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Читать книгу: «Münchhausen», страница 4

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So half mir das Stuttgarter Literaturblatt homöopathisch von den durchschlagenden Wirkungen der Lüge. Nachtwächter muß in seiner Jugend keinen Rhabarber eingenommen haben, oder keine Imagination besitzen, sonst wäre er an seinem Blatte längst verschieden. Ich aber werde mich wohl hüten, zum zweitenmale gegen das Gesetz der Wahrhaftigkeit zu sündigen, denn Nachtwächter hilft mir nicht wieder, das weiß ich. Er schreit über Undank; ich hätte an seinem Herde gesessen, er hätte mich aufgenommen, gastfrei, wie der Capitain Rolando den Gil Blas in seiner Spelunke aufnahm, und doch wäre ich so pflichtvergessen gewesen, nicht weiter für ihn lügen zu wollen, als ich mich auskuriert hätte.

Auf diese und ähnliche Anklagen führt nun freilich ein alter Vers die Verteidigung, welche also lautet:

 
»Die Wahrheit nur verknüpft, die Lüge hält nicht Stich;
Betrügest du die Welt, betrügt der Lügner dich.«
 

Eine Korrespondenz des Herausgebers mit seinem Buchbinder

I. Der Herausgeber an den Buchbinder

»Aber, lieber Herr Buchbinder, was für Streiche machen Sie in jüngster Zeit! Neulich schicke ich Ihnen: »Zur Philosophie der Geschichte. Von Karl Gutzkow.« Sie aber setzen hinten auf den Titel: »Zur Philosophie der Geschichte von Karl Gutzkow«, so, als ob dieses Buch eine innere Geschichte des Autors enthalte, ungeachtet er doch darin von den toten Kräften und den natürlichen Voraussetzungen in der Geschichte, vom abstrakten und konkreten Menschen, von Mann und Weib, von der Leidenschaft, vom Staat, von Krieg und Frieden, von Übergangszeiten, von Revolutionen, und endlich vom Gott in der Geschichte handelt; mithin das ganze Gebiet des historischen Nachdenkens in seinem Werke durchwandert. Heute aber bekomme ich von Ihnen das erste Buch meiner Münchhausenschen Denkwürdigkeiten zurück, und da sehe ich, daß Sie die zehn ersten Kapitel gänzlich verheftet, sie hinter die Kapitel Eilf bis Fünfzehn gebracht haben. Ich ersuche Sie unter Rückgabe des Buches eine Umheftung vorzunehmen.

Der ich übrigens mit Achtung u.s.w.«

II. Der Buchbinder an den Herausgeber

»Ew. Wohlgeboren haben mir schmerzliche Vorwürfe gemacht, die ich so nicht auf mir sitzen lassen kann. Ich bin lange genug im Geschäft, und weiß, was es damit auf sich hat. Heutzutage muß, wenn der Autor sich verpudelt hat, ein ordentlicher Buchbinder ein bißchen auf das Verständnis wirken, durch Winke auf den Rückentiteln, oder, wo sie sonst sich anbringen lassen.

Die Schriftsteller sind etwas konfuse geworden. Die jungen Leute lesen und lernen zu wenig, aber unsereins, dem sozusagen, die ganze Literatur unter das Beschneidemesser kommt, und der alle die Nachrichten »für den Buchbinder« durchstudieren muß, deshalb aber genötigt ist, noch rechts und links von den Nachrichten sich umzuschauen, o der gewinnt ganz andre Übersichten. Da muß man denn helfen, so gut man kann, und oft läßt sich der rechte Gesichtspunkt für ein Buch feststellen, bloß dadurch, daß man einen Punkt oder ein Komma wegläßt, oder zusetzt, wie denn gerade die Sachen sich verhalten.

