Читать книгу: «Fürstin des Lichts», страница 15
„Und du glaubst, ausgerechnet ich kann das?“
„Wer um alles in dieser durchgeknallten Geschichte denn sonst?“ Schnell sprang ich auf und stellte mich vor das Feuer, um meine ungebetenen Verzweiflungstränen zu verbergen. Doch als Halbelb spürte der Lord sie ohnehin.
Erneut breitete sich unangenehmes Schweigen aus. Butler Andrew kam leise herein und fragte nach weiteren Wünschen, bevor er sich zur Nacht zurückziehen würde. Alexis schickte ihn ungehalten fort. Hoffentlich hatten Butler und Köchin die fremdartigen Essensreste auf meinen Tellern übersehen. Ihre servierten deftigen Speisen aus Graupen-Gemüsesuppe, fast rohem Angussteak und Käse mit Haferbiskuit vertrug mein Magen ebenso wenig wie daheim Eisbein oder Reibekuchen. Dabei gaben sich die beiden Hausseelen so rührend alle erdenkliche Mühe. Ein weiblicher Gast bedeutete für sie das Jahrhundertereignis in diesen düsteren, trostlos leeren Hallen.
Mich wieder Alexis zuwendend, knallte ich ihm an den Kopf: „Die Sternelben behaupten, die Seele von Elbenfürstin Joerdis sei dabei, mit der meinigen zu verschmelzen.“
Diesmal war es an ihm aufzuspringen. Er trat vor mich und packte mich impulsiv an den Schultern. „Was verlangen sie von dir? Erzähl mir alles!“
Von da an verbrachten wir die halbe Nacht in den schweren Ledersesseln. Ich erzählte also meine Geschichte, angefangen bei dem mysteriösen Buchfund. Und Alexis stellte mit wachsendem Kopfschütteln immer wieder Zwischenfragen.
Tief in der Nacht vermeldeten meine Stimmbänder heiser Dienstschluss.
„Geh schlafen, Lilia.“
Als ich mich an der Tür zum Treppenhaus nochmals umdrehte, stand Alexis draußen auf der Terrasse. Zornumwölkt starrte er Löcher in den sternenlosen Nachthimmel.
„Guten Morgen, Mylady. Möchten Sie auf der Terrasse frühstücken?“
„Das wäre schön. Danke, Andrew.“
Da Alexis durch Abwesenheit glänzte, bat ich schließlich den Butler um Auskunft.
„Mylord befinden sich in der Bibliothek. Wenn Sie es wünschen, führe ich Sie zu ihm.“
Die Bibliothek erwies sich als ein fensterloser, stickiger Saal. Dunkelbraunes Holz dominierte Regale, Decke, Boden, Tisch, einfach alles. Sämtliche Wände waren von unten bis oben vollgestopft mit, hauptsächlich historischen, Büchern. Sofort fühlte ich mich unwohl, regelrecht bedrängt. Alexis saß konzentriert über einem aufgeschlagenen Buch, dessen muffig-staubiger Geruch in meiner Nase kitzelte, als ich mich neugierig vorbeugte.
Widerstrebend nahm der Lord mich zur Kenntnis. „Ich bin beschäftigt, unternimm doch einen Spaziergang.“
Dazu musste er mich kein zweites Mal auffordern. „Bloß fort von diesem unheimlichen Ort.“
Draußen atmete ich genießerisch die würzige Luftmischung aus Nadelwald und Meer ein und schlenderte dabei um das Castle. Weitläufige Rasenflächen, durchsetzt mit jahrhundertealten Laubbäumen und Gruppen aus prächtigen Nadelgehölzen prägten die Vorderseite des Anwesens. An seiner rechten Seite zog sich der üppig wuchernde Blumengarten entlang. Durch ihn hindurch führte ein breiter Kiesweg in die rückseitig angelegten, leicht abschüssigen Obst- und Gemüsegärten. „Mit den Ausmaßen könnte man glatt eine ganze Kompanie versorgen“, staunte ich.
