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6. Kapitel
Lagebesprechung in der Bauabteilung
Wir trauen unseren Augen nicht. Ist das wirklich wahr? Der Besprechungsraumtisch ist geschmückt mit frischen Plätzchen, diesmal aber gebacken in der Form lauter unterschiedlich großer Würfel. Einmal sind die Würfel mit Zuckerguss, andere wiederum mit bunten Streuseln bedeckt. Stolz lächeln Frau Notvertrete und Ihre Cousine in den Besprechungsraum. Dabei tänzeln sie noch im Wiegeschritt der vorabendlichen Tanzdarbietungen. Die beiden haben echt gute Laune.
Meine Sorge ist sofort, dass jetzt Echt-Natron nicht das macht, was sein Name verheißt. Ich beschwichtige ihn mit oft erprobter Körpersprache. Er solle bitte nicht aufbrausen. Die Frauen haben es lieb gemeint und wollten offensichtlich den Schwung von gestern Abend mitnehmen. Echt-Natron lässt sich beruhigen und würdigt grummelnd die Backperformance. Allerdings, so mahnt er an, sollten die Würfel vor dem Erscheinen des Architekten vom Tisch verschwunden sein. In Erinnerung an seine merkwürdigen Auftritte während und nach der Party gestern Abend denken wir, dass der Anblick einer geometrischen Würfelfigur beim Architekten derzeit traumatische Reaktionen auslösen wird.
Die Beratungen werden nach der überaus weinselig fröhlichen Unterbrechung von gestern Abend fortgesetzt. Zunächst intern zwischen Architekt, Bodengutachter und Bauleitung. Später soll die Projektsteuerung hinzukommen, heute unterbrechen sie wohl ihre religiöse Litanei. San-Rah betritt stolzen Schrittes den Raum. Er sieht irgendwie verändert aus. Nach einer kurzen Begrüßung macht er die Arme breit, hebt den Kopf erhaben in Richtung Raumdecke und ruft mit theatralischer Stimme: „Schminken wir uns den Cheopswürfel ab“. Er macht eine dramaturgisch beabsichtigte Pause und fährt bedeutungsvoll fort: „Die Budgetvorgabe von Cheops und den Hohen Priestern reicht nicht. Alle meine Mitarbeiter habe ich nochmals nachrechnen lassen, alle nur denkbaren Modelle bis ins Detail nachgeprüft. Was bleibt, ist die Gewissheit einer Katastrophe“. San-Rah beschwört nochmal das intensive Studium des Vertrages unter dem Punkt Kosteneinhaltung des Budgets. „Aus meinem Verständnis ist da sinngemäß vereinbart, dass bei Kostenüberschreitung das Richtfest einen unangenehmen Ausführungsmodus erhalten kann. Statt Freibier, Lammhaxen und Tanz in allen Räumen obliegt es dem Auftraggeber, mit einem Richtschwert die Schuldigen der Kostenüberschreitung zu bestrafen. Dadurch wird der Name „Richtfest“ in einem neuen grausigen Licht interpretierbar. Makaber formuliert können wir davon ausgehen, dass es in jedem Fall zum Richtfest eine Kapelle geben wird. Je nach Stand der Kostenentwicklung entweder für den Tanz oder für unsere Totenmesse. Also, nach Vertragslage sind wir eigentlich schon tot.“ Der Architekt sackt in sich zusammen und nimmt Platz. Die Stimmung ist natürlich im Keller. Ich versuche einen aufmunternden Scherz und rufe pathetisch in den Raum: „Dann Freunde, schreiben wir die Partitur zum eigenen Requiem oder unternehmen wir eine Party-Tour in das Lokal mit den Musikern um Aladin“. Keiner lacht. Es herrscht bedrückende Stille, sozusagen Totenstille. Wir seufzen uns an und sehen die Hohen Priester kommen. Sie kommen, um das Projekt zu steuern. Der Bodengutachter flüstert: „Die Rampensau mit Frischlingen ist da.“ Frau Notvertrete fragt schweigend mit einem Blick auf Echt-Natron, ob denn die hohe Priesterschaft den Tischschmuck aus Gebäckwürfeln eventuell hübsch finden würde. Das kategorische Nein findet sie im finster schweigenden Antwortblick von Echt-Natron.
