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Die Zwillingsschwestern von Machecoul

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III.
Die Zwillingsschwestern

Der Marquis dachte, als er sich Abends zur Ruhe begab: die Nacht bringt Rath.

Er träumte von den Kämpfen, die er in der Vendée mit Charette bestanden, insbesondere von dem braven Bauerssohn, der sein Adiutant gewesen war, sowie er selbst bei dem Obergeneral den Dienst eines Adjutanten versehen hatte.

Er träumte von Jean Oullier, an den er gar nicht mehr gedacht, den er seit dem Tage, wo er sich im Walde La Chabotière von ihm getrennt, nicht wiedergesehen hatte.

Wie ihm erinnerlich war, hatte Jean Oullier vor dem Vendéekriege im Dorfe La Chevrolière am See Grand-Lieu gewohnt.

Der Marquis von Souday schrieb einen Brief und schickte denselben durch einen reitenden Boten nach La Chevrolière, um zu erfahren, ob ein gewisser Jean Oullier noch in der Gegend wohne. Wenn er noch lebte und sich in der Nähe aufhielt, sollte ihm der Bote den Brief einhändigen, und ihn wo möglich mitbringen. Wenn er zu weit entfernt war, um ihn sogleich aufsuchen zu können, sollte er sich nach seinem Wohnort erkundigen.

Jean Oullier wohnte in La Chevrolière.

Seit seiner Trennung von dem Marquis hatte sich Folgendes zugetragen.

Er war in dem Gebüsch versteckt geblieben und hatte ungesehen beobachtet, was vorging. Er hatte gesehen, wie der General Travot den Oberbefehlshaber der Vendéer gefangen nahm und mit großer Höflichkeit und Schonung behandelte. Aber er mochte wohl noch mehr sehen wollen, denn er blieb noch, als Charette auf eine Tragbahre gelegt und fortgetragen worden war. Es war freilich ein Offizier mit zwölf Mann im Walde geblieben.

Eine Stunde nachdem sich dieser Posten aufgestellt hatte, war ein Vendéer Bauer zehn Schritte von Jean Oullier vorbeigekommen und hatte der blauen Schildwache auf deren Anruf mit dem Worte »Freund« geantwortet. Freilich eine sonderbare Antwort in dem Munde eines royalistischen Landmannes an einen republicanischen Soldaten.

Dann hatte der Bauer ein Losungswort genannt und die Schildwache hatte ihn durchgelassen. Darauf hatte er sich dem Offizier genähert, und dieser hatte ihm mit unbeschreiblichem Abscheu eine mit Gold gefüllte Börse übergeben.

Endlich war der Bauer verschwunden.

Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte sich der Posten dort aufgestellt, um den Bauer zu erwarten; denn kaum war dieser verschwunden, so hatten sich die Soldaten zusammengezogen und ebenfalls den Wald verlassen.

Aller Wahrscheinlichkeit nach hatte auch Jean Oullier gesehen, was er sehen wollte, denn er kroch aus dem Gebüsch hervor, richtete sich auf, riß die weiße Cocarde von seinem Hut und ging mit der Sorglosigkeit eines Parteigängers, der sein Leben seit drei Jahren täglich aufs Spiel gesetzt, weiter in den Wald.

Noch in derselben Nacht kam er nach La Chevrolière.

Er ging gerade aus die Stelle zu, wo er sein Haus zu finden glaubte; aber er fand nur Trümmer, vom Rauch geschwärzt.

Er setzte sich auf einen Stein und weinte; er hatte in seinen Hause ein Weib und zwei Kinder zurückgelassen.

Jean Oullier hörte Fußtritte und sah sich um.

Ein Bauer ging vorüber; Jean Oullier erkannte ihn trotz der Dunkelheit.

Er rief: »Tinguy!«

Der Bauer kam näher.

»Wer bist Du?« fragte er.

»Ich bin Jean Oullier,« antwortete der Chouan.

»Gott behüte Dich!« erwiderte Tinguy und wollte weiter gehen.

Jean Oullier hielt ihn zurück.

