Читать книгу: «Wunderwelten»
Herausgeber
Erik Schreiber
Scratch Verlag
e-book 052
Erscheinungstermin 01.10.2021
© Saphir im Stahl Verlag
Erik Schreiber
An der Laut 14
64404 Bickenbach
Titelbild: Simon Faulhaber
Lektorat Peter Heller / Bilderdienst
Vertrieb neobook
Ernst Friedrich Wilhelm Mader
Wunderwelten
Wie Lord Flitmore eine seltsame Reise zu den Planeten unternimmt und durch einen Kometen in die Fixsternwelt entführt wird.
Erzählung
für Deutschlands Söhne und Töchter
von W. Mader
Illustriert von W. Egler (nicht im e-book)
Verlag für Volkskunst / Rich. Keutel / Stuttgart
Alle Rechte vorbehalten.
Kunstdruckerei des Verlags für Volkskunst, Rich. Keutel, Stuttgart.
Inhaltsverzeichnis.
Personenverzeichnis
Vorwort
1 Ein kühnes Unternehmen
2 Sannah, das Weltschiff
3 Eine wunderbare Entdeckung
4 Die Fahrt ins Leere
5 Im Weltenraum
6 Am Mond vorbei
7 Eine ernste Gefahr
8 Die großen Astronomen
9 Der Mars
10 Eine Landung auf dem Mars
11 Die Schrecken des Mars
12 Eine Entdeckungsreise auf dem Mars
13 Die Marsbewohner
14 Eine Marskatastrophe
15 Im Meteorenschwarm
16 Ein Konzert in der Sannah
17 Die Asteroiden
18 Die Planetoideninsel
19 Der Komet
20 Die Seeschlange
21 Jupiter
22 Ein Besuch auf dem Saturn
23 Eine unfreiwillige Polarreise
24 Eine Nacht auf dem Ringplaneten
25 Eine seltsame Welt
26 Ein Kampf um die Sannah
27 Vom Kometen entführt
28 Die Geheimnisse der äußersten Planeten
29 Eine Reise ins Unendliche
30 Schimpansenstreiche
31 Verloren im Weltraum
32 Der Riesenkraken
33 Ohne Luft!
34 Ein verhängnisvoller Zusammenstoß
35 Ein Wunder
36 In der Fixsternwelt
37 Eine neue Erde
38 Die Wunder Edens
39 Sonderbare Naturgesetze
40 Eine neue Tierwelt
41 Eine paradiesische Nacht
42 Höhere Wesen
43 Im Hause des Gastfreunds
44 Neue Erkenntnisse
45 Heliastra
46 Überirdische Klänge
47 Im Reiche des Friedens
48 Eine Reise auf dem Planeten
49 Münchhausens Fabeln
50 Abschied
51 Der Planet des Fremdartigen
52 Eine Weltkatastrophe
53 Durch die Sonne
54 Der Planet Merkur
55 Zurück zur Erde!
56 Sannah
Nachweise
Personenverzeichnis.
1 Lord Charles Flitmore
2 Mietje, Lady Flitmore, geborene Rijn, seine Gattin
3 Professor Heinrich Schultze
4 Kapitän Hugo von Münchhausen
5 Heinz Friedung
6 John (Johann) Rieger, Flitmores Diener
Zwei Schimpansen: Dick und Bobs
7 Ein alter Marsbewohner
8 Gabokol
9 Bleodila, seine Gattin
10 Fliorot, sein Sohn
11 Glessiblora seine Tochter
12 Heliastra seine Tochter
13 Doktor Otto Leusohn
14 Sannah, geborene Rijn, seine Gattin
15 Hendrik Rijn
16 Helene, seine Gattin, Doktor Leusohns Schwester
17 Tipekitanga, die Zwergprinzessin
18 Amina, ein Somalimädchen
19 Piet Rijn, Hendriks, Mietjes und Sannahs Vater
20 Frans Sohn von Piet Rijns
21 Klaas Sohn von Piet Rijns
22 Danie Sohn von Piet Rijns
Vorwort.
Den vollen Gewinn von dieser Erzählung wird nur die schon gereiftere Jugend haben, die mit Verständnis und gewiss auch mit lebhaftem Interesse die Wunder der Sternkunde kennen lernen wird. Das ganze Gebiet der Astronomie soll ihr im Laufe der Erzählung in der Hauptsache erschlossen werden.
