Jahrbuch der Akademie CPH - Anregungen und Antworten

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Из серии: Fragen der Zeit #4
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Positive Maßnahmen der Menschenrechtsförderung

Ungeachtet der Möglichkeiten einer negativen oder positiven politischen Konditionalisierung der Entwicklungszusammenarbeit können konkrete Menschenrechtsprojekte oder -programme entwicklungspolitisch gefördert werden. Die beiden bisherigen entwicklungspolitischen Aktionspläne für Menschenrechte des Bundesministeriums für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung enthalten beispielsweise eine Palette entwicklungspolitischer Maßnahmen zur Förderung der Menschenrechte. Sie reichen von der Beratung von Regierungen bei der Umsetzung von Menschenrechtsstandards über die Stärkung menschenrechtlicher Institutionen bis hin zur Finanzierung ausgewiesener Menschenrechtsprojekte. Dem jüngsten Menschenrechtsbericht der Bundesregierung zufolge hat das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ) im Jahre 2009 menschenrechtsrelevante Vorhaben in einer Höhe von 600 Mio. Euro gefördert, darunter schwerpunktmäßig auch Vorhaben zu Rechte von Frauen, Indigenen und Kindern. In über 40 Ländern seien diese Schwerpunkte im politischen Dialog mit den Partnerländern vereinbart und in entsprechende entwicklungspolitische Länderkonzepte integriert worden.

Während die bilaterale staatliche Entwicklungspolitik indes auf die Zusammenarbeit mit den Regierungen der Partnerländer angewiesen ist, können nicht-staatliche Entwicklungsorganisationen bei der Auswahl ihrer Partner und der Ausgestaltung der Zusammenarbeit weit freier agieren. Die eigenständige Menschenrechtsarbeit von nicht-staatlichen Organisationen (NGOs) ist dabei breit gefächert: Sie fördern vor Ort beispielsweise Programme der Menschenrechtsbildung und des empowerments betroffener oder besonders verletzlicher Gruppen, unterstützen Proteste und Kampagnen gegen bestehende oder drohende Menschenrechtsverletzungen, finanzieren Programme der Rechtsberatung und des Rechtsbeistands oder leisten Schutz für verfolgte Menschenrechtsverteidiger und -verteidigerinnen. Die Menschenrechtsarbeit nicht-staatlicher Entwicklungs- und Menschenrechtsorganisationen weist dabei vielfältige Bezüge zur staatlichen Menschenrechtspolitik auf, indem diese etwa menschenrechtspolitische Themen öffentlichkeitswirksam aufgreifen, als watchdog staatliche und zwischenstaatliche Politiken kritisch begleiten, über Kritik, Proteste und Kampagnen nationale Regierungen und internationale Organisationen unter Zugzwang setzen und aktive Überzeugungs-, Lobby- und Advocacy-Arbeit gegenüber politischen Entscheidungsträgern betreiben, wobei sie fallweise mit like minded persons in Regierung, Parlament oder internationalen Gremien zusammenarbeiten. Auch nutzen Menschenrechts- und Hilfsorganisationen – unter Beibehaltung ihrer inhaltlichen Unabhängigkeit – öffentliche Gelder, um Menschenrechtsprojekte in Entwicklungsländern zu fördern.

