Читать книгу: «Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band.», страница 4
Falkner hielt sie an, als sie schnell an ihm vorüberknicksen wollte, und bat sie, dem Onkel die gewünschte Stärkung zu bringen.
»Ei du mein Gott ja,« rief sie eifrig, »ein Gläschen Sherry oder Madeira werden dem gnädigen Herrn Baron gut thun. Ach,« setzte sie traurig hinzu, »er macht keine Scherze mehr mit mir, wenn ich hinein zu ihm gehe, und was schlimmer ist, er verhöhnt mich nicht mehr – da wird es wohl Matthäi am letzten sein mit ihm!«
Sie huschte die Treppe herab, und Falkner stand wieder an den säulengetragenen Bogen und sah in den Hof hinab – vielleicht zum letztenmal in diesem Leben, wie er dachte. Und dann schritt er langsam, sehr langsam nach dem düsteren Zimmer, das seine Mutter bewohnte, und in dem die Möbel so gerade und steif standen und kein Zierat Kaminsims und Tischchen schmückte.
In der tiefen mittleren Fensternische auf dem hohen Tritt saß Frau Doktor Ruß und strickte; ihr Gatte saß an dem feuerlosen Kamin, ein Buch in der Hand. Sein Blick glitt schnell und forschend über den eintretenden Stiefsohn, als suche er dessen Gedanken zu entziffern.
»Nun, wie fandest du den armen Onkel?« fragte er mit liebevollem Tone.
»Sehr verändert,« entgegnete Falkner kurz.
»Ja, es geht zu Ende mit ihm,« bemerkte Frau Ruß kühl, indem sie eine neue Nadel abzustricken begann.
Es giebt weibliche Wesen, welche immer stricken, in jeder Stimmung, nur mit dem Unterschied, daß sie es in erregter Stimmung schneller thun als sonst; Wesen, welche jede Stimmung hinweg stricken und in langen Strümpfen verarbeiten, die in Freud und Leid, in Sommerhitze und Winterkühle mit den Nadeln klappern und, wo andere Vergessen suchen, Trost oder Mitteilung, die gefallenen Maschen auflesen und Patentfersen stricken – sie gemahnen an jene grauenvollen Strickerinnen, welche zur Schreckenszeit in Frankreich um die arbeitende Guillotine saßen und zu den fallenden Köpfen gleichmütig für ihren Lebensunterhalt Strümpfe förderten.
Alfred Falkner ließ sich müde in einen der hochlehnigen Sessel am Sofatisch gleiten – noch wußte er nicht, wie er's einleiten sollte, seine Mutter in Kenntnis von dem zu setzen, was er eben droben beim Oheim erfahren.
»Du warst lange bei ihm,« bemerkte Doktor Ruß, »fandest du ihn bei vollem Bewußtsein?«
»Er war vollkommen klar,« entgegnete Falkner, »und setzte mir die Bestimmungen über die Erbfolge im Lehen auseinander –«
»Ah!« machte Doktor Ruß und legte sein Buch beiseite. Die Sache begann ihn zu interessieren.
»Nun, was ist da lange auseinanderzusetzen?« fragte Frau Ruß gleichgültig. »Du bist der Erbe, damit basta!«
»Nein, liebe Mutter, der bin ich nicht,« erwiderte Falkner, entschlossen, die Sache zur Sprache zu bringen.
Frau Ruß sah ihren Sohn einen Moment an, aber sie hörte nicht auf zu stricken.
»Ich finde solche Scherze unpassend,« sagte sie ruhig, aber scharf.
»Nun, der Onkel könnte sich höchstens einen solchen erlaubt haben, daran erkenne ich ihn,« meinte Doktor Ruß, seinen Stiefsohn scharf beobachtend. »Vielleicht teilte er dir auch mit, wer größere Ansprüche auf den Falkenhof hätte, als du.«
»Gewiß that er das,« entgegnete Falkner gereizt wie immer, wenn der Mann mit den stets vermittelnden Honigworten dort sprach. »Erben des Falkenhofes sind rechtskräftig Onkel Friedrich von Falkner und seine Descendenten!«
»Ah –!« Frau Ruß hatte sich erhoben und das Strickzeug mitten in die Stube geschleudert – ihre kalten Augen blitzten, ihre Hände ballten sich – im Nu war aber ihr Gatte an ihrer Seite.
