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Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3

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Ange Pitou Denkwürdigkeiten eines Arztes 3
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Erstes bis viertes Bändchen

I.
Worin der Leser Bekanntschaft mit dem Helden dieser Geschichte und mit dem Orte, wo er zuerst das Tageslicht erblickte, machen wird

An der Grenze der Picardie und des Soissonais, auf jenem Teile des Nationalgebietes, der unter dem Namen Ile-de-France zum alten Erbgut der französischen Könige gehörte; in der Mitte eines ungeheuren Halbmondes, den ein Wald von fünfzigtausend Morgen bildet, erhebt sich im Schatten eines von Franz I. und Heinrich II. gepflanzten ungeheuren Parkes das Städtchen Villers-Cotterets, berühmt als Geburtsort von Charles Albert Demoustiers, der hier zur großen Zufriedenheit der hübschen Frauen jener Zeit seine Briefe an Emilie über die Mythologie schrieb, bei deren Erscheinen die Leserinnen sich förmlich darum rissen.

Um den poetischen Ruf dieses Städtchens zu vervollständigen, dem seine Verleumder, trotz seines königlichen Schlosses und seiner zweitausendvierhundert Einwohner hartnäckig den Namen Marktflecken geben, fügen wir bei, daß es zwei Meilen von Laferté-Milon, dem Geburtsorte von Racine, und acht Meilen von Chateau-Thierry, dem Geburtsorte von Lafontaine, liegt; auch führen wir ferner an, daß die Mutter des Verfassers von Britannicus und Athalia von Villers-Cotterets war.

Kehren wir nun zu seinem königlichen Schloß und zu seinen zweitausendvierhundert Einwohnern zurück.

Angefangen von Franz I., dessen Salamander es bewahrt, und vollendet von Heinrich II., dessen Namenszug es verschlungen mit dem von Katharina von Medicis und umkreist von den drei Halbmonden von Diana von Poitiers führt, war dieses Schloß, nachdem es die Liebschaften des ritterlichen Königs mit Frau von Etampes und die von Louis Philipp von Orleans mit der schönen Frau von Montesson beschützt hatte, beinahe unbewohnt seit dem Tode des letzteren Prinzen, da es sein Sohn, Philipp von Orleans, später Egalité genannt, von dem Range einer fürstlichen Residenz zu dem eines Jagdrendezvous hatte herabsinken lassen.

Bekanntlich bildete das Schloß und der Wald von Villers-Cotterets einen Teil der Apanagen, die Ludwig XIV. seinem Bruder Monsieur gab, als der Sohn von Anna von Österreich die Schwester von König Karl II., Madame Henriette von England heiratete.

Was die zweitausendvierhundert Einwohner betrifft, so waren sie, wie überall, wo sich zweitausendvierhundert Individuen beisammen finden, ein Gemisch:

1. Von einigen Adeligen, die den Sommer in ihren Schlössern und den Winter in Paris zubrachten, und die, um den Prinzen nachzuäffen, nur ein Absteigequartier in der Stadt hatten.

2. Von einer großen Anzahl von Bürgern, die man, wie auch das Wetter sein mochte, einen Regenschirm in der Hand, aus ihren Häusern weggehen sah, um nach dem Mittagessen ihren täglichen Spaziergang zu machen, der regelmäßig sein Ziel an einem, den Park vom Walde trennenden, eine Viertelmeile von der Stadt liegenden breiten Graben fand, welchen man ohne Zweifel wegen des Ausrufs, den sein Anblick der Brust der Asthmatischen entlockte, die darüber zufrieden waren, daß sie einen so langen Weg zurückgelegt, ohne zu sehr atemlos geworden zu sein, den Haha nannte.

3. Von einer Menge von Handwerksleuten, die die ganze Woche arbeiteten und sich nur Sonntags den Spaziergang erlaubten, dessen sich ihre mehr vom Glück begünstigten Mitbürger alle Tage erfreuten.

4. Und endlich von einigen elenden Proletariern, für die die Woche nicht einmal einen Sonntag hatte und die, nachdem sie sechs Tage im Lohne entweder der Adeligen oder der Bürger, oder sogar der Handwerker gearbeitet, sich am siebenten im Forste verbreiteten, um hier das dürre oder abgebrochene Holz zu sammeln, das der Sturm zerstreut auf den düstern, feuchten Boden des Hochwaldes, der herrlichen Apanagen des Prinzen, warf.

