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Parallelen von Sportlern und Musikern
Auf den ersten Blick sind diese Berufsgruppen komplett ungleich. Auf den zweiten Blick haben sie aber wesentlich mehr Gemeinsamkeiten als Unterschiede aufzuweisen. Das beginnt mit ganz profanen Alltagssachen.
Erkältungen zum Beispiel.
Sportler und Musiker passen höllisch auf, sich keinen Infekt einzuholen, sich nicht mal ansatzweise zu erkälten. Kurz vor einem großen Wettkampf könnte das für den Sportler unter Umständen das Aus bedeuten oder den Verlust der Medaille … Er braucht auf den Punkt alle seine Kräfte und darf keineswegs schwächeln. Sonst wären die Gegner nämlich schneller, weiter oder höher und würden die Titel holen. Ähnlich ist es bei Musikern. Wenn ein Sänger heiser ist, zwingt ihn das zur Absage seines Konzerts. Er würde riskieren, nicht nur an dem Abend zu krächzen, sondern sich die Stimmbänder vollends zu ruinieren und eventuell nie wieder zu singen. Sein Kapital ist nun mal die Stimme!
Wenn jemand bei der Büroarbeit hustet und schnupft, ist das zwar extrem unangenehm – ich als Bläser wäre allerdings arbeitsunfähig, könnte nicht auftreten. Ich bin von meiner funktionierenden Atmung extrem abhängig. Mit einer guten Grippe könnte ich nicht neunzig Minuten durchblasen, würde also dann kein Geld verdienen können.
Ähnlich ist es bei Verletzungen.
Vieles geht noch halbwegs, wenn auch nur noch auf abenteuerlichste Art und Weise. Ich traf mal einen Keyboarder, der war echt hart im Nehmen. Er brach sich beim Ausladen der Technik die Hand und quetschte sich zusätzlich noch den Finger. Und spielte mit seiner Band noch die gesamte Gala, wenn auch mit pharmazeutischen Hilfsmitteln. Ich fühlte total mit ihm – denselben Schmerz kannte ich von meiner Weihnachtstour mit gebrochenem Finger. So was geht bei Sportlern nur ganz schwer – sie müssen ja durch die Dopingkontrollen kommen, mit Schmerzmitteln undenkbar.
Aber zurück zu den Gemeinsamkeiten. Der innere Schweinehund ruft regelmäßig: »Genug geübt, genug trainiert.« Schön wär’s ja, aber wenn erst einmal die Frage »Üben oder nicht?« aufkommt, hat man schon verloren. Ein Profi überlegt nicht, er tut es routiniert. Man ignoriert den gelegentlich laut bellenden Schweinehund immer wieder neu, bis man ihn gar nicht mehr wahrnimmt. Künstler- und Sportberufe sind tiefe Passionen. Eigentlich zwar bitterharte Arbeit, aber das bleibt meist unbemerkt – man liebt diesen Beruf auf Ewigkeit oder man gibt mittendrin auf. Das mag eventuell auch daran liegen, dass man in Sport- und Künstlerbranchen mehr Persönliches öffentlich von sich preisgibt, als in anderen Berufen. Mehr Einsatz des eigenen Körpers, mehr Kreativität und urpersönliche Gedanken, mehr Gefühl, das unter künstlerischem Aspekt nach außen getragen wird, mehr private Seele.
Die meisten (Profi-)Sportler, Tänzer, Artisten und Musiker vereint diesbezüglich ein wesentlicher Vorteil – sie lernten von Kindheit an damit zu leben, auch mit eiserner Disziplin, Ehrgeiz und Biss. So manche »Sternchen« diverser Castingshows stolpern da von null auf tausend rein und dann … Hoppla!
Aber das steht wieder auf einem ganz anderen (Noten-)Blatt.

»Miss Black«
Der Grund der Namensgebung war eigentlich purer Zufall, oder besser ein Ärgernis der besonderen Art. Wie immer im Dezember stand ich während der Weihnachtstour unter einem extremen Zeitdruck. Erschwerend wirkten sich bei der Planung meine mangelnden geografischen Kenntnisse aus.
