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Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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VII.
Monsieur Michel

Der junge Mann glaubte aus einem Traume zu erwachen, als die beiden Mädchen verschwunden waren.

Er befand sich in jener Lebensepoche, wo selbst die, welche später einst, praktische Menschen zu werden berufen sind, der Romantik ihren Tribut bezahlen. Dieses Zusammentreffen mit zwei Mädchen, die von allen ihm bisher bekannten so verschieden waren, versetzte ihn in eine phantastische Welt, in welcher seine Phantasie freien Spielraum hatte, um Feenschlösser zu bauen, welche auf beiden Seiten des Weges zusammenstürzen, wenn wir im Leben weiter vorrücken.

Wir wollen damit nicht sagen, daß er eine der beiden Amazonen liebte, aber er war begierig, ihre nähere Bekanntschaft zu machen, denn diese Mischung von Schönheit, Eleganz und Ungezwungenheit machte einen ungewöhnlichen Eindruck auf ihn.

Er nahm sich daher vor, sie wieder aufzusuchen, oder sich wenigstens zu erkundigen, wer sie waren.

Der Zufall schien seine Neugierde sogleich befriedigen zu wollen, denn als er sich nach Hause begab, begegnete ihm etwa fünfhundert Schritte von dem Hohlwege ein Mann mit hohen ledernen Kamaschen, dunkelgrauer Blouse, Büchse, Waldhorn und Peitsche.

Der Mann ging schnell und schien sehr übler Laune. Es war offenbar ein Rüdenknecht von der Hetzjagd, der die beiden Mädchen folgten.

Der Verwundete redete ihn mit der größten Freundlichkeit an.

»Mein Freund,« sagte er, »Ihr sucht wahrscheinlich zwei junge Damen, von denen die eine einen Braunen und die andere eine Fuchsstute reitet?«

»Ich bin Ihr Freund nicht, mein Herr, denn ich kenne Sie nicht,« antwortete der Andere sehr unfreundlich, »ich suche auch nicht zwei junge Damen, sondern meine Hunde, die ein Einfaltspinsel von einer Wolfsfährte abgelenkt, und auf einen Hasen gehetzt hat. Der Gimpel hätte etwas Besseres thun können, als den Hasen – zu fühlen!«

Der junge Nimrod biß sich in die Lippen.

Der Mann in der Blouse, in welchem die Leser bereits; Jean Oullier erkannt haben werden, fuhr fort:

»Ja, ich habe es drüben auf der Höhe gesehen; ich hätte das Schußgeld, das mir der Herr Marquis überläßt, gern im Stich gelassen, wenn ich dem Töpel auf zwei oder drei Peitschenlängen nahe gewesen wäre.«

Der Andere hielt es nicht für angemessen, die in dieser Scene sich selbst zugedachte Rolle in Anspruch zu nehmen; er griff aus dein ganzen Gerede nur ein Wort auf, alles Uebrige; ließ er unbeachtet.

»So! Ihr gehört dem Herrn Marquis von Souday?« sagte er.

Jean Oullier sah den unwillkommenen Frager mit einem finsteren Blicke an.

»Ich gehöre mir selbst,« antwortete der alte Vendéer;, »ich führe nur die Hunde des Herrn Marquis von Souday, und zwar eben sowohl zu meinem als zu seinem Vergnügen.«

»Ich bin doch schon sechs Monate zu Hause,« sagte der junge Mann, wie mit sich selbst redend, »und habe nie gehört, daß der Herr Marquis verheirathet ist.«

»Nun, dann sage ich’s Ihnen, mein lieber Herr,« fiel, ihm Jean Oullier ins Wort, »und wenn Sie etwas darauf zu antworten haben, so werde ich Ihnen noch etwas Anderes sagen. Verstehen Sie mich?«

Jean Oullier brach das Gespräch mit diesen drohenden Worten ab, und ohne sich um das Erstaunen des Andern zu kümmern, ging er rasch auf dem Wege nach Machecoul fort.

Der junge Mann ging weiter.

