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Soll und Haben

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Drittes Buch

1

Ein böses Jahr kam über das Land, ein plötzlicher Kriegslärm erregte die deutschen Grenzländer im Osten, darunter auch unsere Provinz. Die furchtbaren Folgen eines heftigen Landschreckens wurden schnell fühlbar. Der Verkehr stockte, die Werte der Güter und Waren fielen, jeder suchte das Seine zu retten und an sich zu ziehen, viele Kapitalien wurden gekündigt, große Summen, welche in kaufmännischen Unternehmungen angelegt waren, kamen in Gefahr. Niemand hatte Lust zu neuer Tätigkeit, Hunderte von Bändern wurden zerschnitten, welche die Menschen zu gegenseitigem Nutzen durch lange Zeit verbunden hatten. Jede einzelne Existenz wurde unsicherer, isolierter, ärmer. Überall sah man ernste Gesichter, gefurchte Stirnen. Das Land war wie ein gelähmter Körper, langsam rollte das Geld, dies Blut des Geschäftslebens, von einem Teile des großen Leibes zu dem andern; der Reiche befürchtete, daß er viel verlieren werde, der Arme verlor die Möglichkeit, sich auch nur wenig zu erwerben. Die Zukunft erschien plötzlich verhängnisvoll, schwarz, verderblich wie der Himmel vor einem schweren Gewitter.

Das Schreckenswort ›Revolution in Polen‹ brachte so große Wirkungen auch in Deutschland hervor. Das Landvolk jenseits der Grenze, aufgeregt durch alte Erinnerungen und seine Gutsherren, hatte sich erhoben, es zog, von fanatischen Geistlichen angeführt, längs der Grenze hin und her, hielt Reisende und Warensendungen an, fiel plündernd und brennend über Edelhöfe und kleine Städte und versuchte, sich unter Häuptlingen militärisch zu organisieren, indem es seine Sensen geradeschmieden ließ und alte Flinten aus dem Versteck hervorholte. Die Insurgenten nahmen eine große polnische Stadt unweit der Grenze ein, setzten sich dort fest und verkündeten ein Polenreich.

In unserm Staat wurden schleunigst Truppen zusammengezogen und nach der Grenze geschickt, diese militärisch zu besetzen. Unaufhörlich führten die Dampfwagen der neuerbauten Eisenbahn Soldaten ab und zu, überall rasselte die Trommel, die Straßen der Hauptstadt füllten sich mit Uniformen. Die Armee geriet in die Aufregung, welche bei der Aussicht auf Krieg regelmäßig entsteht. Die Offiziere rannten geschäftig umher, kauften Landkarten und tranken Toaste in jeder Art von Wein, die Soldaten schrieben nach Hause, ließen sich womöglich etwas Geld schicken und mit mehr oder weniger Gefühl ihre Mädchen grüßen. Zahlreiche Soldatenbräute im Lande wurden durch bleiche Wangen kenntlich und erschreckten ihre Familien durch fürchterliche Träume von ermordeten Musketieren; zahlreiche Mütter kauften sich Wolle und strickten mit trübem Auge Kriegssocken für ihre armen Söhne und suchten vorsichtig alte Leinwand zusammen, um Scharpie zu zupfen, was noch vom letzten großen Kriege her als nützliche Beschäftigung in wilder Zeit anerkannt war; zahlreiche Väter sprachen mit unsicherer Stimme von der Verpflichtung eines braven Sohnes, für König und Vaterland in den Krieg zu gehen, und erinnerten sich mit größerer Sicherheit an den Schaden, den sie einst dem argen Napoleon zugefügt hatten.

Es war ein sonniger Herbstmorgen, als die erste Nachricht von dem polnischen Aufstande in der Hauptstadt ankam. Dunkle Gerüchte hatten schon am Abend vorher die Einwohner neugierig gemacht, und Haufen unruhiger Geschäftsleute und erschreckter Müßiggänger standen auf dem Perron des Bahnhofes. Sogleich nach Öffnung des Kontors von T. O. Schröter kam Herr Braun, der Agent, hereingestürzt und erzählte atemlos, aber mit dem innern Behagen, welches der Besitzer auch der unangenehmsten Neuigkeit verspürt, daß ganz Polen und Galizien und viele angrenzende Länder in vollem Aufstande loderten; unzählige fremde Geschäftsreisende und friedliche Beamte seien überfallen und getötet worden, viele Grenzstädte ständen in Flammen, und ein nichtswürdiger Krakuse in roter Mütze habe um einen Vetter von Herrn Braun bereits mit seiner Sense den Kriegstanz getanzt in der Absicht, ihm den Garaus zu machen, sei aber durch eine Erinnerung, die ihm sein Weib mit der Mistgabel gegeben, wieder so weit zur Besinnung gekommen, daß er nur die Mütze des Vetters, die diesem vor Haarsträuben vom Kopfe gefallen war, durchstochen habe. Darauf sei sein Vetter barhäuptig die hundert Schritte bis zur Grenzbrücke gelaufen, wo ihn unsere Grenzwache aufgenommen und durch einen Schluck aus der Feldflasche wieder ins Gleichgewicht gebracht habe, während der Krakuse, die gemordete Mütze auf seiner Sense schwenkend, mit Triumphgeschrei abgezogen sei.

