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Kapitel 5
Franzi schaute auf ihre Uhr, Viertel nach elf war es erst. Sie war früher als sonst mit den Vorbereitungen für den Mittagsansturm fertig geworden. Der Weihnachtsmarkt war wie ausgestorben. Die Väter und Mütter mit ihren Kinderwagen waren nach Hause geeilt und die Geschäftsleute hatten noch keine Mittagspause. Erst gegen zwölf würde der Weihnachtsmarkt sich wieder füllen. Franzi goss sich eine Tasse Kaffee ein und beobachtete vier Mädchen, die nur wenige Meter entfernt vor dem großen Drogerieschaufenster ihre Instrumente auspackten. Zwei Geigen, eine Klarinette und eine Querflöte kamen zum Vorschein. Nachdem die Mädchen Noten, Notenständer und den obligatorischen Geigenkasten in die richtige Position gebracht hatten, begannen sie zu spielen. Zunächst waren sie etwas zögerlich, wurden aber schnell selbstbewusster. Gar nicht mal so schlecht! Schade, dass sie nur so wenige Zuhörer haben, dachte Franzi.
Lilly kam singend an Franzis Stand. »We wish you a merry Christmas...« Franzi klimperte dazu mit Löffeln gegen die Becher im Regal. Gerne hätte sie mitgesungen, doch sie traute sich nicht. Aber Martin traute sich. Er fiel in Lillys Gesang mit ein. Und dann kam auch noch Jürgen dazu, der mit seiner tiefen Stimme den Liedern eine warme Fülle gab.
Die vier Mädchen kamen, ohne ihre Instrumente abzusetzen, zu Franzis Stand herüber und Weihnachten klang über den ganzen Weihnachtsmarkt.
Da Franzi es jedoch fertigbrachte, bei »Jingle Bells« mit ihrem Geklimper wirklich alle aus dem Takt zu bringen, beendeten sie ihre »Jam Session« schließlich lachend.
»So, nu habe ich hoffentlich meine ganzen Weihnachtohrwürmer für dieses Jahr abgenudelt«, sagte Lilly und zog sich ihren Schal zurecht. »Hast du ein Glas Wasser für mich?« Franzi goss ihr ein Glas ein und fragte die Mädchen: »Möchtet ihr auch etwas? Ich gebe einen aus! Apfelschorle oder Holunderpunsch?«
Die Mädchen nahmen das Angebot dankbar an. Und auch Jürgen und Martin ließen sich gerne zu einem winterlichen Heißgetränk überreden.
Einträchtig standen Sänger und Musiker beieinander, pusteten in ihre Becher und ließen Weihnachten in sich nachklingen.
Franzi dachte an das Weihnachten ihrer Kindheit, an die Lieder, an die wundervolle Stimme ihrer Mutter ... In die Stille hinein fragte sie: »Könnt ihr auch: `Maria durch ein Dornwald ging`?«
»Klar!« Die Mädchen nickten eifrig. »Dafür brauchen wir noch nicht einmal Noten.«
Martin räusperte sich. »Aber ich! Ich bin nicht so textsicher.«
Auch das war kein Problem, die Noten waren schnell herausgesucht. Jürgen setzte seine Lesebrille auf und stellte sich dicht neben Martin. Das Mädchen mit der Querflöte improvisierte eine kleine Einleitung, die anderen drei griffen zu ihren Instrumenten und sahen sich an. Gemeinsam begannen sie zu spielen. Die beiden Männer setzten ein, Lilly schloss für einen Moment die Augen und sang dann mit ihrer wunderschönen klaren Stimme die alte Melodie.
Franzi vergaß zu klimpern; Kerstin vom Nachbarstand hatte sich weit vorgebeugt und hörte mit geschlossenen Augen zu; eine Mutter mit Kinderwagen, die heute spät dran war, blieb lächelnd stehen; ihr Kind lauschte mit offenem Mund, sogar der Taschenverkäufer und die Frau vom Fellstand unterbrachen ihren Plausch ...
»... Jesus und Maria.« Der letzte Ton klang lange nach.
»Wow!« Lilly lächelte. »Da musste ich aber ziemlich in meinen Untiefen wühlen. Ich wusste gar nicht, dass ich mich noch an das Lied erinnere.«
»Das war wunderschön.« Franzi war ganz sentimental zu Mute, ihre Stimme zitterte leicht und ihre Augen glitzerten verdächtig.