Weiter unten bildete ein Bach die natürliche Begrenzung zu dem alten Nadelwald, der auf der gegenüber liegenden Seite den sanft ansteigenden Hang eines Bergrückens erklomm.
Am Ufer des plätschernden Baches entlang spazierend, entdeckte ich bald darauf einen kleinen Wasserfall. Große Felsbrocken, auf denen Flecken von Sonnenstrahlen tanzten, luden dort zum Träumen ein.
Das von Andrew servierte Frühstück, bestehend aus Toast, Orangenkonfitüre, Würstchen, gebackenem Speck und Blutwurst, hatte ich Nase rümpfend verschmäht. Mehr als hungrig zauberte ich nun nach Herzenslust ein appetitliches Picknick zusammen. Berlin schien mir in diesem idyllischen Augenblick so weit entfernt wie der Mond. „Bleib hier!“, lockte mein Alter Ego. „Oh nein, ich will genießen und nicht diskutieren, also sei still.“
Sein langer Schatten kroch störend in mein Gesicht. „Wie ich sehe, verschmähst du auch mein Frühstück“, bemerkte Mylord und begutachtete dabei die wenigen Reste von Quark, Früchten, Müsli und Orangensaft.
„Verzeih, mein Magen hat seine eigenen Vorstellungen“, antwortete ich mit gespielter Zerknirschung.
„Dann sollte er sich zum Dank wenigstens anstrengen. Du wiegst kaum mehr als eine Tasse Tee.“
Seine Anspielung darauf, wie ich in das Himmelbett gelangt war, überging ich und begehrte stattdessen zu wissen: „Hast du etwas Nützliches in deinen Büchern gefunden?“
Ohne Rücksicht auf meine Gefühle verkündete er trocken: „Eine Verschmelzung elbischer mit halbelbischen Seelen ist möglich.“
Damit machte er unumstößlich wahr, was ich niemals wahrhaben wollte. Mein Körper begann zu zittern, mein Herz antwortete mit panischer Schmerzattacke. „Was wird dann aus mir?“ Voller Entsetzten starrte ich in Alexis dunkelbraune Augen. „Sag es mir!“
„Eine Elbe in einem Menschenkörper.“
„Das kann nicht sein, darf nicht sein. Meine Seele!“ Schluchzend wandte ich mich ab.
„Lilia.“
„Verdammt, Alexis, ich wohne mit einer Elbe zusammen. Wir sind so unterschiedlich wie Schneewittchen und ein Zwerg. Das ist kompletter Wahnsinn!“, schrie ich ihn an.
„So beruhige dich doch. Die Fürstin wird lediglich deine Seele beeinflussen.“
„Ach ja? Und warum pfuscht sie dann in meinen Gedanken und Träumen herum?“
Mit aufgerissenen Augen starrte er mich an.
Also setzte ich hintendran: „Und willst du deinen Körper etwa mit einem fremden Wesen teilen?“
Dies vergegenwärtigte selbst seinem Granitschädel schlagartig, wie tief verletzt ich mich fühlen musste. Hilflos mit den Schultern zuckend, bekräftigte er: „So schmerzlich das auch sein mag, du musst dein Schicksal akzeptieren.“
„Das sagst ausgerechnet du? Ist es etwa keine Verweigerung, was du hier treibst?“
„Das ist etwas anderes“, wehrte Alexis störrisch ab.
Unsinnigerweise sprang ich auf und lief davon. Niemand kann vor sich selbst fliehen, lautet eine unumstößliche Grundregel des Lebens.
Nach einer Weile des Suchens fand Alexis mich auf der Vorderseite des Castle, zusammengekauert am Fuße einer mächtigen Eiche sitzend.
„Lilia, bitte.“
„Ich habe solch eine Scheiße mit meinem Leben gebaut. Und ich fürchte mich so sehr, seit wir uns das erste Mal begegneten“, flüsterte ich.
