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Die Mohicaner von Paris

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XVII
Die Kette des guten Gottes

Die Kleine, die sie so zu ihrem Erstaunen erblickten, und vor der sie stehen blieben, vergebens umherchauend, um den Vater oder die Mutter zu suchen. trug ein weißes Kleid, das um ihren Leib von einem blauen Bande umschlossen war.

Sie war blond und rosig, und so mitten unter den schon gelben Aehreth den Kornblumen und den Klapperrosen liegend, welche um sie her stehend, wie eine Wiege über ihrem Kopfe bildeten, hatte sie das, Ansehen einer kleinen Heiligen in ihrer Nische oder einer Taube in ihrem Neste.

Ihre mit blauen Stiefelchen bekleideten Füße hingen am Rande des Grabens der Straße mit einen Nachläßigkeit herab, die eine tiefe Ermattung bei dem armen Kinde bezeichnete.

Man hätte glauben sollen, es sei die Fee der Ernte, welche ausruhe von den Anstrengungen des Tages während, der milden Wache des Mondes, der er seine himmlische Bahn durchlaufend mit Liebe anschaue.

Ihr Athem, obgleich ein wenig gepreßt, war sanft wie der sanfteste Ostwind, und unter diesem reinen Hauche schaukelte sich mit Coquetterie der bewegliche Halmschmuck des Korns.

Die zwei Freunde würden die Nacht mit dem Anschauen diesen anbetungswürdigen schlafenden Kindes zugebracht haben, ein solches Entzücken bereitete ihnen diesen frische blonde Köpfchen; als bald aber wurden sie ihrer Beschauung durch die Besorgniß entzogen die ihnen der Gedanke an die Gefahren einflößte, denen in seiner Vereinzelung dieses reizende kleine Wesen preisgegeben War.

Welche Frau war denn seine Mutter, die man der vergebens mit den Augen suchte, und warum ließ sie mitten im Felde, in der Nacht, dem Winde und der Feuchtigkeit ausgesetzt, diesen so schwächlichen und so zarten Körper liegen.

Die arme Kleine mußte schon lange da sein; ihr Schlaf bezeugte es. Die zwei Freunde, welche mitten in ihrem Marsche stehen zu bleiben pflegten, so oft ein streitiger Punkt ihnen schwer festzustellen schien, die zwei Freunde waren ein paar Schritte von da stille gestanden; hier hatten sie ungefähr eine Viertelstunde über folgenden Punkt discutirt, der in der That wohl aufgeklärt zu werden verdiente aber dennoch in der Dunkelheit geblieben war:

»Entlehnt die Schönheit des Gesichts etwas von der Schönheit der Seele oder entlehnt sie nichts?

Und die zwei Freunde hatten während dieser Viertelstunde weder Jemand gesehen, noch gehört.

Wo war denn nur die Mutter dieser Kleinen?

Müde von einem langen Spaziergang, – die Stiefelchen der Kleinen waren mit Staub bedeckt – ruhten übrigens die Eltern der Kleinen vielleicht irgendwo in der Nachbarschaft im Korne.

Justin und Herr Müller hatten schon umhergeschaut, jedoch vergebens; Sie waren so sehr überzeugt, die Mutter der Kleinen könne nicht weiter von ihr entfernt sein, als es eine Grasmücke von ihrem Neste sein kann, daß sie abermals schauten.

Nichts!

Endlich entschlossen sie sich die Kleine zu wecken.

Sie öffnete ein Paar große, azurblaue Augen.

Es war, als sähe man zwei lebendige Kornblumen.

Sie schaute die zwei Männer ohne Schrecken, fast ohne Erstaunen an.

»Was machst Du denn da mein Kind?« fragte Herr Müller.

»Ich ruhe aus« erwiderte die Kleine.

»Wie Du ruhst aus?« riefen gleichzeitig die zwei Männer.

»Ja, ich war sehr müde, konnte nicht mehr gehen, legte mich nieder und bin eingeschlafen.«

Der erste Schrei dieses durch zwei Fremde aufgeweckten Kindes war also nicht, daß es seine Mutter rief!

»Da sagst Du seist müde gewesen, meine Kleine?« wiederholte Herr Müller

»Oh! ja, mein Herr!« erwiderte das Kind, während es seinen Kopf schüttelte, um die blonden Locken seiner Haare wieder an ihren Platz zu bringen.

