Jahrbuch der Akademie CPH - Anregungen und Antworten

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Из серии: Fragen der Zeit #4
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Otto Böhm
Freie Rede auch für Hassrede?
Zur Diskussion um die Einschränkung des Menschenrechts auf Meinungsfreiheit1

Wer sich heute in Deutschland „gegen Rechts“ positioniert, tritt häufig zugleich auch für eine umfassende Bekämpfung der Meinungen von Neonazis – auch mit juristischen Mitteln – ein. Wer sich als Teil der internationalen Menschenrechtsbewegung versteht, verteidigt dagegen eher die Meinungsfreiheit gegen Einschränkungen. Diesen Zwiespalt sehe ich auch in Nürnberg: Die „Stadt der Menschenrechte“ führt zugleich die „Allianz gegen Rechtsextremismus“ an. Ich möchte heute Abend beide Grundhaltungen, die in Nürnberg jeweils eine breite Basis haben, detaillierter aufeinander beziehen.

Muss sich die Öffentlichkeit an Hasspredigten – im Englischen ist der Begriff Hate Speech gängig geworden – gewöhnen? Im Unterschied zu Hate Speech in den USA wird in Deutschland Volksverhetzung strafrechtlich verfolgt. Die komplexen Argumentationen um das hohe moralische Empörungspotenzial und um die Rolle einer ständig alarmbereiten Medienwelt – die Medien als Moralisierungsanstalten, die selbst vom ständigen Tabubruch leben – können hier nicht entfaltet werden. Mir geht es nur um eine Frage aus diesem Diskursfeld: Soll das Recht auf Meinungsfreiheit eingeschränkt werden, wenn Aussagen und Behauptungen zum Hass gegen Minderheiten aufstacheln und an den Rassismus der Nazis anknüpfen? Und ich will darlegen, wie diese Problematik in verschiedenen Menschenrechtsgruppen diskutiert wird. Denn: In diesen internationalen Arbeitszusammenhängen ist es äußerst umstritten, die Meinungsfreiheit für rassistische Äußerungen einzuschränken. Dabei stoßen eine eher deutsch-kontinentaleuropäisch geprägte und eine eher angelsächsische Tradition aufeinander. In der Perspektive der zu schützenden Werte formuliert: Gleichbehandlungsgebot und Antidiskriminierungsschutz oder uneingeschränkte Freiheit des öffentlichen Ausdrucks?

Die Menschenrechte wollen gleichzeitig Meinungsfreiheit und Diskriminierungsfreiheit garantieren

Die Spannung ist in den Menschenrechten selbst angelegt: Das Verbot der Rassendiskriminierung zieht sich wie ein roter Faden durch den Menschenrechtsschutz. Die Bekämpfung rassistischer Äußerungen – als eine Vorstufe der Diskriminierung – wirft die Frage nach den Grenzen der Meinungsfreiheit auf. Denn es scheint widersinnig, Diskriminierungsverbote aufzustellen und gleichzeitig zu dulden, dass zur Ungleichbehandlung der Menschen auf der Basis ihrer ethnischen Herkunft aufgerufen wird. Aber zwischen den Werten Freiheit und Gleichheit gibt es ja nicht nur eine Spannung, sondern auch einen inneren, positiven Zusammenhang: Das universelle Gleichheitspostulat schützt auch die Freiheit und die Würde des Einzelnen. Weniger abstrakt: Im Deutschland der Dreißiger-Jahre haben sich rassistische Ideologien ja nicht nur gleichheits-, sondern auch freiheitsfeindlich gezeigt: Sie nahmen den Einzelnen ihre Handlungs- und Entwicklungsfreiheit.


