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Globalisierung und Identität
Die geschilderten Verwerfungen in Europa und den USA haben viel zu tun mit neuen Unsicherheiten, die nach dem Ende des Ost-West-Konflikts Einzug in das Leben vieler Menschen gehalten haben. Die Globalisierung und die Deregulierung von Märkten und Finanzmärkten sind da zwei wichtige Faktoren.
In vergangenen Jahrhunderten waren die Nationalstaaten als größere Einheiten entstanden, nicht zuletzt, um ausgedehnte Wirtschaftsräume mit gleichen Regeln zu schaffen und Zölle abzubauen, um Verkehrswege wie die Eisenbahn sinnvoll errichten zu können. Es entstanden auch Medien, also damals Zeitungen, mit landesweiter Perspektive. Nun scheint die neoliberale ökonomische Logik einen weiteren Schritt zu gebieten, nämlich eine Überwindung des Nationalen. Diese Logik fördert auch die Migration. In den westlichen Industriestaaten kommen einige Bevölkerungsgruppen mit all dem gut klar, andere aber ganz entschieden nicht.
Hilfreich ist für mich die von David Goodhart angeregte analytische Betrachtung von den ›Anywheres‹ und den ›Somewheres‹ (GOODHART 2017). Die ›Anywheres‹ können überall leben und arbeiten. Sie freuen sich über das Studium in London, das Praktikum in Madrid, Jobs in Hongkong oder Melbourne. Sie haben kein Problem damit, Menschen anderer Herkunft zu begegnen, weder im Ausland noch daheim. Sie identifizieren sich europäisch oder international.
Die ›Somewheres‹ hingegen wollen gar nicht in Hongkong oder Melbourne leben. Bei ihnen lösen Europäisierung und Globalisierung Ängste aus. Sie suchen Halt in oft national definierter Identität, sie brauchen ein ›Wir‹ zur Absicherung, aus dem sich leicht ein Gegensatz zu ›den anderen‹ ergibt. Einige arbeiten sich besonders an gesellschaftlicher Liberalisierung wie den verschiedenen Formen der Gleichberechtigung und Gleichstellung ab. Die ökonomische Liberalisierung und Globalisierung sind für sie weniger durchschaubar, die dahinterliegenden Kräfte wirken übermächtig und gefährlich.
Manche dieser Menschen landen bei Pegida, stimmen für den Brexit, für die Lega Matteo Salvinis oder tragen die MAGA-Kappen mit der Abkürzung von ›Make America Great Again‹. Viele fühlen sich als Strangers in Their Own Land. So hat Arlie Russell Hochschild ihr Buch (2016) genannt, das sich mit den Anhängern der ›Tea Party‹-Bewegung in den USA beschäftigt.
Einige meiner Betrachtungen teilt die Beratungsgesellschaft McKinsey, nicht bekannt für Sozialschwärmerei. Sie hat einen Bericht mit dem Titel The Social Contract for the 21st Century veröffentlicht. McKinsey schreibt darin zu den Folgen der globalen Umwälzungen:
»While many have benefited from this evolution, for a significant number of individuals the changes are spurring uncertainty, pessimism, and a general loss of trust in institutions« (MCKINSEY 2020).
Es ist wichtig, sich das genauer anzuschauen. Die Politikwissenschaftler Armin Schäfer und Michael Zürn haben Statistiken zur Wohlstandsentwicklung durchgearbeitet und kommen zu folgendem Ergebnis:
»Die neue Mittelschicht in den Schwellenländern vor allem Ostasiens und die Allerreichsten dieser Welt profitierten massiv von der Globalisierung; die Allerärmsten in Afrika und der alte Mittelstand in den wohlhabenderen Ländern hatten dagegen ein geringes Wachstum und einen relativen Wohlstandsverlust zu beklagen. Dies führt zur ›neuen Geografie‹ der Einkommensungleichheit, bei der zwar die Unterschiede zwischen Ländern geringer werden, die innerhalb (westlicher) Länder aber zunehmen« (SCHÄFER/ZÜRN 2021: 7f.).
Es ist also gerade die für die Stabilität demokratischer Verhältnisse wichtige Mittelschicht, die im Westen einen Abstieg erlebt oder sich davon bedroht fühlt.
