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Von Wachsziehern, fleißigen Bienen und Brandschäden


Vor allem die Weihnachtszeit ergibt eine Hochkonjunktur für den wichtigsten Schmuck, die Kerze, als romantische Lichtgeberin im Christbaum. Da haben für den biomäßig denkenden Kunden die Bienen und ihr Stoffwechsel viel zu tun, damit aus ihren Waben die duftenden Accessoires entstehen können. Andere Anlässe, ebenfalls überwiegend christlichen Ursprungs, wollen auch nicht auf natürlich brennendes Beleuchtungsmaterial verzichten. Nicht nur der traditionsbewusste Adventskranz sei hier erwähnt. Es sei da herausragend, schon wegen der Überlänge, die »Erste-heilige-Kommunionkerze« genannt. Zumeist besteht sie aus Stearin und kaum aus Bienenwachs, wegen der Preiswürdigkeit. Trotzdem ist sie unerlässlich für die Würde und die Feierlichkeit dieser Zeremonie eines jungen Nachwuchschristen. Für sogenannte Teelichter, die nachträglich zum Getränkewarmhalten erfunden wurden, benutzen die Hersteller das Paraffin, ebenso ein praktisches Brenngut. Zweckentfremdet findet man sie aber auch als sogenannte Hindenburglichter. Sie bilden den Grabschmuck an Allerheiligen und Weihnachten. Da leuchten sie recht kleinflammig, aber umso länger in die kalte Nacht hinein. Benannt wurde diese kümmerliche Leuchte, damals noch auf Talgbasis, nach dem Oberkommandierenden des völlig unnötigen, schlimmen Ersten Weltkrieges unserer Erde. Freilich waren die ausgemergelten Kriegsteilnehmer in den Schützengräben sogar froh um das bisschen warme Strahlen. Der Herr Hindenburg selbst war da zu seinem Glück weniger betroffen. Er musste ja auch die ganze Kriegsmisere über Jahre hin kommandieren.

Vermutlich aus Indien eingeschleppt, haben die Duftkerzen eine größere Berühmtheit auch bei uns erlangt. Vor allem die metaphysisch und transzendental ausgebildete Klangschalentherapeutin schwört Stein und Bein darauf, wegen der heilsamen Auswirkung solcher Schnuppergeräte. Um die Luft mit Kräuteressenzen aller Art zu schwängern sowie üble Gerüche, bedingt durch Blähungen, zu vertreiben, werden sie duftenderweise auch im weihnachtlichen Geschehen immer häufiger eingesetzt. Sie ergänzen sich hervorragend zu allem anderen Inventar und herrlichen Tand der traditionsreichen, üppig aufblühenden Festtage.

Wenn es um echte Qualität bei einer Kerze gehen soll, so muss sie gezogen werden. Das geschah damals, recht früh schon, von Hand. Vor allem im finsteren Mittelalter, denn zur Aufhellung waren sie dort sehr wichtig. Auch heute werden noch Kerzen gezogen. Allerdings maschinell, das erleichtert den Ablauf. Ein ewig langer Docht bis zu mehreren Hundert Metern, vielleicht sogar einem knappen Kilometer, wird so lange durch ein Bad aus flüssigem Wachs hindurchgezogen, bis der Oberwachszieher das Kommando durchgibt: »Halt, das genügt. Jetzt sind die Kerzen dick genug.« Diese werden dann, natürlich ebenfalls maschinell, Stück für Stück abgesägt. Das ist recht kompliziert, soll doch der Docht als wichtiger Bestandteil etwa drei bis vier Millimeter aus dem fertigen Stück herausragen. Je nachdem, wie lang das einzelne Teil werden soll, kann man auf alle Fälle jede Menge Kerzen erzeugen. So viel zur Technik dieser unabkömmlichen Leuchtkörper.

