Читать книгу: «Der Einzige und sein Eigentum», страница 6
Auch an einer Rangliste der heiligen Ideen, deren eine oder mehrere der Mensch als seinen Beruf ansehen soll, fehlt es nicht. Familie, Vaterland, Wissenschaft u. dergl. kann an mir einen berufstreuen Diener finden.
Da stoßen wir auf den uralten Wahn der Welt, die des Pfaffentums noch nicht entraten gelernt hat. Für eine Idee leben und schaffen, das sei der Beruf des Menschen, und nach der Treue seiner Erfüllung messe sich sein menschlicher Wert.
Dies ist die Herrschaft der Idee oder das Pfaffentum. Robespierre z.B., St. Just usw. waren durch und durch Pfaffen, begeistert von der Idee, Enthusiasten, konsequente Rüstzeuge dieser Idee, ideale Menschen. So ruft St. Just in einer Rede aus: »Es gibt etwas Schreckliches in der heiligen Liebe zum Vaterlande; sie ist so ausschließend, daß sie alles ohne Erbarmen, ohne Furcht, ohne menschliche Beachtung dem öffentlichen Interesse opfert. Sie stürzt Manlius in den Abgrund; sie opfert ihre Privatneigungen; sie führt Regulus nach Karthago, wirft einen Römer in den Schlund, und setzt Marat als Opfer seiner Hingebung ins Pantheon.«
Diesen Vertretern idealer oder heiliger Interessen steht nur eine Welt zahlloser »persönlicher« profaner Interessen gegenüber. Keine Idee, kein System, keine heilige Sache ist so groß, daß sie nie von diesen persönlichen Interessen überboten und modifiziert werden sollte. Wenn sie auch augenblicklich und in Zeiten der Rage und des Fanatismus schweigen, so kommen sie doch durch »den gesunden Sinn des Volkes« bald wieder obenauf. Jene Ideen siegen erst dann vollkommen, wenn sie nicht mehr gegen die persönlichen Interessen feindlich sind, d.h. wenn sie den Egoismus befriedigen.
Der Mann, der eben vor meinem Fenster Bücklinge zum Verkauf ausruft, hat ein persönliches Interesse an gutem Absatz, und wenn sein Weib oder wer sonst ihm desgleichen wünschen, so bleibt dies gleichwohl ein persönliches Interesse. Entwendete hingegen ihm ein Dieb seinen Korb, so entstünde sogleich ein Interesser Vieler, der ganzen Stadt, des ganzen Landes, oder mit einem Worte aller, welche den Diebstahl verabscheuen: ein Interesse, wobei die Person dies Bücklingshändlers gleichgültig würde und an ihrer Statt die Kategorie des »Bestohlenen« in den Vordergrund träte. Aber auch hier könnte noch alles auf ein persönliches Interesse hinauslaufen, indem jeder Teilnehmende bedächte, daß er der Bestrafung des Diebes deshalb beitreten müsse, weil sonst das straflose Stehlen allgemein werden und auch ihn um das Seinige bringen könnte. Eine solche Berechnung läßt sich indes schwerlich bei vielen voraussetzen, und man wird vielmehr den Ausruf hören: der Dieb sei ein »Verbrecher«. Da haben wir ein Urteil vor uns, indem die Handlung des Diebes ihren Ausdruck erhält in dem Begriffe »Verbrechen«. Nun stellt sich die Sache so: wenn ein Verbrechen auch weder mir, noch irgend einem derjenigen, an welchen ich Anteil nehme, den geringsten Schaden brächte, so würde ich dennoch gegen dasselbe eifern. Warum? Weil ich für die Sittlichkeit begeistert, von der Idee der Sittlichkeit erfüllt bin; was ihr feindlich ist, das verfolge ich. Weil ihm der Diebstahl ohne alle Frage für verabscheuungswürdig gilt, darum glaubt z.B. Proudhon schon mit dem Satze: »Das Eigentum ist ein Diebstahl« dieses gebrandmarkt zu haben. Im Sinne der Pfäffischen ist er allemal ein Verbrechen oder mindestens Vergehen.