„Seit wir uns begegnet sind?“, wiederholte er verständnislos.
„Natürlich. Du sagtest damals wörtlich: ‚Lerne so schnell du kannst‘. Das führte mir endlich klar vor Augen, was ich bereits länger vermutete. Wirklich jeder in diesem mörderischen Spiel weiß mehr über mein Schicksal als ich selbst. Und keiner rückt mit der ganzen Wahrheit raus.“
Stumm kämpfte Alexis gegen sein hervorbrechendes Mitleid an, rang nach Worten.
Doch mein Appell an sein Gewissen drang noch tiefer: „An dich allein klammert sich meine ganze Hoffnung. Denn die Lichtwesen haben absolut keine Ahnung von Menschen.“
Das traf seinen wundesten Punkt. Er hockte sich vor mir nieder und legte sachte seine Hand auf meinen Arm. „Du hast vollkommen Recht. Lass uns nach Antworten suchen.“
Gemeinsam gingen wir hinein zur Bibliothek.
Als der Lord mir einen Sitzplatz zuwies, bat ich: „Wäre es okay, wenn ich stattdessen auf der Terrasse lese? Dieser Ort gruselt mich.“ Unbewusst strich ich über die Gänsehaut auf meinen nackten Armen.
„Was spürst du?“, wollte er interessiert wissen.
„Etwas Unheimliches, wie ein gesichtsloser Schatten.“
Alexis ließ seinen Blick durch den Saal schweifen. „Ein Vorfahr wurde in diesem Saal von Dämonen ermordet.“
Meine Seele streckte vorsichtig tastend ihre Fühler aus.
„Seine Seele, sie ist noch hier!“, keuchte ich.
Alexis erbleichte.
Mutig geworden angesichts der Seelenqual eines Verstorbenen, schloss ich die Augen.
„Lilia, nein!“
Mit einer Handbewegung bedeutete ich ihm, zu schweigen. Meine Seele – wenn sie es überhaupt war – drängte mich, eine Lichthülle zu formen. Nachdem sie in der Mitte des Saales schwebte, dehnte sich ihr Licht blitzartig aus. Danach zog sie sich ebenso rasch wieder zusammen und schwebte über dem Tisch.
Zufrieden schlug ich meine Augen auf. „Alexis, öffne bitte nebenan einen Türflügel zur Terrasse.“
Kaum flutete das Tageslicht herein, befahl ich die Lichtkugel durch den Wohnsaal hinaus in das Sonnenlicht. Sie entschwand. Eine Kaskade an Glücksgefühlen durchströmte mich.
„Das glaube ich jetzt nicht. Ich komme mir wie ein Idiot vor“, stöhnte Alexis.
„Mein nachträgliches Gastgeschenk“, verkündete ich grinsend bis zu den Ohrläppchen.
„Ist dir klar, über welche Macht du verfügst?“
„Ja, woher denn?“, jammerte ich los. „Ständig bekomme ich bloß zu hören, meine Macht werde, müsse, solle erst erwachen. Immer nur blöde, nebulöse Andeutungen.“
Kopfschüttelnd schritt Alexis in die Bibliothek zurück. Dort richtete er sein ganzes Augenmerk auf die Bücherreihen. „Irgendwo hier muss es sein“, brummelte Mylord. „Nein, jetzt fällt es mir wieder ein, bei den Chroniken.“
Quietschend fuhr die Regalleiter ein Stück nach links. Fast mit seinem Kopf unter die Decke stoßend, fand er das gesuchte Werk. „Komm mit nach draußen“, forderte er mich auf.
Auf der Terrasse rückten wir zwei Stühle nebeneinander und setzten uns. Die Goldlettern auf dem porösen schwarzen Ledereinband bestanden nur noch aus bröselnden Überresten.
„Dieses Buch enthält eine Kopie der Aufzeichnungen über das Wirken der Elben in Schottland“, erklärte Alexis.