Und noch jemand war völlig begeistert. Jürgen konnte kaum an sich halten in seiner Bewunderung. »Wahnsinn! Ich wusste ja, dass du gut bist, aber dass du so wundervoll singst ... Ich meine ich habe es geahnt, aber ...«
»Ach Quatsch!«, Lilly unterbrach ihn. Sie war rot geworden vor Verlegenheit. »Das war einfach ein kitschiges Weihnachtslied, das hat nichts mit dem zu tun, was ich eigentlich mache, äh singe. Wobei ich nicht sagen will, dass ich nicht gut bin. Natürlich bin ich gut! Aber nicht so, ach ...« Sie verhaspelte sich immer mehr, doch dann fiel ihr etwas ein. »Wisst ihr was? Am 20. spielen wir im Kunkel. Das erste Mal nur wir als Band. Also ohne ein Event, das heißt, schon im Rahmen der Tanzparty, aber es ist keine Hochzeit oder so etwas. Na, auf jeden Fall seid ihr alle eingeladen.«
»Echt? Wir auch?«, fragte eines der Geigenmädchen.
»Klar!« Lilly kramte in ihrer Tasche nach den Eintrittskarten.
Eine nach der anderen bedankten sich die Mädchen artig. Während Martin sich seine Karte genauer anschaute. Er lachte. »LA, LI, La, klingt wie ein Kinderlied.«
Lilly grinste. »Stimmt! Wenn man es so ausspricht – wir haben da nicht wirklich lange drüber nachgedacht.«
»Wieso?«, mischte sich Jürgen ein. »Wenn man es richtig ausspricht, klingt es doch sehr schön. Ihr hättet allerdings auch La Lilly nehmen können.«
»Klar!« Lilly schüttelte lachend den Kopf.
Immer noch wie ein Honigkuchenpferd grinsend, fragte Jürgen unvermittelt: »Spielt ihr am 20. auch Weihnachtslieder?«
»Nee! Ich habe doch mit Weihnachten nichts am Hut«, sagte Lilly ziemlich schroff.
»Na ja!« Grinsend tippte Martin gegen die Kugeln an ihrem Hut.
Sie kicherte. »Alles Tarnung.«
Jürgen sah von Lilly zu Martin. Ihm war sein Honigkuchenpferd davongaloppiert.
In der Zwischenzeit hatten die Mädchen ihre Sachen geholt und kamen nun strahlend zurück. Stolz zeigten sie die Münzen in ihrem Geigenkasten. »Nicht schlecht!«, sagte Lilly anerkennend.
»Wir wollten euch etwas abgeben, weil ihr ja mitgesungen habt und so«, sagte das Mädchen mit der Klarinette.
»Nein, nein!«, wehrte Jürgen schnell ab. »Das ist auf jeden Fall euer Verdienst, ihr habt sehr schön gespielt! Aber sagt mal, wieso seid ihr um diese Zeit eigentlich nicht in der Schule?«
»Unsere Orchesterprobe ist ausgefallen. Und da haben wir gedacht, wir könnten ein bisschen Straßenmusik machen.«
»Das war eine sehr gute Idee!«, sagte Martin. »Das fördert die Weihnachtsstimmung auf dem Weihnachtsmarkt und das wiederum fördert den Umsatz. Deswegen bekommt ihr etwas von uns.« Er holte sein Portemonnaie aus seiner Hosentasche und auch die anderen ließen sich nicht lumpen. Artig bedankten sich die vier und das Mädchen mit der Querflöte meinte: »Das machen wir noch mal!«
»Ja, aber vielleicht besser am Nachmittag, wenn mehr los ist«, riet Lilly.
»Gute Idee, dann haben wir auch mehr Zeit. Apropos Zeit.« Der Blick der Musikerin wanderte zu der Rathausuhr. »Unser Bus kommt in fünf Minuten!« Hektisch packten sie ihre Instrumente ein, verabschiedeten sich eilig und rannten mit wehenden Schals in Richtung Bushaltestelle.
Jürgen sah ihnen nach. »Ich muss dann auch mal wieder.« Er wandte sich zum Gehen, doch Lilly hielt ihn auf. »Warte! Hast du ihnen da so viel reingelegt?«
»Na ja, ein bisschen was, ich fand, man sollte sie unterstützen. Aber es war nicht alles von mir. Ich habe auch einige Kollegen gesehen, die etwas hineingelegt haben. Aber ...« Jürgen unterbrach sich. »Vielleicht ...« Begann er, nestelte an seinem Mantel und holte aus der Innentasche eine Papierrolle. Einen Moment drehte er sie unschlüssig in seinen Händen, schließlich reichte er Lilly die Rolle. »Vielleicht kannst du ja doch etwas damit anfangen.« Er nickte den beiden anderen zu und ging schnellen Schrittes, ohne weiteren Gruß, davon.