Straßentheateraktion „Amnesty überfällt die Stadt“ der Erlanger Hochschulgruppe von Amnesty International, Juli 2009 (Bildnachweis: Fotograf: Cornelius Wachinger. Copyright: Amnesty-Hochschulgruppe Erlangen)

Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte von 1948 wollte ein möglichst universeller, das heißt, nicht an geographische oder historische Kontingenzen gebundener Codex sein. Der Geltungsanspruch sollte über jede nationale Beschränkung hinausgehen. Aber ihre Genese ist doch spezifisch; die Rechte sind nicht vom Himmel gefallen. Sie sind das Ergebnis eines Lernprozesses, den Rainer Huhle, der die Geschichte der Menschenrechte erforscht, so beschreibt: „Was hat die Welt also aus den Naziverbrechen gelernt? Das Beispiel der Meinungsfreiheit zeigt, dass dieser Lernprozess ein sehr heterogener war. Die Erfahrungen des Nazismus waren nicht überall gleich, und sie trafen auf unterschiedliche, bereits auf weiter zurückliegenden historischen Erfahrungen gegründete rechtliche und politische Traditionen“ (Huhle 2008, S. 123).

Nach 1945 haben sich Völkerrechtler aus ihrer je eigenen Tradition am Problem der Einschränkungsdefinitionen für die Meinungsfreiheit immer aufs Neue abgearbeitet. Die Allgemeine Erklärung der Menschenrechte selbst schränkt die Meinungsfreiheit nicht ein. In Art. 19 des 1966 von den Vereinten Nationen beschlossenen Internationalen Pakts über bürgerliche und politische Rechte (IPBPR) hat man sich auf folgende Formulierung geeinigt:

„(1) Jedermann hat das Recht auf unbehinderte Meinungsfreiheit. […] (3) Die Ausübung der in Absatz 2 vorgesehenen Rechte ist mit besonderen Pflichten und einer besonderen Verantwortung verbunden. Sie kann daher bestimmten, gesetzlich vorgesehenen Einschränkungen unterworfen werden, die erforderlich sind

a) für die Achtung der Rechte oder des Rufs anderer;

b) für den Schutz der nationalen Sicherheit, der öffentlichen Ordnung, der Volksgesundheit oder der öffentlichen Sittlichkeit“ (Bundeszentrale: Menschenrechte 1999).

Bestimmte Dimensionen der Einschränkung sind den sozialistischen und „Drittweltländern“ geschuldet. So wollte schon 1948 die Sowjetunion in der Allgemeinen Erklärung die Kriegspropaganda nicht unter den Schutz der Meinungsfreiheit gestellt sehen. Auch die Völkermord-Konvention von 1948 hatte die „Aufstachelung zum Völkermord“ als eine den Völkermord vorbereitende Handlung verboten. Und drei Jahre zuvor, vor dem Internationalen Militärtribunal von Nürnberg, war der fränkische NS-Propagandist Julius Streicher wegen dieses Delikts zum Tode verurteilt worden.

Gegenwärtig werden die möglichst engen Grenzen einer Einschränkung am deutlichsten von Agnes Callamard, Direktorin der Menschenrechtsorganisation „Article 19“, formuliert. Jede Einschränkung sollte den folgenden Anforderungen genügen: „klare und enge Definition; keine Bestrafung für Aussagen, die wahr sind; Bestrafung erst, wenn gezeigt ist, dass Hate Speech die Absicht hatte, zu Feindseligkeiten und Gewalt aufzustacheln; angemessene Bestrafung, Gefängnisstrafe nur als letztes Mittel; Einschränkungen dürfen nur das Ziel haben, Individuen zu schützen; sie haben nicht die Aufgabe, deren Denk- oder Glaubenssysteme vor Diskussionen, genauer Prüfung oder – auch unvernünftiger – Kritik zu bewahren“ (Callamard 2007).

