Читать книгу: «Noland reitet», страница 2

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Jack hatte auf dem Ritt Zeit gehabt, nochmals über alles nachzudenken. Er hatte versucht, sich bewusst zu machen, welche Konsequenzen auf Emily und die Kinder zukämen.

Doch er fand keine Alternative.

Das Geld anzunehmen und wegzuziehen hätte bedeutet, sich vor der Macht und dem Einfluss eines Mannes zu beugen, der den ganzen Landstrich durch seine Revolvermänner widerrechtlich unter Kontrolle hielt.

Doch tatsächlich war das für Jack Nolan sekundär. Er, der lange Jahre im Sattel und mit der Hand am Colt verbracht hatte, hatte hier im Scott County seine Heimat gefunden. Er hatte sich mit der Frau, die er liebte, niedergelassen und sein früheres Leben abgestreift.

Emily war der eine Teil seines Lebens geworden. Dieses Stück Land, das dazu geführt hatte, dass er seinen Revolvergurt an den Nagel hing, war der andere Teil. Dieses Land hatte er beackert und urbar gemacht. In diesem Land hatte er beim Pflügen und Säen und Ernten seinen Schweiß vergossen. Dieses Land hatte ihn zwei Jahre lang ernährt und es würde ihn noch viele weitere Jahre ernähren. Von diesem Stück Land würde er nicht weichen. Und später würde er mit seinem Sohn Joe das Land gemeinsam bestellen. Yeah, Jack Nolan sah seine Zukunft in diesem Land.

Die Parzelle hatte er vom Staate Kansas erhalten und nicht von Chase Masterson. Und solange das Recht des Bundesstaates auf seiner Seite war, würden nichts und niemand ihn von seiner neugewonnenen Heimat vertreiben.

Der Revolvercowboy spuckte vor ihm auf den Boden und stieg den Vorbau zum Ranchhaus hinauf. Er verschwand hinter der Eichentür.

Jacks Blick glitt über das Ranchhaus. Es war ein großes Gebäude, das im letzten Sommer in den Farben gelb und grün frisch gestrichen worden war. An einem der Fenster im oberen Geschoss bewegte sich der Vorhang ein wenig. Jack meinte, das bleiche, längliche Gesicht einer Frau zu erkennen, aber noch bevor er sich Gewissheit verschaffen konnte, war es verschwunden.

Die Eingangstür schwang auf.

Der Revolvercowboy von vorhin erschien wieder – mit dem Rancher Chase Masterson und einigen anderen Gestalten. Diese Männer trugen allesamt die Colts tief und ihre Blicke waren die von Raubtieren.

Jack sah seine Vermutung bestätigt, auf welche Art dieser Rancher sein Reich regierte.

Der fünfundvierzig Jahre alte Jason Bartholomew Masterson, genannt Chase, war ein gedrungener, schwarzhaariger Mann, der sein eckiges Kinn täglich sauber rasierte. An den Wangen befand sich ein ordentlich geschnittener Backenbart. Seine Augen waren stahlblau und durchdringend. Chase Masterson war ein gutaussehender Mann, wenngleich auch ein wenig zu klein geraten. Seine Bewegungen waren katzenhaft und geschmeidig, und das hellblaue Hemd, die schwarze Lederweste und der schwarze Stetson betonten einen entschlossenen Mann, der es gewohnt war, selbstgefällige Entscheidungen zu fällen.

Selbst inmitten seines Rudels trug Masterson einen 44er Walker-Colt.

Er blieb auf der obersten Treppenstufe stehen, weil Jack Nolan noch im Sattel saß und Masterson nicht den Kopf zu irgendjemandem erhob.

Ohne abzusteigen sagte Jack, was zu sagen war.

»Mister Masterson, mein Name ist Jack Nolan. Meine Frau berichtete mir von Ihrem Besuch und Ihrem Angebot. Das war freundlich und großzügig, und ich danke Ihnen dafür. Doch Sie werden verstehen, dass ich und meine Familie unsere Wurzeln nach so kurzer Zeit noch nicht wieder ausreißen wollen. Ich bin hier, um Ihnen zu sagen, dass wir auf unserer Heimstätte bleiben werden.«

Masterson sah Jack ausdruckslos an. Er schien den Mann genau zu mustern, der in seinem Hof vom Sattel seines Pferdes aus mit ihm redete. Beinahe eine Minute lang sprach niemand.

Dann warf Masterson seinen Kopf in den Nacken und ein helles Lachen hallte über den Ranchhof.