Hier hat das persönliche Interesse ein Ende. Diese bestimmte Person, die den Korb gestohlen hat, ist meiner Person völlig gleichgültig; nur an dem Diebe, diesem Begriffe, von welchem jene Person ein Exemplar darstellt, nehme ich ein Interesse. Der Dieb und der Mensch sind in meinem Geiste unversöhnliche Gegensätze; denn man ist nicht wahrhaft Mensch, wenn man Dieb ist; man entwürdigt in sich den Menschen, oder die »Menschheit«, wenn man stiehlt. Aus dem persönlichen Anteil herausfallend, gerät man in den Philanthropismus, die Menschenfreundlichkeit, die gewöhnlich so mißverstanden wird, als sei sie eine Liebe zu den Menschen, zu jedem einzelnen, während sie nichts als eine Liebe des Menschen, des unwirklichen Begriffes, des Spuks ist. Nicht tous anthrôpous, die Menschen, sondern ont nathrôpon, den Menschen, schließt der Philanthrop in sein Herz. Allerdings bekümmert er sich um jeden einzelnen, aber nur deswegen, weil er sein geliebtes Ideal überall verwirklicht sehen möchte.
Also von der Sorge um mich, dich, uns ist hier keine Rede: das wäre persönliches Interesse und gehört in das Kapitel von der »weltlichen Liebe«. Der Philanthropismus ist eine himmlische, geistige, eine – pfäffische Liebe. Der Mensch muß in uns hergestellt werden, und gingen wir armen Teufel darüber auch zugrunde. Es ist derselbe pfäffische Grundsatz, wie jenes berühmte fiat justitia, pereat mundus; Mensch und Gerechtigkeit sind Ideen, Gespenster, denen zu Liebe alles geopfert wird: darum sind die pfäffischen Geister die »aufopfernden«.
Wer für den Menschen schwärmt, der läßt, soweit jene Schwärmerei sich erstreckt, die Personen außer acht und schwimmt in einem idealen, heiligen Interesse. Der Mensch ist ja keine Person, sondern ein Ideal, ein Spuk.
Zu dem Menschen kann nun das Allerverschiedenste gehören und gerechnet werden. Findet man das Haupterfordernis desselben in der Frömmigkeit, so entsteht das religiöse Pfaffentum; sieht man's in der Sittlichkeit, so erhebt das sittliche Pfaffentum sein Haupt. Die pfäffischen Geister unserer Tage möchten deshalb aus allem eine »Religion« machen; eine »Religion der Freiheit, Religion der Gleichheit usw.«, und alle Ideen werden ihnen zu einer »heiligen Sache«, z.B. selbst das Staatsbürgertum, die Politik, die Öffentlichkeit, Preßfreiheit, Schwurgericht usw.
Was heißt nun in diesem Sinne »Uneigennützigkeit«? Nur ein ideales Interesse haben, vor welchem kein Ansehen der Person gilt!
Dem widersetzt sich der starre Kopf des weltlichen Menschen, ist aber Jahrtausende lang immer soweit wenigstens erlegen, daß er den widerspenstigen packen beugen und »die höhere Macht verehren« mußte: das Pfaffentum drückte ihn nieder. Hatte der weltliche Egoist eine höhere Macht abgeschüttelt, z.B. das Alttestamentliche Gesetz, den römischen Papst usw., so war gleich eine siebenfach höhere wieder über ihm, z.B. der Glaube an der Stelle des Gesetzes, die Umwandlung aller Laien in Geistliche an Stelle des beschränkten Klerus usw. Es ging ihm wie dem Besessenen, in den sieben Teufel fuhren, als er von dem einen sich befreit zu haben glaubte.
In der oben angeführten Stelle wird der Bügerklasse alle Idealität usw. abgesprochen. Sie machinierte allerdings gegen die ideale Konsequenz, mit welcher Robespierre das Prinzip ausführen wollte. Der Instinkt ihres Interesses sagte ihr, daß diese Konsequenz mit dem, wonach ihr der Sinn stände, zuwenig harmoniere, und daß es gegen sich selbst handeln hieße, wollte sie der prinzipiellen Begeisterung Vorschub leisten. Sollte sie etwa sich so uneigennützig benehmen, alle ihre Zwecke fahren zu lassen, um eine herbe Theorie zum Triumphe zu führen? Es sagt das freilich den Pfaffen trefflich zu, wenn die Leute ihrem Aufrufe Gehör geben: »Wirf alles von dir und folge mir nach,« oder: »Verkaufe alles, was du hast, und gib es den Armen, so wirst du einen Schatz im Himmel haben, und komm und folge mir nach.« Einige entschiedene Idealisten gehorchen diesem Rufe; die meisten hingegen handeln wie Ananias und Sapphira, indem sie halb pfäffisch oder religiös und halb weltlich sich betragen, Gott und dem Mammon dienen.
