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Die Mohicaner von Paris

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XXXV
Suchet die Frau

Herr Jackal, als er die zwei jungen Leute in seinem Wagen aufnahm, fing damit an, daß er seine Brille emporhob und auf Jean Robert einen von den Blicken warf, die ihm den moralischen und den physischen Menschen offenbarten.

Nach einer Secunde fiel seine Brille wieder nieder, mochte er nun Jean Robert als einen Dichter, der, wie gesagt, schon den erstern Kreis der Popularität überschritten, erkannt haben, oder hatten die redlichen Linien im Gesichte des jungen Mannes genügt, um ihm anzuzeigen, es werde nie etwas für ihn auf dieser Seite zuthun sein.

»Ah!« sprach er, als er es sich in einer der aufgepolsterten Ecken seines Wagens bequem gemacht, welche Ecke er Salvator hatte abtreten wollen, was aber dieser beharrlich ausgeschlagen, »wir sagen also, es handle sich um eine Entführung?«

Herr Jackal nahm seine Tabaksdose, – eine reizende, zarte, feine Bonbonnière, welche einst Pastillen für die Pompadour oder die Dubarry enthalten mußte, – und schlürfte mit Wollust eine starke Prise Tabak.

»Nun, so erzählen Sie mir das.«

Jeder Mensch hat seine schwache Seite, seine schlecht in den Stix getauchte Ferse, seinen verwundbaren Punkt.

Herr Jackal hatte den seinigen, und wir haben es – ein ungetreuer Geschichtschreiber, – unterlassen, desselben zu erwähnen.

Herr Jackal konnte das Essen, das Trinken, das Schlafen entbehren, doch er konnte das Schnupfen nicht entbehren.

Seine Tabatière und sein Tabak waren für ihn unerläßliche Dinge.

Man hätte glauben sollen, aus seiner Tabaksdose schöpfe er die zahllose Serie geistreicher Gedanken, durch deren augenblickliche und unablässige Produktion er seine Zeitgenossen in Erstaunen setzte.

Er schlürfte also seine Prise und sagte: »Nun, so erzählen Sie das.«

Was er zum zweiten Male hören sollte, hatte Herr Jackal schon ein erstes Mal gehört, doch schlecht, zwischen zwei Thüren, mit andern Ideen beschäftigt.

Es war für ihn Bedürfniß, die Sache noch einmal zu hören.

Diese zweite Anhörung änderte nichts in seinen Ansichten, obgleich die Erzählung mit den Einzelheiten vermehrt war, welche Salvator aus dem Munde der Brocante vernommen hatte.

»Und man hat die Frau nicht gesucht?« sagte er.

»Man hat nicht Zeit gehabt,« wir wissen die Sache erst seit sieben Uhr Morgens.«

»Teufel! sie werden das Zimmer umgekehrt und den Garten mit den Füßen zertreten haben.«

»Wer?«

»Ei! diese Dummköpfe!«

Unter diesen Dummköpfen verstand Herr Jackal die Vorsteherin der Pension, die Unterlehrerinnen, die Zöglinge.«

»Nein,« erwiderte Salvator, »es ist keine Gefahr.«

»Wie so?«

»Justin ist mit verhängten Zügeln auf dem Pferde dieses Herrn (Salvator deutete aus Jean Robert) nach Versailles geritten und wird sich als Schildwache vor die Thüre stellen.«

»Wenn er ankommt!«

»Wie, wenn er ankommt?«

»Kann ein Schulmeister reiten? Sie mußten mir das sagen, ich hätte Ihnen den Husaren gegeben.«

Der Husar war einer von den Leuten von Herrn Jackal, der sich durch seine Geschicklichkeit in der Reitkunst den eleganten und ausdrucksvollen Beinamen Husar erworben hatte.

»Ich habe ihm dieselbe Bemerkung gemacht,« versetzte Salvator, »doch er antwortete mir, als ein Pächterssohn sei er seit seiner Kindheit geritten.«

»Gut! Und wenn man nun die Frau findet, so wird Alles vortrefflich gehen.«

»Aber ich sehe keine Frau bei ihr, der man mißtrauen könnte,« entgegnete Salvator.

»Man muß der Frau immer mißtrauen.«

»Sind Sie nicht ein wenig absolut, Herr Jackal?«

»Sie sagen, ein junger Mann habe Ihre Mina entführt?«

»Meine Mina?« versetzte Salvator lächelnd.

»Die Mina des Schulmeisters, kurz die fragliche Mina.