Alles in allem gibt es eine Vielzahl positiver, flexibler Maßnahmen der Menschenrechtsförderung in der Entwicklungszusammenarbeit, die sich an die jeweiligen Ländersituationen anpassen lassen. Dabei hat die Bereitschaft zugenommen, die Menschenrechte auch in nicht-men-schenrechtsspezifischen Entwicklungsprojekten und -programmen zu berücksichtigen. Einige Länder und Organisationen verfolgen inzwischen sogar einen expliziten Menschenrechtsansatz in der Entwicklungszusammenarbeit, der die Menschenrechte zu einem vornehmlichen oder gar zum zentralen Referenzrahmen der Entwicklungszusammenarbeit erhebt. Die gesamte Entwicklungszusammenarbeit soll demnach konsequent auf die Umsetzung von Menschenrechten abzielen, die Menschen in Entwicklungsländern befähigen, ihre Rechte einzufordern und gesellschaftspolitische Entscheidungsprozesse aktiv mitzugestalten, sowie die Staaten dabei unterstützen, ihren völkerrechtlich fixierten menschenrechtlichen Pflichten nachzukommen. Viele Geber gehen zwar nicht so weit, ihre Ziele und ihr entwicklungspolitisches Handeln derart rigoros in Funktion der Menschenrechte zu stellen, wie es strikte Verfechter eines solchen Ansatzes ursprünglich forderten. Doch immerhin treten inzwischen etliche internationale Organisationen, Regierungen und NGOs dafür ein, Menschenrechte umfassender und konsequenter in der staatlichen wie nicht-staatlichen, bilateralen und multilateralen Entwicklungszusammenarbeit zur Geltung zu bringen und bekennen sich, wie die deutsche Bundesregierung, zu einem „weichen“, „undogmatischen“, „pragmatisch gehandhabten“ Menschenrechtsansatz in der Entwicklungszusammenarbeit. Dabei hapert es allerdings noch bei der konsequenten und kohärenten Umsetzung solch hehrer Verlautbarungen. Zudem stößt selbst die beste Menschenrechtsförderung in der Entwicklungszusammenarbeit an ihre Grenzen, wenn nicht auch die internationalen Rahmenbedingungen menschenrechtskonform ausgestaltet werden.

Menschenrechtsschutz als Querschnittsaufgabe

Die Politik muss sich daher auch solcher menschenrechtlichen und entwicklungspolitischen Probleme annehmen, die aus unzureichend geregelten globalen Märkten, Wirtschafts- und Finanzkrisen, Handels- und Patentrechten, Rohstoffabbau, Ressourcenkonflikten, land grabbing, Nahrungsmittelkrisen und Umweltzerstörungen resultieren. Dies verweist auf den Querschnittscharakter einer jeder Politik, welche die Menschenrechte hierzulande und in anderen Ländern fördern möchte. Bei allem commitment der deutschen Regierung zur Achtung, zum Schutz und zur Förderung der Menschenrechte kommt der Querschnittscharakter der Menschenrechtspolitik in der Praxis jedoch nur ungenügend zum Tragen. Noch immer werden menschenrechtliche Forderungen in vielen Politikbereichen (Sicherheit, Migration, Außenwirtschaft, Energie, Umwelt etc.) nicht konsequent zur Geltung gebracht – oder stoßen dort als „sachfremde Anliegen“ auf Irritationen, Unverständnis und Widerstände. Vielfach fehlen bereits die Kapazitäten, um die menschenrechtlichen Folgen politischen Handelns – sowohl in der Entwicklungszusammenarbeit als auch in anderen Politikfeldern – seriös abschätzen, beobachten, analysieren und bewerten zu können.

Eine letzte Bemerkung: Obwohl die Hauptverantwortung für den Schutz und die Erfüllung der Menschenrechte bei den Staaten liegt, kommt zugleich auch nicht-staatlichen Akteuren eine menschenrechtliche Verantwortung zu. Die fortschreitende wirtschaftliche Globalisierung hat den wirtschaftlichen und politischen Einfluss und Gestaltungsspielraum von Unternehmen, insbesondere von transnationalen Konzernen, erheblich erweitert. Da unternehmerisches Handeln direkt oder indirekt – im Positiven wie im Negativen – die bürgerlichen, politischen, wirtschaftlichen, sozialen und kulturellen Menschenrechte von Abermillionen Menschen beeinflusst, dürfen sich Unternehmen nicht ihrer – völkerrechtlich noch unzureichend verankerten – menschenrechtlichen Verantwortung entziehen. Zu fordern ist daher, dass Wirtschaftsunternehmen innerhalb ihres Tätigkeits- und Einflussbereichs menschenrechtliche Verantwortung übernehmen und ihnen national wie international effektive Regeln auferlegt werden.

Mein kurzes Fazit lautet: Wer Menschenrechte in Entwicklungsländern fördern möchte, sollte nicht nur negative Sanktionen erwägen, sondern auch und gerade die vielfältigen positiven Möglichkeiten der Menschenrechtsförderung ergreifen und zugleich Menschenrechte konsequenter als Querschnittsaufgabe in der Entwicklungszusammenarbeit und in anderen Politikfeldern zur Geltung bringen.