Anton geriet über diese Nachrichten in die größte Bestürzung, und er hatte Grund dazu. Kurze Zeit vorher hatte ein unternehmender Kaufmann aus Galizien eine ungewöhnlich große Sendung von Kommissionsartikeln, deren Wert sich auf zwanzigtausend Taler belief, an die Firma abgesendet und, wie bei solchen Geschäften dort üblich ist, den größten Teil des Wertes bereits in Wechseln bezogen. Die Wagenkarawane, welche diesen Transport bringen sollte, mußte gerade in dem insurgierten Gebiete sein. Außerdem war eine zweite Karawane mit Kolonialwaren auf dem Wege nach Galizien expediert und nach der Berechnung jetzt ebenfalls in Feindesland. Und was über dem allem stand, ein großer Teil der Geschäfte, welche das Haus machte, und ein großer Teil des Kredits, welchen dieses bewilligte, waren in den empörten Landschaften gemacht und bewilligt worden; vieles, ja alles, so ahnte Anton, ward durch diesen Krieg in Frage gestellt. Deshalb stürzte er seinem Prinzipal entgegen, als dieser die Treppe herabkam, und erzählte ihm hastig das Wichtigste der Neuigkeit, während Herr Braun im Kontor sich beeilte, den andern Herren die Schauergeschichte vom tanzenden Krakusen in zweiter Auflage mitzuteilen, wobei ihm begegnete, daß diesmal außer der Mütze des Vetters auch noch dessen Rock und Stiefel an der Sense des Krakusen hängenblieben, so daß der Bedrohte nur mit einem Hemd bekleidet bei der schützenden Grenzwache ankam. Beiläufig sei hier erwähnt, daß der arme Vetter bei der nächsten Wiederholung auch das Hemd hergeben mußte und daß ihm später noch die Haare abrasiert und sein Leib durch Megären auf die nichtswürdigste Weise zerzwickt wurde. Weiter konnte Herr Braun, ein wahrheitsliebender Mann, nicht gehen, da der Vetter noch als lebender Mensch unter dem Schirm einer neuen Mütze umherwandelte.

Unterdes vernahm der Prinzipal Antons fliegenden Bericht. Er blieb einen Augenblick stumm auf der Treppe stehen, und Anton, welcher ängstlich in sein breites Gesicht starrte, glaubte zu bemerken, daß er etwas bleicher aussah als gewöhnlich; aber er mußte sich wohl geirrt haben, denn der Kaufmann sah über Anton hinweg unter die Auflader, welche unruhig in dem Hausflur standen, und rief mit dem kühlen Geschäftston, welcher unserm Helden so oft imponiert hatte: »Sturm, schaffen Sie das Faß beiseite, es steht mitten im Wege. Rührt euch, ihr Leute, in einer Stunde muß der Fuhrmann abgehen«, worauf Sturm sein Gesicht bekümmert nach dem Auge des Kaufmanns richtete und, mit der ungeheuren Faust nach draußen weisend, fast mutlos sagte: »Es trommelt, sie schlagen Generalmarsch; es geht los, unsre Leute marschieren. Mein Karl ist mitten darunter, als Husar, mit den Schnüren an seinem kleinen Rock. Es ist ein Unglück! Ach, unsere Waren, Herr Schröter!«

»Eben deshalb eilt, ihr Männer«, antwortete der Prinzipal lächelnd. »Der Wagen geht nach der Grenze, es ist Zucker und Rum darauf, unsere Soldaten wollen bei dem kalten Wetter ein Glas Punsch trinken.« Diese humane Rücksicht auf die Kehlen der Vaterlandsverteidiger brachte das Behagen in die Seelen der Riesen zurück, sie lächelten grimmig, und Sturm setzte seinen Haken mit furchtbarer Kraft an den nächsten Ballen und schwang ihn mit einer Verachtung in die Luft, welche bedeuten sollte: ›Wir geben nicht so viel auf die ganze Polackenwirtschaft‹, während die übrigen das Faß aus dem Wege rollten und kurze geschäftliche Späße über Soldatenpunsch machten.