»Ja; die Brocante, die sie Morgens um vier Uhr, wie ich Ihnen sagte, vorüberfahren sah, hat einen jungen Mann erkannt; sie behauptet sogar, er sei brünet gewesen.«

»Bei Nacht sind alle Katzen grau,« erwiderte Herr Jackal.

Und er schüttelte bei diesem Sprichworte den Kopf.

»Sie zweifeln?« fragte Salvator.

»Hören Sie . . . Mir scheint es nicht natürlich, daß ein junger Mann ein junges Mädchen entführt: das ist nicht mehr in unseren Sitten, wenn nicht etwas der junge Mann von einer großen, bei Hofe sehr mächtigen Familie ist, und im neunzehnten Jahrhundert gegen Lauzun und Richelieu abzustechen befürchtet; der Sohn eines Pair von Frankreich, der Neffe eines Cardinals oder-eines Erzbischofs . . . Die Greise verführen . . . – ich sage das für Sie, Herr Salvator, und besonders für diesen Herrn, der Stücke macht,« fügte der Polizeimann bei, indem er durch eine unmerkliche Bewegung mit dem Kopfe Jean Robert bezeichnete, »weil das Alter unmäßig und übersättigt ist; doch eine Entführung von Seiten eines jungen Mannes der die Schönheit und die Kraft hat, das ist ein monstruöses Verbrechen.«

»Es ist doch so.«

»Dann suchen wir die Frau! Offenbar ist eine Frau bei diesem Verbrechen betheiligt; in weichem Grade? das weiß ich nicht; doch eine Frau muß irgendeine Rolle bei dem Geheimnisvollen Drama spielen. Sie sagen, Sie sehen keine Frau bei ihr; ich, ich sehe dort nur Frauen Lehrerinnen, Unterlehrerinnen, Freundinnen aus der Pension, Kammerjungfern. Acht Sie wissen nicht, was das ist Pensionate, Sie naives Herz.«

Hier schlürfte Jackal eine zweite Prise.

»Sehen Sie, Herr Sltvator,« fuhr er fort, »alle diese Pensionate sind eben so viele Feuerherde, wo die fünfzehnjährigen Mädchen leben und sich zerarbeiten, den Salamandern ähnlich, von denen die alten Naturforscher sprechen. Ich, was mich betrifft, weiß Eines ganz wohl: hätte ich die Ehre, eine heirathsfähige Tochter zu besitzen, so würde ich sie eher in meinen Keller einsperren, als in eine Pension geben. Und Sie beiden keine Idee von den Klagen, die man im Bureau der Sitten über die Pensionate erhält, nicht als wären die Vorsteherinnen strafbar, doch die kleinen Mädchen sind immer verliebt: das ist die alte Fabel von Eva; Lehrerinnen, Unterlehrerinnen, Aufseherinnen sind beständig wach, wie Hunde um einen Pachthof oder die Leibwachen um den König. Doch wie soll man den Wolf verhindern, in den Schafstall einzudringen, wenn das Lamm selbst dem Wolfe die Thüre öffnet?«

»Das ist hier nicht der Fall: Mina betete Justin an.«

»Dann ist es eine Freundin, die das Geschäft gemacht hat; darum habe ich gesagt und ich wiederhole: ›Suhen wir die Frau!«

»Ich fange an mich Ihrer Meinung zu unterwerfen, Herr Jackal,« erwiderte Salvator, indem er die Stirne faltete, um seinen Geist zu zwingen, bei einem dunklen und verdächtigen Punkte stehen zu bleiben.