Bei dem Buche von Karl Gutzkow tat es die Weglassung des Punktes hinter »Geschichte«. Ew. Wohlgeboren! Ich habe Spittler eingebunden und Schlözer, und Herders »Ideen zur Philosophie der Geschichte der Menschheit« sind mir wenigstens hundertmal unterm Falzbein gewesen, und jetzt binde ich Ranke viel ein — ich sage Ihnen, die Männer schrieben so schöne dicke Bücher, und so viele Noten und Zitate stehen in den Büchern, daß man sieht, wie die Verfasser sich‘s haben sauer werden lassen mit der Philosophie und der Geschichte — ich sage Ihnen, es ist rein unmöglich, daß man auf 305 Seiten, wie Karl Gutzkow getan, den Gott, und die Revolutionen und den Teufel und seine Großmutter in der Geschichte abhandeln kann. Aber das ist auch gar nicht seine Absicht gewesen, wie sich aus dem Vorworte ergibt, welches ich lesen mußte, weil ich einen Karton einzulegen hatte. Denn darin sagt der Autor, er habe keine anderen Quellen zur »Philosophie der Geschichte« benutzen können, als höchstens einige an die Wand gekritzelte Verwünschungen der Langenweile, oder einige in die Fensterscheiben geschnittne Wahlsprüche unbekannter Namensinschriften. Wenn er nun das Buch, was er vermutlich auch nur schrieb, um sich die Langeweile zu vertreiben, dennoch herausgab, so konnte das nur in der einzigen Absicht geschehen, Memoiren über seine schlechten und mangelhaftigen Studien zu liefern, und der Titel, wie ich ihn mit goldenen Lettern setzte, ist ganz richtig: »Zur Philosophie der Geschichte von Karl Gutzkow«.

Warum ich aber die letzten Kapitel Ihres Buches zu den ersten machte, das sollen Sie auch gleich vernehmen. Sie hatten die Münchhausenschen Geschichten wieder so schlicht angefangen, wie Ihre Manier ist: »In der deutschen Landschaft, worin ehemals das mächtige Fürstentum Hechelkram lag, erhebt sich eine Hochebene« u.s.w. hatten dann von dem Schlosse und seinen Bewohnern berichtet, und waren endlich nach und nach auf den Helden dieser Erzählungen gekommen.

Ew. Wohlgeboren, dieser Stylus mochte zu Cervantes Zeiten gut und ersprießlich sein, wo die Leser so sacht und gelind in eine Erzählung hineinkommen wollten, wie in eine Zaubergrotte, von der die Märlein singen, daß eine schöne Elfe davor sitzt, und den Ritter mit wunderleisen Klängen in die karfunkelleuchtenden Klüfte lockt. Sie stößt auch nicht in die Trompete, oder bläst die Baßposaune, oder macht Pizzicato, sondern sie hat eine kleine goldne Laute im Arm; aus deren Saiten quellen unschuldige, naive Töne, wie harmlose Kinder, die um den Ritter Blumenfesseln schlingen, und eh‘ er sich‘s versieht, ist er umsponnen und durch den Grotten-Eingang gezogen, und steht mitten in dem Reiche der Wunder, bevor er nur gemerkt hat, daß er aus der Welt da draußen hinweggegangen ist.

Aber heutzutage paßt die Magie eines solchen süßfesselnden Styls gar nicht mehr.

Ew. Wohlgeboren, heutzutage müssen Sie noch mehr tun, als die Baßposaune blasen, Sie müssen den Tam-Tam schlagen, und die Ratschen in Bewegung setzen, womit man in den Schlachtmusiken das Klein-Gewehrfeuer macht, oder falsche Quinten greifen, oder vor die Dissonanz die Konsonanz schieben, wenn Sie die Leute »packen« wollen, wie es genannt wird.

Ew. Wohlgeboren, die ordentliche Schreibart ist aus der Mode. Ein jeder Autor, der etwas vor sich bringen will, muß sich auf die unordentliche verlegen, dann entsteht die Spannung, die den Leser nicht zu Atem kommen läßt, und ihn par force bis zur letzten Seite jagt. Also nur alles wild durcheinander gestopft und geschoben, wie die Schollen beim Eisgange, Himmel und Erde weggeleugnet, Charaktere im Ofen gebacken, die nicht zu den Begebenheiten stimmen, und Begebenheiten ausgeheckt, die ohne Charaktere umherlaufen, wie Hunde, die den Herrn verloren haben! Mit einem Worte: Konfusion! Konfusion! — Ew. Wohlgeboren, glauben Sie mir, ohne Konfusion richten Sie heutzutage nichts mehr aus.

Ich habe, soweit ich vermochte, in diesem Stücke bei den Münchhausianis für Sie gesorgt, und ein bißchen Konfusion gestiftet, so viel es sich tun ließ, damit die benötigte Spannung entstehe. Sehen Sie, so wie jetzt das Heft gebunden ist, kann kein Mensch bisher erraten, woran er ist, wer der alte Baron ist, und das Fräulein und der Schulmeister, und wo sich die Sache zuträgt? Hat sich aber ein tüchtiger Leser erst durch einige Kapitel hindurchgewürgt, dann würgt er sich auch weiter, denn es geht den Leseleuten so, wie manchem Zuschauer in der Komödie. Er ärgert sich über das schlechte Stück, er gähnt, er möchte vor Ungeduld aus der Haut fahren, aber dennoch bleibt er sitzen, weil er einmal sein Entrée-Geld gegeben hat, und dafür auch seine drei Stunden absitzen will.

