Verlorene Zeiten?

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Sie sprechen von Rudi Goguel. 15 Wir kannten einander flüchtig. Ich respektierte ihn nicht nur wegen der Art, in der er seine Sache vertrat, sondern ebenso wegen seiner Biografie – er war als Widerstandskämpfer im KZ gewesen. Unsere fachliche Meinungsverschiedenheit lässt sich knapp so charakterisieren: Er reduzierte das Motiv für die Judenverfolgung auf die faschistische Ideologie. Ich war zwar auch der Meinung: Ohne Ideologie, also ohne den Rassismus und Antisemitismus, lässt sich vom Geschehenen mit Sicherheit nichts erklären! Aber in dem Prozess, in dem sich diese Ideologie in Massenverbrechen umsetzte, wirkten eine ganze Reihe anderer Motive mit. Und zwar politische, wirtschaftliche und taktische Kalküle: zum Beispiel das Interesse an der Bereicherung am Eigentum der vertriebenen und ermordeten Juden! Und dann im Kriege das reale Interesse, alte imperialistische Eroberungsziele zu erreichen. Die hatten in der deutschen Außenpolitik schon vorher eine Rolle gespielt, waren nun aber nationalsozialistisch geprägt. Nichtsdestoweniger sind Historiker dabei geblieben, in der Vernichtung der Juden den Beweis zu erblicken, dass hier ,reine‘ Ideologie regiert habe und nicht imperialistische Interessenpolitik. Da sei nur noch Wahn, nur noch Hass, und da höre dann das Kalkül auf. Und da gehe ich nicht mit. Diese Abtrennung des Holocaust vom Krieg und seinen Zielen scheint mir verfehlt. Die Judenverfolgung war nicht nur Produkt eines irrationalen Wahns.

Wie stehen Sie heute zur berühmten ,Dimitroff-Formel‘, die das Finanzkapital‘ für den Faschismus verantwortlich macht? 16

Die Tatsache, dass diese faschistische Diktatur, ob in Italien oder Deutschland, auf der Basis der kapitalistischen Gesellschaft entstanden war, ist nicht zu bestreiten. Dann stellt sich die Frage: War das ein Zufall oder eine mögliche Ausprägung dieser Gesellschaft, die sie unter bestimmten Umständen annimmt. Wir haben uns in den internen Diskussionen unter marxistischen Historikern in den 1960er Jahren von der Auffassung getrennt, dass Faschismus ein gesetzmäßiges, zwangsläufiges Produkt der kapitalistischen Gesellschaftsentwicklung sei. Nur: Der Versuch, die Herrschaft des Kapitals von der Verantwortung für die Entstehung faschistischer Diktaturen freizusprechen‘, dauert fort, obwohl er auf Quellen nicht gestützt werden kann. Er ist – sehen Sie heute in die Schulbücher! – gleichsam verordnet. Der Lernprozess ist auf diesem Felde bisher etwas einseitig verlaufen.

In der Bundesrepublik wurde zum Nationalsozialismus oft auch in gesellschaftskritischer Absicht geforscht. Es ging darum, die Mitverantwortung weiter Bevölkerungsteile zu demonstrieren oder auch Kontinuitäten aufzuzeigen. Hatten Sie ähnliche Intentionen?

Na, da war ich doch in einer anderen Situation als die Historiker in der Bundesrepublik. Die Auseinandersetzung um die Frage ,Was haben die Deutschen angerichtet?‘ war in der DDR gesellschaftlich von Anfang an viel breiter angelegt, unabhängig von aller später einsetzenden Forschung. 1950 hat die DDR die Oder-Neiße-Grenze anerkannt, das machte schmerzlich bewusst, was da im Osten angerichtet worden war. Gleiches taten auch die Reparationen, die an die Sowjetunion zu leisten waren. Heute ist kaum noch richtig vorstellbar, was das bedeutet hat! Wenn tausende von Arbeitern Dinge herstellen, die sie selbst nötig und gut gebrauchen können, und wissen: Das geht alles in Waggons und die fahren Richtung Moskau. Damit war die Vergangenheit gegenwärtig. Es gab einen Zwang zu erklären, warum hier eine Rechnung beglichen werden musste. Damit ist die aufklärerische Leistung der frühen Antifaschisten und der später beteiligten Geschichtswissenschaft nicht ignoriert. Diese Leute waren und blieben zwar eine Minderheit. Doch bestimmte diese Minderheit das gesellschaftliche Klima zunehmend.

