SOKO Mord-Netz

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„Danke, Chef!“, freute sich Ferdel, der eigentlich Ferdinand Scherer hieß.

Elmar verschwand ins Büro der beiden Kommissare. Obwohl er gar nicht bei der Suche draußen in der Kälte dabei gewesen war, genoss er die angenehme Wärme des Zimmers. Während sein Rechner hochfuhr, entledigte er sich seines Parkas und vergewisserte sich an seinem Handy, dass er keine neue Nachricht verpasst hatte. Er übernahm die Kurzmeldung des Majors mit den gesammelten Daten ins Textprogramm und druckte sich die Informationen zweimal aus. Einen Zettel pinnte er an das altertümliche Fallbrett mit Korküberzug. An der anderen Wand stand eine moderne transparente, bewegliche Stellwand, an die von den digitalen Geräten aus Fotos, Graphiken und Dokumente „gebeamt“ werden konnten, aber Elmar steckte lieber ausgedruckte Fotos und Merkzettel nach Belieben real hin und her, als alles virtuell zu bewegen. Mit dem anderen Ausdruck nahm er jetzt an seinem Schreibtisch Platz und überlegte, wie er weiter vorgehen sollte. Es widerstrebte ihm, Angehörige und Freunde in Angst und Schrecken zu versetzen, obwohl sie noch immer nicht wussten, ob die vier Vermissten überhaupt in Gefahr waren. Vielleicht hockten sie in einer der Hütten und warteten nur auf besseres Wetter, ahnten nicht, was für eine Suchaktion wegen ihnen angelaufen war. Mit wem sollte er zuerst telefonieren? Wenn sich die Eltern der Paare kannten, dann löste sein Anruf eine Kettenreaktion aus. In all den Jahren als Kommissar hatte er leider schon viele Todesnachrichten überbringen müssen, da lief die Gesprächsführung je nach Situation schon in eingeübten Mustern, aber wie sagt man zum Beispiel einer Mutter, dass ihr Kind vermisst wird, vielleicht wohlauf an einem Kaminfeuer sitzt, vielleicht seit Tagen irgendwo tot liegt, wenn man selbst die Situation kaum abschätzen kann?

Jetzt war noch Mittagszeit. Arbeitende Menschen waren wohl kaum um diese Zeit zu Hause an ihren Festnetzanschlüssen zu erreichen, aber so ein Gespräch wie es ihm jetzt bevorstand, führte man eigentlich nicht am Handy, während der Angerufene vielleicht mit anderen im Büro oder beim Essen saß. Er beschloss, zuerst bei den Eltern der jungen Männer anzurufen.

Die Handynummer, die hinter Robert Schwarz eingetragen war, läutete mehrfach, bevor Elmars Anruf weggedrückt wurde. Er wusste nicht mal, ob es sich um die mobile Telefonnummer der Mutter oder des Vaters handelte.

Okay, nächster Versuch bei den Angehörigen von Joel Maurer. Da hinter dem Namen des Mannes eine Festnetznummer und der Name Noelle Maurer notiert war, erwartete Preußler die Mutter von Joel anzurufen. Als das Gespräch angenommen wurde, meldete sich der Kriminalbeamte: „Preußler, Polizei Kitzbühel. Es geht um Ihren Sohn Joel.“

„Was hat er diesmal angestellt?“, erklang eine gereizte Männerstimme.

Elmar war kurz aus dem im Kopf zurecht gelegten Konzept geworfen. Kurz schwiegen beide, ehe der Polizist begann: „Das wissen wir noch nicht, aber…“

Weiter kam er nicht, da er schroff unterbrochen wurde. „Warum rufen Sie dann an?“, blaffte sein Gesprächspartner.

Mit solchen Menschen konnte Preußler umgehen. Er schaltete um auf seinen Dienstton: „Können Sie mir bitte mal erst Ihren Namen nennen? In welcher Beziehung stehen Sie zu dem jungen Mann?“

„Joel ist mein Jüngster.“ Schon war sein Ton gemäßigter.

Elmar fuhr jetzt statt im schonenden Tonfall, den er für die am Telefon erwartete Mutter des Jungen angeschlagen hatte, nun im neutralen Beamtenstil fort: „Es tut mir leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass Ihr Sohn sowie drei andere junge Freunde von ihrem Hotel als vermisst gemeldet wurden, da sie seit Samstag nicht wieder in ihren Zimmern waren. Haben Sie seither was von Joel gehört, hat er angerufen?“

„Nein! – Aber das macht er nie.“

„Wissen Sie etwas über die Pläne der Gruppe?“

„Joel ist erwachsen, da sagt man dem Vater nicht mehr, was man vorhat.“ Die Gereiztheit in der Stimme von Herrn Maurer ließ ahnen, dass es um die Beziehung zwischen Vater und Sohn nicht zum Besten stand. Er klang verärgert, jedoch keineswegs beunruhigt.