Zu Anton gewandt sprach der Prinzipal: »Die Nachrichten sind nicht gut, aber wir wollen nicht alles glauben.« Darauf ging er in das Kontor, grüßte Herrn Braun fast heiterer als sonst und ließ sich von ihm noch einmal die Geschichte seines Vetters und das übrige Unglück erzählen.

Als Braun gegangen war, sagte er beruhigend den Herren vom Kontor: »Ich hoffe, daß unsere Waren an der Grenze liegen, Fuhrleute sind ihrer Pferde wegen vorsichtig, sie werden es vermeiden, den Insurgenten in die Hände zu fallen. Sind die Wagen auf feindlichem Gebiet, so müssen wir versuchen, sie herauszubekommen.« Zu Anton setzte er leiser hinzu: »Schreiben Sie sogleich an das Grenzzollamt und unsern Spediteur an der Grenze, sicher gehen Extrazüge dahin ab, ein Nachtzug kann Antwort bringen, morgen wissen wir Näheres.«

Damit war für heut die große Frage erledigt, und alles im Kontor ging seinen gewöhnlichen Gang. Herr Liebold schrieb seine großen Zahlen ins Hauptbuch, Herr Purzel setzte Häufchen von Talern zusammen und schob papierne Handschuhhalter um große Bündel von Kassenanweisungen, und Herr Pix ergriff den schwarzen Pinsel, malte neben der großen Waage Hieroglyphen auf Packleinwand und beherrschte die Hausknechte mit gewohnter Entschiedenheit. Der Prinzipal wendete sich an Herrn Jordan, nahm die eingegangenen Briefe, welche zum Teil eine Bestätigung der kriegerischen Nachrichten enthielten, besprach die geschäftlichen Antworten und übergab sie den einzelnen Kommis. Darauf erschienen der Mäkler, die Agenten und Sensale, und wie gewöhnlich fielen vom Pult des Prinzipals kurze Bemerkungen oder ein trockener Scherz, wenn die Geschäftsfreunde sich zu tief in die Schrecken des Bürgerkrieges einließen. Die kleine Nebenunterhaltung im Geschäft war etwas belebter, sonst alles wie gewöhnlich. Beim Mittagstisch ging das Gespräch so ruhig vorwärts, als hätte nie ein polnischer Bauer seine Sense geschwungen, und nach Tisch fuhr der Prinzipal mit seiner Schwester und einigen Damen ihrer Bekanntschaft spazieren, und die Geschäftsleute, welche ihn sahen, sagten mit Verwunderung: »Er fährt heut spazieren, er hat’s wie gewöhnlich vorausgewußt, es ist doch ein kluger Kopf, ein solides Haus. Allen Respekt!«

 

Anton war den ganzen Tag an seinem Schreibpult in einer nervösen Aufregung, wie er sie bis dahin noch nicht gekannt hatte. Er war beklommen und erwartungsvoll, und doch empfand er diese Stimmung mit Behagen, als ein großes Ereignis. Er fühlte lebhaft die Gefahren des Geschäftes und seines Prinzipals, aber er war nicht mehr niedergeschlagen und mutlos. Ihm war, als trüge er Sprungfedern an Arm und Bein; seine Feder flog bei den gleichgültigen Geschäftsbriefen, die er zu schreiben hatte; trotz dem Gedanken an die Gefahr, welche in seiner Seele fortwährend Fanfare blies, war seine Fassungskraft nie schneller, sein Stil nie klarer gewesen, nie hatte er so hurtig Provision und Spesen ausgerechnet. Es waren Augenblicke einer erhöhten, fast freudigen Tätigkeit; er bemerkte das selbst und wunderte sich darüber. Bei seinem Prinzipal sah er dieselbe Stimmung, auch dieser schritt mit glänzenden Augen und schnellem Fuße durch die Kontore.

