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Deregulierung im öffentlichen Sektor
Die Frage nach den Gelingensbedingungen für den Turnaround von »Failing Schools« verlangt im Blickwinkel marktorientierter Bildungspolitik nach Antworten, die nicht auf mehr, sondern auf weniger staatliche Eingriffe hinauslaufen.23 Dabei stehen stärkere und schwächere Varianten zur Verfügung: Stärkere Varianten setzen auf Privatisierung, wobei sich im Bereich der öffentlichen Schulen das Problem ergibt, dass hier eine Vielzahl obligatorischer Angebote zu machen ist, die nicht profitabel sind. Von daher konzentriert sich das Geschehen auf schwächere Varianten in der Form von Deregulierungen, die zu einem government by contract und zu public private partnerships führen (Hill & Jochim, 2009; Novak, 2009; Patrinos, Barrera-Osorio & Guáqueta, 2009).
Das Ziel dieses government by contract besteht darin, Quasi-Märkte zu eröffnen, die zwar innerhalb des öffentlichen Sektors angesiedelt, aber von einem Wettbewerb geprägt sind, der dem in der privaten Wirtschaft ähnelt und zu vergleichbaren Effizienzgewinnen führt. Dabei besteht aber eine staatliche Garantie für die Leistungserbringung, die dazu führt, dass ein flächendeckendes Bildungsangebot unterhalten wird und Kriterien der Equity beachtet werden.
Academy schools
Seit 1988 war es höheren Schulen in England möglich, als grant-maintained school direkt von der Regierung finanziert zu werden und damit von der lokalen Bildungsadministration unabhängig zu werden. Eingebettet war diese neue Option in einen Reformprozess, bei dem alle Schulen in einem nationalen Bildungsmarkt miteinander im Wettbewerb stehen, wobei die Rankings aufgrund der jährlich publizierten Leistungsdaten die wichtigste Vergleichsgröße darstellen.
Mit den Academy Schools wird das Konzept der Entkommunalisierung der school governance erweitert. Academy Schools unterstehen nicht der Kontrolle der lokalen Behörden, sondern sind dem englischen Bildungsdepartement im Rahmen eines Vertragsverhältnisses verantwortlich. Die Schulen werden nicht privatisiert, jedoch werden private Träger als Leistungserbringer mit Macht und Mitteln ausgestattet, über deren Einsatz sie am Ende der Leistungsperiode gegenüber dem politischen Auftraggeber Rechenschaft ablegen müssen. Ergänzend zur Finanzierung aus öffentlichen Mitteln, werden die Academy Schools von Sponsoren unterstützt. Es kann sich dabei um individuelle Mäzene, Stiftungen oder andere Organisationen handeln. Diese Sponsoren haben insofern eine Mission zu erfüllen, als sie eine Erfolgskultur repräsentieren sollen, die auf die neue Schule zu übertragen ist.
2000 in der Ära von Tony Blair als »City Academy« gegründet und 2002 in »Academy« umbenannt, handelt es sich um eine Schulform, die zunächst speziell dazu gedacht war, dem Problem der »Failing Schools« zu begegnen: Das Programm war für Schulen gedacht, die bei den Rankings chronisch schlecht abgeschnitten hatten. Die Reorganisation als Academy sollte insofern ein neues Regime installieren, aber auch eine symbolische Zäsur markieren.
Von New Labour als Erfolgsprogramm gewürdigt, werden die Academies von der in der eigenen Partei zur Minderheit gewordenen sozialistischen Linken als Schritt zur Kommerzialisierung der öffentlichen Schulen kritisiert.24 Mit dem Machtantritt der konservativ-liberalen Regierung Cameron-Clegg wurde das Programm ausgeweitet. Nicht zuletzt aufgrund finanzieller Anreize kam es innerhalb von zwei Jahren dazu, dass die Mehrheit der Sekundarschulen den Status wechselte und zu Academies wurde.