Sie kommen zu Fünft. Das ist viel, für das was sie tun müssen. Das Gebäck hätte also sowieso nicht gereicht. Hoch-Hart-Muth, der Anführer der ehrwürdigen Abordnung von Projektsteuerern, formuliert eine lieblose Begrüßungsformel und ergreift das Wort: „Ich fordere lückenlose Aufklärung aller aktuellen planerischen und baustellentechnischen Vorkommnisse.“
Wir schlucken und müssen verdauen, dass unsere Arbeit als Vorkommnis bezeichnet wird. Hoch-Hart-Muth ist der Höchste der Hohen Priester der Projektsteuerung. Sie haben alle vor ihrem Namen den Titel „Hoch“ stehen. Das definiert schon mal ihren besonderen Rang. Hoch-Hart-Muth ist klein, füllig und mit einem imposanten Doppelkinn im insgesamt weichen Gesicht ausgestattet. Das „Hart“ in seinem Namen ist völlig deplatziert. Was bleibt also übrig? Richtig, die beiden Silben „Hoch-Muth“. Diese treffen nun genau seinen Charakter.

Dieser höchste Priester unter den Hohen Priestern wurde als Kind von seinen Eltern auf eine gute Eliteschule nach Uruk, einer altehrwürdigen Universitätsstadt im fernen Mesopotamien geschickt und in einem Internat streng erzogen. Dort unterrichteten ihn die besten Professoren des assyrischen Reiches im Fach Gutes Internationales Wirtschaftsmanagement. Hier lernte er von der Pike auf, was es heißt, die strengen Regeln eines erfolgreichen Business durchzusetzen. Schon in frühster Jugend entwickelte sich bei ihm die Überzeugung, dass eine gesunde Wirtschaft am besten mit krankhaft strebsamen und gehorsamen Mitarbeitern zu erreichen wäre. Das Anreiz- und Belohnungssystem sei so zu steuern, dass die Produktivkräfte wie in einem Hamsterrad nach imaginären und fiktiven Belohnungen hecheln. Die Mechanismen dazu beherrschen die Absolventen derartiger Elitehochburgen aus dem Effeff. Hoch-Hart-Muth hat früh verstanden, dass das Instrument der Glaubensorientierung in den Landesgemeinden ein grandioser Wegbereiter seiner weltlichen Ziele sein kann. Über ein Zusatzstudium an der guten theologischen Fakultät für ägyptische Glaubensangelegenheiten ist er als ausgebildeter Manager ein Hoher Priester geworden. Seine Diplomarbeit mit dem Titel „Fragen zur Mumifizierung führender Leitkader schon vor dem Tod“ verteidigte er mit Auszeichnung. Eine geniale Idee, seine Karriere in der altägyptischen Kurie zu den Gipfeln der Macht zu führen. Nun ist er ganz oben und wurde mit dem Titel „Königlicher Hofprojektsteuerer“ belohnt.
Hoch-Hart-Muth grinst in die Runde und fragt: „Die Damen und Herren, wieder nüchtern? Eure wüste Party von gestern hat sich bis zum Hofe Cheops herumgesprochen. Solche peinlichen Auftritte ließen vermuten, dass die Bauabteilung nicht ausgelastet ist. Meine Wahrnehmung zum Stand des Projektes ist aber eine völlig andere. Wie ist es mit der Verpflichtung, ein vorbildliches Erscheinungsbild in der Öffentlichkeit abzugeben?“ „Trinkorgien würden diese Verpflichtung konterkarieren“, meint er süffisant. „Nur in Demut und Würde können wir das Projekt stemmen“, klärt er uns weiter auf. „Das Ansehen des Projektes vor dem Steuerzahler dürfe nicht beschädigt werden. Dass die Presse noch keinen Wind davon bekommen hat, grenzt an ein Wunder“, beendet Hoch-Hart-Muth mit zufriedener Mine sein Statement. Seine vier mitgebrachten Kollegen nicken anerkennend und trauen sich nun, Kaffee einzugießen.
Wir spielen ein bisschen Betroffenheit und geloben die Einzigartigkeit des Vorfalls. Jeder macht sich seinen Reim auf den Auftritt des Projektsteuerers und möchte umgehend das weite Feld der Sprechblasen so schnell wie möglich verlassen. San-Rah beginnt den Stand der Projektvorbereitung vorzutragen. Wir tauchen ein in die Welt der Vorkommnisse.