»Du mußt mir antworten,« sagte er.

»Bist Du ein Mann?«

»Ja.«

»Gut, dann frage, ich will Dir antworten.«

»Mein Vater?«

»Ist todt.«

»Meine Frau?«

»Todt.«

»Meine beiden Kinder?«

»Todt.«

»Ich danke,« sagte Oullier und fiel auf die Knie und betete.

Es war Zeit; er weinte nicht mehr und er war schon im Begriffe, seiner Wuth durch gotteslästerliche Reden Luft zu machen.

Er betete für die Todten. Endlich stand er auf und legte sich auf die geschwärzten Trümmer, um zu schlafen.

Am frühen Morgen legte er so ruhig und entschlossen Hand ans Werk, als ob sein Vater noch den Pflug gelenkt; sein Weib noch am Herde gesessen und seine Kinder noch vor der Thür gespielt hätten.

Ohne fremde Hilfe in Anspruch zu nehmen, baute er seine Hütte wieder auf.

Er lebte fortan als Tagelöhner, und wer ihm gerathen hätte, von den Bourbons den Lohn für das, was er mit Recht oder Unrecht für seine Pflicht hielt, zu fordern, würde das Ehrgefühl des armen Bauers verletzt haben.

Jean Oullier ließ natürlich nicht lange auf sich warten, als er einen Brief von dem Marquis erhielt, in welchem ihn dieser seinen alten Cameraden nannte und ihn aufforderte, sogleich zu ihm ins Schloß zu kommen.

Er verschloß seine Hausthür, steckte den Schlüssel in die Tasche und ging sogleich fort. Er lebte ja allein und hatte Niemand von seinem Fortgehen zu benachrichtigen.

Der Bote wollte ihm das Pferd überlassen oder wenigstens mit ihm theilen; aber Jean Oullier schüttelte den Kopf.

»Gott sey Dank,« sagte er, »meine Füße sind gut.«

Er legte eine Hand auf den Hals des Pferdes und setzte sich in kurzen Trab.

Abends war Jean Oullier im Schlosse Souday.

Der Marquis empfing ihn mit sichtbarer Freude; den ganzen Tag war er von dem Gedanken gemartert worden, Jean Oullier sey abwesend oder todt.

Er dachte dabei natürlich nur an sich selbst, denn wir kennen den Marquis von Souday bereits als einen Egoisten. Der Marquis erzählte dem treuen Freunde seine Lage und die Verlegenheiten, die für ihn daraus entstehen konnten.

Jean Oullier, dessen zwei Kinder gemordet worden waren, begriff nicht, wie sich ein Vater von seinen Kindern trennen konnte. Er nahm indeß den Antrag des Marquis, der ihm für die nächsten zwei oder oder drei Jahre seine beiden Kinder anvertrauen wollte, bereitwillig an. Später sollten die Mädchen in einer Kostschule die nöthige Ausbildung erhalten. Jean Oullier sollte in La Chevrolière oder in der Umgegend eine brave Frau aufsuchen, die bei den Kindern die Stelle der Mutter vertreten sollte, – so weit es nämlich möglich ist, bei Waisen die Mutter zu ersetzen.

Die Zwillingsschwestern waren so allerliebst so munter und freundlich, daß Jean Oullier sie sogleich liebgewann. Er meinte, sie erinnerten ihn mit ihren rosigen Gesichtchen und ihren langen Locken an die Engel, welche vormals, ehe sie zertrümmert worden, die heilige Jungfrau am Hauptaltare zu Grand-Lieu umschwebt hatten.

Es wurde also beschlossen, daß Jean Oullier die beiden Kinder am andern Morgen mitnehmen sollte.

Zum Unglück hatte es die ganze Zeit zwischen der Abreise der Amme und der Ankunft Oullier’s geregnet. Der Marquis, der sein Schloß nicht verlassen konnte, fing an sich zu langweilen, und zum Zeitvertreib hatte er mit den beiden Kindern gespielt. Wie Heinrich IV. hatte er die Kleinen auf seinen Rücken gesetzt und war auf allen Vieren im Zimmer herumgekrochen; ja, um die Sache noch unterhaltender zu machen, hatte er abwechselnd die Töne des Waldhorns und das Gebell einer Meute nachgeahmt.