»Ei! gewiß,« fuhr der Polizeimann fort, »ich zweifle nicht an der Keuschheit Ihrer Mina . . . Wenn ich sage, Ihre Mina, so will ich sagen, die Mina Ihres Schulmeisters. Sie hat, dessen bin ich sicher, in die Pension eintretend keinen schlimmen Keim, um damit die Pflanzen zu verderben, die sie umgaben, mitgebracht; sorgfältig erzogen, konnte sie in sich nur die Schläge der Güte und der Unschuld tragen, die sie unter den Blicken ihrer Adovtivverwandten angehäuft hatte; doch wie viel schlechte Pflanzen verbreiten für eine reine Blume, die ihre Wohlgerüche gibt, ihre unheilvollen Dünste, mit denen, ihnen unbewußt, die Familie sie seit ihrer Kindheit vergiftet hat! Dsa Kind, das man für sorglos und leichtsinnig hält, vergißt nie etwas, Herr Salvator, erinnern Sie sich dessen wohl; derjenige, welcher mit zehn Jahren die unschuldigen Zauberstücke auf dem Theater den Ambingu-Comique oder der Gaieté hat geben sehen, wird, wenn es ein Knabe ist, mit fünfzehn Jahren die Lanze des Rittern verlangen, um die Riesen, die Verfolger und Hüter der Prinzessin seiner Wahl zu durchbohren; ist es eine weibliche Person, so wird sie sich vorstellen, sie sei diese von ihren Verwandten verfolgte Prinzessin, und sie wird, um sich mit dem Liebhaber, von dem man sie getrennt, wieder zu vereinigen, alle Mittel anwenden, die ihr der Zauberer Maugis oder die Fee Colibri enthüllt haben. Unsere Theather, unsere Museen, unsere Mauern, unsere Promenaden, Alles trägt dazu bei, in Herzen der Kinder tausend Neugierden zu erregen, die der erste der beste Vorübergehende auf eine Frage, in Ermangelung des Vaters und der Mutter, befriedigen wird; Alles trägt dazu bei, in ihm diesen Hunger, Alles kennen zu lernen, diesen Durst, Alles zu begreifen, der das Uebel des Kindes ist, entstehen zu machen und zu unterhalten; und die Mutter, welche ihrer Tochter nicht erklären kann, warum in die Kirche eintretend, ein schöner junger Mann Weihwasser einem Mädchen bot; warum an einem Sommertag ein Liebespaar sich auf dem Felde umarmte; warum man sich heirathet; warum der Eine in die Messe geht, während der Andere nicht dahin geht; die Mutter, die ihrer Tochter keines von den Mysterien enthüllen kann, die diese unbestimmt erschaut, schickt sie, erschrocken über ihre nach Maßgabe ihrer Jahre wachsende Neugierde. in ein Pensionat, wo sie von ihren älteren Schwestern diese die Gesundheit und die Tugend zerstörenden Geheimnisse lernt, welches sie sodann jüngeren Schwestern anvertraut. So mein lieber Herr Salvator, – ich sage Ihnen dies zu Ihrer Instruktion, wenn Sie je eine Frau nehmen, – so tritt, selbst wenn es aus der anständigsten, ehrbarsten Familie kommt, das Mädchen in das Pensionat den giftigen Samen, der später ein ganzes Feld vergiften soll, in sich tragend ein!«

.

»Aber,« fragte Salvator, während Jean Robert mit Erstaunen zuhörte, »aber es gibt ohne Zweifel ein Mittel hiergegen?«

»Ei! freilich gibt es ein Mittel hiergegen, wie gegen etwas Anderes; es gibt, bei Gott! für Alles ein Mittel! doch was wollen Sie? es ist eine Mauer stärker, höher, ausgebreiteter, als die von China umzureißen! Das ist die Gewohnheit, diese Geißel der Gesellschaften. So haben zum Beispiel seit einiger Zeit die jungen Leute eine traurige Gewohnheit angenommen, eine Gewohnheit, die um so trauriger, als es keine Mittel dagegen gibt.«

 

»Welche?«

»Das ist die, sich zu tödten. Ein junger Mann liebt ein Mädchen, das ihn nicht liebt; er nimmt sich nicht die Zeit, zu warten, daß es ihn liebe, und thötet sich! Ein Mädchen liebt einen jungen Manne der es nicht mehr liebte, und auf den es rechnete, daß er als Gatte die Uebelthaten des Liebhabers bedecke: es tödtet sich! Zwei junge Leute lieben sich und die Eltern erlauben nicht, das sie sich heirathen: sie tödten sich! Und wissen Sie, warum sie sich meistens tödten?«

»Ei! weil sie des Lebens müde sind,« erwiderte Jean Robert.

»Oh! Nein, mein Herr Dichter,« entgegnete der Polizeimann; »man ist nie des Lebens müde, und zum Beweise dient, daß man, je älter man wird, desto mehr daran hängt. Es gibt hundert Selbstmorde von jungen Leuten unter fünfundzwanzig Jahren gegen einen Selbstmord einen Greises über sechzig. Man tötet sich – es ist erbärmlich, dies sagen zu müssen! – der junge Mann, um seiner Geliebten einen Possen zu spielen, die Geliebte, um dem Liebhaber einen Possen zu spielen, der Liebhaber und die Geliebte, um den Eltern einen Possen zu spielen; ein erschrecklicher Possen, der, um ein Jahr, um sechs Monate, und acht Tages um eine Stunde verschoben, durch dies Liebe der Frau, durch die Rückkehr des jungen Mannes, durch die Einwilligung der Eltern unnötig geworden wäre. Früher war es nicht so: man kannte den Selbstmord nicht, oder man kannte ihn kannte das Mittelalter, das heißt ein Zeitraum von drei bis vier Jahrhunderten, zählt nicht zehn erwiesene Selbstmorde.