»Ruhig, Adelheid, ruhig mein Weib,« mahnte er sanft, ihre Hände streichelnd. »Siehst du nicht, daß dein guter Schwager sich einen Scherz mit Alfred erlaubt hat? Denn so viel ich gehört, soll Baron Friedrich in Brasilien gestorben sein, und dann besaß er nur eine Tochter –«
»Diese Tochter aber erbt den Falkenhof, und erst nach ihrem Tode fällt das Lehen, welches ein sogenanntes Kunkellehen ist, an mich oder meine Descendenz zurück,« erklärte Falkner ruhig.
Einen Moment war es still, ganz still in dem Zimmer. Das vordem so erregte Antlitz der Frau Ruß war ruhig geworden, unheimlich ruhig und steinern, die Augen leblos, als seien sie blind. Ihres Gatten Züge waren aschfahl geworden – er mußte sich sichtlich beherrschen, ehe er in seinen gewöhnlichen, leisen und milden Ton zurückfallen konnte.
»Ei, das sind überraschende Nachrichten,« sagte er langsam. »Nun, wir werden ja sehen, ob sie auch rechtskräftig sind. Ein Kunkellehen also! Und warum hat man das nie erfahren? Adelheid, geliebtes Weib, fasse dich! Ich stehe mutig dir zur Seite, dein und Alfreds gutes Recht zu wahren und zu verteidigen, falls es dessen bedarf –«
»Das heißt, falls ich dessen bedarf,« rief Falkner, sich hoch aufrichtend. »Aber ich zweifle, daß ich deines Beistandes je bedürfen werde!«
»Ah, schön – die stolze Falkennatur regt sich in deinem Sproß, Adelheid,« erwiderte Doktor Ruß gemäßigt. »Und darf man fragen,« setzte er hohnvoll hinzu, »darf man fragen, was mit uns geschehen soll, wenn der brasilianische Onkel mit seinem Neger- und Papageiengefolge wieder hier einzieht?«
»Wir würden in diesem Fall das Haus, auf das wir kein Anrecht haben, verlassen, nicht wahr, liebe Mutter?«
»Als Bettler!« sagte sie mit unbeschreiblichem Ausdruck in dem halb gezischten, halb geflüsterten Tone.
»Vis-à-vis de rien,« ergänzte Doktor Ruß.
»Ich für meinen Teil habe meinen Beruf,« erwiderte Falkner. »Ich kann mich ins Ministerium versetzen lassen und werde jedenfalls dafür sorgen, daß du, liebe Mutter, deinem Stande gemäß leben kannst!«
»Himmel, wie heroisch!« rief Doktor Ruß mit leisem Lachen, das so provozierend wie möglich klang.
Falkner maß ihn mit blitzenden Augen.
»O,« sagte er schneidend, »jetzt bietet sich dir die Gelegenheit, deine vielgerühmte Professur anzutreten und auch das deinige für die Frau zu thun, welche ihr Schicksal vertrauensvoll an dich gekettet hat – mit einem Wort, zu beweisen, daß du auch verdienen und nicht nur verzehren kannst!«
»Alfred –!« fuhr Frau Ruß auf, angestachelt durch einen innigen Handkuß ihres Gatten.
»Ich gehe auf mein Zimmer, liebe Mutter,« erwiderte Falkner ruhig. »Besprich du alles mit deinem Mann – es thut nicht gut, wenn ich dabei bin, ich weiß es, besonders jetzt, wo ich von meinem Piedestal als Erbe des Falkenhofes herabgestiegen bin!«
***
Der Zustand des alten Freiherrn von Falkner verschlechterte sich im Laufe der Stunden sichtlich; zwar verlor er das Bewußtsein nicht, aber die körperliche Schwäche nahm rapide überhand, und die Unruhe des nahen Todes kam über ihn und ließ ihn nicht rasten. Im Krankenzimmer neben dem Sessel des Sterbenden saß Alfred Falkner und hörte den Flügen zu, welche die Phantasie desselben machte und sich in bizarren und grotesken Bildern erging. Außer ihm war noch der langjährige Verwalter des Falkenhofes zugegen, Herr Engels, dessen kraftvolle, starke Hünengestalt mit dem mächtig langen, nunmehr ergrauten Vollbarte wohlbekannt war in Feld und Wald ringsum, zum Wohle der weitausgedehnten Besitzung. Die subalterne Stellung, welche er einnahm, war ihm nicht an der Wiege gesungen worden, denn als Sohn eines hohen Staatsbeamten hatte er eine gediegene akademische Bildung genossen. Da aber kam das Jahr 1848, und Karl Engels ließ sich von dem losbrechenden Sturm mitreißen, auf den Barrikaden mitzufechten, und in Gefangenschaft geraten, konnte er von Glück sagen, daß nur langjährige Festungshaft seine Strafe war. Als er dann sein Gefängnis verließ, hatte er schwer mit dem Dasein ums tägliche Brot zu kämpfen gehabt, bis endlich sein guter Stern ihn seinem alten Freunde und Studiengenossen, dem »buckligen Falkner« zuführte, der ihn zuerst als Schreiber bei sich beschäftigte, und den Schiffbrüchigen des Lebens dann zu seinem Verwalter machte, was beiden Teilen zum Segen gereichte.