Fragend hob ich die Augenbrauen.
„Gegenwärtig hält sich der Dämonfürst in Berlin auf, wie du sagst. Doch über viele Jahrhunderte hinweg herrschte er von hier aus. Fürstin Joerdis starb ganz in der Nähe.“
Mir klappte der Mund auf, gleichzeitig nahm mein Verstand eine scharfe Kehre. „Elin lebte zuvor in Schottland!“
„Gut kombiniert, Mylady“, lobte er.
Ungefragt servierte Butler Andrew unser Lunch, bestehend aus Tee und Sandwiches. Hinter seinem Rücken brezelte ich vor allem die Sandwiches ordentlich auf.
Mit Unschuldsmiene forderte ich Alexis auf: „Probier mal.“
Argwöhnisch biss er hinein. „Donnerwetter, höchst delikat. Woher stammt das Rezept?“
„Von Elin. Womit wir wieder beim Thema wären.“
Zum ersten Mal hörte ich Alexis aus vollem Halse lachen. Verwundert schaute ich ihm dabei zu. „Sieh an, da kommt ja eine humorvolle Seite zum Vorschein.“ Mit Feuereifer stürzte ich mich nun auf den Text und begann fleißig zu blättern.
„Stopp mal, wie wäre es mit Lesen?“, protestierte der Lord.
Verständnislos sah ich auf. „Äh, was glaubst du, tue ich wohl gerade?“
Seine Mimik entglitt so komisch, dass es diesmal an mir war, herzhaft zu lachen.
Beleidigt murrte er: „Dann lies eben allein und ich besorge Nachschub.“
Das schlicht betitelte „Buch Joerdis“ erzählte von dem letzten großen Krieg zwischen Elben und Dämonen:
Lange Zeit glaubten die Elben irrtümlich, dem Dämonfürsten ginge es ausschließlich um das Erlangen seiner Alleinherrschaft. Zahlenmäßig weit unterlegen, ließen sich die Elben ein ums andere Mal in seine ständig neu inszenierten Angriffe verwickeln. Zu spät gewahrten sie, nur dank eines aufgeweckten Halbelben, ihren fatalen Irrtum. Denn die Elben selbst, mit ihren reinen Seelen, kannten weder List noch Tücke schwarzer Seelen. Die hässlichen Spielarten des Bösen entzogen sich ihrer lichtenen Gedankenwelt vollkommen.
So war es Alexis Urahn, der damalige Clanchef Beathan MacEideard, welcher den Elben endlich die Augen öffnete. Hinter seinen Angriffen suchte der Dämonfürst in Wahrheit nach einer Chance, das Sternsilber an sich zu bringen. Erst einmal in dessen Besitz, wollte er den verbliebenen Elben ein endloses irdisches Martyrium bereiten. Zuvor jedoch sollte die verhasste Fürstin sterben. Mit dieser bitteren Erkenntnis scharten sich die letzten Elben daraufhin um Joerdis.
Müde rieb ich mir die Augen und sinnierte über das Gelesene. „Reine Seelen sind blind? Aber, das würde ja bedeuten, ich muss …“ Noch wagte ich nicht, den Gedanken bis zu seinem bitteren Ende zu führen. Mein dennoch begreifendes Herz schrumpfte unter seiner losbrechenden Angstattacke panisch auf die Größe einer Trockenpflaume. „Luft, Luft, ich ersticke!“ Schnell ließ ich einen Zettel mit der Nachricht „Bin am Strand“ erscheinen und flüchtete Hals über Kopf.
Schlecht gezielt, fand ich mich bis zu den Knien im Wasser stehend wieder. Eben rollte die Flut heran. Meine unfreiwillige eisige Abkühlung, kombiniert mit Trockenzauberei, beförderte mich zurück ins menschliche Hier und Jetzt. Hinter meinem Tränenvorhang zeigte sich das Meer unfreundlich grau, schlechtes Wetter zog auf.