Oft genug jagte ich meine Techniker nachts stundenlang über die Autobahnen, um am nächsten Tag pünktlich am neuen Ort zu sein. Kleines Beispiel: 1. Tag Lanaken in Belgien, 2. Tag Hannover, 3. Tag Flensburg, 4. Tag Dresden und so weiter.
Das ging mit Fahrerwechsel immer ganz gut. Eines Tages wollte ich uns von Binz nach Linz schicken. Das klang für mich so ähnlich – also auch nicht weit entfernt. Ab diesem Tag streikten sie. Gut, ich wollte die Jungs behalten und wir führten gelegentliche Flüge ein.
Und nun wurde es kompliziert.
Es ging um die Strecke Berlin-Wien.
Beim Buchen der Tickets informierte ich mich gründlichst über die Gepäckverordnungen, das war wichtig wegen des technischen Equipments. Dabei stellte sich auch heraus, dass das Handgepäck bei dieser Airline die Breite von 55 Zentimetern nicht überschreiten darf. Ich maß meinen Saxophonkoffer, der war 69 Zentimeter breit. Man teilte mir mit, dass dieser dann in den Gepäckraum muss. Logischerweise kam der Platz für mein Sax nicht in Frage. Niemals reist mein Saxophon im Bauch des Flugzeuges.
Ich sah es schon lebhaft vor mir: Mein Saxophon, geworfen wie ein Klamottenkoffer, stürzend auf Ecken und Kanten, lieblos geschleudert aufs Transportband.
Bei diesem Gedanken hatte ich Flugzeuge in meinem Bauch (oder besser Tarnkappenbomber)!
Einige Kollegen meinten: »Wir fliegen regelmäßig mit Saxophon- und Gitarrenkoffern. Das hat trotz Übermaßen immer als Handgepäck geklappt. Die messen nie nach.«
Aber das Risiko war mir zu hoch. Was, wenn die Kontrollen beim Rückflug anders sind und ich das Sax nicht als Handgepäck zurücknehmen könnte? Gepäckraum und Handgepäckvariante fielen aus. Gut, dann bekam es eben einen Sitzplatz mit eigenem Ticket. Ein eigenes Ticket erforderte aber einen eigenen Namen. Einfach nur »Das Saxophon« ging nicht, meinte die Dame an der Hotline.
Ich fühlte mich bei der Namenssuche fast wie eine werdende Mama. Aber werdende Eltern haben es etwas einfacher, zumindest das Geschlecht ist da schon vorbestimmt.
Welches Geschlecht sollte mein Saxophon überhaupt haben?
Er? Sie oder Es?
Nehmen wir mal die Parallele zur Tierwelt und wenn, dann schon zu den musikalischsten Tieren, den Singvögeln. Der Star, die Nachtigall, das Rotkehlchen. Mmmhhh.
Die Suche nach einem passenden Namen gestaltete sich als schwierig und der Ausflug in die Vogelwelt war wenig hilfreich.
Sächlich fiel schon mal raus. Mein Saxophon ist für mich kein persönlichkeitsloser Gegenstand, wie DAS Ding, DAS Teil oder das »Irgendetwas«. Solch eine Bezeichnung fand ich gemein.
Das Sax war für mich ja schon eine lebendige Persönlichkeit.
Und männlich?
Okay – reden wir mal Klartext. Es hätten schon unangenehme Situationen entstehen können, wenn ausgerechnet ich als Dame meinem Blasinstrument einen männlichen Namen geben würde. Diverse Sprüche und Vorahnungen auf verbale Entgleisungen sind mir zu gut bekannt. Und überhaupt; kennen Sie ein männliches Blasinstrument außer Dudelsack?
Bei Streichinstrumenten beispielsweise ist das schon anders, die sind sozusagen geschlechtsübergreifend: DIE Violine, DAS Cello, DER Kontrabass. Ich entschied mich, mein Sax weiblich werden zu lassen. Intuitiver Feminismus? Mag sein. Obwohl, viel verbindet mich mit klassischen Feministinnen eigentlich nicht. Und ich bin keineswegs Alice Schwarzer auch nur annähernd ähnlich.