Also, Ew. Wohlgeboren, ich dächte, Sie ständen von dem Verlangen nach Umheftung ab. Der ich übrigens u.s.w.«

III. Der Herausgeber an den Buchbinder

»Lieber Herr Buchbinder, Sie haben mich überzeugt. Ach, ich lasse mir jetzt von jedermann raten in meinem Metier, selbst von Ihrem Jungen, wenn er mir etwa Vorschläge über das neue Buch machen kann. Es hat mir schon so mancher Junge Zurechtweisungen erteilt, und ich habe sie nicht befolgt und schwer darob büßen müssen.

Es soll also bei der Verheftung bleiben, und wenn Sie oder Ihr Junge in der Folge merken, daß ich wieder gegen die Spannung, oder die unordentliche Schreibart gesündigt habe, dann heften Sie nur nach Gutdünken die Kapitel durcheinander, und verbessern auf solche Weise das Buch. Ich glaube sogar, daß ich nicht der erste in solchem Verfahren bin; Herr Steffens hat gewiß bei seinen Novellen von Walseth und Leith und den vier Norwegern und Malcolm dem Buchbinder eine gleiche Vergünstigung eingeräumt.

Vor ein sieben, acht Jahren hätte mir noch keiner so etwas bieten dürfen, aber ich bin — —

— — müde geworden, hatte ich geschrieben, lieber Buchbinder, und recht im Vertrauen auseinandergesetzt, warum man in der Welt jetzt so müde werden kann.

Zwei Damen aber, denen ich den Brief vorlas, sagten, das dürfe durchaus nicht stehen bleiben; der müde und weinerliche Ton zieme sich platterdings nicht für mich.

Sie haben recht. Mag die Welt uns alles versagen, die Geschichte und die Natur kann sie uns nicht versperren. Ich will die Buben heulen und greinen lassen über das Elend, welches sie doch eben hauptsächlich machen helfen.

Nein, Herr Buchbinder, unsere Augen sollen wacker bleiben, und die Wunden sollen uns schön stehen.

Aber was halten Sie von dem Münchhausen, und was meinen Sie, das aus ihm werden wird?«

IV. Der Buchbinder an den Herausgeber

»Ew. Wohlgeboren, aus dem Münchhausen wird nichts; da Sie denn doch meine Meinung wissen wollen. Dieses tut indessen nichts. Ein Buch, aus dem nichts wird, mehr oder weniger in der Welt, verschlägt nichts. Und dann können wir den einzelnen Abschnitten doch noch in etwa nachhelfen. Für diesen ersten habe ich schon so ein Hausmittelchen in Gedanken. Der ich übrigens u.s.w.«

V. Der Herausgeber an den Buchbinder

»Welches Hausmittelchen, lieber Herr Buchbinder? Ich bin äußerst gespannt auf Ihre ferneren Mitteilungen. Mit Achtung u.s.w.«

VI. Der Buchbinder an den Herausgeber

»Ew. Wohlgeboren, Briefwechsel sind jetzt beliebt, wenn sie auch nur Nachrichten von Schnupfen- und Hustenanfällen der Korrespondenten enthalten. Lassen Sie unsern Briefwechsel im ersten Buche mit abdrucken; der hilft ihm auf.«

VII. Der Herausgeber an den Buchbinder

»Auch unsre letzten Zettel?«

VIII. Der Buchbinder an den Herausgeber

»Jawohl.«

IX. Der Herausgeber an den Buchbinder

»Wohl!«

X. Der Buchbinder an den Herausgeber

(Kuvert um die Briefe des Herausgebers.)