In meinem ganzen Leben hatte ich niemals so viele Tränen vergossen wie in den vergangenen anderthalb Jahren. Das paradiesische Leben, von dem ich anfangs so naiv unter dem Gesäusel der Lichtwesen träumte, überschüttete mich mit Ängsten, Qualen und Nöten ungeahnten Ausmaßes. Der permanente Horror zerfleischte mein Herz wie durch brutale Peitschenhiebe. Wieder legte ich meine Hand darauf, um den scharfen Schmerz ein wenig zu lindern.
Gerade als ich mich zur Rückkehr ins Castle aufraffen wollte, fiel mein letzter Blick auf eine versteinerte Schnecke im Spülsaum. „Hey, hier gibt es Fossilien!“ Sekundenlang durchströmte mich reines Glück. Ich angelte das wunderschön erhaltene Exemplar aus dem Wasser, stoppte den kleinen Glücksrausch und schickte meine Seele pflichtschuldigst zum Castle.
Alexis saß, ungeduldig mit seinen Fingerspitzen auf den Terrassentisch trommelnd, da und wartete.
Meinen Fund streckte ich ihm entgegen und teilte gleichzeitig völlig zusammenhanglos mit: „Ich kenne jetzt die Antwort.“
Hin und her gerissen angesichts solch einer Chaosfrau platzte er heraus: „Du bist der verrückteste Mensch, dem ich je begegnet bin.“
„Danke für das Kompliment.“
„Und auf welche Frage nun hast du die Antwort gefunden?“
„Auf alle“, hauchte ich voller Traurigkeit über meine bittere Erkenntnis. „Darauf, was die Sternelben wirklich von mir wollen, warum die Seelenvereinigung notwendig ist und so weiter.“
Er guckte mich an, als ob er „arme Irre“ sagen wollte.
Davon unbeirrt nahm ich Platz, orderte Tee und fuhr endlich fort: „Des Rätsels so simple wie frustrierende Lösung stammt aus der Chronik. Aber im Grunde genommen lag sie die ganze Zeit vor meiner blinden Nase.“ Obwohl des Lords mächtig anschwellende Ungeduld störte, pausierte ich einen Moment für den Kraftakt, die blanken Tatsachen laut bei ihrem Namen zu nennen. „Einzig Halbelben, so wie der im Buch erwähnte Beathan MacEideard oder du oder eben ich, können sich in den Dämonensumpf hinein versetzen. Das wahre Ziel der Lichtwesen gilt ihrem geraubten Sternsilber. Wobei der Dämonfürst gerne nebenbei über die Klinge springen darf. Das glaube ich zumindest stark. Denn am Ende der Geschichte geht es um ein Remis, mithin um das alte Gleichgewicht der Kräfte. Auf Deutsch gesagt, Himmel und Hölle spielen Schach, aber es darf keinen Verlierer geben. Und meine Unwichtigkeit haben die Lichtwesen ungefragt mit auf diesem Schachbrett positioniert, als was auch immer.“ Kaum ausgesprochen, begannen in meinem Innern nie gekannte emotionale Kräfte aufeinander zu prallen. Mit großer Anstrengung schaltete ich das infernalische Chaos ab. Doch zu spät für neuerliche Herzpeinigung.
Alexis nickte gedankenverloren vor sich hin. Dann fiel ihm etwas auf: „Du erwähntest gestern Abend, dass du nach dem Willen der Sternelben irgendwann Regentin einer Stadt des Lichts werden sollst. Wie passt das zusammen?“
„Offensichtlich bietet das Schicksal, oder vielleicht ihre Prophezeiungen, mehrere zukünftige Möglichkeiten an. Sofern ich für die Fürstin am Leben bleibe, versteht sich. Die Sternelben hielten den Regentinnenkram anscheinend für eine prima Motivationsspritze. Aber der Schuss ging nach hinten los. Im Handumdrehen hing ich vor Empörung unter der Kirchendecke.“
Sarkastisch merkte Alexis an: „So einen harten Brocken wie dich erwarteten sie sicher nicht.“
„Richtig“, erwiderte ich trocken, „inzwischen verbringen sie mehr Zeit mit Seufzen als mit Singen.“
Sein Lachanfall wollte kein Ende nehmen.
