Читать книгу: «Die Falkner vom Falkenhof. Erster Band.», страница 2
Der ältere Bruder des Lehnsherrn war ein unruhiger Kopf gewesen, dessen erinnerte sich Alfred Falkner genau. Aber da er ihm im fünfzehnten Jahre seines Lebens schon aus den Augen geschwunden war, und auch kein Mensch mehr seinen Namen genannt, so wußte er nichts mehr von ihm. Zwanzig Jahre sind eine Zeit, in der man vergessen kann, besonders wenn der Gegenstand des Vergessens totgeschwiegen wird. Je mehr indessen Alfred Falkner der entschwundenen Erinnerung nachsann, desto mehr fand er davon wieder, und nun trat auch die hohe, blonde Erscheinung des Oheims wieder vor sein geistiges Auge. Er erinnerte sich dunkel, daß der seltsamerweise niemals mehr Erwähnte gleich ihm der diplomatischen Carriere angehörte und jahrelang einer Gesandtschaft attachiert war, die er jedenfalls im Süden suchen mußte. Undeutlich zwar, aber doch mit Bestimmtheit besann er sich, ein Gespräch zwischen seiner Mutter und dem Lehnsherrn belauscht zu haben, in welchem letzterer sich bitter darüber beklagte, daß der Bruder in einer zornigen Aufwallung seinen Dienst quittiert und obendrein noch sein Vermögen beim Fall eines Bankhauses verloren hatte.
Der Fall eines Bankhauses! Diese Redefigur hatte damals auf Alfred einen tiefen Eindruck gemacht, denn er konnte sich gar nicht vorstellen, »wie ein Bankhaus fallen könnte,« und seine Phantasie spielte seitdem oft dieses Spiel.
Nun erinnerte er sich ganz deutlich, daß der Oheim mit Kind und Kegel, mit Sack und Pack auf dem Falkenhofe seinen Einzug hielt, dem er von einem Mansardenfenster aus mit atemloser Neugier zugesehen, denn er hatte gehört, daß der Herr des Hauses von einer Mulatten- und Negerwirtschaft gesprochen, die nun die altdeutschen Räume des Falkenhofes entweihen würde.
Das hatte in seiner jungen, unternehmungslustigen Knabenseele gezündet, und er hatte glühend vor Erregung die Mutter gefragt, ob denn der Oheim ein Fürst aus dem Morgenlande sei, daß er mit Mulatten und Negern komme. Frau von Falkner hatte ihm lachend geantwortet, daß der Onkel höchstens ein Bettlerfürst sei, aber seine Frau, die Tante, wäre wohl eine Mulattin oder etwas ähnliches, jedenfalls eine »Fremde.«
Und nun kam der Onkel Bettlerfürst an, aber es war nur eine einzige große Negerin mit ihm, vor der sich Alfred natürlich entsetzlich fürchtete wie vor dem leibhaftigen Teufel. Die Tante war jedenfalls nicht schwarz von Angesicht, das war schon ein Trost. Sie brachten auch ein kleines Mädchen mit, hell und licht wie eine Elfe, dem ein prächtiger Papagei, Rio genannt, auf der Schulter saß und den Hausherrn sofort mit einem kräftig schnarrenden ›Filou! Filou!‹ begrüßte, was jedenfalls im Lande der Mulatten eine Höflichkeitsphrase war, wie Alfred damals dachte, und sich sehr wunderte, daß der also Begrüßte blaß wurde vor Zorn und seine bissigsten Redeweisen gleich in der Stunde der Ankunft hervorkramte.
Damals hatte er jenes helle, seltsame Lachen, dessen er sich so genau zu erinnern wußte, zum erstenmal gehört, er hatte gesehen, wie das kleine Mädchen den vorlauten Vogel gestreichelt hatte, worauf er, ermuntert und angefeuert durch den gespendeten Beifall, seiner ersten Äußerung noch ein lebhaftes »Caracho« folgen ließ.
Nach dieser wichtigen Begebenheit wurden seine Erinnerungen wieder dunkler. Er entsann sich nur, daß das kleine Mädchen, das damals halb so alt als er selbst sein mochte, sein Spielkamerad wurde und unaufhörlich an seiner Seite blieb, bis jener Biß Rios in seinen Mittelfinger und das Lachen seiner kleinen Cousine der Freundschaft einen unheilbaren Riß beibrachte. Er kümmerte sich nach Knabenart nicht mehr um sie und um die fremden Bewohner des Falkenhofes, von denen er sich nicht besinnen konnte, sie überhaupt viel gesehen zu haben. Nur bisweilen hörte er die helle Stimme der Kleinen durch die Kreuzgänge hallen.
