Jahrbuch der Akademie CPH - Anregungen und Antworten

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Из серии: Fragen der Zeit #4
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Globale Herausforderungen





Im Ulmer Brotmuseum blinkt eine Lampe im letzten Raum, der sich Welternährungsfragen widmet, etwa alle fünf Sekunden lang auf. Sie soll versinnbildlichen, dass nach den Berechnungen der UN-Welternährungsorganisation weltweit alle fünf bis acht Sekunden ein Mensch an Hunger und Unterernährung stirbt. Dieses Blinken bleibt länger im Gedächtnis als die ihr zugrunde liegenden Zahlen. Von den rund 6,5 Milliarden Menschen auf der Welt leben rund 1,5 Milliarden in extremer Armut. Nach den kürzlich erschienenen Zahlen der Weltbank sind es 1,4 Milliarden. Das Schwanken liegt an der Berechnungsgrundlage. Bisher waren Menschen, die mit einem Dollar am Tag ihren Lebensunterhalt bestreiten mussten, dieser Kategorie zugeordnet worden. Nun beruht sie auf einer Rundung von 1,25 Dollar pro Person und Haushalt. Gleichzeitig rutschen durch den seit Jahren zweistelligen Wirtschaftsboom in China Millionen von Menschen aus der untersten Armutsgrenze in die relative. Bei aller Veränderung dieser Zahlen bleibt mittlerweile die Größe derer, die in Armut leben, recht konstant bei 3,1 Milliarden Menschen. Sie verfügen am Tag über weniger als zwei Dollar. Wie man auch rechnet, über Jahrzehnte sind es rund 50 % der Weltbevölkerung, die zu arm sind, um sich, wenn überhaupt, nur unausgewogene Nahrung leisten zu können, ein wenig billigen Reis und (Mais-)Brot, die keinen Zugang zu Krankenversorgung haben, geschweige denn über eine menschenwürdige Behausung verfügen oder Zugang zu gesundem Wasser haben. Allein die Todesfälle durch verunreinigtes Wasser werden jährlich auf über 200 Millionen veranschlagt. Etwa 2 Milliarden Menschen haben keinen Zugang zu diesem elementaren Lebensmittel. In dem beeindruckenden Film „We feed the world“ kommt der Vorstandsvorsitzende Brabeck von Nestlé, der weltweit führenden Inhaberin von Wasserversorgungsnetzen, zu Wort. Sinngemäß sagt er, es gäbe Menschen, die glauben, Wasser sei ein Grundrecht aller und nicht eine Ware des Marktes. Diese Menschen würden nicht einsehen, dass erst der Markt dem Wasser seinen Wert beimisst und die Mechanismen des Marktes nach manchen nötigen Strukturanpassungen letztlich zu einer gerechteren Verteilung helfen oder führen würden. Jean Ziegler, der ebenfalls in diesem Film interviewt wird und auch als Sonderberichterstatter der UN für Welternährungsfragen vor deutlichen Worten nicht zurückschreckt, formuliert dagegen drastisch: „Wenn heute ein Mensch an Hunger stirbt, wird er ermordet.“ Unsere zivilisatorischen Errungenschaften haben seit langem einen Stand erreicht, um die natürlichen Ressourcen ohne ökologische Erschöpfung zu nutzen, um jeden einzelnen Menschen dieser Erde zu ernähren. Das Blinken im Ulmer Brotmuseum macht deutlich, welche Dimensionen Hunger hat. Aber es zeigt uns noch keine Gesichter. Die Welt der Zahlen vermag Erschrecken auslösen, gewinnt aber keine Konturen. Wer jemals durch einen Slum in Indien, eine Favela bzw. ein Barrio in Lateinamerika oder eine Müllhalde vor den Megacitys dieser Welt ging, wer jemals die ausgemergelten Gestalten auf den Feldern Indiens oder Afrikas, in den Sweatshops an den Küsten Asiens sah, wird nie mehr vergessen, dass hinter diesen 10-stelligen Zahlen einzelne Menschen stehen. Menschen, welche durch ihre Geburt die gleiche Würde in sich tragen. Menschen, denen es nicht gegeben war, im Gegensatz zur knappen anderen Hälfte der Menschheit ihre Würde, ihre Individualität und Persönlichkeit entfalten zu können. Im letzten Vierteljahrhundert konnte dem Siegeszug der neoliberalen Weltanschauung, verstärkt seit dem Zusammenbruch des Ost-West-Konfliktes, kein Einhalt geboten werden. Die Rezepte zur Lösung dieser humanitären Herausforderung haben die Probleme und die Kluft zwischen Armen und Privilegierten sogar immens vergrößert. Profitiert haben davon die multinationalen Konzerne, welche ihre Verteidiger und Ideologen in Politik und Wissenschaft unterstützen. Karl Marx hatte zurecht aphoristisch zugespitzt: „Die herrschenden Ideen sind die Ideen der Herrschenden.“ Mittlerweile haben sich viele Gegenbewegungen gebildet, die Hoffnung machen. Literarische Gegenentwürfe sowie Aktivisten und Bewegungen machen Mut, zeigen aber auch die Dominanz des neoliberalen Denkens. Was wir brauchen ist die Kraft der Kreativen! Man lese nur die Biografien der Preisträger des alternativen Nobelpreises, aber gerne auch die der offiziellen. Es gibt kreative Köpfe gegen den mainstream, es wird aber nicht ausreichen, als Einzelne gegen die herrschende Politik in dieser global vernetzten Welt anzugehen, um ein Mehr an Humanität zu schaffen. Dazu braucht es viele, vor allem in den privilegierten Weltbevölkerungsgruppen, jede und jeden einzelnen. Es braucht die Kreativität von Hinz und Kunz oder von Frau und Herrn Mustermann, um diese Welt humaner zu gestalten. Dabei ist das Ziel nicht allein ein Einsatz für hehre Ziele um eine Weltzivilgesellschaft. Eine Humanisierung beginnt damit, dass auch im kleinen Umfang die Bahnen der Ich-AG verlassen werden, um nach Alternativen zu suchen. Ein Einsatz für mehr Menschenwürde und Menschenrechte beginnt hier und sollte dann aber den Blick weiten. Der alte Slogan von lokalem Handeln und globalem Denken hat weiterhin seine Berechtigung. Dazu gehört Kreativität, die aber große Widersacher hat.