Es war ein eigenes Verhältnis gewesen zwischen den beiden. Das trauliche »Du« der Jugendzeit hatten sie beibehalten, aber in Geschäftssachen hatten sie sich stets steif, als Herr und Diener gegenüber gestanden, hatten trotz aller Harmonie nie dieselbe Meinung gehabt und sich mindestens zweimal wöchentlich tödlich verfeindet. Das gehörte zur Gesundheit des sonderbaren Paares und schadete beiden nicht, noch weniger aber dem Falkenhofe, der dabei trefflich gedieh, und schließlich war's ihnen so zur Gewohnheit geworden, daß sie's für ein böses Zeichen genommen hätten, wenn sie einmal derselben Meinung gewesen wären.
»Karl, wer wird dich nur ärgern, wenn ich nicht mehr lebe?« hatte der Kranke vorhin gefragt, als Engels bei ihm eintrat.
»Na, das laß dich nicht grämen,« hatte der Freund beruhigend erwidert.
»Es grämt mich aber doch,« sagte der Freiherr, der immer widersprach. »Meine Hoffnung beruht dabei aber auf dem Satansmädel, Friedrichs Tochter – die wird dir schon geigen, daß du die Engel im Himmel singen hörst, Karl!«
»Na, das ist ja schön,« erwiderte Engels, der glaubte, sein Freund rede im Delirium, denn er wußte so wenig von der Lehenserbfolge wie Alfred Falkner wenige Stunden zuvor.
Erst als letzterer ihn im Nebenzimmer aufklärte, begriff er die Äußerung des Freiherrn.
»Thut mir leid für Sie,« sagte er und reichte Alfred die derbe Rechte, »das war nicht recht von dem da drin, Sie so lange zu täuschen! Na, überlebt er den Anfall, so will ich's ihm schon sagen, unverblümt, darauf können Sie sich verlassen. Aber freuen thut's mich doch, das Mädchen, Freiherrn Friedrichs Tochter wiederzusehen! Da war Leben drin, sage ich Ihnen, alle Wetter! Das schäumte und brauste wie in einer Sektflasche, aber die rechten Zügel fehlten, daran lag's, und der Übermut wußte nicht, wohin zuerst. Hatte sie lieb, sehr lieb, die kleine rothaarige Wetterhexe!«
Alfred Falkner nickte – er sah sie jetzt wieder deutlich vor sich im Mondschein am Brunnen, den Rosenkranz flechtend und das süße Lied von der Jugendzeit singend; denn es giebt Momente der Erinnerung aus früheren Jahren, die nie verblassen. Sie prägen sich dem Gedächtnis so fest ein, daß ihre Farben frisch bleiben, bis unser Leben selbst dahingeht – ein Augenblick im Stundenglas der Ewigkeit.
Schwächer und schwächer wurden die Kräfte des Schloßherrn vom Falkenhof mit dem scheidenden Tage; unaufhörlich fragte er nach dem Justizrat Müller, seinem Sachwalter, den er nach dem Falkenhof beordert hatte, und schon fürchteten sein Neffe und Engels, der Ersehnte könnte zu spät kommen, als er endlich nach Sonnenuntergang eintraf.
Doktor Ruß, der sich mit seiner Frau dem Krankenzimmer bisher ferngehalten hatte, trat dem kleinen, lebhaften Herrn schon im Vestibül entgegen und unterrichtete ihn von dem Zustande seines Klienten. Seine Frage, ob er in etwas sich nützlich erweisen könne, verneinte der Justizrat für den Augenblick, trotzdem aber geleitete Ruß ihn zu den Zimmern des Freiherrn und trat mit ihm bei dem Kranken ein.
»Was will Der hier?« raunte Engels vor sich hin, denn er und Doktor Ruß waren einander gar nicht grün, trotz der unversiegbaren Quelle von Liebenswürdigkeiten, welche letzterer auf den Verwalter herabströmen ließ.
»Nun, Justizrat, was bringen Sie mir für Nachrichten?« fragte der Freiherr eifrig, und sein halberloschenes Auge begann noch einmal aufzuflammen.
