Читать книгу: «Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band.», страница 3
»Dieser Zwang wird im Waldschlosse ganz abgelegt, der Herzog und seine Töchter bewegen sich so frei und ungezwungen, wie Landedelleute. Und überdies – die Motive lohnen sich Ihres unsterblich machenden Pinsels.«
»Die Prinzessinnen sollen reizend sein, ich hörte davon, indes –«
»So überlegen Sie,« schloß Falkner. »Ich reise in einigen Tagen nach der Hauptstadt von Nordland ab und bringe dann dem Herzog Ihre Antwort. Man erwartet Sie übrigens keinesfalls vor dem Mai im Waldschloß, und da wir jetzt im März leben, so haben Sie noch Zeit, Ihre Satanella zu vollenden.«
Hier trat Donna Dolores wieder umgekleidet ein. Sie hatte den Hut schon aufgesetzt und hielt eine juchtenüberzogene Kassette in der Hand.
»Ich fahre jetzt ein wenig spazieren und kann deshalb meine Garderobe nicht mitnehmen,« sagte sie zu Keppler gewendet, »draußen wartet mein Coupé – addio Maïstro!«
Sie reichte dem Maler die Hand und neigte ihr Haupt eine Linie tief vor dem Freiherrn, indem sie der Thür zuschritt. Doch indem sie den letzten Knopf ihres Handschuhes zuzuknöpfen versuchte, entglitt die Kassette ihren Händen und fiel zu Boden. Der Deckel sprang auf, und heraus rollte nebst verschiedenen juwelenblitzenden Nadeln, Ringen und Spangen das seltsam geformte Diadem der Satanella. Es fiel hart an die Kante eines Sessels und eine der hornartigen Zacken brach ab dabei. Die Herren eilten herzu und lasen die schimmernden Dinge vom Boden auf.
»Das sind echte Diamanten –« sagte Falkner unwillkürlich, indem er den Reifen an die zerbrochene Zacke zu hängen suchte, »Diamanten von wunderbarem Feuer!«
»Glaubten Sie, daß ich unechte Steine tragen würde?« – Der Ton, in dem Donna Dolores es sagte, klang fast beleidigt.
»Sie sind wenigstens üblich für Theaterschmuck, Señora!« erwiderte Falkner, »aber ich begreife Ihre Caprice. Nur ist sie sehr kostspielig –«
»O, mein Vorrat reicht hin, um mich als ›Selica‹ in Feuergarben zu hüllen,« meinte sie mit natürlicher Freude, ohne eine Spur von Prahlerei.
»Dann erlauben Sie mir, Señora, Ihnen zu Ihrer ungewöhnlich guten Ernte zu gratulieren,« sagte der Freiherr mit verletzendem Spotte in dem Tonfall.
Dolores richtete sich hoch auf und sah ihm fest ins Auge.
»Ich bedaure, Ihre Gratulation nicht annehmen zu können, denn ich singe weder um Geld noch um Diamanten!«
Falkner verbeugte sich leicht und reichte ihr den Diamantreifen.
»Pardon, Señora! Aber mein Irrtum ist wohl ein verzeihlicher gewesen –«
»Ein sehr verzeihlicher,« nickte sie, »denn Sie kennen mich ja nicht anders, als im Nebelschleier Ihrer Vorurteile.«
Noch ein leichtes Nicken und Donna Dolores war verschwunden.
»Sesam, öffne dich,« rief Falkner, als das Coupé davonrollte und er selbst an der Schwelle des Ateliers zum Fortgehen bereit stand, »diese Theaterprinzessin giebt schwere Rätsel auf zum Raten und – verlangt einen starken Glauben. Klappern gehört zum Handwerk, Donna Rothaar, so viel wissen wir Laien auch!«
In seiner Wohnung angelangt, fand Falkner ein Telegramm vor, in welchem seine Mutter ihn unverzüglich wegen des nahen Todes des Lehnsherrn, seines Oheims, nach dem Falkenhof berief.
***
Wo der rauschende Laubwald des deutschen Nordens kühlen, wonnigen Schatten giebt, wo noch keine Axt sich gerührt, die Eichen und Buchen zu fällen, um an ihrer Stelle rasselnde, qualmende Fabriken zu errichten, wo weit und breit nichts zu sehen ist, als Himmel, Wald und lauschige, glitzernde kleine Seen, da liegt der Falkenhof.