Entscheidungen jenseits nationaler Grenzen
Viele politische, ökonomische und soziale Entscheidungen entziehen sich längst dem Einfluss national strukturierter und legitimierter Akteure. Sie entziehen sich zugleich der Beobachtung und Kontrolle der national oder regional ausgerichteten Medien. Die europäischen Strukturen haben noch keine Akzeptanz in den Gesellschaften, die den nationalen vergleichbar wäre. Dabei sind auch sie teils direkt, teils indirekt gewählt. Auf der globalen Ebene schließlich verlieren sich die politischen Einflussmöglichkeiten der Bürgerschaften, die Kontrollmöglichkeiten und die Rechenschaftspflicht oft im Nichts. Die dort maßgeblichen Entscheidungswege sind selbst für Experten vielfach nicht mehr nachvollziehbar.
Für den Informationsjournalismus ist dies ein drängendes Problem. Mit den tradierten redaktionellen Abläufen, Strukturen und Ressourcen ist es unmöglich, die Politik der Europäischen Union Tag für Tag darzustellen oder gar zu kontrollieren, geschweige denn die Globalisierung und ihre vielen Unterströmungen.
Es ist schwierig, das Vertrauen derjenigen zu erhalten, die sich identitär verbunkert haben und eine Freund-Feind-Weltsicht einnehmen. Eine Herausforderung stellen aber auch mildere Formen identitärer Verhärtungen mit zurückgehender Diskursoffenheit dar. Zu beobachten sind sie in allen Gruppen der Gesellschaft. Auch im liberalen, weltläufigen, meist urbanen Spektrum fällt es nicht allen leicht, andere Perspektiven einzunehmen.
Ein einfacher Abzweig für Informationsmedien wäre, selbst parteiisch zu werden und bestimmte Gruppen zu bedienen. Damit würden die Nachrichten aber Teil des Problems. Der Weg wäre nicht mehr weit bis zu dem Zustand, in dem sich die USA derzeit befinden: Hier teilt sich die Medienlandschaft mittlerweile in weiten Teilen streng nach politischen Lagern auf. Lager, die dem jeweils anderen häufig unterstellen, Unwahrheiten zu verbreiten. Diese Option verbietet sich Redaktionen, die alle Menschen informieren wollen. Der öffentlich-rechtliche Auftrag, eine größtmögliche Öffentlichkeit bei der gemeinschaftlichen Abwägung und Entscheidung zu unterstützen, kann so jedenfalls nicht erfüllt werden.
Soziale Fragen
Von der Globalisierungskritik war die Rede, auch vom Bestehen auf nationaler Identität, und sei es die von Flandern oder Katalonien. Daneben spielen soziale Fragen eine wichtige Rolle beim Aufstieg system- und medienkritischer Kräfte in den westlichen Demokratien. Darauf weist die Studie Rückkehr zu den politisch Verlassenen aus dem Jahr 2018 hin, die Johannes Hillje gemeinsam mit Partnern in Frankreich für das ›Progressive Zentrum‹ erarbeitet hat. Der Titel spielt auf das Buch Retour à Reims des französischen Soziologen Didier Eribond an (2018). Eribond erlebt bei seiner Rückkehr nach Reims unter anderem, wie sich dort trotz eines eher traditionell linken Selbstverständnisses ein rechtes Wahlverhalten ausgebreitet hat.
Für die Untersuchung des ›Progressiven Zentrums‹ wurden Menschen auf beiden Seiten des Rheins befragt, und zwar in strukturschwachen Gebieten, in denen die AfD beziehungsweise die Partei Marine Le Pens hohe Stimmenanteile bei Wahlen erzielen konnte. Ein Ergebnis war, dass Kernforderungen der Populisten die Menschen in ihren Hochburgen weit weniger bewegen als oft vermutet. Nationalismus, Ablehnung von Muslimen und der EU, Medienkritik – all das ist nicht unbedingt dominant. Die europäische Idee an sich wird sogar häufig positiv bewertet.
Allerdings haben manche Menschen den Eindruck, die Politik lasse sie im Stich. Nicht die Hilfen für Flüchtlinge sind ihr Problem, sondern der Umstand, dass man nicht auch ihnen hilft. Die parlamentarische Demokratie wird nicht an sich in Zweifel gezogen. Doch es herrscht vielfach das Gefühl vor, dass die Politik Lebensrealitäten mit geringen Löhnen und schlechter Infrastruktur nicht wahrnimmt oder nicht wahrnehmen will. Folgt man dieser Studie und anderen Untersuchungen mit ähnlichen Ergebnissen, so scheinen für eine sachorientierte Politik durchaus Chancen zu bestehen, Vertrauen bei Menschen in populistischen Hochburgen neu zu verdienen – mit mehr Aufmerksamkeit, Präsenz und mit der Lösung von Alltagsproblemen.