Der Kitzbüheler schob nach: „Der Wagen, mit dem die deutschen Gäste unterwegs waren, wurde gestern auf einem Parkplatz oberhalb von Aschau gefunden. Sie sind womöglich zu einer Bergtour aufgebrochen und von starken Schneefällen am Wochenende überrascht worden. Wenn sie…“

Wieder wurde der Kommissar unhöflich unterbrochen: „Dann suchen Sie sie!“

Elmar atmete dreimal tief ein und aus, wie er es auf irgendeiner Fortbildung mal gelernt hatte, um nicht spontan dem unfreundlichen Herrn seine Meinung zu sagen. Betont geduldig fuhr er fort, als wäre er nicht unterbrochen worden: „… es geschafft haben irgendwo Schutz zu finden, könnten sie wohl und munter wieder auftauchen. Eine größere Suchaktion mit rund 60 Einsatzkräften und freiwilligen Helfern musste wegen neuer Schneefälle abgebrochen werden. Ich will die Angehörigen informieren und hoffe auf nähere Angaben, wo die deutschen Besucher vielleicht hinwollten. Verfügt Ihr Sohn über Erfahrung am Berg?“

„Er geht ab und zu Wandern, aber dass er weiß, wie man sich ein Iglu baut, bezweifle ich stark!“

Elmar reichte es. Er hatte zumindest ein Elternteil informiert, dass der Sohn als vermisst galt. Da Herr Maurer wenig hilfreich mit seinen Bemerkungen war, brauchte er das Gespräch mit dem unsympathischen Mann nicht weiter zu führen. „Wir melden uns, wenn wir Neuigkeiten haben. Wiederhören!“ Preußler wartete keine Entgegnung ab, sondern unterbrach das Telefonat abrupt. Natürlich waren Angehörige in so einer Situation in einer Ausnahmestimmung, aber das Gehabe dieses Vaters war schon sehr speziell.

13

Inzwischen war der Kaffee fast kalt und enttäuschte ihn, als er automatisch die Tasse zum Mund führte. Bevor er den nächsten Anruf starten konnte, klingelte sein Handy mit unbekannter Nummer. „Preußler, Kommissariat Kitzbühel!“

„Servus! Flori hier!“ Die Pause, die entstand sagte dem Polizisten alles. Sie hatten die jungen Deutschen in keinem guten Zustand gefunden. Er wartete ab, bis der Bergretter-Leiter weitersprach. „Wir haben fünf Leichen in einer der privaten Hütten gefunden.“

„Fünf?“

„Ja, wahrscheinlich handelt es sich bei der dritten weiblichen Leiche um die Besitzerin der Wochenendhütte. Wir konnten nichts mehr für die fünf tun. Sie müssen schon seit Tagen tot sein.“

„Was ist passiert? Sind sie erfroren?“ Das erschien Elmar am wahrscheinlichsten.

„Keine Ahnung. Die Schneewehen waren zum Teil bis auf halbe Fensterhöhe. Die Steffi hat durch ein Fenster bei unserer Kontrolle was am Boden liegen sehen. Die Tür der Hütte war verschlossen und zu massiv. Wir mussten ein Fenster einschlagen und brauchten eine ganze Weile, bis wir den Schnee davor und die Scherben zur Seite geschafft hatten und Steffi reinklettern konnte. Sie hat mich dann reingelassen. Die lagen alle fünf dicht beieinander am Boden. Da wir keine Verletzungen oder Ursache für das Versterben im geschützten Gebäude gefunden haben, sind wir zügig raus. Wir wollten nicht dort oben beim aufkommenden Schneesturm festsitzen! Die Toten verblieben für eine Klärung vor Ort. Es tut mir leid, dass wir nichts mehr für eure Hotelgäste tun konnten!“

„Danke! Das ist wirklich traurig. Dir und dem Team besten Dank für euren Einsatz. Ich meld mich nochmal!“ Elmar beendete den erschütternden Anruf. Obwohl Verstand und Erfahrung schon lange sagten, dass die Pärchen zwischen Montag und Mittwoch wieder hätten auftauchen müssen, wenn sie nur vom Wetter überrascht worden wären, hatte man sich doch an jedes Fünkchen Hoffnung geklammert. Jetzt waren vier junge Menschen und noch eine unbekannte Frau tot.

