SOKO Mord-Netz

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Die Kollegen öffneten ihren Ring, um ihm Platz zu machen.

„Major Kästner.“

„Sänger, Inspektionskommandant Aschau.“

„Florian Marthaler, Bergrettung Aschau.“

Jeder nannte knapp Namen, Dienstgrad und Stationierung, doch die weiteren Namen rauschten an Elmar vorbei, während er sich zu demjenigen drehte, der sich zuerst vorgestellt hatte. Vom Auftreten musste dieser hochgewachsene Kollege der heutige Einsatzleiter sein. „Wie sieht der Plan aus?“, erkundigte sich der Kitzbüheler.

Kästner warf einen Blick auf seine Smartwatch: „4:49. Um 5:00 gibt es für alle die Informationen zur Aufgabenverteilung. Können Sie uns weitere Angaben zu den Vermissten liefern?“

Preußler fand die Antwort des Leiters unfreundlich, aber vielleicht war ja der militärische Ton für die heutige Aufgabe die beste Methode, die vielen verschiedenen Kollegen einzuteilen. Elmar war froh, dass er sich nicht die Nacht hatte um die Ohren schlagen müssen, um sich in die geographischen Gegebenheiten einzuarbeiten. Noch schwieriger fand er es, gemischte Teams zusammenzustellen, wobei man leicht einem Kollegen auf die Füße treten konnte, weil man einen anderen Kollegen zum Truppenführer für heute ernannte. Heute war er eben Befehlsempfänger und würde sich einordnen. Kurz gab er die wenigen Informationen, die sie inzwischen zusammengetragen hatten, an die Umstehenden weiter.

„Angehörige befragt?“, kam die verkürzte Frage des Einsatzleiters.

„Nein, bisher gab es keinen Grund, sie zu beunruhigen. Die beiden Paare könnten einen mehrtägigen Ausflug machen, ohne dass sie es für nötig hielten, sich im Hotel abzumelden.“

Einer der drei anderen, der offensichtlich hier aus der Gegend kam, erklärte: „Von Samstagnachmittag bis Sonntag in der Früh hatten wir hier heftige Schneefälle, zum Teil mit schwerem Wind. Wenn sie da reingekommen sind, hatten sie kaum eine Chance!“

Elmars rechter Nachbar nickte: „Selbst wenn man hier nicht fremd ist, verliert man die Orientierung im heftigen Schneetreiben. Die Wege und Schilder verschwinden. In der Dunkelheit sieht man nicht mal mehr, ob man bergauf oder -ab läuft! Weil man durch hohe Schneemassen stapft und unterschiedlich stark einsinkt, fällt auch diese Orientierungsmöglichkeit weg. Die können sich überall hin verlaufen haben.“

„Wie ist deren Ausrüstung?“, hakte der Lange nach.

Der Gefragte zuckte mit den Schultern: „Wir haben keine Ahnung, wie gut oder schlecht sie für eine Schneewanderung gerüstet waren. Ob sie im Auto Rucksäcke mit den üblichen Notfallsachen hatten? Ob sie erfahrene Bergwanderer sind?“

„Na, Servus!“, kommentierte der Kollege, der bis auf seinen Namen noch nichts gesagt hatte.

„Für heute sind ab Mittag neue Schneefälle angesagt. Wenn sie in den zwei letzten Tagen, als es hier oben ruhiges Wetter hatte, nicht wieder aufgetaucht sind, und sich auch in keiner Weise gemeldet haben, dann suchen wir vier Tote. Es macht wenig Sinn, dass wir jetzt in Massen ziellos rumtrampeln, das Leben meiner und Ihrer Kollegen riskieren bei einer Lawinengefahr der Warnstufe 3!“

Elmar rutschte sofort die Frage raus: „Was würden Sie stattdessen vorschlagen?“

Alle sahen den Mann an, an dessen Ärmeln des dicken blauen Parkers Elmar erst jetzt einen Aufnäher der Bergrettung registrierte. „Wer von denen kennt sich mit Suche im Schnee aus?“, wobei er kurz den Kopf gen Saalmitte wendete. „Das sieht immer so einfach aus: man nimmt einen Stab und rammt ihn in den Schnee, aber für eine effektive Suche braucht man ein gutes Team, das so dicht beieinander arbeitet, dass keine Lücken entstehen, das bedeutet, um eine Person von 1,60 m zu finden, braucht man einen engen Abstand. Da oben ist eine riesige Fläche, auf der die Vermissten verschüttet sein können. Wir haben keine Chance, in den circa sechs verbleibenden Stunden vor den angekündigten neuen Schneefällen effektiv zu suchen.“ „Sondern?“, kam eisig die Stimme des Leiters.