Für die Informationsmedien liegt die Aufgabe entsprechend darin, die Probleme in strukturschwachen, abgehängten Gebieten stärker zu beachten, sie in die gesellschaftliche Diskussion einzubringen und die politische Bearbeitung journalistisch zu begleiten. Auf jeden Fall reicht es nicht aus, Lügenpresse-Rufer zurückzuweisen. Neben dem Hass dieser Wenigen gibt es ein Unbehagen von recht vielen.
Menschen erkennen sich nicht wieder
Wir kommen an der schmerzhaften Feststellung nicht vorbei: Ein Teil der Gesellschaft erkennt die eigene Lebenslage und die eigene Weltsicht in den klassischen Nachrichtenangeboten nicht mehr wieder. Das gilt nicht nur für die bisher genannten Themen, sondern genauso für tabuisierte oder beschwiegene Armut einschließlich der oft prekären Alterssicherung. Es gilt für das Gesundheitssystem und die Zustände in der Pflege, auch wenn diese Bereiche eine Weile vom Aufmerksamkeitsverstärker Corona profitiert haben.
Die Behandlung struktureller Probleme in den Nachrichten wird von vielen Menschen hinterfragt: Wie steht es mit der Erderwärmung, den Menschenrechten oder sozialen Ungleichheiten auf anderen Kontinenten? Warum haben Themen dieser Art eigenartige Konjunkturen der medialen Beachtung? Und warum wird lange Zeit stündlich über Syrien berichtet oder über Afghanistan – und dann kommt auf einmal nichts mehr, so als ob jemand einen Schalter umgelegt hätte.
Aus der mich erreichenden Hörerpost wird klar, dass auch die ›SOS-Themen‹ Sicherheit, Ordnung und Sauberkeit viele Menschen stark bewegen. Informationsmedien können das nicht übergehen. Sie dürfen aber auch nicht durch eine überproportionale Berichterstattung eine verzerrte Wahrnehmung von Kriminalität und Bedrohung weiter fördern. Das ist eine besonders schwierige Aufgabe, um deren Lösung Redaktionen immer wieder ringen.
Menschen fühlen sich nicht gesehen
Die Repräsentativität der Informationsangebote wird auch in anderer Hinsicht angezweifelt. Infrage stehen nicht nur die Themen, die es in die Nachrichten schaffen. Es geht auch um die Menschen, die in den Nachrichten vorkommen. Bei einigen in Ostdeutschland zum Beispiel herrscht die Überzeugung vor, dass die dort Lebenden und ihre Anliegen überregional zu wenig beachtet würden. ARD und ZDF seien Westfernsehen geblieben – so urteilte Ministerpräsident Reiner Haseloff im Dezember 2020, nachdem der von allen anderen Landesparlamenten ratifizierte Staatsvertrag über den Rundfunkbeitrag in Sachsen-Anhalt gescheitert war. Die Berichte über Ostdeutschland erinnerten ihn an Auslandsreportagen, meinte er.
Mit Partizipationsdefiziten, Repräsentationslücken und Ohnmachtsgefühlen im Osten befasst sich aber nicht nur ein CDU Ministerpräsident, sondern auch die IG-Metall-nahe Otto Brenner Stiftung. Ihr im Januar 2021 erschienenes Arbeitspapier von Lutz Mükke stellt schon im Untertitel die Frage: Schreiben die Medien die Teilung Deutschlands fest? (MÜKKE 2021).
Jenseits von Ost und West finden sich starke Argumente für die These, dass urbane Themen und Perspektiven in den nationalen Medien dominieren, wogegen das Leben auf dem Land und in Kleinstädten weniger Beachtung findet. Eine weiterhin entscheidende Frage bleibt die nach dem Verhältnis von Männern und Frauen. Die Zahl der Redakteurinnen und Moderatorinnen ist gewachsen und ja, inzwischen gibt es auch Chefredakteurinnen und Intendantinnen. Doch eine Ausgewogenheit der Geschlechter ist im Medienbetrieb noch nicht erreicht, genausowenig wie eine angemessene Repräsentation von Menschen, die selbst oder deren Eltern nicht in Deutschland geboren wurden. Beides gilt erst recht für das Personal aus Politik, Wirtschaft, Verbänden, Forschung und Kultur, über das wir berichten.
