht, das hier gehaust hatte.

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