Erstes Kapitel

Von dem Schlosse Schnick-Schnack-Schnurr und seinen Bewohnern

In der deutschen Landschaft, in welcher ehemals das mächtige Fürstentum Hechelkram lag, erhebt sich eine Hochebne, von braunem Heidekraute überwachsen. Hin und wieder sticht aus dieser dunkeln Fläche ein spitziges Gestein hervor, mit weißstämmigen Birken oder dunkeln Tannen umsäumt. Nach Mitternacht rücken die Steinlager so nahe aneinander, daß sie für eine kleine Gebirgskette gelten können. Verschiedne Fußpfade laufen durch die Ebne, vereinigen sich aber in der Nähe der beiden höchsten Felsen zu einem breiteren Wege, der zwischen diesen Felsen sacht bergan führt. Nach einigen Windungen fällt derselbe in eine Straße, welche ehemals bepflastert gewesen sein mag, nun aber durch ausgerissene Steine und grundlose Geleise mehr das Ansehen eines gefährlichen Klippenweges erhalten hat. Nichtsdestoweniger ist diesem holprichten und halsbrechenden Wege bis auf die neusten Zeiten der Name der Schloßstraße verblieben. Denn man sieht oder sah, kurz nachdem man sie betreten, das Schloß, welches die Überschrift dieses Kapitels nennt, auf einem ziemlich kahlen Hügel liegen.

Je näher man demselben kommt, oder kam, denn am heutigen Tage ist davon nur noch ein Trümmerhaufen übrig, desto deutlicher springt, oder sprang die ungemeine Baufälligkeit des Schlosses in das Auge. Was zuvörderst die Pforte betrifft, oder betraf, so standen zwar deren beide steinerne Pfeiler noch, und auf dem rechten hatte sich sogar der statuarische Löwe als Wappenhalter zu behaupten gewußt, während sein Partner von dem linken Pfeiler hinab in das hohe Gras gesunken war, allein das eiserne Pfortengitter selbst war längst weggebrochen und zu andern Zwecken verwendet worden. Die Gefahr, welche hieraus für das Gebäude von räuberischen Überfällen zu besorgen stand, war aber nur bei trocknem Wetter vorhanden. Wenn es regnete, (und es pflegt oft in jener Gegend zu regnen;) so verwandelte sich bald der Burghof in einen undurchwatbaren Sumpf, auf welchem, wenn die Geschichte nicht Lügen berichtet, zuweilen selbst Schnepfen sich hatten vertreten lassen.

Völlig entsprechend diesem Zugange war das Äußere und Innere des Schloßgebäudes selbst. Die Wände hatten ihre Tünche, ja zum Teil ihren Bewurf verloren. Nach einer Seite hin war die Giebelwand bedeutend ausgewichen und durch einen Balken gestützt worden, der aber am unteren Ende auch schon zu morschen begann, und daher nur eine geringe Zuversicht gewährte. Ließ man sich nun durch diesen Anblick nicht abschrecken, in das Gebäude eintreten zu wollen, so bot die Türe immer noch ein großes Hindernis dar. Denn die Feder war in dem alten verrosteten Schlosse längst untätig geworden, und die Klinke gab nur wiederholtem und gewaltsamem Drücken nach, bei welchem sie aber nicht selten aus ihrer Mutter fuhr und dem Klinkenden in der Hand sitzen blieb. Die Bewohner pflegten sich daher auch mehr eines nach und nach sehr erweiterten Loches in der Wand zum Ein- und Ausgange zu bedienen, und dieses nur für die Nachtzeit durch vorgesetzte Tonnen und Kasten zu versperren.

Wenn man die Fenster die Augen eines Hauses nennen darf, so konnte man dieses sogenannte Schloß mit gutem Rechte zum Teil erblindet heißen. Denn nur vor wenigen und den notwendigsten Zimmern waren jene Augen noch ersichtlich, viele andere Gelasse waren für immer durch die zugemachten Läden in Dunkelheit versetzt worden, weil sich die Scheiben nach und nach aus den Rahmen verloren hatten.

Zwischen so morsch gewordenen vier Pfählen und in kahlen, vernutzten Zimmern hauste noch vor wenigen Jahren ein bejahrter Edelmann, den sie in der ganzen Gegend nur den alten Baron nannten, mit seiner gleichfalls verblühten nachgerade vierzigjährigen Tochter Emerentia. Er gehörte zu dem weitläuftigen Geschlechte derer von Schnuck, welches weit umher in diesen Landschaften seine Besitzungen hatte, und sich in folgende Linien, Zweige, Äste und Nebenäste spaltete, nämlich in die

Ältere, oder graumelierte Linie — Linie Schnuck-Muckelig; gestiftet von Paridam, Herrn auf und zu Schnuck-Muckelig. Älterer oder aschgraumelierter Zweig — Zweig Schnuck-Muckelig-Pumpel.

Jüngerer oder silbergraumelierter Zweig — Zweig Schnuck-Muckelig-Pimpel.

Jüngere oder violette Linie — Linie Schnuck-Puckelig, gestiftet von Geyser, Burgmannen auf und zu Schnuck-Puckelig. Älterer oder violetter Zweig mit Schüttgelb. Zweig Schnuck-Puckelig-Schimmelsumpf. Ast Schnuck-Puckelig-Schimmelsumpf-Mottenfraß.