Aber die Wirklichkeit bei der Verwendung in der Praxis ist oft nicht ungefährlich. Erst neulich, als es wiederum weihnachtete, haben sich laut Presse erneut mehrere, ja sogar sehr zahlreiche Unfälle ereignet. Man unterschätzt eben immer wieder so eine Flamme, die eine Hitze von bis zu 1400 Grad Celsius erreichen kann. Unnötige, lange schmerzende Brandwunden sind die Folgen vom leichtsinnigen Umgang mit diesen nicht unscheinbaren offenen Flammen. Von Bränden, die dadurch auch gar nicht so selten eintreffen, kann so manche wachsame Feuerwehr in ihren Annalen stolz und ausführlich berichten. Das Löschen gelingt oft im letzten Augenblick gerade noch rechtzeitig, um den restlichen Schwelbrand in den Griff zu bekommen. Mit dem bekannten Slogan »Wasser marsch« ist glücklicherweise auch schon so mancher verdorrte Adventskranz, der seine Tannennadeln nur noch schwer halten konnte, eliminiert worden.

Die glaubhafte Überlieferung eines Sanitäters, bezüglich des soeben stattfindenden Weihnachtsevents – der zweite Feiertag, auch Stephanustag genannt, ist angebrochen – besagt es warnend. Der fleißige Helfer weiß um die häufige Dringlichkeit der Ablieferungen in die Krankenhausaufnahmestation am Heiligen Abend. Als einfühlsamer Zeuge erlebte er hautnah das Gejammer und die Leiden der verunglückten und verletzten Leute.

Bekümmert meint er aus fundierter Erfahrung heraus: »Grund für diese Schwemme von Verwundeten war leider hauptsächlich wieder einmal der Heilige Abend, wenn auch unschuldig.« Mitfühlend und vorsorglich stellt er überdies seine Warnung unentgeltlich in den Raum: »Leichtsinn ist ein schlechter Ratgeber, aber die Mutter vieler Unfälle, und diese lauern immer dort, wo sie nicht sein sollen.« Die Zeremonie der zahllosen, überwiegend offenen Flammen im Gezweig des Weihnachtsbaumes wird eben aus alter Gewohnheit nicht so schnell ersetzt werden. Manche wollen sie um jeden Preis aufrechterhalten.

»Praktische, auch nicht ganz hässliche Ersatzplastikteile mit künstlichen Kerzen müssen doch ebenfalls gern verkauft werden«, wird dazu ganz kundig im Einzelhandel verkündet. Weit ungefährlicher, wenn auch mit weniger Romantik beseelt, würde diese Tendenz, wenn sie denn wahr werden sollte, auch sicherer die hohe Festzeit überbrücken helfen.

Der erfahrene Sanitäter traurig: »Jaja, die Sicherheit wird oft leichtsinnig aufs Spiel gesetzt, geht es doch in erster Linie um leuchtende Kinderaugen im Angesicht brennend strahlender Edelwachskerzen. Dadurch wird auch die Bescherung viel heimeliger.«

Während der gute Mann und Helfer noch weiter über seine diesbezüglichen Erfahrungen bramarbasiert, erreicht ihn ein unvorhergesehener Handynotanruf. Es ist seine schwer aufgeregte Frau und Mutter sämtlicher drei Kinder, eines davon sogar von ihm selbst.

Soeben im Krankenhaus eingetroffen und dort eilig vom ältesten Sohn hingebracht, klagt sie ihr Leid durch den Äther: »Du glaubst es nicht! Während du im Dienste der Menschheit und als Sanitäter unterwegs bist, habe ich am Nachmittag noch schnell meine besten Freundinnen eingeladen. Zwei davon sind zur Weihnachtsüberraschung frisch geschieden, und die dritte hatte einen handfesten Nervenzusammenbruch, einen Börnaut sagt man da, glaube ich. Es war wegen der aufmüpfigen Kinder. Die Kleinste glaubt mit ihren vier Jahren schon längst nicht mehr an das Christkind, und die zwei älteren sind ausgebüxt wegen häuslicher Zwistigkeiten. Eine Polizeistreife hat sie aber Gott sei Dank unversehrt wieder zurückgebracht. Der nette Polizist hat nur gemeint, das wär nix Ungewöhnliches um diese Zeit. Aber dann noch der Clou: Ihr Tollpatsch von Mann hat wieder einmal den Vogel abgeschossen. Der Trottel hat sich beim Christbaumstehlen in den Fuß gehackt. Ein fröhliches Kaffeekränzchen sollte es werden. Es wurde nichts daraus. Nicht einmal zum Glühweintrinken sind wir noch gekommen. Schnell wollte ich nämlich noch die restlichen Kerzen anzünden, um eine feierliche Stimmung zu erzeugen. Dummerweise waren die vom Heiligabend her schon recht niedergebrannt. Und plötzlich stand eines der Zweiglein in Flammen. Die trockenen Tannennadeln haben schrecklich geknistert. Ich wollte schnell den Rest der Kerze löschen, bevor unser Haus abgebrannt wäre. Leider mit der Hand. Flüssiges Wachs tropfte herab. Noch dazu auf den Ärmel meiner neuen, teuren Bluse. Die mit den Spitzen. Du weißt schon. Die vom Weihnachtsabend, die du mir geschenkt hast. Jetzt ist sie hin.«