Diese pausenlosen Extreme, aus dem Tal der Tränen übergangslos auf den Gipfel der Fröhlichkeit, wieder stürzen, wieder rauf, runter und rauf, runter, rauf, trieben mich an den Rand des geistigen Abgrunds. Mit einem Schlag fehlte mir jegliche Energie, um die Kontrolle zu bewahren. Es war, als hätte irgendwer den Ring von einer Handgranate abgezogen.
Die ausströmende, lebensgefährliche Woge erreichte Alexis völlig unvorbereitet. Für eine Sekundenspanne wurde die Zeit, in der er handeln musste, zu einem langsamen Fluss. Er griff nach meinen Händen, öffnete sie und legte seine eigenen flach darauf. Ein warmer Energiestrom ergoss sich in meinen Körper. Gleichzeitig hielt Alexis meinen Blick fest. „Öffne deine Augen, lass es heraus.“
Ich tat bar jeglicher Überlegung, was er verlangte. Sofort verzerrte sich sein Gesicht vor unaussprechlicher Seelenqual. Viele Minuten lang verharrten wir reglos wie Wachsfiguren.
Dann trug Mylord mich zu Bett. „Absolute Ruhe bis zum Dinner“, erging sein willkommener Befehl.
Obwohl todmüde, wollte sich kein Schlaf einstellen. In meinem Denkorgan schossen Fetzen wie Flipperkugeln umher. Der Ausschalter entzog sich trotzig meinem Zugriff. Mühsam probierte ich, eine Schneise zu schlagen – und animierte ungewollt mein Alter Ego: „Was geht dich diese ganze Elbengeschichte an? Schnödes Sternsilber, pah! Dafür solche Torturen über dich ergehen lassen?“ „Einspruch!“ „Nun mal halblang, nur weil ein lächerliches bisschen Elbenerbe in dir steckt?“ „Ein bisschen? Eine untrennbare Hälfte!“ „Wenn das schon so ist, dann hör mit dem Herumeiern auf und triff endlich eine Entscheidung.“ „Du meinst, ein schlichtes Ja oder Nein bis zur bitteren Neige?“ „Was soll denn großartig geschehen, wenn du die Brocken hinschmeißt?“ „Elin würde garantiert sterben und Berlin zur höllischen Hauptstadt der Dämonen mutieren. Das haben wir doch längst durchgekaut. Willst du das, bloß um die eigene, geliftete Haut zu retten?“ „Willst du dich von den Sternelben verheizen lassen? Falls du tatsächlich dermaßen durchgeknallt bist, streng dich gefälligst an, schmeiß dein Bauernkostüm ab und zeig denen, wo es langgeht!“ „Und wo, bitteschön, geht es lang?“ „Im Zweifelsfall immer dem Gestank nach.“
Mein Schicksalsfaden bildete einen dicken Knoten und markierte damit das endgültig besiegelte Ende der internen Debatte. Ich hätte mir zumindest eine robuste Strickleiter gewünscht.
Zur Belohnung stellte sich der ersehnte Schlaf ein, bis:
„Joerdis, möchtest du dein Sternsilber zurück? Komm und hol es dir.“
„Worauf du dich verlassen kannst!“
Ich stürze hinab ins schwarze Nichts. Ein winziger, matter Funke dringt aus unerreichbarer Tiefe hinauf. Doch ich muss umkehren, mein Licht hält der mit mörderischer Magie geschwängerten Schwärze nicht stand. Er aber sitzt dort unten wie eine Spinne in ihrem Netz. Der Dämonfürst lacht grausig hinter mir Flüchtender her.