Ich verdenke es der Bürgerklasse nicht, daß sie sich durch Robespierre nicht um ihre Zwecke bringen lassen mochte, d.h. daß sie bei ihrem Egoismus anfragte, wie weit sie der revolutionären Idee Raum geben dürfe. Aber denen könnte man's verdenken (wenn überhaupt ein Verdenken hier angebracht wäre), die durch die Interessen der Bürgerklasse sich um ihre eigenen bringen ließen. Indes werden sie sich nicht über kurz oder lang gleichfalls auf ihren Vorteil verstehen lernen? August Becker sagt:16 »Die Produzenten (Proletarier) zu gewinnen, genügt eine Negation der hergebrachten Rechtsbegriffe keineswegs. Die Leute kümmern sich leider wenig um den theoretischen Sieg der Idee. Man muß ihnen ad oculos demonstrieren, wie dieser Sieg praktisch fürs Leben benutzt werden könne.« Und S. 32: »Ihr müßt die Leute bei ihren wirklichen Interessen anpacken, wenn ihr auf sie wirken wollt.« Gleich darauf zeigt er, wie unter unsern Bauern schon eine recht artige Sittenlosigkeit um sich greift, weil sie ihr wirkliches Interesse lieber verfolgen, als die Gebote der Sittlichkeit.
Weil die revolutionären Pfaffen oder Schulmeister dem Menschen dienten, darum schnitten sie den Menschen die Hälse ab. Die revolutionären Laien oder Profanen trugen nicht etwa eine größere Scheu vor dem Halsabschneiden, waren aber weniger um die Menschenrechte, d.h. die Rechte des Menschen besorgt, als um die ihrigen.
Wie kommt es indessen, daß der Egoismus derer, welche das persönliche Interesse behaupten und bei ihm allezeit anfragen, dennoch immer wieder einem pfäffischen oder schulmeisterlichen, d.h. einem idealen Interesse unterliegt? Ihre Person kommt ihnen selbst zu klein, zu unbedeutend vor, und ist es in der Tat auch, um alles in Anspruch zu nehmen und sich vollständig durchsetzen zu können. Ein sicheres Zeichen dafür liegt darin, daß sie sich selbst in zwei Personen, eine ewige und eine zeitliche, zerteilen, und jedesmal nur entweder für die eine oder für die andere sorgen, am Sonntage für die ewige, am Werkeltage für die zeitliche, im Gebete für jene, in der Arbeit für diese. Sie haben den Pfaffen in sich, darum werden sie ihn nicht los, und hören sich sonntäglich in ihrem Innern abgekanzelt.
Wie haben die Menschen gerungen und gerechnet, um diese dualistischen Wesen zu ermitteln. Idee folgte auf Idee, Prinzip auf Prinzip, System auf System, und keines wußte den Widerspruch des »weltlichen« Menschen, des sogenannten »Egoisten« auf die Dauer niederzuhalten. Beweist dies nicht, daß alle jene Ideen ohnmächtig waren, meinen ganzen Willen in sich aufzunehmen und ihm genugzutun? Sie waren und blieben mir feindlich, wenn auch die Feindschaft längere Zeit verhüllt lag. Wird es mit der Eigenheit ebenso sein? Ist auch sie nur ein Vermittlungsversuch? Zu welchem Prinzipe ich mich wendete, wie etwa zu dem der Vernunft, ich mußte mich immer wieder von ihm abwenden. Oder kann ich immer vernünftig sein, in allem mein Leben nach der Vernunft einrichten? Nach der Vernünftigkeit streben kann ich wohl, ich kann sie lieben, wie eben Gott und jede andere Idee auch. Ich kann Philosoph sein, ein Liebhaber der Weisheit, wie ich Gott lieb habe. Aber was ich liebe, wonach ich strebe, das ist nur in meiner Idee, meiner Vorstellung, meinen Gedanken: es äst in meinem Herzen, meinem Kopfe, es ist in mir wie das Herz, aber es ist nicht ich, ich bin es nicht.
Zur Wirksamkeit pfäffischer Geister gehört besonders das, was man häufig »moralischen Einfluß« nennen hört.