„Sie könnten versucht haben, eine der Schutzhütten oder Chalets zu erreichen. Ist ihnen das gelungen, wären sie vielleicht noch am Leben. Wir müssen die Hütten kontrollieren.“

„Wenn die nicht wegkommen, wie sollen wir dann hinkommen?“

„Wir haben den Heli der hiesigen Bergrettung und können noch zwei oder drei über die Armee und den Rettungsdienst zu rekrutieren versuchen!“, übernahm der Einsatzleiter wieder. Er sah erneut auf seine Armbanduhr, die inzwischen 5:02 anzeigte. Er schritt hoch aufgerichtet auf die in mehreren Grüppchen zusammenstehenden Männer und Frauen zu, die sich sofort ihm zuwandten. Alle Gespräche verstummten.

„Major Kästner! Ich bin heute der Einsatzleiter. – Bürokräfte sammeln sich in der rechten Ecke dort neben der Hintertür! Bergretter und Erfahrene im Not- und Rettungsdienst am Berg in die linke Ecke! Der Rest bleibt in der Raummitte!“

Kurzes Zögern, manche sahen sich um. Einige, wie zum Beispiel Mitglieder der Bergrettung, die mit ihren roten Jacken hervorstachen, gingen zügig in die linke Saalecke. Manche der uniformierten Beamten, darunter auch die beiden Kitzbüheler Polizisten, folgten ihrem Beispiel.

Nachdem sich die ersten drei oder vier Anwesenden in die rechte Ecke begeben hatten, folgten ihnen noch rund zehn. Der weitaus größte Teil der Versammelten verharrte in der Mitte.

„Wegen alter und zu erwartender neuer Schneemengen ist die Standardsuche aktuell zwecklos. Wir brauchen erfahrene Leute am Berg, um keine weiteren Menschenleben zu riskieren. Die Koordinierung übernimmt als Ortskundiger der hiesige Leiter der Bergwacht,

Florian Marthaler, dem Sie für die nächsten sechs Stunden direkt unterstellt sind.“

Er wandte sich der kleinsten Gruppe rechts zu. „Wir benötigen so viele Informationen wie möglich, wo sich Schutzhütten, Höhlen und andere Unterschlupfoptionen befinden. Sie befragen Einheimische und ältere Bergführer, die nicht hier im Einsatz dabei sind, überprüfen Karten und Grundbuchamteintragungen. Erstellen Sie Listen, wo bereits kontrolliert wurde. Revierinspektor Sänger wird Ihnen Ihre Aufgaben zuweisen und sich um die notwendigen Zugänge hier vor Ort kümmern!“ Er drehte sich zu den beiden Sub-Einsatzleitern um: „Kontakt zu mir über 1782. Ich erwarte ständig auf dem Laufenden gehalten zu werden! Abtreten!“

Elmar mochte den befehlsgewohnten Stil des Majors nicht, aber er bewunderte, wie dieser ohne zu zögern die ursprüngliche Planung kippte und die Vorschläge des Bergrettungsleiters sofort umsetzte. Was er wohl mit dem großen Pulk in der Mitte vor hatte? Während der hiesige Postenkommandant mit den rechts Stehenden zum Vorderausgang hinausmarschierte, folgten die Helfer aus der linken Ecke Hans Mosbichler, einem Gruppenführer der Bergrettung, zur hinteren Tür hinaus. Nach wenigen Minuten war es ruhig und alle starrten den Major gespannt an. „Ortskundige rechts aufstellen!“

Vier Männer und zwei Frauen stellten sich in einer Reihe nebeneinander auf, als ob sie beim Militär wären. Das waren deutlich weniger Kenner dieser Gegend als Kästner erwartet hatte. Er fixierte die Menge von rund 60 Verbliebenen vor sich. „Je sieben Sucher in wetterfester Ausrüstung hinter die Einheimischen! Ihre Aufgabe besteht darin, rund um den Parkplatz und die vier ausgeschilderten Wege nach Hinweisen auf die Abgängigen zu suchen. 9:00 Rapport und neue Befehlsausgabe. Danke!“

Jetzt war ein deutliches Zögern zu spüren. Nur wenige stellten sich zügig hinter die sechs Aufgereihten. Der Major brüllte los: „Aufreihen! Marsch!“

Ein Großteil der in der Mitte Stehenden kam in Bewegung. Es dauerte ein paar Minuten, bis sich pro Führer sieben ortsfremde Sucher sortiert hatten und die Überzähligen sich wieder in der Saalmitte eingefunden hatten. Der Major hob kurz die rechte Hand wie zu einem Abschiedsgruß an die Schläfe, worauf auch diese Gruppe die Halle verließ. Nun näherte er sich den übrigen Anwesenden in der Mitte ein paar Schritte.