Wer in der NS-Tradition steht, kann in Deutschland den Schutz der Meinungsfreiheit nur eingeschränkt in Anspruch nehmen

Dass sich bestimmte Personengruppen durch Diskriminierungen und Hate Speech in ihrer Würde oder Ehre verletzt fühlen, ist ein Ergebnis historischer Erfahrungen und kollektiver Verarbeitung durch die jeweilige Gruppe. Die Erfahrungen der Opfer des Nationalsozialismus nimmt die deutsche Rechtsprechung in ihren Grenzziehungen für politische Betätigung und Meinungsfreiheit auf. Ihre Auslegung ist aber auch hierzulande nicht unstrittig. Artikel 9 Absatz 2 GG erklärt Vereinigungen für verboten, deren Zwecke oder Tätigkeiten den Strafgesetzen zuwiderlaufen oder sich gegen die verfassungsmäßige Ordnung oder gegen die Völkerverständigung richten. In Deutschland wurde die Verwendung verfassungsfeindlicher Symbole und die Aufstachelung zum Rassenhass unter Strafe gestellt (Artikel 130 StGB).

Politische Akteure in Deutschland, im weitesten Sinne Antifaschisten und Demokraten, fordern – zum Schutz der Opfer, aber auch um jede politische Handlungsmöglichkeit von NS-Nachfolgegruppen zu verhindern – weitere Einschränkungen der Meinungs- und Demonstrationsfreiheit. In der Begründung für eine weitere gesetzliche Einschränkung sagte die damalige Justizministerin Brigitte Zypries (SPD) am 18.2.2005 in der Bundestagsdebatte: „Das Gesetz über befriedete Bezirke schützt die Integrität unserer Verfassungsorgane und ihrer Mitglieder“ (Zypries 2005). Dass auch an anderen Orten, die nichts mit dem Schutz von Verfassungsorganen zu tun haben, wie dem Brandenburger Tor in Berlin oder in Wunsiedel, nicht demonstriert werden darf, begründete die Ministerin mit dem Schutz der „Würde und des Andenkens der Opfer des NS-Regimes“ (Zypries 2005). Sie versuchte auch eine Einordnung der rot-grünen Regierungsposition in die internationale Rechtsentwicklung. In einer Rede im Jahr 2006 sagte sie:

„Übrigens: International wird dies zum Teil ganz anders gesehen. Denken Sie etwa an die USA mit dem 1. Amendment oder England. Dieses weite angelsächsische Verständnis von Meinungsfreiheit hat mit dazu beigetragen, dass es innerhalb der EU sehr schwierig ist, im Rahmenbeschluss gegen Rassismus und Fremdenfeindlichkeit auch Strafvorschriften für bestimmte Meinungsäußerungen zu verankern. Der deutsche Weg ist allerdings ein anderer. Und eine bislang bestehende Lücke haben wir im vergangenen Jahr sehr erfolgreich geschlossen. Wir haben den Tatbestand der Volksverhetzung verschärft. [Zypries bezieht sich hier auf das Verbot der Holocaustleugnung, s. u., d. Verf.] Außerdem haben wir das Versammlungsgesetz geändert. Jetzt können Demonstrationen an wichtigen Holocaust-Gedenkstätten verboten werden, wenn sie die Würde der Opfer beeinträchtigen. Damit ist es uns nicht nur gelungen, hier in Berlin das Holocaust-Mahnmal zu schützen, sondern die Rechtsänderung hat auch andernorts Früchte getragen. Die jährlichen Aufmärsche für Rudolf Heß in Wunsiedel können jetzt verboten werden, und diese Verbote haben auch der kritischen Prüfung durch das Bundesverfassungsgericht standgehalten“ (Zypries 2006).