Nun werden aber auch wohl jüngere Leser, für welche die wissenschaftlichen Gespräche vielleicht noch zu hoch sind, die seltsamen Erlebnisse und Entdeckungen der Weltall-Reisenden lesen wollen. Diese mögen getrost die Stellen überschlagen, die ihnen noch nicht verständlich erscheinen, namentlich in Kapitel 8, 15, 18, 26, 32 und 48.
Sollte einem oder dem andern Kritiker einiges über die Grenzen des Wahrscheinlichen (natürlich nicht des „Möglichen“) hinauszugehen scheinen, so möge er sich aus den Nachweisen überzeugen, ob nicht die Wissenschaft selber die Phantasie stützt.
Echelbach, im Juli 1911.
Der Verfasser
1. Ein kühnes Unternehmen.
Professor Dr. Heinrich Schultze lehnte sinnend in seinen Sessel zurück. Vor ihm auf dem mit Büchern und Papieren bedeckten Schreibtisch lag ein Brief, der seine Gedanken beschäftigte.
Da läutete es an der Eingangstüre seiner Wohnung und kurz darauf pochte es gewaltig an die Studierzimmertüre.
„Herein!“, rief der Professor, sich erhebend.
Die Türe öffnete sich und es erschien ein ältlicher, doch frisch und blühend aussehender Mann von stattlicher Leibesfülle.
„Kapitän Münchhausen!“, rief Schultze und eilte überrascht und erfreut, auf den Mann zu, ihm beide Hände entgegenstreckend. „Welcher günstige Monsun führt Sie von Australien nach Berlin und just in dieser Stunde? Ich bin starr! Denken Sie, soeben weilten meine Gedanken bei Ihnen in Adelaide und ich wünschte mir, Sie herzaubern zu können.“
„Nun! Der Zauber ist gelungen!“ lachte Münchhausen: „Da bin ich. Und was mich herführt? Sie wissen, ich halte das untätige Herumsitzen auf dem Kulturboden nicht lange aus. Na, habe ich gedacht: Schaust einmal nach, was der olle Schultze macht; vielleicht plant er wieder irgendein famoses Unternehmen; da muss ich dabei sein! Und plant er keins, so will ich ihn aufrütteln und wir planen eines miteinander. He! Wie steht’s damit, Professorchen?“
„Ich sage Ihnen, Sie kommen wie gerufen. Da, setzen Sie sich her, altes Haus.“
Unterdessen drückte der Professor auf den Knopf der elektrischen Klingel und beauftragte den hierauf erscheinenden Diener, eine Flasche Wein und zwei Gläser zu bringen und alsdann im Esszimmer einen kalten Imbiss zu richten: „Das Feinste, was wir haben“, mahnte er: „Der Kapitän ist Feinschmecker.“
„Oho!“ lachte dieser: „Habe ich mir nicht Termiten, Raupen und Rohrratten schmecken lassen, wenn es darauf ankam? Ich nehme alles, wie es kommt.“
„Jetzt kommt aber etwas Besseres als afrikanische Hungerkost, alter Freund; und ich weiß, Sie nehmen das Bessere lieber an als das Schlechtere.“
„Ein Narr, wer’s nicht tut! Aber nun, Professor, was planen Sie?“
„Ich habe eigentlich gar nichts geplant; aber ein andrer: Sie erinnern sich wohl noch Lord Flitmores?“
Münchhausen lachte, dass es dröhnte: „Auf so eine Frage kann doch nur ein weltfremder Professor verfallen! „Erinnern“ ist gut! Wenn man mit einem Manne, wie der Lord, solche Abenteuer erlebt, solche Kämpfe durchfochten und solche herrliche Stunden durchkostet hat, wie wir zwei beide, dann soll man ihn wohl vergessen können? Verzeihen Sie Professor, aber Ihre Frage ist ... na, wie soll ich sagen?“
„Dumm!“ ergänzte Schultze, seinerseits lachend: „Sie haben recht, oller Seebär. Also! Hier habe ich einen Brief von Flitmore erhalten. Er schreibt, er habe eine kaum glaubliche Entdeckung gemacht.“
„Kaum glaublich? Hören Sie, dem glaube ich alles, dem traue ich das Wunderbarste zu nach den Proben seines Erfindergenies, die er uns in Afrika gegeben.“
„Das stimmt! Aber hören Sie: Er schreibt, seine Entdeckung hebe die trennenden Räume des Weltalls auf und gestatte Reisen nach dem Mond, nach den Planeten, vielleicht gar in die Fixsternwelt. Und nun lädt er mich ein, ihn auf seiner ersten Fahrt zu begleiten. Was halten Sie davon? Sollte er nicht doch ein wenig übergeschnappt sein?“