In Elmars Kopf begann die Routine anzulaufen: Spurensicherung und einen Gerichtsmediziner zum Leichenfundort, Überführung der Leichen ins Rechtsmedizinische Institut nach Innsbruck, Sicherstellung des Wagens und der persönlichen Sachen in den Hotelzimmern, zwischendurch jetzt doch die Kontaktaufnahme mit den übrigen Eltern der Opfer.

Elmar rief zuerst Laurentius an: „Dimpfi, ich brauch dich hier!“

„San s tot?“, zog sein Kollege gleich den richtigen Schluss.

„Unklare Auffindesituation in einer Berghütte. Zusammen mit einer dritten Frau, vielleicht der Hausbesitzerin.“

„Bis glei!“

Kaum hatte er aufgelegt, läutete sein Dienst-Handy erneut mit einer ihm fremden Nummer. „Preußler“, meldete er sich knapp.

„Kästner. Die Vermissten konnten tot aufgefunden werden, Todesursache unbekannt.“

Eine kurze Pause von der Seite des Anrufers. Vielleicht wollte der Major ihm Zeit geben, sich zu fassen? Oder erfahren, ob Preußler schon informiert war? Bevor Elmar sich entschieden hatte, ob er von Floris Update erzählte oder nicht, fuhr der Major fort: „Nach Stand der Dinge wird die Angelegenheit vorerst nicht dem Dezernat „Delikte gegen Leib und Leben“ übergeben. Da Sie bereits mit dem Fall betraut waren, wird der Fall von Kitzbühel übernommen, auch wenn der Unglücksort sich im Bereich Aschau befindet und die Herkunft der fünften Person noch unklar ist, werden die Ermittlungen zu allen fünf Todesfällen Ihnen übertragen. Die Tatortsichtung wurde per Kamera dokumentiert, eine Kopie müsste bereits in der offiziellen Mail-Box sein. Die Leichen wurden nach Innsbruck verbracht. Die Obduktion müssten Sie beim zuständigen Staatsanwalt beantragen. Für uns hier ist der Einsatz mit dem Auffinden der abgängigen Personen beendet.“

Wow, der Mann war effektiv! Alles war angelaufen wie Elmar es auch nicht anders organisiert hätte. Es war die sinnvollste Lösung, dass das Kitzbüheler Kommissariat den Fall weiterbearbeitete, aber für ihn war es angenehm, dass er nicht erst mit anderen über Zuständigkeiten diskutieren musste, sondern der bisherige Einsatzleiter eine Entscheidung getroffen hatte. „Danke, Herr Major, für die Übergabe des weiteren Vorgehens an uns in Kitzbühel!“ Er zögerte kurz, weil Lob unter Männern selten ausgedrückt wird, aber dann setzte er doch noch hinzu: „Ich wollte Ihnen noch sagen: Sie haben die heutige Aktion bewundernswert souverän geleitet. Riesenrespekt!“

 

„Danke! Adieu!“

Das Gespräch war beendet, bevor Elmar sich verabschieden konnte. „An seinen Manieren könnte der Major noch etwas feilen!“, dachte er kopfschüttelnd.

Er winkte Dimpfelmoser herein, der vor der Bürotür ausgeharrt hatte, als er sah, dass sein Chef telefonierte. „Weißt du, wer diese Woche für uns zuständig ist?“

Der Polizist wusste sofort, was Elmar meinte. „Richterin Pflücker!“

„Danke!“ Die diensthabende Richterin für sämtliche Beschlüsse, die Polizisten für die Ausübung ihrer Arbeit brauchen - Verhaftungen, Durchsuchungen, Konfiszierungen, Abhören - war rund um die Uhr für dringende Anträge zu erreichen. Während der Kriminalrevierinspektor die Dienstnummer der Staatsanwaltschaft wählte, bot er dem Polizisten mit einer Nickbewegung des Kopfes den Stuhl vor sich am Schreibtisch an.