Der große vierflügelige, graue Steinbau mit seinen vier runden, epheubewachsenen, hoch und steil bedachten Türmen lehnt sich dicht an den grünen Wald an, der hier zum Park umgeschaffen ist, während vor seiner Front sich ein mächtiger Rasenplatz, umsäumt mit Monatsrosen und mit Gruppen der edelsten Rosen bepflanzt, ausdehnt. Die Wirtschaftsgebäude verbergen sich hinter dichtem Strauchwerk und Baumgruppen, so daß der Falkenhof einsam zu liegen scheint im grünen Wald – ein grauer, steingewordener Traum aus längst vergangenen Tagen.
Der Bau selbst entstammte dem sechzehnten Jahrhundert und war ursprünglich für ein adeliges Damenstift bestimmt gewesen, das daselbst nur eine kurze Existenz gefristet und sich dann aufgelöst hatte. Da die Stifterin und Erbauerin eine Falkner gewesen, so fiel die Besitzung an die Falkners zurück als Lehen, und ein Zweig dieser Familie ließ sich dauernd daselbst nieder. Im Laufe des nämlichen Jahrhunderts starben die anderen Linien des alten Geschlechts aus, und die des Falkenhofes führte den Namen weiter bis heute.
Es waren viele junge Falken flügge geworden seitdem, – viele hatten ein friedliches Nest gefunden; andere hatten sich zu hoch gewagt im Fluge und ihr Leben mit versengten Flügeln und gebrochenem Sinn beschlossen; wieder andere waren verschollen, verdorben und gestorben – während einzelne kühn emporflogen zu sonnigen Höhen – wie es das Leben so giebt und fügt in großen Familien im Laufe der Jahre und Jahrhunderte.
Jetzt war das stolze Falkennest nur schwach besetzt – der alte Freiherr und sein Neffe, der Legationsrat, das waren die letzten männlichen Glieder des alten Stammes, und da ersterer mit einem Fuße im Grabe stand und letzterer noch unvermählt war, so stand die Existenz der Falkner auf schwachen Füßen.
Daran dachte der Freiherr Alfred, als er von der Bahnstation der Heimat seiner Kindheit entgegenfuhr. Er hatte schon oft daran gedacht und dennoch vermochte er sich nicht zu entschließen, sich zu vermählen, einfach aus dem Grunde, weil die jungen Damen, welche er kannte, sein Herz noch nicht erweckt hatten. Wenigstens fesselte keine der Damen ihn so, daß er sie zu seiner Gemahlin hätte wählen mögen. Nicht, daß er blasiert gewesen wäre, denn vor dieser Krankheit des gepriesenen neunzehnten Jahrhunderts bewahrte ihn – sein Verstand; aber die Hohlheit des Hauptes und des Herzens, die ihn aus all' diesen hübschen und schönen Gesichtern, die ihm zulächelten, aus eben diesem Lächeln angrinste, hatte ihn immer wieder zurückgeschreckt.
»Der Wahn ist kurz, die Reu' ist lang,«
hatte ihm eine warnende Stimme oft zugeflüstert, wenn er gemeint hatte, das Rechte getroffen zu haben, dann hatte der furchtbare Gedanke, das ganze Leben neben einer unsympathischen Gefährtin dahinwandeln zu müssen, ihn wieder befreit von der drohenden Fessel. Darüber war er achtunddreißig Jahre alt geworden und Legationsrat obendrein, denn daß nur sein Geist ihn so schnell befördert, konnte niemand dem »schönen Falkner« ableugnen, der die Wonne und Sehnsucht aller Mütter mit reifen und überreifen Töchtern war.
Er hatte ernste, fast strenge Ansichten vom Leben und von seinen Pflichten, und die diplomatische Laufbahn, in welche der Oheim, seine Mutter und sein Stiefvater ihn gedrängt, war nicht nach seinem Geschmack – ihn lockte die Wissenschaft mehr zu sich heran, und er war auch gewillt, sich ganz zu ihr zu wenden, sobald er frei sein würde. –
Jetzt fuhr er dieser Freiheit vielleicht entgegen, durch sonnige Felder, schattige Waldwege und duftende Wiesen, aber er konnte die winkende Freiheit nicht froh begrüßen, denn erstens mußte sie dem Oheim, der ihn an unzerreißbaren Fesseln hielt, den Tod bringen, und dann –
Den zweiten Gedanken dachte er nicht aus, vielleicht weil es nicht gut ist, jeden Gedanken auszudenken, oder auch, weil der Wagen eben in den breiten Kiesweg einbog, der von beiden Seiten von hohen Buchen beschattet, dem südlichen Seitenportal des Falkenhofes zuführte.