Attraktiv ist diese Konversion nicht allein aufgrund von materiellen Anreizen: Die Aussicht auf größere Gestaltungsfreiheit ist mindestens genauso bedeutsam. Im Unterschied zu ihren Vorgängerschulen sollen die Academy Schools einem geringeren Grad der Reglementierung unterliegen, sodass sie bessere Chancen haben, ihre kreativen oder innovativen Potenziale zu entfalten. Indem die Sponsoren bis zu zehn Prozent des Kapitalaufwands der Schulen tragen (maximal zwei Millionen Pfund), erhalten sie das Anrecht, auf die Profilierung des schulischen Angebots, die Gestaltung des Curriculums und das Ethos der Academy Einfluss zu nehmen – wie auch auf die Architektur des Schulhauses, wenn ein Neubau geplant wird. Autorität erhält der Sponsor auch dadurch, dass er Positionen im Vorstand der Academy besetzt.
Mehrere Evaluationen zu den Academy Schools ergeben ein gemischtes Bild. Eine Studie des National Audit Office sieht positive Tendenzen bei den Lernresultaten, allerdings mit der Einschränkung, dass es gerade bei der Hochschulreife deutliche Schwächen gebe (NAO, 2007, S. 18ff.). Eine Studie von PriceWaterhouseCoopers (PWC, 2008) betont, dass die größere Unabhängigkeit tatsächlich eine größere Dynamik bei der Curriculums-, Organisations- und Personalentwicklung nach sich ziehe (PWC, 2008, S. 219). Es sei aber kein eindeutiger Trend erkennbar; der Wandel erweise sich als vielschichtig: Es gebe einen positiven Trend bei den Leistungsdaten, aber keinen linearen Fortschritt und keinen Effekt, der direkt auf die neue Schulform anzurechnen wäre (PWC 2008, S. 216f.). Gleichwohl kommt eine Expertise für den Sutton Trust zu dem Schluss, dass es grundsätzlich positiv sei, wenn academy chains gebildet und so ein bestimmtes Modell auf mehrere Schulen übertragen wird. Eine solche Homogenisierung sei geboten, auch wenn die Gefahr bestehe, dass bei solchen Ketten die Schulautonomie unter wachsender Zentralisierung leide (Curtis, Exley, Sasia, Tough & Whitty, 2008, S. 77).
Dass kein klarer Trend bei der Qualität der Academy Schools erkennbar ist, hat auch damit zu tun, dass sich das Programm seit 2000 verändert hat und die Vergleichbarkeit so erschwert ist. Während die Umwandlung unter New Labour vor allem auf benachteiligte Schulen konzentriert wurde, ist seit 2010 ein deutlicher Zuwachs bei Schulen in besseren Verhältnissen festzustellen, bei denen aufgrund ihrer Vorgeschichte nicht erstaunlich ist, dass sie bei Leistungstests relativ gut abschneiden. Bei den von New Labour eingeführten Academies verhält es sich so, dass die Leistungsentwicklung zunächst eher stagnierte, nach einigen Jahren aber dann tendenziell positiv verlief (Machin & Vernoit, 2010, 2011; PWC, 2008, S. 217). Hinzu kommt, dass der positive Trend bei allen Academies ähnlich verläuft: Die Diskrepanzen zwischen den besseren und den schlechteren werden nicht kleiner. Auch hier ist in Rechnung zu stellen, dass bei der wiederholten Anwendung von Testformaten adaptive Mechanismen wirksam werden, die dazu führen, dass die Schulen sich besser an das Verfahren anpassen, ohne dass unbedingt die Leistungen substanziell besser werden (Dixon, Hood & Wilson, 2010).
Das National Audit Office stellt in einer Studie zur konservativ-liberalen Expansionsstrategie bei den Acadamies fest, dass diese Strategie, gemessen an den verfügbaren Mitteln, riskant ist (NAO, 2012). Im Regierungshaushalt sei eine Umschichtung zum Nachteil der Interventionsmaßnahmen bei herkömmlichen Schulen erkennbar, die mit schwachen Leistungen zu kämpfen haben. Gleichwohl seien die verbleibenden Finanzierungsprobleme bei den Academies so beträchtlich, dass hier ein Qualitätsverlust zu befürchten sei.