Die Revolvermänner steckten ihre Daumen hinter die Gürtel und stimmten lauthals mit ein.

»Hab ihr gehört, was dieser Kerl gesagt hat, Jungs?«, rief Masterson.

Die Männer lachten noch lauter.

»Er und seine Familie haben in diesem Land Wurzeln geschlagen. Seit zweieinhalb Jahren ist er im Scott County, und schon hat er Wurzeln geschlagen.«

Masterson hob den Arm, und das Gelächter verstummte.

Schöne Lackaffen sind das, dachte Jack, die auf Befehl lachen und auf Befehl damit aufhören.

Und Chase Masterson setzte an zu einem Monolog, den seine Revolverschwinger sicherlich schon ein Dutzend Mal gehört hatten:

»Wissen Sie, seit wann meine Familie hier lebt, Nolan? Mein Großvater legte als junger Mann den Grundstein zur Big-M-Ranch. Im Jahre 1803 begann er hier, allein auf weiter Flur, Rinder zu züchten. Er lebte zwischen Indianern, Klapperschlangen und Kojoten. Es gab keine Straßen, keine Häuser, keine Städte und nur sehr wenige Menschen, abgesehen von den Wilden. Und nun kommen Sie, der Sie gerade mal zweieinhalb Jahre hier hausen. Yeah, hausen, Jack Nolan. Sie kommen und wollen der Big-M sagen, welches Land sie zu beanspruchen hat, und welches Land sie nicht mehr betreten darf.«

»Aber das sage ich doch gar nicht, Mister.«

»Und was sagen Sie dann, Nolan?«

»Was Sie oder die Big-M tun und lassen, ist mir ziemlich egal, Masterson. Ich habe mein Land von der Regierung erworben, und die hat mir eine Parzelle von 160 Morgen zuerkannt. Mehr gibt’s dazu nicht zu sagen. Ich entscheide mich dafür – wie es jeder freie Amerikaner tun kann –, weiterhin auf meiner Heimstätte wohnen zu bleiben. Das ist alles.«

»Soso, das ist alles, meinen Sie. Und was ist mit dem Weideland, das unsere Rinder so dringend brauchen?«

»Nun, Sie haben selbst eine feste Zuteilung von der Regierung. Ihre Rinder haben dort genug Raum zum Leben.«

»Welche Ahnung hast du schon von Rinderzucht, Sodenbrecher!«, rief einer der Revolverschwinger.

»Hören Sie, Masterson. Ich will nicht mit Ihnen streiten. Ich respektiere Ihren Standpunkt und bitte Sie um nichts weiter, als dass Sie den meinen respektieren.«

Jack zog seinen Wallach am Zügel herum und wollte anreiten.

Masterson trat zwei Stufen des Vorbaus herunter.

»Sie bleiben also uneinsichtig, Nolan?«, rief er.

Jack zuckte mit den Schultern. Er ritt an.

»Haben Sie eine Waffe dabei, Jack Nolan?«, schrie der Rancher hinter ihm her.

Jack verhielt den Wallach.

»Wie Sie und Ihre Männer sehen können, habe ich keine Waffe bei mir, Masterson. Und nun lassen Sie mich in Frieden gehen.«

»Ich glaube allerdings, dass Sie eine Waffe bei sich tragen, Nolan!«

Jack versteifte sich bei diesen Worten.

»Was soll der Unsinn? Ich habe Ihnen gesagt …«

»Ich glaube, Sie haben vor, mich oder einen meiner Männer zu bedrohen oder gar zu töten. Deswegen haben Sie diese Waffe bei sich, nicht wahr, Mister Nolan?«

»Sie sind verrückt, Masterson.«

Plötzlich peitschte ein Schuss über den Ranchhof.

Jacks Wallach strauchelte und kippte seitwärts zu Boden. Jack rollte gerade noch rechtzeitig aus dem Sattel.

Bei den Revolvermännern, die Chase Masterson umstanden, waberte eine Rauchwolke.

»Vorwärts, Männer!«, schrie Masterson. »Gebt’s ihm!«

Die Coltschwinger sprangen auf Jack zu. Zwei von ihnen griffen ihn an den Armen und rissen ihn hoch. Zwei andere begannen, ihn mit ihren Fäusten zu bearbeiten. Jacks Lippe platzte auf und Blut spritzte ihm ins Gesicht. Es gelang Jack, seinen Fuß hoch zu bringen und dem einen von ihnen vor die Brust zu treten. Der Mann fiel nach hinten. Doch sofort nahm ein anderer seine Stelle ein.