»Du Hast Also einen weiten Weg gemacht?« fragte der Schulmeister.

»Ja; sehr weit.«

»Wo sind denn Deine Eltern?« sagte der alte Professor.

»Meine Eltern?« erwiderte die Kleine, indem sie sich aufsetzte und die zwei Fremden mit einer Verwunderung anschaute, als hätten sie von Dingen einer unbekannten Welt mit ihr gesprochen.

»Ja, Deine Eltern,« wiederholte Justin mit sanftem Tone.

»Ich habe keine Eltern,« sprach einfach das Mädchen mit demselben Tone, als ab es gesagt hätte: »Ich weiß nicht, wovon Sie reden.«

Die zwei Freunde schauten sich gegenseitig mit Erstaunen an, und schauten dann die Kleine mitleidig an.

»Wie, Du hast keine Eltern?« fragte der Professor.

»Nein, mein Herr«

»Wo ist denn Dein Vater?«

»Ich habe keinen.«

»Deine Mutter?«

»Ich habe keine.«

»Wer hat Dich denn aufgezogen?«

»Meine Amme.«

»Wo ist sie?«

»In der Erde.«

Und die Kleine, indem sie diese Worte sprach, zerfloß in Thränen, jedoch ohne einen Schrei von sich zu geben.

Die zwei Freunde wandten sich gerührt jeder auf eine Seite um, um vor einander zu verbergen, daß sie weinten.

Die Kleine blieb unbeweglich und schien neue Fragen zu erwartet.

»Wie kommt es, daß Du ganz allein hier bist?« fragte Herr Müller nach einer Pause von einem Augenblick.

Sie wischte nun ihre Augen mit dem Rücken ihres Händchens ab; ihre, um wie der Kelch einer Blume den Thau ihrer Thränen zu empfangen, vorwärts gerundete Unterlippe schloß sich wieder und nahm wieder ihren Platz ein.

Dann antwortete sie mit zitternder Stimme:

»Ich komme vom Lande.«

»Von welchem Lande?«

»Von der Bouille.«

»Bei Rouen?« fragte Justin mit Freude, als wäre er, der selbst aus der Gegend von Rouen, entzückt gewesen, der Landsmann dieses schönen Kindes zu sein.

»Ja, mein Herr,« antwortete das Mädchen.

In der That, das war ein frisches Kind der Normandie mit prallen. fleischigen Backen, ein Mädchen weiß und rosenfarbig, ein wahres blühendes Apfelbäumchen.

»Wer hat Dich denn aber hierher gebracht?« fragte der alte Meister.

»Ich bin allein gekommen.«

»Zu Fuße?«

»Nein, im Wagen bis Paris.«

»Wie, bis Paris?«

»Ja, und zu Fuße von Paris bis hierher.«

»Und wohin gingst Du?«

»Ich ging in eine Vorstadt von Paris. in den Faubourg Saint-Jacques wie sie es nennen.«

»Und was wolltest Du dort machen?«

»Ich wollte dem Bruder meiner Amme einen Brief von unserem Pfarrer bringen.«

»Damit der Bruder Deiner Amme Dich bei sich aufnehme, ohne Zweifel?«

»Ja, mein Herr.«

»Wie kommt es nun, mein Kind, daß Du Dich hier befindest?«

»Weil die Diligence zu spät angekommen ist, wie man gesagt hat. – so daß Jedermann in der Vorstadt über Nacht blieb. Da sah ich die Barrière, ich dachte es müssen Felder in der Nähe sein, suchte und fand dieses.«

»Somit warst Du hier in Erwartung des Morgens, um Dich zu der Person zu begeben, der Du empfohlen bist?«

»Ist Will Herr, so ist es: ich wollte den Tag erwartend wachen, doch ich bin zwei Nächte in kein Bett gekommen: ich war müde, streckte mich unwillkürlich auf der Erde aus, und sobald ich lag, entschlief ich.«

»Du hast keine Angst, daß Du so in freier Luft liegst?«

»Wovor soll ich Angst haben? fragte das Mädchen mit dem stolzen Vertrauen der Blinden und der Kinder, die, da sie nichts sehen, nichts zu fürchten vermöchten.