Zunächst wird der Stand der Bearbeitung der Baugenehmigung beim Bauordnungsamt von Gizeh ein wenig gelobt. „Es läuft ganz gut, die Zusammenarbeit funktioniert. Offen seien noch ein paar Bescheinigungen auf Unbedenklichkeit der Versorgungsträger, hier insbesondere vom Amt der unteren Nilaufsichtsbehörde. Es ist beabsichtigt, große Teile der Materialtransporte über den Nil abzuwickeln. Der Bodengutachter wird für das Tiefbauamt in Gizeh eine Unbedenklichkeitserklärung formulieren. Darin soll nachgewiesen werden, dass im Zusammenhang mit den höchsten Pegelständen des Nils während der Überschwemmungszeit eine Wasserhaltung für die Steinbrüche, für die Stichkanäle der Transportschiffe und für die beabsichtigte Unterkellerung des Würfelbaus nicht erforderlich ist. Derzeit planen wir keine Einleitung von technologischem Wasser in den Nil. Bewusst wird hier ein relevanter Kostenfaktor ausgegrenzt. Die Formblattsammlung als Ergänzung zum Bauantrag wird gewissenhaft ausgefüllt und übergeben. Geklärt werden muss beim Amt, welche Farbe die Unterschriften haben müssen und an welcher Stelle in den Formblättern die Stempel gesetzt werden sollen. Dass das Amt immer noch Fluchtwegepläne und Nachweise zur Entrauchung der Hohlräume einfordert, müssen wir schnell klären. Wir werden als Planer unsere Anstrengungen verstärken, dem Amt nochmals die Funktion des Bauvorhabens zu erläutern.“
An dieser Stelle unterbreche ich den Architekten in seinen Darlegungen und frage höflich nach der Funktion des Bauwerkes, die nämlich auch der Bauleitung gänzlich unbekannt ist. San-Rah zögert kurz und fährt fort: „Dass wir das nicht selbst wissen, muss die Behörde ja nicht zwingend merken. Wir halten uns da man besten bedeckt. Können wir so verfahren?“ wendet sich der Architekt an die Gruppe der Projektsteuerleute, die sich etwas zutuscheln und zögernd nicken. San-Rah erläutert weiter: „Es gibt da so einen kleinen Mitarbeiter bei der Behörde, der einfach nicht kapieren will, dass die schrägen Schächte von den Hohlräumen an der Außenseite des Würfels kultische Funktionen erfüllen sollen. Eine Entrauchung ist auf Grund der Brandklassenzuordnung der Kalksteinblöcke nicht erforderlich und wir werden auch darauf keine Zeit mehr verwenden. Das fehle noch, dass eine ungeklärte Entrauchung ein Großprojekt behindert. Falls es auf dem Weg zur Genehmigung diesbezüglich noch Probleme geben sollte, werden wir über den Wesir für Städtebauangelegenheiten direkt beim Amt intervenieren.“ San-Rah setzt sich wieder und erteilt der Projektsteuerung das Wort.
Hoch-Hart-Muth möchte gern festhalten, dass er nicht versteht, warum die Baugenehmigung immer noch nicht erteilt wurde. „Aber Zeit zum Party machen ist wohl vorhanden“, bemerkt er zynisch. Dabei schaut er bedeutungsschwer zu seinen vier stummen Mitarbeitern, die von ihrem Chef begeistert sind.
„Kommen wir zu den Kosten“, verlangt Hoch-Hart-Muth von San-Rah. „Okay“, sagt San-Rah und ruft im Pathos, einer Exekution entgegensehen zu müssen, feierlich in den Raum: „Dass ein Wüstenwürfel in der vorgegebenen Dimension dreimal so viel kosten würde, wie die Auftraggeber zur Verfügung stellen. Ergo, der Cheopswürfel kann deshalb nicht gebaut werden. Basta.“ Der bedeutungsschwere Satz zu den Kosten ist nun ausgesprochen. Stille.