Zwischen den Schwingern, die er einstecken musste, hörte Jack das hämische Lachen von Chase Masterson.

»Dein Vertrag mit der Regierung hat nur dann Gültigkeit, wenn du dein Land fünf Jahre lang bestellst, Nolan. Aber wie willst du dein Land mit zwei gebrochenen Beinen bestellen? Brecht ihm die Beine, Jungs!«

Jack geriet in Panik.

Masterson hatte recht. Er hatte die 160 Morgen für eine Bearbeitungsgebühr von zwei Dollar erhalten, indem er sich verpflichtete, es fünf Jahre lang zu bestellen. Sollte er das nicht einhalten, fiel die Parzelle an den Staat zurück. Natürlich würde sich Masterson so ein »herrenloses« Stück Land sofort wieder unter den Nagel reißen und seine Herden darauf treiben.

Jack konnte es sich nicht leisten, sich die Beine brechen zu lassen. Er würde nicht aussäen können, und damit bliebe die Ernte aus. Er würde das Land noch in diesem Jahr verlieren.

Angst und Verzweiflung bemächtigten sich seiner.

Die beiden Männer hielten ihn immer noch links und rechts, und vor ihm setzte gerade wieder einer zu einem Schlag an.

Doch nun handelte Jack.

Er nahm all seine Kraft zusammen und riss seine Arme nach vorn. Die beiden Männer an seinen Seiten wurden mitgeschleudert. Einer von ihnen ließ los und fiel in einen der Schläger vor ihm. Dann packte er mit der freien Hand den Kerl, der ihn immer noch festhielt, an der Schulter und drehte ihn herum, und in der nächsten Sekunde hatte er dem Mann den Colt aus dem Holster gezogen.

Die Mündung zeigte auf Masterson, während er den entwaffneten Mann wie ein Schild vor sich im Schwitzkasten hielt.

»Hier ist der Spaß zu Ende, Rancher«, rief Jack, nachdem er zu Atem gekommen war. »Ich hatte es noch verstehen können, dass Sie mich in Ihrer Wut verdreschen lassen. Des lieben Friedens willen hätte ich das noch hingenommen. Aber die Beine lasse ich mir von Ihnen nicht brechen! Wenn auch nur einer eine Bewegung macht, hast du ein drittes Auge, Rancher. Überleg’ dir also, welche Befehle du deinen Speichelleckern erteilst.«

Die Coltschwinger kannten Jack Nolan nicht. Für sie war er ein Farmer, der ihrem Boss Ärger machte. Sie wussten nichts von seiner Vergangenheit im Sattel.

Das erklärte, dass einer von ihnen in einer geschmeidigen Bewegung zum Colt griff. Er wollte seinem Boss imponieren, wollte ihm zeigen, dass er den richtigen Mann angeheuert hatte, dass er sein Geld wert war. Diesen Jack Nolan wollte er seinem Rancher vor die Füße legen; den Mann, der Chase Masterson mit der Waffe bedroht hatte.

Seine Hand mit dem Revolver kam hoch und schon knackte der Hahn.

Ein Schuss donnerte.

Der Revolvermann verdrehte die Augen. Ganz langsam begann er zu wanken.

Aus dem Loch in seiner Stirn floss ein dünnes Rinnsal.

Sein Hinterkopf sah freilich ganz anders aus.

Der Revolver fiel in den Staub, und der Mann schlug der Länge nach hin.

Eine Staubwolke puffte hoch.

Die Revolvermänner verharrten, als wären sie festgefroren.

Sie hatten erkannt, dass dort kein einfacher Farmer vor ihnen stand. Yeah, dieser Mann, der unbewaffnet in den Ranchhof geritten war, war von ihnen falsch eingeschätzt worden. Sicherlich fluchten sie jetzt innerlich, denn sie standen vor ihm wie auf dem Präsentierteller. Und es schien verdammt ratsam, keinen Mucks mehr zu machen.

Auch Chase Masterson stand mitten unter ihnen, und nachdem der leichtsinnige Revolvermann in den Staub gefallen war, war die Mündung des Colts auf Mastersons Brust zurückgewandert.

»Nun, Rancher, wie willst du es haben? Vielleicht willst du die nächsten Monate mit zwei zerschossenen Beinen im Bett verbringen?«

Sämtliches Blut wich Masterson aus dem Gesicht.

»Ich sehe, das gefällt dir nicht. Ihr habt mein Pferd zusammengeschossen. Ich will ein neues Pferd von dir, Rancher!«

Mastersons Kiefer mahlten.