„Wir brauchen Hinweise von den hiesigen Bewohnern, vor allem Ladenbesitzern. Jede Angabe zu den Vermissten kann wichtig sein! Sie…“damit teilte er die Gruppe mit den Armen in der Hälfte durch und zeigte auf die rechts Stehenden, „sammeln Informationen! Die anderen werden vom Postenkommandanten Sänger eingeteilt!“ Er sah sich um, entdeckte den Aschauer Beamten und winkte ihn mit einer zackigen Armbewegung zu sich. „Sie übernehmen die Aufgabenverteilung hier in Aschau! Verköstigung zum Beispiel!“

Jetzt wandte er sich an Elmar Preußler: „Zur Eingrenzung des Suchradius benötigen wir Angaben, wann die Deutschen frühestens vom Parkplatz aufgebrochen sind. Darum kümmern Sie sich! Möglichst schnell Bericht direkt an mich!“

Damit drehte er sich dem als letzten übrig Gebliebenen des höheren Kreises zu. „Vorerst scheint der Einsatz der Gebirgsjäger weder notwendig noch unter den lokalen Gegebenheiten sinnvoll. Sie können die Mobilisierung in eine Bereitschaft für die nächsten acht Stunden runterstufen.“ „Jawohl!“, bestätigte der Angesprochene. „Sonstige Befehle?“ Der Leiter nickte: „Jemand müsste sich um die Sichtung und Dokumentation eingehender Informationen kümmern. Könnten Sie das übernehmen?!“

Die Formulierung war zwar grammatikalisch eine Frage, aber de facto klang es nach einer Anweisung, auf die der Rangniedere dementsprechend mit einem „Zu Befehl, Herr Major!“ und dem automatischen Hand-Salut und Zusammenschlagen der Hacken reagierte.

Der Einsatzleiter warf einen Rundblick über die rumwuselnde Betriebsamkeit. Als er den Leiter der Bergrettung, den er mit seiner Truppe längst auf dem Weg in die Berge wähnte, im Gespräch mit dem Kitzbüheler Kriminalinspektor entdeckte, schritt er schnell auf sie zu. „Noch was unklar?“

Preußler entgegnete: „Ich wollte wissen, wie groß die Überlebenschance ist, wenn die vier dort seit Tagen eingeschneit sind.“

 

„Sie informieren die Angehörigen möglichst bald über unsere Suche! Der Aufmarsch hier heute Morgen wird die Journaille schon bald auf den Plan rufen. Besser die Verwandten erfahren von Ihnen als aus der Presse, was hier ausgelöst wurde!“ Er stellte sich betont aufrecht vor den knapp zwei Meter großen Leiter der Aschauer Bergrettung. „Warum sind Sie noch hier?“

Der andere musterte ihn, unentschlossen, ob er sauer oder belustigt sein sollte, dass dieser Militärkopf ihm sagen wollte, wie man hier eine Suche am Berg aufzieht. „Mein Team weiß, was es zu tun hat, jeder!“, konterte er. „Die brauchen mich nicht als Aufpasser.“ Etwas weniger unwirsch erklärte er: „Unser Heli darf erst mit dem Sonnenaufgang, also heute um 6.12, starten. Da fliegen unsere Notärztin und ich dann mit, um die bekannten Schutzstätten aus der Luft zu kontrollieren.“

Der Major wollte wissen: „Wie viele solcher Möglichkeiten gibt es im Umkreis?“

„Wenn wir davon ausgehen, dass die Ausflügler nicht vor 6:30, eher deutlich später, zu ihrer Wanderung aufgebrochen sind, dann hatten sie keine sechs Stunden, bis es zu schneien begann. Die dunklen Wolken sollten sie allerspätestens dann zur Umkehr getrieben haben. Wenn sie in den ersten zwei Stunden ohne Schneeschuhe maximal vier Kilometer geschafft haben, dann abnehmend drei bis vielleicht zwei kommen wir auf einen Radius von unter zwanzig Kilometer im Halbkreis um den Parkplatz.“

„Warum Halbkreis? Sie können doch jede Richtung eingeschlagen haben!“, schaltete der Kitzbüheler sich ein.

Flori schüttelte den Kopf: „Man fährt nicht zu einem Parkplatz rauf, um dann wieder zum Ort runter zu laufen, wenn man in die Berge will. Also suchen wir nur oberhalb des abgestellten Wagens.“

„Ich werde weitere Hubschrauber anfordern!“, verkündete Kästner.

„Das macht keinen Sinn!“

Der Major, der sich bereits einige Schritte entfernt hatte, drehte sich abrupt um. „Wieso nicht?“, raunzte er den impertinenten Berg-Sani an.