Die überforderte Gesellschaft





Lassen Sie mich kurz auf die Bahnhofsbuchhandlungen zurückkommen. Allein der Blick auf die Regalmeter der Literatur zu Computertechnik und Hobbys lässt erahnen, mit welchen Dingen Menschen ihre Zeit verbringen. Natürlich hat der Einzug der Personalcomputer eine neue Stufe der digitalen und damit Informationsrevolution eingeleitet. Die entsprechenden Firmen wie MICROSOFT, IBM, INTEL etc. feiern in diesen Tagen Geburtstag und sind gerade erstmal erwachsen geworden. Noch vor 20 Jahren waren Computer in Privathaushalten eine Ausnahme, heute verfügt beinahe jeder Haushalt in Deutschland über einen eigenen Internetzugang. Als man vor 20 Jahren einen Telefonanschluss ins Haus legen ließ, gab es dafür einen Anbieter und einen kleinen Apparat mit Wählscheibe, entweder grau oder orange, später hatte man auch noch die Wahlmöglichkeit grün. Heute benötigt man für die Auswahl des Anbieters, des entsprechenden Modells sogar Ratgeberliteratur (die es in den Bahnhofsbuchhandlungen zuhauf gibt). Die Wahl des passenden Handys wird zum abendfüllenden Projekt. Nun füllen die Abende aber auch noch ganz andere Projekte. Blickt man auf die Titelseiten der Zeitungen und Illustrierten, sind es viel wichtigere Fragen: die Entscheidung für die richtige Krankenversicherung, Altersvorsorge, die Weichenstellungen für die persönliche Fortbildung, Gesundheitsfragen. Der Beruf, etymologisch durchaus auf Berufung zurückzuführen, und damit auf eine lebenslange Bestimmung für eine Tätigkeit in einem Unternehmen, wurde längst zum Job. Und das bereits vorgetragene Plädoyer, die großen Fragen nach Armut und Gerechtigkeit weltweit in den Blick zu nehmen, soll nicht darüber hinwegsehen lassen, wie sehr auch hierzulande Menschen um ihre Existenz ringen. Armut ist ja ein doppeltes Phänomen: Wenn wir von primärer Armut sprechen, handelt es sich um den Mangel an grundlegenden Mitteln zur Selbsterhaltung. Aber sekundäre Armut, die nicht mehr einen der Umwelt entsprechenden Lebenswandel ermöglicht, betrifft zunehmend mehr und soll nicht bagatellisiert werden. Die Menschen in unserer Gesellschaft sind unsicher geworden, Lebensentwürfe sind für einen Großteil unserer Bevölkerung nichts Abgeschlossenes und auch nichts Langfristiges mehr. In dieser verschärften „neuen Unübersichtlichkeit“ (Jürgen Habermas) sind die Anforderungen immens gestiegen. Es mag aus diesem Blickwinkel heraus nicht verwundern, dass die Ratgeberliteratur und der Anteil an Büchern zu spirituellen Themen ebenso zugenommen haben. Noch im mittlerweile vorletzten Jahrhundert kannte man die Sparte Erbauungsliteratur. Auch diese jetzige Literatur versucht zu erbauen, den Menschen aufzubauen, der unter der Last der Anforderungen schier zusammenbricht. Natürlich sind dies gemessen an den oben zitierten Herausforderungen von Hunger und Ausbeutung Luxusfragen und man möchte mit Friedrich Nietzsche resigniert feststellen, dass jede Kulturstufe ihre eigenen Probleme schafft. Aber die Mitglieder einer überforderten Gesellschaft zwischen Hartz IV und Burnout haben keinen Freiraum mehr für Kreativität. Erst recht nicht für eine Kreativität, die ihre Energie auf Fragen der Gestaltung der eigenen Welt unter Berücksichtigung