„O, dass Sie Männer der Wissenschaft keine neue, erstaunliche Entdeckung ohne Zweifel begrüßen können! Wenn die Professoren darüber zu entscheiden hätten, alle genialen Erfinder kämen ins Irrenhaus! Ich sagte Ihnen, dem Lord traue ich alles zu. Er ist ein Genie. Telegraphieren Sie ihm nur gleich, ob er mich mitnimmt? Ha, das gibt eine Reise! Das ist noch nie da gewesen, außer in der Phantasie kühner Schriftsteller: Da muss ich mit!“
„Das ist es ja gerade: Lord Flitmore bittet mich, ihn zu begleiten, da er weiß, dass ich mich in den letzten Jahren ganz auf die Astronomie geworfen habe und er meine Veröffentlichungen auf diesem Gebiet mit Interesse und Beifall verfolgte, wie er schreibt. Dann aber fragt er nach Ihnen und nach Ihrer Adresse. Er ist voll Bewunderung für das Automobil, das Sie erfanden, und mit dem wir Australien durchforschten.“
„Ja, ja, die Lore!“ schmunzelte der Kapitän: „Sie war kein übler Gedanke. Aber nach dem Mond — ne! Das hätte sie doch nicht geleistet“.
„Also, bei Ihren technischen Kenntnissen und Ihrer Erfindungsgabe auf diesem Gebiet glaubt der Lord keinen besseren Ingenieur und Kapitän für sein Weltschiff finden zu können, als Sie, und wäre höchlichst erfreut, Sie für das Unternehmen gewinnen zu können.“
„Topp!“ Rief Münchhausen begeistert: „Wann reisen wir?“
„Holla!“ lachte Schultze: „Nicht so eilig, alter Freund! Sie sind ein unüberlegter Jüngling. Bedenken Sie“, fuhr er ernst werdend fort: „Das Wagnis ist mehr als kühn: Es geht auf Tod und Leben. Der Lord verfehlt nicht, dies ausdrücklich hervorzuheben: Kein Mensch kann wissen, welche Gefahren und welch ungeahnte Katastrophen dem Erdenbürger drohen, der seinen heimischen Planeten verlässt und sich über die Atmosphäre in die Leere des Weltenraums erhebt.“
„Ging es etwa in Afrika und Australien und wo wir sonst noch forschten, nicht auch auf Tod und Leben? Ahnten wir im Voraus die Gefahren, denen wir entgegengingen?“
„Wohl! Aber es waren irdische Gefahren.“
Der Kapitän zuckte die Achseln: „Hören Sie, Sie tüfteliger Professor: Todesgefahr ist Todesgefahr, ob sie nun auf der Erde oder über der Erde droht, ist meines Erachtens völlig einerlei: mehr als unser Leben können wir hier oder dort nicht verlieren. Aber wer soll noch sonst mit? Auf die Reisegesellschaft kommt bei so etwas viel an.“
„Eine große Gesellschaft wird es nicht werden: Zunächst wird die Gattin des Lords ihn begleiten.“
„Schau, schau! Mietje! Allen Respekt! Ein beherztes Frauenzimmer ist sie stets gewesen, das hat sie uns damals in Ophir zur Genüge bewiesen.“
Schultze aber fuhr fort: „Ferner Flitmores Diener, John Rieger.“
„Freut mich, freut mich! Eine edle, treue Seele und ein gelungener Mensch. Er befindet sich also immer noch in des Lords Diensten?“
„Allerdings, und er hat sich zum tüchtigen Mechaniker ausgebildet, wie ihn Flitmore als eifriger Automobilfahrer braucht. Endlich will noch mein junger Freund Heinz Friedung sich uns anschließen. Ich riet ihm vergebens ab. Er ist Feuer und Flamme für die Weltreise.“
„Hören Sie, Professor, den jungen Mann habe ich in mein Herz geschlossen, seit wir unsre Reise nach den Unnahbaren Bergen mit ihm machten. Das gibt eine famose Reisegesellschaft! Was treibt denn unser Heinz seither und wo weilt er?“
„Er hat sich auf die Sprachwissenschaften geworfen und lebt hier in Berlin als Privatdozent. Er beginnt, sich einen Namen zu machen und hat, wie er mir anvertraute, eine epochemachende Entdeckung auf seinem Gebiet gemacht, doch verrät er noch nichts Näheres davon.“
Der Diener meldete, dass der Imbiss bereitstehe.