»Aber,« versetzte Herr Müller, erstaunt über den offenen Verstand, mit dem alle diese Antworten gegeben wurden, »fürchtest Du nicht wenigstens die Feuchtigkeit, die Kälte?«

»Oh!« erwiderte sie, »schlafen die Bügel und die Blumen nicht in den Feldern?«

So viel naive Vernunft in einem Kinde von diesem Alter, so viel Anmuth, so viel Elend bewegten tief das Herz der zwei Freunde.

Es war die Vorsehung selbst, welche dieses Kind hierher gebracht, um Justin dadurch zu trösten, daß sie ihm zeigte, es gebe unter dem gestirnten Himmelsgewölbe Geschöpfe, welche noch mehr enterbt als er.

Sie brauchten nicht mit einander zu berathen, um über den Entschluß, der zu fassen wäre, überein zu kommen; Beide boten gleichzeitig der Kleinen an, sie mitzunehmen.

Doch sie schlug es aus.

»Ich danke! meine guten Herren,« sagte sie, »nicht für Sie habe ich einen Brief.«

»Gleichviel,« versetzte Justin,»komm immerhin bis morgen, und morgen wirst Du, wenn Du willst, zum Bruder Deiner Amme gehen.«

Und der junge Mann bot zu gleicher Zelt die Hand der Waise, um ihr über den Graben springen zu helfen.

Doch sie weigerte sich aufs Neue und sagte. indem sie nach dem Monde, dieser Uhr der Armen schaute:

»Es ist ungefähr Mitternacht, der Tag wird in drei Stunden kommen; es ist nicht der Mühe werth, daß ich Sie belästige.«

»Ich versichere Dich, daß Du uns nicht belästigst.« versetzte Justin, der immer die Hand gegen sie ausgestreckt hielt.

»Und dann, fügte der Professor bei, »wenn eine Abtheilung Gendarmen vorbeikäme, würdest Du verhaftet.«

»Warum sollte man mich verhaften?« entgegnete das Mädchen mit der Logik der Kindheit, welche oft die geschicktesten Advokaten in Verlegenheit setzt. »Ich habe Niemand etwas Böses gethan.«

»Man würde Dich verhaften, mein Kind,« sagte Justin, »weil man Dich für eines von den schlimmen Kindern halten könnte, die man Vagabunden nennt und bei Nacht verhaftet . . . Komm also!«

Justin hatte aber nicht nötig: »Komm also!« zu sagen. Sobald sie das Wort Vagabund hörte, sprang die Kleine über den Graben, Faltete die Hände und sprach mit flehender Stimme:

»Oh! nehmen Sie mich mit, meine guten Herren! nehmen Sie mich mit!«

»Gewiß, mein schönes Kind, nehmen wir Dich mit,« erwiderte der Professor; »gewiß nehmen wir Dich mit.«

»Wohl! wohl!« rief Justin. »So komm geschwinde; ich will Dich zu meiner Mutter und zu meiner Schwester führen; sie sind Beide sehr gut; sie werden Dir Abendbrod geben und Dich dann in ein warmes Bett legen. Du hast vielleicht lange nicht gegessen??

»Ich habe seit heute Morgen nicht gegessen.«

 

»Ach! die arme Kleine!« rief mit eben so viel Entsetzen als Liebfreundlichkeit der Professor, dessen vier Mahle täglich mathematisch geregelt waren.

Die Kleine täuschte sich im Sinne des zugleich egoistischen und mitleidigen Ausrufs des guten Müller; sie glaubte, man klage den Pfarrer; der sie in die Diligence gebracht, an, daß er es ihr an Proviant habe fehlen lassen; sie beeilte sich daher, ihn zu rechtfertigen, und sagte:

»Oh! das ist meine Schuld; ich hatte Brod und Kirschen, doch das Herz war mir so schwer, daß ich nicht essen konnte. Und sehen Sie,« fügte sie bei, indem sie ein in ihrer Nähe im Getreide verborgenes Körbchen, in welchem sich wirklich ein wenig verwelkte Kirschen und ein wenig ausgetrocknetes Brod fanden, an sich zog, »hier ist der Beweis.«

»Du mußt zu müde sein, um gehen zu können,« sprach Justin zu dem Kinde. »ich will Dich tragen.«