»Holt ihm ein Pferd«, rief er mit belegter Stimme. »Verdammt noch mal, holt ihm eins von meinen Pferden!«

Einer der Revolvermänner setzte sich in Bewegung.

Jacks Stimme hallte laut und deutlich über den Ranchhof.

»Was ich jetzt sage, sage ich nur ein Mal. Solltest du oder einer deiner Revolverschwinger sich je auf meiner Farm blicken lassen, komme ich zurück, Rancher. Und wenn ich mit dir fertig bin, hat der Staat Kansas ein paar weitere Parzellen zu vergeben. Eine Big-M-Ranch wird es dann nicht mehr geben. Eine stolze Familientradition findet dann ihr Ende. Am besten also, du arrangierst dich mit der neuen Situation, die die Regierung geschaffen hat. Es war nicht meine Idee, dass du dein Vieh auf Land grasen ließest, das der Regierung gehört. Es war auch nicht meine Idee, dass die Regierung dieses Land an Siedler weitergibt. Aber es ist nun mal so. Je schneller du dich damit abfindest, desto schneller wird im Scott County der Frieden einkehren.«

Masterson hatte mit zusammengepressten Lippen und hartem Blick zugehört. Doch Jack bezweifelte, dass seine Worte bis zu ihm durchgedrungen waren.

In diesem Moment kam der Mann mit einem Pferd zurück.

Jack erkannte, dass es kein besonders wertvolles Tier war, das er brachte. Eine braune Mähre mit einer weißen Blesse auf der Stirn, die ihre besten Tage fast schon hinter sich hatte. Natürlich würden sie ihm kein gutes Pferd geben. Aber selbst diese Mähre war besser als der Wallach, der viele Jahre Jacks Pflug gezogen hatte. Yeah, mit diesem Pferd würde er noch ein paar Jahre arbeiten können.

»Legt ihm meinen Sattel auf!«, befahl er.

Zwei Männer bemühten sich, dem toten Wallach den Sattel abzuschnallen. Sie wuchteten den Kadaver hin und her, bis der Gurt und die Fenders, die Schweißklappen, unter dem Leib hervorgezogen waren. Schließlich legten sie den Sattel auf den Rücken der Mähre.

»Schnallt ihn nur schön fest«, sagte Jack. »Ich will nicht während des Ritts in den Staub fallen.«

Sie taten es, und schließlich stand das Pferd bereit.

Jack stieß den Gunman, den er als Schild benutzt hatte, in die Gruppe der Männer hinein und blieb einen Moment lang aufrecht vor ihnen stehen. Jeden Einzelnen sah er mehrere Sekunden lang in die Augen. Sie alle blickten zurück. Er erkannte keine Furcht in ihnen, nur Verblüffung, Hass und gespielte Lässigkeit.

Dann ließ er den Colt um seinen Zeigefinger wirbeln, steckte ihn in den Hosenbund – und wandte ihnen den Rücken zu. Er ging zu dem Pferd und schwang sich in den Sattel.

Für den Moment rührte sich niemand, doch als er auf das Tor zuritt, fuhren zwei Hände zum Holster.

»Nein«, rief Masterson mit krächzender Stimme. »Lasst ihn ziehen.«

Die Männer blickten ihren Boss erstaunt an.

»Er hat eine Waffe auf mich gerichtet. Niemand richtet ungestraft eine Waffe auf Chase Masterson. Dieser verdammte Farmer wird sich den Tod noch herbeisehnen!«

*

Emily traten Sorgenfalten ins Gesicht, als sie ihren Mann zerschlagen und auf einem fremden Pferd in den Farmhof einreiten sah. Jack brachte die Mähre in den Stall, dann verarztete Emily seine geprellten Rippen und blauen Male im Gesicht, indem sie sie vorsichtig mit Kampferöl einrieb. Nur gegen die aufgeplatzten Lippen konnte sie nichts tun.

Zwei Tage lang blieb Jack auf der Farm und wartete. Er rechnete mit einem Gegenbesuch Chase Mastersons oder einigen seiner Männer. Doch niemand kam.

Dann musste er raus. Der Rest des Feldes wartete darauf, gepflügt zu werden. Anschließend war die Aussaat fällig. Jack konnte sich nicht in seinem Haus verschanzen, sonst würde er die Zeit der Aussaat verpassen.

Wenn er in diesem Jahr keine Ernte einfuhr, hatte Masterson sein Ziel erreicht.

Doch irgendwie rechnete Jack damit, dass der Rancher etwas versuchte.