 

In der politischen Auseinandersetzung mit dem Rechtsradikalismus sind aber auch differenziertere Positionen präsent als die, die ich hier als „traditionellen Antifaschismus“ bezeichnen möchte. Der Berliner Antisemitismusforscher Michael Kohlstruck fordert nicht zuerst Verbote für Demonstrationen, sondern empfiehlt, Aufmärsche als Chance für die Öffentlichkeitsarbeit und für die politische Bildung zu sehen:

„‚Kein Fußbreit den Faschisten‘ ist ein historischer Slogan. Ziel von Aktivitäten sollte aus Achtung vor den Grundrechten und aus Gründen des Respekts vor rechtsstaatlichen Entscheidungen nicht die Verhinderung, sondern allein der Protest gegen rechtsextreme Veranstaltungen sein. Der Protest bezieht sich zunächst auf die aktuelle Veranstaltung. Er sollte verallgemeinert werden und die gesellschaftlichen wie die politischen Ordnungsideen der Rechtsextremen thematisieren“ (Kohlstruck 2007, S. 2).

Zudem gibt es Bürgerrechtsgruppen, die aus den freiheitlich-bürgerrechtlichen Defiziten der deutschen Geschichte ein fundamentalkämpferisches Menschen- und Grundrechtsverständnis entwickeln, dem jede Forderung nach effektiveren staatlichen Maßnahmen zuwider ist. Der bürgerliche wie der sozialistische Staat werden aus dieser Perspektive als strukturell repressiv verstanden; ihm noch mehr rechtliche Mittel an die Hand zu geben, wäre für alle Bürger fatal. Seit Jahrzehnten in der Menschenrechtsarbeit aktive Gruppen wie die „Humanistische Union“ oder das „Komitee für Grundrechte und Demokratie“ wenden sich gegen Einschränkungen öffentlicher Auftritte z. B. der NPD. In den Worten eines bekannten Sprechers, des Berliner Politologen Wolf-Dieter Narr:

„Statt Verbote – öffentliche Auseinandersetzungen: Lebendige Demokratie und ein nicht heuchlerisches Menschenrechtsverständnis der staatlichen Institutionen zeigt sich in der offenen Auseinandersetzung. Den Opfern des Nationalsozialismus wird man nicht gerecht, wenn man Demokratie und Meinungsfreiheit örtlich einschränkt“ (Narr 2005).

„Nie Wieder“ als normativer Maßstab des Grundgesetzes

Im August 2008 legte der damalige Vizechef der NPD, Jürgen Rieger (inzwischen verstorben), Verfassungsbeschwerde gegen den vierten Absatz des Volksverhetzungs-Paragraphen 130 des Strafgesetzbuchs ein. Rieger monierte hier unzulässiges Sonderrecht, weil sich Absatz 4 allein gegen die Billigung, Verherrlichung und Rechtfertigung der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft wende und damit nur gegen eine bestimmte politische Richtung. Grundrechte auf Versammlungs- bzw. Meinungsfreiheit dürften nur auf Grundlage allgemeiner Gesetze, nicht aber durch Sonderrecht eingeschränkt werden. Das Bundesverfassungsgericht hat im November 2009 die Verfassungsbeschwerde mit folgender Argumentation (in der Zusammenfassung von Jörg Lange vom Erfurter Max-Weber-Kolleg) zurückgewiesen:

„Grundsätzlich bestätigte es die Auffassung, dass die Meinungsfreiheit nur durch ein allgemeines Gesetz eingeschränkt werden dürfe. Die Regelung zur NS-Herrschaft sei, so das Gericht, allerdings kein allgemeines Gesetz, das heißt Sonderrecht – aber dennoch ‚ausnahmsweise‘ mit der im Grundgesetz vorgesehenen Einschränkung des Grundrechts auf Meinungsfreiheit ‚vereinbar‘. Eine solche Ausnahme lasse sich begründen angesichts des ‚einzigartigen‘, ‚sich allgemeinen Kategorien entziehenden Unrechts und […] Schreckens‘ der NS-Herrschaft. Diese Erfahrung sei von grundlegender Bedeutung ‚für die Identität der Bundesrepublik Deutschland‘ und deren Entstehungsgeschichte. […] Das bewusste Absetzen von der nationalsozialistischen Herrschaft sei ein ‚historisch zentrales Anliegen aller an der Entstehung wie Inkraftsetzung des Grundgesetzes beteiligten Kräfte‘ gewesen und bilde ‚ein inneres Gerüst der grundgesetzlichen Ordnung‘. Das Grundgesetz könne ‚geradezu als Gegenentwurf zu dem Totalitarismus des nationalsozialistischen Regimes gedeutet werden‘ und sei ‚von seinem Aufbau bis in viele Details hin darauf ausgerichtet, aus den geschichtlichen Erfahrungen zu lernen und eine Wiederholung solchen Unrechts ein für alle Mal auszuschließen‘. Folglich sei dem Grundrechtsartikel zur Meinungsfreiheit eine ‚Ausnahme vom Verbot des Sonderrechts für meinungsbezogene Gesetze immanent‘, die Befürwortung der NS-Herrschaft in Deutschland dementsprechend als ‚ein Angriff auf die Identität des Gemeinwesens‘ zu beurteilen und insofern ‚mit anderen Meinungsäußerungen nicht vergleichbar‘“ (Jörg Lange 2010, S. 4).