»Im Mittelalter,« bemerkte Jean Robert, »hatte man Klöster.«

»Vortrefflich! Sie haben den Nagel auf den Kopf getroffen, junger Mann. Man hatte eine große Trübsal, man fühlte einen großen Schmerz, man faßte einen Ekel gegen das Leben: der Mann wurde Mönch, die Frau Nonne: das war die Art, sich zu erschießen, sich zu ersticken, sich zu ertränken. Hören Sie, heute soll ich im Bas-Meudon den Selbstmord von Mademoiselle Carmelite und Herrn Colombau constatiren. Nun woh . . . «

Die zwei jungen Leute bebten.

»Verzeihen Sie,« sagten sie gleichzeitig, Herrn Jackal unterbrechend.

»Was?«

»War Mademoiselle Carmelite nicht eine Schülerin von Saint-Denis?« fragte Salvator.

»Ganz richtig.«

»War Herr Colombau nicht ein junger bretonischer Edelmann?« fragte Jean Robert.

»Gewiß.«

»Dann begreife ich den Brief, den diesen Morgen Fragola erhalten hat,« murmelte Salvator.

»Oh! armer Junge,« sagte Jean Robert, »ich habe seinen Namen von Ludovic nennen hören.«

»Das Mädchen war aber ein Engel!« sprach Salvator.

»Der junge Mann war aber ein Heiliger!« rief Jean Robert.

»Ei! Freilich,« erwiderte der alte Voltairianer, »darum sind sie zum Himmel aufgestiegen; die armen Kinder fanden sich auf der Erde nicht an ihrem Platze.«

Und er sprach diese Worte mit einer seltsamen Mischung von Spott und Rührung.

»Oh! mein Gott!« sagte Jean Robert, »der arme Ludovic wird in Verzweiflung sein.«

»Oh! mein Gott!« murmelte Salvator, »die arme Fragola wird sehr traurig sein.«

Doch sind Ursachen dieses Todes ein Geheimnis oder können Sie uns dieselben mitteilen?« fragte Jean Robert.

»Die Katastrophe in allen ihren Einzelheiten? Oh! mein Gott, ja; Sie werden nur die Namen zu ändern haben, um ein Gedicht oder einen Roman daraus zu machen; ich stehe Ihnen dafür, daß Stoff dazu vorhanden ist.«

Und während man vom Quai de la Conférence nach dem Pont de Sèvres fuhr, gab Herr Jackal den aufmerksamen jungen Leuten folgende Erzählung, welche indeß sie beim ersten Anblick ganz außerhalb der Ereignisse, die wir mitteilen, zu sein scheint, sich doch am Ende, ein wenig früher oder ein wenig später, mit ihnen verbinden wird.

Unsere Leser mögen sich also gedulden; wir sind erst beim Prologe des Buches, das wir schreiben, und wir müssen nothwendig unsern Personen ihre Stellung geben.

XXXVI
Wo bewiesen ist, daß man zufällig und einmal unter hundert gute Nachbarn treffen kann

Das 12. Arrondissement war im Jahre 1827 und ist noch heute das ärmste Arrondissement der Hauptstadt, wie man dies aus dem von der Administration der öffentlichen Unterstützung nach der letzten Zählung veröffentlichten numerischen Etat ersehen kann.

So ist im 1. Arrondissement die Zahl der dürftigen Bevölkerung 3.707 Individuen auf 112.740 Einwohner,während im 12. Arrondissement aus eine Bevölkerung von 95.243 die Zahl der Dürftigen 12.204 beträgt.

Bedenkt man, daß in diesem Arrondissement die größte Anzahl von Schuhflickern, Kutschern, Lumpensammlern, Trödlern, Wasserträgern, Lastträgern und Tagelöhnern aller Art wohnt, so wird man sehen, daß wir nicht übertreiben, wenn wir sagen, dieses Quartier sei heute noch das elendste.

Dieses Quartier bietet in der Vogelperspective eine beinahe viereckige Form; es ist abgetheilt in vier Quartiere, welche den Namen Quartier de l’Observatoire, Quartier Saint-Jacques, Quartier du Jardin des Planetes und Quartier Saint-Marcel führen.

Sowie wir in unserer Erzählung vorrücken, werden wir, da ein großer Theil der Ereignisse dieser Geschichte im 12. Arrondissement vorgehen soll, nach und nach unseren Lesern die Physiognomie dieser Quartiere zeigen.

Bemerken wir vor Allem: einer der pittoreskestien Theile ist der zwischen der Rue du Val-de-Grace und der Rue de la Bourbe begriffene des Quartier Saint-Jacques.