Verdutzt schaute Lilly ihm hinterher und entrollte dann langsam das Papier. Eine ganze Weile starrte sie darauf. Nachdenklich begann sie vor sich hin zu summen, sie lächelte. »Bis später«, murmelte sie und ging leise singend zu ihrem Stand zurück.
Martin und Franzi guckten sich an. »Was war das jetzt?«, fragte Martin. Franzi zuckte mit den Schultern. »Keine Ahnung!«
Martin stellte den Metallzaun um seine Bäume und mühte sich, die letzten Elemente mit einem Vorhangschloss zu verbinden. Endlich schnappte das rostige, alte Schloss ein – da waren dringend ein paar Tropfen Öl nötig. Aber nicht heute Abend. Er steckte den Schlüssel in die Hosentasche, schwang seinen Rucksack über die Schulter und beeilte sich, zu Franzi zu kommen. Die war zwar noch dabei ihren Stand zu schließen, aber eigentlich war sie schon auf dem Sprung. Sie war mit Carla verabredet und die wartete schon ungeduldig. Sobald die letzte Luke geschlossen war, wünschten Franzi und Carla Martin einen schönen Abend und zogen ohne ihn los.
Enttäuscht schaute Martin ihnen nach. Sie hatten ihn kaum beachtet und nicht gefragt, ob er vielleicht Lust hätte mitzukommen. Er zog seine Mütze tiefer ins Gesicht, er hatte das Gefühl, es wurde immer kälter. Erst wollte er noch einen Abstecher in einen Supermarkt machen, um sich etwas zum Kochen zu besorgen, entschied sich dann aber dagegen. Er sprang auf dem Weg nur schnell in einen Bäcker und kaufte zwei belegte Brötchen.
Die Wohnung war kalt und verlassen. Der Freund, der Martin sein WG-Zimmer überlassen hatte, absolvierte ein Auslandssemester, sein Mitbewohner hatte das Semester abgekürzt und war bereits zu seinen Eltern irgendwo in Süddeutschland gefahren.
Martin drehte die Heizung ein bisschen weiter auf, was nicht viel brachte, denn das Kälteste in dieser Wohnung war der komplett und scheußlich gekachelte Boden. Die ganze Wohnung hatte absolut nichts Anheimelndes. Männer haben nur selten die Gabe, es sich wirklich gemütlich zu machen, und die beiden Bewohner dieser Wohnung hatten sie definitiv nicht.
Mit seinen Brötchen setzte Martin sich an den grauen Resopal Küchentisch. Aus dem einen Brötchen hing ein trauriges, schlaffes Salatblatt und aus dem anderen guckte eine an den Rändern angetrocknete Käsescheibe. Die Brötchen waren genauso trostlos wie die Wohnung, der ganze Abend und ... War echt eine super Idee gewesen, hier Weihnachtsbäume zu verkaufen, dachte Martin.
Aber mit den Brötchen im Magen (sie hatten besser geschmeckt, als sie aussahen) und nachdem er das Geld in seiner Kasse gezählt hatte, sah die Welt schon wieder ein bisschen besser aus. - Schluss mit dem Selbstmitleid. Es war doch eigentlich ganz gut gelaufen die letzten Tage. Er holte sein Handy aus der Tasche, starrte einen Moment auf das Display – seufzte und wählte.
Sein Vater war ziemlich schnell am Telefon. »Lindhöft!«
»Hallo Vaddern, du am Telefon? Ist Mama gar nicht da?«
»Nee, hörst du doch. Was wolltest du denn von Ihr?«
»Ach nichts, nur weil sie sonst immer ans Telefon geht.«
»Ja, sie ist nicht da. Soll ich ihr etwas ausrichten?«
»Nö, ich wollte eigentlich nur mal berichten, dass es jetzt ganz gut läuft mit den Weihnachtsbäumen, ich habe schon eine ganze Menge verkauft und ...«
Sein Vater unterbrach ihn. »Ja schön, ich muss jetzt Schluss machen, ich habe im Moment andere Sorgen.«
Martin hörte Gemurmel im Hintergrund und im nächsten Augenblick hatte sein Vater auch schon aufgelegt.
Verdutzt starrte Martin auf sein Handy. Was war das jetzt wieder? Okay, er verstand sich momentan nicht wirklich gut mit seinem Vater, aber so hatte er sich noch nie verhalten.
Das Verhältnis zu seinem Vater war eigentlich erst seit der ganzen Weihnachtsbaumgeschichte so mies. Vorher hatten sie ihre Meinungsverschiedenheiten gehabt, aber immer miteinander reden können. Doch seit Martin die Weihnachtsbaumschonung von seinem Großvater geerbt hatte, hatte er das Gefühl kein vernünftiges Wort mehr mit seinem Vater wechseln zu können. Wie hatte bloß diese völlig verfahrene Situation entstehen können? Martin starrte auf die geschmacklose Tapete. Wie konnten sich zwei erwachsene Männer nur mit so etwas in der Wohnung abfinden?