Der überraschte Ehemann erkundigt sich neugierig: »Und wie steht’s mit dir und der Hand sowie deinem Arm? Bist du schwer lädiert? Kannst du überhaupt heute Abend noch kochen, wenn meine Mutti zu Besuch kommt? Sonst müssen wir dummerweise noch den Pizzaservice kommen lassen. Das ist äußerst unangenehm. Du weißt, wie problematisch deine Schwiegermama werden kann!«

Da erst wird der guten Frau ihr Dilemma vollends bewusst. Der Schock bei solchen negativen Anlässen darf eben nicht unterschätzt werden. Im wahrsten Sinne des Wortes unangenehm betroffen, lamentiert sie: »In der Aufnahmestation musste ich drei Stunden wegen Überfüllung warten. Das hat saumäßig gebrannt. Die ganze Hand und mein rechter Arm stecken in einem dicken Verband. Verbrennungen dritten Grades. Der Herr Arzt sagte aber ungerührt: ›Sie sind nicht die Einzige mit weihnachtlichen Verbrennungen in diesen Tagen. Wir haben wieder Hochkonjunktur wie jedes Jahr um diese staade Zeit. Das Geschäft läuft enorm.‹« Nach einer kurzen Pause jammert die geschundene Ehefrau: »Eines sag ich dir gleich: Für die nächste Zeit müsst ihr euch selbst versorgen. Glücklicherweise kannst du mich aber in einer halben Stunde abholen. Und meine liebe Schwiegermutter darfst du auf den Mond schießen. Ihr habt ja genügend Raketen für Silvester gebunkert.«

Lauscha-Angriff mit Christbaumkugeln, anno domini



Das muntere Städtchen Lauscha, versteckt und abgelegen im Thüringer Wald, so heißt es glaubhaft überliefert, ist die Wiege der mundgeblasenen Christbaumkugeln und deren legitimer Nachfolger. Dort, wo der Rennsteig durch das bis zu 800 Meter stark aufragende Schiefergebirge eilt, zwischen sanften Hügeln, mehreren Wäldern sowie dem Glasbläsermuseum ist diese handwerklich-künstlerische Wiege beheimatet.

Das geht schon ganz schön weit zurück. Nämlich bis zum erlauchten Herzog Kasimir, dem Gründer des Kasimirianums, seiner damaligen höheren Grundschule, in der er selber noch was lernen wollte. Etwa genau um 1597 erteilte dieser aufgeschlossene Machthaber nochmals eine weitere privilegierte Gründung und Institution.

Milde sprach er zu seinen Hofschranzen und den Städtchenräten: »So sei es denn von dero meinen herzoglichen Gnaden erwirket, dass ab sobald schon wieder etwas Wichtiges entstehen darf.«

Man weiß auch genau, an wen er dabei dachte und worum es sich dabei handelte: um die beiden Glasermeister und Bläser Hans Greiner und Christoph Müller. Sie durften mit dieser Erlaubnis eine eigene Glaserhütte aufbauen und endlich legitim Glas blasen, so viel ihre Lungenflügel hergaben und solange sie wollten.