Mit seinem fünfzehnten Jahre, als sein Präceptor seine Mutter heiratete, kam er auf ein Gymnasium, um dort sein Abiturientenexamen zu machen. Zwei Jahre lang, während deren er den Falkenhof nicht wiedersah, dauerte sein Studium, dann legte er sein Examen ab und trat sofort seine Reise nach der Universität an. Nach den ersten zwei Semestern seines Studentenlebens besuchte er zum erstenmal die Heimat wieder. Er fand dort alles in hastender Thätigkeit vor – die »Fremden« sollten den Falkenhof verlassen. Es war ein entsetzlicher Streit unter den beiden Brüdern ausgebrochen, welcher das Verhältnis sofort trennte – was vorgefallen war, darüber erfuhr er keine Silbe. Man war nicht sehr mitteilsam auf dem Falkenhofe.
Der Oheim hatte schon einige Tage früher das Haus seines Bruders verlassen, seine Familie folgte ihm jetzt nach, und Alfred entsann sich genau der hoch aufgepackten Wagen, die bei seiner Ankunft vorläufig noch unbespannt vor dem großen Thore ihrer Insassen harrten.
Als Alfred am nämlichen Abend noch allein durch die Kreuzgänge des inneren Hofes schritt, die Cigarre im Munde, und das Mondlicht beobachtete, wie es durch die doppelten Säulenreihen der mit Epheu und Kletterrosen umsponnenen gotischen Bogen huschte und sich in breiten, fahlgrünlichen, glänzenden Streifen auf die Steinfliesen legte, da hörte er plötzlich eine wunderschöne, wenn auch noch kindlich klingende Stimme ein einfaches Volkslied singen:
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Tönt ein Lied mir immerdar –
Er hatte das Lied hundertmal gehört und wohl auch selbst gesummt, dennoch aber veranlaßte es ihn diesmal, still zu stehen und den süßen Tönen zu lauschen. Der nächste Gedanke galt der Sängerin – wer und wo war sie? Er brauchte nicht lange zu suchen. Die Gebäude umschlossen ein viereckiges Stück Land, auf dem von jeher ein herrlicher Blumenflor grünte und blühte. Inmitten des Gartens befand sich das Bassin eines großen Brunnens, und vier kräftige, krystallhelle Wasserstrahlen schossen aus ebensoviel dräuenden Delphinenköpfen in das graue, steinerne Becken, das außen mit grünen Farnen und Huflattich üppig umsäumt war. Die vier mächtigen Schweife der Delphine vereinigten sich in der Mitte des Brunnens zu einem säulenartigen Gewinde, das sich nach oben vasenförmig öffnete und eine ehemals vergoldet gewesene, mächtige, siebenzackige Freiherrenkrone trug.
Auf dem Rande des Bassins saß, oder schwebte die Sängerin des ergreifenden Liedes – eine weißgekleidete Mädchengestalt, ein Kind, mit lang herabwallenden Haaren, die im Mondlicht glänzten wie flüssiges, mit Kupfer gemischtes Gold.
Alfred meinte an jenem Abend eine jener Lichtelfen zu sehen, wie das Märchen sie beschreibt, so duftig und zart wie aus Mondschein gewoben. Er wagte es nicht, sich zu rühren, aus Furcht, die Elfengestalt am Brunnenrand könnte in Nebel zerfließen, wie es die Art und Weise dieser holden Geister ist.
Und die Schwalbe singt, und die Schwalbe singt
Im Dorf wie einst –
verklang das Lied. Die Sängerin aber erhob sich und stand im nächsten Augenblick auf dem Rande des Bassins, einen Kranz von Rosen und dunklem Blattwerk in den Händen – sie hatte ihn während des Liedes gewunden.
Mit sicheren schnellen Schritten lief sie rings um den schmalen Rand des Bassins herum, als sei sie an solche handbreite Pfade gewöhnt.
Da tönte eine erschreckte Stimme aus dem im Schatten liegenden Flügel des Falkenhofes hervor:
»Bei allen Heiligen, Kind, halt ein, du fällst!«
Und nun lachte die Elfe als Antwort. Ein lustiges, helles Lachen, das einen Anflug von Spott hatte.
»Laß mich nur machen,« rief sie zurück, »ich habe hier einen schönen Kranz gewunden, meinen Abschiedsgruß dem Falkenhof! Den will ich der Steinkrone da droben überwerfen, damit sie auch einmal etwas spürt von Rosenduft –«
»Kindereien – komm ins Haus, es ist spät!« tönte die strenge Stimme zurück.