„In der DDR gingen alle Geschichtsabsolventen in den Staatsdienst.“

Seit 1965 waren Sie Hochschullehrer an der Humboldt-Universität in Berlin und haben dort auch politische Maßnahmen gegen Studenten unterstützt. Sehen Sie da eine Linie zum Parteisekretär Kurt Pätzold, der damals an der Jenaer Universität aufgetreten war?

Die Kontinuität besteht darin, dass ich von der Überzeugung geleitet blieb, an diesem Platze kannst du Menschen für eine gute und gerechte Sache gewinnen. Nun ist seit 1990 davon ein Bild entworfen worden, demzufolge das mit Mitteln des ideologischen und sonstigen Drucks geschehen sei. Zum Beweis dafür werden politische Auseinandersetzungen angeführt, die damit endeten, dass Studenten gezwungen wurden, sich die ,Welt DDR‘ zeitweilig nicht aus der Perspektive der Hörsaalbank, sondern aus der eines Produktionsbetriebes, von einer Werkbank aus anzusehen. Wir reden in meinem Fall von fünf Studenten, was die Sache nicht besser macht, aber bestimmte, absichtlich übertriebene Vorstellungen korrigiert. Das war ein harter Eingriff in die Biografie junger Menschen. Später habe ich mich gefragt: „Wie sähe ich die Sache an, wenn einer der Betroffenen sich einen Strick genommen hätte?“ Das habe ich damals nicht bedacht.

Warum haben Sie so eine mögliche Entwicklung nicht bedacht?

Wir hatten uns selber eine Falle gestellt: In der DDR gingen alle Geschichtsabsolventen in den Staatsdienst: In Schulen, Museen, Gedenkstätten und andere Einrichtungen, die sämtlich pädagogische Aufträge erfüllten. Das war an ideologische Voraussetzungen geknüpft. Die Kommissionen für die Berufslenkung‘ unserer Absolventen konnten am Ende eines Studiums nicht sagen: „Wir haben Sie fachlich gut ausgebildet, nur leider genügen sie unseren politischen Anforderungen nicht.“ Zu der gerade geschilderten Methode, das zu vermeiden, habe ich heute ein kritischeres Verhältnis. Dass mit ihr auch Opportunisten erzogen werden, die sich einfach an die ideologischen Anforderungen anpassten, wusste ich damals schon. Aber ihre negative Folge war vor allem die Rückwirkung in die gesamte Atmosphäre an der Universität.

Im Unterschied zu manch’ anderen Professoren haben Sie sich diese politische Aufgabe aktiv zu Eigen gemacht. In Ihrer Autobiografie bezeichnen Sie sich ironisch als ,Erziehungsdiktator‘…

Die Verwendung des Begriffs erschöpft sich nicht in Ironie.

1976 wurde ein Geschichtsstudent wegen seiner Sympathien für Wolf Biermann für ein Jahr von der Universität geworfen …

Damals war ich Direktor der Sektion Geschichte. Das Verfahren war das gleiche wie vorher. Ich vermied diesmal lediglich ein Disziplinarverfahren. Wir vereinbarten, dass der Student während seiner Arbeit in einem Berliner Industriebetrieb die Verbindung mit einem unserer Professoren halten konnte. Das geschah. Später kehrte er, wie die 1968 aus der Universität Verwiesenen, zum Studium zurück. Er ist dann auch Mitglied der SED geworden und dies nach meinem Eindruck ohne einen Anflug von Anpassung. So viel zur Erziehungsdiktatur – mit und ohne Anführungszeichen.

„… dass es Schwierigkeiten zu meistern gibt, aber kein Zurück zum Kapitalismus.“

Wie haben Sie die Zeit vor der so genannten ,Wende‘ erlebt?

Ich hatte zu jener Zeit keine Parteifunktion. Aber ich hatte wohl unter meinen gleichaltrigen und jüngeren Kollegen und natürlich auf die Studenten, die sich bei mir fachlich spezialisierten, einen gewissen Einfluss. Ich wusste, dass es an der Universität Genossen gab, die sich mit Reformprojekten beschäftigten, Dieter Klein und andere, die haben mir auch eine ihrer Ausarbeitungen geschickt. 17 Ich war mit meiner Forschung beschäftigt, und ich habe mir von derlei Schreibübungen nicht sehr viel versprochen. Heute erscheint mir auch vieles, was ich 1989 in Parteiversammlungen kritisch gesagt habe, nur als die Bewegung von Luft. Über die Mitglieder im Politbüro ließ sich in der späten DDR eigentlich nur noch sagen: „Geht mit Gott, aber geht“. Das habe ich getan. Es blieb folgenlos für mich, aber ebenso folgenlos in der Sache.