Als der Wagen unter der gedeckten Einfahrt hielt, trat Alfred Falkner sein Stiefvater entgegen – eine hochgewachsene Männergestalt mit klugen, ausdrucksvollen Zügen, das schlichte, halbergraute Haar glatt nach rückwärts gekämmt, so daß die eigentümliche runde, katzenkopfartige Bildung des Hauptes vortrat. Seine Augen bedeckte eine Brille, der starke Bart auf der Oberlippe war tief dunkel, wie die dichten Brauen, welche die Augen beschatteten. Das war der Herr Doktor Ruß, der »Magister,« wie ihn die Leute vom Falkenhof heut' noch nannten, eine unleugbar bedeutende Erscheinung, deren peinlichste Ordnungsliebe wie in allen Dingen, so auch in seiner Kleidung angenehm hervortrat – er schien zu jeder Stunde bereit das Parkett eines Hofes zu betreten, so sorgfältig und tadellos war seine Toilette.
»Willkommen, geliebter Sohn,« rief er mit leiser, sympathischer Stimme und streckte dem Freiherrn beide Hände entgegen, »wir haben deiner lieben Gegenwart mit Ungeduld entgegengesehen!«
Falkner legte seine Rechte flüchtig in eine der ihm entgegengehaltenen Hände – er hatte den Mann vor sich nicht leiden gemocht, als dieser noch sein Lehrer war. Als Doktor Ruß sich mit seiner Mutter vermählte, wurde das Gefühl gegen ihn noch bitterer, denn halberwachsene Söhne tragen Stiefvätern meist Mißtrauen entgegen, und weder er noch Doktor Ruß vielleicht selbst hatten die leidenschaftlichen Ausbrüche vergessen, mit denen der damalige Jüngling die Nachricht begrüßte, seine Mutter habe seinen Lehrer zum Gatten gewählt, der obendrein jünger war als sie selbst. Das damalige feindliche Verhältnis hatte im Laufe der Zeit einem ruhigen Begegnen Platz gemacht, was die Welt freundschaftlich nannte, aber Falkners Abneigung gegen den Mann seiner Mutter war nicht ganz gewichen, und in seinem Inneren bäumte sich jedesmal ein unbezähmbares Gefühl empor, wenn Doktor Ruß ihn Sohn nannte.
»Steht es schon so schlimm mit dem Oheim?« fragte er als Antwort auf die Begrüßung seines Stiefvaters.
»Es war gestern schlimmer,« entgegnete der Doktor und lud den Freiherrn ein, mit ihm die Treppe hinaufzusteigen. »Der alte Herr hatte einen bösen, asthmatischen Anfall, wonach er deine Gegenwart hier begehrte und die des Justizrats Müller aus B. Am Abend verlor er das Bewußtsein, das jedoch zum Teil heut' wiederkehrte. Aber ich fürchte, ich fürchte« –
Und Doktor Ruß schüttelte bezeichnend mit dem Kopfe.
Oben an der Treppe ward der Ankömmling von seiner Mutter begrüßt, einer stattlichen Frau, der man das Plus ihrer Jahre über denen ihres Gatten kaum ansah. Sie mußte einst schön gewesen sein, aber ihre Züge waren hart, ihre kalten blauen Augen ohne Güte, und ein erkältender Zug von Hochmut lag in den herabgezogenen Mundwinkeln. Im Gegensatz zu ihrem Gatten trug sie sich einfach, unmodisch und fast nachlässig, wie man es oft bei älteren Damen findet, welche einsam leben und mit der Jugend auch jene Nettigkeit ablegen zu dürfen glauben, welche ein weibliches Wesen bis ins höchste Alter niemals entbehren kann.
»Guten Tag, Alfred,« sagte sie kurz, denn sie haßte Gefühlsäußerungen wie Euphemismen, aber ein weicherer Strahl aus ihren kalten, durchdringenden Augen bewies, daß die Ankunft des Sohnes sie freute vermittelst jenes Naturinstinktes, der auch bei der Wölfin Mutterliebe genannt wird. »Du siehst angegriffen aus,« setzte sie ebenso kühl, in demselben Tonfall hinzu, indem sie in das düstere Zimmer voranschritt, das sie für gewöhnlich bewohnte, und auf dessen großen Mitteltisch sie eine Erfrischung hatte stellen lassen.
Alfred Falkner wußte, daß die Gefühlstemperatur im Falkenhof stets auf dem Gefrierpunkt stand, deshalb konnte ein derartiger Empfang ihn nicht mehr enttäuschen, und doch gehörte er zu den warmherzigen, warmfühlenden Menschen, wenn er auch zu jener Species zählte, die ihr Fühlen und Empfinden hinter der eisernen Maske des Stolzes verbergen. Und daß diese Maske nicht gefallen war, konnte nicht ihm zur Last gelegt werden – er hatte eben das Hochfeuer noch nicht passiert und nicht in jener thauwindartigen, lösenden Temperatur gestanden, welche warmfühlende Menschen um sich verbreiten, denn die sanftklingenden, milden Worte des Doktor Ruß hatten nie ein Echo in ihm wachgerufen.