Die Beiden tranken ihre Gläser leer und begaben sich nach dem Speisezimmer.
2. Sannah, das Weltschiff.
Eine Woche später landeten Schultze, Münchhausen und Heinz Friedung in Brighton und fuhren dann mit der Bahn nach Lord Flitmores Besitzung, die sich in der Grafschaft Sussex befand.
Ein prächtiges altes Schloss, von einem ausgedehnten Park umgeben, an den Felder, Wiesen und Waldungen stießen — ein ganzes kleines Königreich — wurde den Ankömmlingen als des Lords Residenz bezeichnet.
Von weitem schon konnte man über die Baumwipfel eine Riesenkugel emporragen sehen, die im Sonnenschein glitzerte.
„Das ist des Lords Weltschiff!“ Rief Heinz Friedung.
Schultze schüttelte den Kopf: „Dies Fahrzeug muss ein fabelhaftes Gewicht haben“, meinte er: „Wie sich Flitmore damit in die Luft erheben will oder gar über die Atmosphäre, ist mir rein unerfindlich.“
Der Kapitän aber entgegnete: „Brauchen Sie auch nicht zu erfinden, Professor! Seien Sie getrost, das Genie unsres englischen Freundes hat zweifellos die Aufgabe gelöst, sonst hätte er uns nicht zur Fahrt eingeladen.“
Lord Flitmore hatte die Gäste um diese Stunde erwartet und kam ihnen mit seiner jugendlichen Frau bis an das Parktor entgegen.
Er war ein hochgewachsener Mann mit rötlichem Backenbart. Eine ernste Würde verlieh ihm etwas Steifes, echt Englisches; doch das war nur äußerlich: Obgleich er nicht viel Worte machte und seine Begrüßung ziemlich trocken klang, merkte man doch die warme Herzlichkeit und die aufrichtige Freude heraus.
Mietje, seine Gattin, eine geborene Burin aus Südafrika, gab sich keinerlei Mühe, ihre Gefühle hinter gemessener Würde zu verbergen: Sie kam den Freunden mit strahlendem Lächeln entgegen und schüttelte allen kräftig die Hand.
Schultze und Münchhausen waren alte Bekannte des Lords von Afrika her; an Heinz wandte sich der Engländer mit den Worten:
„Sie, Herr Friedung, sind mir auch schon lange bekannt und wert, wenn ich Sie auch persönlich noch nie traf; haben Sie doch in den Schilderungen der australischen Reise meiner Freunde stets eine hervorragende und sympathische Rolle gespielt.“
Für die Ankömmlinge war ein wahres Festmahl gerichtet und sie wurden fürstlich bewirtet; dann gab es noch gar vieles zu berichten über ihre Erlebnisse und Arbeiten in der Zeit, da sie den Lord nicht mehr gesehen. Punkt zehn Uhr jedoch hielt Flitmore seine häusliche Abendandacht, worauf sich alles zur Ruhe begab.
Am andern Morgen nach dem Frühstück führte der Lord seine Gäste auf die weite Wiese, auf der die gewaltige Kugel ruhte, die schon bei ihrer Ankunft das Erstaunen unsrer Freunde geweckt hatte.
„Das also ist Ihr Luftschiff?“, bemerkte der Professor, als sie bewundernd an der mächtigen Sphäre hinaufblickten.
„Weltschiff“, verbesserte Flitmore: „Ein Luftschiff ist an die Atmosphäre gefesselt, wir aber wollen mit diesem Fahrzeug den Luftraum verlassen, wenigstens die Lufthülle, die unsern Erdball umgibt; darum können wir füglich von einem ‚Luftschiff‘ nicht mehr reden: Die ganze Welt, der unendliche Raum steht diesem Vehikel offen.“
„Sie haben recht“, gab Schultze zu. „Also ‚Weltschiff‘.“
Der Engländer aber fuhr fort:
„Ich habe übrigens meiner Kugel einen eigenen Namen gegeben. Der schöne Gedanke, den Sie hatten, Herr Kapitän, als Sie Ihr Automobil Lore tauften, hat mir eingeleuchtet, und so gab ich meiner Erfindung den Namen ‚Sannah‘.“
„Zu Ehren Ihrer liebenswürdigen Schwägerin, der mutigen Gattin unsres Freundes Doktor Leusohn in Ostafrika?“, fragte Schultze.