Ast Schnuck-Puckelig-Schimmelsumpf, genannt aus der Rumpelkammer.

(NB. Stand nur auf vier Augen.)

Jüngerer oder violetter Zweig, genannt im Grützfelde. Zweig Schnuck-Puckelig-Erbsenscheucher. Ast Schnuck-Puckelig-Erbsenscheucher von Donnerton.

Ast Schnuck-Puckelig-Erbsenscheucher in der Boccage.

Davon der Nebenast: Schnuck-Puckelig-Erbsenscheucher in der Boccage zum Warzentrost. Von diesem Nebenaste war unser alter Baron entsprossen.

Die vielfältige Teilung des Geschlechts derer von Schnuck hatte eine bedeutende Teilung des Stamm-Erbes zur Folge gehabt, und namentlich in der jüngeren Linie, welche von jeher durch große Fruchtbarkeit ausgezeichnet war, die Güter in eines jeden Erbherrn Händen merklich gemindert. Man war daher zu der Erfindung überzugehen genötigt gewesen, daß denen von Schnuck alle Kirchenpfründen und alle Kriegsämter im Fürstentume von Rechts wegen gehören; eine Erfindung, die um so eher bei den Fürsten von Hechelkram Glauben fand, als die Schnucks, wie gesagt, über das ganze Land verbreitet waren, und Vetter Botho sagte, es sei so, Vetter Günther behauptete, es sei so am besten, Vetter Achaz einfließen ließ, die Schnucks und ihr Anhang bildeten die eherne Mauer um den Thron, Vetter Bartholomäus folgerte, weil es notwendig sei, daß die Schnucks existierten, so müßten sie auch die Mittel zu ihrer Existenz, d. h. Pfründen und Ämter haben, sechsunddreißig andre Schnucks aber noch sechsunddreißig andre Gründe für die Richtigkeit der Erfindung zum Vorschein brachten. Die Fürsten, welche nur von Schnucks umgeben waren, und von diesen nichts anderes hörten, als vorgedachte Reden, mußten wohl endlich an die Richtigkeit der Erfindung glauben. Bedeutend wirkte auch auf die Stärkung dieses Glaubens der Umstand ein, daß nach der Verfassung von Hechelkram der jedesmalige Fürst seine jedesmalige Geliebte aus dem Geschlechte derer von Schnuck zu beziehen hatte. Diese Damen waren aber, wie sich von selbst versteht, im agnatischen Interesse tätig.

Die Erfindung war daher bald festbegründet, und gelangte als Anhang in den Landes-Katechismus. Nun konnten die von Schnuck unbesorgt hinleben und ihren Samen mehren, wie Sand am Meere. Wenn sie das ihrige verzehrt hatten, so zehrten sie als Generale auf Regiments-Unkosten weiter, und die Söhne, außer einem, ließen sie Prälaten oder Geheime Räte im höchsten Collegio werden. Denn ich habe die Erfindung nicht ganz vollständig vorgetragen: Nach derselben war jeder Schnuck, wenn er den Zivildienst wählte, geborner Geheimer Rat im höchsten Collegio. — —

»Sie stocken... Sie seufzen... Herr Herausgeber?«

»Ach, meine Gnädige, ist es nicht ein Unglück für einen armen Erzähler, daß er immerfort die alten Geschichten wieder aufwärmen muß? Die Sachen, die ich da berichte, schienen schon vor fünfzig Jahren durch die Romanenschreiber jener Zeiten so verbraucht zu sein! Und ich muß den längstgekochten Kohl doch wieder zum Feuer rücken!«

»Sie erzählen ja von der Vergangenheit, Herr Herausgeber, und dahinein gehören allerdings solche alte Geschichten.«

»Ich danke Ihnen tausendmal für diese Erinnerung, meine Gnädige. Jawohl, ich erzähle von der Vergangenheit, von Dingen, die ab und tot sind, wie die weiland in der Schmiede gewesene Adelskette. Meine Phantasie riß mich nur hin, daß ich mir die Erfindung derer von Schnuck als der Gegenwart oder nächsten Zukunft angehörig vorstellen mußte. Nein, sie wird nicht wieder aufkommen, diese Erfindung; gegen sie spricht wirklich eine ungeheure Majorität, die Majorität aller rechtlichen Leute, die es sich haben sauer werden lassen in der Welt. Also nur ohne Stocken und Seufzen weiter in diesen Sagen der Vorzeit!«