Der kleine Jurist entfaltete Papiere, die er in einer Mappe mitgebracht.
»Soll ich in Gegenwart dieser Herren sprechen?« fragte er.
Der Kranke sah Engels, Alfred Falkner und Doktor Ruß der Reihe nach an.
»Warum nicht, lieber Müller? Nur beeilen Sie sich!«
Der Justizrat putzte sein Pincenez, klemmte es auf seine Nase und räusperte sich.
»Nun denn,« begann er, »so erlaube ich mir, Ihnen vor allem mitzuteilen, daß der Freiherr Friedrich von Falkner, Ihr ältester Bruder, lieber Baron, vor drei Jahren schon in Rio de Janeiro an einer akuten Krankheit verstorben ist. Hier sind die betreffenden Papiere darüber!«
»Tot also!« sagte der Kranke leise. »Tot, gestorben vielleicht im Zorn gegen mich. Weiter!«
»Ihm folgte ein Jahr später seine Gemahlin, die Freifrau Tereza von Falkner, geborene Marquesa de Santiago, im Tode, verursacht durch ein jahrelanges Brustübel,« fuhr der Justizrat fort. »Sie starb, ehe sie von einem alten, unvermählten Onkel, dem Grafen Silvio Fernandez, dessen große Besitzungen geerbt hatte.«
»Güter in Brasilien sind so gut wie Güter auf dem Monde,« bemerkte der Kranke verächtlich. »Nun, und das Mädchen?«
»Die Freiin Dolores von Falkner lebt,« berichtete der Justizrat weiter. »Sie kehrte nach dem Tode ihrer Mutter nach Europa zurück, und hält sich momentan in B. auf –«
»Ah,« machte der Freiherr höhnisch, »sie weiß wahrscheinlich mehr von dem Kunkellehen, als du, Alfred!«
»In B. auf,« fuhr der Justizrat fort, »woselbst sie bei der Hofoper als erste Sängerin unter dem Namen Falconieros wirkt. Als solche trat sie erst die große Erbschaft ihres Großoheims an.«
»Wie – was?« fragte der Freiherr verblüfft, während aus Alfreds Antlitz jeder Blutstropfen gewichen war. Jetzt fiel es wie Schuppen von seinen Augen, jetzt verstand er die Ahnungsschauer, die ihn so oft durchzuckt, jetzt wußte er's, daß es dieselbe Stimme, die Stimme der »Satanella« war, die damals in der Mondnacht auf dem Brunnenrande das Lied gesungen:
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Tönt ein Lied mir immerdar –
»Die Identität der jungen Dame ist zweifelsohne,« schloß der Justizrat seine Chronik der Linie Friedrich Falkner.
»Also eine Opernsängerin, eine Theaterprinzeß, die Erbin vom Falkenhof,« sagte der Freiherr schneidend. »Man lernt nie aus, Justizrat!«
»Nein,« bestätigte dieser, in seinen Papieren kramend. »Ich kann aber mit Befriedigung feststellen, daß Donna Falconieros einen Leumund besitzt, wie, nun, wie ihn manche unserer höchsten Damen nicht hat – er ist tadellos hinsichtlich ihres Lebenswandels. Das ist doch wohl die Hauptsache!«
»Ja, die Hauptsache für sie selbst,« entgegnete der Kranke, sich ereifernd, »für mich aber ändert sie das Faktum nicht. Opernsängerin! Nun, da mag es mit den Gütern in Brasilien nicht weit her sein, ich sagte es ja gleich! Wir müssen diese Donna Dolores von der Erbfolge ausschließen, Justizrat!«
»Geht nicht,« entgegnete der Angeredete lakonisch. »Donna Dolores ist und bleibt die erbberechtigte Freiin von Falkner. Was sie privatim thut und treibt, geht uns nichts an! Außerdem enthalten die Lehensbestimmungen keinen Passus, der uns in dieser Angelegenheit dienen könnte.«
»Sie thut und treibt ihre Singerei aber nicht privatim, sondern sehr öffentlich,« sagte der Freiherr heftig.
»Aber nicht als Freiin von Falkner,« beharrte der Justizrat. »Sobald dieser Name außer Spiel bleibt bei ihrer Künstlercarriere, kann ihr Recht nicht angefochten werden, wenigstens nicht von dem Erblasser. Allerdings steht es den Agnaten frei, gerichtlich gegen die Erbin vorzugehen, wenn sie finden, daß ihre Beschäftigung eine mit ihrem Stande unverträgliche und ehrenrührige war, respektive ist.«
»Kann ich in diesem Falle nicht finden,« ließ Engels sich vernehmen.
