Verlorene Zeiten?

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Haben Sie jemals überlegt, in den Westen zu gehen, so wie Ihre beiden Professoren?

Nein, überhaupt nicht. Ich hatte hier meine Heimat, war mit der Stadt verbunden. Ich hatte meine Familie hier. Das war von vornherein kein Thema. Aber ich war einmal in West-Berlin zu einer großen Bauausstellung. (Überlegt) 1958 muss das gewesen sein. Da war ich nicht delegiert, sondern aus eigenem Interesse. Das war mehr oder weniger illegal, und das hat man mir dementsprechend sehr übel genommen. Aber ich wollte die Ausstellung sehen, ich wollte wissen, wie man dort baut! Mir war klar, dass das Konsequenzen haben würde. Das Ministerium für Staatssicherheit hat mich danach auf seine Liste gesetzt. Ich wurde als ,nicht mehr zuverlässig‘ registriert, und von da an ständig unter Beobachtung gehalten.

Wussten Sie, dass Sie auf dieser Liste der Stasi standen?

Das wusste ich. Das waren einfach Erfahrungen, die man sammelte. Später, 1965, kamen zum Beispiel Leute zu mir in die Wohnung – unangemeldet. Haben mir erklärt, ich sei in West-Berlin gewesen, und das wäre illegal, ich hätte gegen gesetzliche Regelungen verstoßen und dergleichen. Ob ich das nicht wieder gut machen möchte? – „Sie könnten bei uns tätig sein.“ Ich habe abgelehnt, habe gesagt: „Ich bin Fachmann, kein Politiker. Ich bin nicht geeignet für solche Dinge.“ Auch das hat man mir übel genommen. Ich habe ja damals auch sehr gegen die industrielle Bauweise protestiert, die einheitlichen Typen der Plattenbauweise. Das war aber nach Meinung der Stasi gegen die Ökonomie, gegen den Fortschritt. Da wurde ich immer wieder gemaßregelt

Wie muss man sich diese Maßregelung vorstellen?

Das neue Wohngebiet ,Fritz Heckert‘ 8 in Karl-Marx-Stadt entstand damals unter meiner Federführung. Wir hatten einen DDR-offenen Wettbewerb veranstaltet. Da kamen sehr interessante Ergebnisse zustande, die ich mir zu Eigen machte. Ich war der Meinung, man kann zwar industrielle Plattenbauweise machen, aber nicht in der Form, dass man die Häuser alle hintereinander reiht, sondern die Bauwerke so anordnet, dass bestimmte wohnliche Einheiten entstehen. Ich wollte zum Beispiel auch mal die Fassadengestaltung und Geschossigkeit variieren. Aber selbst die Gebäudetypen waren einheitlich von Berlin vorgegeben: Nur 6- und 11-Geschosser! Dagegen habe ich mich aufgelehnt. Ich war der Meinung, man muss ein Wohngebiet in einer Weise bauen, dass die Menschen sich dort wohl fühlen. Deshalb wurde ich zur Bezirksleitung der SED bestellt, wo mir deutlich gemacht wurde, dass es darauf ankäme, möglichst rationell und schnell viele neue Wohnungen zu bauen und das Wohnungsproblem 9 zu lösen.

Wodurch konnte das ,Fritz Heckert’-Gebiet schließlich realisiert werden?

Nachdem die Ergebnisse des Wettbewerbes abgelehnt und die Durchführung verboten worden war, wandte ich mich an das Ministerium für Bauwesen und an die Bauakademie der DDR. Dort fand ich offene Ohren. Hermann Henselmann, 10 der an der Bauakademie tätig war, wurde beauftragt, mit uns in Karl-Marx-Stadt eine Studie für das Wohngebiet ,Fritz Heckert’ zu erarbeiten. Wolfgang Junker, 11 damals Minister für Bauwesen, kam nach Karl-Marx-Stadt, hat sich die Studie angeguckt und schließlich eine Beratung im Sekretariat der SED Bezirksleitung veranlasst. Professor Henselmann und ich wurden hinbestellt, wo man uns klarmachte, dass mit dieser Studie auch Änderungen der Wohnbautypen verbunden wären. Und das werde nicht genehmigt: Das sei unökonomisch und die Anwendung der vorgegebenen Typen verbindlich.