Auf dem Felde fand er einen Bauer hinter dem Pflug.

Dieser Bauer, ein Mann von etwa vierzig Jahren, unterschied sich von seinen Landsleuten durch ein schlaues, lauerndes Gesicht, das den Bewohnern der Normandie eigen ist. Er schien beständig darauf bedacht zu seyn, das Feuer seiner funkelnden Augen durch unaufhörliches Blinzeln zu mildern und durch den Anschein der Dummheit, oder wenigstens der Gutmüthigkeit das Vertrauen Anderer zu gewinnen. Aber sein pfiffig lächelnder Mund vereitelte diese Bemühungen der Augen.

Der Bauer ließ sich in seiner Arbeit durchaus nicht stören, obschon der junge Mann gerade auf ihn zukam, und erst am Ende der Furche schien er geneigt, seine Pferde ruhen zu lassen und ein Gespräch anzuknüpfen.

»Nun, haben wir gejagt, Monsieur Michel?« sagte er in fast vertraulichem Tone.

Der junge Mann nahm, ohne zu antworten, seine Waidtasche von der Schulter und ließ sie vor den Füßen des Landmannes fallen.

Dieser bemerkte durch das dicke, netzartige Geflecht den Balg eines Hasen.

»Also doch etwas geschossen?« sagte er, zog den Hasen aus der Waidtasche und betastete ihn mit einer Kennermiene.

»Der ist seine drei Francs zehn Sous unter Brüdern werth,« setzte er hinzu. »Sie haben einen prächtigen Schuß gethan, Monsieur Michel. Sie werden es unterhaltender gefunden haben, als über den Büchern zu sitzen, wie vor einer Stunde.«

»Nein, Courtin,« antwortete der junge Mann, »meine Bücher sind mir doch noch lieber als eure Flinte.«

»Sie haben vielleicht Recht, Monsieur Michel,« erwiderte Courtin, über dessen Gesicht eine Wolke der Unzufriedenheit zog, »wenn Ihr seliger Vater eben so gedacht hätte, so wär’s vielleicht besser für ihn gewesen. Aber wenn ich die Mittel hätte, wenn ich kein armer Teufel wäre, der täglich zwölf Stunden arbeiten muß, so würde ich meine Nächte besser verleben, als auf der Jagd.«

»Ihr geht also noch immer auf den Anstand?«

»Ja, zuweilen, um mich zu zerstreuen.«

»Ihr werdet mit den Gendarmen zu thun bekommen.«

»Bah! die Gendarmen sind Faulenzer, sie stehen nicht früh genug auf, um mich auf dem Anstande zu finden,« erwiderte Courtin mit dem vollen Ausdrücke der Schlauheit, den er seinem Gesichte gewöhnlich zu geben suchte. »Ich gebe allen sogenannten klugen Leuten etwas aufzurathen. Es ist nur ein Courtin hier in Canton. Wenn man mich zum Waldhüter machte, wie Jean Oullier, würde ich nicht mehr auf den Anstand gehen: dies wäre das einzige Mittel.«

Aber Monsieur Michel gab auf diesen verblümten Antrag keine Antwort: er wußte ja nicht einmal, wer Jean Oullier war.

»Hier ist eure Flinte, Courtin,« sagte er, indem er dem Bauer das Gewehr reichte, »ich danke Euch, es ist nicht eure Schuld, wenn ich auf der Jagd nicht so viel Vergnügen finde, wie Andere.«

»Müssen’s noch versuchen, Monsieur Michel, werden schon Geschmack daran finden. Die besten Hunde sind die, welche erst spät ihr Talent zeigen. Es gibt Feinschmecker, die dreißig Dutzend Austern zum Frühstücke essen und mit zwanzig Jahren nicht einmal Austern sehen mochten. Gehen Sie nur, wie diesen Morgen, mit einem Buche in der Hand fort; die Frau Baronin wird nichts merken. Meine Flinte steht Ihnen immer zu Diensten, und wenn’s nicht zu viel Arbeit gibt, so will ich Ihnen das Wild zutreiben.«

Courtin schob nun die Flinte in die Hecke, welche sein Feld von dem Nachbarfelde trennte, versteckte sie im Grase und richtete die Zweige wieder auf so daß sie den Blicken der Vorübergehenden entzogen wurde.