Der Architekt versucht, sich Kaffee einzugießen. Das gelingt nicht, denn seine Hände zittern. Der Strahl des heißen Getränks gelangt nicht in seine Tasse. Ein Zustand der Lähmung und der Schwerelosigkeit erfasst alle an der Besprechung Teilnehmenden. Selbst Frau Notvertrete hält beim Protokollieren inne. „Soll ich das so schreiben“, flüstert sie Echt-Natron zu. „Moment noch“, sagt er in Richtung seiner Chefsekretärin. Er erlangt als Erster die Fassung, wendet sich an Hoch-Hart-Muth und fragt nach dem Grund, weshalb die Projektsteuerung zu fünft gekommen ist.
7. Kapitel
Albert hat gute Laune, beginnt zu rechnen und sinniert über gekünstelte Intelligenz
Allmählich leert sich das Kongresszentrum der hohen Ebene. Die Lichtshow ist beendet. Die Besucher, meist Wissenschaftler, sind vom Vortrag Alberts begeistert und diskutieren noch vereinzelt in kleineren Gruppen über das soeben Dargebotene. Albert ist ebenfalls zufrieden. Er nennt seinen Vortrag scherzhaft „Spektakelanalyse des Lichtes“. Das macht er zur Entspannung. Hauptsächlich ist die Simplifizierung der Welle-Teilchen-Dualität gegenwärtig sein Betätigungsfeld. Für die Erdenbewohner halbwegs verständlich, will er in einem ersten Schritt seine Photonentheorie zum Licht determinieren. Licht ist ein Strom von Energiepaketen. Damit sollen, zum gegebenen Zeitpunkt, die Erdenbewohner konfrontiert werden. Also Schritt für Schritt. Er darf sie nicht überfordern.
Gut gelaunt betritt Albert sein Büro. Er schmunzelt beim Gedanken, ob er nicht mal zum Spaß die Krümmung seines sozialpsychologischem Zustandes der „Guten Laune“ berechnen sollte. Aber eine dringende Nachricht aus der Zentrale hält ihn davon ab. Umgehend soll er in den Empfangsbereich der hohen Ebene kommen. Er hätte Besuch von einer auserwählten Erdenfrau, die im Zusammenhang mit den aktuellen Vorgängen in Ägypten auf die hohe Ebene gebracht wurde. Der Besuch wäre von höchster Relevanz und hätte erdenhistorische Dimensionen. Er überfliegt die präzise formulierte Aufgabenstellung, macht sich auf den Weg und beginnt zu rechnen.
Also, das Volumen des betreffenden Würfels mit einer quadratischen Grundfläche a² berechnet sich aus der Multiplikation mit der Höhe h. Klar und einfach. Jetzt wird es spannend. Es ist aber nur ein Drittel des Geldes für den Würfel da, der aber die ursprüngliche Grundfläche behalten soll. Albert liebt Textaufgaben und hat sofort die Lösung im Kopf. Klar, man drittelt die Höhe und basta. Aber halt, so einfach ist die Textaufgabe nicht. Die Höhe h sollte ebenfalls erhalten bleiben. Bei einem Drittel wäre die Höhe nunmehr bei ca. 49 m. Eine Höhe unter der Höhe der Djoser Pyramide wäre nicht vermittelbar. Auch wäre die gedrittelte Höhe im Kontext mit der Grundfläche viel zu gering. Also, ein Würfel ist das dann nicht mehr. Klar ist, vom Polyeder sind nur das Polygon der Grundfläche und die Höhe konstant. Also muss sich die Mantelfläche des Polyeders dritteln. Das wird erreicht, in dem man die 4 Mantelflächen als Dreiecke ausbildet. Eine angenehme Ästhetik wird dann erreicht, wenn die Dreieckspitzen in einem Höhenpunkt, in dem Fall bei 146 m, zusammenlaufen. Den Begriff Pyramide, so der Name des Polyeders, kennen die Erdenbewohner schon von Sakralbauten im geschichtlichen Ägypten vergangener Epochen. Allerdings sind die bereits bestehenden Pyramiden entweder rot, geknickt oder auch abgestuft. Eine klare ästhetische Form findet sich in diesen Bauwerken nicht. Außerdem sind das Zwerge gegenüber dem von Albert erdachten mathematischen Modell. Ja, so machen wir es, das wird der Zentrale gefallen, denkt sich Albert. Den Unterlagen entnimmt er, dass eine junge Frau aus Memphis von der Zentrale auserkoren wurde, als seine technische Muse zu agieren. Sie hätte eine durchaus ernst zu nehmende emotionale Bindung zum Bauleiter und wäre somit als Bindeglied zwischen den Akteuren des Projektes und der hohen Ebene bestens geeignet.