Anscheinend basierte die Wahl einfach auf der eisernen Entschlossenheit einer Frau, letzten Endes ihren Willen durchzusetzen. Also wurde mein Saxophon zur Miss. Und weil sie durch die Vernickelung schwarz ist, trägt sie seitdem den wunderbaren Namen »Miss Black«.
An so manchem Flughafen wurden wir schon aufgerufen:
»Kathrin Eipert, Peter Kolb and Miss Black please to Gate A!«
Übrigens, die von den Stewardessen gebrachten Leckereien bekommt statt Miss Black immer mein Techniker Peter.

Das Saxophon höchstpersönlich erzählt …
Es wird jetzt aber höchste Zeit, dass auch ich (als lebender Gegenstand) zu Wort komme. Ich – diese »Miss Black«!
Ja genau, Sie lesen richtig: Ich – das Saxophon selbst beginne nun zu erzählen und aus dem Nähkästchen zu plaudern! Schließlich bin ich ein verdammt wesentlicher Teil des Geschehens, Kathrins ständiger Begleiter und – seien wir ehrlich – als Instrument so faszinierend, dass ich die wirkliche Motivation und der eigentliche Grund dieses Buches bin.
Oft philosophiere ich selbst über mich – WAS macht meine Faszination eigentlich aus? Was unterscheidet mich dermaßen von anderen Instrumenten? Was lässt Leute sagen: »Saxophon? Ist ja Wahnsinn, das wollte ich schon immer einmal spielen!« oder warum höre ich so oft: »Das ist das coolste Instrument überhaupt.« Was ist der Grund für dieses: »Wow – Saxophon!«?
Mag sein, dass dem ganz profane Gedanken zugrunde liegen: Ich erinnere immer auf eine gewisse Art und Weise an Exotik oder Erotik, an Sommerlatinos am Strand und ebenso an knisterndes Kaminfeuer. Mich gibt es in allen musikalischen Stilen zu hören: legendär im Jazz, aber ebenso passend in der Klassik und natürlich in der Pop-und Rockmusik.
Oder liegt es einfach nur an meiner gelungenen Optik? Am gebogenen Schwung meines Körpers? Nein, das wäre zu einfach! Die Vielseitigkeit meines Klangvermögens, der Sound könnte den Leuten gefallen …!
Vielleicht ist die Mischung aus allem das Geheimnis.
Lassen Sie mich, bevor es privat und persönlich wird, etwas über meine gesamte Saxophonfamilie und zu unserer geschichtlichen Abstammung erzählen:
… über Geschichte
Mein »Papa« war ein wirklich guter Musiker und noch begabterer Instrumentenbauer, geboren am 6. November 1814 in Dinant in Belgien. Allerdings war sein Leben auch recht bewegt und begleitet von mehreren Katastrophen und Unfällen. Er wurde bereits als Kind von herabfallenden Ziegeln schwer getroffen, fiel in eine Schleuse und gewann den Kampf gegen den Erstickungstod. In der Werkstatt seines Vaters, der zuerst als Kunsttischler arbeitete und dann Instrumentenbauer wurde, zog er sich schwerste Blei-, Quecksilber- und Arsenikvergiftungen zu und litt an Pocken und Diphterie. Seine arme, stets in Angst um ihn lebende Mutter schenkte ihm den Beinamen Adolphe le petite Revenant. (Adolph, das kleine rückkehrende Gespenst.)
Er konnte, den ganzen Krankheiten geschuldet, wenig Zeit spielend mit seinen zehn Geschwistern verbringen. Trotzdem, oder vielleicht gerade deshalb, entwickelte er einen unbeugsamen Durchsetzungswillen und bewies schon als kleiner Stift seine ausgeprägte Leidenschaft zur Musik. Am Brüsseler Konservatorium studierte er dann Flöte, Klarinette, Harmonie und Gesang.