Schon nach dem zweiten Klingeln meldete sich die Juristin: „Nadine Pflücker!“

„Hallo, Nadine! Ich habe fünf unklare Todesfälle, die bereits in oder auf dem Weg nach Innsbruck in die Rechtsmedizin sind.“

„Was ist passiert?“

„Sie wurden heute Nachmittag tot in einer Berghütte im Rahmen einer Suchaktion aufgefunden. Keine Hinweise, wie sie zu Tode gekommen sind.“

„OK, schick mir die Namen, ich mach die Obduktionsfreigabe fertig. Tschau!“

Elmar fiel ein, dass er zur fünften Leiche überhaupt keine Informationen hatte. Er überlegte, wie er möglichst schnell an den Namen käme. Am Unkompliziertesten erschien es ihm, beim Bergrettungs-Leiter nachzufragen, der ja sicher auch irgendwelche Formulare über ihren heutigen Einsatz ausfüllen musste. „Dimpfi, kannst du der Pflücker schon mal die Namen unserer vier Deutschen mailen?“

Preußler brauchte nur in der Anrufliste auf die vorletzte eingegangene Nummer zu drücken und hatte wenig später Flori am Apparat. „Is noch was?“

„Ich brauche den Namen der vermutlichen Hausbesitzerin für den Obduktionsbeschluss.“

„Den weiß i a ned. Noch is ned mal klar, ob sie Eigentümerin oder an Gast war.“

„OK! Wer weiß denn, wem die Hütte gehört?“

„Wir ham auf der Liste der Hütteneigentümer geschaut, da steht „Velber“ drauf für d' Ascherhütt'n.“

„Weißt du, wo ich den oder die Eigentümer erreiche?“

„I kann dir a Rufnummer geb'n, aber ob die no aktuell is…Wart!“ Elmar hörte einen Stuhl rücken und etwas klapperte, Flori fluchte. „Gruzinesa!“

Als er sich dann meldete, bemühte er sich nicht im Dialekt weiterzureden und diktierte schließlich eine Festnetznummer langsam und deutlich. „Reicht das?“

„Ich hoff's mal! Dank dir! Das ging ja oben superschnell mit der Leichenschau!“

„I hab no vo ob'n an Major og'leit, - i waß ned wie der des hinkriegt het, aber als mir unt'n g'landet san, san viere b'reit g'stand'n, die der Klausi dann nauf g'floge het. An G'schwinder, de Major!“

„Wohl wahr! Dann hast du mich angerufen, als ihr schon wieder in Aschau wart?“

„Nach em Aufräume und aner Dusch'n. I han vorher ned dra dacht, sorry!“

„Alles gut gelaufen. Dank dir! Tschüss!“

„Servus!“

14

Elmar gab die Telefonnummer ins Suchfenster die Rückwärtssuch-Option bei einem Online-Telefonbuch ein. Nach wenigen Sekunden erschien als Ergebnis: Heiko und Susanne Velber, Hollersbach im Pinzgau.

„Gib für die fünfte Person als vermutlichen Namen Susanne Velber für die Pflücker an!“, wies der Kommissariatsleiter seinen Kollegen an. Die Wanduhr zeigte 16 Uhr 21, da war kaum damit zu rechnen, dass Herr Velber zu Hause erreichbar war, aber vielleicht wurden eingehende Anrufe ja aufs Handy umgeleitet?

Also wählte Preußler die notierte Festnetznummer und ließ es achtmal klingeln, bis abgehoben wurde und eine Frauenstimme sich meldete: „Bei Velber, ja bittschön?“

Elmar stutzte. Frau Velber hätte sich wohl kaum mit „bei Velber“ gemeldet. Für eine Tochter klang die Stimme deutlich zu alt. Eine Hausdame oder Reinigungskraft? Er wollte sich nicht gleich als Polizist zu erkennen geben, so meldete er sich bloß mit „Preußler! Kann ich bitte Frau Velber, Susanne Velber, sprechen?“

„Tut mir leid, das geht nicht.“

„Bitte, es ist dringend, ich muss sie sprechen.“

„Frau Velber ist verreist.“

„Halt, warten Sie!“, beeilte sich der Ermittler zu sagen, da die Dame am anderen Ende so klang, als wäre das Gespräch für sie damit erledigt. „Wann erwarten Sie Frau Velber zurück?“

„Ich weiß zwar nicht, ob ich Ihnen dazu Auskunft geben dürfte, aber ich weiß eh nicht, wann sie zurückkommt. Da hat sie sich nicht festgelegt.“

„Kann ich dann bitte mit Herrn Velber sprechen?“

„Tut mir leid, Herr Velber ist in der Firma.“

„Wie kann ich ihn erreichen?“

„Indem Sie in der Firma anrufen!“

„Wie heißt denn die Firma?“

„„Velber macht's selber“.“

„Können Sie mir seine direkte Telefonnummer geben?“, fragte Elmar zunehmend ungeduldig.