Während er sich an den Tisch setzte und die gebotene Erfrischung annahm, umfaßte sein Stiefvater zärtlich seine Frau und küßte liebevoll ihre große, weiße Hand.
»Mein geliebtes, gutes Weib,« sagte er salbungsvoll, »es ziemt sich zu betrachten, wie der Herr die Geschicke lenkt. Dein Kind steht vor einem großen Wendepunkt seines Lebens.«
»Und ich nicht minder,« sagte sie leise, und mit fast erschreckender Leidenschaftlichkeit im Ton, die man unter dieser eisigen Hülle nicht gesucht, fügte sie hinzu: »Nach Jahren, Jahren, Jahren der Abhängigkeit, der Demütigung und des Gnadenbrotes!«
»Das letztere war dein Wille, geliebtes Weib,« erwiderte Ruß mit gleicher Sanftmut. »Hättest du nicht so heftig opponiert, ich hätte eine Professur gesucht und gefunden, die uns unabhängig gemacht hätte – aber die Rücksicht und der Hinblick auf deine Zukunft, Alfred, hieß uns hier bleiben und ausharren.«
»Deine Professur hätte meine Zukunft wohl kaum beeinflußt,« sagte Falkner ruhig.
»Doch – unsere Liebe zu dir gebot uns zu bleiben und dein Erbe für dich zu verwalten und zusammenzuhalten.«
Jetzt erhob sich Falkner.
»Das wäre geschehen auch ohne Erbschleicherei,« sagte er unbewegt.
Doktor Ruß hustete – dabei aber schoß ein böser Blick unter den Brillengläsern hervor auf die Reckengestalt seines Stiefsohnes, dem mit süßen Reden absolut nicht zu nahen war.
»Du bedienst dich starker Ausdrücke,« sagte er indes mit gewöhnlicher Milde, etwa wie man einem unbezähmbaren Kinde gegenüber thut.
Auf der Stirne Falkners schwoll die Ader bedenklich an, aber er beherrschte sich wie immer.
»Wann kann ich den Onkel sehen?« fragte er nur.
»O, du magst gleich hineingehen,« entgegnete Frau Ruß. Und ohne ein weiteres Wort verließ der Sohn das Zimmer.
»Das wird ein strenger Herr auf dem Falkenhof werden,« meinte der Doktor, indem er sein rundes Haupt sinnend wiegte.
»Eigensinnig und hartköpfig ist er, wie alle Falkners,« erwiderte sie achselzuckend. »Mir fiel nur der Ernst auf, den er diesmal in erhöhtem Maße mitgebracht – das sieht fast aus wie Schwermut.«
»Daran denkt nur dein Mutterherz, Liebe. Ihr Mütter nehmt oft für Schwermut, was vielleicht nur – Schulden sind,« sagte der Doktor mit leisem Lachen.
»Möglich,« entgegnete sie kühl.
Indes schritt Alfred Falkner den Korridor des Südflügels entlang und bog nach dem östlichen Teil des Hauses ein, in welchem der jetzige Herr des Falkenhofes wohnte. Und wie er dem entgegenschritt, sah er durch die von schlanken Säulen getragenen Spitzbogen, welche die kreuzgangartigen Korridore nach innen begrenzten, während die Wohnräume nach außen lagen, hinab in den geräumigen Hof, dessen graue Mauern bis zu den steilen Giebeldächern hinauf mit Klematis, Kletterrosen und Epheu umsponnen waren. Da blühten die Rosen wie ehemals auf dem smaragdgrünen Rasen, und aus dem Brunnen mit den Delphinen, deren zusammengewundene, sich nach oben bäumende Leiber die Freiherrnkrone trugen, rauschten die krystallhellen, kühlen Wasserstrahlen wie damals, als in der Nacht die Feengestalt mit dem goldenen Haare an dem Rande des Bassins schwebte, einen Kranz flocht und dazu sang.
Warum er nur immer dieses Mädchen mit der Gestalt der Sängerin der Satanella zusammenschmolz? Er blieb einen Augenblick stehen und sah hinab in den Hof, der jetzt ganz von Sonnenschein erfüllt war, und es kam ihm der Gedanke, ob der Rosenkranz, den sie damals nach der Krone geworfen und der in ihren Zacken hängen geblieben war, schon ganz zu Staub geworden? Ärgerlich wandte er sich ab und schritt weiter – zu welch' absurden Gedanken läßt sich doch der Mensch mitunter hinreißen!