Abe Dunstons Nein hatte er auch nicht akzeptiert.

Nur konnte Jack es sich nicht leisten, auf die Reaktion des Ranchers zu warten. Er war gezwungen, die Pferde anzuspannen und zum Feld rüber zu reiten.

Er schärfte Emily ein, wachsam zu sein, das Gewehr immer in Griffweite zu halten. Zwei Schüsse sollte sie abgeben, wenn sich fremde Reiter näherten. Er würde sie auf dem Feld hören und sofort rüberkommen.

Mit einem mulmigen Gefühl in der Magengegend verließ Jack die Farm.

Emily gab sich dem Tagesablauf hin. Sie reinigte das Frühstücksgeschirr, versorgte die Kinder und ging dann mit ihnen und der Holzschubkarre los, um Bisonknochen in der Nähe des Hauses einzusammeln und diese zu zermalmen. Jack würde das Knochenmehl später als Dünger auf das Feld streuen.

Schon bald schaffte Emily eine Karrenladung Knochen herbei. Sie brachte den acht Monate alten Joe ins Haus. Er jauchzte vergnügt, während Cindy mit einer Stoffpuppe bei ihm spielte und Faxen machte.

Emily warf die Knochen in einen hölzernen Bottich und suchte den Eichenholzstößel, mit dem sie schon viele Male Knochen zermalmt hatte. Sie fand ihn hinter ein paar Latten, die Jack an die Hauswand gelehnt hatte.

Sie hatte gerade die ersten Stöße getan, als sie Rufe hörte.

»Hallo! Ist jemand da?«

Es war die Stimme eines jungen Mannes.

Emily erschrak. Sie hatte niemanden kommen hören. Das Gewehr lehnte im Haus neben der Tür. Das Fenster war offen. Sollte sie einsteigen und zwei Schüsse zum Fenster hinaus abgeben, wie mit Jack besprochen? Doch sie käme sich lächerlich dabei vor.

Während sie noch überlegte, hörte sie Schritte das Haus entlang kommen.

Dann stand ein Mann an der Ecke und sah zu ihr herüber.

»Tag, Ma’am«, rief er freundlich.

Ein Fremder!

Ein Anflug von Panik befiel Wmily.

»Was wollen Sie, Mister?«

Sie konnte nicht verhindern, dass ihre Stimme leicht zitterte.

»Mein Name ist John Hackett, Ma’am. Bin auf dem Weg nach Sober City. Wollte Sie um einen Schluck Wasser für mich und meinen Schecken bitten.«

Emily sah sich diesen John Hackett genau an. Sie schätzte ihn auf Anfang Zwanzig. Er trug ordentliche Kleidung, die vom Ritt allerdings staubig war, besaß kurz geschorenes blondes Haar und helle, blaue Augen, die schelmisch funkelten. Auf seinen Wangen zeichneten sich erste Vertiefungen ab, wie sie beim Lachen entstehen. Er muss ein lustiger Bursche sein, dieser John Hackett, dachte sie. Einzig der tiefhängende Colt störte das Erscheinungsbild etwas. Seine Hand hing lässig neben dem Perlmuttgriff.

»Wasser können Sie haben, Mr. Hackett«, sagte Emily. »Auch eine herzhafte Mahlzeit kann ich Ihnen anbieten, wenn Sie warten, bis mein Mann vom Feld zurück ist.«

»Sehr freundlich von Ihnen, Ma’am.«

»Kommen Sie doch mit ins Haus, Mr. Hackett. Was führt Sie nach Sober City, wenn ich fragen darf?«

»Sie dürfen, Ma’am.«

*

Um zirka viertel vor elf Uhr fiel ein Schuss. Jack hielt sofort das Pfluggespann an und lauschte. Zwei Schüsse waren doch abgemacht gewesen. Er bekam feuchte Handflächen.

Er hatte nicht genau lokalisieren können, woher der Schuss gekommen war. Trotzdem wartete er nicht länger. Er schirrte die Braune aus, die er vor drei Tagen von Chase Masterson als Ersatz für seinen getöteten Wallach bekommen hatte.

Jack schwang sich auf den Rücken des Pferdes und ritt an. Da lief es ihm eiskalt über den Rücken, denn nun waren in schneller Folge mehrere Schüsse zu hören, mindestens sieben, und diesmal war er sicher, dass sie aus Richtung seiner Farm kamen.

Er schlug dem Gaul die Absätze in den Leib und feuerte ihn an.