Nie hatte ihn Anton so verehrt als heut, er sah ihm aus wie verklärt. Mit einer wilden Freude sagte sich Anton: ›Das ist Poesie, die Poesie des Geschäfts, solche springende Tatkraft empfinden nur wir, wenn wir gegen den Strom arbeiten. Wenn die Leute sprechen, daß unsere Zeit leer an Begeisterung sei und unser Beruf am allerleersten, so verstehen sie nicht, was schön und groß ist. Dem Mann steht in diesem Augenblick alles auf dem Spiel, woran seine Seele hängt, sein Geschäft, der Erfolg eines langen Lebens von rastloser Tätigkeit, seine Freude, sein Stolz, seine Ehre; und er steht kaltblütig an seinem Pult, schreibt Briefe über geraspeltes Farbholz und gibt sein Urteil über Kleesamen ab, ja, ich glaube, er lacht innerlich.‹ So dachte Anton, als er am Abend sein Pult abräumte und mit den übrigen Herren nach dem Hinterhause ging. Auch seine Kollegen ließen jetzt ihre innere Aufregung merken, sie setzten sich in Jordans Salon zusammen und besprachen mit gemütlichem Schauder bei einer Tasse schwarzen Tees die Neuigkeit und deren Einfluß auf das Geschäft. Alle waren geneigt anzunehmen, daß die Firma zwar einigen Verlust erleiden werde, aber sie seien die Männer, mehr zu retten, als irgendein anderes Geschäft retten werde. Herr Specht bemerkte hoffnungsreich, bei jeder Insurrektion würden ungeheure Kolonialwaren verbraucht und die Firma werde ein glänzendes Geschäft in allen Flüssigkeiten nach der Grenze machen. Wenn der Aufstand nur ein Vierteljahr anhalte, sei der mögliche Verlust wieder gedeckt, denn trinken täten sie alle, Freunde und Feinde. Zuletzt sprach sich Herr Jordan dahin aus, daß man noch gar nicht wissen könne, wie die Sache verlaufen werde. Diese neue und gründliche Ansicht wurde von den meisten gebilligt, worauf sich die einzelnen in ihre Zimmer verfügten. In seiner Stube vernahm Anton durch die dünne Wand, wie sein Nachbar, Herr Baumann, beim Zubettegehen für das Geschäft und den Prinzipal betete. Dies ergriff Anton so, daß er mit großen Schritten in seiner Stube auf und ab ging, bis das Licht flackerte und der Gips auf dem Schreibtisch erschrak und in ein krankhaftes Zittern geriet.

Es war spät geworden, als der Diener geräuschlos in Antons Zimmer trat und halblaut meldete, Herr Schröter wünsche ihn noch heut zu sprechen. Rasch folgte Anton dem Diener in den ersten Stock des Vorderhauses und trat erwartungsvoll in das braune Arbeitszimmer des Prinzipals. Der Kaufmann stand vor dem gepackten Koffer, sein Portefeuille lag auf dem Tisch und daneben das untrügliche Zeichen einer längeren Reise, die große englische Zigarrentasche von Büffelleder. Diese hielt hundert Stück, war seit alter Zeit ein Lieblingsgegenstand für die Bewunderung des Herrn Specht und galt dem ganzen Kontor für eine Art Kriegsfahne, welche nur dann hervorgeholt und in den Wagen getragen wurde, wenn die Hauptmacht des Geschäfts auf ein außerordentliches Unternehmen auszog. Sabine war an den Schubladen des Schreibtisches beschäftigt und trug schweigend zu, was ihre Sorgfalt dem Reisenden für nützlich hielt. Sie warf einen schnellen Blick auf Anton und senkte das Haupt, als sie in seinem Gesichte las, was sie selbst mit banger Ahnung erfüllte. Der Prinzipal trat Anton freundlich entgegen. »Ich habe Sie spät herbemüht, glaubte aber nicht, daß Sie noch außer Bett sein würden.«

Als Anton erwiderte: »Die Aufregung ließ mich nicht schlafen«, fiel wieder ein Strahl aus dem Auge der Schwester auf ihn, so sorgenvoll und so dankbar für seine Teilnahme, daß er mächtig gerührt wurde und nicht weitersprach, um seine Bewegung nicht zu verraten.

Der Prinzipal aber sagte lächelnd: »Sie sind noch jung, die Ruhe kommt mit den Jahren. Es wird nötig sein, daß ich selbst morgen nach unsern Waren sehe. – Ich höre die Polen zeigen besondere Rücksicht gegen unsere Landsleute, es ist möglich, daß sie sich sogar mit dem Gedanken tragen, unsere Regierung sei ihnen nicht abgeneigt. Diese Täuschung kann nicht lange dauern, es wird kein Unrecht sein, wenn wir davon für unsere Waren Vorteil zu ziehen suchen. Sie haben die Korrespondenz geführt und wissen selbst, was für mich zu tun ist. Ich werde nach der Grenze reisen und mich dort über die nächsten Schritte entscheiden.«

Mit ängstlicher Spannung hörte die Schwester auf seine Worte, sie suchte in seinen Mienen zu lesen, was er aus Rücksicht gegen sie nicht aussprach. Anton aber verstand, was die Rede bedeutete: sein Chef ging über die Grenze in das insurgierte Land.