Die Sonderstellung des Nationalsozialismus für die Geschichte der Bundesrepublik Deutschland hat sich indes nicht so klar und ausdrücklich in den Formulierungen des Grundgesetzes niedergeschlagen. Jörg Lange fragt deshalb kritisch, ob „für die Annahme eines Sonderrechtsstatus der NS-Erfahrung möglicherweise weniger der Entstehungskontext des Grundgesetzes selbst leitend gewesen sei als der Kontext des gegenwärtigen Umgangs mit der NS-Vergangenheit“ (Lange 2010, S. 12). Um zu verdeutlichen, dass sich auch in anderen Rechtskulturen spezifische historische Erfahrungen und ihre aktuelle Verarbeitung niederschlagen, will ich mit dem Rechtsphilosophen Winfried Brugger einen Blick in die Vereinigten Staaten werfen.

Hate Speech in den USA

Brugger beginnt mit einer Begriffsbestimmung: Hate Speech umfasst jede Form der Meinungsäußerung, die verletzend für jegliche rassische, religiöse, ethnische oder nationale Gruppe war. Nach einem Durchgang durch die Auseinandersetzungen um das Verbot bestimmter Arten von Meinungsäußerungen im universitären Kontext („campus speech codes“) kommt Brugger zu dem Fazit: „Amerikanische Policy-Antworten auf rassistische und ethnische Agitation und Hassrede unterscheiden sich deutlich von jenen in anderen westlichen Demokratien“ (Brugger 2009). In seiner Kontextualisierung der unterschiedlichen Verfassungstraditionen verweist Brugger auf „verschiedene geistesgeschichtliche Fundamente und auf die Erfahrungen der Vergangenheit, die zur unterschiedlichen Behandlung von freier Rede innerhalb der jeweiligen rechtlichen Rahmen geführt haben“ (Brugger 2009). Im Grundgesetz stehe – im Unterschied zur Meinungsfreiheit im First Amendment der USA – der Schutz der Menschenwürde an oberster Stelle.

„Die amerikanische Tradition vertraut auf die Durchsetzungskraft von guten Meinungen im Wettbewerb mit schlechten.“ Die Kraft der öffentlichen Vernunft werde als effektivstes Mittel gegen Hass und Unsicherheit verstanden. Dagegen ist einzuwenden – und Brugger verweist auf die Debattenbeiträge aus der US-Frauenbewegung gegen Rassismus und Pornografie – dass ja durch Hassreden wirkliche Verletzungen hervorgerufen werden, dass die Würde von Einzelpersonen und Gruppen tatsächlich verletzt wird und geschützt werden sollte. Zudem „gibt es einen kumulativen Effekt von physischer und verbaler Gewalt“ (Brugger 2009). Ich fasse das Ergebnis dieser rechtsvergleichenden Darstellung so zusammen: Aus der amerikanischen Tradition der Meinungsfreiheit ergibt sich unzweifelhaft eine tiefgreifende gesellschaftliche Verbundenheit mit dem Prinzip, dass alle Meinungen Zugang zum „marketplace of ideas“ haben sollen. Ungeachtet dessen stellen die Auswirkungen, die Hassrede auf die betroffenen Gruppen hat, ein ernstzunehmendes gesellschaftliches Problem dar. Greift man nicht ein, so bleiben die Opfer weiterhin Opfer der Worte, die verwunden.