„Zum einen, weil man sich hier sehr gut auskennen muss mit den Schluchten und Überhängen, den Anflugmöglichkeiten, um dicht an die Hütten zu kommen. Man muss wissen, wo sich die Landeplätze auf dem Berg befinden und vor allem wo sich Schneebretter und instabile Hänge bilden. Wenn man sich nur ein wenig verschätzt, löst der Heli eine Lawine aus! Zum anderen gehört eine Wärmebildkamera nicht zur Standardausrüstung. Ohne unsere neueste Errungenschaft würden wir viele Verirrte oder Eingeschneite nicht rechtzeitig orten. Ohne Thermokamera müsste jede Hütte persönlich kontrolliert werden. Bei dem Wetter eine unnütze Gefährdung weiterer Menschenleben!“

Marthaler und Kästner standen einander gegenüber, wie zwei angriffslustige Halbstarke, die ihr Revier verteidigten.

Preußler trat neben die beiden: „Super, wie toll alles in kürzester Zeit organisiert wurde! Mit vereinten Kräften werden wir sie hoffentlich bald finden. Da ich mir anscheinend sparen kann, das Personal vom Kitzbüheler Hof zu befragen, wann am Samstagmorgen das Quartett noch im Hotel gesehen wurde, werde ich versuchen, die Angehörigen ausfindig zu machen.“

Der Einsatzleiter nickte: „Die hiesigen Kollegen haben gestern den Wagen der Deutschen öffnen lassen. Alles Private wurde sichergestellt. Vielleicht sind irgendwelche Hinweise auf Verwandte oder Freunde dabei. Kommen Sie!“

Elmar sah noch, wie Florians Anspannung auch körperlich nachließ und er wieder in eine lässigere Haltung verfiel. „Respekt, was Sie hier leisten!“, sagte der Beamte leise zu ihm, bevor er hinter dem Major her eilte, der neben den Toiletten vor einer Tür stand, die er nun aufsperrte.

„Jeder Beutel beinhaltet Dinge, die wie beschriftet an einer bestimmten Stelle im Wagen der Deutschen gefunden wurden. Die wenigsten Sachen können wir einer bestimmten Person zuordnen. Genauere Sichtung steht noch aus. Vielleicht werden Sie fündig! Bitte beim Verlassen den Raum absperren!“ Damit verließ der Einsatzleiter das kleine, fensterlose Zimmer.

10

Die rechte Wand stellte einen großen Spiegel dar, vor dem ein breites, weißes Brett mit drei Stützbeinen zur Raummitte eine lange Ablage bildete. Davor standen zwei billige Plastikstühle. Elmar zog einen mit bis ans hintere Zimmerende, wo er sich von dort beginnend an die Durchsicht der gefundenen persönlichen Dinge machte. Als Kriminalbeamter hatte er in jeder Hosentasche schon gewohnheitsmäßig ein paar billige Einmalhandschuhe. Bevor er den Plastikreißverschluss des ersten durchsichtigen Beweissicherungssacks öffnete, zog er sich die dünnen Plastikhandschuhe an. Vielleicht müsste man später DNA-Spuren der gesicherten Sachen nehmen, um sie den Besitzern zuordnen zu können – falls sich die düsteren Überlegungen des Bergretter-Chefs bewahrheiteten. Elmar legte den Inhalt des ersten Beutels, beschriftet mit „Fahrertür“, ordentlich auf die Ablage. Sorgfältig fotografierte er jeden Gegenstand – nur für sich – aus zwei verschiedenen Perspektiven. Gegebenenfalls würde die Kriminaltechnik das noch viel aufwändiger den Vorschriften gemäß archivieren. Sogar drei geknüllte, wahrscheinlich benutzte, Papiertaschentücher nahm er auf, denn die gehörten voraussichtlich dem Eigentümer des Wagens. Oder vielleicht dem Fahrer?

Die nächsten 80 Minuten sichtete der Kommissar jeden Beutel einzeln, aber die Ausbeute war minimal. Er hatte ja bereits vorher gewusst, dass keine Portemonnaies, Handys, Adressbüchlein oder ähnlich hilfreiche Objekte gefunden worden waren, aber dass auch in dem Taschenbuch, einer GEO-Zeitschrift und auf einzelnen kleinen Zetteln nichts Sachdienliches zu finden war, frustrierte Elmar. Den einzigen Anhalt für einen Verwandten hoffte er mit dem Namen des Wageneigentümers entdeckt zu haben. Der grüne Versicherungsschein mit Unfallberichtsformular lautete auf Gisbert von Buchen. Er war im Kopf verschiedene mögliche Gründe durchgegangen, warum der Nachname des Autobesitzers mit keinem der vier Gesuchten übereinstimmte, also wohl nicht vom Vater oder Bruder geliehen, aber es gab zig verschiedene Optionen. Als der Kitzbüheler die Beutel samt Inhalt wieder ordentlich verschlossen aufgereiht hatte, suchte er ganz banal über ein Online-Telefonbuch nach Herrn von Buchens Telefonnummer. Erfreulicherweise wurde ihm eine Festnetznummer angezeigt, also wohl eher ein Mann über 35, denn die Jüngeren verfügten heutzutage meist nur über einen Handy-Vertrag und tauchten in keinem Telefonbuch auf.