»Braaah! Braaah! Lauf schon, meine Gute! Braaah!«

Die Mähre gab alles, was sie hatte, dennoch brauchte Jack fast vier Minuten, bis er die Anhöhe erreicht hatte, von der aus er seine Farm erblicken konnte.

Der Anblick ließ ihm das Blut in den Adern gefrieren.

Aus den Fenstern seines Farmhauses quoll dichter schwarzer Rauch. Fenster und Tür standen offen, und die Schweine im Pferch neben dem Haus lagen leblos am Boden.

Über die östliche Ebene jagte eine Gruppe Reiter davon. Staub hing in der Luft.

Jack überwand seinen Schock und schlug die Zügelenden auf den Hals des Pferdes.

»Vorwärts! Vorwärts!«, schrie er, und Tränen schossen ihm in die Augen.

Während er auf das Haus zu preschte, sah er kaum noch etwas, alles verschwamm im Tränenschleier. Noch bevor er das Gebäude erreichte, schlugen Flammen aus den Öffnungen und begannen gierig nach dem Holz des Hauses zu greifen. Ein Knistern und Prasseln hob an, als das Holz von der Hitze des Feuers erfasst wurde.

Jack jagte in den Farmhof, die Namen seiner Frau und seiner Kinder schreiend. Mit dem Handrücken wischte er die Nässe aus seinen Augen und suchte seine Lieben.

Doch er fand sie nicht.

Niemand antwortete auf sein Schreien.

Er trieb den Gaul ums Haus herum.

Als er am Schweinepferch vorbeikam, sah er bestätigt, was er aus der Ferne bereits vermutet hatte: Die zwei Wellington-Schweine waren durch Schüsse getötet worden. Tote fleischige Hügel lagen im Schlamm, ihr Blut hatte im Grau des Suhls rote Schlieren gebildet.

Jack preschte weiter.

Und da sah er Emily.

*

Von Norden näherte sich eine Staubwolke.

Auf seinem zweispännigen Pritschenwagen kam Abe Dunston angefahren. Seine linke Hand war noch verbunden, doch mit der gesunden Hand führte er die Zügel und jagte die Pferde den Weg entlang.

Als er in Jacks Farmhof einfuhr, hatte er alle Mühe, die galoppierenden Tiere zum Stehen zu bringen.

Der Wagen hielt erst dreißig Yards hinter dem Farmhaus. Abe sprang ab und rannte zu den niedergebrannten Überresten zurück.

»Mein Gott«, keuchte er, »o mein Gott!«

Von dem Farmhaus war nichts übriggeblieben. Eine schwarze, zusammengefallene Holzruine stand dort, wo früher die Nolans gewohnt hatten. Der einstige Hausrat war nur noch als rußige Klumpen in der Asche zu erkennen.

Jack Nolan saß völlig verdreckt und apathisch vor den Überresten seines Hauses. Er hatte die Hände um seinen Oberkörper geschlungen und stierte auf den Boden. Er musste geweint haben, denn seine Augen waren gerötet, aber jetzt kamen keine Tränen mehr. Ein dumpfes Brummen kam aus seiner Kehle.

Seine tote Frau hatte er neben sich in den Staub gebettet. Abe erstarrte, als er sie sah. Die Killer hatten Emily geschändet und anschließend erschossen. Ihre Wangen waren aufgedunsen und dunkel angelaufen, ein Zeichen dafür, dass sie vor ihrer Ermordung heftig geschlagen worden war. Bluse und Rock waren zerrissen, doch Jack hatte die Kleidungsstücke über ihrem Körper zurechtgelegt. Emilys Fingernägel waren blutverschmiert.

Neben Emily lagen zwei schwarze, verkohlte Häuflein. Leichter Rauch stieg noch immer von ihnen auf.

Abe Dunston kämpfte gegen die Übelkeit und den aufsteigenden Brechreiz an.

Er schaffte es nicht und übergab sich in den Dreck des Farmhofs.

Als er Minuten später nach Jack Nolan schaute, fühlte er sich immer noch hundeelend.

»Jack … he, Jack …«

Jack Nolan reagierte nicht auf seine Ansprache.

»Verdammt, Jack, sag etwas!«

Jack Nolan sagte nichts.

»Wir müssen sie beerdigen«, sagte Abe. »Ich werde ein Grab schaufeln.«

Er ging zu seinem Wagen und holte einen Spaten aus der Werkzeugbox unter dem Sitz. Neben dem niedergebrannten Farmhaus fand er eine geeignete Stelle. Das Graben fiel ihm schwer, die verbundene Hand schmerzte. Aber dies ist nichts gegen den Schmerz, den Jack Nolan zu ertragen hat, dachte Abe.