Spätestens als die Ausreisewelle im Mai 1989 via Ungarn einsetzte, hätte die Staatsführung eine grundsätzliche Verständigung mit der Bevölkerung über Weg und Ziel suchen müssen. Die wäre aber nur mit einem Offenbarungseid über die desolate Lage zu eröffnen gewesen. Damit wären immerhin Millionen Parteimitglieder erreicht und davon sicher viele mobilisiert worden. Das hätte die DDR schwerlich vor dem Ende bewahrt, ihr Untergang hätte sich aber anders und mit anderen Folgen vollzogen.

Sie haben diesen Staat von Anfang an mit aufgebaut. Doch wenn er untergeht, wird nicht mehr gekämpft?

Dass der Untergang der DDR bevorsteht, war mir nicht bewusst. Wir waren Sklaven und am Ende Opfer der Vorstellung, dass es zwar noch viele Schwierigkeiten zu meistern gibt, aber kein Zurück zum Kapitalismus. Das lag jenseits unserer Vorstellungen. Die Vorbereitungen auf den 40. Jahrestag der DDR knallten mit der Wirklichkeit zusammen und waren mir zuwider. Meine Reaktion darauf war indessen nicht sonderlich ruhmvoll. Ich bin im Herbst 1989 zu einer Konferenz nach Oldenburg in den Westen gefahren, dann zu meinem guten Bekannten, einem Pfarrer in Bremen. Wir besuchten abends am 7. Oktober eine Aufführung von ,Cosi fan tutte‘. Danach sahen wir im Fernsehen, was sich in Berlin abgespielt hatte. 18 Am nächsten Morgen ging ich mit einer mir gut bekannten Kollegin die Weser entlang und habe sie gefragt: „Soll ich an der Universität weiter machen oder in die Politik gehen“. Ich erhielt zur Antwort: „Lass da mal die Jüngeren ’ran.“ Ich blieb ihr für diesen Rat bis heute dankbar. Anschließend fuhr ich nach Wien zu einer Konferenz und arbeitete danach dort in einem Archiv. Ein Wissenschaftler, wenn er an seiner Profession hängt, hat immer die Möglichkeit zu solcherlei Flucht.

Nach der ,Wende‘ gab es an der HU große Konflikte. Insbesondere wegen ihrer Staatsnähe sollte die Sektion Geschichte vollständig abgewickelt werden.

 

Die Abwicklung ist formal gescheitert, aber dann auf anderem Wege doch durchgesetzt worden. Lassen wir die vorgetäuschten und die wirklichen Gründe für unsere Abwicklung einen Moment beiseite. Zunächst überfiel der noch amtierende Direktor die Kollegen in einer öffentlichen Versammlung mit einer kritischen Betrachtung zur Geschichte der Sektion, an der dieser selbst lange gearbeitet hatte. Das war der Auftakt einer Selbstbefragung, von der später behauptet worden ist, es habe sie nicht gegeben oder sie wäre nur unter Zwang zustande gekommen. Ich sprach in der Debatte über meine Verantwortung für jene Maßnahmen gegen Studenten, von denen wir schon redeten. Darüber erschien dann aus der Feder eines Journalisten, der selbst gar nicht anwesend war, ein Bericht in einer Westzeitung. 19

Sie waren sofort einer derjenigen, die im Zentrum der Kritik standen?