Die Frau ist von den örtlichen Einsatzkräften der hohen Ebene auf dem Weg in den Südsudan abgefangen worden. Sie wollte in Nubien eine andere, modernere Lebensart ausprobieren und dem stressigen Alltag der ägyptischen Gesellschaft entfliehen. Das wird sie nun verschieben müssen. Gleich vor Ort begannen die Helfer, die Auserwählte vorbereitend zu manipulieren und mittels Suggestion auf den Besuch in den Räumen der hohen Ebene vorzubereiten. Dann wurde sie in den Empfangsbereich der hohen Ebene gebracht. Albert wird sie nun kennenlernen und beginnen, sie für seine Zwecke zu instruieren.
Albert ist von seiner Mission fasziniert. Der Gedanke, dass ein Bauwerk entsteht, welches tausende Erdenjahre faktisch unzerstörbar in der Wüste rumsteht und Albert dabei die große Ehre zu Teil wird, maßgeblich das Gelingen zu beeinflussen, erfüllt ihn mit großer Befriedigung. Er betrachtet seinen gegenwärtigen Einsatz als Aufwärmübung für seine eigentliche Mission, der Schaffung der Grundlagen des Verstehens der historischen, der gegenwärtigen und der zukünftigen Ereignisse im Universum. Er hat jetzt eine mathematische Lösung des Würfelproblems gefunden und ist selbst gespannt, wie sich die weiteren Abläufe entwickeln werden. Er hat einen Plan und den will er heute beginnen zu verwirklichen.
Die Erdenbewohner werden das Bauwerk als Weltwunder betrachten und staunen, dass es die anderen sechs geplanten Weltwunder bei weitem überragen und überleben wird. Mit Heiterkeit stellt sich Albert vor, wie Heere von Archäologen, Ägyptologen, Ingenieuren und Spinnern ihre Theorien zum Zweck des Bauwerkes und zum Verfahren der Realisierung verkündigen und es z. T. dabei als Wissenschaft verkaufen. Der Bau des Turms von Babel verwirrte die Sprache der Erdenbewohner. Der Bau des Cheops wird den Erdenbewohnern die Sprache verschlagen. Sie werden fassungslos davorstehen und ehrfürchtig von einem Rätsel sprechen. Erst wenn die Erdenbewohner bereit sind, der Vernunft im Denken und Handeln die erforderliche Priorität beizumessen, werden sie mittels schöpferischer Kreativität und wahrhafter Staatskunst die universellen Signale verstehen. Wenn Schwäche als individuelle Chance begriffen wird und die Märchen von gieriger Stärke beendet werden können, wenn die geheuchelten Umarmungen von Zweckbündnissen aufhören, wenn sie das gegenseitige Zufügen von Gewalt beenden, und wenn sie nicht mehr länger intrigant und scheinheilig sein wollen, dann werden die Erdenbewohner begreifen, zu wessen Leistungen eine wahrhaft friedlich vereinte Menschheit fähig ist.
Leider werden erst allmählich Entwicklungen zur Übereinstimmung von Aussage und Handeln, Denken und Fühlen eintreten. Genau hier ist der Ansatz zum beabsichtigten Eingriff durch die auserwählten Mitarbeiter im Fachausschuss für Erdangelegenheiten. Die werden all ihr Können einsetzen müssen, um das hohe Ziel einer friedlichen und gesunden Welt auf dem Planeten Erde durchzusetzen. Mit dem Bau der großen Pyramide werden sie die Erdenbewohner inspirieren, die wahrhaft großen Zusammenhänge in der Natur und der Gesellschaft zu erkennen. Die Erdenbewohner sollen endlich damit aufhören, sich selbst und ihren wundervollen Planeten zu zerstören. Sie sollen denken lernen und wenn sie schon einen Gott brauchen, dann sollen sie auch auf ihn hören. Kein Gott will, dass sich die Erdenbewohner gegenseitig wehtun, aber sie machen es über tausende Erdenjahre, unablässig.