1 Überarbeitete Fassung eines Vortrags zur Eröffnung der Ausstellung im Caritas-Pirkheimer-Haus in Nürnberg am 18. 11. 2010.

1 Vortrag auf der „Internationalen Konferenz zur Lage der Menschenrechte in der Republik Guinea“, gehalten am 2. Oktober 2010 in Nürnberg.

1 Überarbeiete Fassung des gleichnamigen Vortrages in der Akademie CPH.

1 Vortrag auf der „Internationalen Konferenz zur Lage der Menschenrechte in Guinea. Ein Jahr nach dem ‚Blutigen Montag‘ vom 28. September 2009“ (Nürnberg, 2. Oktober 2010).

3.

Matthias S. Fifka
Scientology in Deutschland und den USA
Die unterschiedliche Wahrnehmung und Behandlung einer kontroversen Organisation1

Es ist still geworden um Scientology in Deutschland. Lediglich wenn prominente Mitglieder wie Tom Cruise oder John Travolta in einer Talkshow auftreten oder ein Spielfilm ausgestrahlt wird, der sich des Themas annimmt, steigt für kurze Zeit das Interesse der Öffentlichkeit. Anders verhielt es sich in den 90er Jahren, als ununterbrochen von den deutschen Medien – zumeist sehr negativ – über Scientology berichtet wurde und sich nahezu eine hysterische, kollektive Angst gegenüber der Organisation2 herausbildete. Der Religionswissenschaftler Hubert Seiwert befand in diesem Kontext treffend, dass Scientology in jenem Jahrzehnt wahrgenommen wurde „als ernsthafte Bedrohung für die innere Sicherheit und als sonderbare, aber mächtige Vereinigung, die ihre Mitglieder in ferngesteuerte Zombies verwandelte.“3

Der öffentlichen Meinung folgend ergriff auch die Politik Maßnahmen gegen die als subversiv eingeschätzte Organisation. 1997 befand die Ständige Konferenz der Innenminister und -senatoren, dass „tatsächliche Anhaltspunkte für Bestrebungen gegen die freiheitliche demokratische Grundordnung“4 vorlägen. Scientology wurde unter Beobachtung des Verfassungsschutzes gestellt, was in den USA große Empörung hervorrief. Das US-Außenministerium kritisierte in seinem International Religious Freedom Report das als Einschränkung der Religionsfreiheit perzipierte Vorgehen. Scientology selbst initiierte – auch mit Unterstützung zahlreicher prominenter Nicht-Scientologen – eine Anzeigenkampagne gegen das Vorgehen der deutschen Behörden. So wurde im International Harald Tribune eine Anzeige unter dem Titel „An Open Letter to Helmut Kohl“ geschaltet, in dem die Behandlung der Scientologen in Deutschland mit der Verfolgung der Juden während der nationalsozialistischen Herrschaft verglichen wurde:

 

„In the 1930s, it was the Jews. Today it is the Scientologists […] And – like the book burning of the 1930s – your party organized boycotts (Anmerkung: Die Junge Union hatte Boykottaufrufe gegen den Film „Mission Impossible“ mit Tom Cruise gestartet.). […] We implore you to bring an end to this shameful pattern of organized persecution. It is a disgrace to the German nation.“5

Bereits hier wird eine grundsätzlich andere Wahrnehmung und Behandlung Scientologys auf beiden Seiten des Atlantiks deutlich. Doch wie äußeren sich diese Unterschiede konkret und welche Ursachen können für den gänzlich anderen Umgang mit der Organisation ausgemacht werden? Diesen zentralen Fragen soll sich der folgende Beitrag annehmen. Bevor sie näher erörtert werden, wird jedoch zunächst ein kurzer einführender Überblick über die Entstehung und Glaubensinhalte Scientologys gegeben.6