Der moralische Einfluß nimmt da seinen Anfang, wo die Demütigung beginnt, ja er ist nichts anders, als diese Demütigung selbst, die Brechung und Beugung des Muten zur Demut herab. Wenn ich jemand zurufe, bei Sprengung eines Felsens aus dessen Nähe zu gehen, so übe ich keinen moralischen Einfluß durch diese Zumutung; wenn ich dem Kinde sage, du wirst hungern, willst du nicht essen, was aufgetischt wird, so ist dies kein moralischer Einfluß. Sage ich ihm aber: Du wirst beten, die Eltern ehren, das Kruzifix respektieren, die Wahrheit reden usw., denn dies gehört zum Menschen und ist der Beruf des Menschen, oder gar, dies ist Gottes Wille, so ist der moralische Einfluß fertig: ein Mensch soll sich da beugen vor dem Beruf des Menschen, soll folgsam sein, demütig werden, soll seinen Willen aufgeben gegen einen fremden, der als Regel und Gesetz aufgestellt wird; er soll sich erniedrigen vor einem Höheren: Selbsterniedrigung. »Wer sich selbst erniedrigt, wird erhöhet werden.« Ja, ja, die Kinder müssen beizeiten zur Frömmigkeit, Gottseligkeit und Ehrbarkeit angehalten werden; ein Mensch von guter Erziehung ist einer, dem »gute Grundsätze« beigebracht und eingeprägt, eingetrichtert, eingebläut und eingepredigt worden sind.
Zuckt man hierüber die Achseln, gleich ringen die Guten verzweiflungsvoll die Hände und rufen: »Aber um's Himmels willen, wenn man den Kindern keine guten Lehren geben soll, so laufen sie ja geradeweges der Sünde in den Rachen und werden nichtsnutzige Rangen!« Gemach, ihr Unheilspropheten. Nichtsnutzige in eurem Sinne werden sie allerdings werden; aber euer Sinn ist eben ein sehr nichtsnutziger Sinn. Die frechen Buben werden sich von euch nichts mehr einschwatzen und vorgreinen lassen und kein Mitgefühl für all die Torheiten haben, für welche ihr seit Menschengedenken schwärmt und faselt, sie werden das Erbrecht aufheben, d.h. sie werden eure Dummheiten nicht erben wollen, wie ihr sie von den Vätern geerbt habt; sie vertilgen die Erbsünde. Wenn ihr ihnen befehlt: beuge dich vor dem Höchsten – so werden sie antworten: wenn er uns beugen will, so komme er selbst und tue es; wir wenigstens wollen uns nicht von freien Stücken beugen. Und wenn ihr ihnen mit seinem Zorne und seinen Strafen droht, so werden sie's nehmen, wie ein Drohen mit dem Wauwau. Glückt es euch nicht mehr, ihnen Gespensterfurcht einzujagen, so ist die Herrschaft der Gespenster zu Ende, und die Ammenmärchen finden keinen – Glauben.
Und sind es nicht gerade wieder die Liberalen, die auf eine gute Erziehung und Verbesserung des Erziehungswesens dringen? Denn wie konnte auch ihr Liberalismus, ihre »Freiheit in den Grenzen des Gesetzes« ohne Zucht zustande kommen? Erziehen sie auch nicht gerade zur Gottesfurcht, so fordern sie doch um so strenger Menschenfurcht, d.h. Furcht vor dem Menschen, und wecken durch Zucht die »Begeisterung für den wahrhaft menschlichen Beruf«.
* * *
Eine lange Zeit verfloß, in welcher man sich mit dem Wahne begnügte, die Wahrheit zu haben, ohne daß man daran ernstlich dachte, ob man selbst vielleicht wahr sein müsse, um die Wahrheit zu besitzen. Diese Zeit war das Mittelalter. Mit dem gemeinen, d.h. dem dinglichen Bewußtsein, demjenigen Bewußtsein, welches nur für Dinge oder Sinnliches und Sinnfälliges Empfänglichkeit hat, gedachte man das Undingliche, Unsinnliche zu fassen. Wie man freilich auch sein Auge anstrengt, um das Entfernte zu sehen, oder seine Hand mühsam übt, bis sie Fingerfertigkeit genug erlangt hat, um die Tasten kunstgerecht zu greifen: so kasteite man sich selbst auf die mannigfachste Weise, damit man fähig würde, das Übersinnliche ganz in sich aufzunehmen. Allein, was man kasteite, war doch nur der sinnliche Mensch, das gemeine Bewußtsein, das sogenannte endliche oder gegenständliche Denken. Da dieses Denken jedoch, dieser Verstand, welchen Luther unter dem Namen der Vernunft »anpfuit«, der Auffassung des Göttlichen unfähig ist, so trug seine Kasteiung gerade so viel dazu bei, die Wahrheit zu begreifen, als wenn man die Füße jahraus jahrein im Tanzen übte und hoffte, sie würden auf diesem Wege endlich Flöten blasen lernen. – Erst Luther, mit welchem das sogenannte Mittelalter endet, begriff, daß der Mensch selber ein anderer werden müsse, wenn er die Wahrheit auffassen wolle, nämlich ebenso wahr, als die Wahrheit selbst. Nur wer die Wahrheit schon im Glauben hat, nur wer an sie glaubt, kann ihrer teilhaftig werden, d.h. nur der Gläubige findet sie zugänglich und ergründet die Tiefen derselben. Nur dasjenige Organ des Menschen, welches überhaupt aus den Lungen zu blasen vermag, kann auch das Flötenblasen erreichen, und nur derjenige Mensch kann der Wahrheit teilhaftig werden, der für sie das rechte Organ hat. Wer nur Sinnliches, Gegenständliches, Dingliches zu denken imstande ist, der stellt sich auch in der Wahrheit nur Dingliches vor. Die Wahrheit ist aber Geist, durchaus Unsinnliches, daher nur für das »höhere Bewußtsein«, nicht für das »irdisch gesinnte«.