Und schon schlug etwas später um 1847 die erste Stunde für einen neuen Christbaumschmuck aus Glas, wenn es sich zunächst auch noch nicht um Kugeln handelte. Dieser bestand einstweilen lediglich aus nachgebildeten Äpfeln und Nüssen, sogar Birnen. Und das hatte seinen unfreiwilligen Grund, weil die guten Lauschaleute damals, also etwas früher, vielleicht so um die frühe Biedermeierzeit, so fürchterlich arm lebten, dass sie sich selber sehr leidtaten. Glücklicherweise waren sie zwar jetzt schon mit einem wunderbaren Handwerk, der Glasbläserei, vor Ort gesegnet, doch Handwerk hatte zu dieser nicht leichten Zeit wenig goldenen Boden. Der traf erst später ein. Außerdem war die ungute, darbende Erinnerung an den Dreißigjährigen Krieg zwar verblasst, aber nicht ganz getilgt. Normalerweise vergisst der durchschnittliche Mensch ja schlimme Zeiten so schnell als möglich im Zeitraffertempo. Jedoch hatte sich diese unangenehme Epoche erstaunlich lange im kollektiven Gedächtnis der Ortsbewohner eingeprägt. Die argen, damaligen Leiden wurden nämlich mündlich über mehrere Generationen weitergetragen. Im flüssigen Schreiben und Lesen haperte es ja bei den fleißigen Leuten noch etwas, weil sie, wenn auch fröhlich und munter, als naturgegebene Analphabeten umherliefen.

Doch seitdem, sogar bis heutzutage, klingelt es freilich recht angenehm in den Kassen fleißiger Bürger aus Lauscha. Inzwischen haben viele Mundglasbläser, sogar maschinell, ein annehmbares Auskommen in diesem sehr beschaulichen Örtchen zwischen Sonneberg und Landstadt erreicht. Nebenbei ist in diesem Milieu auch eine interessante Symbiose entstanden. In Rothenburg ob der Tauber, wo es, wie bekannt, mit künstlichen Kerzen und Leuchtketten durchgehend irrlichtert und weihnachtet, betreibt man geschickt im ortsansässigen Einzelhandel ganzjährig den Heiligen Abend. So hat sich diese Gegend zum verlässlichen Großabnehmer und zur Metropole für die fleißigen Christschmuckhersteller aus dem Thüringer Wald entwickelt. Hin und wieder muss sogar eine diesbezügliche Sonderschicht gefahren werden. Aber nur, wenn es wirklich nicht anders geht, braucht doch auch der Lauschaer Glasbläser nötig seine freie Zeit. Man ist ob der Tauber geradezu abhängig wie in Drogensucht von den Glasblas-Manufakturen und der Fabrikation weihnachtlichen Tands, hergestellt in Lauscha. Es freuen sich darüber sämtliche Touristinnen und Touristen aus China, Japan, ja sogar aus Österreich – und alle staunen erheblich über die weihnachtliche Pracht, zum Beispiel im Hochsommer, wenn im Schweiße des Angesichtes die Glöckchen und frohen, trauten Lieder erschallen. Der Nikolaus spielt da gerne mit, auch wenn er für die Jahreszeit viel zu warm angezogen sein dürfte.

Aber schnell zurück zur spannenden Historie: Es bliesen überlieferterweise damals schon viele Glasbläser alle möglichen durchsichtigen und wunderschönen Sachen wie Schnapsflaschen, Lampenschirme, anspruchsvolles Nachtgeschirr und andere brauchbare Dinge. Aber wie es so geht, Weihnachten nahte wieder einmal vorschnell. Und was hängt man dann an den Christbaum zwecks Schmuck, wenn man nicht einmal echte Äpfel oder Birnen, geschweige denn Nüsse im kargen Vorratsspeicher hat? – Warum? Weil die Mäuse sowohl als auch freche Ratten wieder einmal ihr Verzehrunwesen radikal getrieben hatten. Dieser Plage musste man damals ohnmächtig zusehen, weil die Mausfallen nicht mehr ausreichten. Sie wurden ja noch von Hand gefertigt und hatten größere Lieferzeiten. – Die findigen Leute bildeten dadurch, wie schon angedeutet, ersatzmäßig sämtliche solche Obst- und Walnusssachen, sogar Zwetschgen, einfach als Christbaumschmuck in echtem Glas nach und hingen sie in das festliche Gezweig. Die erste Glaskugel entstand erst, als es den guten Leuten schon etwas besser ging. Da blies man einfach so vor sich hin, und siehe da, es entstand ein kugeliges Gebilde. Noch heute kann jeder Museumsbesucher die ersten, nicht ganz rund geblasenen Weihnachtskugeln als seltene Unikate bewundern. Sie sind allerdings unverkäuflich, wie es eben in so einem Museum leider ist. Nur Nachahmungen kann man zu einem vernünftigen Preis erwerben. Diese sind natürlich absichtlich auch nicht ganz rund.