Scientology – Entstehung und Glaubensinhalte

Die Entstehung und das Wesen Scientologys ist untrennbar mit der Person L. Ron Hubbards verbunden, der nicht nur ihr Gründer ist, sondern bis heute auch als geistiger „Übervater“ der Scientologen gesehen werden kann. Er wurde am 13. März 1911 in Nebraska geboren und begann im Jahr 1930 mit einem Studium des Ingenieurwesens in Washington, D. C. Ob er dieses jemals erfolgreich zu Ende gebracht hat, ist ungewiss und die Quellen gehen hier auseinander. Während Scientology selbst von einem erfolgreichen Abschluss spricht,7 schreiben andere Autoren, Hubbard hätte die Universität ohne einen solchen verlassen.8 Diese Anekdote soll zeigen, dass die wissenschaftliche Annäherung an Hubbard und Scientology aufgrund divergierender Quellen teilweise ein schwieriges Unterfangen darstellt.

Unumstritten ist, dass sich Hubbard zwischen 1933 und 1950 mit durchaus großem Erfolg als Schriftsteller betätigte und Erzählungen, Drehbücher und Science-Fiction-Romane schrieb. Darunter war das 1950 erstmals erschienene Werk Dianetics – The Modern Science of Mental Health, das Erkenntnisse und Methoden beinhaltet, auf die Scientology unter anderem gründet, und bis heute einen elementaren Bestandteil der Basisliteratur eines jeden Scientologen darstellt. Wie der Buchtitel verrät, handelt es sich dabei um einen Ratgeber, der psychologische Hilfe anbietet. Der Begriff der „Dianetik“ ist einer von vielen von Hubbard geschaffener Kunstbegriffen. Er setzt sich zusammen aus den griechischen Wörtern „dia“, was „durch“ bedeutet, und „nous“, was mit „Seele“ übersetzt werden kann, und wird von Scientology selbst mit dem Satz beschrieben: „Was die Seele dem Körper via den Verstand antut.“9 Allerdings stieß die Dianetik auf Widerstand unter Medizinern und wurde von der amerikanischen Ärztevereinigung American Medical Association als nicht wissenschaftlich fundierte Methode kritisiert, deren Psychiatriemethoden zu schweren Schäden führen könnten.10

Aufgrund dieser Schwierigkeiten entschied sich Hubbard, die Dianetik religiös auszurichten, und gründete im Jahr 1952 einen Scientologen-Verband (Hubbard Association of Scientologists) und ein Jahr später die Church of Scientology.11 Der Kunstbegriff „Scientology“ setzt sich zusammen aus dem lateinischen Wort „scire“ (wissen) und dem griechischen „logos“ (u. a. Wort, Rede) und wird von Scientology selbst verstanden als „Wissen über das Wissen.“12 Im Jahr 1954 etablierten Anhänger Hubbards die erste lokale Scientology-Kirche, Church of Scientology of Los Angeles, ehe er selbst im Jahr 1955 die offizielle Gründungskirche der Scientologen (Founding Church of Scientology) in Washington, D. C. ins Leben rief.13

Von diesem Zeitpunkt an betrieb Hubbard auch die internationale Expansion Scientologys, die zunächst in den angelsächsischen Ländern, später aber weltweit erfolgte. Sie war begleitet von zahlreichen rechtlichen Auseinandersetzungen und Verbotsverfahren, kann aber insgesamt – auch über Hubbards Tod im Jahr 1986 hinaus – als erfolgreich beurteilt werden. Scientology selbst gibt an, heute über etwa 3000 Einrichtungen in ca. 120 Ländern zu verfügen.14 Die erwähnten juristischen Konflikte drehten sich zumeist um die rechtliche Einstufung Scientologys und die Frage nach dem religiösen und gemeinnützigen Charakter der Organisation. Äußerst uneinheitlich sind dabei die jeweiligen nationalen Positionen. Während z. B. in Deutschland, Belgien, Frankreich, Irland, Israel, Luxemburg und Mexiko die Anerkennung als Religionsgemeinschaft zumeist verweigert wird, hat Scientology in Österreich, Schweden, Kroatien, Ungarn, Slowenien und den USA, aber auch in traditionell streng katholischen Ländern wie Spanien, Portugal und Italien den Status einer Religionsgemeinschaft zugesprochen bekommen.