»Ich komme schon – aber erst den Kranz,« antwortete die Elfe im Mondlicht, »er kann der alten, verwitterten Krone dort nicht schaden, der frische Schmuck, wenn er auch morgen früh schon welk ist. Vielleicht blüht er noch einmal auf!«
Sie hob den Arm und warf den Kranz, und warf ihn so sicher, daß er richtig über die Krone fiel und ihre sieben, perlengezierten Zacken wie mit Purpur umsäumte.
»Wie schön,« – rief die Elfe triumphierend, aber in dem nämlichen Moment glitt ihr Fuß auf dem schlüpfrigen Gestein aus – ein Schrei aus dem Dunkel des Hauses, und die weiße Gestalt verschwand in dem hochaufspritzenden Wasser des Bassins.
Mit einem Sprunge war Alfred in dem Hofe und am Brunnen – sein kräftiger Arm zog die leichte Gestalt des Mädchens aus dem Wasser und setzte sie vorsichtig auf den Boden. Sie war nicht bewußtlos, kaum erschrocken, und ihre Augen, die ihm im Mondlicht seltsam dunkel erschienen, sahen ihn fragend an.
»Bist du – sind Sie verletzt?« fragte er stockend.
Da lachte sie schon wieder.
»O nein,« sagte sie, »der Oheim drinnen hat mir's hundertmal gesagt, ich sei eine herzlose Person – und denen geschieht nichts, wenn sie ins Wasser fallen, sie können nicht untergehen. Nur Menschen, die ein Herz haben, zieht's hinunter in den Grund.«
»So? Und was klopft denn da bei dir an der Stelle, wo bei anderen Menschen das Herz sitzt?« fragte Alfred amüsiert.
»Da?« sie legte die Hand auf die Stelle. »O, da liegt bei mir ein hohler Muskel!«
»Wirklich? Und fühlt der Muskel nicht?«
Sie sah ihn groß an.
»Nein –« sagte sie langsam, »es muß wohl nicht sein, denn der Oheim sagt, ich sei herz- und fühllos – ein Satanskind!«
Und nun lachte sie wieder auf, daß es wie der Ruf der Spottdrossel durch den Garten und die Kreuzgänge klang, raffte ihr triefend nasses Kleid zusammen und floh in das Haus.
Am nächsten Morgen, als er hinaustrat ins Freie, waren die Wagen verschwunden. Die »Fremden« waren abgereist und »es krähte kein Hahn nach ihnen,« wie Mamsell Köhler, die Beschließerin, sagte, als sie an das Inordnungbringen des verlassenen Flügels schritt.
Nein, es krähte kein Hahn nach ihnen, denn nicht mit einer Silbe wurden sie erwähnt von dem Oheim, der Mutter und deren Gatten.
Nur einer vermißte das »Satanskind« – das war der Verwalter des Gutes, ein mittelalterlicher Hagestolz, dem es tausend und abertausend lustige, kleine Streiche gespielt, wie allen im Hause, nur daß drinnen es mit Empörung und sittlicher Entrüstung über den »schlechten Charakter« des Mädchens erfüllte, während er darüber lachte. Dafür sang sie ihm abends, auf dem Fensterbrett seines Häuschens hockend, eine Auswahl von Liedern zur Mandoline vor. –
Alfred von Falkner seufzte tief auf – er war mit seinen Erinnerungen fertig. Es war nicht viel und nur sehr Unklares, da man ja auf dem Falkenhofe das niederdrückende System des »Totschweigens« praktizierte und unliebsamen Personen keine Silbe gönnte, aber er war dennoch zufrieden, denn er wußte nun, wo er das Lied gehört hatte, das die »Komödiantin« heut' Abend gesungen.
Bei dieser Erkenntnis fuhr ihm ein jäher Schreck wie ein glühender Strom durch das Herz – ihm war, als gliche die »Satanella« des heutigen Abends der kleinen zarten Elfe von damals, als sie ihn im Mondlicht am Brunnen ihrer Herzlosigkeit ernsthaft versicherte.
Im nächsten Moment aber mußte er sein Erschrecken belächeln.
»Unsinn,« sagte er vor sich hin, »meine Nerven sind erregt von der Satansmusik dieser im Grunde geschmacklosen Oper. Es war das Lied, das mir den hirnverbrannten Gedanken eingab – denn das kleine Mädchen, das es vor vierzehn Jahren sang, war am Ende doch eine Freiin von Falkner.«
Mit diesem beruhigenden Gedanken suchte er sein Lager auf, aber die schlichte Weise spukte noch in seinen Träumen fort:
Aus der Jugendzeit, aus der Jugendzeit
Tönt ein Lied mir immerdar.