globaler Zusammenhänge wirft. Wer überfordert und überlastet ist, der verliert die Fähigkeit zur Empathie, also dem Ein- und Mitfühlen mit anderen und hier eben auch mit den Armen und Entrechteten. Wer überfordert ist, verliert auch die Fähigkeit zum Perspektivenwechsel. Wer selbst aufgrund hoher Belastung mit eigenen Diätwünschen nicht zurecht kommt, der kann sich nicht um den vor Hunger Sterbenden kümmern. So paradox und zynisch dies klingen mag, so einfach ist es psychologisch zu erklären. Und an dieses Bild schließt sich auch die ironische Umdeutung des Leitsatzes eines christlichen Hilfswerkes an: „Brot für die Welt – Kuchen für uns.“ Verzicht und Relativierung des eigenen Lebensstandards gehören nicht gerade zum gängigen Repertoire persönlicher Lebensführung. Und gleichzeitig sind es zum Teil banale Binsenweisheiten der regalweise vorhandenen Ratgeberliteratur zu „Simplify your life“, „Finde die Mitte“, „Die Kunst der Balance“ etc., die darauf zielen, was die Entfaltung von Kreativität benötigt: Entschleunigung des Lebensrhythmus und eine Balance von Genuss und Verzicht. Ein Blick auf den Ursprung des Wortes Kreativität ist an dieser Stelle vielleicht noch hilfreich. Es geht auf das lateinische Wort creare zurück, das eben etwas erfinden, erzeugen, neu schöpfen, meint. Es klingt aber auch das Wort crescere an, das soviel heißt wie „werden, wachsen, wachsen lassen“. Der bereits zitierte Kreativitätsforscher Holm Hadulla betont daher auch die Balance von aktivem Gestalten und passivem Geschehen als fördernd für Kreativität. Ein Blick auf viele kreative Köpfe scheint dies zu bestätigen, die ihr „Heureka-Erlebnis“ hatten. Dieses Wort geht bekanntlich auf Archimedes zurück, der aus Intuition beim Einsteigen in eine übervolle Badewanne das Prinzip der Hydrostatik entdeckt habe. Viele Beispiele in dieser Tradition ließen sich anführen, der Apfel Newtons, Darwins Wagenfahrt, Kekulés Schlange. Dem Mathematiker Gauß wird als Beleg von Intuition als Voraussetzung von Entdeckungen der Satz zugeschrieben: „Meine Ergebnisse habe ich schon, nur weiß ich noch nicht, auf welchen Wege ich zu ihnen gelangen werde“, und der Chemiker Kekulé fasste es in einer Rede zum 25jährigen Benzolfest 1890 in Berlin so zusammen: „Lernen wir träumen, meine Herren, dann finden wir vielleicht die Wahrheit – aber hüten wir uns davor, unsere Träume zu veröffentlichen, ehe sie durch den wachen Verstand geprüft worden sind.“

 



Zur Entwicklung von Kreativität benötigen wir also mehr als rationale Problemlösungsstrategien, so auch das Credo all der genannten Ratgeberliteratur. Wer sich also nach alten und neuen Lebensweisheiten richtet, der schafft mehr an innerer Zufriedenheit, Sinnhaftigkeit, mehr an Leistungsfähigkeit und eben auch Kreativität. Letztgenannte, und damit schließt sich der Kreis, sollte aber nicht zur Optimierung der Arbeitsleistung und damit der Ich-AG eingesetzt werden, auch nicht zur Steigerung des eigenen Hedonismus. Sie sollte dazu führen, den Geist zu öffnen, das Herz zu weiten und die weltweiten Verletzungen des Menschlichen einzubeziehen. Unsere weltliche Sinnleere nimmt mit zunehmender Ausgrenzung der sozialen Wirklichkeit der Menschen weltweit zu.