»Oh! nein,« erwiderte muthig die Kleine, »ich würde noch eine Meile zu Fuße machen«

Die zwei Freunde wollten es nicht glauben, und trotz der wiederholten Weigerungen des Kindes streckten sie ihre Arme kreuzweise gelegt aus, verketteten sich durch die Hände, und nachdem die Kleine jeden ihrer Arme um den Hals von einem der Freunde geschlungen hatte, hoben sie sie bis zur Höhe ihres Gürtels auf und schickten sich an, sie auf diesem Palankin von Menschenfleisch wegzutragen, den die Kinder mit dem ausdrucksvollen Namen Kette des guten Gottes bezeichnen.

Doch in dem Augenblick, wo sie sich auf den Weg begeben wollten, hielt sie die Kleine zurück.

»Mein Gott,« sagte sie. »ich habe also den Kopf verloren?«

»Was gibt es, mein Kind?« fragte mit Theilnahme Justin.

»Ich habe den Brief unseres Pfarrers vergessen.«

»Wo ist er?«

»In meinem Päckchen.«

»Und wo ist Dein Päckchen?«

»Dort, im Getreide, beidem Platze, wo ich mit meinem Kornblumenkranze lag.«

Und sie entschlüpfte ihren Armen, sprang über den Graben, ergriff ihr in eine Serviette gewickeltes Päckchen und ihren Blumenkranz, setzte mit einer außerordentlichen Behendigkeit abermals über den Graben, und nahm wieder ihren Platz auf den Händen der zwei Freunde, die sich alsbald nach der Barrière wandten, welche man auf zwei bis dreihundert Schritte erblickte.

XVIII
Ο άγγελος

Die Art, wie die kleine Waise ihr Päckchen hielt beengte im Athmen den alten Professor, an dessen Brust sie es drückte.«

Er hieß sie das Päckchen an das Knopfloch seines Ueberrocks hängen.

Es blieben noch das Kirschenkörbchen und der Kornblumenkranz, den die Arme geflochten hatte in Erwartung des Tags, welchen zu erwarten der Schlaf ihr jedoch nicht die Zeit gegeben.

Sie behielt ihn ohne Zweifel instinktartig als das blühende Andenken an ihre erste Stunde der Einsamkeit in dieser Welt.

Justin verstand es wenigstens so; denn in dem Augenblick, wo die Kleine, wahrnehmend, daß die Blumen ihres Kranzes die Wange des jungen Mannes streiften, eine Bewegung machte, um ihn wegzuwerfen, wobei sie immer ihre Gefährten anschaute, als wollte sie dieselben um Rath fragen, – nahm Justin, dessen Hände beschäftigt waren, den Kranz zwischen seine Zähne, setzte ihn dem hübschen Mädchen auf den Kopf und ging weiter.

Sie war reizend so, die arme Kleine! die schwarzen Kleider der zwei Freunde hoben bewunderungswürdig die Weiße ihres Röckchens und die himmlische Reinheit ihres Gesichtes hervor; ihre Stirne besondere schien, vom Monde beleuchtet, zu strahlen wie die eines himmlischen Geschöpfes.

Man hätte glauben sollen, es sei die junge Schwester einer Druidin, welche im Triumphe nach dem heiligen Walde getragen werde.

Einen Augenblick unterbrochen. nahm das Gespräch wieder seinen Gang. Justin konnte nicht müde werden, den harmonischen Stimmton des Kindes zu hören.

Er fing also wieder an zu fragen.

»Und was ist das Gewerbe des Bruders Deiner Amme?« fragte er.

»Er ist Wagner«.

»Wagner?« wiederholte Justin mit der Miene eines Menschen, der ein Unglück vorhersieht.

»Ja, mein Herr««

»Im Faubourg Saint-Jacques?«

»Ja, mein Herr.«

»Ich kannte aber nur einen Wagner in No. 111.«

»Ich glaube dieser ist es.«

Justin vollendete nicht; ungefähr ein Jahr vorher war die Wagnerwerkstätte plötzlich geschlossen und sodann, von einem Schlosser bewohnt, wieder geöffnet worden. Justin wollte nichts sagen, was das Mädchen beunruhigen konnte, ehe er selbst sicher wäre, daß seine Besorgnis begründet.