Mist, dachte Martin, jetzt habe ich vergessen, ihn zu fragen, ob er mir Nachschub bringen kann.
Restlos gefrustet zappte er sich durch das Fernsehprogramm, das frustrierte jedoch nur noch mehr. Nachdem er bei der fünften Quizshow gelandet war, gab er auf. Er holte sich sein Buch aus dem Rucksack, machte es sich auf der Schlafcouch bequem, stopfte sich noch ein Kissen in den Nacken und schlug das Buch auf. Doch er konnte sich nicht auf sein Buch konzentrieren, immer wieder schweiften seine Gedanken zum Weihnachtsmarkt. Franzi wie sie Erbsensuppe servierte – es schüttelte ihn, wenn er nur an den Anblick der grünen Pampe dachte. Dann dominierte jedoch glücklicherweise Franzis Gesicht seine Traumbilder. Ihr Lächeln, die zarten, kaum erkennbaren Sommersprossen auf ihrer Nase; die Art wie sie ihre feinen widerspenstigen Locken aus der Stirn pustete ... Martins Augen fielen zu.
Kapitel 6
Franzi verteilte Zuckerstreuer und Milchkännchen auf ihren Stehtischen. Dabei schielte sie beunruhigt zu der Hütte ihrer Nachbarin. Es war schon zwanzig Minuten nach Weihnachtsmarktbeginn und von Kerstin war immer noch nichts zu sehen oder zu hören. Ich glaub ich, ruf sie lieber an, bevor hier noch der Bauchbauer auftaucht, dachte Franzi. Doch als sie in ihrer Tasche nach ihrem Handy wühlte, hörte sie, wie nebenan die Klappen quietschend geöffnet wurden. Nur wenige Augenblicke später war Kerstin bei Franzi am Stand.
»Du solltest deine Scharniere ölen.« Empfing Franzi sie. »Wo bleibst du denn? Ich wollte schon anrufen. Der olle Bauchbauer macht immer ein riesen Theater, wenn man nicht pünktlich die Luken auf hat.«
»Ja, ja.« Kerstin schnaufte. »Ist ja gut, jetzt bin ich ja da. Ich habe vielleicht einen Ritt hinter mir! Ich ...« Sie unterbrach sich. »Gib mir bitte erst mal irgendwas zu essen, ich fall sonst gleich vorne über!«
»Bloß nicht! Ich habe meine Theke grad so schön hergerichtet.« Franzi reichte ihr ein Käsebrötchen, das Kerstin mit wenigen Bissen verschlang. Noch kauend fragte sie: »Mannst du mir noch meins machen?!« Prompt bekam sie einen Hustenanfall.
»Hey, nicht so hektisch!« Martin klopfte Kerstin sanft auf den Rücken. Wie fast jeden Morgen kam er, nachdem er aufgebaut hatte, bei Franzi vorbei. »Mm, das duftet aber gut nach Kaffee!«
Franzi lächelte. »Geht gleich los. Ich muss nur noch schnell meine Suppe umrühren.«
Kerstin schnupperte. »Ich finde, das riecht heut irgendwie komisch bei dir.«
»Halt nach Erbsensuppe.«, sagte Franzi und reichte Martin seinen Kaffee. »Aber jetzt erzähl mal, was war los bei dir? Wieso bist du so spät dran?«
Kerstin nahm noch einen Schluck Kaffee und berichtete dann: »Also Linda, meine Aushilfe hat mich heute Morgen aus dem Bett geklingelt. Sie könne nicht kommen, weil sie bei ihrem Freund in Bremen feststeckt. Ihr Auto hat eine Panne und sie muss erst mal in die Werkstatt. Soweit - so gar nicht gut!« Kerstin fuchtelte theatralisch mit ihren Händen. »Das Problem ist, dass sie mir eigentlich heute Mittag Ware aus der Werkstatt mitbringen sollte, Teller, die ein Kunde heute Nachmittag abholen möchte.«
»Versteh ich nicht. Du kommst doch selbst auf deinem Weg zum Weihnachtsmarkt an deiner Werkstatt vorbei«, sagte Franzi.