Eine besonders wichtige Errungenschaft aus Lauscha darf aber bei all den wichtigen und sich sogar überstürzenden Ereignissen keinesfalls übersehen werden. Zum Wohle der gesamten Menschheit und des Erdkreises erfand ein langjähriger Einwohner und Mitbürger des kleinen Städtchens eine besondere Prothese. Es war der Tüftler, Glasbläser und Bastler Ludwig Müller-Uri. Schon 1835 blies er das erste, gut brauchbare Glasauge der Welt. Noch heute blickt so manch Einäugiger verstohlen, aber zufrieden in sein Leben, und kaum einer merkt, was da künstlich aus dem anderen Auge schaut.

Weise soll der Erfinder gesprochen haben: »Es kommt nicht nur darauf an, dass man gut hört, sondern auch dass man zwei Augen besitzt, auch wenn das andere nur künstlich dreinblicken kann.«

Besonders glücklich traf diese überraschende Erfindung, noch dazu am damaligen Vormittag des Heiligen Abends, beinahe unverhofft, als Geschenk an beschädigte Menschen ein. Alle Einäugigen, nicht nur dieser schnell vergangenen Epoche, konnten nun wieder getrost aufsehen. Solche wohlgeformten Glasaugen haben sich dann auch in Windeseile unter den entsprechend bedürftigen Menschen verbreitet. Leider besteht das moderne Glasauge inzwischen aus feinstem, aufwendig geschliffenem Plastik, auch wenn man trotzdem damit nichts sehen kann. Jede übliche Farbtönung des Augapfels, ob blau, grau, braun, ja sogar grün, oder gemischt, kann fein ausgewogen geliefert werden. Als Massenware, besonders nach kriegerischen Auseinandersetzungen, wird es längst fabrikmäßig geblasen, weil der Bedarf, vor allem in unterentwickelten, waffenstrotzenden Gesellschaften, enorm zugenommen hat. Auch ein anderes wichtiges Sinnesorgan, das Ohr, ist durch unfriedliche Handlungen davon betroffen, wenn es weggeschossen wird. Ein gläsernes Ersatzohr ist aber bisher nicht in Erwägung gezogen worden. Die tüchtigen Glasbläser von Lauscha haben jedoch genügend andere Wirtschaftszweige wie den weihnachtlichen Baumschmuckbedarf gründlich erschlossen.

Wenn man heutzutage als aufgeschlossener Besucher im Glasbläsermuseum von Lauscha einem versierten Christbaumkugelglasbläser über die Schulter schaut, ist man immer wieder hocherfreut über diese erlesenen Kunstwerke. So eine mundgeblasene Kugel ist zwar bekanntermaßen nicht gerade billig. Es muss dazu ja auch sehr viel Lungenkraft vergeudet werden. Aber derjenige, der sie stolz an seinem Christbaum hängen hat, darf sich getrost als Kenner mit bestem Geschmack und als seltener Kunsthandwerksliebhaber bezeichnen. Und wer einmal so einem versierten, fleißigen Christbaumkugelglasbläser über die Schulter geschaut hat oder gar selber mehrmals unter Anleitung in das Glasblasrohr hineinblasen durfte, der weiß genau, worum es dabei geht. Und zwar ganz genau. Bläst man nämlich zu lange hinein, könnte die ganze Sache platzen. Da schätzt man dann die gesamte künstlerische, weihnachtsbezogene Vorgehensweise besonders vorsichtig. In puncto Christbaumschmuck gibt es nichts Vergleichbares.