Er muss eine bemerkenswerte Kreativität besessen haben und beschäftigte sich mit allerhand Dingen. Mehr als dreißig Patente meldete er an, unter anderen auch für Konzertsaalakustik (er ließ später sogar eigene Konzertsäle bauen), Eisenbahnsignale und Lungenapparate!
Seine größte Leidenschaft galt allerdings stets dem Instrumentenbau. Papa erfand unzählige neue Instrumente – neben kessellosen Pauken auch die noch heute genutzten Ventilposaunen oder Ventiltrompeten.
UND: Er vermisste das »gewisse Etwas« zwischen den damaligen Blech- und Holzblasinstrumenten. Etwas, das die klangliche Lücke schließt zwischen dem weichen Holz und dem härteren Sound des Bleches. Genau das sollte sein wohl »größter Wurf« werden, der ihn unsterblich machte. Papa erfand mich – und da er Adolphe Sax hieß, verlieh er meiner Gattung seinen Namen. Das alles war im Jahr 1840. Zu diesem Zeitpunkt war er noch nicht mal dreißig Jahre alt.
Wegen des Rohr(holz)blattes im Mundstück und der damit verbundenen Schwingungen bei der Tonerzeugung zählen wir zu den Holzblasinstrumenten, obwohl unser gesamter Körper aus Messing (manchmal sogar aus Sterlingsilber) besteht.
1846 wurde meine Sax-Familie in Frankreich patentiert. Zu dieser Zeit erhielt ich in der Militärmusik bereits die mir gebührende Anerkennung. Allerdings, wie so oft im Leben, gab es auch einige herzlose Gegenspieler. Bei den Sinfonieorchestern wurde ich überhaupt nicht geliebt, aber ganz schlimm war – ich wurde komplett ignoriert und völlig abgelehnt. Vielleicht aus Neid, vielleicht aus Missgunst, vielleicht auch begründet aus rein wirtschaftlicher Motivation einiger konkurrierender Instrumentenbauer. Ich war eben nicht IHRE Erfindung, sondern die meines Papas, Herrn Sax!
Klassische Komponisten sahen über mich hinweg und komponierten einfach keine Musik speziell für mich. Die wirtschaftliche Lage in Frankreich verschlechterte sich, das Militär erlitt 1870 eine Niederlage und somit wurde auch der Absatz für meine Saxophon-Familie stark eingeschränkt.
Mein Papa und Erfinder musste 1877 Konkurs anmelden und verstarb 1894 völlig verarmt. Auch die Bemühungen von Gustav Bumcke (18761963), immerhin ein Schüler von Bruch und Humperdinck, führten nicht zum Durchbruch meiner Saxophonfamilie in Deutschland. Noch 1902 wurde ich von Ablehnung und Unverständnis umgeben. Auch in Frankreich waren weder Zuneigung noch Offenheit meine Begleiter; ja ich war sogar kurz vorm endgültigen Scheitern: Als Claude Debussy 1901 den Auftrag zu einer Komposition für Saxophon erhielt, äußerte er, mit diesem Instrument nicht vertraut zu sein: Die Rhapsodie für Orchester und Solo-Saxophon vollendete er nie. Die Chancen, dass mich heute niemand kennt, waren wirklich verdammt hoch!
Aber es sollte anders kommen und wir Saxophone entwickelten uns (wie unser Papa) zu kämpfenden Stehaufmännchen mit unbedingtem Willen zum Überleben. Leider erlebte unser Papa Adolph Sax den weltweiten Siegeszug der kompletten Saxophon-Familie nicht mehr. Meinen Vorfahren gelangen nämlich der Sprung nach Amerika und die dortige Anerkennung in der Unterhaltungsmusik. Unser weltweit folgender Siegeszug im Jazzbereich dürfte bekannt sein … wenn nicht, dann googeln Sie einfach – inzwischen bin ja nicht nur ICH in der Bauweise, Farbe und Sound fortgeschritten und weiterentwickelt worden, sondern auch die gesamte Technik der Welt!