Ein Zwischenergebnis der schon genannten Mainzer Langzeitstudie zum Medienvertrauen war 2019, dass Teile der Bevölkerung sich in ihrem Lebensgefühl, ihren Themenprioritäten und ihren politischen Ansichten in der Medienberichterstattung nicht oder nicht ausreichend vertreten fühlen. Das Forschungsteam betont in einem Fachartikel allerdings auch, dies könne »Resultat subjektiver Wahrnehmungsverzerrungen« sein (JACKOB et al. 2019: 218). Diese Aussage bezieht sich auf eine weitere Studie, in der es für Deutschland heißt:
»In einer Onlinebefragung von knapp 1.500 wahlberechtigten Erwachsenen wurde das mediale Repräsentationsgefühl in der Bevölkerung untersucht. Aus den vorliegenden Befunden lässt sich grundsätzlich keine bevölkerungsweite mediale Repräsentationslücke ausmachen. Das mediale Repräsentationsgefühl unterscheidet sich allerdings deutlich bei politiknahen und politikfernen Milieus. Mit einem zunehmenden Entfremdungsgefühl von der Politik oder einem abnehmenden Vertrauen in die eigene politische Kompetenz sinkt auch die Wahrnehmung medialer Repräsentation« (JANDURA/KÖSTERS/WILMS 2018).
In Mithaftung für die Politik
Das Gefühl, von den Medien wahrgenommen zu werden, wird also offenbar unter anderem durch die Einstellung zu den politischen Verhältnissen bedingt. Andere Untersuchungen machen ein allgemeines Problem des Informationsjournalismus noch deutlicher: Das Vertrauen in die Nachrichten hängt mit dem Vertrauen in die Politik zusammen. Im schon erwähnten Digital News Report, für den 40 Länder auf allen Kontinenten untersucht wurden, wird klar, dass dieses Moment der Mithaftung in stark polarisierten Gesellschaften besonders ins Gewicht fällt:
»Divided societies seem to trust the media less, not necessarily because the journalism is worse but because people are generally dissatisfied with institutions in their countries and perhaps because news outlets carry more views that people disagree with« (NEWMAN 2020).
Überdurchschnittlich betroffen von diesem Effekt, so die Auswertung weiter, sind öffentlich-rechtliche Medien:
»Political polarisation linked to rising uncertainty seems to have undermined trust in public broadcasters in particular, which are losing support from political partisans from both the right and the left« (ebd.).
Redaktionen können auch andere Schwachpunkte, die ihnen zugerechnet werden, nicht in ihrem eigenen Gestaltungsraum beheben: Wenn die Akteure der Nachrichtenthemen eher männlich und westdeutsch sind, wenn die Politik sich mit bestimmten Themen nicht beschäftigt, so werden auch die Nachrichten daran nichts ändern können, zumindest nicht mit der herkömmlichen Berichterstattung.
In Anlehnung an das Diktum von Ernst-Wolfgang Böckenförde zum freiheitlichen Staat müssen wir festhalten: Der freie Informationsjournalismus lebt in vielerlei Hinsicht von Voraussetzungen, die er selbst nicht garantieren kann. Umso schlimmer, wenn Akteure aus anderen Bereichen ihn aktiv unterlaufen und beschädigen.
Nicht mehr gebraucht? – Die gefährlichen Umgehungsstrategien
Für alle denkbaren Interessengruppen muss die Versuchung groß sein, Nachrichten zu beeinflussen oder direkt selbst Nachrichten zu verbreiten. Historisch gesehen gab es für die Mächtigen da kaum ein Halten. Sie übten schlicht die Kontrolle über die Medien ihrer Zeit aus. So ist es auch heute noch in Diktaturen und autoritären Staaten. In den wenigen liberalen Demokratien ist direkte Zensur dagegen untersagt. Einfluss wird subtiler ausgeübt.
Hier muss der Blick also auf die Besitzverhältnisse privater Medien fallen oder auf die politische Einwirkung auf öffentlich-rechtliche und andere Anbieter, um Aussagen über deren Unabhängigkeit treffen zu können. In Deutschland hat das Bundesverfassungsgericht 2014 das Gebot der Staatsferne im öffentlich-rechtlichen Rundfunk in seinem schon angesprochenen Urteil zur Causa Brender bekräftigt (BVERFG 2014).