Steigt man die Rue Saint-Jacques von der Rue du Val-de-Grace zum Faubourg hinauf, so führen in der That alle Häuser der rechten Seite, alt, häßlich und schlecht gebaut, zu bezaubernden Gärten, wie sich kaum noch einige um gewisse aristokratische Hotels in Paris finden.

In ein zwischen den Nummern 330 und 350 der Rue Saint-Jacques liegendes Haus wollen wir unsern Leser geleiten, und Jeder, der an das Quartier Saint-Jacques denkend aus Gewohnheit sich die üblen Gerüche des Elends zu Gehirn steigen fühlt, wird, wie wir hoffen, entzückt sein, wenn er mit und den Duft der Rosen und Jasmine athmet, der durch die Fenster dieser bevorrechteten Wohnungen, welche auf einen wahren Lichtwinkel des irdischen Paradieses gehen, eindringt.

Die Facade des Hauses, das die Helden der von Herrn Jackal erzählten unglücklichen Geschichte, bewohnen, hatte jenen traurigen Ton, mit dem die Zeit und der Regen die alten Mauern von Paris überziehen.

Man trat in das Haus durch eine kleine, schmale Thüre ein, und man gelangte in einen selbst mitten am Tage finsteren Gang.

Derjenige, welcher zum ersten Male in diesen Gang gekommen wäre, würde ihn für den gefährlichen Weg zu der Werkstätte eines Falschmünzers gehalten haben; doch die letzte Schwelle überschreitend, hätte sich der Forscher sogleich in einer Art von Eden gesehen.

Aus dem Gange ausmündend, trat man in der That in einen Hof ein, der zu einen großen Garten führte; hier war man wahrhaft geblendet, da man ein kleines weißes Haus mit grünen Läden, die Seiten geschmückt mit emporrankenden Rosen, mit Gaisblatt und Waldreben, sah.«

Das Haus bestand aus einem Erdgeschoße und zwei Stockwerken, deren Fenster, vermöge der entzückenden, Lage des kleinen Gebäudes, alle auf den Garten gingen; diese drei Stockwerke, das Erdgeschoß einbegriffen, bildeten sechs Wohnungen, jede gleichmäßig auf drei Zimmern und einer Küche bestehend.

Vier von diesen Wohnungen, die zwei des Erdgeschosses und die des ersten Stockes, hatten Arbeiterfamilien inne, welche, nüchtern und geordnet, statt sich vor der Barrière zu betrinken wie ihre Werkstattkameraden, ihren Sonntag dem Anbau eines Gartenstückchens weihten, das die Zubehör ihrer bescheidenen Wohnung bildete.

Im zweiten Stocke wohnten auf demselben Boden, der eine rechts, die andere links, die zwei Hauptpersonen dieser Geschichte.

Derjenige, welcher die Zimmer links bewohnte, war ein junger Mann von zwanzig bis dreiundzwanzig Jahren, – ein hübscher Mensch mit treuherzigem Gesichte, mit hellblauen Augen und blonden Haaren, welche gerade auf seine viereckigen Schultern fielen. Er war eher klein, als groß von Wuchs; doch die Breite seiner Schultern bezeichnete bei ihm eine ungewöhnliche Stärke. Er war geboren in Quimper; es wäre aber eine unnütze Mühe gewesen, die Augen auf seinen Geburtsschein zuwerfen, um zu sehen, daß er Bretagner, so sehr trug sein Gesicht das Gepräge der Energie und der Redlichkeit der schönen gälischen Race an sich.

Sein Vater, ein armer alter Edelmann, der zurückgezogen in einem Thurme, dem letzten Ueberreste eines während der Kriege in der Vendee niedergerissenen Schlosses aus dem dreizehnten Jahrhundert, lebte, hatte ihn in Paris gelassen, wo er seine Erziehung gemacht, um die Rechte zu studieren. Bei seinem Austritte aus dem Collége hatte der junge Colombau von Penhoël seinen Aufenthalt in diesem Zimmer des erwähnten Hauses der Rue Saint-Jacques genommen, das er seit drei Jahren, das heißt seit 1823, um welche Zeit unsere Erzählung beginnt, bewohnte.

Sein Vater gab ihm jedes Jahr zwölfhundert Franken: der wackere Mann theilte so mit seinem Sohne Alles, was ihm von seinem Erbe blieb.

Die Wohnung von Colombau kostete diesen nur zweihundert Franken Miethzins jährliche; es blieben also dem jungen Manne tausend Franken, das heißt ein ganzes Vermögen für einen nüchternen, sparsamen, geordneten jungen Mann, wie er es war.