»Ah! ja, ja,« sprach das Mädchen, »ich sage sogar nicht einmal mehr, ich glaube, daß dieser es ist: ich weiß es gewiß.«

»Wie, Du weißt es gewiß mein Kind?«

»Ja . . . ich habe mehrere Male die Adresse gelesen, man hatte mich ermahnt, sie auswendig zu lernen für den Fall, daß ich den Brief verlieren würde.«

Und Du erinnerst Dich des Namens, der auf der Adresse stand?«

»Gewiß . . . Es war: ›An Herrn Durier . . . ‹

Die zwei Freunde schauten sich an, doch ohne zu antworten.

Da es sich einbildete, ihr Stillschweigen rühre von dem geringen Vertrauen her, das e seinen Worten schenkten, so fügte das Kind mit einer Bewegung des Stolzes bei:

»Oh! ich kann schon lange lesen.«

»Ich bezweifle es nicht,« erwiderte ernst der alte Professor.

»Und was gedachtest Du bei dem Bruder Deiner Amme zu thun?«

»Ich gedachte zu arbeiten.«

»Was?«

»Was man will . . . ich kann vielerlei.«

»Unter Anderem?«

»Ich kann nähen, bügeln, Hauben ausputzen, sticken Spitzen machen.«

Je mehr die zwei Freunde die Kleine zum Sprechen veranlaßten, desto mehr neue Eigenschaften entdeckten sie an ihr, und desto mehr Zuneigung faßten sie für sie.

Sie wußten bald ihre ganze kleine Geschichte; sie war in ein gewisses Geheimnis gehüllt.

In einer Nacht hielt ein Wagen beider Bouille an; das war im Jahre 1812; es stieg ein Mann aus der in seinen Armen eine Last trug, deren Form sich unmöglich unterscheiden ließ.

Vor der Thüre eines einsamen, am Ende des Dorfes liegenden Häuschens angelangt, zog er einen Schlüssel aus seiner Tasche, öffnete die Thüre, ging in der Finsternis hinein, und legte die Last auf das Bett, eine Börse und einen Brief auf den Tisch.

Dann schloß er die Thüre wieder, stieg in seinen Wagen und fuhr weiter.

Eine Stunde nachher blieb eine gute Frau, welche vom Markte von Rouen kam, vor demselben Hause stehen, zog ebenfalls einen Schlüssel aus der Tasche, öffnete die Thüre und hörte zu ihrem großen Erstaunen. als sie die Thüre kaum geöffnet, das Schreien eines Kindes.

Sie zündete eiligst die Lampe an und sah etwas Weißes, das sich beständig schreiend auf ihrem Bette zerarbeitete.

Dieses weiße Etwas, das auf ihrem Bette schrie und sich zerarbeitete, war ein einjähriges kleines, Mädchen.

Da schaute die gute Frau, immer mehr erstaunt umher und erblickte auf dem Tische den Brief und die Börse.

Sie öffnete den Brief und las mit großer Mühe – denn sie las nicht sehr geläufig, – folgende Zeilen.

»Frau Boivin, man weiß, daß Ihr ein gutes und redliches Weib seid. und dies bestimmt einen Vater, der Frankreich zu verlassen im Begriffe ist, Euch sein Kind anzuvertrauen.

»Ihr findet zwölfhundert Franken in der auf Eurem Tische liegenden Böse; das ist das Kostgeld für das erste Jahr, welches Euch vorausbezahlt wird.

»Vom 28. October des nächsten Jahres, dem Jahrestage von heute, erhaltet Ihr durch die Vermittlung des Pfarrers der Bouille hundert Franken monatlich.

»Gebt dem Kinde die beste Erziehung, die Ihr ihm geben könnt, und besonders die einer guten Hausfrau. Gott weiß, welche Prüfungen er ihr vorbehält.

»Ihr Taufname ist Mina; sie soll keinen andern führen, bis ich ihr den gegeben hab, welcher ihr gehört.

»28. October 1812.«

Frau Boivin las den Brief dreimal, um ihn recht zu verstehen; als sie ihn ganz begriffen hatte, schob sie ihn in die Tasche, nahm das Kind in ihre Arme, die Börse in ihre Hand, und lief zum Pfarrer, um ihn über das, was sie thun sollte, um Rath zu fragen.