Demnach geht mit Luther die Erkenntnis auf, daß die Wahrheit, weil sie Gedanke ist, nur für den denkenden Menschen sei. Und dies heißt, daß der Mensch fortan einen schlechthin anderen Standpunkt einnehmen müsse, nämlich den himmlischen, gläubigen, wissenschaftlichen, oder den Standpunkt des Denkens gegenüber seinem Gegenstande, dem – Gedanken, den Standpunkt des Geistes gegenüber dem Geiste. Also: nur der Gleiche erkennt den Gleichen! »Du gleichst dem Geist, den du begreifst.«
Weil der Protestantismus die mittelalterliche Hierarchie knickte, konnte die Meinung Wurzel fassen, es sei die Hierarchie überhaupt durch ihn gebrochen worden, und gänzlich übersehen werden, daß er gerade eine »Reformation« war, also eine Auffrischung der veralteten Hierarchie. Jene mittelalterliche war nur eine schwächliche Hierarchie gewesen, da sie alle mögliche Barbarei des Profanen unbezwungen neben sich hergehen lassen mußte, und erst die Reformation stählte die Kraft der Hierarchie. Wenn Bruno Bauer meint:17 »Wie die Reformation hauptsächlich die abstrakte Losreißung des religiösen Prinzips von Kunst, Staat und Wissenschaft, also die Befreiung desselben von jenen Mächten war, mit denen es sich im Altertum der Kirche und in der Hierarchie des Mittelalters verbunden hatte, so sind auch die theologischen und kirchlichen Richtungen, welche aus der Reformation hervorgingen, nur die konsequente Durchführung dieser Abstraktion des religiösen Prinzips von den andern Mächten der Menschheit:« so sehe ich gerade in dem Gegenteil das Richtige und meine, die Geisterherrschaft oder Geistesfreiheit – was auf eins hinauskommt – sei nie zuvor so umfassend und allmächtig gewesen, weil die jetzige, statt das religiöse Prinzip von Kunst, Staat und Wissenschaft loszureißen, vielmehr diese ganz aus der Weltlichkeit in das »Reich des Geistes« erhob und religiös machte.
Man stellte passend Luther und Cartesius zusammen in dem »Wer glaubt, ist ein Gott« und »Ich denke, also bin ich« (cogito, ergo sum). Der Himmel des Menschen ist das Denken, der – Geist. Alles kann ihm entrissen werden, das Denken nicht, nicht der Glaube. Bestimmter Glaube, wie Glaube an Zeus, Astarte, Jehova, Allah usw., kann zerstört werden, der Glaube selbst hingegen ist unzerstörbar. Im Denken ist Freiheit. Was ich brauche und wonach ich Hunger habe, das wird mir durch keine Gnade mehr gewährt, durch die Jungfrau Maria, durch Fürsprache der Heiligen, oder durch die lösende und bindende Kirche, sondern ich verschaffe mir's selber. Kurz mein Sein (das sum) ist ein Leben im Himmel des Denkens, des Geistes, ein cogitare. Ich selber aber bin nichts anderes als Geist, als denkender (nach Cartesius), als gläubiger (nach Luther). Mein Leib, das bin ich nicht; mein Fleisch mag leiden von Gelüsten oder Qualen. Ich bin nicht mein Fleisch, sondern ich bin Geist, nur Geist.
Dieser Gedanke durchzieht die Reformationsgeschichte heute.