Albert öffnet jetzt die Tür zum Besucherzentrum, sieht Schi Tot und ist von ihrer Schönheit überwältigt.
8. Kapitel
Nein, hier wohnen nicht die Nubier, liegt Schi Tot richtig
Ein helles leises Bimmeln lässt Schi Tot aufwachen. Sie fühlt sich entspannt. Jetzt hellwach, schaut sie sich vorsichtig in einer fremden Welt um. Nein, das ist nicht das Land der Nubier. Was ist bloß passiert? Alles ist anders. Das Licht ist warm, der Duft des Raumes und die leisen unbekannten Klänge aus der gewölbten Decke, das alles kann sie nicht deuten. Sie ist allein in einem fremden Raum.
Sie versucht sich zu erinnern. Schi Tot sieht ihren traurigen Freund beim Abschied und beginnt zu zweifeln, ob denn die spontane Abreise zu den Nubiern die richtige Entscheidung war. Ihre Reiseerinnerungen sind merkwürdig unklar. Sie erinnert sich nur nebulös, dass sie sich mit einem Leihkamel einer Karawane von Fußballanhängern angeschlossen hatte, die ihre Mannschaft bei einem schweren Auswärtsspiel im Raum Assuan unterstützen wollten. Um die Anstoßzeit nicht zu verpassen, war die Reisegeschwindigkeit der Schlachtenbummler extrem hoch. Schi Tot wollte mithalten, um nicht allein die weite Wüste durchqueren zu müssen. Allmählich wurde sie immer schneller, viel schneller als das schon immense Tempo der johlenden Liebhaber des Rasensports. Die Konturen der vorbeifliegenden Landschaften konnte sie nicht mehr wahrnehmen. Alles geriet zu einer chaotischen Bilderflut. Schi Tot versuchte verzweifelt, ihr Leihkamel zu stoppen. Vergeblich. Es war wie ein Alptraum. Und plötzlich fühlte sie sich, als würde sie schwerelos schweben. Ein angenehmes Schwingen all ihrer Sinne folgte. Die Wahrnehmung faszinierend neuer und fremder Bilder begann sich langsam durchzusetzen. Nein, das hier ist nicht der Südsudan.
Der Raum ist in hellen Pastellfarben gehalten, die seltsam matt leuchten. Der blitzblanke Boden glänzt zurückhaltend und korrespondiert mit den Farben des Raumes. Die Ausstattung ist schlicht und funktional, keinerlei Ornamentik oder Ausschmückung ziert die Möbel.
Schi Tot konzentriert sich nun auf den Mann, der soeben den Raum betritt. Es ist ein freundlich wirkender älterer Herr mit wirren weißen Haaren und mit dichtem Oberlippenbewuchs. Er stellt sich mit dem Namen Albert vor und gibt an, dass sein Markenzeichen der Verstand sei. Dabei lächelt er verstohlen. Normal ist, dass sich sonst ältere Herren immer als Kriegshelden, als erfolgreiche Geschäftsleute oder zumindest als umjubelter Mann der Künste den jungen Damen vorstellen. Nein, nicht so Albert. Der würdigt die Schärfe seiner Denkprozesse. Das macht Schi Tot neugierig. Auf dem Salontisch stehen erlesene Speisen und Getränke bereit, die Schi Tot zwar kennt, aber sehr selten zu sich nimmt. Das Einkommen als Künstlerin ist schmal und der Preis für die dargebotenen Köstlichkeiten sehr hoch. Nur in speziellen Delikatessgeschäften sind diese schmackhaften Lebensmittel erhältlich. Gern nimmt sie das verführerische Angebot an. Sie beginnt die Situation ruhig in sich aufzunehmen. Das fällt ihr leicht, da der ältere Herr eine angenehme vertrauenserweckende Aura versprüht. Sie fragt ihn, wo sie sich denn befinde. Das hier sei ein angenehmer, aber doch merkwürdiger Ort. Albert lächelt ausweichend und bittet Schi Tot, dass sie sich zunächst vorstellt.