Er schuftete zwei Stunden, während Jack Nolan sich nicht von seinem Platz rührte. Der Schweiß lief Abe über Brust und Rücken und tränkte sein Hemd. Dann war er endlich fertig. Er trat neben Jack.

»Hilf mir, sie hineinzulegen, Jack.«

Jack hob den Blick. Abe fuhr ein eisiger Schauer über den Rücken. Diese Augen zeigten abgrundtiefen Hass und eine mitleidlose Kälte.

Jack Nolan erhob sich. Seine Bewegungen waren langsam und steif. Gemeinsam trugen sie Emily zum Grab und legten sie hinein. Jack richtete ihr nochmals die Kleidung, die verrutscht war.

Dann brachte er die beiden Kinder.

Abe konnte seine Tränen nicht zurückhalten, so groß war der Schmerz in seiner Brust. Doch Jack Nolans Tränenfluss war versiegt. Mit zusammengepressten Lippen legte er die verbrannten Kinder neben ihre Mutter.

Dann nahm er den Spaten und begann Erde auf die Toten zu häufen. Eine halbe Stunde arbeitete Jack stumm, während Abe, der sich in den Staub gesetzt hatte, ihm zusah.

Dann verhielt Jack und stützte sich auf den Spaten.

Abe trat herzu.

»Möchtest du, dass ich ein Gebet spreche, Jack?«, fragte Abe.

Jack nickte.

Während die Sonne vom Nachmittagshimmel brannte, sprach Abe Dunston ein Gebet für die ermordete Familie von Jack Nolan.

TAMMY DUNSTON, 1856-1869, hatte Jack Nolan vor wenigen Tagen auf das Kreuz geschrieben, das sie am Fuße des Hügels bei Abe Dunstons Farmhaus gesetzt hatten. Jetzt war es Abe, der die Namen der Toten auf eine Tafel schrieb:

EMILY NOLAN, 1842-1869

CINDY NOLAN, 1867-1869

JOE NOLAN, 1869

Sie rammten die Tafel am Kopfende des Grabes in den Boden. Dann legte Abe seinem Nachbarn die Hand auf die Schulter.

»Komm, Jack. Heute Nacht schläfst du bei uns.«

*

Jack saß im Hof und schnitzte. Seit der Stunde, in der er seine Familie verloren hatte, hatte er kein Wort mehr gesprochen. Er hatte aus Abes Werkzeugkiste ein Büffelmesser genommen sowie ein Holzbrett, das er hinter Abes Haus gefunden hatte. An dem Brett schnitzte er stundenlang herum.

Zwei Tage verbrachte er bei den Dunstons, schlief kaum, lag nachts die dunkle Decke anstarrend auf der Lagerstatt, und aß und trank nur sehr wenig.

Abe machte sich Sorgen um den Freund und ließ alle Arbeit ruhen, während seine Frau Louisa fortfuhr, die Sachen zu packen. Abe hatte am Nachmittag den Zweispänner in den Hof gefahren und einige Möbelstücke aufgeladen.

Am Abend trat er zu Jack, der im Schatten des Hauses saß. Das Brett, an dem er gearbeitet hatte, lag quer über seinen Schenkeln.

»Wir werden bald aufbrechen, Jack. Louisa hält es nicht mehr lange hier aus.«

Jack nickte. Er räusperte sich und begann zu sprechen.

»Mein Pflug steht noch auf dem Feld, Abe. Er ist das einzige, was mir geblieben ist. Ein Pferd steht noch dort.«

»Hoffentlich lebt es noch«, sagte Abe.

»Du kannst den Pflug und das Pferd haben, Abe. Wenn du mir dein Gewehr dafür gibst.«

Abe überlegte nur kurz.

»Du kannst es haben, Jack. Seit der Sache mit Tammy habe ich mir geschworen, das Gewehr nie wieder anzufassen. Nein, ich werde nie wieder eine Waffe anfassen. Wir könnten auf dein Feld raus reiten, den Pflug noch vor Einbruch der Dunkelheit herholen. Kommst du mit?«

»Nein, Abe. Hol mir das Gewehr. Ich werde heute noch aufbrechen.«

»Aufbrechen? Wohin?«

»Wir haben in letzter Zeit eine Menge Grabinschriften verfasst«, sagte Jack heiser. »Hier hast du noch eine.«

Er warf Abe das Brett zu, das er zwei Tage lang bearbeitet hatte.

Abe fing es auf und las.