»Courtin,« sagte Michel mit dem Tone der größten Gleichgültigkeit, »habt Ihr gewußt, daß der Marquis von Souday verheirathet ist?«

»Nein, wahrhaftig nicht, ich habe es nicht gewußt,« antwortete der Bauer.

»Und daß er zwei Töchter hat?« fragte Jener weiter.

Courtin, der noch mit der Hecke zu thun hatte, hob rasch den Kopf und sah den jungen Mann so forschend an, daß dieser bis über die Ohren erröthete.

»Sind Ihnen etwa die Wölfinnen begegnet?« fragte Courtin. »Ich habe das Horn des alten Chouan gehört.«

»Wen meint Ihr mit den Wölfinnen?« fragte Michel.

»Die unehelichen Töchter des Marquis – wen denn sonst?«

»Diese beiden Mädchen nennt Ihr Wölfinnen

»Man pflegt sie in der ganzen Gegend so zu nennen; aber Sie sind erst vor Kurzem von Paris gekommen und können es nicht wissen.«

Die Grobheit, mit welcher Courtin von den beiden Mädchen sprach, setzte den jungen Mann so in Verlegenheit, daß er, ohne zu wissen warum, mit einer Lüge antwortete.

»Nein,« sagte er, »sie sind mir nicht begegnet.«

Courtin bemerkte seine Verlegenheit; er glaubte ihm nicht.

»Ich hätte es Ihnen wohl gewünscht,« sagte er, »denn es sind zwei hübsche Mädchen. Sie sollen zwar ein Bisschen allzu lustig seyn; aber die Jugend muß doch ihr Vergnügen haben, nicht wahr, Monsieur Michel?«

Der junge Mann wurde sehr verstimmt über die empörende Nachsicht, mit welcher der plumpe Bauer von den beiden reizenden Amazonen sprach. Er verhehlte seinen Verdruß nicht.

Courtin bezweifelte nun nicht mehr, daß Michel die »Wölfinnen«, wie er sie nannte, gesehen hatte, und dieses Läugnen führte ihn zu Vermuthungen, die keineswegs gegründet waren. Er wußte, daß der Marquis von Souday vor wenigen Stunden in der Nähe von La Logerie gewesen war, und es schien ihm mehr als wahrscheinlich, daß Bertha und Mary, die auf der Jagd immer bei ihrem Vater zu seyn pflegten, dem jungen Wilddiebe begegnet waren. Vielleicht hatte Michel sogar mit ihnen gesprochen, und nach der Meinung, die man von den Töchtern des Marquis hatte, konnte eine Unterredung mit ihnen nur der Anfang einer Intrigue seyn.

Courtin war Pächter des jungen Gutsherrn, aber das Feld, welches er bebaute, war für ihn Nebensache, er wollte ihm näher stehen, sich unentbehrlich machen, und zu diesem Zwecke bot der schlaue Bauer alle möglichen Mittel auf.

Es war ihm nicht gelungen, seinen jungen Herrn zum leidenschaftlichen Jäger zu machen und dadurch mit seiner Mutter zu entzweien. Jetzt bot sich ihm eine andere Gelegenheit, der Vertraute Michels zu werden und dadurch sein eigenes Interesse zu fördern. Er sah ein, daß er unklug gehandelt hatte, von den beiden Amazonen mit Geringschätzung zu sprechen, und suchte mit der ihm eigenen Schlauheit und Gewandtheit das verlorene Terrain wieder zu gewinnen.

»Uebrigens,« fuhr er mit scheinbarer Gutmüthigkeit fort, »kann man nicht Alles glauben, was die Leute von Fräulein Bertha und Fräulein Mary sagen —«

»Mary und Bertha heißen sie?« fragte der junge Mann, ihm hastig ins Wort fallend.