War der Einwand der Unwirtschaftlichkeit denn berechtigt?

Ganz im Gegenteil: Wir konnten nachweisen, dass mit unserer Studie 25 Millionen Mark gegenüber ursprünglichen Planungen eingespart werden können! Aber das spielte keine Rolle: Die normierten Typen waren entscheidend. Das veranlasste in dieser Sekretariatssitzung den doch recht bekannten und anerkannten Architekten Hermann Henselmann zu sagen, die Berliner Typen müssten abgelöst werden. Das hat man ihm sehr übel genommen. Mir blieb lediglich übrig, doch so zu bauen, wie vorgegeben. Ich hatte keine Wahl. Aber da ich mich hinter diese Studie gestellt hatte, spürte ich immer wieder, dass Leute hinter meinem Rücken tätig waren, mich beobachteten. Schließlich kam ich dahinter, dass mein Stellvertreter, der mit mir ständig zusammengearbeitet hatte, als IM des Ministeriums für Staatssicherheit tätig war.

„Diese Zeit war fürchterlich!“

Hat Ihr Stellvertreter Ihnen von sich aus von seiner Spitzeltätigkeit erzählt?

Es hatten sich Leute aus Berlin angemeldet. Und mir war klar, das waren nicht Leute vom Bauwesen, sondern vom Ministerium für Staatssicherheit. Ich hatte die Möglichkeit, diesem Gespräch auszuweichen, indem ich in der Stadt plötzlich eine Sache in Ordnung bringen musste, etwas, was schief gelaufen war in einer Baudurchführung. Deswegen beauftragte ich meinen Stellvertreter, das Gespräch wahrzunehmen. Als ich mich dann hinterher erkundigte, was die Leute wollten, da stellte sich heraus, das die etwas miteinander zu tun hatten. Er hat mir damals gestanden, dass er mit denen schon mal Kontakt gehabt hatte. Nach der Wende habe ich dann in meinen Stasiunterlagen nachlesen dürfen, wie das im Detail vor sich gegangen ist: dass er beinahe jede Woche einen Bericht nach Berlin geschickt hat. Insofern spitzte sich das alles immer mehr zu. Diese Zeit war fürchterlich!

Hat man Ihnen damals auch in irgendeiner Form gedroht?

Ich hatte eines Tages im Winter 1982/83 ein Schreiben bekommen vom Ersten Sekretär der SED-Bezirksleitung, in dem mir mitgeteilt wurde, dass ich mich im Ministerium für Staatssicherheit melden sollte. Ich bin dann zum Ersten Sekretär der Bezirksleitung gegangen und wollte wissen, worum es da geht. Da wurde mir mehr oder weniger deutlich gesagt, dass es für mich um eine Änderung meiner Tätigkeit gehe. Daraufhin informierte ich den Oberbürgermeister darüber. Dieser teilte der SED-Bezirksleitung mit, ich hätte so viele Verdienste um die Stadt, dass es einfach nicht gängig sei, mich auf diese Art und Weise von meiner Funktion zu entbinden. Er hatte der Bezirksleitung erklärt, dass er nicht zulassen wird, dass ich abgelöst werde. Das war mein Glück, ich bin dann auch nicht nach Berlin gefahren, und von meiner Ablösung wurde dann auch erstmal abgesehen

Haben Sie den Druck der Stasi auch privat zu spüren bekommen?

Anfang 1990, nach der Wende, stellte ich fest, dass das private Telefon in unserer Wohnung immer mal wieder aussetzte. Da hab’ ich einen Techniker bestellt und gesagt: „Das muss mal repariert werden.“ Das hat er auch gemacht: Mit der Pinzette hat er so eine kleine Sache rausgeholt, mir hingelegt: „Das können sie behalten.“ Ich war die ganze Zeit abgehört worden, auch privat. Das hat natürlich dazu beigetragen, dass die Stasi hellhörig war, denn privat haben wir 12 uns oft über Dinge unterhalten, die nun nicht so regimefreundlich waren.