Charter Schools
Der Dokumentarfilm Waiting for »Superman« verfolgt die Bildungswege von mehreren Jugendlichen beim Versuch, einen Platz an einer Charter School zu erlangen. Laut Begleitbuch zum Film repräsentieren diese Schulen den Gegenentwurf zu öffentlichen Schulen, die sich trotz gewaltiger Bildungsausgaben seit den 1970er-Jahren nicht weiterentwickelt haben; viele Kinder seien heute noch dazu verurteilt, den Unterricht in »failure factories« zu besuchen (Weber, 2010, S. 15). Die Charter Schools seien nicht nur eine Alternative zu den herkömmlichen öffentlichen Schulen, sondern zudem ein geeignetes Druckmittel, um diese zu substanziellen Verbesserungen ihres Bildungsangebots zu zwingen.
Die Geschichte der Charter Schools beginnt Ende der 1980er-Jahre – ungefähr zum gleichen Zeitpunkt, als in mehreren Bundesstaaten politische Experimente mit school vouchers gestartet wurden. 1991 erließ Minnesota das erste Charter School Law, zwanzig Jahre später weist der Staat 149 registrierte Charter Schools mit mehr als 35 000 Schülerinnen und Schülern auf. In diesem Zeitraum hat sich dieser Schultyp in mehr als vierzig Bundesstaaten ausgebreitet und umfasst inzwischen mehr als 5000 Schulen. Damit ist ungefähr eine von zwanzig öffentlichen Schulen in den USA eine Charter School.
Charter Schools sind öffentliche Schulen, die einem zentralisierten Regime der Rechenschaftspflicht unterliegen, dafür aber größere Freiheiten bei der Organisationsentwicklung, bei der Personalrekrutierung und beim Curriculum erhalten (nicht aber bei Leistungstests und Examina). Der Besuch der Charter School basiert auf einem freiwilligen Entscheid der Eltern; bei starker Nachfrage können die Schulplätze durch eine Lotterie vergeben werden, die potenziell allen Kindern und Jugendlichen offensteht. Die Teilnahme an der Lotterie ist indes ein Indiz dafür, dass diese Kinder und Jugendlichen aus Verhältnissen stammen, in denen eine ausgeprägte Sensibilität für Bildungschancen und höhere Bildungsaspirationen bestehen.
Charter Schools sind dem Grundgedanken nach keine profitorientierten Unternehmen: Als Schulträger kommen etwa Elterngruppen, Glaubensgemeinschaften und pädagogische Initiativen infrage; oft stehen Stiftungen im Hintergrund. Ähnlich wie bei den Academy Schools in England ist es auch bei den Charter Schools möglich, Verbünde zu bilden, die an chain stores erinnern.
Die Evidenz hinsichtlich der Leistungsfähigkeit der Charter Schools ergibt kein einheitliches Bild. Das ist auch dadurch bedingt, dass die Bezugspunkte des Vergleichs mit den herkömmlichen öffentlichen Schulen nicht ganz einfach zu definieren sind. Ein Vergleich für sechzehn Bundesstaaten kommt zu dem Befund, dass die Charter Schools sowohl bei Sprache als auch bei Mathematik tendenziell etwas schwächer abschneiden, wobei die Unterschiede innerhalb der und zwischen den Staaten bei beiden Schultypen außerordentlich groß sind (CREDO, 2009). Die Charter Schools sind im Lichte dieser Analyse auf keinen Fall prinzipiell überlegen, es gibt aber Hinweise darauf, dass die Performanz dieses Schultyps tendenziell umso besser ist, je älter die einzelnen Schulen werden. Ein Vergleich von 36 Charter Schools aus fünfzehn Bundesstaaten kommt in dieser Hinsicht zu einem ähnlichen Befund: Wiewohl deren Schülerinnen und Schüler insgesamt weder besser noch schlechter sind als die Vergleichsgruppen aus den traditionellen öffentlichen Schulen, ist doch erkennbar, dass Schülerinnen und Schüler mit der wachsenden Zahl der Schuljahre, die sie in der Charter School verbringen, relativ gesehen besser abschneiden (Gleason, Clark, Tuttle & Dwoyer, 2010). In beiden Studien gibt es Indizien dafür, dass Schülerinnen und Schüler aus benachteiligten Verhältnissen und mit eher schwachen Ausgangswerten vom Angebot der Charter Schools relativ stark profitieren. Dabei ist allerdings auch ein selektiver Effekt zu bedenken, der sich daraus ergibt, dass die Anmeldung bei einer Charter School oder die Teilnahme an einer Lotterie, über die ein Platz an einer solchen Schule erlangt werden kann, auf Bildungsaspirationen hinweist, die nicht bei allen Eltern unterstellt werden können.