Ein anderer Blick





Wer durch Buchhandlungen schlendert, der wird viel erfahren können. Die Menge an Informationen zu Börsennachrichten und anderen Themenkomplexen steht im eklatanten Missverhältnis zu Informationen über Lebensverhältnisse weltweit. Die (ehemalige) Bundesentwicklungs-ministerin Heidemarie Wieczorek-Zeul hat in einem Aufsatz dargelegt, dass man so etwas wie einen Aktienindex zum Stand des Menschlichen benötigen würde. Statt der Ziffern des DAX und Dow Jones könnte man den Blick auf die Zahlen zu Armut, Ernährung, Zugang zu Bildung, Schule etc. werfen. Es wären wieder Zahlen, aber sie würden den Blick auf andere Lebenswirklichkeiten lenken. (Und, so mag man an das Ende dieser Gedanken setzen, es würde allen gut tun.) Im Moment, oder zumindest in den letzten Monaten und Jahren, waren es wenige Titel in den Buchhandlungen, die sich damit beschäftigten. Aber zum Teil haben es einzelne Aspekte schon auf die Bestsellerlisten gebracht. Hoffentlich finden sich bald mehr in den Regalen, die davon Zeugnis ablegen, dass Menschen ihre Kreativität zu einem Ziel einsetzen, zur Humanisierung der Welt.






2.








Thomas Antkowiak





„Daheim auf zwei Quadratmetern – Vom Leben im Käfig“





Eine Misereor-Ausstellung zum Menschenrecht auf Wohnen

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Was heißt es, auf etwa zwei Quadratmetern sein Leben fristen zu müssen – ohne jede Privatsphäre, vielleicht ohne Aussicht darauf, dass sich die Situation ändert. Ist es möglich, unter solchen Bedingungen zu leben, ohne Mut, Hoffnung und Selbstwertgefühl zu verlieren?



Misereor richtet mit der Ausstellung über die sogenannten „Käfigmenschen“ in Hongkong das Augenmerk auf die Wohnsituation von Armen in Städten. Das Hilfswerk macht auf die Menschenrechtsverletzungen aufmerksam, denen diese Menschen – oft ohne eigene Schuld – ausgesetzt sind – und zeigt auf, welche Möglichkeiten es für uns gibt, sich solidarisch zu zeigen und aktiv zu werden.



Misereor wurde 1958 von der Deutschen Bischofskonferenz als katholisches Werk für die Entwicklungszusammenarbeit gegründet. Der Gründungsauftrag, den der damalige Vorsitzende, der Kölner Erzbischof Josef Kardinal Frings formulierte, war ein dreifacher:



– Hilfe zur Selbsthilfe zu leisten zur Bekämpfung von Hunger und Krankheit in der Welt;



– die Menschen in Deutschland durch Bildungsarbeit und Kampagnen auf die Situation der Armen und die Ursachen von Ungerechtigkeit aufmerksam zu machen und



– den Reichen und Mächtigen vom Evangelium her ins Gewissen zu reden.



Dieser Dreiklang leitet Misereor bis heute. Dabei liegt der Bezug zu den Menschenrechten auf der Hand. Der Einsatz für die Menschenrechte – und für die Änderung ungerechter Machtstrukturen – zieht sich wie ein roter Faden durch die Arbeit des Hilfswerks, denn Menschenrechte und Entwicklung hängen wechselseitig voneinander ab.



In einer Stadt wie Nürnberg, die sich als „Stadt der Menschrechte“ einen Namen gemacht hat, braucht es eigentlich nicht besonders erwähnt zu werden, dass am 10. Dezember 1948 auf der Generalversammlung der Vereinten Nationen die

Allgemeine Erklärung der Menschenrechte

 feierlich verabschiedet wurde. Sie gilt bis heute für alle – auch für die erst später beigetretenen Mitgliedsstaaten der Vereinten Nationen – inzwischen 192 an der Zahl.