„Da könnt ja jeder kommen! Ich bin nicht befugt derlei Informationen rauszugeben.“ Die Stimme klang nicht schnippisch, sondern eher stolz, dass sie bei wichtigen Leuten arbeitete und eine Vertrauensstelle innehatte, der sie sich würdig erweisen wollte.

„Inspektor Preußler, ich rufe dienstlich an. Können Sie mir die Nummer jetzt diktieren, unter der ich Herrn Velber erreichen kann?“

Kein weiterer Protest, dass das ja jeder am Telefon behaupten könne. „Moment bitte, ich schau auf der Liste.“

Keine Minute später notierte sich Elmar die diktierte Nummer des Firmenchefs und verabschiedete sich knapp. 16 Uhr 29. Da konnte man von einem Firmendirektor erwarten, dass er noch im Unternehmen war. Der Ermittler wählte die neue Nummer.

Beim vierten Klingeln meldete sich eine Männerstimme ungeduldig: „Velber?“

„Preußler, Kripo Kitzbühel. Können Sie mir bitte sagen, wie wir Ihre Frau erreichen können? Es ist dringend.“

Keine Gegenfrage, sondern die prompte Antwort: „Meine Frau wollte ein paar Tage ausspannen in unserer Skihütte bei Aschau.“

„Kann man sie dort erreichen?“

„Nein, wir haben dort kein Telefon, wir wollen uns erholen, wenn wir dort sind.“

„Und über Handy?“

„In der Hütte ist kein Signal, dazu muss man ein Stückchen noch den Berg raufsteigen. Wieso?“

„Herr Velber, es tut mir leid, eine leblose Dame wurde in Ihrer Hütte gefunden. Können Sie mir Ihre Frau bitte kurz beschreiben?“

„1,73 groß, 69 Kilogramm, blondes, leicht gewelltes Haar bis auf die Schultern, blaue Augen und an ihrem Hals hat sie rechts einen Leberfleck.

„Danke, wir werden Ihre Beschreibung vergleichen, ich melde mich dann wieder!“, versprach der Ermittler. Sofort rief er die von Aschau übersandten Fotos auf, die er zur Identifizierung erhalten hatte. Natürlich konnte er Größe, Gewicht, Augenfarbe und das Muttermal damit nicht überprüfen, aber blonde, leichte Locken reichten bis über beide Schlüsselbeine auf den dicken, roten Rollkragenpullover. Für eine Identifizierung reichte das nicht, aber zumindest waren Fundort, Aussage von Hauspflegerin und Ehemann sowie die Beschreibung der Haare von Frau Velber wichtige Indizien.

Er drückte auf die Wahlwiederholung. Dieses Mal meldete sich Herr Velber schon nach dem zweiten Klingeln. „Es tut mir leid, Herr Velber, aber im Moment müssen wir davon ausgehen, dass es sich bei der Toten um Ihre Frau handelt.“

„Was ist denn passiert? – Hatte sie einen Unfall?“

„Ihre Frau wurde zusammen mit vier anderen Leichen in Ihrem Ferienhaus gefunden. Aktuell können wir zur Todesursache noch nichts sagen. Eine Obduktion ist angeordnet, daher möchte ich Sie bitten, sich morgen möglichst bald in Innsbruck in der Gerichtsmedizin einzufinden, um sie zu identifizieren.“

„Ja, ich komme.“

„Danke für Ihre Hilfe.“

Als Elmar das Gespräch damit als beendet betrachtete, stoppte ihn die eilige Frage: „Wer sind denn die anderen Toten?“

„Vier junge Urlauber aus Deutschland.“

„Aber wieso? Was hatten die in der Hütte zu schaffen?“

„Momentan gehen wir davon aus, dass die Deutschen bei starkem Schneefall bei Ihrer Hütte Schutz gesucht haben und Ihre Frau sie reingelassen hat, denn es gab keine Einbruchsspuren.“

Elmar wartete. Schweigen. Da der plötzliche Witwer nichts mehr sagte, beendete der Polizist das Gespräch: „Ich hoffe, dass wir Ihnen bald mehr sagen können! Wiederhören!“ Jeder Betroffene reagierte anders auf die Nachricht vom Tod einer nahestehenden Person. Vielleicht stand der Ehemann unter Schock, dass ihn mehr beschäftigte, was die Fremden in seinem Haus machten, als woran seine Frau – und die Überraschungsgäste – gestorben sein könnten.

Die erste Todesnachricht war übermittelt, jetzt musste der Ermittler die deutschen Angehörigen kontaktieren. Nach kurzem Zögern begann er mit dem unsympathischen Vater von Joel Maurer, da er davon ausging, dass er dieses Gespräch schnell und ohne zu große Emotionen hinter sich bringen konnte.