(Bildnachweis: Matthias Fifka)

Die vor allem in Deutschland anzutreffende Klassifizierung von Scientology als Sekte ist unter religionswissenschaftlichen Maßstäben nicht gerechtfertigt, denn der Begriff „Sekte“ wird aus dem Lateinischen abgeleitet und bedeutet „Richtung“. Bei Sekten handelt es sich also im eigentlichen Sinne des Wortes um Weiterentwicklungen oder Abspaltungen von bereits bestehenden Religionen, was auf Scientology nicht zutrifft. Vielmehr handelt es sich bei der von Hubbard entwickelten „Glaubenslehre“ um eine eklektische Neukreation, in die vielerlei unterschiedliche Ideen eingeflossen sind, u. a. Elemente der Freudschen Psychoanalyse, der Jungschen Archetypus-Theorie, der Semantik des Sprachphilosophen Alfred Habdank Korzybski, Riten satanischer Magie, der Science-Fiction-Literatur und östlicher Religionen.15 Vereinfachend kann gesagt werden, dass der scientologische Glaube auf einer theoretischen und einer praktischen Basis beruht. Erstere besteht aus der von Hubbard entworfenen Heilslehre, während die Dianetik als praktische Heilstechnik dazu dient, der Heilslehre zu folgen und sie umzusetzen.16

Nach scientologischer Lehre setzt sich der Mensch aus drei Teilen zusammen: dem Thetan, dem Verstand und dem Körper, der rein physische Aufgaben übernimmt. Der in Anlehnung an den griechischen Buchstaben Theta benannte Thetan ist die wahre Identität einer Person und von intrinsisch guter, überaus kreativer, unsterblicher und allwissender Natur. Ein höheres göttliches Wesen gibt es von daher in der scientologischen Lehre nicht, denn eine vergleichbare Position wird von den Thetanen selbst eingenommen. Der Verstand wiederum – und hier werden Parallelen zur Lehre Freuds deutlich – ist gespalten in einen analytischen bzw. bewussten und einen reaktiven bzw. unbewussten Verstand. Während der analytische Verstand der zielführenden, rationalen Problemlösung dient, speichert der unbewusste Verstand negative Erfahrungen und traumatische Erlebnisse. Diese Engramme sind schmerzhaft und führen zu menschlichen Fehlhandlungen. Sie werden als der Ursprung allen Übels angesehen und sind sowohl für geistige Krankheiten als auch für körperliche Beschwerden verantwortlich. Da die Engramme den Thetan und den analytischen Verstand stören und bei der perfekten Lösung eines Problems hindern, müssen sie beseitigt werden. Dies geschieht in erster Linie mit Hilfe der Dianetik.

Das individuelle Ziel liegt nun darin, clear zu werden, d. h. sich von den Engrammen zu befreien und sich schließlich der eigenen Realität als Thetan bewusst zu werden. Das übergeordnete gesellschaftliche Ziel wiederum, das Scientology explizit ausgibt, besteht in der Erschaffung einer Welt von clears, in der keine Kriege, Krankheiten oder sozialen Missstände existieren. Nicht-Scientologen stellen in dieser Welt unerwünschte Erscheinungen dar.

Der Fortschrittsprozess hin zum Thetan wird als „Brücke der totalen Freiheit“ bezeichnet, die nur durch das erfolgreiche Absolvieren verschiedener Kurse beschritten werden kann. Diese sind mit hohen Kosten verbunden, welche sich in ihrer Gesamtheit – je nach Angabe – auf € 250 000 bis € 350 000 belaufen.17 Aufgrund dieser offensichtlich kommerziellen Orientierung wird eine Anerkennung als gemeinnützige oder religiöse Vereinigung häufig abgelehnt, wobei es hier zu unterschiedlichen Einschätzungen, vor allem im internationalen Vergleich, gekommen ist.