»Wer redet hier ungefragt?« fuhr der Freiherr auf. »Das ist meine Sache zu entscheiden! Nun, und was würde der Erfolg eines derartigen Vorgehens der Agnaten des Falkenhofes gegen die Erbin sein?«
Der Justizrat schnitt eine seiner charakteristischen Grimassen.
»Kosten, viel Kosten,« sagte er achselzuckend.
»Unsinn,« schrie der Kranke, den Krückstock auf die Dielen aufstoßend und dann von sich schleudernd. »Der Bescheid, das Urtel? Ich frage nach dem Urtel!«
»Ja, das würde höchst wahrscheinlich dahin lauten, daß, da es der Freiin von Falkner beliebt hätte, zu ihrem Vergnügen unter anderem Namen Opernpartien zu singen, ihr dies nicht verwehrt werden könnte, und daß diese Künstlerpassion mit ihrem Besitz des Falkenhofes nichts zu thun hätte, um so mehr, als dieser Besitz doch nach ihrem Ableben an die prozessierenden Agnaten zurückfiele.«
Schon während der Replik des Justizrates hatten sich die künstlich gehobenen Lebensgeister des Freiherrn zu legen begonnen, jetzt lehnte er sich erschöpft zurück.
»Nun, meinetwegen,« sagte er matt. »Lassen Sie mich das Testament unterschreiben – Sie haben es doch mitgebracht? Alfred, deine Sache bleibt es, gegen diese Opernprinzeß, gegen die Komödiantin zu protestieren. Sie hat kein Recht an den Falkenhof!«
Der Angeredete schwieg – was sollte er auch sagen? Daß er im Prinzip dem Oheim beistimmte, nicht aber im Rechtspunkte. Das aber fühlte er sicher, daß er sie hassen mußte, die ihm vom Anbeginn »unsympathisch« war, und die jetzt urplötzlich seinen Pfad kreuzte, wie er es nie gedacht!
Der Kranke unterzeichnete das Dokument, das der Justizrat, sorgsam nach dem Original mundiert, mitgebracht, und Engels nebst einem Unterbeamten unterschrieben es als Zeugen. Zwei Stunden später fuhr der kleine Jurist nach B. zurück mit dem Testament, es beim Gericht niederzulegen, aber er kam nicht mehr dazu, denn schon am nächsten Morgen erhielt er die Nachricht, daß der Freiherr Gustav von Falkner zwischen zwei und drei Uhr nachts einem Herzschlage erlegen sei.
***
Das ist eine traurige, schreckliche Stunde, wenn wir die irdischen Überreste derer, die wir geliebt, hinausgeleiten müssen zur letzten Ruhestätte unter dem grünen Rasen. Wem Gott noch diese Stunde erspart hat, der kann es auch nicht ermessen, wie es thut, wenn der Sarg, den liebende Hände mit Blumen geschmückt, hinausgetragen wird über die heimische Schwelle, wenn er langsam hinabgleitet in das frischgegrabene Grab und so allmählich den Blicken entschwindet – für immer. Das ist fast der bitterste Augenblick bei dem bitteren Scheiden, das wir den Tod nennen, und doch werden wir geboren um zu sterben, und keiner weiß, wann ihm sein Stündlein schlägt.
Als man den schweren eichenen Sarg des Freiherrn Gustav von Falkner hinabließ in die Familiengruft der Falkner, die so friedlich und schön dicht am »vielgrünen,« rauschenden Walde lag, da war es anders. Es hatte niemand den boshaften Krüppel geliebt, der jedem mit seiner bösen, scharfen Zunge eine Wunde beizubringen trachtete. Mit Haß und Rache im Herzen stand das Rußsche Ehepaar und sah dem hinabgleitenden Sarge nach – ohne Trauer, aber auch ohne Groll stand Alfred Falkner neben ihnen. Der Tote hatte ihn als Kind erschreckt, als Jüngling eingeschüchtert und entrüstet, als Mann abgestoßen, dennoch aber hatte er ein viel zu großmütiges Herz, um kleinlich zu denken und Groll hinter dem Sarge des Mannes herzutragen, der im Grunde doch sein Wohlthäter gewesen war.
Mit unbeschränkter Dankbarkeit im Herzen folgte ihm Karl Engels, aber daß er den Toten geliebt hätte, damit konnte er sich selbst nicht betrügen; denn Dankbarkeit und Liebe sind zwar Geschwister, aber auch solche gehen gern jedes seine eigenen Wege.