Herr Maurer nahm das Gespräch so schnell an, als ob er nur auf den Anruf des österreichischen Kommissars gewartet hätte: „Ja?“

„Kommissariat Kitzbühel, Preußler!“

„Wo hat er gesteckt?“, blaffte der Vater von Joel los.

„Herr Maurer, es tut mir sehr leid, Ihnen mitteilen zu müssen, dass wir das Quartett mit Ihrem Sohn leblos aufgefunden haben.“ Elmar holte Luft und ließ eine kleine Pause, damit die Nachricht verarbeitet werden konnte.

„Das musste ja passieren!“, war die überraschende Reaktion, die den im Überbringen von Todesnachrichten eigentlich ja erfahrenen Polizisten aus dem Konzept brachte.

Statt seine routinierten Sätze abzuspulen, saß er kurz sprachlos an seinem Schreibtisch. „Das hätte jedem bei dem Wetter passieren können!“, nahm er den jungen Mann unbekannterweise in Schutz. Auch wenn noch geklärt werden musste, wie die fünf Personen den Tod fanden, gab es doch keinen Grund so zu tun, als hätte der Sohn sein Leben leichtfertig riskiert. „Eine Obduktion ist angeordnet, allerdings müsste ihn noch jemand im Rechtsmedizinischen Institut in Innsbruck, in das sein Leichnam verbracht wurde, identifizieren.“

„Muss ich dazu persönlich hinkommen oder kann ich eine Vertretung schicken?“ Die Stimme klang geschäftsmäßig, als ob der Vater einen beliebigen Termin ausmachte.

Der Kitzbüheler antwortete: „Üblicherweise machen das Angehörige – auch um Abschied zu nehmen, solange der Körper des Toten noch intakt ist“, schob er hinterher. Jetzt konnte er sich die Frage, die ihn seit ein paar Minuten beschäftigte, doch nicht verkneifen: „Was ist mit Joels Mutter?“

„Die hat uns schon vor Jahren verlassen!“, kam es harsch.

„Geben Sie mir dann bitte eine Nummer, wie ich sie erreichen kann!“

„Das brauchen Sie nicht!“

„Wollen Sie ihr das selbst sagen? Vielleicht ist es unter diesen Umständen besser, wenn ich sie offiziell informiere.“

„Das interessiert sie alles nicht mehr.“ Damit brach das Gespräch ab. Kein Wunder, dass die Frau es mit diesem Stoffel nicht ausgehalten hatte und die Beziehung zwischen Vater und Sohn offensichtlich schwierig war.

Elmar griff nach dem Telefon auf seinem Bürotisch und rief Laurentius im Nachbarbüro an. „Kannst du bitte versuchen, Name, Adresse und eine Telefonnummer von der Mutter von Joel Maurer rauszubekommen? Der Vater hat einfach aufgehängt, als ich ihn darum bat. Die haben sich wohl schon vor längerer Zeit getrennt, vielleicht hat sie auch wieder geheiratet, du schaffst das schon!“

So, nun würde er erneut bei Tante und Onkel von Sarah Schreiber anrufen und sich dieses Mal die Nummer der Eltern geben lassen. Er erwähnte noch nichts vom traurigen Fund, sondern gab an, die Schreibers jetzt doch zu den anderen Mitgliedern des Quartetts befragen zu wollen.

Frau von Buchen erklärte ihm: „Meine Schwester und ihr Mann sind vor fünf Jahren tödlich verunglückt.“

„Das tut mir leid. Sind Sie dann die nächsten Angehörigen oder gibt es noch eine Schwester oder einen Bruder von Sarah?“

„Nein, sie ist ein Einzelkind. - Was ist mit Sarah? Haben Sie sie gefunden?“

„Wir haben die vier gefunden. Es tut mir sehr leid. Sie sind tot in einer Skihütte aufgefunden worden.“

 

Schluchzen.

Elmar hasste diese traurige Seite seines Berufes. Er zögerte, ob er später nochmals anrufen sollte, wenn die Tante sich vom ersten Schrecken erholt hätte, aber meist half es den Trauernden, wenn sie sich erst mal mit ganz praktisch zu regelnden Aufgaben auseinandersetzen mussten. „Frau von Buchen, hören Sie mich. Sie oder Ihr Mann müssten bitte möglichst bald nach Innsbruck in die Rechtsmedizin fahren, um Ihre Nichte zu identifizieren. Das können wir Ihnen leider nicht ersparen. Haben Sie etwas zu schreiben, dass ich Ihnen die Telefonnummer des Instituts durchgeben kann, damit Sie absprechen können, wann Sie sie sehen können.“ Er diktierte sicherheitshalber zweimal die Nummer und verabschiedete sich.