Er betrat den östlichen Frontflügel, der, parallel mit dem westlichen laufend, die anderen Flügel an Länge bedeutend überragte, so daß das ganze Gebäude ein längliches Viereck bildete. Hier wohnte der Schloßherr, und hier in der sogenannten Bibliothek, die aber mehr Familienarchiv war, brachte er den größten Teil seines Lebens mit heraldischen und genealogischen Forschungen zu. Aber der lange, weite Raum, dessen Büchereien die Familienpapiere bargen, so daß eigentlich nichts in ihm an eine Bibliothek mahnte, war leer. Die schweren dunkelblauen Plüschvorhänge der drei Bogenfenster waren herabgelassen. Den Schritt dämpfend, durchmaß Falkner den weiten Raum, und öffnete leise die Thür, die nach dem Wohnzimmer des Onkels führte – und dort, vor seinem offenen Sekretär saß er, die wohlbekannte, verkrüppelte Gestalt mit dem Höcker, tief in den grünen Saffiansessel vergraben, rechts und links die Krücken, mit denen er sich so schnell und gewandt fortzubewegen verstand, zum sofortigen Gebrauch an den Sessel gelehnt. Aber das gelbe, vertrocknete, häßliche und bartlose Gesicht mit den langgezogenen Zügen, dem spitzen Kinn und den boshaften Augen, wie sah es dem Eintretenden jetzt verändert entgegen! Uralt und wie aus Pergament gepreßt hatte dieses Antlitz ja immer ausgesehen, selbst in den Tagen der Jugend seines Besitzers, aber heut' war doch ein ganz besonderes Etwas darin zu finden – die Runen des Todes.
»Ah, der Musjö Alfred,« schnarrte der alte Herr trotz dieser drohenden Zeichen in seinem Antlitz mit dem gewohnten spöttischen Tone dem Neffen entgegen. »Was verschafft mir die hohe Ehre deines Besuches!«
»Meine Mutter schrieb mir, du seiest krank, Onkel – da wollte ich doch einmal selbst nach dir sehen,« erwiderte Falkner herzlich und reichte dem armen reichen Krüppel die Hand.
Kichernd wie ein Kobold kitzelte der alte Freiherr mit der Fahne der Gänsefeder, welche er in der spindeldürren, großen gelben Rechten hielt, die Fläche der ihm gebotenen Hand.
»Das Opfer liegt – die Raben steigen nieder,«
citierte er mit blinzelnden Augen.
Sofort zog Falkner seine Hand zurück und schickte sich an, das Zimmer zu verlassen.
»Hoho, wohin?« rief ihm der Kranke nach.
»Zurück nach B.,« entgegnete der Legationsrat lakonisch, ohne sich umzuwenden.
»Hier geblieben,« kreischte der Freiherr, und als sein Neffe zögerte, setzte er bissig hinzu: »Ist das eine Art, mit einem umzugehen? Ist das die Manier, sich einem Erbonkel angenehm zu machen?«
Falkner ergriff einen Stuhl und setzte sich dem Kranken gegenüber.
»Ich bin gekommen, nach dir zu sehen, weil Pietät und Pflicht mir dies gebieten,« sagte er abweisend. »Das ›Angenehmmachen‹ überlasse ich – anderen Leuten!«
Der Schloßherr vom Falkenhof lachte, daß ihm die Augen übergingen.
»Anderen Leuten!« wiederholte er ganz außer Atem. »Gut, sehr gut! Anderen Leuten! Warum machst du eine Pause vor dieser kostbaren Umgehung des Namens Theobald Ruß, Dr. phil. etc., he?«
»Lassen wir den Doktor Ruß aus dem Spiele, Onkel,« erwiderte Falkner unmutig über die Äußerung, zu welcher ihn die Art des Kranken hingerissen hatte. »Sage mir lieber, wie du dich fühlst seit dem gestrigen, bösen Anfall?«
Der alte Herr überhörte diese Frage vollständig. Mit ganz gleichgültiger Miene ergriff er ein Federmesser und begann an seiner Feder herumzuschnitzeln.
»Nun, mein Junge, erzähle mir, was man in B. thut und treibt,« sagte er dabei jovial. »Ist es wahr, daß man eine Weltausstellung daselbst plant? Schöner Gedanke, aber wo nimmt man das Geld her? Ich gebe keinen Deut dazu!«
So wenig ihm der Onkel sympathisch war, hier überkam es Alfred Falkner doch wie ein Weh bei dem forcierten leichten Ton des armen Krüppels, um dessen Mund und Augen sich schon solch schreckliche Linien zogen. Was war das Leben dieses Mannes gewesen? Ein schneckenartiges Fortbewegen an Krücken, ein reicher Besitz und ein Zusehen an den Lebensfreuden anderer – ein Dasein voll Entsagung, Verbitterung und der Freude, seine Umgebung mit seinen Bosheiten zu peinigen. Warum muß es solche Menschen geben?