Als Fünfter in diesem kleinen Trauergefolge stand Justizrat Müller, der oft nahe daran gewesen war, seinem unleidlichen Klienten den Kram zu kündigen, und als Sechste und doch Erste, allen voran stand die Erbin des Falkenhofes, Dolores Freiin von Falkner, im schwarzen Kleide, den schwarzen Kreppschleier über dem prachtvollen, goldroten Haar und dem heut' besonders marmorbleichen, klassisch schönen Antlitz, auf dem ein solch' tiefer Ernst lag, daß Alfred Falkner vergebens den berückenden Satanellen-Ausdruck darin suchte.
Wie oft hatte der Tote da unten sie »Teufelsbrut« genannt, ein herzloses, boshaftes Ding, auf das er am liebsten die Hunde gehetzt hätte, wie oft hatte er den Zorn, den er für ihren Vater, und den Haß, den er für ihre stolze, indolente Mutter gehegt, an ihr ausgelassen und ihr alle Pestilenz der Erde angewünscht – und heute stand sie als seine Erbin an der offenen Gruft und ein wehes Gefühl ging durch ihr Herz, daß der liebesarme, reiche, böse Mann dort zwischen den feuchten, dumpfen Wänden ruhen sollte anstatt unterm grünen Rasen, und daß keine arme kleine Blume von liebender Hand gespendet hinabfiel auf sein letztes, enges Haus –!
Es war vorüber, und die Leidtragenden, sowie die Dienerschaft machten der Erbin Platz zum Hinausgehen. Allein schritt sie durch die Reihen, allein schritt sie voraus der Pforte zu, wo die Wagen hielten, auf fünf Schritt Distanz folgten ihr die anderen. Die Frau Doktor Ruß hatte sich bei der Herfahrt geweigert, mit der »Komödiantin« zu fahren, sie hatte es so auffallend gethan, daß in das bleiche Antlitz der Donna Dolores eine feine Röte gestiegen war – natürlich weigerte sie sich auch, an der Seite der Nichte zu den Wagen zurückzukehren, und da sie sich sofort mit Ostentation fest auf den Arm ihres Gatten lehnte, so ward es diesem auch unmöglich, der Erbin den Arm zu reichen, der Dehors wegen. Da es Alfred Falkner durchaus nicht versuchte, sich zum Sklaven derselben zu machen, und Engels in sehr richtigem Taktgefühl es nicht für seines Amtes hielt, so mußte Donna Dolores allein schreiten, aber zwei Schritt hinter ihr folgte ihr Señor Ramo Granza, ihr Sekretär, Verwalter und Kammerdiener in einer Person, der getreue Ramo, der sie als Kind auf dem Rücken getragen und sie niemals verlassen hatte.
Er war es, der ihr jetzt in den Wagen half und sich dann mit unveränderlichem Ernst auf dem Kutscherbock postierte, zum Ärger der deutschen Diener, die den »brasilianischen Affen« schon vor Jahren, als er mit seiner Herrschaft nach dem Falkenhof gekommen war, zum Kuckuck gewünscht hatten.
So mußte sie denn allein zurück, mußte sie allein hinaufsteigen nach dem Bibliothekszimmer, wo der Freiherr vorher aufgebahrt gewesen war und wo jetzt das Testament verlesen werden sollte.
Während sie in dem für sie bestimmten Sessel Platz nahm, den Schleier zurückschlug und die Handschuhe von den vielbewunderten, herrlich geformten Händen streifte, mußte sie an die Kindertage zurückdenken, die sie hier, in den Räumen des Falkenhofes verlebt. Damals, in dem sorglosen Dahingleiten der Zeit hatte sie denselben beherrscht durch das goldene Königstum früher Jugend, wo man die ganze Welt sein Eigen nennt und speciell für sich geschaffen glaubt. Mit den Hunden um die Wette war sie durch die Kreuzgänge des Hauses und durch die schattigen Alleen des Parkes geflogen und hatte hellauf gelacht im kostbaren Übermut der Jugend, wenn sie dabei strauchelte und fiel; aber sie hatte auch gelacht, wenn sie bei der wilden Jagd jemand an- und umrannte. Was man anderen Kindern ihrem Frohsinn zu gute hält, wurde ihr aber als Verbrechen ausgelegt, als der Vorsatz, andere zu schädigen, und aus Trotz und Übermut hatte sie sich nie verteidigt. Da gab es dann immer bittere Reden über die »Satansbrut« und den »brasilianischen Teufel,« den man sich auf dem