Zur Zeit, wo diese Geschichte beginnt, waren die königlichen Besitztümer, obschon sehr wankend, noch nicht bis zu dem Grade in Zerfall geraten, wie gegenwärtig. Allerdings war das Schloß nicht mehr von einem Prinzen, aber auch nicht von andern Leuten bewohnt; es stand ganz leer und hatte als Mietsleute nur die für seine Unterhaltung unerläßlichen Personen, unter denen man den Hausmeister, den Ballmeister und den Kastellan bemerkte; alle Fenster des ungeheuren Gebäudes, die teilweise nach dem Park, teilweise nach einem Platz gingen, den man aristokratisch den Schloßplatz nannte, waren geschlossen, was noch dessen Traurigkeit und Einsamkeit vermehrte.

An dem einen Ende des Platzes erhob sich ein Häuschen, von dem man gleichsam nur den Rücken sah. Aber wie bei gewissen Personen, hatte dieser Rücken den Vorzug, daß es die vorteilhafteste Partie seiner Individualität war. Die Fassade, die sich nach der Rue des Soissons, einer der Hauptstraßen, durch ein ungeschickt gewölbtes Thor öffnete, das verdrießlicherweise von den vierundzwanzig Stunden des Tags achtzehn verschlossen war, stellte sich in der That lachend und heiter auf der entgegengesetzten Seite dar. Auf dieser Seite fand sich nämlich ein Garten, über dessen Mauern die Gipfel der Kirsch-, Apfel- und Pflaumenbäume emporragten, während auf jeder Seite einer kleinen Thüre, die Ausgang nach dem Platze und Eingang in den Garten gewährte, zweihundertjährige Akazien sich erhoben, die im Frühjahr ihre Arme über die Mauer auszustrecken schienen, um im ganzen Umfang ihres Blätterwerks den Boden mit ihren wohlriechenden Blüten zu bestreuen.

Dieses Haus bewohnte der Schloßkaplan, der, während er zugleich den Gottesdienst in der herrschaftlichen Kirche versah, wo man, trotz der Abwesenheit des Gebieters, alle Sonntage Messe las, auch eine kleine Pension hielt, mit der durch eine besondere Gunst zwei Stipendien, eines für das College du Plessis, das andere für das Seminar von Soissons, verbunden waren. Es versteht sich von selbst, daß die Familie Orleans die Kosten dieser zwei Stipendien trug, von denen das des Seminars vom Sohn des Regenten, das des College vom Vater des Prinzen gestiftet worden war, und daß diese zwei Stipendien den Gegenstand der Ehrbegierde der Eltern und die Verzweiflung der Zöglinge bildeten, für die sie eine Quelle außerordentlicher Kompositionen waren, die an den Donnerstagen jeder Woche stattfanden.

An einem Donnerstag des Juli 1789 nun, einem ziemlich düsteren, stürmischen Tag, als es in dem spitzigen, mit Schiefer bedeckten Glockenturme der Stadt elf Uhr schlug, erscholl ein Hurrah, so durchdringend, wie wenn es von einem ganzen Regiment Trabanten ausgestoßen würde. Die zwischen den Akazien angebrachte Thüre öffnete sich und ließ einen Kinderstrom durch, der sich auf dem Platze verbreitete, wo sich sogleich fünf bis sechs muntere, lärmende Gruppen bildeten, und zwar die einen um einen zum Zurückhalten der gefangenen Kreisel bestimmten Ring, die anderen vor einem mit weißer Kreide gezeichneten Mühlenspiel, wieder andere vor mehreren regelmäßig ausgegrabenen Löchern, in denen eine Kugel gewinnen oder verlieren machte.

Zu gleicher Zeit, wenn die spielenden Schüler, die von den Nachbarn, deren spärliche Fenster auf den Platz gingen, mit dem Namen schlechte Subjekte bezeichnet wurden, und die in der Regel in Hosen mit Löchern an den Knieen und in Wämser mit zerrissenen Ellbogen gekleidet waren, auf dem Platze erschienen, sah man auch die sog. vernünftigen Schüler, die, nach der Behauptung der Gevatterinnen, die Freude und den Stolz ihrer Eltern bilden mußten, sich von der Masse trennen und auf verschiedenen Straßen mit langsamem Schritt, ihren Korb in der Hand nach dem väterlichen Hause zurückkehren, wo Butterbrötchen oder kleine Kuchen mit Eingemachtem, als Entschädigung dafür, daß sie auf die Spiele verzichteten, ihrer harrten. Diese waren im allgemeinen mit Wämsern in ziemlich gutem Zustand und mit ungefähr tadellosen Hosen bekleidet, was sie aber mit ihrer so sehr belobten Weisheit zu Gegenständen des Spottes oder sogar des Hasses für ihre minder gut bekleideten und besonders minder gut disziplinierten Gefährten machte.