Wie standen Sie während Ihrer Laufbahn allgemein zur DDR oder zum Sozialismus?

Also, ich war ja Mitglied der SED. Bin im Jahre 1948 Mitglied geworden, noch während meiner Studienzeit, weil ich einfach der Meinung war, man darf nie wieder zulassen, dass ein solches Massenmorden begonnen wird wie im Zweiten Weltkrieg. Ich hatte das ja persönlich hautnah erleben müssen an der Oder-Neiße. Ich war ursprünglich überzeugt: Man kann im Sozialismus streben und tätig sein, den Menschen helfen, dass sie in Frieden, Glück und Wohlstand leben können. Ich war der Auffassung, man kann in diesem Staat nicht nur für den Frieden arbeiten, sondern auch in meinem Beruf als Stadtarchitekt so bauen, dass die Menschen sich wohl fühlen. Das war mein Ziel. Aber das wurde mir immer mehr verwehrt. Stattdessen dirigierte man mich immer mehr in Richtung Industrie- und Massenbauweise.

„… diese öden, trostlosen Plattenbauten …“

Wie sah Ihr Arbeitsalltag als Stadtarchitekt konkret aus?

Wir bekamen praktisch die Auflage vom Ministerium für Bauwesen, im Planjahr soundsoviele Neubauwohnungen in Plattenbauweise zu errichten. Der Plan musste erfüllt werden, ob man wollte oder nicht. Die Altbausubstanz wurde vernachlässigt. Man hatte unter meiner Führung dann zwar doch die Altbaugebiete Brühl und Sonnenberg in Karl-Marx-Stadt zu sanieren begonnen, aber das war mit hohem ökonomischen Aufwand verbunden. Das nahm man mir übel und sagte, hier werden Baukapazitäten vergeudet, die woanders gebraucht werden, die im Wohnungsbau fehlten. Die wollten die Altbaugebiete abreißen und durch Plattenbauten ersetzen. Das war überall so in der DDR, nicht nur in unserer Stadt. Und dagegen hat man sich gemeinsam mit den Bewohnern aufgelehnt und gesagt: Es kann doch nicht sein, dass man die historische Altbausubstanz einfach wegreißt und durch diese öden, trostlosen Plattenbauten ersetzt.

Zum einen gab es die Auflehnung gegen den Abriss historischer Altbauten. Andererseits wollten viele in einer Neubauwohnung wohnen.

Die Neubauwohnungen waren sehr gefragt, natürlich. Da kam warmes Wasser aus der Wand, es gab Bäder, da war Fernwärmeversorgung, es gab einen Müllschlucker. Das war gegenüber den Altbauten mit Trockenabort auf halber Etage oder im Hof ein enormer Fortschritt. Viele kamen aus den maroden Altbaugebieten und suchten sich eine Wohnung in den Plattenbauten. Die logische Folge war, dass der Leerstand in den Altbaugebieten immer größer wurde. Und da hat man gesagt, das reißt man alles weg, da kommen auch Neubauwohnungen hin. Aber das Umfeld der Neubauten blieb oft eine Wüstenei. Beim Bau des ,Fritz Heckert‘-Gebietes zum Beispiel fehlte es an Tiefbaukapazität. Die Außenanlagen wurden nicht fertig, weil die Mittel einfach nicht da waren. Und die Bewohner der Plattenbauten mussten früh zur Arbeit durch Schlamm und Wüstenei waten. Jeder, der in der Stadt jemanden mit schmutzigen Schuhen sah, sagte sich: „Ach, der kommt wohl aus dem ,Fritz Heckert‘-Gebiet.“

 

Hatten Sie als Architekt innerhalb der ganzen Vorgaben überhaupt die Möglichkeit, in irgendeiner Art und Weise kreativ zu sein?