Die Jagd zwischen vier Wänden hatte den Marquis von Souday ungeheuer amüsiert und die kleinen Mädchen hatten noch nie so viel gelacht.

Ueberdies hatten sie großen Gefallen gefunden an den Zärtlichkeiten, mit denen er sie überhäuft, vermuthlich um die Vorwürfe, die ihm sein Gewissen über die neue Trennung machte, zu beschwichtigen.

Die Zuneigung und Dankbarkeit der beiden Kinder schien seinen ganzen Plan zerstören zu wollen. Als nämlich der Wagen, der die Kleinen abholen sollte, vor der Schloßtreppe erschien, begannen sie jämmerlich zu schreien. Bertha stürzte auf ihren Vater zu und umklammerte seine Knie so fest, daß es der Marquis nicht über sich gewinnen konnte, ihre Händchen mit Gewalt loszumachen. Mary hatte sich auf eine Stufe gesetzt und weinte so bitterlich, daß Jean Oullier durch diesen stillen Schmerz noch tiefer gerührt wurde, als durch die stürmische Verzweiflung der andern Schwester.

Der Marquis von Souday bot seine ganze Beredsamkeit auf, den beiden Kindern einzureden, wenn sie in den Wagen stiegen, würden sie weit mehr Zuckerwerk und Vergnügen haben, als wenn sie bei ihm blieben; aber je mehr er sprach, desto trauriger schluchzte Mary, desto toller geberdete sich Bertha.

Der Marquis fing an, ungeduldig zu werden, und als er sah, daß die Ueberredung nichts half, war er schon im Begriff, Gewalt zu brauchen, aber zum Glück bemerkte er, daß zwei Thränen über die gebräunten Wangen Oullier’s rannen und sich in dem dichten Backenbart, der sein Gesicht umgab, verloren.

Diese Thränen waren zugleich eine Bitte für den Marquis, ein Vorwurf für den Vater.

Auf seinen Wink spannte Oullier das Pferd aus, und während Bertha, die den Wink verstanden hatte, vor Freude tanzte, sagte der Marquis dem Bauer ins Ohr:

»Du gehst morgen.«

Da das Wetter schön war, so wollte der Marquis die Anwesenheit Oullier’s benützen und mit ihm auf die Jagd gehen. Er führte ihn daher in sein Zimmer, um ihn auszurüsten.

Jean Oullier war erstaunt über die schreckliche Unordnung, die in dem Zimmer seines Herrn herrschte. Dieser benutzte die Gelegenheit, über seine Haustyrannin zu klagen, die zwar die Küche recht gut besorgte, aber das übrige Hauswesen schmählich vernachlässigte.

Der Marquis mußte länger als zehn Minuten suchen, ehe er eine Jacke fand, an der nicht alle Knöpfe fehlten, oder ein Beinkleid, welches sich nicht in einem unziemlichen Zustande der Auflösung befand. Endlich wurde die nöthige Ausrüstung aufgefunden.

Der Marquis war freilich Wolfsjägermeister, aber er war zu arm, einen Rüdenknecht zu halten; daher kehrte er gemeiniglich ohne Jagdbeute heim.

Mit Jean Oullier war es anders.

Der kräftige Bauer erstieg mit der Leichtigkeit eines Rehbocks die steilsten Anhöhen des Waldes; er sprang über die breitesten Gräben und blieb nie hinter den Hunden zurück, und schon auf der ersten Jagd wurde ein starker Keiler erlegt.

 

Der Marquis kam daher seelenvergnügt nach Hause und dankte Jean Oullier für den genußreichen Tag, den er ihm verdankte.

Bei Tische war er in der heitersten Laune und erfand neue Spiele, um die beiden Kinder zu unterhalten.