Mit bittender Stimme sprach er nähertretend: »Könnte nicht ich an Ihrer Stelle die Reise machen? Ich fühle wohl, daß ich Ihnen noch keine Veranlassung gegeben habe, mir in so wichtiger Sache zu vertrauen. Ich werde mir wenigstens alle Mühe geben, bis zum äußersten, Herr Schröter.« Antons Wangen glühten, als er dies sagte, er fühlte in diesem Augenblick entschiedene Neigung, sich mit allen Krakusen um die Warenballen zu raufen.

»Das ist brav gesprochen, und ich danke Ihnen«, erwiderte der Prinzipal, »aber ich kann Ihr Anerbieten nicht annehmen, die Reise könnte Schwierigkeiten haben, und da der Vorteil mein ist, wird auch billig sein, daß ich die Mühe übernehme.« Anton ließ den Kopf hängen. »Ich beabsichtige im Gegenteil, Sie mit bestimmter Order hier zu lassen für den Fall, daß ich übermorgen abend nicht zurück sein sollte.«

Sabine hatte ängstlich zugehört, jetzt faßte sie die Hand des Bruders und sagte leise: »Nimm ihn mit.«

Diese Unterstützung gab Anton neuen Mut. »Wenn Sie mich nicht allein schicken wollen, so erlauben Sie mir wenigstens, Sie zu begleiten, vielleicht kann ich Ihnen doch in etwas nützlich sein, ich würde es wenigstens sehr gern sein.«

»Nimm ihn mit«, wiederholte Sabine flehend.

Der Kaufmann wandte den Blick langsam von der Schwester auf das ehrliche Gesicht Antons, welches von Diensteifer strahlte, und erfreut über den Eifer der Jugend, erwiderte er: »So mag es sein. Sie begleiten mich morgen früh bis zur Grenze. Sollte meine Abwesenheit für längere Zeit nötig werden, so wird es vorteilhaft sein, Sie an Ort und Stelle zu informieren. Bis dahin mag Jordan die laufenden Geschäfte besorgen. Es ist nicht nötig, daß von unserer Reise hier am Ort viel verlautet. Und jetzt schlafen Sie aus, Herr Wohlfart. Einer unserer Hausknechte erwartet auf der Eisenbahn die Nachtzüge; man hat mir versprochen, daß die Zugführer uns Antwort zurückbringen sollen. Ist die Antwort so, wie ich annehme, dann fahren wir mit dem ersten Zug. Schlafen Sie wohl!«

Anton verbeugte sich dankend und sah noch im Hinausgehen, daß Sabine in heftiger Bewegung den Hals des Bruders umschlang. Er ging nach seinem Zimmer, packte geräuschlos eine Reisetasche, holte die damaszierten Pistolen heraus, welche ihm Fink hinterlassen hatte, und warf sich halbentkleidet auf das Bett, wo er erst spät den Schlummer fand. Gegen Morgen weckte ihn ein leises Klopfen, der Bediente meldete: »Die Briefe von der Eisenbahn sind gekommen.« Anton eilte in das Kontor und fand dort bereits Herrn Jordan und den Prinzipal in lebhaftem Gespräch; bei seinem Eintritt rief ihm Herr Schröter aus den geschäftlichen Verhandlungen kurz zu: »Wir reisen!«

›Gut‹, dachte Anton. ›Wir reisen in Feindesland, wir schlagen uns mit Sensenmännern, und wir zwingen sie, unsere Waren herauszugeben, denn daß sie uns zwingen könnten, darf nach dem Willen des Prinzipals nicht angenommen werden.‹

Nie hatte Anton lauter die Türen geschlossen, schneller die Treppenstufen gemessen und kräftiger die Hände seiner Kollegen geschüttelt als in der nächsten Stunde. Als er so geschäftig durch den dunklen Hausflur eilte, hörte er ein leises Rauschen neben sich. Sabine trat schnell an ihn heran und faßte seine Hand: »Wohlfart, schützen Sie meinen Bruder vor Gefahr!« Anton versprach mit maßloser Bereitwilligkeit, dies in jeder Weise zu tun, fühlte nach seinen geladenen Pistolen in der Rocktasche und stieg in den Wagen, selbst geladen mit den edelsten und seligsten Gefühlen, welche je ein junger Held gehabt hat. Er zog auf Abenteuer, er war stolz auf das Vertrauen seines Prinzipals, gehoben durch das zarte Verhältnis, in das er zu der Heiligen des Geschäfts getreten war. Er war glücklich.