Nun ja, es gab Mangel an Geld und Mangel an Material. Kreativ konnte ich nur in der Zeit sein, als das Stadtzentrum wiederaufgebaut wurde. Dort konnte man zum Teil mit individuell gefertigten Typen arbeiten. Die Karl-Marx-Städter Stadthalle zum Beispiel, das war ein individuelles Projekt, wo man kreativ sein konnte. Es wurde in solchen Fällen eine bestimmte Summe bereitgestellt, etwa für die Gestaltung einer Stadthalle oder für den Aufbau eines Hotels. Damit konnte man versuchen, etwas zu bauen, was nicht aus vorgefertigten Elementen zusammengesetzt war, was man individuell gestalten konnte, und womit man auch der Stadt ein unverwechselbares Gesicht geben konnte.

Wenn Sie mit den ,von oben‘ verordneten Vorgaben so häufig nicht einverstanden waren, warum haben Sie Ihren Beruf so lange ausgeübt?

Ja, eigentlich habe ich ihn zu lange gemacht. Das könnte ich mir selber noch zum Vorwurf machen. Erst 1984 hab’ ich dann den Schlussstrich gezogen und gekündigt. Man hat mich nicht herausgeworfen, sondern ich bin gegangen. Einmal aufgrund des Drucks seitens der Staatssicherheit, da ich immer mehr bespitzelt wurde und mir mehr und mehr Schwierigkeiten bereitet wurden. Zum anderen wegen der unbefriedigenden Arbeitsweise, also auf diese Weise bauen zu müssen, obwohl ich mir selbst darüber im Klaren war, dass man so nicht bauen darf. Als mein Nachfolger wurde als Stadtarchitekt ein Tiefbau-Ingenieur bestimmt, der nach kurzer Zeit wieder entlassen werden musste.

Und umgekehrt gefragt: Warum hat man Sie trotz Ihrer kritischen Haltung so lange in dieser Position belassen?

Die Frage habe ich mir auch oft gestellt und kam zu der Überzeugung, man hätte keinen Besseren gefunden. (lacht) Es war ja so, dass der Wiederaufbau des Stadtzentrums und auch der Wohngebiete doch recht schwierig war. Mir war es gelungen, diese Schwierigkeiten immer wieder zu meistern. Selbst wenn Kapazitäten fehlten, wie etwa bei der Sanierung der Altbauwohnungen in Brühl, einem Stadtteil von Chemnitz. Der Brühlboulevard, der da entstanden war, wurde in der DDR ja hoch gelobt! Erich Honecker kam persönlich nach Karl-Marx-Stadt und ließ sich feiern von den Bewohnern, die begeistert waren von diesem Altbaugebiet. 13 Das veranlasste immer wieder Leute in der Bezirksleitung zu sagen: „Irgendwie hat der Beuchel doch die Menschen gewonnen für unsere Sache und unsere Stadt. Soll er halt weitermachen.“ Ich erhielt sogar den Architekturpreis der DDR für den Brühl. Die Bezirksleitung der SED und sicherlich auch das Ministerium für Staatssicherheit versuchten, das zu verhindern. Aber da ich gute Kontakte zur Bauakademie hatte, haben sich die Leute dort durchgesetzt beim Minister für Bauwesen, unserem ,Betonminister Junker‘. Ich merkte aber eben immer wieder, dass es Leute gab, die versuchten mir Steine in den Weg zu legen.

„… bei dem Beuchel, da müsst ihr aufpassen.“

Sie blieben aber trotz aller Einschränkungen in der SED?

Ich muss ehrlich sagen, ich habe mich nicht durchringen können, mich von der Mitgliedschaft zu lösen. Man hätte mir dann ganz schnell Dinge nachreden können – das habe ich dann lieber nicht gemacht. Man hat mir aber immer wieder deutlich zu machen versucht, ich möge mich doch an das Statut der Partei halten und nicht gegen die Partei revolutionieren. Ich wurde jedenfalls mehr und mehr enttäuscht von dem, was ich mir anfangs unter der Mitgliedschaft in dieser Partei vorgestellt hatte.