Ziel der

Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte

 ist es, eine Welt zu schaffen, in der alle Menschen „frei von Furcht und Not“ leben können: Frei von Furcht, das bedeutet:



– frei von Furcht vor politischer oder religiöser Verfolgung,



– frei von Furcht vor Folter,



– frei von Furcht vor Todesstrafe und



– frei von Furcht vor willkürlicher Inhaftierung, nur weil man seine Meinung geäußert hat.



Ohne Not zu leben, das heißt:



– genug zu essen zu haben,



– an sauberes Trinkwasser zu gelangen,



– Zugang zur nötigen medizinischen Versorgung zu haben,



– einen Arbeitsplatz zu haben, der es erlaubt, genügend für den Lebensunterhalt für sich und die Familie zu verdienen,



– ohne Not zu leben heißt, Zugang zu Bildung zu haben – für Erwachsene und vor allem die Kinder und einen angemessen Platz, um menschenwürdig zu wohnen.



Die letztgenannten Menschenrechte gehören zu den „wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen“ Menschenrechten. Lange wurden sie als nachrangig betrachtet, als Zukunftsvision, deren Verwirklichung die Staaten sich oft nicht leisten können – oder wollen!



Anders als etwa das Verbot der Folter oder das Gebot der Meinungs-, Vereinigungs- oder Religionsfreiheit, die zu den „bürgerlichen und politischen Rechten“ gehören, gelten die „wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen“ Menschenrechte vielen noch bis in unsere Tage als Menschenrechte zweiter Klasse. Doch sind sie dies keineswegs: Von Anfang an waren sie Bestandteil der Allgemeinen Erklärung der Menschenrechte. Zur Bekämpfung der Armut spielen sie eine mindestens ebenso wichtige Rolle wie die bürgerlichen und politischen Rechte. Für die Arbeit von Misereor sind beide Menschenrechtsdimensionen gleichermaßen bedeutsam.



Am Beispiel der „Cage people“ in Hongkong macht Misereor auf das Schicksal all derer aufmerksam, denen das Menschenrecht auf einen angemessenen Platz zum Wohnen verwehrt wird. Mit der Ausstellung „Daheim auf zwei Quadratmetern – Vom Leben im Käfig“ will Misereor den Blick auf die unglaublich große Zahl von Menschen lenken, die inmitten aufstrebender Städte und schillernder Metropolen in bitterer Armut leben – mitten unter uns also – und doch versteckt und vergessen. Menschen, die am Rande der Gesellschaft leben. Es geht also auch darum, auf unser nahes Umfeld aufmerksam zu machen und zu verbinden.










Ein Blick über die Skyline von Hongkong lässt nicht erahnen, unter welchen Lebensbedingungen Menschen hier wohnen












Ausstellungseröffnung „Cage People“ im Caritas-Pirckheimer-Haus am18.11.2010 (Bildnachweis: Pressestelle Kath. Stadtkirche Nürnberg – Elke Pilkenroth)





Inmitten glitzernder Metropolen treffen wir auf unbeschreibliche Armut. Nicht nur in Hongkong, sondern in vielen Städten der Welt. Derzeit lebt bereits mehr als die Hälfte der Weltbevölkerung in Städten. Im Jahre 2030 werden schon drei von fünf Menschen in städtischen Ballungsgebieten leben. Das Wachstum der Städte ist ein Wachstum der Armut, denn der Anteil der armen Menschen steigt überproportional zur wachsenden Stadtbevölkerung an. Rund 100 Millionen Menschen weltweit sind bereits heute obdachlos. Das sind etwa 30-mal so viele wie die Bundeshauptstadt Berlin Einwohner hat. Schätzungsweise 2 Milliarden Menschen leben unter menschenunwürdigen Bedingungen, weil für sie kein menschenwürdiger und bezahlbarer Wohnraum zur Verfügung steht.



Hongkong ist ein bedrückendes Beispiel. Die Stadt hat etwa 7 Millionen Einwohner. 1,3 Millionen von ihnen leben unterhalb der Armutsgrenze. Wohnraum ist knapp in der Metropole und teuer. Für eine menschenwürdige Einzimmerwohnung im Stadtzentrum muss man im Durchschnitt über 1000 Euro pro Monat aufbringen. Für Hongkongs Arme unerschwinglich. Rund 100 000 Menschen in Hongkong können sich daher als ein Zuhause nicht mehr leisten als einen Käfig von weniger als 2 qm Größe – 20 000 von ihnen sind Kinder. Einen solchen Käfig kann man „schon“ für umgerechnet rund 120,– Euro im Monat mieten – Strom oder andere Nebenkosten meist nicht eingerechnet.