Unser alter Baron hatte in seinen jungen Tagen von dem Herrn Vater nur das Schloß Schnick-Schnack-Schnurr ererbt, welches früherhin ein Pachthof gewesen, und erst späterhin zu seinem Ehrentitel gediehen war. Es warf jährlich etwa zweitausend Gulden ab, oder höchstens zweitausendfünfhundert. Der selige Vater hatte das Wohnhaus wohl in Fach und unter Dach erhalten, die Wappenlöwen standen recht majestätisch auf den beiden Pfeilern, zwischen denen sich eine eiserne Pforte befand, wie sie nur sein mußte, der Hof war damals auch noch gepflastert, und in den Zimmern hingen schöne bunte Familienbilder, standen rötlichlackierte Stühle und Kommoden mit goldnen Leisten. Hinter dem Schlosse aber hatte der Vater einen Garten in streng französischem Geschmack anlegen und Schäfer und Liebesgötter von Sandstein hineinsetzen lassen.

Zweitausend oder zweitausendfünfhundert Gulden jährlich sind zwar nur ein schmales Einkommen für einen Edelmann, allein unser alter Baron hätte sich damit in seiner ländlichen Abgeschiedenheit doch wohl aufrechtzuerhalten vermocht, wenn er nur nicht mit dem Gedanken aufgewachsen wäre, er sei geborner Geheimer Rat im höchsten Collegio. Aber seit seinem vierzehnten Jahre legte er sich mit dieser Vorstellung nieder, und stand mit derselben morgens wieder auf; sie gab ihm eine Sicherheit des Bewußtseins, welche nichts zu erschüttern vermochte. Gelernt hatte er, die Wahrheit zu sagen, wenig oder nichts, sein Herr Vater war dagegen, und der Meinung gewesen, viel wissen sei für einen Kavalier unanständig.

Er hatte eine freie, sorglose und gutmütige Sinnesart; es vergnügte ihn, andern mitzuteilen, und sein eignes Vergnügen liebte er nicht minder. Er gab gern Gastereien, ging gern mit einem Dutzend guter Freunde auf die Rehjagd, und hielt nach dieser Anstrengung ein, womöglich hohes Spielchen mit seinen Weidgenossen für die beste Erholung. Auch wenn er allein war, speiste er nicht gern unter sechs Schüsseln, wozu, wie sich von selbst versteht, alter Rheinwein vom besten gehörte. In Kleidern hielt er sich sauber, Diener unterhielt er nicht übermäßig viele, etwa fünf oder sechs für sich und seine Gemahlin, die aus der älteren, oder graumelierten Linie, aus der Linie Schnuck-Muckelig-Pumpel entsprossen war; nebst einer Kammerjungfer und einer Garderobiere für diese seine Gemahlin. Letztere hatte nun wieder ihr hauptsächliches Vergnügen an Brillanten, Perlen, Roben und Spitzen, und ihr Gemahl versagte ihr in Beziehung auf solche Gegenstände keinen ihrer Wünsche; denn, sagte er, wenn das Zeug auch viel kostet, so gehört es einmal zu unserm Stande, und was standesmäßig ist, kostet nie zuviel.

Ermüdete unsern alten Baron die häusliche Einförmigkeit, so machte er mit Gemahlin, Kammerjungfer, Garderobiere, mit den fünf oder sechs Dienern und diesem oder jenem Hausfreunde, welcher auch der Erholung bedürftig war, und ihn um Mitnahme ansprach, interessante Reisen in die benachbarten fremden Länder, von denen er dann neugestärkt zu seinen Gastereien, Jagden und Spielen zurückkehrte. Diese stillen Familienfreuden mundeten ihm nach solchen Ausflügen immer doppelt wohl.