Außer den zwei genannten Klassen, der spielenden und vernünftigen Schüler, bestand noch eine dritte, der trägen Schüler, die beinahe nie mit den andern herauskamen, um auf dem Schloßplatz zu spielen oder nach dem väterlichen Hause zurückzukehren, und zwar deswegen, weil diese unglückliche Klasse beinahe beständig zurückgehalten blieb. Während ihre Kameraden, nachdem sie ihre Übersetzungen und Aufgaben gemacht, mit dem Kreisel spielten oder Törtchen aßen, blieben diese Schüler an ihre Bänke oder vor ihre Pulte gefesselt, um während der Erholungsstunden die Uebersetzungen und Aufgaben zu machen, die sie während der Klasse nicht gemacht hatten, wenn nicht gar die Gewichtigkeit ihres Fehlers dem Zurückbehalten die höhere Strafe der Peitsche, der Rute oder der Schulgeißel beifügte.

An jenem Donnerstag nun ertönte eine mächtige Stimme von der Treppe herab in den Hof des Gebäudes, während ein Schüler, den unsere Geschichtsschreiber-Unparteilichkeit in die dritte Klasse, das heißt in die Klasse der Faulen einzureihen uns zwingt, hastig die Stufen herab stieg und dabei mit den Schultern die Bewegung machte, welche die Esel anwenden, um ihren Reiter abzuwerfen, und die Schüler, die einen Geißelhieb bekommen haben, um den Schmerz abzuschütteln.

»Ah! Unglücklicher, ah! kleiner Ausbund,« sagte die Stimme, »ah, Otterngezücht, entferne dich, gehe vade, vade. Erinnere dich, daß ich drei Jahre geduldig gewesen bin, daß es aber Bursche giebt, welche die Geduld des ewigen Vaters ermüden. Heute ist es vorbei und zwar ganz vorbei. Nimm deine Eichhörnchen, nimm deine Frösche, nimm deine Eidechsen, nimm deine Seidenwürmer, nimm deine Maikäfer und gehe zu deiner Tante, gehe zu deinem Oheim, wenn du einen hast, zum Teufel, kurz, wohin du willst, wenn ich dich nur nicht wiedersehe! Vade, vade

»O mein guter Herr Fortier, verzeihen Sie mir, erwiderte auf der Treppe eine andere Stimme; ist es denn der Mühe wert, daß Sie so in Zorn geraten über einige armselige kleine Sprachfehler, Solécismen, wie sie es nennen?«

 

»Drei Barbarismen und sieben Solécismen in einem Thema von fünfundzwanzig Zeilen!« entgegnete die zornige Stimme.

»Das war heute so,« Herr Abbé, »ich gebe zu, der Donnerstag ist mein Unglückstag; wäre aber zufällig morgen meine Aufgabe gut, würden Sie mein heutiges Mißgeschick nicht verzeihen? sprechen Sie, Herr Abbé.«

»Seit drei Jahren wiederholst du mir alle Kompositionstage dasselbe, Taugenichts; und die Prüfung ist auf den ersten November festgesetzt und ich, der ich auf die Bitte deiner Tante Angélique die Schwäche gehabt habe, dich als Kandidat für das in diesem Augenblick beim Seminar von Soissons erledigte Stipendium aufzuführen, ich werde die Schmach erleben, meinen Zögling zurückweisen zu sehen und überall ausrufen zu hören: Ange Pitou ist ein Esel: Angelus Pitovius asinus est

Bemerken wir sogleich, damit der wohlwollende Leser Alles Interesse an ihm nimmt, das er verdient, daß Ange Pitou, dessen Name der Abbé Fortier so malerisch latinisirt hatte, der Held dieser Geschichte ist.

»O mein guter Herr Fortier! o mein lieber Lehrer!« erwiderte der Schüler in Verzweiflung.

»Ich dein Lehrer!« rief der Abbé, tief gedemütigt durch diese Benennung. »Gott sei Dank, ich bin eben so wenig dein Lehrer, als du mein Schüler bist; ich verleugne dich, ich kenne dich nicht! ich wollte, ich hätte dich nie gesehen, ich verbiete dir mich zu nennen, und sogar, mich zu grüßen. Retro, Unglücklicher, retro

»Herr Abbé,« beharrte der unglückliche Pitou, für den es von ernstem Interesse zu sein schien, daß er sich nicht mit seinem Lehrer entzweite, Herr Abbé, »ich flehe Sie an, entziehen Sie mir nicht Ihre Teilnahme wegen einer verstümmelten Aufgabe.«