Das Dampfroß schnaubte und raste über die weite Tallandschaft wie ein Pferd aus Beelzebubs Marstall. In allen Waggons des Zuges saßen Soldaten, sie hingen auf den Frachtstücken, sie guckten aus den kleinen Fenstern der Packwagen; überall glänzten Bajonette und Helme, überall steckten Tornister, Feldkessel und Trommeln. Auf allen Stationen standen die Haufen der Neugierigen, überall hastige Fragen und Antworten, überall aufregende Neuigkeiten, schreckliche Gerüchte und abenteuerliche Erzählungen. Anton war froh, als sie sich am Ende der Bahnstrecke aus der kriegerischen Masse lösten und in einer leichten Chaise mit Kurierpferden der Grenze zurollten. Auf der Landstraße war es still, leerer als gewöhnlich, nur kleine Abteilungen aus den Garnisonen nahe der Grenze wurden noch von den Reisenden überholt. Die Mannschaft sang lustig, als zöge sie zum Manöver, hier und da machte der Spaßvogel der Kompanie seinen Witz über die schnellfüßigen Zivilisten, zuweilen ritt ein Offizier grüßend an den Wagen, wenn er den Prinzipal kannte oder einen Auftrag für sein Nachtquartier vorauszusenden hatte. Der Kaufmann sprach zu Anton gar nicht vom Geschäft, aber mit großer Heiterkeit von allem andern, von früheren Erlebnissen, von dem Treiben an der Grenze, von Schmugglern und Zollwächtern, und behandelte seinen Reisegenossen mit der vertrauten Herzlichkeit, welche ein älterer Kamerad dem jüngeren zu zeigen pflegt. Nur gegen die Pistolen bewies Herr Schröter eine Kälte, welche den kriegerischen Mut Antons ein wenig dämpfte; denn als dieser auf der zweiten Station seine Mordwerkzeuge sorgfältig aus einer Wagentasche in die andere trug, sah der Prinzipal mit feindseligem Blick auf die beiden Läufe, und als die Reisenden bei den letzten Häusern des Orts vorübergerollt waren, wies er auf die braunen Kolben, welche brüderlich aus der Tasche hervorragten, und sagte zu Anton: »Ich glaube nicht, daß Ihnen gelingen wird, durch die Kanonen unsere Waren wieder zu erobern. Sind sie geladen?«

Anton bejahte und erwiderte mit dem letzten Rest seines kriegerischen Selbstgefühls: »Es sind gezogene Läufe.«

»So?« sagte der Prinzipal ernsthaft, nahm die Pistolen aus der Tasche, rief dem Postillon zu, die Pferde anzuhalten, und schoß kaltblütig beide Läufe ab. »Es ist besser, wir beschränken uns auf die Waffen, die wir zu gebrauchen gewöhnt sind«, bemerkte er gutmütig, indem er Anton die Pistolen zurückgab, »wir sind Männer des Friedens und wollen nur unser Eigentum zurück haben. Wenn wir es nicht dadurch erhalten, daß wir andere von unserem Recht überzeugen, so ist keine Aussicht dazu. Es wird dort drüben viel Pulver unnütz verschossen werden, alles Ausgaben, welche nichts einbringen, und Kosten, welche Land und Menschen ruinieren. Es gibt keine Rasse, welche so wenig das Zeug hat, vorwärtszukommen und sich durch ihre Kapitalien Menschlichkeit und Bildung zu erwerben, als die slawische. Was die Leute dort im Müßiggang durch den Druck der rohen Masse zusammengebracht haben, vergeuden sie in phantastischen Spielereien. Bei uns tun so etwas doch nur einzelne bevorzugte Klassen, und die Nation kann es zur Not ertragen. Dort drüben erheben die Privilegierten den Anspruch, das Volk darzustellen. Als wenn Edelleute und leibeigene Bauern einen Staat bilden könnten! Sie haben nicht mehr Berechtigung dazu als dieses Volk Sperlinge auf den Bäumen. Das schlimmste ist nur, daß wir ihre unglücklichen Versuche auch mit unserm Gelde bezahlen müssen.«

»Sie haben keinen Bürgerstand«, sagte Anton eifrig beistimmend.