Benommen setzte ich mich im Bett auf. „Das Sternsilber befindet sich also unter der Erde. Das war zu erwarten. Was soll’s, erst mal heiß duschen.“
Nach der Dampfdusche putzte ich mich mit einem kobaltblauen Samtkleid heraus und ging hinunter in die Wohnhalle.
Der Anblick meiner sehenden Augen brachte Alexis gleich wieder aus der Fassung. „Du hast dich endgültig entschieden.“
„Ja. Ich werde der miesen Schachpartie eine neue Königin verpassen.“
Weiteres musste warten, weil der Butler mit einem riesigen Tablett hereingeschlichen kam.
Auf dem Esstisch, er bot Platz für mindestens 20 Personen, thronte bereits eine angemessen riesige Etagere, beladen mit knackigem Obst.
„Ein kleiner Beitrag zu deinem anspruchsvollen Mahl“, spöttelte Alexis.
Sichtlich bemüht, seine Anspannung während unseres Essens mit Konversation zu überspielen, erzählte der Lord von seinen Pferden. Der Stall befand sich demnach auf der vierten Seite seiner Trutzburg, die mir bislang unbekannt war. Ich hörte ihm höchstens halb zu. Die Kunst des Reitens entzog sich schon immer meinem Interesse. Aus purer Höflichkeit, doch hauptsächlich um den Fleischgeruch schleunigst aus meiner Nase zu bekommen, schlug ich nach dem Dessert eine Besichtigungstour zum Pferdestall vor.
Kaum umrundeten wir die Ecke des Castle, hörte ich dumpfen Lärm.
„Der neue Zuchthengst macht Kleinholz aus seiner Box“, verkündete Alexis mit stolzgeschwellter Brust. „Stormfire besitzt mehr Temperament als ein provozierter Stier.“
Zögernd betrat ich die schwach beleuchtete Halle. Der Radau im Innern entzog sich jeder Beschreibung. Mit wild rollenden Augen und schäumendem Maul trat der pechschwarze Hengst gegen die hölzernen Trennwände. Sein vor Schweiß glänzender Hals beugte sich so weit wie irgend möglich über die Boxentür.
Ich war maßlos entsetzt angesichts des leidenden Tieres. „Himmeldonnerwetter, Alexis, spürst du seine Panik nicht?“, schnauzte ich. Kurz entschlossen rannte ich zurück zu dem riesigen Eingangstor, stieß beide Flügel weit auf, spurtete zu Stormfires enger Box, schrie „Deckung“ und riss seine Tür auf.
Das Tier schoss vorwärts, schlitterte auf dem Steinboden aus dem Stallgebäude und hielt draußen restlos erschöpft und am ganzen Leib zitternd an.
Alexis stand mit hängendem Kopf hinter einer Säule und schämte sich.
Wortlos folgte ich Stormfire, berührte ihn sanft am Hals. Gemeinsam gingen wir fort in die mondbeschienene Nacht.
Unterwegs kam mir das Lied der Elben über ihre Sehnsucht nach den Sternen in den Sinn. Leise sang ich dem Hengst einige Strophen vor, sie schienen ihm zu gefallen.
Am Ende unseres kleinen Ausflugs brachte ich Stormfire auf die kleine Koppel am Stall. Um den Rest des pferdischen Problems musste sich Alexis selbst kümmern. Falsch gedacht!
Mylord erwartete mich abermals auf der Terrasse.
„Ein leckeres Glas Wein käme jetzt gerade recht“, ging ich über die Geschichte hinweg und illuminierte unser Umfeld mit Windlichtern.
„Du willst hier draußen bleiben? Es wird kalt“, quengelte er.
„Na und?“ Drei Feuerschalen erschienen im Halbkreis um die Sitzecke. Ein leichtes Flirren während des magischen Aktes signalisierte Lichtmangel. „Wo kann ich mein Energiereservoir auffüllen?“
„In unserer Kapelle. Soll ich sie dir direkt zeigen?“
„Nö, lieber morgen früh.“
Der fällige Sternelben-Talk konnte getrost noch warten.