»Ah!« rief außer sich gebracht durch diese letzte Bitte der Abbé, indem er die vier ersten Stufen hinabstieg, während durch eine gleiche Bewegung Ange Pitou die vier letzten hinabeilte und im Hofe zu erscheinen anfing, »ah, du machst Logik, während du nicht einmal ein Thema machen kannst; du berechnest die Kräfte meiner Geduld, während du nicht einmal den Nominativ vom Accusativ zu unterscheiden weist?«

»Herr Abbé, Sie sind so gut gegen mich gewesen, daß Sie nur ein Wort zum hochwürdigsten Bischof, der uns prüft, zu sagen brauchen,« erwiderte der Barbarismenmacher.

»Ich Unglücklicher soll wider mein Gewissen lügen?«

»Wenn es einer guten Handlung wegen geschieht, so wird Ihnen unser Herrgott verzeihen.«

»Nie! nie!«

»Und dann, wer weiß? Die Examinatoren werden vielleicht nicht strenger gegen mich sein, als sie es zu Gunsten von Sebastian Gilbert, meinem Milchbruder, gewesen sind, als er sich im vergangenen Jahr um das Stipendium bewarb. Er war doch ein Barbarismenmacher, Gott sei Dank! obgleich er erst dreizehn Jahre zählt und ich siebzehn.«

»Ah! das ist doch einfältig,« rief der Abbé, der die übrigen Stufen vollends herabstieg und nun mit seiner Geißel in der Hand ebenfalls erschien, während Pitou klugerweise zwischen sich und seinem Professor die erste Entfernung behauptete. »Ja, ich sage einfältig,« fügte er, die Arme kreuzend und seinen Schüler mit Entrüstung anschauend, bei. »Das ist also der Preis meiner Lektionen in der Dialektik! dreifaches Tier! erinnerst du dich so des Axioms: Noti minora, loqui majora volens. Gerade weil Gilbert jünger war als du, ist man nachsichtig gegen ein vierzehnjähriges Kind gewesen, während man es nicht gegen einen großen Dummkopf von achtzehn Jahren sein wird.«

»Ja, und auch weil er der Sohn von Herrn Honoré Gilbert ist, der achtzehntausend Livres Einkünfte aus guten Gütern nur auf der Ebene von Pilleleux hat,« erwiderte mit kläglichem Ton der Logiker.

Der Abbé Fortier schaute Pitou, die Lippen vorstreckend und die Stirne faltend, an.

»Das ist minder dumm,« brummte er, nachdem er seinen Schüler stillschweigend einen Augenblick betrachtet hatte. »Indessen ist es nur scheinbar und nicht begründet.«

»Oh, wenn ich der Sohn eines Mannes von achtzehntausend Livres Rente wäre!« wiederholte Ange Pitou, der bemerkt zu haben glaubte, seine Antwort habe einigen Eindruck auf seinen Professor gemacht.

»Ja, doch du bist es nicht. Dagegen bist du unwissend wie der Bursche, von dem Juvenal spricht; eine profane Citation, – der Abbé bekreuzte sich – aber nicht minder richtig. Arcadius Juvenis. Ich wette, daß du nicht einmal weißt, was Arcadius sagen will.«

»Bei Gott! arcadisch,« antwortete Ange Pitou, indem er sich mit Stolz aufrichtete.

»Und dann weiter?«

»Was weiter?«

»Arcadien war das Land der Esel und bei den Alten wie bei uns Asinus synonym mit stultus.«

»Ich wollte die Sache nicht so verstehen, sagte Pitou, indem der Gedanke, der strenge Geist, meines würdigen Professors könnte sich bis zur Satire erniedrigen, weit von mir entfernt war.«

Und der Abbé Fortier schaute ihn zum zweiten Male mit nicht minder tiefer Aufmerksamkeit als das erste Mal an.

»Bei meinem Wort,« murmelte er, ein wenig besänftigt durch den Weihrauch seines Schülers, »es giebt Augenblicke, wo man darauf schwören würde, der Bursche sei nicht so dumm, als er aussieht.«

»Ah! Herr Abbé,« sagte Pitou, der, wenn nicht die Worte des Professors gehört, doch in seinem Gesicht den Ausdruck der Rückkehr zum Mitleid erhascht hatte, »verzeihen Sie mir, und Sie sollen sehen, welch ein schönes Thema ich morgen machen werde.«

»Nun denn, ich willige ein, erwiderte der Abbé, indem er zum Zeichen des Waffenstillstands seine Geißel in seinen Gürtel steckte und sich Pitou näherte, der auf diese friedliche Demonstration an seinem Platze zu bleiben sich entschloß.