 

»Ja; Fräulein Bertha ist die Brünette, Fräulein Mary die Blondine.«

Er glaubte zu bemerken, daß der junge Gutsherr etwas erröthete, als der Name Mary genannt wurde.

»Die beiden Fräulein,« setzte Courtin hinzu, »jagen und reiten gern. Aber man kann deshalb doch ehrbar und tugendhaft seyn. Der selige Pfarrer in Benate war ein leidenschaftlicher Jäger, aber trotzdem las er schöne Messen.«

»Es ist wahr,« erwiderte Michel, der seine erste Aussage ganz vergessen hatte, »es ist wahr, sie scheinen recht gut und liebenswürdig zu seyn – insbesondere Fräulein Mary.«

»Ja, sie sind sehr gut, Monsieur Michel. Als im vorigen Sommer das Sumpffieber ausgebrochen war und alle Aerzte und Bader, ja sogar die Thierärzte Reißaus genommen hatten – wer hat da die Kranken gepflegt und ihnen Arzneien gebracht? Die beiden Fräulein von Souday! Und sie thun’s nicht, um damit zu prahlen; nein, sie gehen insgeheim zu den armen Leuten, sie säen Almosen und ernten Segenswünsche. Die reichen Leute mögen sie immerhin hassen, die Vornehmen sie verachten, aber man kann dreist behaupten, daß sie von den Armen verehrt werden.«

»Woher kommt es denn, daß sie so gehaßt und verachtet werden?«

»Das weiß kein Mensch zu sagen; man folgt ja gemeiniglich nur der blinden Leidenschaft und nicht der Vernunft. Die menschliche Gesellschaft ist wie ein Schwarm Vögel: wenn einer darunter krank ist und piept, so fallen sie alle über ihn her und reißen ihm die Federn aus. Und gerade die Leute ihres Standes wenden sich von ihnen ab und werfen den ersten Stein auf sie. Ihre Mama, zum Beispiel, ist sehr gut, Monsieur Michel; aber ich wette, sie würde von den beiden Fräulein eben so schlecht sprechen, wie andere Leute, wenn die Rede darauf käme.«

Aber ungeachtet des veränderten Tones, den Courtin anstimmte, schien der junge Gutsherr nicht geneigt, sich in ein trauliches Gespräch einzulassen Courtin war seinerseits der Meinung, daß er der gehofften Annäherung genügend den Weg gebahnt. Er begleitete den jungen Herrn bis an das Ende seines Feldes.

Und während er schweigend neben ihm her ging, bemerkte er, daß die Blicke des jungen Gutsherrn sehr oft nach dem Walde von Machecoul hinüberschweiften.

VIII.
Die Baronin de La Logerie

Während Courtin seinem jungen Herrn den Schlagbaum öffnete, wurde Michel von einer weiblichen Stimme gerufen.

Er stand etwas betroffen still.

Gleich darauf kam eine Dame hinter der Hecke hervor.

Mit dieser Dame, welche vierzig bis fünfundvierzig Jahre alt war, müssen wir den Leser näher bekannt machen.

Ihr Gesicht war gemein und ohne Ausdruck; der einzige hervorstechende Charakterzug war ein affectirter Dünkel, der zu ihrer kleinen beleibten Gestalt nicht recht paßte. Ihr seidenes Kleid machte zu viel Prunk auf dem freien Felde, und hätte sie nicht einen großen Strohhut getragen, so hätte man glauben können, sie habe eben einen Besuch in der Vorstadt Saint-Honoré gemacht.

Es war die Person, deren Vorwürfe der arme »Monsieur Michel« so gefürchtet hatte.

»Du bist hier, Michel!« sagte sie.

»Du bist sehr rücksichtslos gegen deine Mutter! Es hat schon vor einer halben Stunde zur Tafel geläutet. Du weißt doch, wie ungern ich warte und wie sehr ich auf die Hausordnung halte – und ich finde Dich im vertraulichen Gespräch mit diesem Bauer!»