Es gab zunächst eine Kommission aus Angehörigen unserer Sektion, die über die Zukunft der Sektion Geschichte beriet. Die verfiel auf die Vorstellung, wenn wir das Boot erleichtern, schwimmt es weiter. Ich galt als solcher Ballast. Im Grunde wurde da im vorauseilenden Gehorsam gegenüber den zu erwartenden neuen Herren gehandelt. Die traten alsbald selbst in Aktion. Geht ein Staat unter, sei es im Ergebnis einer Revolution oder einer Konterrevolution, haben die ihn prägenden Personen ihre Plätze zu räumen. Sie gelten mindestens als unbrauchbar. Das ist das Normalste in der Geschichte. Mir kamen stets die Historiker lächerlich vor, die sich über Geschichte beschweren. Und ich habe die guten Freunde und Bekannten bestaunt, die im Hinblick auf das ihnen Bevorstehende Illusionen hatten und wundere mich bis heute über die dabei zutage getretene Naivität. Meine Entlassung Ende 1992 hat mich nicht überrascht. Allenfalls, dass sie relativ spät erfolgte. Zunächst hatten die Verantwortlichen wohl gehofft, dass sich meine Kündigung mit Hilfe von Stasi-Unterlagen bewerkstelligen ließe, die mich belasten würden. Dann musste für meine Entlassung doch eine andere Begründung verfertigt werden, die vor dem Arbeitsgericht standhält. Das war angesichts der politischen Orientierung der Arbeitsrichter aber keine allzu schwierige Aufgabe.

„Die Idee des Aufbruchs in eine Gesellschaft ohne Krieg, ohne Ausbeutung …“

Sie sind dann arbeitslos geworden und in den Vorruhestand gegangen.

Ich wollte zu der Beerdigung eines Kollegen nach Leipzig fahren und sollte, um mich aus der Stadt entfernen zu dürfen, dies beim Arbeitsamt beantragen! Darauf habe ich mit einem anderen Antrag reagiert, nämlich dem auf Einritt in den Vorruhestand. Materielle Konsequenzen hatte das auch deshalb nicht, weil meine Frau als Historikerin vor allem in der Forschung weiter arbeitete. Die Härte der Abwicklung betraf auf Jahre hinaus und bis heute vor allem meine jüngeren Kollegen, von denen manche unter den Segnungen von Hartz IV leben und dabei forschen und zu publizieren suchen. Das tue ich unter den vergleichsweise privilegierten Bedingungen eines Rentners nach Osttarif. Manches ist dabei zum Druck gelangt. Ein früherer Student hat mir bei einer zufälligen Begegnung gesagt: „Wenn man Sie nicht rausgeschmissen hätte, hätten sie sicher nicht so viel geschrieben.“ Punkt.

Die 40 Jahre in der DDR – waren die für Sie verlorene Zeiten‘?

Für mich, wie für viele andere meiner Herkunft, gilt, dass sich uns 1945 Möglichkeiten eröffnet haben, die sich eben nur durch diesen Weg in die DDR und dann in ihr eröffneten – Wege in die Wissenschaft, ein Tor zur Kultur, Arbeitsfelder, die uns lohnend schienen und es waren. Eine Ökonomin, einstige Jenaer Kommilitonin, sagte mir das mit dem Blick auf ihre Biografie so: „Ohne dieses ‘45 wäre ich wie meine Vorfahren Näherin in einer Textilfabrik in Gera geworden und geblieben.“

Und dann rührt aus diesen Jahren noch etwas anderes her: Die menschlichen Beziehungen, die sich zu Zeiten der DDR entwickelt haben. Diese Idee des Aufbruchs in eine Gesellschaft ohne Krieg, ohne Ausbeutung, mit einem auskömmlichen und allmählich reicher werdenden Leben für alle, hat in Jahren und Jahrzehnten Bindungen geschaffen – auch wenn sie am Ende gescheitert ist! Wenn ich jemandem aus längst vergangenen Zeiten per Telefon anrufe und er spricht mit mir, als hätten wir gestern ein Bier miteinander getrunken und am Ende nur vergessen, uns noch etwas zu erzählen … Da lebt etwas fort von dem in der DDR praktizierten Verhältnis, in das individuelle und überindividuelle Interessen zueinander gesetzt waren. Jeder besaß seine eigenen Lebensvorstellungen, seine Vorlieben und Abneigungen. Aber darüber stand noch etwas anderes: eine Vorstellung von einer Welt, die gemeinsam gestaltet werden sollte, ein Optimismus, der zunächst trug und fruchtbar gemacht werden konnte, sich dann aber und endlich als ungerechtfertigt erwies. Die sozialistische Menschengemeinschaft war ein Traumbild. Doch warum sagen Menschen aus der DDR, dass sie in ihren neuen Verhältnissen, bei allen materiellen Gewinnen der ,Wende‘, manchmal unter der Kälte leiden? So viel zu den ,verlorenen Zeiten‘. Und dann – Gewonnenes hin, Verlorenes her – gibt es für mich noch eine moralische Befindlichkeit. Wie zufrieden lässt es sich leben, wenn man für Weltzustände mitverantwortlich ist, in denen es so vielen Menschen einfach dreckig geht, deren Denken bis zur nächsten Mahlzeit reicht, die ihr blankes Überleben sichert?