»Oh! ich danke, ich danke!« rief der Schüler.

»Warte und danke nicht so rasch; ja ich verzeihe dir, doch unter einer Bedingung.«

Pitou neigte das Haupt und wartete mit Resignation, da er der Willkür des Lehrers anheimgegeben war.

»Unter der, daß du mir ohne Fehler auf eine Frage antwortest, die ich an dich richten werde.«

»In lateinischer Sprache?« fragte Pitou ängstlich.

»Lateinisch,« erwiderte der Professor.

Pitou stieß einen Seufzer aus.

In einem kurzen Zwischenraume, der nun eintrat, drangen die freudigen Schreie der Schüler, welche auf dem Schloßplatz spielten, bis zu den Ohren von Ange Pitou.

Pitou stieß einen noch tieferen Seufzer aus.

»Quid virtus, quid religio?« fragte der Abbé.

Mit dem Nachdruck des Pädagogen ausgesprochen, erschollen diese Worte in den Ohren des armen Pitou wie der Trompetenstoß des Engels vom jüngsten Gericht. Eine Wolke zog vor seinem Auge hin, und es ging in seinem Verstande eine solche Anstrengung vor, daß er einen Augenblick die Möglichkeit, ein Narr zu werden, begriff.

Infolge dieser Hirnarbeit, die, so gewaltig sie war, doch kein Resultat herbeiführte, ließ die verlangte Antwort unbestimmte Zeit auf sich warten; man hörte nun das gedehnte Geräusch einer Prise Tabak, welche langsam der furchtbare Frager schnupfte.

Pitou sah wohl, daß er ein Ende machen mußte.

»Nescio,« sagte er, in der Hoffnung, seine Unwissenheit würde ihm verziehen werden, wenn er sie in lateinischer Sprache gestände.

»Du weißt nicht was die Tugend ist?« rief der Abbé, erstickend vor Zorn; »du weißt nicht, was die Religion ist?«

»Ich weiß es wohl französisch,« erwiderte Ange, »aber ich weiß es nicht lateinisch.«

»So gehe nach Arcadien, Juvenis, alles ist vorbei zwischen uns. Wicht!«

Pitou war so niedergeschmettert, daß er nicht einen Schritt machte, um zu fliehen, obgleich der Abbé Fortier seine Geißel aus seinem Gürtel mit ebenso viel Würde gezogen hatte, als im Augenblick der Schlacht ein Heerführer sein Schwert aus der Scheide gezogen hätte.

»Aber was soll aus mir werden?« fragte der arme Junge, indem er seine beiden Arme träge an seiner Seite hinabhängen ließ, »was soll aus mir werden, wenn ich die Hoffnung, in das Seminar einzutreten, verliere?«

»Werde, was du kannst, das ist mir, bei Gott gleichgültig.«

»Wissen Sie denn nicht, daß meine Tante glaubt, ich sei schon Abbé?«

»Nun, sie wird erfahren, daß du nicht einmal zum Meßner taugst.«

»Aber, Herr Fortier  . . .«

»Ich sage dir, gehe Limina lingue.«

»Auf denn!« sagte Pitou, wie ein Mensch, der einen schmerzlichen Entschluß faßt, aber ihn dennoch faßt.

»Wollen Sie mir mein Pult lassen?« fragte Pitou, in der Hoffnung, während der kurzen Frist, die ihm gegönnt wäre, würde das Herz des Abbés Fortier zu mitleidigeren Gefühlen zurückkehren.

»Ich glaube wohl,« antwortete dieser, »dein Pult und alles, was es enthält.«

Pitou stieg mit kläglicher Miene die Treppe hinauf zur Klasse im ersten Stock. Er trat in die Stube ein, wo um einen großen Tisch versammelt etwa vierzig Schüler sich den Anschein gaben, als arbeiteten sie, öffnete vorsichtig den Deckel seines Pultes, um zu sehen, ob die Gäste, die es enthielt, vollzählig wären, hob es mit einer Behutsamkeit auf, die von seiner großen Sorgfalt für seine Zöglinge zeugte, und schlug mit langsamem, abgemessenem Schritt wieder den Weg nach der Hausflur ein.

Oben auf der Treppe stand mit ausgestrecktem Arm der Abbé Fortier und deutete mit dem einen Ende seiner Geißel die Stufe hinab.