Ausgiebiges Schweigen dirigierte folgend die zweisame Szenerie, bis es unerträglich wurde.
„Sag schon.“
„Nein, du“, beharrte Alexis.
„Der Dämonfürst hat mir beim Nachmittagsschlaf verraten, wo sich das Sternsilber befindet.“
Er verschluckte sich und hustete hervor: „Willst du mir jetzt etwa obendrein erzählen, du unterhältst dich mit ihm?“
„Nein, aber Joerdis.“
Da er offensichtlich glaubte, ich spinne, gewährte ich ihm einen unverhüllten Blick.
„Beim Licht! Du musst Unmenschliches ertragen, dafür bist du nicht geschaffen“, protestierte Alexis zornig an die falsche Adresse. „Endlich verstehe ich deine Angst und Verzweiflung. Anfangs glaubte ich, du seist ein verwöhntes, spleeniges Püppchen. Verzeih mir bitte die Offenheit.“
Im Nachlegen reichte mir so schnell keiner das Wasser. „Einzig Elin und ich sind in Berlin übrig, wie du weißt. Aber die volle Wahrheit lautet: Ich habe Elins Tod geschaut.“
In jeder anderen Situation hätte die einsetzende absolute Stille nach einer Stecknadel geschrien. Ganz langsam erhob sich Alexis von seinem Stuhl und schritt auf den Rasen. Der leichte Wind trug den gärenden Geruch seiner explosiven Gefühlsinnereien herüber.
„Wird er sich mir zur Seite stellen? Und wenn ja, wann?“ Ich griff nach dem Weinglas, kippte den Rest hinunter und füllte es nochmals bis zum Rand. „Ach was. Frauenpower auf Sieg! Wozu sich mit solch einem Sturkopf belasten.“ „Gilt das Kopfschütteln dir oder ihm?“, verlangte mein Alter Ego spitzfindig zu wissen. Mit Weinglas und Zigarillo bewaffnet, die Beine lässig ausgestreckt, schaute ich den brennenden Holzscheiten in den Feuerschalen zu.
Nach der ausgepafften Stinkerei, Alexis stand weiterhin wie vor Anker am selben Fleck, betrat ich den Wohnsaal. „Komisch, anscheinend stehen in Herrschaftshäusern grundsätzlich Flügel herum, auf denen niemand spielt.“ Kurzerhand bestückte ich einen antiken Leuchter mit brennenden Kerzen und öffnete seinen Deckel. Die versuchsweise angeschlagenen Tasten bestätigten meinen Verdacht. Total verstimmt. Für die Reparatur reichte meine Restmagie gerade noch so.
Obwohl die orchestrale Fassung von Vivaldis „Vier Jahreszeiten“ eindeutig feinsinniger klang, fand ich deren Stimmungsschwankungen in diesem Augenblick perfekt passend. Doch mein Alter Ego hatte anscheinend eine Rechnung über ignorierte Einwürfe mit mir offen. Es blaffte: „Nur mal zur Erinnerung: Hier in Schottland sollte es um erholsamen Urlaub gehen. Irgendwo eine Spur davon?“ Wiederum stellte ich mich gegenüber dem Stinkstiefel taub. Obschon sein Gemotze auf den wunden Kernpunkt haute. Mit energischer Denkausschalte endlich in die Musik versunken, fand mein Kopf ein bisschen Frieden.
Wie lange mein Gastgeber bereits in der Terrassentür stand und lauschte, keine Ahnung. Doch offensichtlich entfaltete Musik bei ihm die gleiche Wirkung. Leise bat er nun, Clementis „Rondo“ für ihn zu spielen.
Kaum verklungen, glänzten seine weit in die Vergangenheit blickenden Augen eindeutig eine Spur zu feucht.
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