Als er sich Abends in sein Zimmer zurückzog, fand er Jean Oullier mit gekreuzten Beinen, nach Art der Türken oder Schneider, in einem Winkel sitzen. Ein großer Haufe Kleider lag vor ihm und in der Hand hielt er eine alte Sammtjacke, deren schadhafte Stellen er ausbesserte.

»Was zum Teufel machst Du da?« fragte ihn der Marquis.

»Wenn man seit mehr als zwanzig Jahren allein gelebt hat,« antwortete Jean Oullier, »so muß man von Allem etwas können; ein alter Soldat kommt auch nie in Verlegenheit.«

»Ich bin doch auch Soldat gewesen« entgegnete der Marquis.

»Nein, Sie waren Offizier; das ist ganz etwas Anderes.«

Der Marquis von Souday sah Jean Oullier mit Bewunderung an und ging zu Bett, ohne daß sich der alte Chouan in seiner Arbeit stören ließ.

Mitten in der Nacht erwachte der Marquis.

Jean Oullier arbeitete noch. Der Kleiderhaufe war nicht merklich kleiner geworden.

»Du wirst nicht zu Ende kommen, wenn Du auch die ganze Nacht arbeitest, armer Jean!« sagte der Marquis.

»Ach! ja, ich fürchte es auch.«

»Geh zu Bett, alter Camerad; Du sollst nicht fort, bis dieser Plunder etwas in Ordnung ist, und morgen gehen wir wieder auf die Jagd.«

IV.
Wie Jean Oullier, der auf eine Stunde zum Marquis gekommen war, noch bei ihm seyn würde, wenn Beide nicht seit zehn Jahren todt waren

Ehe der Marquis am andern Morgen auf die Jagd ging, fühlte er das Verlangen seine Kinder zu umarmen.

Er ging in ihr Zimmer und fand zu seinem Erstaunen den Allerweltsmann Jean Oullier, der ihm zuvorgekommen war und die beiden Kleinen mit bonnenhafter Geduld und Beharrlichkeit wusch und ankleidete. Der arme Mann, der sich dabei seiner verlorenen Kinder erinnerte, schien große Freude an diesem Geschäft zu finden.

Die Bewunderung des Marquis wurde fast zur Ehrfurcht.

Acht Tage wurde ohne Unterbrechung gejagt, und jeden Abend kehrten Herr und Diener mit reicher Beute heim.

Jean Oullier war abwechselnd Jäger und Hausverwalter. Abends arbeitete er fleißig an der Verjüngung der Toilette seines Herrn, und er fand noch Zeit, das Haus von oben bis unten zu säubern und aufzuräumen.

Der Marquis von Souday dachte mit Schrecken an die vielleicht unvermeidliche Trennung von einem so unbezahlbaren Diener. Er wußte in der That nicht, welche treffliche Eigenschaft des Vendéer er am meisten bewundern sollte. Jean Oullier schien in der That den feinen Geruch eines Schweißhundes zu haben, denn er wußte im bethauten Grase wie auf den steinigen Waldwegen, die für Andere nicht sichtbare Fährte des Ebers zu finden und sogar dessen Alter zu bestimmen. Er folgte den Hunden so gut zu Fuß wie ein berittener Jäger. Und wenn die ermüdeten Hunde zu Hause bleiben mußten, so führte er seinen Herrn in die Gehäge, wo viele Schnepfen und Birkhühner waren.

»Mit der Heirath lasse ichs gut seyn,« sagte der Marquis zuweilen nach langem Besinnen, wenn man ihn mit ganz andern Dingen beschäftigt glaubte, »was soll ich auch in dieser Galeere, in welcher ich die bravsten Männer mit Unwillen und Verdruß rudern gesehen? Ich bin ja nicht jung mehr, ich habe meine vierzig Jahre auf dem Rücken und hege keine Verführungsgedanken mehr; ich könnte daher mit meiner Jahresrente von dreitausend Francs, von der die Hälfte mit mir stirbt, höchstens eine alternde Witwe in Versuchung führen – und dann würde ich in meinen vier Wänden eine zänkische, zimperliche Marquise von Souday haben, die mir vielleicht die Jagd untersagen und das Hauswesen gewiß nicht besser besorgen würde als der brave Jean. – Aber soll man in unserer Zeit die altberühmten Geschlechter, die Stützen der Monarchie, erlöschen lassen? Wäre es nicht ein süßer Trost für mich, einen Sohn zu haben, der die Ehre und den Glanz meines Hauses wiederherstellte? Und was werden die Nachbarn, welche nie von einer Marquise von Souday gehört, von den beiden kleinen Mädchen denken?«