… über Kollegen
Und die wunderbare Technik lässt mich auch zum schönsten Schmuckstück auf der Bühne werden! Angestrahlt im Scheinwerferlicht glänze ich akustisch und optisch in den schillerndsten Farben. Meine silbernen Klappen leuchten mal weiß, mal rot oder blau. Wenn ich von weichen Händen und Lippen gespielt werde, dann beneiden mich doch allerhand Kollegen.
Das Schlagzeug zum Beispiel.
Das arme Ding wird ja manchmal fast verprügelt! Mit Stöcken geschlagen und darauf eingetrommelt. Allein beim Zuschauen bekomme ich Angst bei der Vorstellung, jemals zum Schlagzeug verzaubert zu werden. Möchten SIE ein Schlagzeug sein? Ich sehe im Leben dieses Kollegen nur einen Vorteil: Das Schlagzeug bestimmt das Tempo! Das ist wirklich ein nicht zu unterschätzender Vorteil, aber es hat dafür auch unabdingbare Nachteile. Es wird zum Beispiel während einer Tour nie zum Essen mit in Restaurants genommen (wie auch … es besteht ja aus unzähligen Teilen) und muss stets einsam im Bandbus warten. Und ganz sicher wird es von seinem Besitzer gelegentlich beschimpft, nämlich immer dann, wenn er die ganzen Toms, Drums, Becken und Hi-Hats samt der Stative allein durch die Gegend schleppen muss. Das Schlagzeug darf nie mit in den Urlaub und wahrscheinlich ebenso wenig spontan mit zu einer privaten Geburtstagsparty für ein herzliches Ständchen als Überraschung für Freunde.
Kollegin Gitarre ist da schon besser dran!
Sie hat wohlgeformte Rundungen, oft in traumhaftem Design und die wirklich guten Spieler werden nach ihren Soli von den Fans mit Zwischenapplaus belohnt. Gitarren werden bestimmt auch geliebt. ABER: Fast jeder Besitzer einer Gitarre, der auch nur drei Akkorde kann, behauptet, er könne Gitarre spielen. Und davon gibt’s im wahren Leben eine Menge, eigentlich zu viele.
Oder Tuba zum Beispiel.
In Orchestern liefern sie die Wärme, die Bässe und den ganzen sonoren tiefen Ton-Bereich … wunderbar! Aber wer schwärmt schon von einer Tuba? Leider nur sehr wenige Leute, die Tuben werden einfach gnadenlos unterschätzt. Und regelmäßig unterschätzt zu werden ist doch Mist! Der Grund dafür? Vielleicht, weil die meisten Menschen den Tuben wirkliche Virtuosität aus Unwissenheit absprechen oder einfach (mit herkömmlicher, einfach gehaltener Blasmusik vom letzten Dorffest im Ohr) nicht zutrauen – aber weit gefehlt! Hören Sie sich mal ein Konzert für Tuba oder ein richtiges Tubensolo an – Sie werden staunen! Wenn das Arrangement der Tuba den Raum für diese Spielereien lässt, kann sie wahrlich atemberaubend sein – im wahrsten Sinne des Wortes. Aber sie ist ein Außenseiter, beinahe eine Randerscheinung im Orchester, zumindest muss sie in der Familie der Blechbläser immer am Rand sitzen. Und schwergewichtig ist sie noch dazu, unhandlich und wahrscheinlich stehen die Tuben zuhause immer im Weg – diese Riesendinger. In der modernen Alltagsmusik ertönen sie fast nie, da wurde sie einfach vergessen oder verbannt und durch Bassgitarren ersetzt.
Nun, so könnte ich jede Menge der Instrumentenkollegen durchgehen.
Das Traumleben eines Musikinstruments, komplett ohne irgendwelche Nachteile – das muss man lange suchen. Wie das perfekte Leben bei euch Menschen auch. Wer hat das schon? Auch andere »Künstlerpartner« lassen uns ihr Dasein auf den ersten Blick allzu leicht beneiden. Auf den zweiten Blick empfinden wir neben der enormen Achtung eher Mitgefühl mit ihrem Alltag.