Erst die neuere Philosophie seit Cartesius hat Ernst damit gemacht, das Christentum zu vollendeter Wirksamkeit zu bringen, indem sie das »wissenschaftliche Bewußtsein« zum allein wahren und geltenden erhob. Daher beginnt sie mit dem absoluten Zweifel, dem dubitare, mit der »Zerknirschung« des gemeinen Bewußtseins, mit der Abwendung von allem, was nicht durch den »Geist«, das »Denken« legitimiert wird. Nichts gilt ihr die Natur, nichts die Meinung der Menschen, ihre »Menschensatzungen«, und sie ruht nicht, bis sie in alles Vernunft gebracht hat und sagen kann: »das Wirkliche ist das Vernünftige, und nur das Vernünftige ist das Wirkliche«. So hat sie endlich den Geist, die Vernunft zum Siege geführt, und alles ist Geist, weil alles vernünftig ist, die ganze Natur so gut als selbst die verkehrtesten Meinungen der Menschen Vernunft enthalten: denn »es muß ja alles zum Besten dienen«, d.h. zum Siege der Vernunft führen.
Das dubitare des Cartesius enthält den entschiedenen Ausspruch, daß nur das cogitare, das Denken der Geist – sei. Ein vollkommener Bruch mit dem »gemeinen« Bewußtsein, welches den unvernünftigen Dingen Wirklichkeit zuschreibt! Nur das Vernünftige ist, nur der Geist ist! Dies ist das Prinzip der neueren Philosophie, das echt christliche. Scharf schied schon Cartesius den Körper vom Geiste, und »der Geist ist's, der sich den Körper baut«, sagt Goethe.
Aber diese Philosophie selbst, die christliche, wird doch das Vernünftige nicht los, und eifert darum gegen das »bloß Subjektive«, gegen die »Einfälle, Zufälligkeiten, Willkür« usw. Sie will ja, daß das Göttliche in allem sichtbar werden soll, und alles Bewußtsein ein Wissen des Göttlichen werde und der Mensch Gott überall schaue; aber Gott ist eben nie ohne den Teufel.
Ein Philosoph ist eben darum derjenige nicht zu nennen, welcher zwar offene Augen für die Dinge der Welt, einen klaren und unverblendeten Blick, ein richtiges Urteil über die Welt hat, aber in der Welt eben nur die Welt, in den Gegenständen nur die Gegenstände, kurz alles prosaisch, wie es ist, sieht, sondern ein Philosoph ist allein derjenige, welcher in der Welt den Himmel, in dem Irdischen das Überirdische, in dem Weltlichen das – Göttliche sieht und nachweist oder beweist. Jener mag noch so verständig sein, es bleibt doch dabei: Was kein Verstand der Verständigen sieht, das übet in Einfalt ein kindlich Gemüt. Dies kindliche Gemüt macht erst den Philosophen, dieses Auge für das Göttliche. Jener hat nur ein »gemeines« Bewußtsein, wer aber das Göttliche weiß und zu sagen weiß, der hat ein »wissenschaftliches«. Aus diesem Grunde verwies man den Bacon aus dem Reiche der Philosophen. Und weiter scheint allerdings dasjenige, was man englische Philosophie nennt, es nicht gebracht zu haben, als zu den Entdeckungen sogenannter »offener Köpfe«, wie Bacon und Hume waren. Die Einfalt des kindlichen Gemütes wußten die Engländer nicht zu philosophischer Bedeutung zu erheben, wußten nicht aus kindlichen Gemütern – Philosophen zu machen. Dies heißt so viel als: ihre Philosophie vermochte nicht, theologisch oder Theologie zu werden, und doch kann sie nur als Theologie sich wirklich ausleben, sich vollenden. In der Theologie ist die Walstatt ihres Todeskampfes. Bacon bekümmerte sich nicht um die theologischen Fragen und Kardinalpunkte.
Am Leben hat das Erkennen seinen Gegenstand. Das deutsche Denken sucht mehr als das der übrigen zu den Anfängen und Quellpunkten des Lebens zu gelangen, und sieht im Erkennen selbst erst das Leben. Cartesius' cogito, ergo sum hat den Sinn: Man lebt nur, wenn man denkt. Denkendes Leben heißt: »geistiges Leben«! Es lebt nur der Geist, sein Leben ist das wahre lieben. Ebenso sind dann in der Natur nur die »ewigen Gesetze«, der Geist oder die Vernunft der Natur das wahre Leben derselben. Nur der Gedanke, im Menschen, wie in der Natur, lebt; alles andere ist tot! Zu dieser Abstraktion, zum Leben der Allgemeinheiten oder des Leblosen muß es mit der Geschichte des Geistes kommen. Gott, welcher Geist ist, lebt allein. Es lebt nichts als das Gespenst.