»Das heißt, sie haben keine Kultur«, fuhr der Kaufmann fort, »es ist merkwürdig, wie unfähig sie sind, den Stand, welcher Zivilisation und Fortschritt darstellt und welcher einen Haufen zerstreuter Ackerbauer zu einem Staate erhebt, aus sich heraus zu schaffen.«

 

»Da ist doch Konrad Günther in der insurgierten Stadt vor uns, dann die Geschäfte der drei Hildebrand in Galizien«, warf Anton ein.

»Brave Leute«, stimmte der Kaufmann bei, »alle aber eingewandert, und der ehrbare Bürgersinn hat keinen Halt, vererbt sich selten auf die nächste Generation. Was man dort Städte nennt, ist nur ein Schattenbild von den unsern, und ihre Bürger haben blutwenig von dem, was bei uns das arbeitsame Bürgertum zum ersten Stande des Staates macht.«

»Zum ersten?« fragte Anton.

»Ja, lieber Wohlfart; die Urzeit sah die einzelnen frei und in der Hauptsache gleich, dann kam die halbe Barbarei der privilegierten Freien und der leibeigenen Arbeiter, erst seit unsere Städte groß wuchsen, sind zivilisierte Staaten in der Welt, erst seit der Zeit ist das Geheimnis offenbar geworden, daß die freie Arbeit allein das Leben der Völker groß und sicher und dauerhaft macht.«

Im Abendlicht kamen die Reisenden am Grenzort an. Es war ein kleines Dorf, welches außer den Zollgebäuden und den Wohnungen der Grenzbeamten nur ärmliche Hütten und eine Schenke zu zeigen wußte. Auf dem freien Platz zwischen den Häusern und um das Dorf herum biwakierten zwei Schwadronen Reiter, welche ihre Posten längs dem schmalen Grenzfluß aufgestellt hatten und mit einer Abteilung Jäger die Grenze bewachten. In der Schenke war ein wildes Treiben, Husaren und Jäger zogen ein und zogen aus, Husaren und Jäger saßen Kopf an Kopf gedrängt in der kleinen Gaststube, bunte Dolmane und grüne Röcke lagerten um das Haus herum auf Stühlen, Tischen, Pferderaufen, wankenden Tonnen und jedem möglichen Gerät, welches irgendeine Art des Sitzens gestattete. Wie unzählige Herren Pixe kamen sie Anton vor, so entschlossen verfuhren sie mit der Schenke und allem Inhalt derselben, lebendigem und flüssigem. Mit lautem Gruß empfing der jüdische Wirt den wohlbekannten Kaufherrn; durch seinen Diensteifer wurde der letzte Raum des Hauses frei gemacht für die Reisenden, ein kleiner Verschlag, in welchem sie die Nacht wenigstens allein verbringen konnten.

Kaum war der Kaufmann vom Wagen gestiegen, als ihn ein halbes Dutzend Fuhrleute mit lebhaftem Freudenruf umringte, die Führer der Wagen, welche vor kurzem durch das Geschäft expediert waren. Ganz ohne Unfall war es mit ihnen nicht abgegangen. Wie der älteste erzählte, waren sie auf der Straße jenseits der Grenze durch den Anblick eines bewaffneten Bauernschwarms zur eiligen Rückkehr getrieben worden. Beim Umwenden war ein Rad des letzten Wagens zerbrochen, der Fuhrmann hatte in der Angst die Pferde ausgespannt und den Wagen jenseits der Grenze stehenlassen. Während der flüchtige Führer mit dem abgezogenen Hut in der Luft umherfocht und seine Entschuldigungen machte, trat der kommandierende Rittmeister zu dem Kaufmann und bestätigte die Aussage der Leute.

»Man kann den Wagen etwa tausend Schritt jenseits der Brücke an der Straße hängen sehen«, erklärte er, und als der Kaufmann um Erlaubnis bat, die Brücke zu betreten, sagte er zuvorkommend: »Ich werde Ihnen einen meiner Offiziere mitgeben.«

Ein junger Offizier der Schwadron, welcher soeben von einer Patrouille zurückgekehrt war, tummelte sein feuriges Pferd vor der Schenke.