Wir täuschen uns, wenn wir sagen, es seien ihm tausend Franken jährlich geblieben; von den tausend Franken müssen wir die Miethe eines Klaviers, zehn Franken monatlich abziehen, der einzige Luxus, den sich Colombau erlaubte, ohne Zweifel, um nicht eines der politischen Axiome der alten Bretagner lügen zu machen, ein bis auf unsere Tage übergegangenes Axiom, das wie Augustin Thierry sagt, den Musiker neben den Ackerbauer und den Handwerksmann, als einen der drei Pfeiler der gesellschaftlichen Existenz, stellt.

Man war im Monat Januar des Jahren 1823. Colombau hatte sein drittes Jahr der Rechtsstudien begonnen; es schlug zehn Uhr in der Kirche Saint-Jacques-du-Haut-Pas.

Der junge Mann saß an der Ecke seines Kamins und war beschäftigt, den Codex Justinians zu studieren, als er plötzlich erschreckliches Weheklagen und Gestöhne hörte.

Er öffnete die Thüre des Ruheplatzes und sah an der mit der seinen parallelen Thüre ein bleiches Mädchen mit aufgelösten Haaren, das in Thränen zerfließend und die Hände ringend um Hilfe rief.

Die Wohnung der von Colombau gegenüber hatten ein junges Mädchen und seine Mutter inne; die Mutter war Witwe eines Kapitäns, der bei Champ Aubert im Feldzuge von 1814 getödtet worden, und lebte von einer Pension von zwölfhundert Franken und einigen Nadelarbeiten, die ihr die Weißzeughändlerinnen des Quartiers verschaffen.

Sie wohnte seit sechs Monaten allein hier, als eines Morgens Colombau, von der Rechtsschule zurückkehrend, auf Einem Ruheplatze ein schönes, großes Mädchen erblickte, das ihm völlig unbekannt war.

Colombau war von Natur wenig gesprächig, und erst ein Paar Tage nach dieser Erscheinung, die sich übrigens zwei oder dreimal wiederholt hatte, erfuhr er von einem seiner Nachbarn im Erdgeschosse, Mademoiselle Carmelite sei die Tochter von Madame Gerats, seiner Nachbarin; sie sei, als Tochter eines Ritters der Ehrenlegion, in der königlichen Anstalt von Saint-Denis erzogen worden, und da ihre Erziehung beendigt, so sei sie zurückgekommen, um bei ihrer Mutter zu leben.

Dieses Begegnen des jungen Mannes und des Mädchens hatte im Monat September 1822, zur Ferienzeit stattgefunden. Colombau hatte vierzehn Tage nachher Paris verlassen, um zwei Monate im Thurme von Penhoël zuzubringen, und von seiner Rückkehr im Monat November hatte er bis zum Januar 1823 nur selten Gelegenheit gehabt, das Mädchen zu sehen; man traf sich zuweilen auf der Treppe, die Milchbüchse in der Hand haltend; man grüßte sich artig, doch ohne ein Wort zu wechseln.

Das Mädchen war zu schüchtern; Colombau zu ehrfurchtsvoll.

Eines Tags aber, als der junge Mann frühzeitiger als gewöhnlich, sein tägliches Frühstück tragend, die Treppe hinaufstieg, begegnete er dem Mädchen, das, um ein paar Minuten im Verzug, hinabging, um das ihrige zu holen.

Sie hielt eröthend den jungen Mann an, der, nachdem er sie, nicht als Student, sondern als Edelmanm, – die erste Erziehung verliert sich nie, – gegrüßt hatte, weiter gehen wollte, und sagte zu ihm:

»Ich habe eine Bitte an Sie zu richten, mein Herr; meine Mutter und ich, wir lieben ungemein die Musik, und wir bringen gewöhnlich alle Abende sehr angenehm damit zu, daß wir Sie eine Stunde zum Klavier singen hören; seit drei Tagen aber ist meine Mutter sehr unpäßlich, und obgleich sie sich nicht beklagt hat, hat uns doch der Arzt, als er uns gestern Abend-besuchte, während Sie sangen, gesagt, das Getöse des Klaviers müsse sie ermüden.«

 

»Verzeihen Sie, mein Fräulein,« erwiderte der junge Mann, ebenfalls bis an die Augen erröthend, »ich wußte durchaus nichts von der Krankheit Ihrer Frau Mutter; glauben Sie mir, ich würde mir nie verzeihen, gespielt zu haben, hätte ich gewußt . . . «

»Oh! mein Gott! mein Herr,« versetzte das Mädchen, »ich bitte Sie um Verzeihung, daß ich Sie eines Vergnügens beraube, und ich danke Ihnen von ganzem Herzen, daß Sie sich diese Entbehrung um unseretwillen auflegen wollen.«

Die zwei jungen Leute grüßten sich, und sobald Colombau in seine Wohnung zurückkam, schloß er sein Klavier, um es nicht eher wieder zu öffnen, als bis Madame Gervais gesund wäre.