Die Antwort des Pfarrers war nicht zweifelhaft: er gab der Mutter Boivin den Rath, das Kind, das ihr Gott vertraute, anzunehmen und mit der größtmöglichen Sorgfalt aufzuziehen.

Die Mutter Boivin ging also wieder mit der Börse, dem Kinde und dem Briefe nach Hause.

Das Kind wurde in die Wiege des zwei Jahre vorher gestorbenen Sohnes der Mutter Boivin gelegt; der Brief wurde in ein Portefeuille eingeschlossen, in welchem die brave Frau die Dienstetats ihres Mannes aufbewahrte, der, Sergent bei der alten Garbe, in diesem Augenblick den Rückzug aus Rußland zu machen beschäftigt war; die zwölfhundert Franken aber wurden in ein Versteck gelegt, dem die Mutter Boivin ihre Ersparnisse anvertraute.

Man hatte nichts mehr vom Sergenten Boivin gehört.

War er todt? war er Gefangener? Nie hatte die wackere Frau Nachricht von ihrem Manne erhalten.

Sieben Jahre lang war das Kostgeld des Kindes pünktlich bezahlt worden; seit drittehalb Jahren aber waren die Anweisungen zu ihrer Verfallzeit ganz ausgeblieben, was die gute Frau nicht abhielt, dieselbe Sorge für Mina zu tragen, die sie als ihre eigene Tochter betrachtete.

Vor acht Tagen war sie gestorben, sie hatte dem Pfarrer die Sorge für das Kind hinterlassen, es sollte zu einem Bruder, einem Wagner in Paris, geschickt werden, den sie lange nicht mehr gesehen, dessen Redlichkeit sie aber versicherte.

Dieser Bruder hieß Durier und wohnte im Erdgeschoße des Hauses Nr. 111. Faubourg Saint-Jacques in Paris.

Das war es, was das Mädchen erzählt hatte, und was die Freunde wußten, als sie in die Stube von Justin kamen.

Kehrte Justin spät nach Hause zurück, so fand er seine Schwester immer wachend und ihn erwartend.

Diesmal, wie immer, erwartete Céleste so hieß sie, ihren Bruder.

Sie öffnete die Thüre beim Geräusche der Tritte und hörte sich rufen.«

Sogleich ging sie hinab, und das Erste was sie sah, war die kleine Mina, die ihr Bruder ihr vorstellte.

Erstaunt über die Schönheit der Kleinen, küßte sie diese, ohne nur zu fragen. woher sie komme.

Dann hob sie das Mädchen von der Erde auf, nahm es in ihre Arme und trug es in aller Eile in das Zimmer ihrer Mutter.

»Die Mutter konnte das Kind nicht sehen; doch sie hatte, wie alle Blinde, Augen an den Fingerspitzen; sie berührte die Waise und überzeugte sich, daß sie schön war.

Man erzählte der Mutter die ganze Geschichte; Céleste hatte große Lust, diese Geschichte zu hören, doch man zeigte ihr das Kind, das vor Schlaf umfiel; Céleste mußte ihm also so rasch als möglich ein Bett in ihrem Zimmer aufschlagen.

Das war etwas Leichtes.

Man ging ins Erdgeschoß hinab, nahm dort die große Tafel, welche zu arithmetischen Erläuterungen diente, setzte sie auf vier Schemel, breitete eine Matratze aus, und Madame Corby nahm die Stirne des Kindes und legte ihre Hände darauf als einen dreifachen Segen der Mutter, der Blinden und der Hauswirthin, ein Segen, der der Kleinen Glück bringen sollte.

Diese legte sich zu Bette und versank, als sie sich kaum ausgestreckt hatte, in einen tiefen Schlaf.

Am andem Morgen, ehe seine Kinder in ihre Classe kamen, begab sich Justin zu einem der Nachbarn des ehemaligen Wagners, einem ihm bekannten wackern Köhler Namens Toussaint und fragte ihn, ob er ihm Auskunft über den Wagner geben könnte, der im Erdgeschoße des Hauses 111 vor dem Schlosser gewohnt habe, der jetzt dort wohne.

Justin traf es sehr gut.