Falkenhof entschieden schwärzer dachte, als den des Nordens. Zuletzt gefiel sich die Kleine darin, den Teufel zu spielen und jagte einmal der Dienerschaft einen tödlichen Schrecken ein, als es ihr einfiel, sich einen ausgehöhlten Riesenkürbis mit greulich ausgeschnittener Fratze über den Kopf zu ziehen und in dieser Toilette, einen roten Shawl um die Schultern geschlagen, im Mondschein in den Kreuzgängen spazieren zu gehen. Sie erinnerte sich noch deutlich, daß der Kürbis wohl leicht über den Kopf gegangen war, aber nicht wieder zurück wollte, so daß Ramo ihn erst aufschneiden mußte, um sie von ihrem geborgten Schädel zu befreien. Und wie Dolores daran dachte, mußte sie lächeln – es war ein ganz flüchtiges Lächeln nur, aber es wurde doch bemerkt, denn Frau Doktor Ruß sagte halblaut und entrüstet zu ihrem Sohne:
»Hast du sie lachen sehen, die herzlose Person? Sie freut sich ihrer Erbschaft so, daß sie nicht einmal imstande ist, ihr Vergnügen in diesem ernsten Augenblick zu beherrschen, wie es die Sitte heischt!«
Alfred Falkner nickte – er hatte nur halb hingehört, aber das Lächeln hatte er auch gesehen, weil – nun ja, weil er die Augen nicht fortwenden konnte von dem bleichen Antlitz mit den tiefen dunklen Augen, von diesem Antlitz, das ihm so »antipathisch« war, wie er dem Maler Keppler gesagt. Vielleicht sah er nur zu ihr hinüber, weil das Gesetz der »Anziehungskraft des Abstoßenden« auf ihn wirkte – so erklärte er sich's wenigstens selbst.
So brach denn die sicher nicht an Herz-Überfluß leidende Frau Doktor Ruß den Stab über die »lachende Erbin,« und damit that sie nur, was alle Welt thut, die ja so gern nach dem Schein richtet, wenn die Wahrheit nichts zum Richten bietet. Vielleicht wäre die Frau Doktorin noch empörter gewesen, wenn sie gewußt hätte, daß Donna Dolores während dieser ernsten Stunde an einen ihrer Kinderstreiche, an einen Kürbis gedacht. Da war es schon noch besser, an eine reiche Erbschaft zu denken, denn das war doch wenigstens herzloser, wie es ja nicht anders von dieser »brasilianischen Person« zu erwarten war.
O über diese lieben Nächsten, die so gern für uns denken und stets bemüht sind, uns ihre eigenen niedrigen oder schmutzigen Gedanken unterzuschieben! Denn das sind weiße Sperlinge in der Gesellschaft, die ihre eigenen freundlichen und herzenswarmen Ideen auch anderen zutrauen!
Nur der Doktor Ruß beobachtete Donna Dolores scheinbar nicht. Er saß, das Haupt gesenkt, auf seinem Sessel und nickte manchmal seinen Gedanken Beifall zu. Seine Ruhe war durch die entschlüpfte Erbschaft nicht getrübt worden, wenigstens hatte niemand davon etwas gemerkt. Es war so recht der Moment für ihn, allen zu beweisen, wie uneigennützig er war, und wie er sich der älteren Frau nicht aus Spekulation vermählt hatte. Im Gegenteil, er hatte die Tage vorher im Schoße seiner Familie, vor den Beamten und den Dienstleuten die Vorteile eines Kunkellehens genau erörtert und bewiesen, wie viel gerechter ein solches sei, als ein Majorat, und endlich die Interessen der Erbin warm verfochten. Was er wollte, hatte er damit bewirkt. Frau Ruß pries laut den edeldenkenden Sinn ihres Gatten. Alfred Falkner wußte nicht, was er von alldem halten sollte, denn er begriff die Motive seines Stiefvaters noch nicht, die andern äußerten sich beifällig über ihn, und der Justizrat Müller sagte sich in seinem Innern:
»Ich habe mich in dir getäuscht, Freund Ruß, und sage peccavi! Man denkt eben immer an solche Motive, wenn ein jüngerer Mann eine ältere Frau heiratet. – Sela!«
Nur einer stimmte in den allgemeinen Lobgesang über den »herrlichen« Doktor Ruß nicht ein, das war der alte Engels. Der strich sich seinen mächtigen Vollbart, kniff ein Auge zu und pfiff, wenn Doktor Ruß docierte.
»Mir machst du keine Wippchen vor,« konnte man sich das leise Pfeifen ins Deutsche übersetzen.