Der Käfig, der Bestandteil der Ausstellung ist, stand vor gut einem Jahr noch mitten in Hongkong. Zwei Menschen lebten darin, mit genau den Habseligkeiten, die auch jetzt dort zu sehen sind.



Erste Käfigheime entstanden in Hongkong bereits in den 1940er Jahren. Vor allem aber seit Anfang der 1950er Jahre boomte der Käfigheim-Markt. Denn damals kamen zahlreiche Einwanderer und Flüchtlinge vom chinesischen Festland ins aufstrebende Hongkong. Als Billiglöhner fanden sie Arbeit in den Fabriken oder verdingten sich als Lastenträger. Doch sie verdienten nicht genug, um sich eine menschenwürdige Unterkunft in der Metropole leisten zu können. Die Stadtverwaltung von Hongkong – damals noch britisch – stellte für all diese Einwanderer keinen angemessenen Wohnraum zur Verfügung. Alleinstehende waren bis in das Jahr 1985 hinein nicht einmal berechtigt, überhaupt einen Antrag auf eine Sozialwohnung zu stellen. So entstand ein neuer, „privater“ Wohnungsmarkt in Hongkong – der Markt der Käfigheime. Einige „einfallsreiche“ Haus- und Wohnungsbesitzer waren auf die Idee gekommen, einzelne Appartements oder ganze Wohnhausetagen aufzuteilen. Statt an eine einzelne Person oder an eine Familie konnten sie ihre Wohnungen und Appartements so an Dutzende von Menschen vermieten und ein Vielfaches an Miete kassieren und das alles völlig legal. Bis zu 100 solcher Wohneinheiten gab es in der Vergangenheit zuweilen auf einer einzelnen Hochhausetage.



Die hygienischen Verhältnisse sind in der Regel katastrophal. Dutzende Menschen müssen sich Toilette und Dusche teilen. Die sogenannten Küchen bestehen oft nur aus einer Gasflasche zum Betrieb zweier Herdplatten. Einen Kühlschrank sucht man zumeist vergeblich. Gesundheitsprobleme und soziale Konflikte sind vorprogrammiert. Viele Bewohnerinnen und Bewohner schotten sich ab: gegenüber der Außenwelt, gegenüber der eigenen Familie, manchmal auch untereinander.



Seit über 20 Jahren arbeitet eine der Misereor-Partnerorganisationen aus Hongkong für und mit den „Käfigmenschen“. SoCO, die „Society for Community Organisation“, wurde 1972 in Hongkong von einer Handvoll engagierter Menschen gegründet. SoCO ist eine gemeinnützige Menschenrechtsorganisation, die mit Sachverstand und Kompetenz die soziale Situation und Entwicklung Hongkongs analysiert und kommentiert, insbesondere die Lage der am gesellschaftlichen Rande der Weltmetropole lebenden Menschen. Der Menschen, die ausgegrenzt, diskriminiert, ignoriert werden: Arme, Alte, Behinderte, Billiglohnarbeiterinnen und Arbeiter. Viele von ihnen sind vom Festland Chinas eingewandert in der Hoffnung, in der aufstrebenden Stadt Arbeit und Wohlstand zu finden. Zu SoCO gehören rund zwei Dutzend fest angestellter Menschen und Hunderte ehrenamtliche Unterstützerinnen und Unterstützer, die konkrete Hilfe leisten, wo akute Not besteht. SoCO findet bei Ärzten, Sozialarbeitern und Psychologen, bei Pädagogen, Journalisten und Fotografen, bis hin zu Friseuren und anderen Handwerkern professionelle Unterstützung. Immer geht es darum, mit Fantasie und Empathie die Eigeninitiative der „Käfigmenschen“ zu fördern; sie zu ermutigen, selbst ihre Rechte einzufordern. Und immer wieder macht SoCO öffentlich auf das Schicksal der Menschen aufmerksam und leistet professionell und erfolgreich Lobbyarbeit zur Änderung von Gesetzen und Verordnungen, die die Interessen der in Armut lebenden Menschen nicht berücksichtigen und vernachlässigen.

 



SoCO zog sogar bis vor die Verein

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