Der sonderbare Christbaumschmuck



Nicht immer geht alles richtig glatt mit dem weihnachtlichen Glück. Vor allem, wenn schon manchmal im späten Adventsstress der Haussegen schiefherum hängt, weil die Nerven überstrapaziert worden sind. Die eintreffenden Weihnachtsferien zeigen sich da auch nicht gerade allzu förderlich, indem aufmüpfigen Kindern plötzlich die Aussicht auf viel Zeit eingeräumt wird. Obwohl sich dann die hektische Stimmung vielleicht etwas verbessern kann, wenn die ausufernden Einkäufe weitgehend getätigt sind und alles schon in froher Erwartung der einmaligen Menschwerdung entgegensieht, kann immer noch eine plötzlich und vollkommen unterwartet auftretende Überraschung den erwünschten Frieden verzögern. Der Kartoffelsalat mit Gurken ist zwar vorbereitet und die schmackhaften Wienerwürstl warten im Kühlschrank auf ihren Einsatz, aber es ist sozusagen keineswegs aller Tage Abend, noch dazu der Heilige.

Die glaubhafte Erzählung einer leidvoll geprüften Hausfrau, betreffend eines schweren und turbulenten Problems noch ganz kurz vor dem Christfest, ist weder gut erfunden noch unwahr. Und wenn doch, dann trifft diese beispielhafte Episode auf alle Fälle den Kern einer leider immer weniger beschaulichen Epoche. Nicht selten geht es da drunter und drüber, denn mit der Erwartung steigen ja auch die Nervosität und die Sehnsucht nach der staaden Zeit. Das ganze Problem ereignete sich laut frustrierter Zeitzeugin und Hausfrau etwa so wie anschließend beschrieben und hinterließ glücklicherweise keine größeren negativen Spuren in der sonst recht glücklichen Familie. Und da kann man wieder einmal aus voller Brust proklamieren: Wohl dem Familienverband, der noch einen betagten, erfahrenen, weisen Großvater aufweisen kann. Der musste nämlich in diesem tragischen Fall in die unerwartete Bresche springen. Doch das tat er sehr gern und tiefgründig, wie es seine Art noch heutzutage ist. Dafür soll ja schließlich ein Clanchef vorhanden sein.

»Das Ganze kam so und war bisher noch nie passiert«, so die erfahrene Hausfrau im Nachhinein. Die Suche nach dem alljährlich wieder zum Vorschein zu bringenden Christbaumschmuck war diesmal leider vergeblich. Die begehrte Schachtel mit den wunderschönen glänzenden Kugeln, dem Kristallchristbaumspitz, Fanfarenblasengeln, gläsernen Zapfen, Lametta und sonstigen strahlenden Objekten wie roten und gelben echten Wachskerzen blieb leider unauffindbar. Da wurde es verdammt eng. Denn der Heilige Abend sollte leider schon ab dem Spätnachmittag eintreffen und lässt sich, wie jeder weiß, schlecht verschieben. Gemütliches, unangestrengtes Beisammensein mit Ungezwungenheit, Kaffeepause und Dämmerschein vor den Wohnzimmerfenstern war angesagt. Doch es erschien leider sehr deprimierend, wie der schöne, gerade gewachsene Tannenbaum so schmucklos in seinem grünen Naturgewand auf die festliche Ausstattung wartete. Wie sich später herausstellte, hatte der dreijährige Benjamin der Familie, auch Benni geheißen, den betreffenden Karton mit der Aufschrift »Für den Christbaum« samt der schmucken Füllung versehentlich aus einem der obersten Schrankfächer zu Boden knallen lassen. Ähnlich einem versierten Kriminellen, beseitigte er alles Verräterische gründlichst. Schlau und gewandt waren im Nu sämtliche verbliebenen Anteile seiner Untat wie vom Erdboden getilgt. Das Ganze geschah völlig spurlos. Er verstand es auch, anschließend dermaßen harmlos zu wirken, dass selbst der erfahrene Sherlock Holmes nichts gemerkt hätte. Und der hat doch wahrlich alles gelöst, was die gesamte Kriminalgeschichte im Laufe der Zeit so hervorbringen konnte.

Irgendwie war er, der eloquente Benni, da hinaufgelangt. Er entpuppte sich ja schon öfter mal als Klettermaxe und Tunichtgut. Freilich passierte die Misere unfreiwillig und ohne größere Verletzungen des Delinquenten, aber das nützte trotzdem auch so gut wie wenig. Keiner ahnte etwas von dem heraufziehenden Problem. Er selbst litt zwar leicht unter Gewissensbissen, verbarg diese jedoch vorsorglich und tief in seinem jungen, sonst unschuldigen Herzen. Vorzeitiger Ärger war, so dachte er schlau bei sich, zunächst aus der Welt geschafft. Und später konnte ja pflichtgemäß hoffentlich das Christkind ein gutes Wort für ihn einlegen. Wozu erscheint es denn sonst sowohl an Weihnachten als auch als bester Freund sämtlicher Kinder, wenn schon der Schutzengel gründlich versagt hatte?