Toussaint und Durier waren Freunde.

Durier hatte an der bekannten Verschwörung Nantès und Bérard Theil genommen, weiche die Einnahme des Fort von Vincennes bezweckte und so ein in ganz Frankreich durch das oberste Comité angezetteltes Complott zum Ausbruch bringen sollte, eine Verschwörung, welche durch die Entdeckungen von Bérard gescheitert war.

Er war in diese Sache durch einen Corsen Namens Sarranti hineingezogen worden, der ein großes Gewicht darauf legte, Durier zum Genossen zu haben, wegen der, zahlreichen Arbeiter, über die er verfügte.

Mitten in der Nacht nun, vor dem Tage, wo das Complott zum Ausbruche kommen sollte, hatte Toussaint heftig an die Thüre von Durier klopfen hören; er war an sein Fenster getreten und hatte den Fremden erkannt, der seit einiger Zeit die Werkstätten des Wagners besuchte.

Einen Augenblick nachher hatte er Beide weggehen und sich in aller Hast nach der Barrière wenden sehen.

Von diesem Tage an waren Durier und Sarranti nicht wieder erschienen.

Das war nicht die einzige Anklage, welche, nicht auf Durier, sondern auf dem Corsen gelastet hatte: Toussaint hatte durch Polizeiagenten, welche die Haussuchung bei Durier vorgenommen, erfahren, Sarranti sei überdies bezichtigt gewesen, er habe bei einem seiner Freunde eine beträchtliche Summe, etwa fünfzig bis siebzigtausend Franken, gestohlen.

 

Ohne Zweifel mittelst des Geldes, über das sie verfügen konnten, hatten sie rasch genug Havre erreicht, um sich Beide auf einem im Abgange begriffenen Indienfahrer einzuschiffen.

Seit jener Zeit hatte man weder den dem Einen, noch von dem Andern mehr etwas gehört.

Vielleicht, fügte Toussaint bei, könnte man Nachrichten über sie durch einen Sohn nun Sarranti erhalten, der Zögling in Saint-Sulpice-Seminar war. Doch begreiflicher Weise werde der Sohn mit aller Zurückhaltung auf Fragen antworten, die von einem Fremden an ihn gemacht werden, da ihn die schwere Anklage, welche auf seinem Vater laste, in Angst erhalten müsse.

Justin versuchte es, seine Nachforschungen weiter zu treiben, Toussaint wußte aber nicht mehr.

Der junge Mann kehrte nach Hause zurück, ohne es für geeignet zu erachten, einen Schritt bei Herrn Sarranti Sohn zu thun.

Auch war es ihm eben so lieb, daß der Wagner verschwunden und, da er verschwunden, nicht wieder erschien.

Er kehrte also, wie gesagt. nach Hause zurück und theilte, zum ersten Male Heuchler, seiner Mutter die schlimme Kunde mit.

»Deine schlimme Kunde ist im Gegentheil eine gute Kunde,« erwiderte Madame Corby, der ihr Sohn, das Evangelium lesend.« den Sinn des Wortes ό άγγελος – eine gute Kunde, weil es ein Engel Gottes ist, der sie uns schickt, – gelehrt hatte.

Und es war für alle Drei eine ungeheure Freude, die Hoffnung, das reizende Wesen im Hause zu behalten.

Sie schienen in der That zu der Periode des gemeinschaftlichen Lebens gekommen zu sein, wo man fühlt, groß, beständig sich von ihrer eigenen Substanz nährend, die innige Vertraulichkeit in Ermangelung von neuen Nahrungsmitteln abnimmt.

Sie fühlten, ihnen unbewußt, die gebieterische Nothwendigkeit sich alle Drei selbst zu erneuern.

Sie waren lange genug unter der Sindfluth in die heilige Arche eingeschlossen geblieben; die Taube kam und brachte den Oelzweig.

Man erfaßte also mit Entzücken den Gedanken das Kind bei sich zu behalten.

Und so willigte diese arme Familie, welche kaum das Nothwendige hatte, ein, sich für das Glück, dieses Kind zu besitzen, noch ärmer zu machen.

Ihrer Ansicht nach hieß mit diesem kleinen Wesen das Personal der Familie vermehren sich, indem man sich selbst ärmer machen würde, bereichern.

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