Bruggers rechtsvergleichende Darstellung ist vorsichtig bei der Bewertung der beiden Traditionen, im Unterschied zu der von ihm eher skeptisch beurteilten Position von Judith Butler. Die auch in Deutschland bekannte feministische Sprachwissenschaftlerin arbeitet mit dem Foucaultschen Diskursbegriff, der das feine Verwobensein von Denk- und Herrschaftsstrukturen gerade auch im Strafrecht analysiert. In ihrer Untersuchung „Hass spricht – Zur Politik des Performativen“, in den USA 1997 unter dem Titel „Excitable Speech A Politics of the Performative“ erschienen, argumentiert sie ganz aus einem liberal-staatskritischen Grundverständnis heraus:

„Wenn die Befürworter einer rechtlichen Verfolgung von hate speech die state action doctrine [Staatliches Handeln ist rechtlich anders zu sehen als gesellschaftliches, der Verf.] verabschieden, verabschieden sie möglicherweise zugleich eine kritische Auffassung der Staatsmacht, indem sie deren Attribute auf jene Handlungs- und Wirkungsmöglichkeiten übertragen, über die Staatsbürger als Subjekte verfügen. Indem der Staat mit seinem Rechtssystem über die Verfolgung von hate speech entscheiden soll, erscheint er stillschweigend als eine Form der neutralen Rechtsdurchsetzung“ (Butler 2006, S. 78 ff.).

Sie parallelisiert als Feministin die gesellschaftliche Definitionsmacht über Geschlechts- mit der staatlichen über Rassen-Identität. Besonders die Befürworter der Strafverfolgung warnt sie vor der produktiv-diskursiven, definitorischen Macht des Staates. Darüber hinaus, so Butler, produziere der Staat Hate Speech. Die rechtliche Kategorie der Hassrede könne ohne das Tätigwerden des Staates nicht existieren und der Staat entscheide zwischen Sprechbarem und Nicht-Sprechbarem. Dadurch lege der Staat selbst fest, was allgemein akzeptable Rede sei. Rede sei mithin solange nicht hasserfüllt oder diskriminierend, bis die Gerichte sagen, dass sie dies sei. Im Verständnis Butlers gibt es solange keine Hassrede im eigentlichen Sinne, wie kein Gericht entschieden hat, dass diese vorliegt. Da es sich dabei um staatliche Entscheidungen handle, produziere der Staat selbst Hate Speech – auch wenn er sie nicht selbst verursache. Regelungen von Hassrede, die nicht staatlich zentriert sind, so zum Beispiel Campus Speech Codes in einer eingeschränkten Jurisdiktion der Universität, sind aus Butlers Sicht weniger besorgniserregend. Trotzdem fordert sie, solche Regelungen eingeschränkt anzuwenden und hinsichtlich des Effekts dieser Rede eine entsprechende Beweisführung vorzunehmen.

Butler kritisiert, dass die rechtlichen Bemühungen, Hassrede einzuschränken, beim Individuum ansetzen. Der Redner wird als Schuldiger ausfindig gemacht, obwohl er nicht der Ursprung dieser Rede ist. Im Zentrum ihrer Argumentation steht, dass gesetzliche Verbote problematisch sind, obwohl sie diese letztendlich nicht klar ablehnt. Sie favorisiert eher die Strategie des subversiven Umdeutens: Die Homosexuellen haben zum Beispiel das Schimpfwort „schwul“ an die Absender zurückgegeben, allerdings positiv als Selbstbezeichnung umgedeutet.

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