Ungeachtet aller Schwierigkeiten haben Sie immer wieder Kritik geübt und haben nicht resigniert?

Nein, ich war immer aufmüpfig (lacht). Ich bin dann nach meiner Kündigung zum Kombinat Bau und Rekonstruktion nach Karl-Marx-Stadt gegangen. Das war der Hauptauftragnehmer bei der Rekonstruktion des Altbaugebietes Sonnenberg. Mit denen hatte ich gut zusammengearbeitet, man war erfreut, dass ich dort anfangen wollte und gab mir den Auftrag, eine Planungsabteilung zu installieren und die gesamte Projektierung, Planung und Vorbereitung für die Umgestaltung des innerstädtischen Altstadtgebietes im eigenen Kombinat zu bewältigen, was erfolgreich abgeschlossen wurde.

Wusste Ihr neuer Arbeitsgeber über Ihre Probleme mit der Stasi Bescheid?

Die wussten Bescheid, also ganz in Ruhe gelassen wurde ich trotzdem nicht. Eines Tages kam der Parteisekretär zu mir: „Ich muss dir mal was sagen, da sind Leute hier gewesen, die haben sich nach dir erkundigt“. Ich fragte, was sie wollten. „Na, das waren welche von ganz oben, und die haben gesagt, bei dem Beuchel da müsst ihr aufpassen, der ist so widerspenstig.“ Diese Arbeit im Kombinat hab’ ich bis 1986 gemacht, dann kam der Oberbürgermeister und sagte: „Wir müssen für das Klinikum Küchwald in Karl-Marx-Stadt einen neuen OP-Trakt bauen, die Bettenhäuser sanieren und vieles mehr. Da wird einer gebraucht, der das kann.“ Also wurde ich weggeholt und kam wieder zurück zur Stadtverwaltung, um das Klinikum zu sanieren. Als 1989 im Sommer alles soweit fertig war, gab es eine Einweihungsfeier, wo bestimmte Leute eingeladen waren. Mir wurde die Liste gezeigt, und da stand Siegfried Gehlert – das war der Bezirkschef des MfS in Karl-Marx-Stadt. Da habe ich den Chefarzt gefragt, weshalb der Gehlert hier eingeladen ist – was hat der denn mit dem Klinikum zu tun? Er hat mir gesagt, das ist der Auftraggeber für die Sanierung und den Neubau. Das wusste ich bis dahin nicht.

Sie meinen, Sie wurden mit der Absicht, Sie unter Kontrolle zu halten, mit den Klinikumbauten beauftragt?

Offensichtlich. Zu dieser Einweihung bin ich dann nicht gegangen. Als die Wende kam, habe ich dann meine Tätigkeit in der Stadtverwaltung sofort quittiert und mich selbstständig gemacht. Ab 1990 war ich als freiberuflicher Architekt tätig.

War die Wende so etwas wie eine Erlösung für Sie?

Ja, das war wie eine Erlösung. Jetzt ist die Last weg, der Druck, die Probleme mit denen man ständig konfrontiert war. Aber die Selbstständigkeit als freier Architekt brachte natürlich viele neue Probleme mit sich. Man war ja bisher gewohnt, nach TGL 14 zu bauen und zu planen. Wir kannten die DIN-Norm nicht. Auch die Städtebaugesetze waren völlig anders. Die Bauordnung, die uns übergestülpt wurde, war für uns völliges Neuland.

Konnten Sie nun Vorstellungen umsetzen, die vorher in der DDR nicht möglich waren?

Zum Teil schon, erfreulicherweise. Ich hab’ mich auch nach der politischen Wende sehr für den Umbau des Stadtzentrums eingesetzt und war erfreut, dass es doch möglich ist, mit Materialien zu arbeiten, die es zu DDR-Zeiten nicht gab. Dass auch finanziell die Nöte in dieser Form nicht vorhanden waren. Mit der Zeit wurde es aber schwieriger: Die Investoren, die aus den westlichen Bundesländern kamen und hier bauten, brachten ihre eigenen Planer mit. Für die hiesigen Planer blieb dann immer weniger übrig. 1996 habe ich mich dann aus Altersgründen zur Ruhe gesetzt. Aber ich bin heute noch tätig als Berater der Stadt: Die Chemnitzer Stadtplanung legt großen Wert darauf zu hören, was der Beuchel für eine Meinung vertritt.