Erst später, unter einem durch die widrigen Umstände recht kurios ausgestatteten Weihnachtsbaum, beichtete der Bub schweren Herzens sein leichtes Verbrechen. Auf die bohrenden Fragen seiner Mutter, die gleich schon eine böse Ahnung mit sich herumgetragen hatte, gestand er kleinlaut, aber aufschlussreich, wenn auch unter tränenden Augen: »Ich hab doch nur die Weihnachtsplätzerl gesucht. Weil sie das liebe Christkind und die gute Mutti immer so fest verstecken müssen, damit sie der Opa nicht vorzeitig aufspeisen kann. Und im Sommer habe ich letztes Jahr auch noch welche gefunden. Aber die schmeckten so komisch und waren mit einem weißen Pelz überzogen.«

Die Mutter reagiert leicht entsetzt auf diese Beichte: »Jetzt ist mir alles klar. Deshalb war dir im Juli im vergangenen Jahr so lange schlecht, und du konntest tagelang nicht in den Kindergarten gehen. Und unser Hausarzt wollte uns einen Norovirus oder sogar Salmonellen unterstellen. Dabei putze ich überall, täglich und mit besten Reinigungs- und Desinfektionsmitteln, die gesamte Wohnung durch. Gleich nach den Feiertagen werde ich ihm das nachträglich verklickern. Gegen meine Zellulitis hat er mir ja auch nichts verschrieben. Er machte sich sogar darüber lustig, weil meine zarten Oberschenkel dadurch wie eine Orangenschale aussehen.«

Aber nun umgehend zurück zum entsprechenden Vorfall. Denn die traurige Tatsache war nun einmal unverhofft eingetroffen, und wie teuer ist dann oft guter Rat! Wie soll so plötzlich eine sinnvolle Abhilfe geschaffen werden? Bekümmert setzte sich die gesamte Familie unter den unschuldigen Tannenbaum und sinnierte über einen Ausweg.

Einzig und allein der kleine Benni erkannte sofort, wen man da umgehend konsultieren musste. »Lieber Opa!«, wandte er sich aus Erfahrung an seinen verschmitzten Großvater. Der wusste doch in jeder Situation besten Rat. Und so bestimmt auch dieses Mal. »Dir fällt doch immer was ein, oder?«

Jetzt wurde wieder einmal offensichtlich, was doch an Wissen und Weisheit selbst das fortgeschrittene Alter alles noch zu bieten hat. Der weißhaarige, über neunzigjährige Veteran konnte erneut seine Unentbehrlichkeit beweisen. Als Erstes, und um freie Hand zu bekommen, verkündete er bestimmt sowie widerspruchslos: »Jetzt hört einmal alle her. Ihr verlasst jetzt, bis auf den Benni, augenblicklich und für mindestens zwanzig Minuten unser Wohnzimmer. Als Nichtraucher braucht ihr ja auch nicht unbedingt zur Haustür hinaus, sonst friert euch noch der Hintern ein. Ich bin zwar keineswegs das Christkind, aber mit der Bescherungsmeldeglocke werde ich euch dann das entsprechende Zeichen übermitteln lassen. Und ich garantiere jetzt schon, die Überraschung wird euch alle ziemlich stark erfassen.« Und schon, schwupp, waren sie alle hinweg.