Inzwischen war es 10 nach 8, da konnte man schon stören.

Kaum hatte er gewählt, hörte Preußler schon nach dem ersten Klingeln wie sein Anruf weitergeleitet wurde. Nach dem dritten Klingeln meldete sich ein Mann mit einer sonoren Stimme: „von Buchen.“

„Guten Morgen, Herr von Buchen. Hier spricht Hauptkommissar Preußler von der Kitzbüheler Polizei. Wir haben Ihren Wagen mit dem Kennzeichen FR EI 66 bei Aschau auf einem Berg-Parkplatz abgestellt gefunden, wo er offensichtlich schon ein paar Tage steht. Können Sie mir dazu etwas sagen?“ Eine vorsichtige Anfrage!

„Den Wagen fährt meine Nichte, die mit ein paar Freunden bei Ihnen in der Gegend ein paar Tage Urlaub macht. Die werden auf einer Bergtour sein.“ Der Mann klang in keiner Weise beunruhigt.

„Wie heißt Ihre Nichte?“

„Sarah. Sarah Schreiber. Warum müssen Sie das wissen? Ist was mit dem Wagen nicht in Ordnung?“

„Doch!“, beeilte sich der Beamte, den besorgten Besitzer zu beruhigen. „Kennen Sie auch die Namen der anderen jungen Leute?“

Zögern am anderen Ende der Leitung. „So spontan nicht. Aber was ist denn los?“ Der Angerufene klang eher ungeduldig als besorgt.

„Es gab am Wochenende heftige Schneefälle, seitdem wurde das Quartett nicht mehr ge…“

Er konnte den Satz nicht beendenden, weil ihn der Deutsche mit „Oh, nein!“ unterbrach. Schnell versicherte Preußler dem Onkel, dass die jungen Besucher irgendwo in einer Hütte oder einem selbstgebauten Iglu Schutz gefunden haben könnten. Er lauschte, doch sein Gesprächspartner reagierte nicht. „Es wäre für uns wichtig, auch andere Angehörige zu befragen, ob jemand weiß, wo die beiden Paare hinwollten.“

Der Andere schwieg.

„Wie erfahren am Berg ist Ihre Nichte? Weiß sie sich zu helfen bei Wettereinbruch?“

Nichts.

Elmar lauschte. Er hörte kein Weinen, nicht mal Atmen. War der Herr einfach umgekippt? Hatte er vor Schreck einen Herzinfarkt erlitten? Elmar hatte ein schlechtes Gewissen, dass er fernmündlich so ein Gespräch führen musste. „Hallo, Herr von Buchen, sind Sie noch da?“ Kein Geräusch. „Melden Sie sich bitte! Sie sind aktuell unser einziger Kontakt. Gehen Sie bitte dran!“ Und jetzt? Sollte er eine deutsche Streife losschicken, nach ihm zu sehen? Wegen der Rufumleitung war er wahrscheinlich gerade nicht zu Hause, also müssten die Kollegen eine Handyortung….

Sein Gedankengang wurde unterbrochen, als plötzlich eine Frauenstimme aus seinem Handy-Lautsprecher erklang: „Von Buchen. Mein Mann sagt, Sarah und die anderen sind verschüttet?“

„Preußler, Kriminalpolizei Kitzbühel. Nein! - Das heißt, wir wissen es nicht. Sie waren seit Samstag nicht mehr in ihrem Hotel, weshalb uns der Hotelmanager informiert hat. Im Rahmen der Suche wurde der Wagen Ihres Mannes verlassen und halb eingeschneit auf einem Parkplatz für Bergtouristen in der Nähe von Aschau aufgefunden. Die jungen Leute können in einer der Hütten Schutz gefunden haben.“ Keine Reaktion. „Jedenfalls suchen wir Ihre Nichte und ihre drei Begleiter. Wir benötigen so viele Informationen wie möglich, ob jemand weiß, wo sie hinwollte und wie gut die Vermissten betreffs Kenntnisse und Ausrüstung auf eine Bergtour mit Schneeeinbruch vorbereitet sind.“