Diese Grübeleien, denen er sich gemeiniglich an Regentagen überließ, brachten ihn zuweilen in die peinlichste Verlegenheit, und er machte derselben ein Ende, ohne einen Entschluß zu fassen. Er ließ es vor der Hand beim Alten.

Im Jahre 1831, als Bertha und Mary ihr siebzehntes Jahr erreicht hatten, dauerte dieser provisorische Zustand noch fort. Der Marquis von Souday war noch nicht einmal fest entschlossen, seine Töchter bei sich zu behalten.

Jean Oullier der den Schlüssel zu seinem Hause an einen Nagel gehängt hatte, war seit vierzehn Jahren noch nicht ein einzigen Mal auf den Gedanken gekommen, seinen Hausschlüssel vom Nagel zu nehmen und wieder nach La Chevrolière zu gehen. Er hatte geduldig den Befehl seines Herrn abgewartet; und da das Schloß seit seiner Ankunft sauber und nett war, da der Marquis nicht ein einzigen Mal über Mangel an Knöpfen geklagt hatte; da seine Jagdstiefel immer gehörig geschmiert, die Gewehre in gutem Stande waren; da Jean Oullier sogar – was kaum glaublich – die böse Zunge der Köchin zum Schweigen gebracht hatte; da die Hunde jederzeit schmuck und blank, weder zu mager noch zu fett waren und viermal wöchentlich eine acht- bis zehnstündige Jagd aushalten konnten; da endlich die Erzählungen aus dem bereits in den Sagenkreis getretenen Kriege an Regentagen und in den langen Winterabenden ein Bedürfniß für den Marquis geworden waren: so hatte dieser die Trennung von Tag zu Tag, von Monat zu Monat, von Jahr zu Jahr aufgeschoben.

Jean Oullier hatte seinerseits triftige Gründe, nicht auf eine Entscheidung zu dringen. Der brave Mann hatte, wie wir gesehen, die kleinen Zwillingsschwestern sogleich nach seiner Ankunft in Souday lieb gewonnen, und diese Zuneigung war mit der Zeit zur innigsten Zärtlichkeit, zur fanatischen Verehrung geworden. Anfangs war er nicht recht im Klaren gewesen, welchen Unterschied der Marquis zwischen den Zwillingsschwestern und den Kindern, die er in seiner Ehe zu bekommen hoffte, machen würde. In Niederpoitou gilt die Heirath für das einzige Mittel, ein Mädchen wieder zu ehren zu bringen. Dies war freilich nach dem Tode Eva’s nicht mehr möglich; aber Jean Oullier fand es natürlich, daß der Marquis seine Vaterschaft anerkenne; er würde sich daher nach zweimonatlichem Aufenthalte einem wiederholten Befehle zur Abreise auf das Entschiedenste widersetzt haben; aber zum Glücke für den treuen Diener konnte der Marquis keinen festen Entschluß fassen, so dass Jean Oullier die Anwesenheit der beiden kleinen Mädchen als ein ihnen zustehenden Recht, und als eine Pflicht für seinen Herrn betrachtete.

Bertha und Mary sind im achtzehnten Jahre. Das Geschlecht der Souday ist durch die Mischung mit dem kräftigen anglosächsischen Blute wunderbar aufgefrischt worden. Die beiden Mädchen sind zart und schlank, ihre Gesichtsbildung ist regelmäßig schön, ihr Anstand fein und edel. Sie sind einander ähnlich, wie alle Zwillinge, aber Bertha ist brünett wie ihr Vater, Mary hingegen blond wie ihre Mutter.