„Aber ich habe mir eben gesagt, die Zeit war damals so.“

Sie sagten bereits, dass Sie Ihre Stasi-Akten eingesehen haben. Können Sie etwas mehr davon erzählen?

Ich habe schon 1990 den Antrag gestellt. Nach vier Wochen bekam ich dann einen Anruf: „Die Unterlagen sind da, Sie können kommen, aber Sie müssen viel Zeit mitbringen.“ Da wurde dann ein Riesenstapel Akten auf den Tisch gestellt. Ich hatte tagelang zu tun, darin zu lesen und war erschrocken, was da so alles zu Tage kam. Abgesehen von meinem Stellvertreter, der die Berichte geschrieben hatte, gab es noch mehrere Mitarbeiter in meinem Verantwortungsbereich, die als IM auf mich angesetzt waren. Von denen ich das nie gedacht hätte! Das war schockierend.

Haben Sie die Leute, von denen Sie bespitzelt wurden, jemals darauf angesprochen?

Nein. Es ist aber auch keiner von denen zu mir gekommen. Das war ein riesiger Schock, den ich da erlitten hatte. Aber ich habe mir dann gesagt, die Zeit war damals so. Mancher ist da reingestolpert als inoffizieller Mitarbeiter, hat Geld bekommen, ist dadurch möglicherweise korrumpiert worden – was weiß ich. Ich möchte da keinen Vorwurf machen, weil das ganz schnell gehen konnte, dass man in so eine Sache hineingerät, in die Fänge einer solchen Einrichtung, aus denen man nie wieder herauskommt.

Welches Bild haben Sie heute im Nachhinein von der DDR?

Ich sehe heute die DDR anders als früher. Der Staat DDR hat sich von einem Staat des Sozialismus, von den eigenen Idealen, immer mehr entfernt. Ist immer mehr zur Bürokratie und Diktatur gewandert. Die Parteidoktrin und die staatliche Hierarchie wurden immer straffer und ließen immer weniger Möglichkeiten zu. Meine Ideale, die ich ursprünglich hatte, sind immer mehr abgebröckelt. Heute staune ich über mich selber: „Mensch, wie du das so lange durchgestanden hast.“ Aber das war eben die Zeit damals. Man konnte nicht anders …

Wie denken Sie mittlerweile über den Sozialismus, an den Sie ja einmal geglaubt haben?

Vor ein paar Jahren wurde das Karl-Marx-Monument hier in Chemnitz eingehaust, das war eine Kunstaktion. Ich wurde gebeten, über meine Auffassung zu dem Monument und zur Gestaltung der Stadt zu sprechen. Ich hab’ dort in der Öffentlichkeit meine Meinung vertreten, nämlich dass Karl Marx doch eigentlich eine Lehre entwickelt hat, die den Kapitalismus in gewisser Weise bloßgestellt hat. Aber er hat diese Lehre nicht zu Ende gedacht. Er hat nicht gesagt, was nach dem Kapitalismus kommen soll. Das war eigentlich auch der Grund, weshalb die DDR nicht funktioniert hat. Das, was Lenin und andere aus der Lehre gemacht haben, war nicht das, was Marx eigentlich wollte. Schon das war der Grundstein für den Untergang des Sozialismus.

Empfinden Sie ihr Leben in der DDR rückblickend als verlorene Zeit‘?