Medien mit Interessenhintergrund
Andere Punkte werden in Deutschland weniger heftig diskutiert, sind aber doch auch von Zeit zu Zeit Thema: Da ist die Beteiligungsgesellschaft ddvg. Über sie übt die SPD zumindest wirtschaftlichen Einfluss auf eine Reihe von Medien aus, ohne dass dies den meisten Nutzerinnen und Lesern bewusst sein dürfte. Der Bundestag gibt die Wochenzeitung Das Parlament heraus, die früher in der Verantwortung der Bundeszentrale für politische Bildung erschien. Die beiden großen christlichen Kirchen unterstützen neben diversen Medienangeboten auch die Katholische Nachrichtenagentur und den Evangelischen Pressedienst. Das ist potenziell heikel, doch arbeiten diese beiden Agenturen aus Sicht der meisten im Nachrichtengeschäft nach hohen journalistischen Standards. Es gibt im deutschen Medienbereich einige Konstruktionen, die der reinen Lehre widersprechen. Dessen muss man sich bewusst sein und da sollten wir aufmerksam bleiben.
Hin und wieder werden auch Gastbeiträge von Politikerinnen und Politikern in Tageszeitungen problematisiert. Zuletzt hat sich Marvin Oppong in einer Veröffentlichung für die Otto Brenner Stiftung kritisch dazu positioniert (OPPONG 2021). Dem schließe ich mich grundsätzlich an, gebe aber auch zu bedenken, dass Gastbeiträge der Vielfalt der Stimmen dienen können, wenn sie denn vielfältig angelegt sind. Ein größeres Problem habe ich mit den hin und wieder an Akteure aus der Politik oder aus anderen Interessensbereichen vergebenen Kolumnen. Hier verschwimmt die Abgrenzung zur redaktionellen Arbeit zu stark.
Ein anderes Einfallstor für externe Interessen ist die Bestechung von Journalistinnen und Journalisten. Auch in Deutschland sind Korruption und Erpressungsversuche leider ein Teil der Wirklichkeit. Zu diesem Ergebnis kommt unter anderem eine Studie von Transparency International (2016). Dabei hält Artikel 15 aus dem Pressekodex in wenigen Worten alles Notwendige fest:
»Recherche und Berichterstattung dürfen durch die Annahme von Geschenken, Einladungen oder Rabatten nicht beeinflusst, behindert oder gar verhindert werden.« (DEUTSCHER PRESSERAT 2019).
Wer diese Regel verletzt, für Geld oder Gefälligkeiten, fügt der Glaubwürdigkeit des Journalismus immensen Schaden zu.
Operation Airwaves
Auch wenn wir in Deutschland von einer Staats-, Partei- oder Kirchenpresse derzeit weit entfernt sind – Macht und Interessen versuchen auch in freien Gesellschaften auf vielen Wegen, den Medien ihre Sicht der Dinge nahezulegen oder gar aufzudrängen. Hannah Arendt kritisierte schon Anfang der 1970er-Jahre »Public Relations-Manager in der Regierung, die bei Reklame-Experten in die Lehre gegangen sind« (ARENDT 2021: 11). Dieser gefährliche Trend hat inzwischen neue Dimensionen angenommen. Die Politik stellt sich immer besser auf die Informationsmedien ein und unterläuft sie.
Die erste Erfahrung damit habe ich vor fast vier Jahrzehnten in den USA gemacht. 1984 war ich für einige Wochen Praktikant im US-Senat. Meine Hauptaufgabe bestand darin, die ›Operation Airwaves‹ zu unterstützen. So hieß das Programm, mit dem überall in den Vereinigten Staaten Statements von Senatoren angeboten wurden. Der Kassettenrekorder mit den Aufzeichnungen war mit der Telefonanlage auf meinem Washingtoner Schreibtisch verbunden. Daneben stand ein Kasten mit Lochkarten, mit denen ich mühelos einen Radiosender nach dem anderen angewählt habe. Ich musste dann nur noch fragen, ob Interesse an der Politiker-Aussage bestand. Falls ja, konnte ich die frohe Botschaft aus dem Senat per Tastendruck überspielen.
Es lässt sich in unseren Tagen von Smartphones, 5G und der politischen Werbung via Mikrotargeting kaum noch nachvollziehen, doch für mich waren diese technischen Möglichkeiten 1984 unerhört. Das galt erst recht für den regelmäßig erfolgreichen Versuch der Politik, eigene Beiträge in den elektronischen Medien unterzubringen, obwohl sie ohne Journalisten entstanden waren.
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