***
Die Zeit verging. Abend für Abend wurde die »Satanella« aufgeführt, und Abend für Abend zog die Oper eine unabsehbare Schar von Schau- und Hörlustigen in die strahlenden Räume des Opernhauses.
Natürlich ward das Geheimnis der Autorschaft bald ein öffentliches, und so geschah es, daß diejenigen, die sich eigentlich nur für die Sängerin interessiert hatten, dieses Interesse nun auch der Oper zuwendeten, und umgekehrt.
Donna Dolores konnte selbstverständlich nicht jeden Abend die anstrengende Partie der »Satanella« singen und alternierte in dieser Rolle mit der Primadonna der Oper, deren Gast sie war. Sie war eine geheimnisvolle Persönlichkeit, über die viel gesprochen wurde, man befragte den Intendanten, in dessen Hause sie wie eine Tochter verkehrte, aber er verriet ihre Herkunft nicht. Niemand hatte gehört, daß sie vorher anderswo aufgetreten war, sie war gekommen und hatte gesiegt – ein Mädchen aus der Fremde im Reiche der Kunst. Man brannte überhaupt darauf, mehr von ihr zu wissen, mehr über sie zu erfahren – vergebens. Denn die schwarze Tereza, ihre Kammerfrau, war unbestechlich, und ihr Kammerdiener und Sekretär in einer Person, Señor Ramo Granza, ein kleiner, nußbrauner und geschmeidiger Brasilianer, war noch unzugänglicher, sowohl Geld als guten Worten, und zugeknöpft von seiner weißen Krawatte bis herab zu den glänzenden Lackstiefeln.
An den Abenden, an welchen Donna Dolores die »Satanella« sang, war auch regelmäßig Alfred von Falkner in seiner Loge zu finden. Er wollte die Musik studieren, fand aber keinen Blick für die Bühne, wenn Donna Dolores auf derselben stand.
»Man sollte meinen, Sie fürchteten sich vor den fascinierenden Augen der ›Satanella‹,« sagte Richard Keppler eines Abends zu ihm. Denn auch der Maler fand sich regelmäßig ein und war immer wieder aufs neue entzückt von der plastischen Darstellungsweise der Fremden.
Alfred zuckte die Achseln.
»Sie hat eine wunderbar schöne Stimme, und ich komme, sie zu hören,« erwiderte er kühl, »aber das verpflichtet mich nicht, die Sängerin anzusehen, deren Erscheinung mir unsympathisch ist.«
Dagegen ließ sich natürlich nichts einwenden.
Es war etwa einen Monat nach jenem Abend beim Professor Balthasar, als Donna Dolores bei dem Atelier Richard Kepplers vorfuhr.
Señor Ramo sprang vom Bock und öffnete seiner Dame die Wagenthür. Die Sängerin, wie gewöhnlich in Schwarz gekleidet, verließ das Coupé und betrat das Vorzimmer des Ateliers, das sich Keppler hier, inmitten des grünen Stadtparks, selbst erbaut hatte, und zu dem die reisende Welt, vulgo Ateliermarder, strömte, um sogar die Frühstücksreste des Meisters zu bewundern und vor dem halbvollendeten Bilde eines Schülers in Entzückungsrhapsodien auszubrechen, in der Meinung, vor einer Schöpfung des Genialen zu stehen.
Donna Dolores durchschritt die wohldurchwärmte, komfortabel und künstlerisch ausgestattete Vorhalle und öffnete die Thür, ohne anzuklopfen. In dem mit Oberlicht versehenen Raume stand Keppler, Pinsel und Palette in der Hand. – Aber das gewaltige Historienbild, an welchem er bisher arbeitete, hatte er zurückschieben lassen – eine andere Staffelei war herbeigerollt und darauf stand im prächtigen goldenen Renaissancerahmen das halbvollendete, lebensgroße Porträt der Satanella.
Der Meister war so versenkt in den Anblick des Bildes, in das Studium desselben, daß er's nicht einmal hörte, wie das Original hinter ihm erschien, und so bot Dolores ihm auch keinen guten Tag, sondern huschte lautlos durch die purpursamtne Portiere in das Nebenzimmer, dem buen retiro des Meisters, wo in einem Korbe verpackt das Satanellenkostüm lag.