»Ja, aber die Teller sind erst gestern Morgen in den Glasurbrand gekommen. Mittags wären sie dann abgekühlt gewesen«, erklärte Kerstin. »So aber musste ich sie schon heute Morgen ausräumen und da waren sie noch verdammt heiß. Ich habe mir zigmal die Pfoten verbrannt. Außerdem musste ich die Teller noch extra dick einpacken, damit sie keine Sprünge wegen dem plötzlichen Temperaturwechsel bekommen. Na, auf jeden Fall hat das alles eine halbe Ewigkeit gedauert. Was nützt einem eine Aushilfe, die nicht aushilft?« Grimmig biss Kerstin in eine weitere Brötchenhälfte.
»Trotz allem hast du es ja noch mal geschafft«, sagte Franzi und rührte wieder in ihrer Suppe. Kerstin schnupperte erneut. »Ich weiß nicht, heute riecht es besonders eigenartig, irgendwie verbrannt.«
»Meinst du?« Franzi guckte sich um. »Aber hier brennt nichts.«
»Nein! – Aber bei Kerstin!«, rief Martin. Im nächsten Moment hechtete er auch schon zu Kerstins Weihnachtsmarkthütte und riss die Tür auf. Qualm schlug im entgegen, er hustete, zog in Windeseile seine Weste aus und schlug mit ihr auf die rauchende Quelle ein.
Die heißen Keramikteller hatten das Zeitungspapier, in das sie gewickelt waren, erst angekokelt und schließlich entzündet.
Geistesgegenwärtig schnappte Franzi sich ihren Wischeimer und goss den Inhalt über das schwelende Feuer.
Währenddessen stand Kerstin hilflos daneben. Unfähig selbst etwas zu tun, schaute sie den beiden zu und jammerte: »Oh nein, was soll ich nur machen? Alles ist hinüber, was für eine Sauerei! Oh je, Martin, deine gute Weste ist völlig verdreckt, wie kann ich das nur wieder gut machen?«
»Quatsch!« Martin klopfte seine Weste aus. »Die ist nur ein bisschen nass und riecht im Moment nicht so gut. Das bekommt man mit ner einfachen Wäsche wieder hin. Außerdem ist sie uralt, ich nehme sie nur noch zum Aufbauen, wegen der harzigen Bäume. Im Transporter ist noch eine kundentaugliche. Also, es ist gar nichts weiter passiert. Das bisschen Ruß lässt sich leicht abwischen und deine Ware ist, soweit ich gesehen habe, heil geblieben.«
»Alles wird gut!« Franzi nahm Kerstin in den Arm. »Hey, wir kriegen das wieder hin!«
Martin nickte. »Genau!« Dann sah er allerdings, dass sich bei ihm am Stand mehrere Kunden suchend umsahen. »Ich glaub, ich muss da kurz rüber. Kommt ihr alleine klar? Ich bin gleich wieder da.« Er zögerte.
»Nun geh schon! Wir kommen klar!«, sagte Franzi, und auch in Kerstin kam langsam wieder Leben. »Los! Du musst! Sonst bedienen die sich noch selbst!« Sie knüllte ein paar angekokelte Zeitungen zusammen. »Alles halb so schlimm!«, versuchte sie sich selbst Mut zuzusprechen. »Boah! Aber das stinkt!«
Den größten Teil der Sauerei hatten sie relativ schnell beseitigt. Kerstin war schon dabei die nassen, angekokelten Zeitungen und Handtücher in einen Müllsack zu stopfen, und Franzi wollte nur noch einmal frisches Wischwasser holen, als sie sah, dass Eddy vom Taschenstand gegenüber neugierig näherkam. Schnell stellte Franzi Kerstin den Eimer in den Stand und fing Eddy ab. Geschickt drängte sie ihn sanft, aber bestimmt zu ihrem vorderen Tresen. Dabei redete sie ohne Punkt und Komma auf ihn ein. »Ach, du möchtest sicher deine Suppe!? Es ist verdammt kalt, nicht wahr!? Da braucht man etwas Warmes! Wie immer zum Mitnehmen? Und mit extra viel Brot?« Franzi lächelte zuvorkommend.
»Ja äh, klar, aber was war denn da bei euch heute Morgen los?«, fragte Eddy.
»Wieso? Was meinst du?« Geschäftig löffelte Franzi ihm die Suppe in den Teller.
Eddy runzelte die Stirn. »Irgendwas riecht hier doch auch komisch.«
»Ach, das meinst du« Franzi räusperte sich. »Also, ...« Sie lachte. »Kerstin hat da ein paar neue Räucherstäbchen ausprobiert. Aber wenn du mich fragst, die taugen nichts.« Kurzerhand drückte sie ihm den Teller mit der Erbsensuppe in die Hand. »Guten Appetit! Und ich würde die Suppe lieber schnell mit rüber nehmen, die wird bei dem Wetter trotz Abdeckung verdammt schnell kalt!« Dann räumte und wischte Franzi um ihn herum. »Entschuldige, aber ich muss mich auf den Mittagsansturm vorbereiten.«
»Jetzt schon? Ist doch gar nichts los«, grummelte Eddy ungläubig, trollte sich dann aber schließlich doch.