Metaanalytische Studien zu den Charter Schools kommen zu dem Befund, dass es signifikante positive Effekte von Charter Schools in der Primarschule für Englisch und Mathematik sowie in der Sekundarstufe I für Mathematik gibt, aber keine entsprechenden Effekte auf der High School. Durchweg sind die Effektstärken gering, sodass die Quintessenz dahin lautet, dass Charter Schools je nach Ort, Stufe und Fach mal besser und mal schlechter sind als traditionelle öffentliche Schulen (CREDO, 2009, S. 45–47; des Weiteren Betts & Tang, 2011; Di Carlo, 2011; Lake & Gross, 2012; Zimmer, Gill, Booker, Lavertu & Witte, 2012).
Damit ergibt sich bei den empirischen Befunden zu den Charter Schools ein ähnliches Bild wie bei den school vouchers. Exemplarisch sei hier Milwaukee angeführt, wo 1990 ein System von Bildungsgutscheinen eingeführt wurde, das Kindern aus benachteiligten sozialen Verhältnissen zu besseren Bildungschancen verhelfen soll, ohne eine Benachteiligung der anderen Schülerinnen und Schüler hervorzurufen. Die Begleitforschung zu dem Programm, an dem inzwischen mehr als hundert Schulen mit rund 20 000 Schülerinnen und Schülern beteiligt sind, liefert im Hinblick auf den messbaren Lernfortschritt der Schülerinnen und Schüler keine Evidenz, die sich auf eine einfache Formel bringen ließe. Festzustellen ist, dass die durch Bildungsgutscheine ermöglichte Wahl keine negativen Effekte auf die learning outcomes hat; hinsichtlich der erwarteten positiven Effekte bei den Leistungstests ergeben sich uneinheitliche Befunde (Wolf, 2012; Witte, Carlson, Cowen, Fleming & Wolf, 2012).
Zur Kritik marktorientierter Bildungspolitik
Die Kritik an der marktorientierten Steuerung des Bildungssystems durch Standards und Leistungstests findet in Campbell’s Law einen Aufhänger: »The more any quantitative social indicator is used for social decision-making, the more subject it will be to corruption pressures and the more apt it will be to distort and corrupt the social processes it is intended to monitor« (Campbell, 1976, S. 49). Während der intendierte Effekt der Messung darin bestehe, Transparenz herzustellen, führe der unter Umständen existenzbedrohende Selektionsdruck des Monitoringsystems dazu, dass alle Energien darauf verwendet würden, die Grenzwerte nicht zu unterschreiten – bis hin zu manipulativen Praktiken. Damit treten dann nichtintendierte Effekte auf, die sich darauf erstrecken können, dass leistungsschwache Schülerinnen und Schüler von der Teilnahme an Tests abgehalten, Korrekturspielräume überstrapaziert oder Daten gefälscht werden (Nichols & Berliner 2007, S. 30f., 168–170).