Scientology – der Status Quo in Deutschland und den USA

Laut Garrison wurde die Steuerbefreiung der Founding Church of Scientology schon 1956 von der amerikanischen Steuerbehörde, dem Internal Revenue Service (IRS), gewährt, diese aber bereits zwei Jahre später zurückgezogen mit der Begründung, dass Scientology nicht ausschließlich religiöse Zwecke verfolge.18 In den Folgejahren strebte Scientology mehrere Klagen gegen den IRS an, die jedoch erfolglos blieben. Erst 1989 bestätigte ein Revisionsgericht in Kalifornien, dass Scientology als Religion zu beurteilen sei. Der Organisation war es nun gelungen, darzulegen, ihre Praktiken würden durchaus denen traditioneller Religionsgemeinschaften entsprechen. Das Urteil stellte klar die Rechte heraus, auf die sich Scientology berufen konnte, ohne dabei die Gefahren auszuklammern, die von der Organisation möglicherweise für den Einzelnen ausgingen. Die dogmatischen und theologischen Inhalte der Lehre wurden von den Richtern nicht bewertet.

Auf diesem Urteil aufbauend und nach Offenlegung des eigenen Vermögens, errang Scientology den lang angestrebten Status der Steuerfreiheit schließlich am 13. Oktober 1993 durch Genehmigung des IRS. Seither ist Scientology in den USA als Religionsgemeinschaft anerkannt und damit auch von der Federal Income Tax befreit.19 153 Scientology-Organisationen und Missionen wurden entsprechend als Organisationen gemäß section 501(c) (3) und section 170 (b) (1) (A) (i) des Internal Revenue Code eingestuft. Das garantiert nicht nur Steuerfreiheit für die Organisation selbst, sondern ermöglicht auch den Mitgliedern, ihre Beiträge von der Einkommenssteuer als Spenden abzusetzen. An dieser Stelle ist zu erwähnen, dass in den USA anders als in Deutschland hinsichtlich des rechtlichen Status keinerlei Differenzierung zwischen religiösen Vereinigungen vorgenommen wird. Eine Unterscheidung in Körperschaften des öffentlichen Rechts beispielsweise oder gemeinnützige Vereine kennen die USA nicht. Alle denominations, unabhängig von ihrer Größe oder ihres Alters, erfahren somit eine Gleichbehandlung. Bereits daran wird das große Bemühen ersichtlich, eine möglichst hohe Neutralität des Staates im Umgang mit Religion zu gewährleisten. Ein Verbot Scientologys stand in den USA zu keiner Zeit ernsthaft zur Diskussion.

In Deutschland gestaltet sich die rechtliche Einordnung Scientologys weit schwieriger, was mehrere Ursachen hat. So ist zum einen eine wertneutrale Annäherung an den Gegenstand weniger stark ausgeprägt, wie Leggewie und Lagalée treffend befinden:

„[D]ie Disqualifikation von Scientology als ‚Kirche‘ und ihre pejorative Einordnung als ‚Sekte‘ hilft nicht weiter. Dies ist ein alteuropäischer Maßstab, der die etablierten christlichen Großkirchen über Gebühr privilegiert hat und schon bei der Anerkennung der nichtkirchlich strukturierten islamischen Gemeinschaften in Europa auf gewaltige Probleme stößt.“20

Zum anderen bestehen, wie oben angesprochen, in Deutschland zahlreiche Rechtsformen, die religiöse Vereinigungen annehmen können. Im Falle Scientologys haben sich Gerichte sowohl mit der Frage auseinandergesetzt, ob Scientology als Religionsoder Weltanschauungsgemeinschaft einzustufen ist, als auch mit der Frage, ob Gemeinnützigkeit oder aber ein wirtschaftlicher Geschäftsbetrieb zu attestieren ist. Die jeweiligen Urteile gehen hier weit auseinander. So kam z. B. das Bundesarbeitsgericht 1995 zu dem Schluss, dass Scientology wirtschaftliche Zwecke verfolge und nicht als Religionsgemeinschaft gemäß Art. 4, 140 GG und 137 WRV zu betrachten sei, weil „die völlige Kommerzialisierung der Mitgliedschaft und der religiösen Dienste“ im Mittelpunkt stehe, was durch die „geschäftliche Werbung, [die] Provisionszahlung für erfolgte Vertragsabschlüsse sowie [die] finanzielle Erschwerung des Aus- und Wiedereintritts“21 deutlich werde. Völlig anders hingegen urteilte der Bayerische Verwaltungsgerichtshof unter Bezugnahme auf ein ähnliches Urteil des Baden-Württembergischen VGH:

 

„Nach diesen Grundsätzen ist der BayVGH – wie bereits der Verwaltungsgerichtshof Baden-Württemberg hinsichtlich einer anderen Scientology-Organisation – zu dem Ergebnis gelangt, dass der Verein Celebrity Center Scientology Kirche München e. V. keinen wirtschaftlichen Geschäftsbetrieb unterhält. Die von ihm gegenüber seinen Mitgliedern angebotenen Leistungen, insbesondere das sog. Auditing und die Ausbildung zum Auditor, die nach seinem unbestrittenen Vortrag einen wesentlichen Teil seiner Tätigkeit ausmachen, sind zentraler Teil der Lehre von Scientology und können deshalb nicht von anderen, wie z. B. von Aussteigern, in vergleichbarer Weise erbracht werden. Für die Mitglieder werden diese Leistungen von der gemeinsamen scientologischen Überzeugung – mag es sich um eine Religion handeln oder nicht – getragen, von der sie nicht gelöst werden können, ohne ihren Wert für die einzelnen Mitglieder zu verlieren.“22

Schlussendlich ist somit die rechtliche Beurteilung Scientologys in Deutschland von Bundesland zu Bundesland stark unterschiedlich, wobei die Anerkennung als gemeinnütziger Verein in den letzten Jahren zunehmend von Gerichten bestätigt wurde.

Diese Tendenz in der Rechtsprechung hat sich jedoch nicht, wie man vielleicht annehmen möchte, positiv auf die Mitgliederzahlen ausgewirkt. Seit Ende der 90er Jahre ist von sinkenden, bestenfalls von stagnierenden Mitgliederzahlen in Deutschland auszugehen, was vor allem an dem extrem negativen Bild Scientologys liegt, das in den 90er Jahren in der öffentlichen Kontroverse geprägt wurde. Die aktuelle Zahl der Scientologen liegt nach Eigenangaben der Organisation bei etwa 12000.23 Das Landesamt für Verfassungsschutz Baden-Württemberg hingegen schätzte 2007 die Zahl der Scientologen in Deutschland auf nur 5000 bis 6000.24 Zehn Jahre vorher ging Ursula Caberta noch von einer Mitgliederzahl von 10000 aus, jedoch mit abnehmender Tendenz.25 Ähnlich befand der Kritiker Ingo Heinemann: „Ende der 1990er ist die Zahl der Mitglieder und der Anhänger in Deutschland drastisch zusammengebrochen, vermutlich auf ein Zehntel der ursprünglichen Zahlen.“ Als Gründe gibt er „die öffentliche Berichterstattung, die Aufklärung und die Beobachtung durch den Verfassungsschutz ab 1997“26 an. Wenngleich dem Befund zu den Ursachen vorbehaltlos zuzustimmen ist, scheint die Schätzung eines Einbruchs auf ein Zehntel doch als gewagt, denn sie würde implizieren, dass Scientology einst 50 000 bis 60 000 Mitglieder in Deutschland gehabt habe.

In den USA kann von etwa 55 000 Scientologen ausgegangen werden, wenngleich hier eine Einschätzung schwierig ist, da keine Daten von öffentlicher Stelle vorliegen. Einen sehr guten Anhaltspunkt liefert jedoch das umfangreiche American Religious Identification Survey das auf einer Selbsteinschätzung der Befragten beruht. Es ermittelte von 1990 bis 2001 sogar einen leichten Zuwachs von 45 000 auf 55 000 Scientologen in den USA.27 Setzt man diese Zahl in Relation zur Einwohnerzahl, so ergibt sich ein Anteil von 0,018 Prozent an der Gesamtbevölkerung. Dieser Anteil ist zwar immer noch verschwindend gering, liegt aber immerhin dreimal höher als in Deutschland, wo die ca. 6000 Scientologen etwa 0,007 Prozent der Bevölkerung ausmachen. Dies wirft die abschließende Frage auf, worauf die unterschiedliche Wahrnehmung und der unterschiedliche Umgang mit Scientology in beiden Ländern zurückzuführen ist.

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