Lautlos und schnell warf sie ihr schwarzes Kleid von sich und das andere über, dann löste sie die Haare und trat mit einem Male neben das Bild. Keppler erschrak beinahe, dann irrte sein Auge von der Leinwand auf die Sängerin, er verglich die Wirklichkeit mit der Kunst. Fast ängstlich prüfte er die Wirkung des farbensatten Bildes – dies feuerfarbene Kleid von starrer Seide im Schnitt der Renaissance, gerafft über einem Rocke von Goldbrokat. Und über die rauschenden, roten Falten wogte das goldrote Haar in üppigen Massen in jenen wunderbaren Reflexen, wie sie eben nur dieses Haar hat. Das zweizackige Brillantdiadem raffte die schweren Wellen zurück nach dem Nacken und funkelte über der weißen Stirn mit diabolischem Leuchten, denn die zwei rückwärts gebogenen Zacken flammten wie kleine Hörner, das Wahrzeichen Satanellas.
Mit einem Seufzer der Enttäuschung warf Keppler die Palette zur Seite. »Ich bin ein Stümper,« sagte er traurig, »denn ich stehe ratlos vor der Natur. Mir fehlen die Farbentöne, die rechten Tinten für Ihr farbensattes Bild, Madonna Diavolina!«
»Zinnober, Meister, viel Zinnober, Karmin und Ocker,« scherzte die Sängerin.
»Und Sie damit rot anzutünchen wie den Hans Styx im Orpheus von Offenbach! Ja, wenn ich allein vor dem Bilde stehe, dann sieht mein Auge diese Übergänge vor sich, dann weiß ich's, wie Ihr weißer Nacken, Ihr Antlitz sich hervorheben muß aus dieser Flut von Rot und Gold – stehen Sie selbst aber neben dem Bilde, da möcht' ich schier verzweifeln, dann verwirren sich meine Begriffe – ich werde farbenblind!«
»Das macht, weil Sie mit dem Kopfe begonnen haben –!«
»Nein, das machen Ihre Augen,« rief er heftig. »Ich war ein Thor, Ihre Stellung so anzuordnen, daß Sie mich ansehen müssen – mit diesem Ausdruck ansehen müssen!«
Sie lächelte gezwungen.
»Ich werde an eine weidende Gänseherde denken,« sagte sie, »vielleicht daß dieses Bild den Ausdruck meiner Augen verändert.«
»Sie spotten und haben recht,« entgegnete Keppler finster, indem er die Palette wieder aufnahm. »Die Satanella muß diesen Ausdruck im Auge haben – wie wäre sonst die Rolle denkbar, die sie im Leben spielt?«
Er beugte sich nach seinem Farbenkasten, und Donna Dolores stieg auf das Empor, um ihre Stellung einzunehmen: ein halbes Abwenden der Figur, das die volle Pracht des goldigen Haarmantels zeigte, aber das Haupt zurückgeworfen mit dem Lächeln der Siegerin auf den Lippen.
»Ich bin bereit, Apelles,« sagte sie.
Keppler warf einen flüchtigen Blick auf sie und begann dann zu arbeiten, stumm, die Lippen aufeinander gepreßt. Endlich richtete er den Blick auf sie.
»Ein schlechter Maler, der sein Modell langweilt!« sagte er.
»Sie sind verstimmt,« erwiderte Dolores, »ich kenne das. Es giebt schwarze, trübe Momente in unserem Künstlerleben, wo uns das eigene Schaffen nicht genügt, wo wir uns gestehen müssen, daß wir noch nicht dem Ideal nahe sind, das in unserer Brust lebt.«
Keppler erwiderte nichts. Er mischte seine Farben und setzte dem Bilde einen neuen Ton auf. Prüfend trat er einen Schritt zurück und stieß dann einen leisen Schrei aus.
»Ich hab's –!« rief er erfreut. »Ich habe den rechten Ton gefunden, der das Goldhaar mit dem roten Kleide harmonisch verbindet, habe ihn gefunden, ohne daß ich ihn gerade jetzt gesucht –«
»Auch in die dunkelste Stunde dringt der siegende Lichtstrahl der Kunst,« sagte Donna Dolores nicht ohne Vorwurf in der Stimme, »sie verläßt ihre Jünger nicht, und wenn sie verzweifeln wollen, so sendet sie ihnen das Gelingen.«
»Und hier habe ich auch den goldig-roten Reflex des Haares,« sagte Keppler froh. Dann trat er vor die Sängerin hin.
»Sie haben ein gutes Wort gesprochen, madonna mia, das Wort von der Kunst, der treuen Kunst. Ich hatte nicht gedacht, daß Satanella sie so tief erfaßt!«
Es flog ein spöttisches Lächeln um ihren feinen Mund.