Michel begann eine Entschuldigung zu stammeln; aber der Scharfblick der Mutter bemerkte das mit Blut befleckte Schnupftuch, welches um seinen Kopf gebunden war und von dem breiten Rande seines Strohhutes nicht genügend bedeckt wurde.

»Was! Du bist verwundet!« fuhr sie noch lauter als bisher in ihrer Strafpredigt fort. »Was ist denn geschehen? Sprich, Du siehst ja, daß ich vor Ungeduld sterbe!»

Sie stieg nun mit einer Schnelligkeit und Behendigkeit, die man von einer so beleibten Dame nicht erwartet hätte, über die Hecke, und ehe es ihr Söhnlein hindern konnte, riß sie ihm den Hut sammt dem Schnupftuch vom Kopf.

Die Wunde fing wieder an zu bluten.

»Monsieur Michel«, wie ihn Courtin zu nennen pflegte, war ganz verblüfft und wußte nicht was er antworten sollte.

Courtin kam ihm zu Hilfe.

Der pfiffige Bauer schloß aus der Verlegenheit seines jungen Herrn, daß dieser seiner Mutter den Jagdfrevel nicht gern gestehen wollte und gleichwohl Bedenken trug, sich durch eine Lüge zu entschuldigen. Courtin hatte nicht dieselben Bedenklichkeiten wie der junge Gutsherr und er nahm die Sünde, welche Michel nicht begehen wollte, entschlossen auf sein Gewissen.

»O! die Frau Baronin dürfen sich nicht ängstigen,« sagte er, »es hat gar nichts zu bedeuten.«

»Aber was ist ihm denn geschehen? Antwortet für ihn, Courtin; mein Sohn scheint keine Auskunft geben zu wollen.«

Monsieur Michel blieb wirklich sprachlos.

»Sie sollen es sogleich erfahren, Frau Baronin,« antwortete Courtin. »Ich hatte hier vom Ausputzen der Bäume und Hecken ein Bündel Reiseholz; es war zu schwer, ich konnte es nicht allein auf meine Schultern heben – Monsieur Michel; war so gütig mir zu helfen, und ein Ast ritzte ihm die Stirn —«

»Es ist ja eine tiefe Wunde!« unterbrach ihn die Baronin. »Ihr hättet ihm ein Auge ausstoßen können. Ein andermal, Courtin, sehet Euch nach Euresgleichen um, wenn Ihr Holz zu tragen habt; versteht Ihr mich? Es ist sehr unschicklich von Euch, meinem Sohne so etwas zuzumuthen!«

Courtin schlug bescheiden die Augen nieder, als ob er die ganze Größe seiner Missethat eingesehen hätte; aber diese scheinbare Zerknirschung hielt ihn nicht ab, die Jagdtasche mit dem Hasen, die noch im Grase lag, mit dem Fuß unter die Hecke zu schieben.

»Komm, mein Sohn!« sagte die Baronin, deren Aerger durch die Demuth des Bauers nicht beschwichtigt zu seyn schien, »wir wollen die Wunde vom Arzt untersuchen lassen.«

Als sie einige Schritte gegangen war, sah sie sich um.

»Apropos, Courtin,« sagte sie, »Ihr habt euren Pachtzins von Johannis noch nicht bezahlt. Vergeßt nicht, daß euer Pachtcontract zu Ostern abläuft; denn saumselige Pächter will ich nicht behalten.«

Courtins Gesicht wurde noch kläglicher, aber es erheiterte sich wieder, als ihm Michel, während seine Mutter weit langsamer als das erste Mal über die Hecke stieg, verstohlen die Hand drückte und zuflüsterte:

»Morgen sprechen wir uns.«

Er begann nun wieder ganz wohlgemuth zu ackern und die »Parisienne« zu singen.

Während Courtin das damals sehr beliebte patriotische Lied zur großen Befriedigung seiner Pferde singt, wollen wir die freundlichen Leier mit der Gutsherrschaft näher bekannt machen.

Die Baronin de La Logerie war die Witwe eines jener Armeelieferanten, die auf Kosten des Staates schnell ein bedeutendes Vermögen erwarben und von den Soldaten den sehr treffenden Spitznamen, »riz-pain-sel« (Reis, Brot, Salz) erhalten hatten.