Man mußte durch die cautinischen Pässe gehen; Ange Pitou machte sich so demütig und klein, als er nur immer konnte. Dessenungeachtet erhielt er beim Durchgang noch eine letzte Tracht mit dem Werkzeug, dem der Abbé Fortier seine besten Schüler zu verdanken gehabt hatte, und dessen Anwendung, obgleich sie häufiger und ausgedehnter bei Ange Pitou, als irgend einem andern, vorgekommen, von einem nur mittelmäßigen Resultat gewesen war.

Während Ange Pitou, eine letzte Thräne trocknend, mit seinem Pulte auf dem Kopfe nach dem Pleux, dem Quartier der Stadt wandert, wo seine Tante wohnt, sagen wir ein paar Worte von seinem Aeußern und seinen Lebensvorgängen.

II.
Worin bewiesen wird, daß eine Tante nicht immer eine Mutter ist

Louis Ange Pitou war in der Zeit, wo diese Geschichte anfängt, siebzehn und ein halbes Jahr alt. Er war ein langer, hagerer Junge, mit gelben Haaren, roten Wangen und fayenceblauen Augen. Die Blüte der frischen, unschuldigen Jugend dehnte sich auf seinem breiten Mund aus, dessen dicke Lippen zwei vollständige Reihen furchtbarer Zähne entblößten, furchtbar für diejenigen, deren Mittagsbrot sie zu teilen bestimmt waren. Am Ende seiner langen, knochigen Arme hingen, solid befestigt, Hände so breit wie Tennenpatschen; ziemlich gebogene Beine, Kniee so dick wie Kindsköpfe, die seine engen schwarzen Hosen springen machten; ungeheure Füße, die jedoch bequem in den durch den Gebrauch geröteten kalbsledernen Schuhen Platz hatten: dies war, mit einer Art von Kittel von brauner Sersche, das genaue Signalement vom Exschüler des Abbés Fortier.

Es bleibt uns noch die moralische Seite zu schildern.

Ange Pitou wurde im Alter von zwölf Jahren Waise, zu welcher Zeit er das Unglück gehabt, seine Mutter zu verlieren, deren einziger Sohn er gewesen. Damit ist gesagt, daß Ange Pitou seit dem Tode seines Vaters, der starb, ehe der Knabe das Alter des Bewußtseins erreichte, als Hätschelkind seiner Mutter ungefähr that, was er wollte, was seine physischen Eigenschaften zwar ungemein entwickelte, aber seine moralische Erziehung gänzlich im Rückstand ließ. In dem reizenden Dorfe Haramont geboren, das eine Meile von der Stadt mitten im Walde lag, galten seine ersten Ausflüge der Erforschung des heimatlichen Waldes und die erste Anwendung seines Verstandes der Bekriegung der Tiere, die ihn bewohnten. Aus diesem, einem einzigen Ziele zugewendeten Streben erfolgte, daß Ange Pitou bereits mit zehn Jahren ein ausgezeichneter Wilddieb und ein Vogelsteller ersten Ranges war, und zwar ohne Arbeit und besonderen Unterricht, ganz allein durch die Stärke des von der Natur dem inmitten der Wälder geborenen Menschen verliehenen Instinktes, der ein Teil des Triebes zu sein scheint, den sie Tieren gegeben hat. Es war ihm auch nicht eine Fährte von Hasen oder Kaninchen unbekannt. Auf drei Meilen in der Runde war nicht ein Tränkherd seiner Forschung entgangen, und überall fand man die Spuren seines Messers auf den für den Vogelfang geeigneten Bäumen. Durch diese unablässig wiederholten Uebungen hatte Pitou eine ganz außerordentliche Stärke erlangt.