»Um Himmels Willen, Jack! Noch mehr Tote?«

Jack erhob sich, ging auf Abe zu und nahm das Brett wieder an sich.

»Das erhält Masterson morgen«, sagte er, ohne Abe anzublicken.

*

Jack erreichte Brolin zwei Stunden vor Mitternacht. Die Stadt lag acht Meilen von der Big-M-Ranch entfernt an einer Biegung des Sassinac River. Sie war vor einigen Jahren entstanden und immer wieder kamen Cowboys der Umgebung hierher, um sich an ihren freien Tagen in den Spiel- und Tanzhallen und Saloons zu vergnügen. Die Farmer und Kleinrancher fanden in den Eisenwarenläden und General Stores alles, was sie benötigten, sofern sie es sich leisten konnten. Ein Sheriff oder Marshal fand sich in dem kleinen Ort nicht.

Um diese Uhrzeit war noch wilder Trubel auf den Straßen. Menschen strömten von einem Saloon in den nächsten, andere wanderten von einer Spielhalle in ein Speisezelt, oder schwankten in eine der öffentlichen Toilettenbuden.

Jack lenkte die Braune an die Tränke vor dem bereits geschlossenen und im Nachtschatten liegenden General Store, glitt aus dem Sattel und schlang die Zügel um den Hitchrack. Er zog das Gewehr aus dem Scabbard und verschwand in einer dunklen Gasse. Gegenüber dem Eagle Saloon bezog er Stellung in der Dunkelheit.

Jack bewies Geduld. Den Rücken an die Holzwand gelehnt wartete er. Nach einiger Zeit verließ ein bekanntes Gesicht den Eagle Saloon. Darauf hatte Jack gewartet.

Der Mann war schon weithin als Cowboy zu erkennen. Er trug Chaps und lederne Ärmelschoner. Auch ein Colt befand sich an seiner Hüfte. Wahrscheinlich war er direkt nach der Weidearbeit hierher geritten.

Er schwankte zur Toilette, die im Hinterhof des Saloons um eine Ulme gebaut worden war. Eigentlich handelte es sich lediglich um einen Sichtschutz aus dünnen Holzbrettern, hinter dem sich eine abschüssige Blechrinne befand, in die die Gäste sich erleichtern konnten. Das Gefälle der Rinne leitete den Urin in ein Loch im Boden, das alle paar Tage mit Erde aufgefüllt wurde.

Jack erhob sich, huschte über die Straßen und folgte dem Mann im Abstand von einigen Yards. Er achtete darauf, im Dunkeln zu bleiben.

Jack brauchte sich keine Mühe zu geben – der Mann blickte sich kein einziges Mal um. Er verschwand hinter der dünnen Wand, und Sekunden später ertönte das Prasseln eines Urinstrahls in der Blechrinne. Jack verharrte am Eingang.

Nach kurzer Zeit erschien der Mann wieder und wollte an ihm vorbeigehen. Sein Blick hatte ihn nur kurz gestreift. Offensichtlich war er so betrunken, dass er ihn nicht erkannte.

Als er auf gleicher Höhe war, packte Jack sein Hemd und stieß ihn gegen die dünne Holzwand, die sich nach hinten durchbog.

»He, was …?«

Jack setzte die Mündung der Winchester unter das Kinn des Cowboys. Der Mann wurde kalkweiß. Trotz seines Zustandes erkannte er, in welcher Gefahr er sich befand. Jetzt stand ihm die Angst ins Gesicht geschrieben. Schweiß trat auf seine Stirn.

Jack roch den Whiskyatem.

»Erkennst du mich, Doug Frey?«, zischte er.

»Hell!«, stieß der Cowboy hervor. »Du … bist doch …«

»Yeah, ich bin’s, Jack Nolan. Dein Boss hat ein paar Leute auf meine Farm geschickt. Meine Schweine haben es nicht überlebt. Mein Haus hat es nicht überlebt. Meine Frau und meine Kinder haben es nicht überlebt.«

»Heavens! Ist das wahr?«

»Glaubst du, dass ich aus Spaß solche Dinge erfinde?«

»Ich schwöre dir, ich war nicht dabei, Jack Nolan!«

»Das dachte ich mir, Doug Frey. Du bist nur ein mieser, kleiner Cowpuncher. Du taugst nur zum Zureiten von lahmen Ponys oder zum Ausmisten von Pferdeställen. Nein, du brauchst keine Angst zu haben. Ich tue dir nichts, wenn du genau tust, was ich sage.«

»Was … willst du von mir?«

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