Dieser Armeelieferant hieß mit seinem Familiennamen Michel; er war ein Bauerssohn aus dem Département der Mayenne und Neffe eines Dorfschulmeisters, der ihn lesen, schreiben und insbesondere rechnen lehrte und dadurch den Grund zu dem künftigen Glücke seines Neffen legte.

Im Jahre 1791 zum Kriegsdienste einberufen, hatte der junge Bauer sehr wenig Begeisterung an den Tag gelegt: er hatte bereits in der Wahrscheinlichkeitsberechnung, ob er mehr Aussicht habe, todtgeschossen oder General zu werden, Beweise von seinen speculativen Talenten gegeben. Das Resultat seiner Berechnung hatte ihn nämlich nicht befriedigt, und er machte seine hübsche Handschrift geltend, um im Bureau des Quartiermeisiers Schutz gegen den Kugelregen zu finden. Sein Wunsch wurde erfüllt, und er freute sich eben so wie mancher andere Soldat, der Offizier wird.

Michel, der Vater, machte also die Feldzüge von 1792 und 1793 im Depot mit.

Der General Rossignol, der in die Vendée geschickt wurde, um die Ruhe herzustellen oder die Aufständischen zu vernichten, kam zufällig mit dem Rechnungsbeamten Michel in Berührung, er erfuhr von diesem, daß er ein Vendéer sey und viele Freunde in den feindlichen Reihen habe. Um diesen sehr günstigen Umstand zu benutzen, entließ er Michel mit dem Auftrage, unter den Chouans Dienste zu nehmen und von Zeit zu Zeit für ihn zu thun, was Maurepas für Ludwig XV. gethan hatte, nämlich ihn von allen wichtigen Operationen in Kenntnis zu setzen. Michel, der großen Vortheil dabei fand, hielt sein Versprechen nicht nur dem General Rossignol, sondern auch dessen Nachfolgern.

Während Michel mit den republicanischen Generalen correspondirte, kam der General Travot in die Vendée. Das Resultat der Operationen dieses Generals ist in den ersten Capiteln dieser Erzählung erwähnt worden. Das Heer der Vendéer ward verrathen. Jolly fiel im Kampfe. Charette wurde im Walde von La Chabotière gefangen und zu Nantes erschossen.

Was für eine Rolle Michel in diesem furchtbaren Drama; spielte, werden wir vielleicht später erfahren; kurz, einige Zeit nach jener blutigen Katastrophe kam Michel, der geschickte Rechner, in das Bureau eines großen Armeelieferanten.

In diesem neuen Wirkungskreise rückte er rasch vor, denn im Jahre 1805 hatte er einen Theil der Lieferungen für die deutsche Armee auf eigene Rechnung übernommen.

Im Jahre 1806 nahmen die Schuhe und Kamaschen einen thätigen Antheil an dem Feldzuge gegen Preußen. 1809 erhielt er die gänzliche Verpflegung der in Spanien einrückenden Armee. 1810 heirathete er die einzige Tochter eines Collegen und verdoppelte so sein Vermögen.

Außerdem verlängerte er seinen Namen. Sein Schwiegervater hieß nämlich Baptist Duland und war aus dem kleinen Dorfe La Logerie gebürtig; er nannte sich daher Duland de La Logerie. Er hatte seine Tochter in den besten Instituten zu Paris unter dem Namen Stephanie Duland de La Logerie erziehen lassen.

Der Lieferant Michel fand, daß sich der Name seiner Frau als Anhängsel an dem seinigen sehr hübsch ausnehme; er nannte sich Michel de La Logerie. Endlich gestattete ihm ein mit schwerem Gelde erkaufter Titel, sich Baron Michel de La Logerie zu nennen und so seinen Platz unter der Geld- und Landaristokratie einzunehmen.

Einige Jahre nach der Rückkehr der Bourbons, nämlich 1819 oder 1820, verlor der Baron Michel de La Logerie seinen Schwiegervater.