„Ich verstehe.“ Er hörte, wie die Frau, die anfangs so forsch am Telefon geklungen hatte, sich mehrmals räusperte, bevor sie fortfuhr: „Sarah kennt mehrere deutsche Mittelgebirge, aber sie hat eher Halbtageswanderungen mit Freunden gemacht. Im Gebirge hat sie gar keine Erfahrung.“

„Und die anderen drei?“

Jetzt schniefte die Tante doch hörbar: „Ich weiß es nicht, ich glaub nicht!“ Dann brach der Damm, sie heulte hemmungslos und schluchzte Unverständliches, von dem der Polizist nur Wortfetzen aufschnappte wie „… erlaubt… vier Tag…, wenn… Vorwürfe… hoffen…“.

Preußler unterbrach die Frau: „Wir müssen wissen, wie wir Angehörige erreichen können! Wie erreiche ich denn die Eltern von Sarah oder vom Rest des Quartetts?“

„… nie… gewusst… wo…“

„Können Sie mir bitte die Adresse Ihrer Schwester oder Ihres Bruders und eine Telefonnummer nennen?“ Keine Reaktion. Elmar sah auf sein Handy. Die Leitung stand noch. „Frau von Buchen? Hören Sie mich?“ Er wartete. Man hörte gar nichts. Kein Weinen oder Schniefen, kein Gespräch mit dem Ehemann. So kam Elmar nicht weiter. „Sehen Sie meine Handynummer auf Ihrem Display? - Hallo? - Ja? - Speichern Sie sie oder rufen mich jetzt sofort kurz zurück. Melden Sie sich bei mir, wenn Ihnen oder Ihrem Mann noch irgendetwas einfällt. Ich halt Sie auf dem Laufenden, versprochen!“ Er drückte das Gespräch aus und stand auf.

Jetzt brauchte er erst mal einen Kaffee! Müde reckte er sich, stand auf, sah sich kurz um, dass er alles ordentlich hinterließ, dann verließ er diese dunkle Zelle, sperrte von außen ab und steckte den Schlüssel in seine Hosentasche.

11

Überrascht stellte er fest, dass schon ein Großteil der Helfer zurückgekehrt war und sich an den Kaffeevorräten bediente. Als er zu dem Tisch trat und sich eine große Tasse vom Tablett griff, bot ihm ein junger Mann in Zivil an, ihm den Humpen zu füllen. Elmar nickte dankbar. „Gibt's schon was Neues?“, erkundigte er sich neugierig. Er erhielt keine Antwort. Die Zeiger der großen Wanduhr zeigten 8 Uhr 27. Für ihn war die Zeit verflogen, auch wenn er im Prinzip mit keiner Neuigkeit aufwarten konnte, aber er hatte gründliche Basis-Polizeiarbeit gemacht. Wo es keine Hinweise gab, konnte er auch keine finden! Der Kitzbüheler machte sich auf die Suche nach den „Schreibtisch-Beamten“. Vielleicht hatten sie weitere Erkenntnisse! Er vermutete, dass es in diesem Gebäude irgendwo eine Art Regieraum oder Besprechungsraum oder Ähnliches gab, aber nach wenigen Minuten kehrte er zurück in den Saal.

Laut fragte er: „Kennt sich hier jemand aus?“ Er sah sich um. Zwar hatten sich die meisten Anwesenden zu ihm umgedreht, einige schüttelten verneinend die Köpfe, aber keiner schien von hier zu kommen. Der Kommissar schritt zum Vordereingang hinaus und sah draußen in die drei anderen Richtungen, um sich im inzwischen nicht mehr stockdunklen Ort ein Bild von den Örtlichkeiten zu machen. Er hielt Ausschau nach einem Rathaus oder anderen öffentlichen Gebäuden, wo die mit der Recherche beauftragten Kollegen hin verschwunden sein könnten. Preußler fröstelte bei dem Temperaturunterschied. Er hatte im ungeheizten Gemeindehaus seinen Parka anbehalten und fror jetzt an der noch kälteren frischen Luft. Es ging ein bisschen Wind. Die Kollegen und Helfer, die seit über zwei Stunden hier draußen suchten, taten ihm leid. Das war bei diesen Temperaturen kein netter Morgenspaziergang. Nach einem Blick auf seine Armbanduhr entschied er sich, nicht allein im Ort herumzusuchen, sondern die verbleibenden zwölf Minuten bis zum festgesetzten Termin, an dem sie sich wieder treffen sollten, drinnen abzuwarten. Es war zwar heutzutage nicht besonders schwer, die Wohnsitze und Namen von Angehörigen der drei anderen Vermissten herauszufinden, aber eine Fleißarbeit, die per Zufall mit wenigen Klicks zur gewünschten Information führen konnte oder sich recht aufwändig gestalten könnte.