Erleichtert schleuderte Franzi ihren Lappen in das Spülbecken. Sie wartete kurz, bis sie sah, dass Eddy gegenüber in seinem Weihnachtsmarktstand angekommen war, und klopfte dann bei Kerstin. »Alles in Ordnung bei dir? Brauchst du noch Hilfe?«
Kerstin war dabei die letzten Reste der schwarzen Brühe aufzuwischen und versperrte mit ihrem Hintern die Tür. »Alles halb so schlimm, bin fast fertig. Ich komm gleich noch mal rüber«, sagte sie.
Zurück in ihrem Stand, stellte Franzi fest, dass sie den Deckel nicht auf den Behälter mit der Erbsensuppe gelegt hatte. Sie dreht die Temperatur für das Wasserbad etwas höher. »Boah! Das Zeug riecht echt entsetzlich! Vielleicht brauch ich doch mal eine Suppenpause.«
Franzi hatte gerade angefangen, ihre zweite Runde Brötchen zu schmieren, als Kerstin zu ihr rüberkam. Im Schlepptau hatte sie Martin, der sich nur schnell erkundigen wollte, ob alles wieder in Ordnung sei.
Kerstin sah ein bisschen derangiert aus und roch etwas brandig, konnte aber schon wieder lächeln. Sie wollte jetzt endlich in Ruhe einen Kaffee trinken. Martin setzte sich neben Kerstin an den Tresen und orderte ebenfalls einen Kaffee. »So, ich glaub, das war es erst mal mit dem Ansturm. Ich habe jetzt mein Mittagsloch«, sagte er.
»Mittagsloch ist gut«, sagte Kerstin. »Ich habe immer das Gefühl, es gibt ein Mittwochsloch. Obwohl, heute kann ich ja froh sein, wenn es so ist.«
»Bei mir ist mittwochs auch nie viel los«, sagte Franzi. Nebenbei hatte sie Martin, bevor er abwehren konnte, einen Teller Suppe hingestellt.
»Danke!« Er lächelte etwas sparsam. Was Franzi nicht sah, denn sie wirbelte bereits weiter. »Entschuldigt, ich muss noch ein bisschen weiter machen. Trotzdem hier am Mittwoch Totentanz ist, muss immer alles perfekt vorbereitet sein. Sonst gibt es Ärger mit dem ollen Bauchbauer.«
»Apropos«, fiel Kerstin ein. »Vielen Dank, dass du mir Eddy vom Hals gehalten hast.«
»Wieso?« Martin wunderte sich. »Was geht das denn Eddy an?«
»Na, eben gar nichts!«, sagte Franzi. »Der ist bloß neugierig, wie ein altes Waschweib. Der würde alles sofort seinem Kumpel Sigi berichten und der würde ein riesen Theater machen.«
»Meint ihr nicht, dass er Verständnis hätte? Mir kam er gar nicht so unmenschlich vor.«, warf Martin ein.
»Na, Verständnis ist nun nicht gerade eine Stärke von Herrn Bauchbauer.« Theatralisch wirbelte Franzi mit ihren Händen. »Unverantwortlich! Wie kann man heiße Ware in die Weihnachtsmarkthütte stellen? Mein ganzer Weihnachtsmarkt hätte abbrennen können!«
Die Hälfte der Servietten, die Franzi in der Hand gehabt hatte, flog durch den Stand. »Mist!« Franzi machte sich ans Einsammeln, Martin nutzte die Gelegenheit und entsorgte seine Suppe im Mülleimer, er wollte gerade die Spuren mit einer Serviette abdecken, als Carla ihm auf die Schulter tippte. »Hallo Martin, na lecker Süppchen was!« Sie grinste ihn an und er bekam ganz rote Ohren.
Inzwischen hatte Franzi die Servietten aufgesammelt und stapelte sie auf ihrem Tresen. »Die gehen noch«, murmelte sie vor sich hin. Sie sah Carla. »Was machst du denn hier? Ich dachte, du bist in Kuglers Turner-Seminar.«
Carla ignorierte Franzis vorwurfsvolle Frage und wandte sich an Kerstin: »Du, ich glaub, da wartet jemand vor deinem Stand.« Kerstin stellte ihren Kaffee ab und schaute um die Ecke. »Oh, ein Kunde! Ich eile!«, sagte sie und verschwand nach nebenan.