Der Himmel hatte seine Ehe mit einer einzigen Tochter gesegnet, welche in der heiligen Taufe den Namen: Emerentia erhielt. Dieses Kind war von jeher ausnehmend schwärmerischer Art, es verdrehte schon als Säugling die Augen auf eine wunderbare Weise. Als die kleine Emerentia größer wurde, hörte sie ihre Mutter fast von nichts andrem erzählen, als von den Damen der Linien Schnuck-Muckelig und Schnuck-Puckelig, welche die Geliebten der Fürsten von Hechelkram gewesen waren. Die Mutter zeigte auch dem Kinde diese Damen unter den Familienbildnissen; lauter schöne Frauenzimmer mit hohen Frisuren, gelben, grünen oder roten Adriennen, großen Blumensträußen und entblößten Schultern! Da sie nun immerfort von den Geliebten hörte, und die Frauenzimmerbildnisse ihr gar zu wohl gefielen, so setzte sie sich in den Kopf, daß sie ebenfalls zu einem solchen Berufe ausersehen sei, ein Gedanke, der noch mehr befestigt wurde, als der Fürst Xaverius Nicodemus der Zweiundzwanzigste von Hechelkram das Schloß besuchte. Er nahm die damals dreizehnjährige Emerentia auf den Schoß, liebkoste ihr zärtlich, und fragte sie: »Willst du mein Bräutchen werden?« Sie bedachte sich nicht lange, sondern versetzte rasch: »Ja, wie alle die Damen, die da hangen.« Der Fürst hob die Kleine vom Schoße und sagte lächelnd zu ihrer Mutter: »Ah, la petite ingénue!«

Die Zeit verwischte zwar den Fürsten Xaverius Nicodemus den Zweiundzwanzigsten, da sie ihn nicht wiedersah, allgemach aus ihrem Herzen, dagegen setzte sich in ihr die Standesvorstellung, die Vorstellung an sich, daß sie bestimmt sei, mit einem Hechelkramischen Fürsten in zärtliche Verhältnisse zu treten, immer fester in ihr, wobei sie sich durchaus nichts Arges dachte, woran sie aber mit solcher Innigkeit hing, wie ihr Vater an seinen Geheimenrats-Gedanken. Weil nun das Herz nicht in das Leere seinen Drang versenden mag, sondern gern an liebevoll-gediegner Wirklichkeit ausruht, so hatte ihre schwärmende Phantasie nach einigem Umherschweifen im leeren Raume auch bald den sichtbaren Gegenstand gefunden, der ihr den künftigen Liebhaber unter den Fürsten von Hechelkram vorbilden mußte. In der Tat war dieser Gegenstand ganz geeignet, die Einbildungskraft eines fühlenden Mädchens zu entzünden. Von schöner, gedrungner, proportionierlicher Gestalt, sprach sich in allen seinen Gliedern männliche Kraft aus, aus seinem glänzenden, hellroten Gesichte mit breiten, festen Kinnbacken leuchtete der Entschluß, auch die härteste, vom Geschick ihm vorgelegte Nuß zu knacken, der Mund wollte zwar seines Berufes wegen für die Gesetze reiner Verhältnisse etwas zu groß erscheinen, aber ein schwarzer Schnurrbart von wunderbarer Fülle, welcher über den Lippen hing, machte diesen Übelstand wieder gut. Die großen, grellen, himmelblauen Augen blickten sanft und grade vor sich hin, und ließen auf eine Seele vermuten, in welcher die Milde bei der Stärke wohnte.

Bekleidet war dieser idealisch-schöne Nußknacker mit einer rotlackierten Uniform und weißem Unterzeuge; auf dem Haupte aber trug er einen imponierenden Federhut. Emerentia hatte ihn zu ihrem Namenstage geschenkt bekommen. Sobald sie seiner ansichtig wurde, erzitterte sie, erseufzte sie, errötete sie. Niemand verstand ihre Regung. Sie aber trug den Nußknacker auf ihr einsames Zimmer, stellte ihn auf den Kamin, blickte ihn lange glühend und weinend an, und rief endlich: »Ja, so muß der Mann aussehen, dem sich dieses volle Herz zu eigen ergeben soll!« Von der Zeit an war der Nußknacker ihr vorläufiger Geliebter. Sie hielt mit ihm die zärtlichsten Zwiegespräche, sie küßte seinen schwarzen Schnurrbart, sie hatte dem ganzen Verhältnisse eine so tiefe Beseelung gegeben, daß sie jederzeit des Abends, wenn sie sich zum Schlafengehen entkleiden wollte, schamhaft zuvor ihrem Freunde auf dem Kamin das Haupt mit einem Tuche verhüllte. Nußknacker ließ sich das alles gefallen, stand zuversichtlich auf seinen Füßen, und blickte mit den großen, blaugemalten Augen mildkräftig vor sich hin.

Emerentien hatte diese schöne Liebe rasch gereift. Von der Natur war sie, wenn auch nicht mit Reizen, doch mit blühenden Gesichtsfarben und runden Armen ausgestattet worden; es konnte ihr daher an Verehrern unter den benachbarten Landjunkern nicht fehlen. Aber sie schlug alle Bewerbungen von der Hand und sagte, sie folge ihrem Ideal und gehöre der Zukunft an. Unter dem Ideal verstand sie den auf dem Kamin und unter der Zukunft einen Hechelkramischen Fürsten.