»Auch du, Brutus?« sagte sie. »Meister, Sie sind ein feiner Menschenkenner, Sie senken Ihr klares, unbeirrtes Auge so tief in des Menschen Seele, und dennoch halten Sie mich für eine jener Künstlerinnen, denen die Kunst nur eine Goldquelle, nur ein Mittel ist zum Zweck?«
»Sie sind für mich ein Diamant, der in hundert verschiedenen Facetten strahlt, Donna Dolores, jeden Tag in einer anderen! Sie sind mir ein Rätsel, das ich noch nicht erraten habe, das verschleierte Bild von Saïs, das ich so gern entschleiern möchte, und mich doch davor scheue, weil ich die entsetzliche Wahrheit fürchte, die es vielleicht bergen könnte!«
»Den Pferdefuß,« schloß sie spöttisch.
»Ja, wenn Sie diesen Ton anschlagen, dann könnte man daran glauben,« erwiderte Keppler, weiter malend, »das ist der rechte Satanellenton. Und mir ist's lieber, Sie schlagen den an, denn gegen ihn finde ich immer noch eine Waffe, die des Zweifels an Ihnen.«
»Daran thun Sie recht,« erwiderte sie kaltblütig.
Er sah voll zu ihr empor.
»Sie nennen mich einen guten Menschenkenner – Sie haben unrecht, Madonna. Denn so oft ich meinte, das Rechte in Ihnen gefunden zu haben, so oft fühle ich mich betrogen. Ich weiß nicht, ob Sie sehr edel sind oder sehr böse!«
»Sehr böse,« sagte sie lächelnd und sah zu ihm herab, eine Welt voll Mutwillen in den leuchtenden Augen.
Keppler warf die Palette aufs neue hin und trat mit gekreuzten Armen vor Dolores. In seinem charakteristischen, scharfgeschnittenen, bartlosen Antlitz arbeitete eine mächtige Bewegung, sein sonst so klares Auge blickte düster.
»Pausieren Sie,« sagte er, »ruhen Sie aus – inzwischen will ich Ihnen ein tolles Märchen erzählen.«
»Ein Märchen?« Sie sah ihn befremdet an.
»Ja, ein Märchen. Oder meinen Sie, es geschähen keine Dinge mehr auf Erden, die von anderen Leuten Märchen genannt werden? Nur giebt es Märchen für kleine und große Kinder.«
»Wohlan, ich höre!«
Donna Dolores trat von dem Empor herab und setzte sich in einen der altertümlichen Sessel, wie sie in allen Arten in dem Atelier standen. Keppler lehnte sich gegen einen Pfeiler, Dolores gegenüber.
»Es war einmal ein armer Bauernjunge,« begann er, nachdem er seine Bewegung etwas bemeistert, »der mußte die Ziegen und Gänse des Dorfschulzen hüten, von früh bis Abend. Und während sich seine Schützlinge an den frischen, grünen Halmen und Kräutern labten mit lautem Schnattern und Meckern, da lag der arme Junge in seinen zerrissenen und dürftigen Kleidern im hohen Riedgras und träumte mit offenen Augen von einer fremden, neuen, schönen Welt, die seine Seele ahnte, aber nicht begriff. Eines Tages mußte er hineinlaufen in die Stadt mit einer Botschaft – sie betraf kuhwarme Milch für die brustkranke Frau eines großen Malers, und der Junge drang mit seiner Botschaft direkt hinein in das Atelier des Meisters. Da stand der Gänsehirt mit weitoffenen Augen vor der Herrlichkeit, die im Goldrahmen auf einer Staffelei vor ihm lehnte, und er vergaß Ziegen, Gänse und Milch.
»Acht Tage später lief der arme Junge seinem Brotherrn davon und zu dem großen Maler, den er um Gottes willen bat, ihn bei sich aufzunehmen und zu seinem Schüler zu machen. Zum Glück für ihn war der Maler ein liebevoller Menschenfreund mit tiefem Blick, der es gleich gewahrte, was tief unter den rohen Schlacken dieser Seele schlummerte. Er läuterte sie und lehrte den Knaben selbst – und ehe er starb, legte er den ersten Lorbeerkranz um des Schülers Schläfe. Und der schritt weiter auf seiner Ruhmesbahn, unaufhaltsam, aber einsam. Da trat plötzlich eine Fee aus dem Dunkel hervor – das heißt, er hielt sie für eine solche, und sogleich spann sie ein Netz von goldroten Haarfäden um sein Herz – ein Netz, das er nicht zerreißen konnte, so dünn war es –«
Keppler brach ab und schlug beide Hände vor sein Antlitz – er stöhnte laut.
Dolores war blaß geworden.
»Es war nur ein Irrlicht, was Ihnen eine Fee deuchte,« sagte sie, sich erhebend.
Da trat er ihr entgegen und faßte ihr Handgelenk, um sie am Gehen zu hindern.