Nur begegnete er seit dieser Stunde dem Mädchen häufiger. Die Krankheit der Mutter verschlimmerte sich; jede Minute lief Carmelite vom Arzte zur Apetheke; mehrere Male hörte sie Colombau zu einer ziemlich weit vorgerückten Stunde der Nacht hinabgehen: wohl hätte er ihr seine Dienste anzubieten gewünscht, – und nie hätte ein beklagenswertheres Mädchen die Dienste eines redlicheren und uneigennützigeren Herzens empfangen; – doch Colombau war von einer Schüchternheit, welche seiner Redlichkeit gleichkam; die Form seines Anerbietens setzte ihn übrigens noch mehr in Verlegenheit, als das Anerbieten selbst, und erst als er das Mädchen so verezweiflungsvoll um Hilfe rufen hörte, wagte er es sich ihr zur Verfügung zu stellen.

»Leider war es zu späte nicht das Bedürfnis der Hilfe hatte das Mädchen veranlaßt, zu rufen, sondern die Angst, der Schrecken.

Madame Gervais, die das Bett seit vier Tagen nicht verließ, auf die ernste Drohung einer bis zu ihrem höchsten Grade gelangten Pulsadergeschwulst, – was Carmelite mitzutheilen der Arzt sich wohl gehütet hatte, – Madame Gervais, um eine Beklemmung zu bekämpfen, welche sie fast des Athems beraubte, verlangte ein Glas Wassers Carmelite, die es ihr nicht nur geben wollte, ging ins Nebenzimmer, um den Trank zu bereiten; eine Art von Seufzer, der einem Rufe glich, machte, daß sie sich beeilte. Sie ging wieder hinein und fand ihre Mutter den Kopf zurückgeworfen; sie schob den Arm unter ihrem Halse durch und hob ihr den Kopf auf: die arme Frau schaute, ihr Kind auf eine seltsame Weise an; sie konnte Nicht sprechen, wie es schien, doch Ihre ganze Seele war in ihre Augen übergegangen. Bestürzt, zitternd, und dennoch stark, gerade durch ihren Schrecken, hob Carmelite fortwährend den Kopf ihrer Mutter empor, und hielt das Glas an ihre Lippen. Doch in dem Augenblicke, wo die Lippen und das Glas sich berühren sollten, gab Madame Gervais einen tiefen, gedehnten schmerzlichen Seufzer von sich; dann drückte ihr Kopf mit seiner ganzen Last auf den Arm ihrer Tochter und fiel mit ihm auf das Kissen.

Das Mädchen machte eine Anstrengung, hob den Kopf zum zweiten Male auf, schob das Glas zwischen die Lippen von Madame Gervais und sagte:

»Trink doch, Mutter.«

Doch die Zähne waren an einander gepreßt, und die Kranke antwortete nicht. Carmelite lüpfte den Fuß des Glases. Das Wasser floß auf beiden Seiten der Lippen herab, drang aber nicht in den Mund ein.

Die Augen der Kranken blieben übermäßig geöffnet und schienen sich nicht von ihrer Tochter abwenden zu können.

Carmelite fühlte den Schweiß aus ihrer Stirne perlen.

Diese großen, weit geöffneten Augen gaben ihr indessen Muth.

»Aber trink doch, Mütterchen!« wiederholte sie.

Die Kranke antwortete dies Mal ebenso wenig als das erste Mal. Da schien es Carmelite, der Hals, den sie mit ihrem Arme unterstützte;. vereise sich rasch, und diese Todeskälte ergriff auch sie. Erschrocken, ließ sie den Kopf ihrer Mutter auf das Kissen fallen, stellte das Glas auf den Tisch, warf sich auf den Leib ihrer Mutter, umschlang sie mit ihren Armen, bedeckte ihr Gesicht mit Küssen und richtete sich wieder aufs um, sie mit Augen fast so starr als die der Kranken anzuschauen. Da erst hatte die Unglückliche, der es nie eingefallen, das einzige Wesen, das sie auf der Welt besaß und liebte, könnte sterben, eine entsetzliche Ahnung! und dennoch konnte sie, die ihre Mutter erst einen Augenblick vorher hatte sprechen hören, nicht glauben, der Uebergang vom Leben zum Tode ohne eine heftige Erschütterung. ohne Geräusch, ohne Geschrei sei etwas Mögliches; sie drückte ihre Lippen auf die Stirne ihrer Mutter; doch ihre fieberglühenden Lippen wurden von einer entsetzlichen Empfindung durchschauert, als sie diese Marmorstirne berührten.