Mittelst seiner langen Arme und seiner starken Kniee, die ihm die mächtigsten Stämme zu umfangen gestatteten, stieg er auf die Bäume, um die höchsten Nester mit einer Behendigkeit und Sicherheit auszunehmen, die ihm die Bewunderung seiner Kameraden zuzog und ihm unter einer dem Aequator näheren Breite bei der Jagd der Lockpfeife sogar das Anstaunen von Seiten der Affen erworben hätte, bei dieser selbst für die erwachsenen Personen so anziehenden Jagd, wobei der Jäger die Vögel auf einen mit Leimruten versehenen Baum lockt, indem er das Geschrei des Hähers oder der Nachteule nachahmt, dieser Individuen, die bei dem Federvolk so allgemein verhaßt sind, daß jeder Fink, jede Meise, jeder Grünling herbeieilt in der Hoffnung, seinem Feinde eine Feder zu entreißen, während er meistens die seinigen dabei verliert. Die Kameraden von Pitou bedienten sich einer wirklichen Nachteule, eines natürlichen Hähers, um, gut oder schlecht, das Geschrei von einem oder dem andern dieser Tiere nachzuahmen. Ange Pitou aber vernachlässigte immer diese Vorbereitungen, verachtete eine solche List. Mit seinen eigenen Hilfsquellen kämpfte er, mit seinen natürlichen Mitteln stellte er die Falle. Mit seinem eigenen Munde bildete er die kreischenden, widerlichen Töne, die nicht allein die andern Vögel, sondern auch die von derselben Gattung herbeiriefen, die sich durch dieses gut nachgeahmte Geschrei täuschen ließen. Was die Jagd an Pfützen betrifft, wohin die Vögel zum Trinken kamen, so war diese für Pitou eine Eselsbrücke, und er hätte sie als Gegenstand der Kunst sicher verachtet, wäre sie in Bezug auf den Ertrag minder ergiebig gewesen. Nichtsdestoweniger, und trotz der Verachtung, die er selbst gegen diese so leichte Jagd hegte, wußte nicht einer von den Erfahrensten gleich Pitou eine Pfütze mit Farnkraut zu bedecken, wenn sie zu groß war, um völlig überspannt zu werden; nicht einer wußte wie er die passende Neigung seinen Leimruten zu geben, so daß die schlauesten Vögel weder darunter, noch darüber trinken konnten; nicht einer besaß die Sicherheit der Hand und die genaue Kenntnis der verschiedenen Mischungsverhältnisse von Baumharz, Oel und Vogelleim, damit dieser Leim weder zu flüssig noch zu spröde werde.

 

Da nun die Achtung, die man den Eigenschaften der Menschen zollt, nach dem Schauplatz, wo sie dieselben, und nach den Zuschauern, vor denen sie dieselben produzieren, wechselt, so genoß Pitou in seinem Dorfe Haramont mitten unter seinen Bauern – das heißt unter Menschen, die gewohnt sind, wenigstens die Hälfte ihrer Mittel von der Natur zu verlangen, wie alle Bauern, einen instinktartigen Haß gegen die Civilisation haben – ein Ansehen, das bei seiner armen Mutter die Vermutung nicht aufkommen ließ, er gehe auf einem falschen Wege, und die vollkommenste Erziehung, die man einem Menschen mit großen Kosten geben könne, sei nicht diejenige, welche sich ihr ausgezeichneter Sohn unentgeltlich selber gab.

Als aber die gute Frau krank wurde, als sie den Tod herannahen sah, als sie begriff, sie werde ihr Kind allein und vereinzelt in der Welt zurücklassen, da fing sie an zu zweifeln und suchte eine Stütze für die zukünftige Waise. Sie erinnerte sich sodann, daß zehn Jahre vorher ein junger Mann mitten in der Nacht an ihre Thüre geklopft, der ihr ein neugeborenes Kind gebracht, für das er nicht nur bar eine ziemlich runde Summe zurückgelassen, sondern auch eine andere, noch viel größere Summe beim Notar in Villers-Cotterets deponiert hatte. Von diesem geheimnisvollen jungen Mann hatte sie anfangs nichts weiteres gewußt, als daß er Gilbert heiße. Doch vor drei Jahren hatte sie ihn wieder erscheinen sehen: er war damals ein Man von siebenundzwanzig Jahren, mit etwas steifer Haltung, mit dogmatischem Wort und einem etwas kalten Wesen. Diese erste Eislage war aber geschmolzen, als er sein Kind wiedergesehen; und da er es schön, stark und freundlich, und, wie er es selbst verlangt, nur naturwüchsig erzogen gefunden, so hatte er der guten Frau die Hand gedrückt und ihr bloß die Worte gesagt:

Rechnet auf mich im Notfall.

Dann hatte er das Kind genommen, sich nach dem Wege nach Ermenonville erkundigt, mit seinem Sohne eine Pilgerfahrt nach dem Grabe von Rousseau gemacht und war nach Villers-Cotterets zurückgekehrt. Verführt ohne Zweifel durch die gesunde Luft, die man hier atmete, sowie durch das Gute, das ihm der Notar von der Pension des Abbés Fortier gefügt, hatte er den kleinen Gilbert bei dem würdigen Mann zurückgelassen, dessen philosophisches Aussehen er mit dem ersten Blick gewürdigt; denn in jener Zeit war die Philosophie eine so große Macht, daß sie sich selbst bei den Geistlichen eingeschlichen hatte. Nachdem er seine Adresse dem Abbé Fortier hinterlassen, reiste er wieder nach Paris zurück.