„Gewiss“, fiel Mietje ein: „Wir kamen beide sofort auf den Gedanken, den Namen meiner fernen Schwester für das Gefährt zu wählen, das uns auf einer Reise voll unbekannter Gefahren zur Heimat werden soll.“
„Freut mich!“ Rief Münchhausen: „Mit Sannah bin ich mit besonderer Vorliebe gereist, und ich bin überzeugt, diese neue Sannah wird ihrem Namen Ehre machen, uns Treue beweisen und die Reise so angenehm wie möglich gestalten.“
„Aus was für einem Stoff besteht eigentlich Ihr Weltschiff?“ Fragte nun Heinz Friedung: „Es glitzert ja wie Glimmer.“
„Diese schimmernde Hülle ist Flintglas“, erklärte Flitmore; „Wir müssen damit rechnen, dass wir auf unsrer Fahrt Temperaturen antreffen werden, die nicht nur unser Leben, sondern auch unser Fahrzeug vernichten könnten. Gegen die Kälte des Weltraums, die ich übrigens nicht für gar so schlimm halte, wie man meistens annimmt, schützt uns die elektrische Heizung.
Wir können aber auch durch Weltnebel und kosmische Staubwolken mit einer solchen Geschwindigkeit sausen, dass Sannah in Weißglut geriete, wie die Meteore, die in unsre Atmosphäre stürzen; das Gleiche wird ihr drohen, wenn wir uns der Sonne oder einem andern glühenden Weltkörper nähern. Ich habe daher die Hülle meines Weltschiffes genau so herstellen lassen, wie die Wandungen der feuerfestesten Kassenschränke, und auch diese Hülle noch mit dem unverbrennlichen Flintglas überkleidet, so dass wir hoffen dürfen, ohne Schaden auch längere Zeit hindurch uns den höchsten Temperaturen aussetzen zu dürfen.“
„Aber die Fenster?“ warf Schultze ein.
„Ich habe allerdings sechs große Fenster, die aus sehr dickem Glas bestehen und einen Ausblick nach allen Seiten gestatten. Unter jeder dieser Scheiben befindet sich ein mächtiges Fernrohr, da wir mit bloßem Auge meist nicht viel zu sehen bekämen. Sobald wir jedoch einer Hitze ausgesetzt würden, die meinen Fenstern gefährlich werden könnte, genügt der Druck auf einen Knopf im Innern des Schiffes, um im Augenblick sämtliche Fenster mit einem Schutzdeckel völlig dicht zu schließen, wie mit einem Augenlid.“
„Ungeheure Größenverhältnisse hat Ihr Weltschiff, das muss ich sagen!“, bemerkte der Kapitän bewundernd.
„Eigentlich sind sie gering“, erwiderte der Engländer: „Ein zeppelinsches Luftschiff zum Beispiel hat noch ganz andre Maße. Meine Kugel hat 45 Meter im Durchmesser; um den Mittelpunkt befindet sich ein Raum von 15 Metern in der Länge, Breite und Höhe, der somit 3375 Kubikmeter Rauminhalt hat. Hier sind die Reisevorräte verstaut in mehreren pyramidenförmigen Abteilungen mit der Spitze nach unten, das heißt nach dem Mittelpunkte zu.
Dieser Mittelraum bildet die Grundlage für die einzelnen Zimmer, die von ihm nach sechs Seiten hin ausstrahlen bis an die Hülle hin. Jedes dieser Zimmer, 5 Meter breit und etwa 3 Meter hoch, so dass sich allemal 5 solcher Säle übereinander befinden, deren äußerster als Wohn- und Beobachtungszimmer dient; leiterartige Treppen führen von einem Stockwerk zum andern. Die obersten Zimmer sind 15 Meter lang, die andern werden nach dem Zentrum zu etwas kürzer.