Sie wich drei Schritte zurück, erschrocken, aber nicht überzeugt.

Der Kopf war leicht auf die Seite des Zimmers gewendet niedergefallen; so daß die starren großen Auen fortwährend Carmelite mit einem Ueberreste mütterlichen Ausdrucks anschauten; aber diese Augen, statt ihr die Ruhe zu geben, singen an sie zu ängstigen.

Verwirrt, nach rechts und nach links schauend, doch immer wieder die Augen auf diese erschrecklichen Augen heftend, rief sie mit aller Gewalt ihrer Lunge:

»Mutter! Mutter! so sprich doch! antworte mir doch, Mutter! oder ich glaube, daß Du todt bist . . . daß Du todt bist!« wiederholte sie, indem sie voll Bangigkeit näher hinzutrat.

Doch vor der leichenartigen Unbeweglichkeit dieses Körpers blieb sie selbst unbeweglich, nachdem sie einen Schritt versucht. Sie rief fortwährend ihrer Mutter mit herzzerreißenden Schreien, aber ohne daß sie sie anzurühren wagte; und müde, keine Antwort erhalten zu können, verlassen vom Muthe, länger in diesem Zimmer unter dem Blicke dieser gespenstischen Augen zu bleiben, Alles befürchtend, doch über Nichts sicher, öffnete sie die Thüre der Wohnung und fing an um Hilfe zu rufen.

Colombau trat auf diesen Ruf aus seinem Zimmer und erblickte wie gesagt, das Mädchen mit aufgelösten Haaren, in Thränen gebadet und die Hände ringend.

»Mein Herr! mein Herr!« sagte sie, »meine Mutter schaut mich an, doch sie antwortet mir nicht!«

»Sie ist wahrscheinlich vor Schwäche ohnmächtig,« erwiderte der junge Mann, da er auch entfernt nicht an den Tod glaubte.

Und er trat in das Schlafzimmer ein.

Er bebte, als er diesen Körper erblickte, der gewisser Maßen das ansehen einer Leiche angenommen hatte: das Gesicht war hypokratisch; die Glieder waren starrt die Hand, an deren Gelenk er die Schläge des Pulses suchte, war kalt wie Marmor!

Er erinnerte sich, als ein fünfzehnjähriger Knabe seine Mutter, die edle Gräfin den Penhoël, auf ihrem Paradebette ausgestreckt gesehen zu haben, und er erkannte auf der Stirne des Leichnams, den er zu dieser Stunde vor Augen hatte, die bläulichen Tinten des Todes.

»Nun, mein Herr? . . . nun?« fragte schluchzend Carmelite.

Der junge Mann gab sich den Anschein, als glaubte er beständig an eine Ohnmacht, um allmählich das Mädchen auf den Schlag, der es treffen sollte, vorzubereiten.

»Oh!« erwiderte er, »Ihre Mutter ist sehr schlimm, armes Kind.«

»Warum antwortet sie mir aber nicht, mein Herr? warum antwortet sie mir nicht?«

»Nähern Sie sich, mein Fräulein,« sagte Colombau.

»Ich wage es nicht . . . ich wage es nicht . . . Warum schaut sie mich so an? was verlangt sie denn von mir? . . . was will sie denn, daß sie mich so anschaut?«

»Sie verlangt, daß Sie ihr die Augen schließen, mein Fräulein, sie verlangt, daß wir für die Ruhe ihrer Seele beten!«

»Sie ist aber nicht todt, nicht war?« rief das Mädchen.

»Knieen Sie nieder, mein Fräulein!« sprach Colombau, indem er ihr das Beispiel gab.

»Was sagen Sie, mein Herr?«

»Ich sage, mein Fräulein: Gott, der uns das Leben gegeben, hat das Recht, es uns wieder zu nehmen, wenn es ihm beliebt.«

»Oh!« rief Carmelite, wie vom Blitze getroffen; »oh! ich sehe, ich sehe . . . meine Mutter ist todt!«

Und sie fiel rückwärts, als ob sie selbst sterben sollte.

Der junge Mann empfing sie in seinen Armen und trug sie ohnmächtig auf ihr Bett, das im anstoßenden Zimmer war.

Auf die von dem Mädchen ausgestoßenen Schreie, auf den Lärmen, den die so eben von uns erzählte Scene gemacht, kam die Frau von einem der Arbeiter des ersten Stockes mit einer ihrer Freundinnen, welche in diesem Augenblicke bei ihr war, herauf.

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