 

Zu seiner Überraschung hatte der Saal sich in den letzten Minuten weiter gefüllt. Die meisten kamen wohl von hinten her von ihrem Einsatz in die Halle zurück. Elmar entdeckte den 1,92 Meter großen Dimpfelmoser in einer Gruppe nahe einem Tisch, an dem es offensichtlich etwas zu essen gab. Nach dem einen Brötchen vor rund vier Stunden meldete sich der Hunger zurück. Wie ein Slalomläufer schlängelte er sich abwechselnd rechts und links ausweichend an herumstehenden Hindernissen vorbei zum Buffet. Zwar hatten sich die Zurückkehrer schon eifrig bedient, aber auf langen Platten gab es geschmierte Butterbrote, auf die man von Aufschnitttellern selbst je nach Gusto den Belag aus unterschiedlichen Wurst-, Schinken- und Käsesorten mit Gabeln auswählte. In kleinen Schüsselchen gab es „Deko“: Cornichons, Gurkenscheiben, Silberzwiebeln, Minitomaten oder geschnittene Rispentomatenviertel, Trauben, Eisbergsalatblätter. Toll, was hier aufgetischt wurde!

Elmar entdeckte jetzt auch den jungen Kitzbüheler Kollegen, der schräg rechts von ihm auf der anderen Seite des Tisches seine Stulle belegte, die man direkt aus der Hand aß.

„Und, was gibt's Neues?“, versuchte Preußler erneut sein Glück. Der junge Polizist hatte gerade den Mund voll, zuckte nur mit den Schultern. Um anderen den Zugang zum Buffet frei zu geben, trat Elmar zur Seite. Er genoss seine dunkle Brotscheibe mit einem würzigen Schinken, während er den Andrang rund um den Tisch beobachtete. Manche blieben gleich dort stehen, verschlangen ihre Brote mit wenigen großen Bissen und griffen schon nach dem nächsten, das einen Turm unterschiedlicher Beläge aufgeladen bekam, bevor die Brotscheiben in hungrige Münder geschoben wurden. Das Gedränge nahm immer mehr zu, das Angebot an Essbarem immer rasanter ab. Elmar hatte sich zulange Zeit gelassen. Als er sich erneut bis an die Tischkante vorgedrängelt hatte, gab es nur noch in einigen Schüsselchen ein paar vereinzelte Gemüsestückchen. Er fischte noch zwei Cherrytomaten aus einem Suppenteller in der Tischmitte, als er spürte, wie sich die Masse hinter ihm wegbewegte.

Schon hörte er den Major mit seiner lauten Stimme: „Laut den Rückmeldungen wurden keine neuen Hinweise auf den Verbleib der vier jungen Deutschen gefunden.“ Er hielt kurz inne, weil es unruhig wurde. Viele hatten gehofft, dass andere Teams Spuren gefunden hätten. Was konnte man jetzt noch tun? Der Einsatzleiter fuhr fort: „Wir brechen die Suche mit Mensch und Hund ab. Spezialtechnik bleibt im Einsatz – solange das Wetter es zulässt!“

Die Anwesenden wandten sich einander zu, man sprach über die vergebliche Suche, organisierte die Heimkehr, verabschiedete sich von alten und neuen Bekannten. Die Ersten verließen bereits das Gemeindehaus. Preußler versuchte, sich durch den Kreis an Menschen, der sich um den Leiter gebildet hatte, zu Kästner vorzuarbeiten. Diverse Fragen strömten auf den Major ein, die bei seiner kurzen Verabschiedung offengeblieben waren.

Er erhob erneut die Stimme: „Die Bereitschaft ist für alle Inspektionen außer den beiden zuständigen von Kitzbühel und Aschau hiermit aufgehoben!“ Prompt drehten die meisten, die ihn umringt hatten um und entfernten sich. Auch wenn die gesamte Suchaktion erfolglos ausgegangen war, freuten sich die zusammengetrommelten Sucher über das frühe Ende ihres Einsatzes. Jetzt zog es die meisten schnell heim, um sich aufzuwärmen, zu duschen, was Warmes zu essen, zu schlafen oder den Rest des so unverhofft frühen Feierabends anderweitig zu füllen.