»Hey du!« Franzi versuchte sich, zu maximaler Größe aufzubauen. »Lenk nicht ab!«
Liebevoll tätschelte Carla Franzis Lockenkopf. »Reg dich ab, du süßer Zwerg. Du hast mich ertappt. Ich schwänze. Aber nächste Woche lausche ich dem Meister wieder, versprochen! Heute muss ich endlich ein paar Weihnachtseinkäufe machen.«
Franzi schüttelte den Kopf. »Tz, tz, tz, wenn das der Weihnachtsmann wüsste ...«
»Wieso? Wegen dem bin ich doch unterwegs.«
Mehr oder weniger unbemerkt saß Martin immer noch auf seinem Hocker, hielt sich an seiner längst geleerten Tasse fest und lauschte den beiden. Was hatte Franzi bloß immer mit diesem verdammten Kugler?
Um an den Zucker für ihren Kaffee zu kommen, beugte Carla sich über Franzis Verkaufstresen. Jetzt schnupperte auch sie und verzog angeekelt ihr Gesicht. »Boah! Franzi, was riecht bei dir denn so komisch? Richtig ekelhaft!«
»Ach.« Franzi machte eine wegwerfende Handbewegung. »Das ist bloß die Erbsensuppe, das ist normal. Ich habe mich inzwischen total daran gewöhnt.«
Carla runzelte die Stirn. »Na, ich weiß nicht, ob das noch normal ist? Irgendwie riecht es auch ein bisschen brandig. Brennt dir da vielleicht gerade etwas an?«
»Nee, nee, bei Kerstin hat es heute Morgen gebrannt. Wahrscheinlich liegen noch Geruchsmoleküle in der Luft. Ich finde, es erinnert ein bisschen an Räucherstäbchen.
»Na, ich weiß nicht.« Zweifelnd schaute Carla nach nebenan zu Kerstin. »Es hat gebrannt? Echt? Man sieht gar nichts.«
»War alles halb so schlimm.« Franzi schilderte kurz die morgendlichen Geschehnisse.
»Nicht schlecht! Auf so einem Weihnachtsmarkt erlebt man ja richtig was. Und ich hatte schon Angst, du könntest dich langweilen.« Carla guckte auf ihre Uhr. »Ich denke, ich sollte jetzt wirklich los.« Grinsend stupste sie den vor sich hinträumenden Martin an. »Hey, du solltest jetzt, glaub ich, auch mal los. Die versammeln sich bei dir schon wieder zur Befreiung der Weihnachtsbäume.«
Martin sprang auf und eilte drei Schritte in Richtung seiner Bäume, drehte sich dann aber noch mal um und kam zurück. »Danke für ...« Er sah Carlas Grinsen. »Äh, bis später.«, murmelte er und war auch schon um die Ecke verschwunden.
Verwundert guckte Franzi ihm nach. »Er ist ja echt ein lieber Kerl, aber ein bisschen verpeilt ist er schon. Einerseits ist er so handfest und andererseits manchmal so ein Träumer.«
»Ja, total komisch!«, sagte Carla immer noch grinsend. »So, jetzt muss ich aber wirklich auf Geschenkejagd gehen, sonst hat sich am Ende die ganze Schwänzerei gar nicht gelohnt. Kann ich meine Mappe bei dir im Stand lassen?«
»Klar, stell sie selber rein, ich habe schmierige Hände«, sagte Franzi, die dabei war, Brötchenhälften mit Aufschnitt zu belegen.
»Schmierig, schwierig ...«, summte Carla vor sich hin und suchte in dem kleinen Raum nach einem geeigneten Platz für ihre Mappe. Hinter ihr klapperte es und kurz darauf war ein eigenartiges Schmatzen zu hören. Carla drehte sich um, sah aber nichts. Ob es hier Mäuse, oder schlimmer, Ratten gab? Sie war wirklich nicht zimperlich, aber Ratten in einer Weihnachtsmarkthütte fände sie schon ziemlich eklig. Vorsichtig guckte sie in jede Ecke. Die Vorstellung, dass ihr irgendwo eine Ratte entgegenspringen könnte, war ganz schön gruselig. Doch sie konnte nichts Ungewöhnliches entdecken. Wahrscheinlich hatte sie sich verhört und die Geräusche kamen irgendwo vom Weihnachtsmarkt.
Es klapperte erneut, diesmal lauter und eindeutig in der Nähe. Etwas warmes Feuchtes klatschte gegen ihre Wade. »Iiiiih!« Carla sprang zur Seite.