Ihre Eltern ließen ihr ganz freie Hand. Sie sagten, in den Linien Schnuck-Muckelig und Schnuck-Puckelig seien alle Gefühle seit Jahrhunderten der heraldisch-richtigen Bahn gefolgt. Es lasse sich also nichts daran ändern und modeln, was ihre Tochter empfinde.

Um die Zeit der vielfältigsten und heißesten Bewerbungen machte ihr Vater mit den Seinigen eine der obengedachten Erholungsreisen zur Stärkung auf die Beschwerden der Jagd und des Spiels. Der Ausflug war diesmal in die Bäder von Nizza gerichtet. Die Familie reiste unter fremdem Namen, denn sechs feurige Landjunker hatten geschworen, dem Fräulein nachzueilen bis an das Ende der Welt, und sie wollte allein sein, allein mit ihrem Nußknacker, dem heiligen Meer und den ewigen Alpen gegenüber.

Die Familie hieß in Nizza die von Schnurrenburg-Mixpickelsche. Eines Tages gehen Schnurrenburg-Mixpickels am Strande spazieren; das Fräulein geht etwas voran, den Freund im Ridicüle. Plötzlich sehen die Eltern sie wanken; der Vater springt zu, und empfängt die Tochter in seinen Armen. Bleich ist ihr Antlitz, aber von Entzücken strahlen ihre Augen, sie liegt wie eine Selige am Busen des Vaters. Ihre Blicke dringen schüchtern in die Ferne, und kehren dann wie mit goldnen Schätzen der Wonne beladen, in sich zurück. Auch die Eltern erstaunen, als sie den Blicken der Tochter in die Ferne folgen. Denn von der andern Seite des Strandes schreitet ihnen eine Gestalt entgegen, Nußknacker im großen, weiße Unterkleider, rote Uniform, Federhut, grellblaue, und doch milde Augen, hellrotglänzendes Gesicht, wie lackiert, breiter Mund, verborgen von der wunderbaren Fülle des schwarzen Schnurrbarts, eine schöne gedrungne Gestalt, Kraft in allen Gliedern, kurz Nußknacker in jeder Miene, Form, Falte.

Besorgt tritt er hinzu und fragt, was der Dame fehle? Der Vater fragt ihn seinerseits: Mit wem er die Ehre habe...? »Ich bin«, versetzt der Fremde, indem er die Nasenflügel zitternd bewegt, und mit den Augen zwinkert, »Signor Rucciopuccio, von Geburt ein Sanese, in Kriegsdiensten Seiner Majestät, des Kaisers aller Birmanen, bei den Truppen auf europäische Art, Kommandeur der sechsten Elefantenkompanie.«

»Ei der tausend, da sind Sie wohl verteufelt weit her?« fragte der alte Baron. »Es geht noch«, erwiderte der Fremde, indem er sich in den Hüften zurechtrückte, daß die Gelenke knackten.

Der Alte fragte ihn über die Birmanen aus, die Mutter musterte die Stickerei an seinem Kragen, Emerentia flüsterte, in einem Abgrund von Glück verloren, nichts als: »O Rucciopuccio!...« So kamen sie in das Hotel der Familie, wo sich der Fremde nach kurzem Verweilen beurlaubte mit der Bitte, seine Besuche wiederholen zu dürfen, und nachdem er die Augen nochmals bedeutend-zwinkernd auf Emerentia geworfen hatte.

Laßt mich von ihr schweigen! Der Traum ist Wahrheit geworden, das Herz hat sich seinen Wunsch verkörpert, und in die Sichtbarkeit ausgeschaffen! Am andern Tage läßt sich der Kommandeur der sechsten birmanischen Elefantenkompanie wieder anmelden. Wo das Schicksal gesprochen hat, sind die Menschen über Worte hinweggehoben. Er tritt in die eine Türe, sie tritt in die andre; er zupft am Schnurrbart, sie zupft am Schnupftuch; heut wird er blaß, und sie wird rot, er breitet die Arme aus, sie breitet die Arme aus, er neigt sich zu ihr, sie neigt sich zu ihm, und: »Füreinander geschaffen!« ist der erste Laut, den ihre glühenden Lippen nach der Wonne des ersten Kusses finden. »Füreinander geschaffen!« wiederholt Rucciopuccio beteuernd, indem er abermals mit den Augen zwinkert und die Nasenflügel zitternd bewegt.

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30 августа 2016
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