Ihr Markenzeichen sei Schmuckdesign und auch ein wenig Wohnraumausstattungen kleinerer Dimension, beginnt sie über sich zu sprechen. In einer ganz gut frequentierten Boutique verkaufe sie diese Dinge, die sie in den hinteren Räumen in einer kleinen Werkstatt selbst entwirft und auch herstellt. Ihre Kundschaft seien meist Frauen aus der Mittelschicht. Schi Tot mag diese Kundschaft, weil sie mit ihrem ästhetischen Geschmack zwischen Krempel und Kunst unterscheiden können. Kunden, die ihre Identität dem Geldbeutel zuordnen, seien nicht ihre Zielgruppe. Deshalb verarbeite sie auch kein Gold, das sei der oberen Schicht vorbehalten. Sie weiß, wie schwer die Goldminenarbeiter im fernen Nubien schuften müssen, um das edle Metall zu gewinnen. Deshalb hat sie Skrupel, Gold zu Schmuck zu verarbeiten. In Mode gekommen sei, dass die Reichen sogar Goldgaben in die Gräber beigelegt bekommen, zumeist prächtige und faszinierende Schmuckstücke. Nein, das sei nichts für sie. Sie verarbeite gern Lederbänder mit den Halbedelsteinarten Türkisen und Amethysten für geschmackvolle Halsketten und Armreifen. Weiterhin verarbeite sie auch gern Schilfrohr für die Anfertigung von leichten Sandalen mit dicken und strapazierfähigen Sohlen. Der Clou in ihrem Geschäft seien allerdings die nach eigenem Geheimrezept hergestellten Pastillen gegen Mundgeruch, eine Mischung aus Bockhornkleesamen, unterrührt mit Weihrauch, Myrrhe, Wachoderbeeren, Harz, Rosinen und Honig. Diese Mischung forme sie zu kleinen schwarzen Kügelchen, die geröstet in einem kleinen hübschen Kästchen aus Zedernholz angeboten werden. Sie lebe bescheiden und finde ihren Lebenssinn in der Kreativität. Dass sie unverheiratet sei, verdanke sie ihrem Drang nach frei bestimmter Individualität. Dass sie ständig umworben werde, sei ihr angenehm und stärke ihr Selbstbewusstsein. Wenn sie denn je eine feste Beziehung einginge, dann vielleicht mit einem verrückten Bauleiter, der sich entschieden habe, ein Bauprojekt zu realisieren, welches noch völlig unklar in der Ausführung sei und deshalb als die Herausforderung seines Lebens betrachtet werden kann. Wie gesagt, ein Verrückter.
Albert sagt nun, dass genau wegen dieses Bauvorhabens sie hierher „gebracht“ wurde. Das ist der Plan. Schi Tot zögert eine Weile, bestätigt zunächst ihre Neugier, dann ihr Einverständnis zur Mitwirkung.
Albert erläutert nun seine Absichten. „In der hohen Ebene sei bekannt, dass Cheops ein Bauprojekt verfolge, welches das Team um den Architekten und der Bauleitung niemals mit den traditionellen Bautechniken bewältigt werden könne. Deshalb müsse ein Weg gefunden werden, dem Ausführungsteam unter die Arme zu greifen. Zunächst sei es wichtig, dem Bauherrn zu vermitteln, dass das zugestandene Budget im Vergleich zum beauftragten Wüstenkoloss in keinem plausiblen Verhältnis stehe. Dieser Größenwahn müsse unterbunden werden. Sie könne hierzu einen wichtigen Beitrag übernehmen, sie sei der Weg.“
Albert schaut Schi Tot nun tief in die Augen. Seine Stimme wird monoton und er verlangsamt das Tempo seiner Ansprache. Die Wirkung auf ihren Fitnesszustand erfolgt prompt, Schi Tot wir schlagartig müde und erstarrt regungslos. Albert legt seine Hände auf die Schläfen der jungen Frau und beginnt die Beschwörung:
„Schi Tot, so erhöre! Ich liefere die Formel, du die kreative Leistung mit der Überzeugungskraft deiner faszinierenden Aura. Du wirst am Hofe des Pharao mit Deiner Ausstrahlung suggerieren können, dass ein Polyeder als ideale Pyramide bei weitem die Ästhetik des geplanten plumpen Würfels übertreffe. Dies entspricht dem Wunsch des Fachausschusses für Erdenangelegenheiten der hohen Ebene.“
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