Endlich, nachdem die Beteiligten in drückendem Stillschweigen eine Zeitlang in der Bibliothek gewartet, erschien der Justizrat mit dem Testament und nahm an dem für ihn in den Halbkreis gerückten Tischchen Platz. Nach den einleitenden Formalitäten erbrach er das Siegel, entfaltete das Dokument und begann zu lesen.
Es kamen, nach den einleitenden Worten des Erblassers, zuerst die bekannten Lehensbestimmungen zur Verlesung, an welche der Genannte eine Ermahnung an seine Nichte knüpfte, den Falkenhof in Ehren zu halten und dem großen Besitz eine treue Verwalterin zu sein im Hinblick auf künftige Generationen. Hieran fügte er eine genaue Berechnung der jährlichen Revenuen und überließ im übrigen alles den Falkenhof Angehende der Weisheit und Einsicht der Erbin, dieser den Wunsch ans Herz legend, den Verwalter Herrn Engels entweder in seinem Amte zu belassen oder aber entsprechend zu pensionieren.
»Ein Wort, Herr Justizrat,« unterbrach den Vortragenden hier die klare, deutliche Stimme der Donna Dolores. Sie hatte sich halb aufgerichtet und stützte sich auf die Armlehne ihres Sessels. »Steht es mir frei, zu jeder Stunde auf das Erbe des Falkenhofes ein für allemal zu verzichten?«
»Sicher, meine Gnädigste,« begann der Jurist, aber er wurde wieder unterbrochen.
»Gewiß steht Ihnen das frei,« ertönte die Stimme Alfred Falkners, »gerade so, wie es mir frei steht, Ihren Verzicht ein für allemal zurückzuweisen.«
Dolores hatte sich halberschreckt nach dem Redner umgewendet – sie wurde um einen Schatten bleicher und ließ sich wieder in ihren Sessel fallen.
»Ich danke,« sagte sie ruhig. »Wir finden wohl noch Gelegenheit, die beiden soeben aufgestellten Möglichkeiten zu erörtern. Wollen Sie die Güte haben, fortzufahren, Herr Justizrat?«
Der Angeredete verbeugte sich und nahm sein Dokument wieder auf.
»In Anbetracht dessen, daß mein Neffe, der Freiherr Alfred von Falkner, nunmehr der einzige Agnat des Lehens ist,« las er, »und meine Nichte, Dolores Freiin von Falkner, ihr Erbe schutzlos antritt ohne den uneigennützigen Beistand eines nahen Verwandten, so halte ich dafür, daß es die beste Lösung wäre, wenn mein Neffe und meine Nichte, die gedachte Erbin und der Agnat des Lehens sich miteinander vermählten. Ich empfehle beiden die Erfüllung dieses meines Wunsches auf das Dringendste.«
Hier hielt der Justizrat ein und sah sich im Kreise um. Doktor Ruß lächelte, seine Gemahlin wußte nicht recht, was für ein Gesicht sie machen sollte, Alfred Falkner heftete den plötzlich starr gewordenen Blick vor sich auf die Erde – die stark angeschwollene Ader auf seiner Stirn war das einzige Zeichen seiner inneren Bewegung. Donna Dolores selbst saß unbewegt in ihrem Sessel, auch sie verriet nur durch die zarte Röte, die ihr Antlitz urplötzlich bedeckte, daß sie gehört hatte.
Da der Justizrat keinen Einwand gegen den verlesenen Artikel hörte, so fuhr er abermals fort. Im Laufe seiner Bestimmungen hinterließ der Verstorbene seinem Neffen Alfred Falkner sein gesamtes, von dem Lehen unabhängiges Privatvermögen, von welchem der Erbe an Engels und mehrere der langjährigen Diener des Hauses Legate auszuhändigen hatte. Es blieb ihm danach so viel, um einen anständigen jährlichen Zuschuß zu seinem Gehalt zu haben – freilich war derselbe kein Äquivalent für die grandiosen Revenuen des Falkenhofes, welches der Verstorbene niemals hatte verbrauchen können, aber, anstatt sie zu sparen, wie es schließlich sein Recht gewesen wäre, zu dem Allodialvermögen geschlagen hatte.
Die Lesung war zu Ende, der Justizrat faltete das Testament wieder zusammen. Da erhob sich Dolores, dankte dem Sachwalter für seine Mühe und trat vor Frau Ruß hin.
»Ich hoffe, liebe Tante,« sagte sie gewinnend, »daß du und dein Gemahl mir die Freude machen werdet, den Falkenhof so lange als eure Heimat zu betrachten, als es euch gefällt und ihr andere Dispositionen getroffen habt!«
Frau Ruß öffnete den Mund zu einer Entgegnung, aber der Doktor schnitt ihr das Wort ab.
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