Die zitternden gelben, krallenartigen Hände sanken müde mit ihrem Spielwerk in den Schoß, und die stechenden Augen des Kranken richteten sich forschend auf die ernsten Züge seines Gegenüber.
»Was haben sie dir drüben über mich gesagt?« flüsterte er plötzlich leise, schnell.
»Nur die Thatsachen, Oheim,« erwiderte Falkner, aber der Unwille über das von den Seinen Gehörte stieg dabei wieder in ihm auf.
Eine Weile war es still in dem Krankenzimmer, so still, daß man nur die Fliegen an den geschlossenen Fenstern summen hörte.
»Höre, Alfred,« nahm endlich der Schloßherr wieder das Wort, und es war merkwürdig, wie unsicher die scharfe Stimme plötzlich klang, »ich glaube, ich habe ein Unrecht an dir gethan!«
Erstaunt sah der also Angeredete empor. – Lauerte hinter diesen sonderbaren Worten eine neue Bosheit, wie er sie unter der euphemistischen Bezeichnung eines »Scherzes« so gern auszuteilen beliebte?
»Es ist nämlich – das heißt,« fuhr der Kranke noch unsicherer fort, »na, als ich gestern die kleine Mahnung bekam, daß gegen den Tod kein Kraut gewachsen ist, da kamen mir plötzlich tugendhafte Gedanken – na, schließlich bist du ja alt genug, hast deinen Verstand und wirst dich darüber hinwegsetzen, nicht wahr, mein Junge?«
Falkner sah forschend nach seinem Onkel hinüber – verlor sich die Besinnung des alten Herrn wieder?
»Nun, zum Kuckuck, begreifst du denn heut' gar nicht?« platzte der Alte mit gewohnter Ungeduld heraus und setzte höhnisch hinzu: »Thue nur nicht so, als hätten die drüben dir nicht, seitdem du laufen kannst, in den Kopf gesetzt, daß du mein Erbe, der Erbe vom Falkenhof bist! Kannst du das leugnen?«
»Nein!« sagte Falkner fest.
»Nun, siehst du,« quiekte der Kranke. »Und du hast's natürlich geglaubt?«
»Ja,« bestätigte der Gefragte.
»Natürlich, solche Dinge glaubt man gern,« höhnte der Freiherr, »aber,« fügte er spöttisch hinzu, »mein Gewissen hat mir gestern deshalb geschlagen – ich hätte dir den frommen Glauben nehmen sollen, nehmen müssen, wenn du willst, Alfred. Aber es hat mir zu viel Freude gemacht, den hochgelahrten, superklugen, christlichmilden Herrn Doktor Ruß und seine holde Ehehälfte –«
»Meine Mutter,« fiel Falkner stark ein.
»Nun ja, deine Mutter, die auf meinen Tod lauert, seitdem sie unter meinem Dache lebt, kurz, die ganze Gesellschaft am Narrenseile herumzuführen. Aber schließlich kann ich ja doch die langen Gesichter nicht mehr sehen, wenn sie erfahren, daß sie die Rechnung ohne den Wirt, d. h. ohne die Lehensbestimmungen gemacht haben, aber es ist dir doch nicht sehr unangenehm, Alfred, daß dir der Falkenhof so vor der Nase fortgeschnappt wird?«
»Ich verstehe dich noch nicht, Onkel,« entgegnete Falkner etwas beklommen.
Der Kranke bewegte sich unruhig in seinem Sessel hin und her.
»Du bist doch sonst nicht so schwer von Begriffen,« sagte er verdrießlich, »aber freilich, dir hat ja keine Seele etwas von den Erbfolgebestimmungen des Falkenhofes gesagt – mich wundert's nur, daß der weise Herr Doktor Ruß sie noch nicht herausgedüftelt hat – der muß doch seine Nase sonst in allem haben. Aber die Erbschaft schien ihm wohl zu sicher –«
»Onkel –!« fiel Falkner etwas ungeduldig ein.