Denken Sie an Ballettschuhe!
Wie ästhetisch und voller Eleganz lächeln Sie uns von der Bühne an, in ihren zarten creme-, weiß- oder roséfarbenen Tönen. Man bekommt den Eindruck, es sei gelebte Leichtigkeit, wenn sie ohne erkennbaren Bodenkontakt zu Violinenbegleitung durch die Aufführung schweben. Was wären die Tänzer ohne ihre Ballettschuhe! Diese Schuhe sind etwas ganz Besonderes. Auch, weil es bei ihnen keinen rechten und linken Partner gibt! Den Rechts-links-Unterschied gibt es nur bei normalen Schuhen! Aber glauben Sie mir, ich stand in meinem Koffer (in den Künstlergarderoben) sehr oft neben Ballettschuhen. Wenn die hübschen Dinger anfangen zu erzählen, raubt es selbst mir als Blasinstrument den Atem: von blutenden Füßen ihrer Tänzerinnen, von Schweiß im Training, Blasen und Bandagen. Und wenn die Schuhe zertanzt sind, dürfen sie vielleicht noch ausnahmsweise mit ins Training – und dann werden sie gegen neue ausgetauscht und landen im günstigsten Fall als Erinnerungsstück am berühmten Nagel in der Wand oder signiert bei einem Fan. Im schlimmsten Fall führt ihr letzter Weg in die Mülltonne.
… übers eigene Dasein
Aus all diesen Erfahrungen und Begegnungen heraus beschloss ich, mein Dasein als Saxophon zu genießen. Und ich werde ja auch wirklich geliebt (zumindest in den allermeisten Fällen)!
Ich muss während einer Tour niemals allein auch nur kurze Zeit im Abseits warten (meine Besitzerin hat dafür viel zu viel Angst um mich), darf mit in jedes Lokal, bekomme stets den besten Platz im Hotelzimmer und in den Garderoben und ja sogar im Flugzeug meinen eigenen Platz.
Die Stunden meiner Pflege sind die wunderbarsten Momente für mich – voller Streicheleinheiten! Diese Augenblicke nutzt meine Besitzerin nämlich immer zum Nachdenken und zum Abschalten. Bei schöner Musik in entspannter Atmosphäre, gelegentlich sogar in Begleitung eines guten Weins werde ich regelmäßig mit dem weichsten Lappen dieser Welt auf Hochglanz poliert und geölt. Richtig chic macht sie mich!
Besonders, wenn ich fotografiert werde, und mein wunderbarer Name »Miss Black« genannt wird. Klar, typisch Frau werden Sie jetzt denken! Eitel ohne Ende. Stimmt auch, ist aber nicht von Nachteil – solange es nicht NUR um Äußerlichkeiten geht.
Jede Frau (hoppla – Männer doch auch!) wird nun mal gern angesehen und bewundert und lässt ihr Leben gelegentlich zum Laufsteg werden. Oder glauben Sie ernsthaft, irgendeine normal tickende Frau fühlt sich in ihrer Ehre gekränkt, wenn MANN ihr hinterherpfeift? Und so kokettiere ich als Sax mit Saxappeal gern durch Zeitungen, manchmal auch durchs Fernsehen, erscheine mit Bildern auf Facebook und freue mich über jedes Kompliment wie ein kleines Kind über ein Kuscheltier!
In den Urlaub fahren wir (meine Besitzerin und ich) übrigens auch gemeinsam, damit wir in unserer Partnerschaft zwischen Wohlklang und Schnelligkeit nicht in zu große Entfernungen zum Idealfall geraten. Ganz wichtig für meine kleine Saxophon-Seele: Ich bekomme täglich Beachtung und Aufmerksamkeit. Das kann leider nicht jede Menschenseele von sich behaupten!