Nein. Ich bin in der DDR aufgewachsen, hatte meine Familie dort, habe meine Ausbildung genossen. Ich habe nicht nur beruflich, sondern auch privat sehr viel gelernt. Ich bin meinen Idealen nachgegangen – obwohl das nicht immer gefragt war. Die DDR ist meine Heimat gewesen, und ich habe für die Menschen meiner Heimat gearbeitet. Trotzdem trauere ich der Vergangenheit nicht nach. Ich durfte nicht immer nur gute Erfahrungen machen. Aber die Zeit war damals so; und ich habe es ja auch einigermaßen gut überstanden. Ich bin trotzdem froh, dass es die DDR nicht mehr gibt. Es wäre fürchterlich, wenn es diesen Staat noch gäbe – wer weiß, was aus uns geworden wäre.

Das Gespräch führte Steffi Kühnel

1 Hellmut Opitz/Hermann Wille: Karl-Marx-Stadt, Leipzig 1974.

2 http://www.chemnitz.de/chemnitz/de/stadt_chemnitz/stadtportrait/ stadtportrait_index.asp, 20.8.09

3 Karl Joachim Beuchel: Die Stadt mit dem Monument, Chemnitz 2006.

4 Der Reichsarbeitsdienst (RAD) war von 1933-45 ein sechsmonatiger Arbeitsdienst, der dem Wehrdienst vorausging. Aufgrund der hohen Truppenverluste fand ab 1944 die militärische Grundausbildung direkt während des RAD statt.

5 Die Architekten Karl Wilhelm Ochs (1896–1988) und Walter Henn (1912–2006) waren ab 1946 Professoren an der TH Dresden. Ochs wurde 1953 an die TU Berlin berufen; Henn ging im selben Jahr an die TU Braunschweig.

6 Georg Funk (1901–1990) studierte Architektur in Dresden, arbeitete nach dem Zweiten Weltkrieg am Wiederaufbau von Chemnitz mit und wurde 1949 als Professor für Baurecht und Bauordnung an die TH Dresden berufen. Dort baute er das Institut für Städtebau auf.

7 Die 1946 gegründete Sowjetische Aktiengesellschaft, ab 1954 Sowjetisch-Deutsche Aktiengesellschaft Wismut, förderte an verschiedenen Standorten in der DDR Uran für die sowjetische Atomindustrie. Ganze Städte und Dörfer mussten dafür weichen, die von der Wismut verursachten Umwelt- und Gesundheitsschäden wirken bis in die Gegenwart nach.

8 Fritz Heckert gründete 1919 die Chemnitzer KPD. Das Wohngebiet ,Fritz Heckert‘ entstand seit 1974 und war das drittgrößte Plattenbaugebiet der DDR. Bis 1988 entstanden hier über 30.000 Wohnungen für 90.000 Bürger. Nach 1990 verließen viele Bewohner das Stadtviertel, so dass sich das Gebiet – ebenso wie zahlreiche andere Neubaugebiete der DDR – seit 1998 im ,Rückbau’ befindet.

 

9 Die Behebung der Wohnungsnot und die Bekämpfung des ,Mietskasernenelends‘ (als Inbegriff des Kapitalismus) hatte in der DDR seit den 1960er Jahren Priorität. Seit den frühen 1970er Jahren wurde das Wohnungsbauprogramm intensiviert; der Schwerpunkt lag dabei auf Neubaugebieten.

10 Hermann Henselmann (1905–1995) prägte maßgeblich den Städtebau der DDR der 1950er und 60er Jahre. Er war u.a. in Berlin am Entwurf der Stalinallee und des Hauses des Lehrers beteiligt. Bis 1972 stellvertretender Direktor des Instituts für Städtebau und Architektur der Bauakademie.

11 Wolfgang Junker (1929–1990) war von 1963 bis 1989 Minister für Bauwesen in der DDR.

12 Beuchel hat 1974 erneut geheiratet.

13 Seit dem Amtsantritt Erich Honeckers 1971 wurden in einigen Städten der DDR – vor allem in Ostberlin – einzelne Altbaubestände aufwändig restauriert.

14 ,Technische Normen, Gütevorschriften und Lieferbedingungen‘, von 1955 bis 1990 die Entsprechung westdeutscher DIN-Norm.

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