Leider hatte ihre hauptsächlich auf die physische Entwicklung gerichtete Erziehung die geistige Ausbildung vernachlässigt. Bei der Unschlüssigkeit und Sorglosigkeit des Vaters konnte es nicht wohl anders seyn.

Jean Oullier war der einzige Lehrer der beiden Mädchen gewesen, so wie er anfangs ihre einzige Wärterin gewesen war. Der brave Vendéer hatte sie Alles gelehrt, was er selbst wußte: lesen, schreiben, rechnen, andächtig beten. Frühzeitig kamen auch die gymnastischen Uebungen an die Reihe im Anfange dieser Erzählung sehen wir die beiden Schwestern als geschickte Schützen und gewandte Reiterinnen, sie können einen Vogel im Fluge, einen Rehbock im schnellsten Laufe erlegen; sie bändigen die wildesten Pferde mit einer Sicherheit, deren sich die Gauchos in den Prairien Amerika’s nicht zu schämen hätten.

Der Marquis von Souday hatte ruhig zugesehen, ohne daß es ihm eingefallen war, der Erziehung seiner Töchter eine andere Richtung zu geben. Er freute sich, tüchtige Jagdgenossinnen in ihnen zu finden, welche mit ihrer ehrerbietigen, kindlichen Zärtlichkeit eine amazonenartige Kühnheit verbanden, welche seinen Partien einen höheren Reiz gab.

Um gerecht zu seyn, dürfen wir nicht verschweigen, daß der Marquis nach bestem Wissen und Gewissen die in der Ausbildung seiner Töchter gelassenen Lücken aufzufüllen suchte. Als Bertha und Mary ihr vierzehntes Jahr erreicht hatten, als sie anfingen, ihren Vater in den Wald zu begleiten, verloren die Kinderspiele, welche sonst die Abende ausgefüllt hatten, ihren Reiz. Der Marquis gab den Mädchen nun Unterricht im Whistspiele.

Bertha und Mary hatten übrigens nicht unterlassen, zur Ausfüllung der Lücke in ihrer Erziehung durch Selbststudium beizutragen. Sie hatten ein Zimmer entdeckt, welches wahrscheinlich seit dreißig Jahren verschlossen gewesen war.

Dieses Zimmer war die Bibliothek welche etwa tausend Bände enthielt. Die beiden Schwestern wählten unter den Büchern nach ihrem Geschmacke. Die sanfte, empfindsame Mary gab den Romanen, die lebhaftere Bertha den Geschichtswerken den Vorzug. Dann theilten sie einander das Gelesene mit: Mary erzählte von Amadis, von Paul und Virginie; Bertha machte ihre Schwester mit Mézeray und Velly bekannt.

Durch diese planlose Lectüre bekamen die beiden Mädchen ziemlich falsche Begriffe von dem wirklichen Leben und von den Sitten und Ansprüchen einer Welt, die sie nie gesehen hatten, und kaum vom Hörensagen kannten.

Bei ihrer ersten Kommunion machte der Pfarrer von Machecoul, der ihnen wegen ihrer Frömmigkeit und Herzensreinheit sehr gut war, einige schüchterne Bemerkungen über das sonderbare Leben, welches sie führen mußten; aber seine freundlichen Vorstellungen scheiterten an der Gleichgültigkeit und Selbstsucht des Marquis von Souday.

Aus dieser Erziehung waren Gewohnheiten entstanden, welche die Zwillingsschwestern, deren Verhältnisse den Lästerzungen ohnedies überreichen Stoff boten, in sehr schlechten Ruf gebracht hatten.