Das Gespräch führte Alexander Thomas

1 Kurt Pätzold: Die Geschichte kennt kein Pardon! Erinnerungen eines ostdeutschen Historikers, Leipzig 2008. Zu den Vorgängen an der Humboldt-Universität und Pätzolds damalige Forderungen: vgl. den Aufsatz von Rainer Eckert u. a.: ”Klassengegner gelungen einzudringen …“ Fallstudie zur Anatomie politischer Verfolgungskampagnen am Beispiel der Sektion Geschichte der Humboldt-Universität zu Berlin in den Jahren 1968 bis 1972, JHK (1993), 197–225, das folgende Zitat ebd. S. 224.

2 So Ilko-Sascha Kowalczuk: Legitimation eines neuen Staates. Parteiarbeiter an der historischen Front. Geschichtswissenschaft in der SBZ/DDR 1945-1961, Berlin 1997, S. 206.

3 Mit der Gründung der Sozialistischen Arbeiterpartei Deutschlands (SAPD, auch SAP) spalteten sich linke Sozialdemokraten in Deutschland 1931 von der SPD ab. Nach 1945 löste sich die Partei de facto auf.

4 Nach 1945 entstanden (nicht nur) in der Sowjetisch Besetzten Zone vielfältige antifaschistische Zirkel, meist im Umfeld von Mitgliedern der Arbeiterbewegung aus der SPD oder der KPD, die die NS-Zeit in Deutschland überlebt hatten. In ihrem Programm waren sie parteipolitisch nicht festgelegt; sie wurden später durch die Machtpolitik der SED unter Führung der aus dem sowjetischen Exil zurückgekehrten Kommunisten marginalisiert.

5 Kurt Goldstein (1914-2007) und Stefan Heymann (1896-1967) waren jüdische Kommunisten, die im KZ Buchenwald beide dem von deutschen Kommunisten dominierten Lagerwiderstand angehörten. Nach 1945 machten sie in der DDR Karrieren als Kulturfunktionäre. Heymann tat sich nach 1945 als Zensor von Veröffentlichungen über das KZ Buchenwalds hervor, insbesondere von Schilderungen unpolitischen‘ (jüdischen) Leides. Der KPD-Politiker Ernst Busse (1897-1952), Angehöriger des Buchenwalder Widerstands in leitender Funktion, geriet nach 1946 in die Machtkämpfe zwischen Moskau-Emigranten und ,Altkommunisten‘, die die NS-Zeit in Deutschland überlebt hatten. Als ehemaliger Funktionshäftling im KZ-Buchenwald wurde er der ,Kollaboration‘ mit der SS bezichtigt, 1950 vom sowjetischen Geheimdienst verschleppt, 1951 als Kriegsverbrecher‘ verurteilt. Er kam in einem sowjetischen Straflager (GULag) in Workuta ums Leben. Walter Wolf (1907-1977) war als Kommunist in Buchenwald inhaftiert und arbeitete dort ab 1944 in einem ,Volksfrontkomitee‘ an schulpolitischen Sofortmaßnahmen nach der Befreiung. In der DDR wirkte er als Bildungspolitiker, später als Pädagogikprofessor.

6 Josef W. Stalin, Über den Großen Vaterländischen Krieg der Sowjetunion, Moskau 1946.

7 Der ,Kurze Lehrgang‘ (B steht für Bolschewiki) ist ein Propagandatext der Kommunistischen Partei der Sowjetunion (KPdSU), der während der Zeit des stalinistischen Terrors entstand und 1938 das erste Mal in der Sowjetunion erschien. Nach 1945 wurde er innerhalb der KPD/SED offiziell für die politische Schulung der Parteimitglieder und –funktionäre eingesetzt.

8 Pätzold bezieht sich auf Auseinandersetzungen, die nach den 1890er Jahren innerhalb der deutschen, aber auch der internationalen Arbeiterbewegung ausgetragen wurden. Dabei ging es um die Frage, ob der Sozialismus mittels Klassenkampf und revolutionärem Umsturz der bürgerlichen Gesellschaft (Revolutionismus) oder durch langfristige Reformen zu erreichen sei. Der Reformflügel unterzog die Grundschriften des Marxismus einer Neuinterpretation und wurde daher Revisionismus genannt.