»Es ist eine Fee,« rief er fast flehend, »o nehmen Sie mir nicht den Wahn! Dolores, ich bin nicht mehr jung – mehr als vierzig Jahre bin ich durchs Leben gepilgert. Und wenn ein Mann in diesen Jahren liebt, dann liebt er zu gewaltig, zu mächtig, um diese Liebe ersticken zu können im Keime. Woran ich jahrelang nicht gedacht, jetzt will mir's nimmer aus dem Sinn – jetzt sehe ich durch die Räume meines Hauses eine Künstlerfrau schweben, eine Künstlerfrau wie zu Tizians Zeiten mit goldrotem Haar und dunklen Augen – Dolores, glauben Sie an solche Träume?«
»Nein,« sagte sie tonlos.
»Dolores –!«
»Ich glaube nicht daran –« fuhr sie fort, »denn es giebt kein solches Glück! Ich hab' mir's gelobt, nur dann mich zu vermählen, wenn's hier in meinem Herzen anfängt zu sprechen. Aber es spricht nimmer – hat noch nicht gesprochen – weil ich kein Herz habe. Wo es bei anderen pocht und glüht und pulsiert, da bleibt's bei mir kalt und still – eine Künstlerfrau ohne Herz, das wäre ein Unglück für Ihr Haus, mein Freund!«
Keppler ließ ihr Handgelenk los und wandte sich ab. Er war sehr blaß geworden.
»Dolores, Dolores, was haben Sie mir gethan?«
»Ich habe Ihnen Schmerz bereitet – aber besser zu frühen, als zu späten Schmerz,« erwiderte sie leise und fest. »Sie haben mir viel geboten, ein Herz, eine Hand, ein Heim, und Sie wissen nicht einmal, wer ich bin, ob ich nicht einen erborgten Namen führe, woher ich stamme –«
»Ich weiß nur, daß in dem Namen Dolores das Glück meiner Zukunft ruhte.«
»Und Dolores heißt der ›Schmerz‹. Wär' ich die Teufelin, die ich auf der Bühne darstelle, dann hätte ich vorgegeben, an die Realisierung Ihrer Träume zu glauben – dann würde Ihr Heim binnen kurzem eine Hausfrau haben. Aber es könnte sein, daß doch einstens noch ein zündender Funke in meine Brust fiele und mein Herz erwachte – was dann? Nein, mein Freund, nicht im ›Schmerze‹ suchen Sie Ihr Lebensglück – es liegt anderswo.«
»Und meinen Sie, es sei kein Schmerz, entsagen zu müssen?« fuhr Keppler auf.
»Er ist geringer als der Schmerz, sich betrogen zu wissen. Und ich hätte Sie betrogen, wenn ich Ihnen von Liebe gesagt hätte, von der meine Seele nichts weiß.«
»Wie Sie grausam sind – Sie reichen mir in dem Korbe nicht einmal den bittersüßen Bissen von ›ewiger Freundschaft‹ – ›Achtung‹, und wie diese Korbtrabanten sonst noch heißen mögen –« rief Keppler finster.
Es zuckte wie ein Lächeln um ihre Lippen.
»O, wenn Sie sich danach sehnen –« sagte sie halb weich, halb spöttisch.
»Gut, gut, verlachen Sie mich noch!« rief er heftig. »Das ist ja dein Gewerbe, Satanella!«
»Richard Keppler – hüten Sie sich –!«
Zornsprühend, flammend vor Entrüstung stand sie vor ihm, hochaufgerichtet, schön wie noch niemals. Da beugte er sein Knie vor ihr und verbarg sein Haupt in den rauschenden Falten ihres Kleides.
»Nicht so, Dolores, nicht so,« sagte er mit gebrochener Stimme. »Wissen Sie nicht, daß das Herz im Übermaße seines Schmerzes selbst das schmäht, was es liebt? Wohlan – gehen Sie Ihren Pfad weiter – ich will Sie nicht auf den meinigen lenken. Ich will Ihnen entsagen – aber vergessen kann ich nicht –«
»Sie werden ein Weib finden, das besser ist, als ich –«
»Wer sagt Ihnen, daß ich ein solches will? Dolores, Sie haben heut' die Blüten von dem Baume meines Lebens gebrochen zum – Verwelken!«
»Ein neuer Lenz wird neue Blüten treiben – unverwelkliche,« sagte sie leise und beugte sich zu ihm herab. »Gott segne Ihr edles Herz und – denken Sie meiner ohne Groll. Ich konnte, ich durfte ja nicht anders handeln.«
Sie reichte ihm die Hand und er drückte seine Lippen darauf – zum Lebewohl am Scheidewege.