Allerdings müssen wir ehrlich sein, bei der Wahrheit bleiben und auch meine Schattenseiten des Lebens erzählen. Die kommen immer dann akzentuiert zum Vorschein, wenn ein großer außergewöhnlicher Auftritt bevorsteht oder wir ins Studio müssen oder ein neues Programm üben. Dann erlebe ich Stress pur, und zwar mit voller Wucht! Dann fühle ich mich wie ein menschlicher Marathonläufer. In solchen Augenblicken manifestiert sich meine Überzeugung, dass eine Teer-Maschine, die bei heißester Sonne auf der Autobahn den Straßenbelag erneuert, doch ein bedeutend angenehmeres Leben führt als ich.
Das ständige Spielen macht mich fertig in diesen Situationen!
Wenn meine Spielerin fordert … und mich die Lust verlässt, schimpft sie im höheren Dezibel-Bereich, als ich jemals klingen könnte. Dann mache ich ALLES falsch.
Meist fahren wir zu meinem persönlichen Doktor, der mich regelmäßig auf kleine Krankheiten überprüft – dem Instrumentenbauer Torsten Jäger. Das ist der Moment, wo auch er Mitgefühl für mich zeigt. Ich glaube, manchmal tut er nur so, als wäre ich erkrankt. Er klappert mit seinem Werkzeug, drückt ganz zart und unauffällig an mir herum, ohne wirklich etwas zu verändern. Dieses Prozedere handhabt er nur aus Sympathie und Loyalität zu meiner Spielerin – gelegentlich bin ich nämlich gar nicht selbst schuld! Meine Besitzerin ist einfach nur zu angespannt, wahrscheinlich steht sie unter enormem Druck und ist geplagt von Aufregung. Das macht sie in diesen Momenten fest und raubt ihr die sonst übliche Leichtigkeit im Umgang mit mir.
Aber manchmal ist die Situation, das so direkt zu sagen, mehr als unglücklich. Einmal meinte mein Instrumentenbauer zu mir:
»Oh Miss Black, wenn du gewusst hättest, zu wem du kommst und was dir da bevorsteht, du wärst freiwillig vom Ständer in der Glasvitrine gefallen! Oder du hättest dich unsichtbar gemacht!«
Ja sehen Sie – ich muss wirklich viel tun!
Man könnte es auch so formulieren: Das Gleichgewicht zwischen Anreiz und dem großen »aber« ist nicht immer leicht auszubalancieren. Aber brechen Sie, liebe Leser, jetzt meinetwegen nicht in Tränen aus. Denn im Grunde führe ich ein gutes Leben in einem wunderbaren Zuhause.
In meiner Freizeit liege ich in einem Koffer, umgeben von schwarzem weichen Samt und werde immer bewacht wie ein Hundewelpe oder etwas gleich Liebenswertes in der Art. Ich habe sehr wenige Kratzspuren vom Leben bekommen, sehe viel von der Welt, treffe viele Instrumentenkollegen und es hätte mich weiß Gott schlechter treffen können.
Abschließend würde ich mein Leben mit folgenden musikalischen Worten beschreiben:
Manchmal ad libitum (nach Belieben),
meistens amoroso (liebevoll)
und immer con passione (mit Leidenschaft) und espressivo (ausdrucksvoll)
Und sollte ich jemals nicht mehr spielen können, dann bekomme ich ganz sicher einen Ehrenplatz in einer Glasvitrine in meinem Musikzimmer, denn verkauft werden würde ich niemals. Das hat mir meine Besitzerin ganz fest versprochen. Falls sie mal wieder lautstark in unseren gemeinsamen Katastrophenphasen ihrer Freundin am Telefon mitteilt: »Ich stell das Ding (damit meint sie mich) auf eBay ein!«, werde ich sie (wie immer) mit den schönsten Tönen von diesem Gedanken abbringen.
Nach diesem Kapitel können Sie sich hoffentlich gut in mein Leben als Saxophon einfühlen. Ich fand es einfach angemessen, manche Dinge aus MEINER Sicht zu beschreiben, übergebe nun wieder das Wort und verschwinde für kurze Zeit in meinem Samtkoffer! Man sieht und hört sich und bis dahin …
… herzlichst, Ihre Miss Black!
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