Baptist Duland de La Logerie hinterließ seiner Tochter und folglich seinem Schwiegersohne das Gut La Logerie, welches etwa fünf Stunden von dem Walde von Machecoul entfernt war.

Der Baron Michel de La Logerie beschloß in Gnaden; von seinem Gute Besitz zu nehmen und sich seinen Vasallen zu zeigen.

Der Baron Michel war klug und ehrgeizig; er wollte Mitglied der Deputirtenkammer werden. Seine Wahl hing aber von der Popularität ab, die er sich im Département der Niederloire erwerben würde.

Er war von Geburt ein Bauer, hatte fünfundzwanzig Jahre unter Bauern gelebt und wußte diese daher zu behandeln. Ueberdies war er ein recht gutmüthiger Mann. Er fand einige Cameraden aus dem alten Vendéekriege, begrüßte sie mit einem warmen Händedruck, sprach mit Thränen von dem Tode Jolly’s und Charette’s, fragte nach den Wünschen und Bedürfnissen der Gemeinde, ließ eine Brücke bauen, welche den Verkehr mit dem Département der Vendée wesentlich erleichterte, ließ drei Verbindungswege ausbessern und eine Kirche bauen, errichtete ein Waisenhaus und ein Spital für hilfsbedürftige Greise. Diese patriarchalische Rolle gefiel ihm so wohl, daß er seinen Unterthanen ankündigte, er werde nur sechs Monate in der Hauptstadt leben, die anderen sechs Monate aber in seinem Schlosse La Logerie wohnen.

Endlich aber gab er doch den Bitten seiner in Paris zurückgebliebenen Frau nach und beschloß nächsten Montag nach der Hauptstadt abzureisen; am Sonntage sollte in dem großen Heidewaide eine Treibjagd nach Wölfen gehalten werden. Die Ausrottung der Raubthiere war ein menschenfreundliches Werk, an welchem der Baron Michel de La Logerie gern theilnahm.

Bei dieser Treibjagd gab der Baron Michel, wie bei jeder anderen Gelegenheit, Beweise seiner Freigebigkeit: er sorgte für die Erfrischungen, und zwei mit Wein und kalter Küche beladene Karren, welche den Jägern nachgeführt wurden, waren zu Jedermanns Verfügung.

Die Treiber sollten Abends glänzend bewirthet werden, und in seiner Bescheidenheit lehnte er sogar den Ehrenplatz unter den Schützen ab. Er wollte das Loos entscheiden lassen, und als ihm der Zufall einen Platz am äußersten Ende der Schützenlinie zuwies, ertrug er dieses Mißgeschick mit einer Heiterkeit, welche die übrigen Schützen entzückte.

Die Treibjagd war glänzend; es kam so viel Wild, daß die Schützen ein förmliches Rottenfeuer eröffneten. Die erlegten Wölfe und Wildschweine bildeten bald hohe Haufen auf den Karren neben den Weinfässern des Barons. Die Contrebande, die an Hasen und Rehböcken gemacht wurde, versteckten die Schützen, um sie nach Einbruch der Nacht abzuholen.

 

Der Freudentaumel war so groß, daß man den Baron Michel, der den ganzen Tag nicht zum Vorschein gekommen war, erst gegen Abend vermißte. Man fragte nach ihm: Niemand hatte ihn seit dem ersten Treiben, in welchem er am äußersten Ende der Schützenlinie gestanden, wiedergesehen. Man vermuthete, er habe die Jagdlust verloren oder sey in übertriebenem Eifer für die Bewirthung seiner Gäste in das Städtchen Légé gegangen, wo er den Abendschmaus bestellt hatte.

Aber die Jäger fanden ihn nicht in Légé. Die sorglosesten unter ihnen setzten sich zu Tische; aber einige Schützen, die ein Unglück ahnten, begaben sich mit Fackeln und Laternen in den Wald zurück.

Nach langem fruchtlosen Suchen fand man ihn in einem Graben. Er war todt, eine Kugel hatte sein Herz durchbohrt.