»Pardon – ich glaubte nicht zu stören.«
Keppler fuhr empor bei dem Klange dieser tiefen, klangvollen Stimme und Donna Dolores trat erblassend zurück – denn dort, in der Thür stand Alfred von Falkner.
»Man sagte mir nicht, daß Sie Sitzung hatten –« fuhr er fort und die Ironie in dem Worte »Sitzung« klang doppelt schneidend in seinem Munde, »sonst wäre ich nicht hier eingedrungen.«
»Sie stören nicht mehr,« erwiderte Keppler gefaßt, »der Satanellentraum ist für heut' ausgeträumt – und für immer,« setzte er leise hinzu.
Falkner trat vor das Bild hin und musterte es lange.
»Das wird wieder ein Meisterwerk,« sagte er endlich, »ich sah selten ein solch flammendes Farbenmeer in so wunderbare Harmonie vereint.«
»Mein Verdienst dabei ist nur das des Farbenmischens,« erwiderte Keppler einfach, »das Bild gab mir der künstlerische Geschmack der Donna Dolores Falconieros.«
Falkner wendete sich halb um zu der Genannten, die noch bleich und wortlos an dem Sessel lehnte, umwogt und umrauscht von Farbe, Licht und Glanz.
»Es wird schwer, beim Anblick Ihres lichten Haares an Ihre südliche Abkunft zu glauben, Señora,« sagte er leicht.
»Ich habe kein Interesse daran, irgend jemandes Glauben in dieser Beziehung beeinflussen zu wollen,« erwiderte sie kühl.
»Ach, das klingt sehr stolz, wie –«
»Komödiantenstolz« – vollendete sie ruhig.
»Wenn Sie es selbst so bezeichnen wollen –« erwiderte er achselzuckend, »so muß ich natürlich mit meinem Vergleiche schweigen.«
Nun zuckte sie die Achseln, und zwar so unendlich gleichgültig, daß Falkner die Augenbrauen zusammenzog und sich auf die Lippen biß.
»Ich gehe, um mich umzukleiden,« sagte Dolores zu Keppler gewendet und war im nächsten Moment hinter der roten Portiere verschwunden.
»Ich komme mit einer Bitte, Maëstro,« begann Falkner nach einer Weile, während welcher der Maler regungslos vor der Staffelei stand, »aber ich werde sie heut' nicht aussprechen, denn Sie scheinen verstimmt zu sein. Mein unberufenes Kommen vorhin –«
»Ich sagte Ihnen schon, daß Sie nicht störten – man kann nicht stören, wo nichts zu stören ist,« fiel ihm Keppler ungeduldig ins Wort.
»Gut, ich beuge mich,« erwiderte Falkner sarkastisch, »Sie übten mit Donna – wie heißt sie doch – ein lebendes Bild, eine Scene aus der ›Satanella‹.«
»Was soll das, Herr von Falkner? Sie würden mich verbinden, wenn Sie meinen Namen mit dem der Donna Dolores ganz außer allem Konnex ließen.«
»Ihr Wunsch genügt,« entgegnete Falkner.
»Wenn Sie sich indessen wundern sollten –« begann Keppler wieder.
»O nein,« fiel ihm der andere ins Wort, »das ›Wundern‹ muß man sich abgewöhnen, wenn man Künstlerkreise, besonders aber Ateliers besucht.«
Keppler biß sich auf die Lippen und schwieg.
»Und Ihre Bitte?« sagte er endlich, »doch ich errate sie – irgend eine Zeichnung meiner Hand für einen Wohlthätigkeitsbazar – nicht wahr?«
»Nein, das nicht,« entgegnete Falkner belustigt, »man vertraut mir solche Brandschatzungsgänge nicht mehr an, seitdem ich diese Ehre einmal, aber sehr bestimmt abgelehnt habe. Natürlich ist es aber auf Ihre Kunst abgesehen. Unser Nachbar vom Falkenhof, der Herzog von Nordland, der allsommerlich sein Waldschloß auf ein paar Monate bezieht, wünscht sich und seine Töchter von Ihrer Meisterhand gemalt zu sehen und ladet Sie zu diesem Zweck feierlichst durch mich ins Waldschloß ein.«
»Ich habe andere Pläne für diesen Sommer –« entgegnete Keppler – »kann man gegen diesen fürstlichen Wunsch, vulgo Befehl nicht ankämpfen?«
»Schwerlich,« erwiderte Falkner, »eine Ablehnung wäre hier eine – Unart.«
»Und deshalb muß man eine langgeplante Reise aufgeben?« seufzte der Maler unmutig. »Den leichten Kittel an den Nagel hängen, um im Frack vor der Staffelei zu stehen? Und dazu der Zwang des Hoflebens!«
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