Inzwischen hätten Laurentius und er längst Feierabend, aber so einen Anruf bei Angehörigen, denen man eine derart traurige Nachricht übermittelte, verschob man nicht, um pünktlich Essen zu gehen. Noch waren mit zwei Anrufen die Eltern von Robert Schwarz und Beatrix Schwarz, geborene Hahne, zu informieren und falls sein Kollege die Mutter von Joel Maurer ausfindig machte, war auch noch ein drittes Gespräch fällig.

Müde erreichte Elmar jeweils die Mütter der beiden jungen Ehepartner Schwarz, hörte die Fassungslosigkeit über so ein schreckliches Ende eines Skiurlaubs. Er diktierte auch ihnen die Kontaktdaten der Rechtsmedizin in Innsbruck und kondolierte ehrlich betroffen.

Dimpfelmoser hatte Frau Maurer nicht ausfindig machen können, da um diese Uhrzeit Ämter geschlossen waren und die üblichen Online-Recherchen kein Ergebnis gebracht hatten. Zumindest der letzte Anruf blieb Elmar damit heute erspart.

15

Als der Kommissar am nächsten Morgen 20 nach 9 in den Polizeiposten kam, fand er auf seinem Schreibtisch eine Notiz von Laurentius: Noelle Coutadeur, Mutter von Joel Maurer, wohnhaft 68100 Mulhouse, Rue de Verdun 70; 0033 7416281.

Als Elmar 20 vor 10 auf der angegebenen Festnetznummer anrief, war niemand zu erreichen, er würde es in der Mittagszeit wieder versuchen, jetzt telefonierte er erst einmal mit dem Rechtsmedizinischen Institut und der Kriminaltechnik.

Der Freitag verlief relativ ruhig. Nach den turbulenten und langen letzten 2-3 Tagen ging Elmar mittags schon heim und versuchte weiterhin alle paar Stunden vergeblich, Joels Mutter in Mulhouse zu erreichen.

Erst am Samstagabend meldete sich eine Frauenstimme am Telefon: „Oui?“

„Madame Coutadeur?“

Keine Antwort.

„Frau Coutadeur, hier spricht Inspektor Preußler aus Kitzbühel. Es geht um Ihren jüngsten Sohn. Wie heißt er?“ Er wollte sich vergewissern, dass er tatsächlich Joels Mutter am Apparat hatte.

„Was ist mit Joel?“, fragte eine zaghafte Stimme mit deutlichem französischen Akzent.

„Sie sind die Mutter?“

„Oui.“

„Ihr Sohn war mit drei Freunden in Österreich bei Aschau Wandern, als sie vor einem Schneesturm in einer Hütte Schutz suchten. Wir fanden die jungen Gäste Tage später leblos auf. Es tut mir sehr leid.“

„Joel ist tot?“ Die Stimme seiner Mutter klang ungläubig.

„Ja. Er wurde nach Innsbruck in die Rechtsmedizin gebracht, um die Todesursache endgültig zu sichern.“ Falls sie ihren Sohn noch sehen wollte, diktierte er Madame Coutadeur die Adresse des Rechtsmedizinischen Instituts.

Elmar lauschte. Er wartete, ob Frau Coutadeur noch was sagte. Es war ausgesprochen schwer für ihn, das Schweigen einzuordnen. Hatte Joels Mutter wirklich kein Interesse mehr an ihrem Jungen gehabt? So wie er Herrn Maurer erlebt hatte, konnte er sich eher vorstellen, dass sie geflüchtet war und er jede Verbindung zu den Kindern unterbunden hatte. Andererseits war Joel erwachsen und ließ sich offensichtlich nicht mehr alles von seinem Vater vorschreiben. Weshalb hatten Mutter und Sohn nicht Kontakt zueinander gesucht?

„Frau Coutadeur, sind Sie okay?“

„Oui.“

Der Beamte hörte, dass das gelogen war, aber er konnte nichts machen. „Ich melde mich bei Ihnen, wenn es Neues gibt. Mein herzliches Beileid! Auf Wiederhören.“

16

Nach einem ausgesprochen faulen Wochenende erschien der Kriminalrevierinspektor am Montagmorgen erholt um 8.52 zur Arbeit. In der Zwischenzeit hatte vor allem Kollege Dimpfelmoser einiges geregelt.