Wie oben ausgeführt, deutet Ofqual für England behutsam an, dass Lehrpersonen gefährdet sind, ihre Integrität angesichts des Erfolgsdrucks aufs Spiel zu setzen. Weniger dezent stellt sich die Lage in den USA dar: Hier sind inzwischen mehrere Fälschungsskandale zu verzeichnen. Einer dieser Skandale betrifft Michelle Rhee, die in ihrer von 2007 bis 2010 dauernden Ära als Chancellor des öffentlichen Schulwesens in Washington, DC, spektakuläre Leistungszuwächse vorweisen konnte und nicht zuletzt durch die Entlassung von Lehrpersonen, deren Klassen wiederholt schlechte Testresultate zeigten, zu einer Ikone neoliberaler Bildungsreformen wurde. Eine erneute Analyse von Tests hat diese Erfolgsgeschichte diskreditiert: Der Turnaround bei mehreren Schulen bestand demnach darin, dass falsche Antworten auf den Testbögen ausradiert und durch richtige Antworten ersetzt worden sind – und zwar so konsistent, dass alles dagegen spricht, die Schülerinnen und Schüler seien selbst vor Abgabe ihres Tests auf die Fehler aufmerksam geworden.25
In einer Polemik unter dem Titel »Shame on Michelle Rhee« bringt Diane Ravitch ihre Kritik auf den Punkt, dass der Skandal die perverse Logik marktorientierter Bildungsreformen zeige. Versprochen wurde eine gewaltige Leistungssteigerung, eingetreten sind deprimierende Effekte: »cheating, teaching to bad tests, institutionalized fraud, dumbing down of tests, and a narrowed curriculum.«26
Ähnlich wie Nichols und Berliner (2007, S. 122ff., 142f.) diagnostiziert Ravitch eine Dynamik obsessiven Testens, die zu einer Verarmung des Curriculums führe, weil sich der Unterricht mehr und mehr auf prüfungsrelevante Fächer konzentriere – und das sind in erster Linie Englisch und Mathematik. Innerhalb dieser Fächer komme es zu einer Verarmung, weil es einen starken Druck gebe, den Unterricht auf Testformate auszurichten und in diesem Sinne die Schülerinnen und Schüler darin zu trainieren, die Testsituation erfolgreich zu meistern, ohne auf gründliche Aneignung und Reflexion zu setzen (Ravitch, 2010, S. 150ff., 236; vgl. auch Berliner & Biddle, 1995, S. 336–340). Nicht zuletzt aufgrund der Konkurrenz zwischen verschiedenen kommerziellen Anbietern von Tests komme es zu einer Inflationierung von Punktzahlen, ohne dass wirklich ein Lernfortschritt zu verzeichnen wäre. Teaching to the test erscheint in dieser Perspektive als Form der Konditionierung, die in mancherlei Hinsicht an Praktiken der Dressur gemahnt. Das ruiniert nach Auffassung von Ravitch die Schul- und Unterrichtskultur und untergräbt letztlich die moralischen Grundlagen des Gemeinwesens (Ravitch, 2010, S. 222).
Die Verheißung der Formel Choice & Accountability geht laut Ravitch deshalb in die Irre, weil NCLB eben nicht auf einem nationalen System der Rechenschaftspflicht beruht: Weil die Verantwortung für die Definition von Standards bei den Bundesstaaten liege, ergebe sich hier unweigerlich eine Tendenz zum levelling down, weil absehbar sei, dass das Erfolgsziel des Reformprogramms – innerhalb von zwölf Jahren sicherzustellen, dass allen Kindern die Grundkompetenzen solide und nachhaltig vermittelt werden – unerreichbar sei (Ravitch 2010, S. 110f., 161ff.; vgl. auch McDermott, 2003, 2011; Mintrop & Sunderman, 2009).