Der Marquis von Souday war von neugebackenen Edelleuten umgeben, die ihn um seinen berühmten Namen beneideten und nach einer Gelegenheit haschten, ihm die Verachtung, mit welcher seine Ahnen wahrscheinlich ihre Großväter behandelt hatten, mit reichen Zinsen zurückzugeben. Als er daher die Sprößlinge einer wilden Ehe in seinem Hause behielt und seine Töchter nannte, fing man an über sein Leben in London die schrecklichsten Dinge auszuposaunen; man übertrieb seine Fehler; man machte aus der armen Eva, die durch ein Wunder der Vorsehung so rein erhalten worden, eine Gassendirne, und bald zogen sich die Krautjunker zu Beauvoir, St. Léger, Bourgneuf, St. Philibert und Grand-Lieu von dem Marquis zurück; man glaubte den neuen Adel nicht sorgfältig genug gegen jede von den Lästerzungen verschriene Berührung schützen zu können. Anfangs hatten vorzugsweise die alten Weiber männlichen Geschlechts über die Sündhaftigkeit des Marquis Ach und Weh geschrien; in der Folge aber wurden alle Mütter und Töchter in einem Umkreise von zehn Meilen über die Schönheit der Zwillingsschwestern so wüthend, daß die Sache bedenklich zu werden drohte.

Wären Bertha und Mary häßlich gewesen, so würden die frommen Damen und Fräulein in christlichem Mitleide dem armen Erbherrn von und zu Souday vielleicht seine unanständige Vaterschaft verziehen haben; aber war es nicht empörend, daß die beiden Mädchen durch Schönheit und edlen Anstand die wohlgeborensten Fräulein der Umgebung in den Schatten stellten?

Solche Unverschämtheit verdient weder Schonung noch Mitleid.

Die Entrüstung gegen die beiden armen Mädchen war so allgemein, daß sie selbst wenn sie der Lästersucht keinen Stoff geboten hätten, vor den bösen Zungen nicht sicher gewesen wären; man denke sich daher, wie die amazonenartige excentrischen Gewohnheiten der beiden Schwestern ausgebeutet wurden.

Es erhob sich bald ein allgemeines Zetergeschrei, welches sich von dem Departement der Nieder-Loire über die Departements der Vendée und Maine und Loire verbreitete. Hätte das Meer die Küste der Niederloire nicht begrenzt, dieses Zetergeschrei würde sich gewiß eben so weit nach Westen wie nach Süden und Osten verbreitet haben. Bürger und Edelleute, Städter und Bauern stimmten in dasselbe ein. Junge Männer, welche Mary und Bertha kaum gesehen hatten, sprachen von den Töchtern des Marquis von Souday mit selbstgefälligem Lächeln, welches voll von Hoffnungen, vielleicht gar voll von Erinnerungen zu seyn schien. Die alten Damen schlugen ein Kreuz, wenn von ihnen gesprochen wurde.

Die Gouvernanten drohten mit ihnen den kleinen Kindern, wenn sie nicht artig seyn wollten.

 

Die Nachsichtigsten dichteten den Zwillingsschwestern die drei Hauptpassionen der Hubertusjünger an: Liebe Spiel, Wein. Andere hingegen versicherten alles Ernstes, das kleine Schloß Souday sey jeden Abend der Schauplatz wüster Gelage. Kurz, Bertha und Mary wurden so verlästert, daß sie ungeachtet ihrer Harmlosigkeit und Sittenreinheit ein Gegenstand des Abscheues für die ganze Umgegend wurden.

Durch die Dienerschaft auf den Landgütern, durch die Arbeiter, welche mit den Bürgersleuten in Berührung kamen, selbst durch die Leute, denen sie Gutes thaten, theilte sich dieser Haß dem niederen Volke mit, so daß mit Ausnahme einiger Kranken und Nothleidenden, welche von den beiden Schwestern unmittelbar unterstützt wurden, die ganze Bevölkerung in Blousen und Holzschuhen das Echo der von den Honoratioren erfundenen abgeschmackten Geschichten war, und kein Holzhauer in Machecoul, kein Landmann in Philibert oder Aigrefeuille würde vor den beiden Schwestern den Hut abgenommen haben.

Die Bauern hatten, ihnen einen Spottnamen gegeben, der bald in den höheren Regionen verbreitet wurde, weil er die gemeinen Gelüste, welche man dem Schwesterpaare zur Last legte, ganz treffend bezeichnete.

Man nannte sie die Wölfinnen von Machecoul.

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