9 Hans Leisegang (1890-1951) war Philosoph und Physiker. Er wurde 1948 wegen kritischer Äußerungen gegen die kommunistische Hochschulpolitik aus seiner Professur für Philosophie an der Universität Jena entlassen. Leisegang übernahm danach ein Ordinariat für Philosophie an der neu gegründeten Freien Universität in der amerikanischen Besatzungszone in Berlin.

10 Hugo Preller (1886-1968), Historiker, hatte während des Nationalsozialismus politische Schwierigkeiten und wurde sogar zwangsweise in einer psychiatrischen Anstalt untergebracht. In der DDR war er bis zu seiner Emeritierung 1952 als Professor an der Universität Jena tätig.

11 Vgl. zuletzt Lothar Mertens: Lexikon der DDR-Historiker, Biographien und Bibliographien zu den Geschichtswissenschaftlern aus der Deutschen Demokratischen Republik, München 2006, S. 44. Tobias Kaiser führt den Selbstmord dagegen auf eine depressive Grunderkrankung zurück, an der Griewank schon seit seiner Jugend hin und wieder gelitten habe (vgl. Tobias Kaiser: Karl Griewank. Ein Historiker im ,Zeitalter der Extreme‘, Stuttgart 2006; S. 27; präsentiert aber auch zahlreiche Belege für das Vorgehen der Vertreter der SED (vgl. S. 244f.; 263).

12 Walter Schmidt (*1930) studierte ebenfalls bei Karl Griewank. Er arbeitete vor 1989 zuletzt an der Akademie der Wissenschaften der DDR und war u. a. als Direktor des dortigen Zentralinstituts für Geschichte einer der einflussreichsten Historiker der DDR.

13 Stefan Heymann argumentierte in seiner Schrift Marxismus und Rassenfrage‘ (Berlin 1948) dafür, den Kampf gegen Judenverfolgung und Antisemitismus als Teil des marxistischen Klassenkampfes zu betrachten.

14 Beide Filme entstanden unter der Regie von Kurt Maetzig. ,Ehe im Schatten‘ (1947) handelt von der Ehe eines jungen Schauspielers mit einer während des Nationalsozialismus als Jüdin verfolgten Frau. ,Die Buntkarierten‘ (1949) portraitiert am Beispiel der Lebensgeschichte eines Dienstmädchens den aufkommenden Antifaschismus im Arbeitermilieu.

15 Rudi Goguel (1908-1976) war als Funktionär der KPD zwischen 1934 und 1945 mehrfach in Gefängnissen und Konzentrationslagern inhaftiert. Nach 1945 arbeitete er u. a. als Historiker an der Berliner Humboldt-Universität. Er gab 1973 den Sammelband Juden unterm Hakenkreuz‘. heraus, dessen Interpretation der Judenverfolgung sich deutlich von der gängigen Deutung in der DDR unterschied.

16 Der Faschismus, die „offene, terroristische Diktatur der reaktionärsten, chauvinistischsten, am meisten imperialistischen Elemente des Finanzkapitals“. Mit dieser Formel deutete der bulgarische Kommunist Georgi Dimitroff 1935 den Zusammenhang zwischen Faschismus und kapitalistischer Gesellschaft. Sie erhielt danach auch für die marxistische Geschichtswissenschaft der DDR einen großen Einfluss auf die Interpretation des Faschismus.

17 An der Berliner Humboldt-Universität hatte sich Ende der 1980er Jahre ein Kreis von Gesellschaftswissenschaftlern gebildet, die der SED angehörten und nach Möglichkeiten für eine Reform des sozialistischen Staates suchten.

18 Am 7. Oktober 1989 fanden offizielle Feiern zum 40. Jahrestag der Gründung der DDR statt. Parallel kam es zu zahlreichen Protestaktionen der Opposition, denen mit massiver Polizeigewalt begegnet wurde. Einige Ereignisse in Berlin konnten von Korrespondenten der ARD gefilmt werden.

19 Götz Aly: Deutschstunde: Opfer so weit das Auge reicht. Historiker der Humboldt-Universität rücken die eigene Geschichte zurecht/ Disziplinierte Ex-Studenten wurden geschnitten, abgedruckt in: Rainer Eckert u. a. (Hg.): Hure oder Muse? Klio in der DDR. Dokumente des Unabhängigen Historiker-Verbandes, Berlin 1994, 325-327.

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