Die Mutter von Pitou kannte alle diese einzelnen Umstände. In dem Augenblick, wo sie sterben sollte, erinnerte sie sich der Worte: Rechnet auf mich im Notfall. Das war eine Erleuchtung. Ohne Zweifel hatte die Vorsehung dies alles so gelenkt, damit der arme Pitou mehr fände, als er vielleicht verlor. Sie ließ den Geistlichen kommen, da sie nicht zu schreiben verstand; der Geistliche schrieb, und an demselben Tage wurde der Brief dem Abbé Fortier gebracht, der sich beeilte, die Adresse beizufügen und ihn auf die Post zu bringen.

Es war Zeit; zwei Tage nachher starb sie.

Pitou war zu jung, um den Verlust, den er erlitten, in seinem ganzen Umfang zu fühlen; er beweinte seine Mutter, nicht weil er die ewige Trennung des Grabes begriff, sondern weil er seine Mutter kalt, bleich, entstellt sah, weil der Arme instinktartig erriet, der Schutzengel des Herdes sei entflohen; seiner Mutter beraubt, werde das Haus öde und unbewohnbar; er begriff nicht nur seine zukünftige Existenz nicht, sondern nicht einmal die am andern Tag. Als er seine Mutter nach dem Friedhofe geleitet, als der Sarg vom Wurf der Erde ertönte, als sich diese, einen frischen Hügel bildend, gerundet hatte, setzte er sich auf das Grab und antwortete jedem, der ihn aufforderte, aus dem Friedhof wegzugehen, mit Kopfschütteln, er habe seine Mutter Madeleine nie verlassen und wolle bleiben, wo sie bleibe.

Er verweilte auch den ganzen übrigen Tag und die ganze Nacht auf dem Grabe.

Hier fand ihn der würdige Doktor, – haben mir gesagt, daß der zukünftige Beschützer von Pitou Arzt war? – hier fand ihn der würdige Doktor, als er, den ganzen Umfang der Pflicht begreifend, die ihm durch sein Versprechen auferlegt war, selbst ankam, um sie, kaum achtundvierzig Stunden nach dem Abgange des Briefs, zu erfüllen.

Ange war sehr jung gewesen, als er den Doktor zum ersten Mal gesehen. Bekanntlich aber empfängt die Jugend tiefe Eindrücke, die ewige Erinnerungen hinterlassen, und die Erscheinung des geheimnisvollen jungen Mannes hatte seine Spur im Hause fest eingeprägt. Hierher hatte er das von uns erwähnte Kind und mit ihm den Wohlstand gebracht; so oft Ange den Namen Gilberts von seiner Mutter hatte aussprechen hören, war es mit einem Gefühle gewesen, das der Anbetung glich. Als er sodann als ein gemachter Mann und mit dem neuen Doktorstitel wieder im Hause erschienen war, als er den Wohlthaten der Vergangenheit das Versprechen für die Zukunft beigefügt, da hatte Pitou aus der Dankbarkeit seiner Mutter geschlossen, er müsse selbst dankbar sein; und ohne genau zu wissen, was sie sagte, hatte er die Worte ewiger Erinnerung, tiefer Erkenntlichkeit gesammelt, die seine Mutter in seiner Gegenwart ausgesprochen.

Sobald er also den Doktor durch die Gitterthüre des Kirchhofs erblickte, sobald er ihn mitten unter den grasbewachsenen Gräbern und den zerbrochenen Kreuzen herbeischreiten sah, erkannte er ihn, stand auf und ging ihm entgegen; denn er begriff, daß er demjenigen, welcher auf den Ruf seiner Mutter kam, nicht nein sagen konnte, wie den andern; er leistete auch keinen weiteren Widerstand, als er den Kopf rückwärts drehte, da ihn Gilbert bei der Hand nahm und weinend aus dem Kirchhof hinauszog. Ein elegantes Cabriolet war vor der Thüre. Er hieß den armen Knaben einsteigen, ließ für den Augenblick das Haus seiner Mutter unter dem Schutze des öffentlichen Vertrauens und der Teilnahme, die das Unglück einflößt, führte seinen kleinen Schützling nach der Stadt und stieg mit ihm im besten Gasthofe, im Dauphin ab. Kaum hatte er sich hier einquartiert, als er einen Schneider holen ließ; zum voraus benachrichtigt, kam dieser sogleich mit fertigen Kleidern. Er wählte vorsichtig für Pitou Kleider, die zwei bis drei Zoll zu lang waren, ein Ueberfluß, der nach der Art, wie unser Held wuchs, von keiner langen Dauer zu sein versprach, und wanderte sodann mit ihm nach dem schon genannten Quartier, genannt der Pleux.

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