»Ja, ja, ich komme schon zur Sache,« fuhr der Freiherr auf und kramte etwas nervös unter den Papieren herum, welche seinen Schreibtisch bedeckten. »Da ist es,« sagte er und zog ein Dokument hervor, »das heißt, dies sind die Lehensbestimmungen vom Jahre 1563, bestätigt durch die Unterschrift und das Insiegel Sr. Majestät Maximilian II., des heiligen römischen und deutschen Reiches Imperator et Rex. Anerkannt sind sie ferner unter meinem Großvater selig durch den damaligen Landesfürsten und dessen Regierung, so daß selbst der Herr Doktor Ruß, falls er sie umstoßen wollte, kein Glück damit haben dürfte. Nun also, hier steht es schwarz auf weiß:
»Die Erbfolge auf gedachtem Lehen, der Falkenhof genannt, ist also geregelt, daß dem jemaligen Inhaber desselben, wenn er mit dem Tode abgegangen oder gerichtlich auf den Besitz Verzicht geleistet hat, sein ältestes Kind, gleichviel ob es ein Sohn ist oder eine Tochter, folgt. In letzterem Falle bleibt aber das Lehen nur so lange in ihrem Besitz, bis sie stirbt, und fällt dann an das älteste Glied männlicher Descendenz aus dem Freiherrlichen Hause Derer von Falkner zurück. Bei Mangel an Leibeserben des jemaligen Besitzers fällt das Lehen an den Ältesten des Hauses oder dessen ältestes Kind, gleichviel ob Sohn oder Tochter. In letzterem Falle gelten immer die oben angeführten Bestimmungen, daß eine Lehnsherrin des Falkenhofes ihn niemals auf ihre Kinder, falls sie sich vermählt, nach ihrem Tode übertragen kann, sondern dem ältesten männlichen Agnaten oder dessen Descendenz überlassen muß. Vermählt die Lehnsherrin sich aber mit dem ersten Agnaten oder dessen Erben selbst, so fällt das Lehen natürlich an die Kinder aus dieser Ehe und die anderen Agnaten treten vor diesen zurück.«
»Nun, was sagst du dazu?« fragte der Freiherr triumphierend, als er die Lesung des Artikels beendet.
Falkner hatte sich erhoben und war ans Fenster getreten – es kann ein Mensch sehr groß denken und erhaben sein über die Schwäche, den Besitz zu seinem Götzen zu machen, aber die plötzliche Nachricht, er sei nicht reich, sondern arm, wird ihn doch bewegen. Alfred Falkner war nicht habsüchtig, aber er war auch an ein Leben der Einschränkung nicht gewöhnt; er war aufgewachsen mit dem Bewußtsein, daß er der Erbe des Falkenhofes, des reichsten Lehens der Monarchie sei, es war ihm nie gesagt worden und er hatte nie daran gedacht, daß an diesem Bewußtsein getastet werden könnte, und nun – dem alten Herrn wurde die Pause doch zu lang und die Stille zu drückend.
»Alfred!« rief er, und in seinem Ton lag ein sonderbares Gemisch von Scheu, Trotz, Spott und Reue. »Alfred, nimm dir's nicht zu Herzen – 's ist mir leid, daß es dir weh thut – ich habe ja aber bloß den alten Schleicher, den Ruß, ärgern wollen, nicht dich, denn im Grunde bist du mir doch der Liebste von allen. Als ich von Bruder Friedrich damals im Zorn schied, drohte ich ihm, die Lehensbestimmungen zu deinen Gunsten umstoßen zu wollen, und ich hab's auch wirklich versucht, aber es läßt sich an dem Dokument da nicht rütteln, Alfred!«
Jetzt wandte Falkner sich um und trat neben den Stuhl, in dem das boshafte, hinfällige Schattenbild eines Menschen sich krümmte unter dem geraden, vorwurfsvollen Blick seines Neffen, der so hoch und gebietend neben ihm stand.
»Kein Wort weiter, Onkel!« sagte er fest. »Gott soll mich behüten, daß je der Gedanke in mir keimte, andere um ihr gutes Recht betrügen zu wollen. Sind diese Bestimmungen rechtskräftig, so soll mit meiner Bewilligung niemand wagen, daran zu rütteln, damit ich bereichert werde. Daß du mich aber in Unwissenheit darüber gelassen, mich als reichen Erben erziehen ließest, nur in der boshaften Freude, meine Mutter zu enttäuschen und den Mann zu ärgern, den du nicht leiden magst – das sind Dinge, die du vor deinem Gewissen zu verantworten hast, nicht vor mir!«
»Alfred!« wimmerte der alte Mann, »Alfred, scheide nicht im Zorn von mir – daß ist doch ein häßliches Scheiden –«
Falkner beugte seine hohe Gestalt über den elenden Krüppel.
»Es mag schwerere Enttäuschungen geben, als diese,« sagte er, mitleidig geworden im Angesicht des Todes, der sein Opfer schon gezeichnet hatte. »Und zum Beweis, daß ich nicht grolle, findest du mich bereit, dir Beistand zu leisten, falls du ihn zur Ordnung deiner Angelegenheiten neben dem eines Juristen bedarfst!«
Der kranke Mann heftete seine stechenden, klugen Augen fest auf das männlich-schöne Antlitz seines Neffen, und dabei bekamen diese sonst vor Bosheit funkelnden Augen einen eigentümlich verschwommenen Ausdruck.