Wie kann man von der neueren Philosophie oder Zeit behaupten wollen, sie habe es zur Freiheit gebracht, da sie uns von der Gewalt der Gegenständlichkeit nicht befreite? Oder bin ich etwa frei vom Despoten, wenn ich mich zwar vor dem persönlichen Machthaber nicht fürchte, aber vor jeder Verletzung der Pietät, welche ich ihm zu schulden wähne? Nicht anders verhält es sich mit der neueren Zeit. Sie verwandelte nur die existierenden Objekte, den wirklichen Gewalthaber usw. in vorgestellte, d.h. in Begriffe, vor denen der alte Respekt sich nicht nur nicht verlor, sondern an Intensität zunahm. Schlug man auch Gott und dem Teufel in ihrer vormaligen krassen Wirklichkeit ein Schnippchen, so widmete man nur um so größere Aufmerksamkeit ihren Begriffen. »Den Bösen sind sie los, das Böse ist geblieben.« Den bestehenden Staat zu revoltieren, die bestehenden Gesetze umzustürzen, trug man wenig Bedenken, da man einmal entschlossen war, sich von dem Vorhandenen und Handgreiflichen nicht länger imponieren zu lassen; allein gegen den Begriff des Staates zu sündigen, dem Begriffe des Gesetzes sich nicht zu unterwerfen, wer hätte das gewagt? So blieb man »Staatsbürger« und ein »gesetzlicher«, loyaler Mensch; ja man dünkte sich nur um so gesetzlicher zu sein, je rationalistischer man das vorige mangelhafte Gesetz abschaffte, um dem »Geiste des Gesetzes« zu huldigen. In alle dem hatten nur die Objekte eine Umgestaltung erlitten, waren aber in ihrer Übermacht und Oberhoheit verblieben; kurz, man steckte noch in Gehorsam und Besessenheit, lebte in der Reflexion, und hatte einen Gegenstand, auf welchen man reflektierte, den man respektierte, und vor dem man Ehrfurcht und Furcht empfand. Man hatte nichts anderes getan, als daß man die Dinge in Vorstellungen von den Dingen, in Gedanken und Begriffe verwandelte, und die Abhängigkeit um so inniger und unauflöslicher wurde. So hält es z.B. nicht schwer, von den Geboten der Eltern sich zu emanzipieren, oder den Ermahnungen, des Onkels und der Tante, den Bitten des Bruders und der Schwester sich zu entziehen; allein der aufgekündigte Gehorsam fährt einem leicht ins Gewissen, und je weniger man auch den einzelnen Zumutungen nachgibt, weil man sie rationalistisch aus eigener Vernunft für unvernünftig erkennt, desto gewissenhafter hält man die Pietät, die Familienliebe fest, und vergibt sich um so schwerer eine Versündigung gegen die Vorstellung, welche man von der Familienliebe und der Pietätspflicht gefaßt hat. Von der Abhängigkeit gegen die existierende Familie erlöst, fällt man in die bindendere Abhängigkeit von dem Familienbegriff: man wird vom Familiengeiste beherrscht. Die aus Hans und Grete usw. bestehende Familie, deren Herrschaft machtlos geworden, ist nur verinnerlicht, indem sie als »Familie« überhaupt übrig bleibt, auf welche man eben nur anwendet den alten Spruch: man muß Gott mehr gehorchen als dem Menschen, dessen Bedeutung hier diese ist: Ich kann zwar euren unsinnigen Anforderungen mich nicht fügen, aber als meine »Familie« bleibt ihr doch der Gegenstand meiner Liebe und Sorge; denn »die Familie« ist ein heiliger Begriff, den der einzelne nie beleidigen darf. – Und diese zu einem Gedanken, einer Vorstellung, verinnerlichte und entsinnlichte Familie gilt nun als das »Heilige«, dessen Despotie noch zehnmal ärger ist, weil sie in einem Gewissen rumort. Diese Despotie wird nur gebrochen, wenn auch die vorgestellte Familie mir zu einem Nichts wird. Die christlichen Sätze: »Weib, was habe ich mit dir zu schaffen?«18 »Ich bin kommen, den Menschen zu erregen wider seinen Vater und die Tochter wider ihre Mutter«19 und andere werden von der Verweisung auf die himmlische oder eigentliche Familie begleitet, und bedeuten nicht mehr, als die Forderung des Staates, bei einer Kollision zwischen ihm und der Familie seinen Geboten zu gehorchen.