Preußler stand plötzlich direkt vor dem Organisator: „Was sollen wir machen?“

„Sie kehren nach Kitzbühel zurück und kontaktieren die Eltern von Joel Maurer, Beatrix und Robert Schwarz, beziehungsweise die Verwandten von Sarah Schreiber!“ Elmar wunderte sich kurz, woher diese detaillierten Kenntnisse kamen. Als Leiter hatte er tatsächlich von allen Seiten Informationen erhalten, die der Kommissar auch gerne hätte. Als ob sein Gegenüber Elmars Gedanken lesen könnte, zog er ein großes Handy aus den tiefen Taschen seines Dienstmantels. „Kontaktadresse?“ Der Major tippte sie nach Diktat sofort ein und Sekunden später vibrierte Elmars Handy. „Sie erhalten Bescheid, wenn wir Ihre Deutschen finden sollten!“ Damit wandte sich der Einsatzleiter ohne ein Wort des Dankes oder der Verabschiedung dem nächsten Wartenden zu.

Elmar drehte sich um, hielt nach seinen Kitzbüheler Kollegen Ausschau, die in der Nähe des Hinterausgangs warteten. Während er auf sie zuschritt, überflog er kurz die Nachricht mit verschiedenen Namen, Adressen und zwei Telefonnummern.

12

Für die Rückfahrt nach Kitzbühel brauchten sie deutlich länger wegen des stärkeren Verkehrs. 10:43 parkte Laurentius Dimpfelmoser den Dienstjeep vor dem heimischen Polizeiposten. „Chef, brauchst mi no?“, ertönte von hinten die Stimme des jungen Polizisten.

Dimpfelmoser und Preußler sahen sich an. „Nö, kannst gehen!“, war die gleichzeitige Antwort. Das ließ sich der junge Beamte, der heute eigentlich noch bis 16 Uhr Dienst gehabt hätte, nicht zweimal sagen.

Mit einem freudigen „Servus!“ stieg er eilig aus und machte sich zu Fuß auf den Heimweg.

„Dimpfi, kannst auch heim. Ich muss eh noch einige Telefonate erledigen, ich bleib für den Major dort oder über Handy erreichbar.“

Als der große Polizist sich ebenfalls mit einem zufriedenen „Servus!“ zum Gehen umdrehte, fiel Elmar ein, dass er sich vorhin über die undankbare Verabschiedung des Majors geärgert hatte und nun war er bei seinen Kollegen keinen Deut besser. Natürlich gehörte es zu den Dienstaufgaben von Polizisten, vermisste Personen zu suchen, trotzdem war es um die frühe Uhrzeit und bei der Kälte mehr als eine Standardarbeit. „Dimpfi, dank dir, dass du mit warst und nach ihnen gesucht hast!“

Erfreut blieb der Angesprochene kurz stehen. „Passt scho!“

Elmar betrat die Wachstube, wo der andere Kollege gelangweilt im Warmen saß. „War was?“

Der Beamte nahm im Sitzen Haltung an. „Keine Meldungen, Chef!“

„Ist noch Kaffee da?“

„Japp!“

Bei so Gelegenheiten kam sich Elmar mit seinen 37 Jahren schon alt vor. Zu seiner Anfangszeit hätte es für so eine flapsige Antwort einen Anraunzer gegeben und man wäre gesprungen, um dem Vorgesetzten eine Tasse frischen Kaffees zu holen. Ach, damals hatte er sich ausgemalt, wie er später von den Jüngeren den Kaffee serviert bekommt, aber heutzutage musste sich jeder selbst bedienen und jeweils der, der sich die letzte Tasse einschenkte, neuen aufsetzen. Deshalb war wahrscheinlich so oft nur circa eine halbe Tasse des Gebräus noch in der Kanne, weil der Vorletzte sich lieber mit weniger begnügte, als neuen Kaffee aufsetzen zu müssen. Obwohl sie ja nicht in einer kleinen Dorfwache Dienst taten, gab es auf ihrer Polizeiinspektion noch immer keinen dieser modernen Automaten, aus dem sich jeder rauslassen konnte, was er bevorzugte. So war jede Tasse voll des schwarzen Getränks eine geschmackliche Überraschung, die von so vielen verschiedenen Faktoren abhing, und dabei meist enttäuschte. Aber der Kaffeegenuss war halt eine Sucht, der kaum einer widerstand. Elmar ging also selbst zur Warmhalteplatte und goss sich eine große Tasse des warmen und duftenden Kaffees halb voll. Nach dem ersten Probeschluck füllte er begeistert bis auf die gut 250 Milliliter, die in den Becher passten, noch auf. „Hast du den aufgesetzt?“ Der Untergebene nickte zaghaft, unsicher, was jetzt käme. „Eins mit Sternchen! Der ist super! Ferdel, von mir aus müsstest, nein dürftest, du immer den Kaffee machen!“ Der junge Polizeiinspektor strahlte dankbar für das Lob. „Kannst dafür eine halbe Stunde früher Feierabend machen, wenn vorher nichts mehr reinkommt. Ich bleib eh noch!“

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