Abgesehen von den äußersten Gemächern, die sich unmittelbar unter der Wölbung der Kugelhülle befinden, bietet jede dieser dreißig Aufenthaltsgelegenheiten einen Raum von 200 bis 225, im ganzen etwas über 6000 Kubikmetern. Außer den Wohn- und Schlafzimmern habe ich hier Werkstätten eingerichtet: eine Schreinerei, eine Schmiede, ein chemisches Laboratorium; die übrigen Räume dienen abwechselnd zum Aufenthalt, wenn die verbrauchte Luft in den andern erneuert werden muss.
Die äußersten Kammern unter der Oberfläche sind durch besondere Gänge miteinander verbunden, die ich Meridiangänge benenne, weil sie gleichsam als innere Längen- und Breitengrade im Innern der Kugel verlaufen.“
„Auch außen haben Sie, scheint es, Meridiane angebracht“, bemerkte Münchhausen.
„Sie meinen die Rampen?“ fragte der Lord: „Diese kleinen Geländer, die ich für bestimmte Zwecke für vorteilhaft hielt, strahlen allerdings auch von einem Punkte aus und kreuzen sich wieder im entgegengesetzten Punkte, stellen also füglich Längengrade dar.
Den sechs Sälen, die sich unmittelbar unter der äußeren Umhüllung der Kugel befinden, gab ich aus praktischen Gründen besondere Namen: zu oberst befindet sich das Zenithzimmer, zu unterst das Antipodenzimmer; in der Mitte, dem Äquator, wenn Sie wollen, zeigt sich vor uns das Nordpolzimmer, dem hinten das Südpolzimmer entspricht; rechts das Ostzimmer, links das Westzimmer. Wie Sie sehen, verfuhr ich etwas unwissenschaftlich mit diesen Benennungen, da ich Nordpol und Südpol auf den Äquator verlegte. Aber das ist ja alles bloß Übereinkommen. Betrachten Sie die Linie, die vom Zenithzimmer über das Ost- und Antipodenzimmer zum Westzimmer läuft als Äquator, so stimmt die Sache wieder und wir haben zwei einander senkrecht schneidende Äquatorlinien, aus dem einfachen Grunde, weil meine Kugel nicht in Grade eingeteilt ist, aus der wir eine andere Bezeichnung für den Längsäquator hernehmen könnten und weil ich meine Rampenmeridiane vom Zenith- statt von einem Polzimmer ausgehen ließ.“
„Mit all den genannten Räumen aber“, warf Schultze ein, „ist der Raum Ihrer Kugel noch lange nicht ausgenützt.“
„Gewiss nicht! Mein Weltschiff hat einen Umfang von 141,3 Metern, eine Oberfläche von 6358,5 Quadratmetern und einen Inhalt von 47688,75 Kubikmetern. Rechnen wir den Raum der 30 Zimmer, der Vorratskammern und der Meridiangänge ab, auf die zusammen etwa 10000 Kubikmeter kommen, so verbleiben noch beinahe 38000 Kubikmeter; von diesen werden etwa 30000 durch die Stahlkammern ausgefüllt, die gepreßten Sauerstoff enthalten und ungefähr 8000 sind mit Ozon angefüllt; denn was wir vor allem brauchen, ist Luft, gesunde, stets erneuerte Luft.“
„Sie erwähnten vorhin die elektrische Heizung“, nahm der Kapitän wieder das Wort: „Ich darf wohl annehmen, dass auch Küche, Schmiedewerkstatt und chemisches Laboratorium nur auf elektrischem Wege geheizt werden, um jede Rauchentwicklung zu vermeiden.“
„Ganz richtig“, bestätigte Flitmore.
„Wie aber beschaffen Sie die elektrische Kraft?“
Der Lord lachte: „Sie kennen ja meine mächtigen Batterien von Afrika her, Kapitän. Aber ich gestehe ehrlich, die Hauptsache für die elektrische Speisung meiner Sannah verdanke ich Ihnen. Sie haben ja kein Geheimnis aus Ihrer wunderbaren Erfindung gemacht, dem ausgezeichneten Akkumulator, der Ihre Lore trieb. Nun, solche Akkumulatoren, System Münchhausen, nehme ich mehrere mit und erzeuge, wie Sie, die nötige Reibungselektrizität durch eine Maschine hauptsächlich mit Handbetrieb, so weit meine Batterien nicht dazu ausreichen sollten.“
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