Herr Schwarz und Herr Hahne verbrachten nach der Identifikation ihrer Kinder eine Nacht im Kitzbüheler Hof, bevor sie am Samstag heimfuhren. Direktor Stalder hatte Freitagnachmittag persönlich auf der Polizeiinspektion angerufen, ob die von den Polizisten mitgenommenen persönlichen Sachen der jungen Toten wieder freigegeben seien, da Herr Schwarz im Hotel nach ihnen gefragt hatte. Der Hotelmanager bat, dass er die beiden Väter schicken könnte, die deswegen extra knapp 100 Kilometer von Innsbruck nach Kitzbühel gefahren waren. Laurentius hatte die beiden Tüten mit den Dingen aus den Hotelzimmern bzw. dem Auto den beiden Herren übergeben, als sie 20 Minuten später auf dem Revier vorstellig wurden. Er war froh, dass die beiden Männer sich nur kurz bedankten, aber keine weiteren Fragen stellten, sondern sofort wieder gingen, als jeder einen der kleinen Säcke gegriffen hatte. Sie nahmen alle Sachen des Quartetts am Samstag mit zurück nach Deutschland. Die drei Familien – ohne Herrn Maurer – wollten sich am Dienstagabend treffen und versuchen, das jeweilige Eigentum der toten Kinder zu verteilen.

Herr Maurer hatte ebenfalls seinen Sohn gleich am Freitag identifiziert, so hatten noch vor dem Wochenende die ersten zwei der fünf anstehenden Obduktionen stattgefunden.

Herr von Buchen, der mit dem Nachtzug nach Innsbruck gereist war, wurde am Montagmorgen als letzter der vier Familien in der Rechtsmedizin vorstellig. Nach der kurzen Bestätigung der Identität seiner Nichte, hatte er in Aschau sein verliehenes Fahrzeug abgeholt und sich direkt auf den Rückweg gemacht.

Da es sich bei dem überraschenden Tod um einen Schicksalsschlag handelte, sah keiner der Familienangehörigen einen Anlass, die österreichische Polizei mit Fragen zu behelligen.

17

Elmar widmete sich Montag und Dienstag dem wenig spannenden Dauerfall, dass immer wieder Autos von Touristen geknackt und teilweise ausgeräumt wurden, wenn sie am Straßenrand oder auf unbewachten Parkplätzen abgestellt waren. Inzwischen gab es schon Unmengen Material von Überwachungskameras, aber da die manchmal zwei, manchmal drei Täter sich immer unterschiedlich dick angezogen hatten und mit Helmen über dem Kopf oder Skimützen überm Gesicht höchstens ihre Größe zu bestimmen war, kam die Polizei seit Wochen nicht weiter. Natürlich hatten sie Verdächtige – Dimpfi kannte seine Pappenheimer, aber meist gab es Alibis, die für gleich mehrere Diebstahl-Vorkommnisse der Beteiligung widersprachen.

18

Mittwoch fand der zuständige Kriminalkommissar Preußler alle fünf Obduktionsberichte und den offiziellen zusammenfassenden Abschlussbericht der Rechtsmedizin in seinem Postfach. Er las sorgfältig für jeden Verstorbenen die vollständige Sektionsbeschreibung, aber wie bei vier jungen, gesunden Menschen nicht anders zu erwarten, waren keinerlei auffällige Organbefunde festgestellt worden. Alle Laborwerte und die Ergebnisse der Körperschau wiesen eindeutig als Todesursache auf eine Kohlenmonoxidvergiftung, die innerhalb von wenigen Minuten zum inneren Ersticken geführt hatte.

Bei der 39-jährigen Susanne Velber fanden sich dieselben Labor- und Obduktionsergebnisse, die auf Tod durch Ersticken ohne äußere Einwirkung hinwiesen. Nach dem berechneten Todeszeitraum waren alle fünf Toten ungefähr zur gleichen Zeit ums Leben gekommen. Bei der Besitzerin der Ascherhütte waren als Nebenbefunde eine Gonarthrose links und eine thorakale Hyperkyphose gelistet. Je mehr Arztberichte man las, desto größer wurde das medizinische Vokabular, so wusste Elmar, dass die Frau verstärkte Verschleißerscheinungen des linken Kniegelenks aufwies und eine Buckelbildung der Brustwirbelsäule hatte. Es gab keine Überraschungen durch die postmortalen Untersuchungen, somit musste er nach kurzer Rücksprache wegen der Freigabe der Leichname nun die Angehörigen größtenteils zum dritten Mal anrufen.

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