Im Hinblick auf die gesellschaftlichen Effekte marktorientierter Bildungsreformen konzentriert sich die Kritik auf den Punkt, dass die Chancenungleichheit durch diese Reformen nicht verringert werde, sondern möglicherweise sogar noch zunehme. Die Schuleffektivität vorrangig vom Verhalten der Schulleitungen und Lehrpersonen abhängig zu machen, ist in dieser Hinsicht auch ein Versuch, Investitionen bei der Bekämpfung von Armut und Arbeitslosigkeit zu sparen: Trotz spektakulärer Erfolge einzelner Schulen sei aber nicht davon auszugehen, dass soziale Deprivation durch pädagogischen Heroismus umfassend und dauerhaft überwunden werden könne (Cuban, 2012; Labaree, 2010, S. 171f., 242f.; Nichols & Berliner, 2007, S. 70, 107f., 169f.; Ravitch, 2010, S. 179f; Rothstein, 2010, S. 3).
Die mit Blick auf das englische Bildungssystem geäußerte Kritik weist viele Parallelen zur amerikanischen Kritik auf. Unterschiedliche Akzentuierungen ergeben sich beim Problem der sozialen Benachteiligung. Bei der amerikanischen Kritik liegt hier der Fokus auf Race, auf den Folgen der ethnischen Segregation und der Marginalisierung in einem Einwanderungsland, für das seit dem 19. Jahrhundert die Schule der wichtigste Mechanismus der sozialen Integration gewesen ist. Im englischen Fall werden die Probleme der ethnischen Segregation und der Marginalisierung eher dem Konzept Class subsumiert, und es wird Nachdruck darauf gelegt, dass die Besitzverhältnisse weiterhin das größte Hindernis für die Durchsetzung sozialer Chancengleichheit darstellen (Ball, 2010). Die Wirksamkeit dieser Besitzverhältnisse werde dadurch kaschiert, dass die marktorientierte Steuerung Erfolg und Misserfolg sowohl auf der Ebene individueller Bildungskarrieren als auch auf der Ebene der Schule als Organisation hochgradig personalisiert (Whitty, Power & Halpin, 1998, S. 63). Tatsächlich könne durch marktorientierte Reformen ein höheres Maß an organisatorischer Flexibilität erlangt werden – indes werde diese Flexibilisierung tendenziell zulasten der Schwächeren gehen, weil die Eltern aus benachteiligten Verhältnissen in der Regel nicht über die Zeit und die Mittel verfügen, für ihre Kinder Bildungskarrieren zu konstruieren. New Labour sei in dieser Perspektive anzulasten, dass kein Bruch mit der thatcheristischen Logik der league tables vollzogen wurde (Ainscow, Dyson, Goldrick & West, 2012, S. 11–15; Whitty, 2002, S. 127–131; Whitty, Power & Halpin 1998, S. 141f.). Dem Stigma des Versagens korrespondiert eine Definition von Leistung, die den Anschein klinischer Sauberkeit an sich hat, der es Kindern und Eltern aus benachteiligten Verhältnissen schwer macht, gegen die ungleiche Verteilung der Bildungschancen zu protestieren (Hargreaves, 2004, S. 38). Deshalb müsse der quantifizierende Erfolgsdruck innerhalb des Systems gemildert und vorrangig das Problem der Verarmung und Marginalisierung bekämpft werden.
Bildungsreformen können nach dieser Auffassung nur dann Erfolg haben, wenn sich zugleich die Lebensverhältnisse der Kinder in der Familie und im Quartier verändern. Ob es realistisch ist, eine neue Politik zu fordern, die sich an lokale Bedingungen anpassen und zugleich ein »unifying understanding of equity« (Ainscow et al., 2012, S. 153) vermitteln soll, darf bezweifelt werden. Mit Blick auf die USA, aber dabei an eine alte englische Tradition des politischen Denkens anknüpfend, legt David Labaree die Schlussfolgerung nahe, nicht nur bei Bildungsreformen, sondern überhaupt bei allen politischen Innovationen und Großprojekten sei mit konfliktträchtigen Missgeschicken zu rechnen und die eigenen Ambitionen auf einen großen Wurf seien deshalb herunterzuschrauben (Labaree, 2010, S. 146).
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