»Leutnant von Rothsattel«, rief der Rittmeister, »begleiten Sie die Herren auf die Brücke.«

Mit Entzücken hörte Anton den Namen, an welchen sich für ihn so holde Erinnerungen knüpften. Er wußte augenblicklich, daß der Herr auf dem wilden Pferde niemand anders sein konnte als der Bruder des Fräuleins vom See. Der Leutnant, eine schlanke Gestalt mit kleinem Bart auf der Oberlippe, sah seiner Schwester so ähnlich, wie einem jungen Reiteroffizier in Beziehung auf das allerschönste irdische Fräulein nur möglich ist. Anton fühlte auf der Stelle eine freundschaftliche Hochachtung für ihn, welche der junge Herr aus Antons Gruß wohl herauslesen mochte, denn er dankte durch ein herablassendes Neigen seines kleinen Kopfes. Tänzelnd bewegte sich sein Pferd neben den Kaufleuten bis zur Brücke. Dort standen die Vedetten, ihre Pistolen mit gespanntem Hahn in der Hand, unbeweglich wie Statuen, nur ihre Pferde verrieten manchmal durch eine Schweifbewegung oder durch ein Stampfen der Füße das mutige Leben. Die Reisenden eilten auf die Mitte der Brückenwölbung und sahen mit spähendem Blick die Landstraße hinab. Vor ihnen in der Ferne lag der riesige Wagen, wie ein weißer Elefant lag er verwundet auf einem Knie.

»Vor kurzem war noch nicht geplündert«, sagte der Leutnant, »die Leinwand hing noch dickbäuchig darüber. Ja, sie haben ausgeräumt; dort an der Ecke flattert die weiße Decke.«

»Es scheint nicht arg zu sein«, antwortete der Prinzipal.

»Wenn Sie ein Rad und ein Paar Pferde hinüberschaffen wollen, können Sie das Ding abholen«, bemerkte der Leutnant nachlässig. »Unsere Leute hatten den ganzen Tag große Lust dazu. Sie hätten gern nachgesehen, ob etwas Trinkbares darin ist. Wir haben aber Befehl, die Grenze nicht zu überschreiten. Sonst ist’s eine Kleinigkeit, den Wagen herüberzuschaffen, wenn der kommandierende Offizier Ihnen erlaubt, die Posten zu passieren, und wenn Sie mit diesen da fertig werden.« Dabei wies er auf einen Haufen Bauern, welche jenseits der Brücke außerhalb Schußweite hinter einigen verkrüppelten Weiden lagerten und einen bewaffneten Mann als Posten auf die Landstraße vorgestellt hatten.

»Wir wollen den Wagen holen, wenn der kommandierende Offizier erlaubt«, sagte der Prinzipal, »ich hoffe, es wird möglich sein, mit den Leuten dort zu unterhandeln.«

Und Anton konnte sich nicht enthalten zu murmeln: »Den ganzen Tag haben die Herren ein paar tausend Taler auf der Landstraße liegenlassen, sie hätten Zeit genug gehabt, den Wagen für uns zurückzuschaffen.«

»Man muß keine unbilligen Forderungen an das Heer machen«, antwortete der Kaufmann lächelnd, »wir wollen zufrieden sein, wenn sie uns erlauben, unser Eigentum aus den Händen der Bauern zu holen.« Die Reisenden eilten zum Rittmeister zurück, und der Kaufmann teilte diesem seinen Wunsch mit.

»Wenn Sie Pferde und Menschen finden, so habe ich nichts dagegen«, erwiderte dieser.

Sogleich wurden die Fuhrleute zusammengerufen, der Prinzipal fragte, wer ihn mit den Pferden begleiten wolle, er sei gut für den Schaden an den Pferden. Nach einigem Kratzen des Kopfes und einigem Schütteln der Hüte erklärten mehrere ihre Bereitwilligkeit. Schnell wurden vier Pferde angeschirrt, ein Kinderschlitten des Schenkwirts hervorgeholt, ein Rad und einige Hebebäume darauf gelegt, und die kleine Karawane zog der Brücke zu, verfolgt von beifälligen Scherzen der Soldaten und begleitet von einigen Offizieren, welche an dem Feldzuge so viel Teilnahme verrieten, als sich mit ihrer kriegerischen Würde irgend vertrug.

An der Brücke sagte der Rittmeister: »Ich wünsche guten Erfolg, leider bin ich außerstande, Ihnen meine Mannschaft zu Hilfe mitzugeben.«

»Es ist besser so«, antwortete der Prinzipal grüßend, »wir wollen als friedliche Leute unsere Waren wieder holen und fürchten die Herren dort nicht, wollen sie aber auch nicht reizen. Haben Sie die Güte, Herr Wohlfart, Ihre Pistolen zurückzulassen, wir müssen den Bewaffneten zeigen, daß uns der Kriegsapparat nichts angeht.«

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