Ähnlich, wie mit der Familie, verhält sich's mit der Sittlichkeit. Von der Sitte sagt sich mancher los, von der Vorstellung »Sittlichkeit« sehr schwer. Die Sittlichkeit ist die »Idee« der Sitte, ihre geistige Macht, ihre Macht über die Gewissen; dagegen die Sitte zu materiell ist, um den Geist zu beherrschen, und einen »geistigen« Menschen, einen sogenannten Unabhängigen, einen »Freigeist« nicht fesselt.
Der Protestant mag es anstellen, wie er will, heilig bleibt ihm doch die »heilige Schrift«, das »Wort Gottes«. Wem dies nicht mehr »heilig« ist, der hat aufgehört ein – Protestant zu sein. Hiermit bleibt ihm aber auch heilig, was in ihr »verordnet« ist, die von Gott eingerichtete Obrigkeit usw. Diese Dinge bleiben ihm unauflöslich, unnahbar, »über allem Zweifel erhaben«, und da der Zweifel, der in der Praxis ein Rütteln wird, des Menschen Eigenstes ist, so bleiben diese Dinge über ihm selbst »erhaben«. Wer nicht davon loskommen kann, der wird – glauben; denn daran glauben heißt daran gebunden sein. Dadurch, daß im Protestantismus der Glaube ein innerlicherer wurde, ist auch die Knechtschaft eine innerlichere geworden: man hat jene Heiligkeiten in sich aufgenommen, sie mit seinem ganzen Dichten und Trachten verflochten, sie zur »Gewissenssache« gemacht, sich eine »heilige Pflicht« aus ihnen bereitet. Darum ist dem Protestanten heilig das, wovon sein Gewissen nicht loskommen kann, und die Gewissenhaftigkeit bezeichnet am deutlichsten seinen Charakter.
Der Protestantismus hat den Menschen recht eigentlich zu einem »Geheimen Polizeistaat« gemacht. Der Spion und Laurer »Gewissen« überwacht jede Regung des Geistes, und alles Tun und Denken ist ihm eine »Gewissenssache«, d.h. Polizeisache. In dieser Zerrissenheit des Menschen in »Naturtrieb« und »Gewissen« (innerer Pöbel und innere Polizei) besteht der Protestant. Die Vernunft der Bibel (an Stelle der katholischen »Vernunft der Kirche«) gilt als heilig, und dies Gefühl und Bewußtsein, daß das Bibelwort heilig sei, heißt – Gewissen. Damit ist denn die Heiligkeit einem »ins Gewissen geschoben«. Befreit man sich nicht vom Gewissen, dem Bewußtsein des Heiligen, so kann man zwar ungewissenhaft, niemals aber gewissenlos handeln.
Der Katholik findet sich befriedigt, wenn er den Befehl vollzieht; der Protestant handelt nach »bestem Wissen und Gewissen«. Der Katholik ist ja nur Laie, der Protestant ist selbst Geistlicher. Das eben ist der Fortschritt über das Mittelalter und zugleich der Fluch der Reformationsperiode, daß das Geistliche vollständig wurde.
Was war die jesuitische Moral anders, als eine Fortsetzung des Ablaßkrames, nur daß der seiner Sünden Entlastete nunmehr auch eine Einsicht in den Sündenerlaß gewann und sich überzeugte, wie wirklich seine Sünde von ihm genommen werde, da es ja in diesem oder jenem bestimmten Falle (Kasuisten) gar keine Sünde sei, was er begehe. Der Ablaßkram hatte alle Sünden und Vergehen zulässig gemacht und jede Gewissensregung zum Schweigen gebracht. Die ganze Sinnlichkeit durfte walten, wenn sie nur der Kirche abgekauft wurde. Diese Begünstigung der Sinnlichkeit wurde von den Jesuiten fortgesetzt, während die sittenstrengen, finstern, fanatischen, bußfertigen, zerknirschten, betenden Protestanten allerdings als die wahren Vollender des Christentums, den geistigen und geistlichen Menschen allein gelten ließen. Der Katholizismus, besonders die Jesuiten, leisteten auf diese Weise dem Egoismus Vorschub, fanden innerhalb des Protestantismus selbst einen unfreiwilligen und unbewußten Anhang und retteten uns vor dem Verkommen und Untergang der Sinnlichkeit. Gleichwohl breitet der protestantische Geist seine Herrschaft immer weiter aus, und da das Jesuitische neben ihm, dem »Göttlichen«, nur das von allem Göttlichen untrennbare »Teuflische« darstellt, so kann es nirgends sich allein behaupten, sondern muß zusehen, wie z.B. in Frankreich endlich das Philistertum des Protestantismus siegt und der Geist obenauf ist.
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