Die Sache machte großes Aufsehen. Die Gerichtsbehörde zu Nantes leitete eine Untersuchung ein, und der Schütze, welcher dem Baron zunächst gestanden, wurde sogleich verhaftet.

Er erklärte, nichts gesehen oder gehört zu haben, denn er sey von dem Baron durch eine Ecke des Waldes getrennt gewesen. Es wurde überdies bewiesen, daß das Gewehr des Angeklagten den ganzen Tag nicht abgeschossen worden war; er hätte den Baron auch nur von der rechten Seite treffen können, und die Kugel war ihm in die linke Seite gedrungen.

Die Untersuchung wurde eingestellt; man vermuthete, er sey von einer abgeprallten Kugel getroffen worden.

Allein es ging in der Umgegend lange das Gerücht, der Baron Michel sey ein Opfer der Rache geworden. Man munkelte, einer der alten Soldaten Jolly’s oder Charette’s habe den unglücklichen Lieferanten zur Strafe für seine Verrätherei erschossen; aber es waren zu viele Leute an dieser Angelegenheit betheiligt und es wurde nie eine Anklage erhoben.

Die Baronin Michel de La Logerie war also Witwe. Sie besaß, wie so viele Frauen der höheren Stände, weder Tugenden noch Laster, noch Leidenschaften. Sie war im Alter von siebzehn Jahren an den Ehestandspflug gespannt worden und in der Furche gegangen, ohne an eine Ausschreitung zu denken, ja ohne sich zu fragen, ob es einen andern Weg gebe. Als sie des Joches entledigt war, fürchtete sie sich vor ihrer Freiheit und sah sich instinctmäßig nach neuen Fesseln um.

Diese neuen Fesseln fand sie in einer übertriebenen, irregeleiteten, wenn auch aufrichtigen Frömmigkeit. Sie hielt sich für eine Heilige, weil sie sehr regelmäßig die Kirche besuchte und gewissenhaft fastete; wer ihr gesagt hätte, daß sie täglich siebenmal sündige, würde sie sehr in Erstaunen gesetzt haben. Und doch wäre dieser Vorwurf vollkommen gegründet gewesen: sie sündigte unaufhörlich gegen das Gebot der christlichen Demuth; denn wie wenig Ursache sie auch dazu hatte, so trieb sie doch den Adelstolz bis zur Verrücktheit.

Diese Schwäche war dem schlauen Courtin wohlbekannt; wir haben gesehen, daß er ihren Sohn schlechtweg »Monsieur Michel,« sie aber »Frau Baronin« nannte.

Die Baronin de La Logerie hatte natürlich einen Abscheu vor dem Zeitgeiste und dem Fortschritte. So oft als sie die Gerichtsverhandlungen in der Zeitung las, gab sie dem Zeitgeist die tiefste Sittenverderbniß schuld. Nach ihrer Behauptung hatte das eiserne Zeitalter mit dem Jahre 1800 begonnen. Es war daher ihre größte Sorge, ihren Sohn gegen die verderblichen Wirkungen des Zeitgeistes zu schützen und jede Berührung mit der bösen Welt zu meiden. Zu dem Besuche öffentlicher Lehranstalten wollte sie ihre Zustimmung durchaus nicht geben, und selbst die Anstalten der Jesuiten schienen ihr nicht genügend abgesperrt gegen die äußere Welt. Sie selbst wollte seine Studien leiten und seine Ideen in eine Bahn lenken, welche nach ihrer Meinung allein heilbringend war, und der nothwendige Unterricht in Wissenschaften und Künsten durfte nur in ihrer Gegenwart und nach einem von ihr gutgeheißenen Programme ertheilt werden.

Es bedurfte wirklich einer starken Dosis gesunden Verstandes, um das jugendliche Gehirn aus dieser zehn Jahre langen Tortur gesund und frisch hervorgehen zu lassen.

Aber ganz ohne Folgen war diese Tortur doch nicht geblieben: es fehlte dem jungen Baron die Willenskraft und Entschlossenheit, die des Mannes Würde zeigt.

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