»Du bist ein guter Junge,« sagte er matt, und nach einer Pause fügte er hinzu: »Mich hat die Sache doch angegriffen und alteriert – ich hatte geglaubt, du würdest außer dir geraten – das hätte mir nicht so geschadet! Geh' jetzt und schicke mir ein Glas Wein oder sonst etwas zur Stärkung, hörst du? Bleib' aber auf dem Falkenhof, bis der Justizrat kommt –!«
Er lehnte sich erschöpft zurück, und Falkner verließ das Zimmer. In der Bibliothek aber mußte er stehen bleiben zu einem Augenblick der Sammlung an diesem Wendepunkte seiner Zukunft. Die Enttäuschung, die ihn getroffen, war groß und die Entsagung größer, denn ohne habsüchtig zu sein, läßt sich der plötzliche Verlust eines großen Besitzes, dieses nervus rerum der Welt, immerhin schwer genug tragen, selbst da, wo Jugend, Kraft und Fähigkeit sich finden, den Verlust, wenn auch nicht zu ersetzen, so doch zu mildern. Leute, welche nichts wissen von dem Luxus des Lebens, welche die vielen Dinge als Liebhabereien für Sammlungen, Bücher etc. nicht kennen, verschmerzen Verluste von Vermögen oder geträumten Erbschaften viel eher und leichter, als solche, welche sich ein mehr innerliches und einsames Dasein durch das zu verschönern suchen, was ihrem Geschmack entspricht, aber eben nur mit großen Mitteln zu erkaufen ist. Alfred Falkner gehörte nicht zu den Menschen, welche das Geld im Wahn des Leichtsinns mit vollen Händen unwürdigen Zwecken opfern, er spielte auch nicht, aber er genoß sein Leben, indem er reiste und sein Heim durch kostbare Gemälde und Kunstgegenstände verschönte. Er konnte diesen Liebhabereien frönen, denn er erhielt die Mittel dazu, und wenn er auch keine Schulden im Hinblick auf das zu erwartende große Erbe machte, so ward ihm doch manches, selbst Geld daraufhin angeboten.
Und jetzt sollte alles anders werden, jetzt sollte er den Kampf um das Dasein selbst aufnehmen und zusehen, daß er ein standesgemäßes Leben mit dem Gehalt, das er verdiente, führte. Und seine Mutter –!
Die ganze eigene Enttäuschung, die er soeben erlebt, schrumpfte mit einem Mal in ein Nichts zusammen in dem Gedanken an seine Mutter, denn wie würde sie's tragen? Für sie war's ja hundertmal schwerer, sich eine eigene Existenz zu gründen, als für ihn, der Jugend, Kraft und Fähigkeit hatte, dem Dasein goldene Früchte abzuringen. Freilich, sie hatte ja ihren zweiten Gatten! Falkner lächelte bitter vor sich hin, als ihm der Mann einfiel, der seine Mutter so beherrschte, daß er selbst ihren mütterlichen Gefühlen Zügel anlegte und sie nach seinem Gutbefinden regelte. Jetzt konnte er's beweisen, ob seine Liebe groß genug war, um für sie und sich zu arbeiten!
Doch die Zeit verrann, und der Kranke drinnen bedurfte einer Stärkung. Falkner atmete tief auf, als wolle er neues Leben mit diesem Atemzuge einsaugen, und verließ die Bibliothek. Draußen im Korridor kam ihm Mamsell Köhler entgegen, die Beschließerin, die in ihrem ewigen grauen Kleide von Mix-Lüster, der schwarzseidenen Schürze und dem schwarzen Spitzentüchelchen über den eisgrauen Löckchen, die ihr altes, verschrumpftes Gesicht einrahmten, jahraus, jahrein als ein unermüdlich thätiges Hausgeistchen durch die Korridore, Gemächer und Treppen des Falkenhofes huschte. Seit er selbst das Herrenhaus zuerst betreten, kannte Alfred Falkner die kleine Mamsell Köhler, und sie war sich immer gleich geblieben, nur daß ihre Löckchen mit der Zeit gebleicht waren. Sie trug ihre Kleider immer noch nach dem Schnitt, der in ihrer Jugend maßgebend gewesen, stets war sie in peinlichster Ordnung zu sehen, und ihr Leinenkragen, ihre Manschetten und die Strümpfe, die unter den Kreuzbändern ihrer Halbschuhe hervorleuchteten, waren stets von blendender Weiße.
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