Vor Schreck ließ Franzi ihr Messer fallen. »Was ist denn?« Sie wollte sich gerade umdrehen, als sie ein krächzendes »Hallo, hallo! Ist da jemand?«, hörte. Franzi kam mit dem Messer wieder unter der Theke hervor und sah einer kleinen, älteren Frau, die sich auf den Tresen gestützt hatte, direkt in die Augen.
»Ach, da sind sie ja! Ich hätte gerne so ein Roggenkrüstchen mit Käse«, sagte die alte Dame und deutete auf die, von Franzi gerade frischgeschmierten, Mettbrötchen.
»Das tut mir leid! Die sind ja nun schon mit Mett belegt«, sagte Franzi.
»Dann machen sie mir doch bitte ein Neues mit Käse.«
»Die Roggenkrüstchen sind leider alle.«
»Nicht alle bitte, nur eins!«
Franzi biss die Zähne zusammen. Geduld, Geduld! Sie lächelte.
Gleichzeitig zupfte Carla an ihrer Schürze und flüsterte: Franzi, Franzi!« Und dann ein bisschen lauter: »Die Suppe lebt!«
»Waaas?« Franzi wirbelte herum.
Da tönte es empört vor der Theke: »Wie bitte!«
Und von Carla noch eindringlicher: »Franzi!«
»Gleich!«, zischte Franzi ziemlich laut und genervt.
Woraufhin die alte Dame sie anstrahlte. »Ach, jetzt geht es doch?«
Franzi seufzte. »Ich könnte ihnen Käse auf eines dieser Roggenbrötchen legen.« Sie deutete auf die geschmierten, aber noch nicht belegten Brötchenhälften.
»Ach, das sind ja alles Unterhälften, das schaffe ich mit meinen Zähnen nicht mehr.«
»Dann nehmen sie doch eine Käsesemmel, die sind ganz weich, und schauen sie, die sind sogar schon fertig.«
Die Dame nickte. »Warum denn nicht gleich so?«
Weiß ich auch nicht, dachte Franzi. Sie zuckte mit den Schultern, bemühte sich um ein Lächeln und reichet das Brötchen über die Theke.
Einen Moment sah sie der zufrieden davon dackelnden Dame hinterher. Dann drehte sie sich endlich zu Carla um. »Hast du das eben mitbekommen?« Sie hielt inne und starrte auf die Ansammlung verschiedener Töpfe und Schüsseln, die Carla über den Boden verteilt hatte.
»Was ist das denn? Spinnst du?«
»DAS ist deine ganz normale Erbsensuppe.«
Wie aufs Stichwort hob sich klappernd der Deckel des Erbsensuppenbehälters – ein Bluop war – zu hören – zu sehen – und im nächsten Moment spuckte der Behälter ungefähr eine Kelle Suppe auf den Boden.
»Iiiih!« Ungläubig, angeekelt aber irgendwie auch fasziniert starrte Franzi auf die quillende grüne Masse.
»Jetzt steh da nicht so rum, hilf mir lieber! Die Ekelsuppe vermehrt sich schneller als Karnickel im Urlaub.«
»Was? Wieso Karnickel?« Franzi stand komplett neben sich.
»Ist doch egal, wir müssen das Zeug schnellstens hier raus schaffen!«, drängte Carla.
Endlich bewegte sich Franzi. »Warte, ich hol von Kerstin schnell meinen Wischeimer zurück.«
In Windeseile leerten sie sämtliche Töpfe und Schalen, die Carla so schön aufgereiht hatte, in den Eimer. Im Nu war er randvoll mit Erbsensuppe und im Container blubberte immer noch ein Rest vor sich hin. Franzi griff den Eimerhenkel und wollte sich auf den Weg zum Klohäuschen machen, als die immer noch brodelnde Suppe erst rülpste und dann spuckte. Beinahe hätte sie vor Schreck den Eimer fallen gelassen. »Iii!« Franzi wischte sich den grünen Spritzer von der Nase. »Ich brauche etwas zum Abdecken.« Hektisch sah sie sich nach etwas Passendem um. Carla nahm kurzerhand einen Feudel und drapierte ihn über dem Eimer. »So muss es gehen. Du solltest jetzt lieber schnell los. Ich komm gleich mit dem Rest nach.«
Ohne weitere Zwischenfälle erreichte Franzi das Klohäuschen. Doch leider war die einzige Toilette besetzt und vor Franzi wartete bereits eine relativ unentspannt wirkende Frau im Pelzmantel. Hinter der verriegelten Tür hörte man die Stimmen einer Mutter mit Kind, und es klang nicht so an, als würde sich die Tür in absehbarer Zeit öffnen. Die Frau im Pelzmantel fing bereits an rumzuzicken. »Dauert das noch lange? Hier warten noch mehr Menschen mit einem dringenden Bedürfnis!«
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