Nun begann ein besonders eifriges Treiben. Der Benni wurde sofort eingeweiht und schleppte seine Lieblingsspielsachen herbei. Und der wendige Großvater behängte flink den nun schnell immer üppiger ausgestatteten Baum unkonventionell, aber interessant. Von fünf verschieden großen Teddybären über Kasperlfiguren wie dem Schutzmann, dem Zauberer bis zum Krokodil und der Gretl, lugten bald alle möglichen und unmöglichen Sachen zwischen den Zweigen hervor. Der Opa griff dann schnell noch auf seine Kuriositätensammlung alter Pfeifen, Tabakdosen, zwei Miniaturbilder jeweils vom größten und dem kleinsten Soldaten aus dem Ersten Weltkrieg, eine verrostete Karbidlampe, eine Maultrommel und andere erlesene Dinge zurück. Auch sein früheres Gebiss – das neue hatte er erst kürzlich vom Dentisten erhalten – bekam einen Ehrenplatz im vorderen Gezweig. Und da er schon länger eine Glatze besaß, musste auch noch ein früheres Echthaartoupet als Schmuck herhalten. Er verkündete dazu später: »Das ist reinstes Engelshaar, direkt vom Himmel hoch ausgerupft und dahergekommen.«

Dann wurde noch schnell eine dicke Kerze in die Karbidlampe gestellt und angezündet, weil der findige Veteran schon seit Langem kein Karbid mehr zur Hand hatte. Es sollte ja nicht nur originell, sondern auch möglichst feierlich und im wahrsten Sinne beschaulich werden. Das wurde mit der einsamen Kerze als Unikatleuchte nicht ganz einfach. Die ungewöhnlichen Dinge schauten dadurch fast etwas unheimlich aus den Tannenzweigen hervor. Vor allem das Krokodil wirkte unfreundlich mit seinem aufgerissenen Maul voller scharfer Zähne. Da schauderte der kleine Benni doch etwas. Aber zum Glück war ja auch der Polizist, bewaffnet mit der »Bretschen«, einer Schlagwaffe aus gefaltetem Karton, mit von der Partie. Bei jedem Kasperlspiel knallte nämlich der vorsorgliche Schutzmann dem Ungeheuer eins aufs Maul. Das löste unweigerlich bei Groß und Klein eine längere Lachsalve aus.

Der ziemlich aufgeregte und erfreute Bub durfte dann das Bescherungsglöckchen lautstark erschallen lassen. Und schon erschienen die übrigen, neugierigen Familienmitglieder auf der Schwelle zum Wohnzimmer. Das Aufatmen über die verzögerte Ausschmückung des Weihnachtsbaumes war aber zunächst recht verhalten. Es brauchte doch eine längere Gewöhnungsphase, um die unvorhergesehene Überraschung zu verdauen. Einzig der Benni und der Opa hatten ihre Freude daran, wie die übrige Familie so nach und nach mit säuerlichem Lächeln und frappiert die originelle Dekoration geistig verarbeitete. Das dauerte natürlich einige Zeit. Erst dann waren eitel Wonne und christliche Zuversicht wieder eingekehrt.

Die Mutter und tüchtige Hausfrau: »Wenigstens wurde die gesamte Kripperlausstattung in einer anderen Schachtel aufbewahrt, so ist doch immer gleich eine weihnachtliche Stimmung gewährleistet. Das kleine Jesulein, die Heilige Familie und natürlich auch Ochs und Esel stimmen uns immer wieder traulich und umgehend auf das christliche Geschehen ein. Außerdem singen wir jetzt frisch von der Leber weg das Lied der Lieder für Weihnachten.«

Gemeint war natürlich nichts anderes als »Stille Nacht, heilige Nacht«.

Der absonderliche Christbaum wurde aber dann doch die überwältigende Attraktion für alle zahlreichen Besucher aus der Großfamilie von nah und fern. Noch heute, bereits nach Jahr und Tag, spricht man zwar nicht besonders erbaut, aber immerhin achtungsvoll und erstaunt von dieser weihnachtlichen Episode. An Nachahmern so einer ungewöhnlichen Ausschmückung fehlt es jedoch bis zum heutigen Weihnachtsabend. Als Resümee daraus wird nun bereits jährlich frühzeitig, wenn der Sommer zur Neige geht, das weihnachtliche Inventar sorgfältig überprüft und sicher verwahrt. Denn der Benni ist zwar größer, aber noch weniger einsichtig geworden. Selbst heute denkt er still für sich, dass damals der abenteuerliche Christbaum ja genau nach seinem Geschmack ausgestattet gewesen ist.

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Возрастное ограничение:
18+
Дата выхода на Литрес:
04 декабря 2025
Объем:
186 стр. 27 иллюстраций
ISBN:
9783475547096
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Правообладатель:
Bookwire
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