Читать книгу: «Milon und der Löwe», страница 2

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Geheime Fracht

Tagelang war die «Augusta» unterwegs und segelte mit guten Winden um die Küsten des Peloponnes. Milon und Tyrios wurden mit einigen anderen Sklaven angelernt, an Masten und Tauen hochzuklettern, um die Segel bei wechselnden Winden anders zu legen oder einzuziehen. Dadurch bekamen sie auch Zutritt zum ständig bewachten Hinterdeck, wo die großen, rätselhaften Ballen, mit Tüchern und Stricken zusammengebunden, lagen. Niemand wollte wissen, was sie verhüllten. Verschiedene Vermutungen wurden geäußert. In einem war man sich einig, dass es kostbares Raubgut der Römer war, das sie aus Griechenland entführten. Waren es doch kaiserliche Soldaten, die sowohl am Tage wie in der Nacht Wache hielten.

Eines Abends, als Tyrios und Milon auf ihren Holzpritschen lagen im Innern des Schiffes, flüsterte Tyrios seinem Freund zu: «Die Nacht ist vom Mond erhellt, da ist’s mir nicht ums Schlafen. Wollen wir versuchen, auf das Hinterdeck zu schleichen, um zu erforschen, was sich in den Ballen für geheime Fracht befindet? Ich bin mehr als neugierig, was in diesen Tüchern und Fellen verhüllt mit uns übers Meer fährt.»

«Wir könnten durch die hintere Luke hinaufsteigen, die der Steuermann benutzt», schlug Milon vor. «Er sitzt aber auch zur Nachtzeit, wenn nicht alle Segel eingezogen sind, am Steuer. Er könnte uns bemerken beim Aussteigen.»

Tyrios erwiderte:

«Einer von uns müsste zuerst nur den Kopf zur Luke hinausschieben, um den Steuermann eine Weile zu beobachten. Er geht doch auch am Tage, bei Windstille, öfters hin und her und sitzt gern weiter vorn beim Wächter. Komm, Milon, wir wollen eine erste Erkundung unternehmen. Meine Haare sind dunkel. Ich strecke meinen Kopf ohne viel Gefahr, gesehen zu werden, zur Luke hinauf.»

Tyrios kroch von seiner Lagerstatt in den hinteren Schiffsraum, Milon ihm nach. Da es im Schiff alleweil irgendwo knackte und ächzte im Holzwerk, achtete niemand darauf, wenn die beiden gelegentlich im Vorwärtstasten an ein Brett oder an einen Pfosten stießen. Ein schwacher Schimmer verriet die Luke des Steuermanns. Tyrios stemmte sich aufwärts. Milon gewahrte, wie er sich plötzlich hinaufschwang. Nach einer kurzen Weile streckte Tyrios den Kopf durch die Öffnung hinab und flüsterte: «Komm nach! Der Steuermann ist weiter vorn beim Wächter!»

Als sich nun auch Milon hinaufschwang und in der kühlen, frischen Nachtluft auf Deck kauerte, überzeugte er sich ebenfalls, dass der Wächter und der Steuermann weiter vorn auf den Planken saßen und plauderten. So schien keine Gefahr zu bestehen, die geheimen Schätze anzuschleichen und zu erforschen. Die beiden drängten sich zwischen die mächtigen Ballen. Sie begannen, die Knoten der festverschnürten Stricke zu lösen, die grobes Gewebe und Lederhäute um die verborgenen Gegenstände zusammenhielten. Zwischendurch vergewisserte sich Tyrios, ob von Steuermann und Wächter keine Störung ihres Unternehmens zu befürchten sei. Milon hatte einen länglichen Ballen von mäßiger Größe erwählt, und den knüpften sie nun auf. Als von einem rundlichen Vorsprung die letzte Hülle sich löste, wäre ihnen beinahe ein leiser Aufschrei entfahren. Beim Glanz des Mondes erblickten sie das ernste, weiße Antlitz einer Marmorstatue, einer göttlichen Frau.

«Aphrodite», flüsterte Milon, «in schmutzige Tücher gehüllt, geraubt und entführt von den Römern!»

Die mondumschimmerte Schönheit des Antlitzes ergriff all seine Gefühle. Selbstvergessen umschlang er ehrfürchtig den kalten Stein. In seiner Erinnerung sah er Aphrodite, die Göttin der Schönheit, in einem kleinen Tempel Athens, von Säulen umgeben, Blumen zu ihren Füßen. Mitleid, Schmerz und Zorn stiegen in ihm auf, das Bild der Gottheit so frevelhaft erniedrigt zu sehen.

Indes hatte Tyrios bei einem andern Ballen die eine Hand unter die Hüllen schieben können und meldete:

«Auch hier, ein Kopf, ein Arm. Ich glaube, das Schiff ist voll geraubter Götter. Ich habe gehört, der römische Kaiser liebe es, in den Gärten seiner Villen und Paläste Götterfiguren aufzustellen.»

Stumm betrachteten die beiden eine Weile das marmorschimmernde Bildnis der Göttin, das Milon nun völlig von den Tüchern befreit hatte. Antlitz und Blick richtete die liegende Figur starr aufwärts zu den nächtlichen Gestirnen und dem hellen Mond.

«Aphrodite muss in Griechenland bleiben», sprach plötzlich Milon in das leise Rauschen der Wellen. «Was glaubst du, Tyrios, sind wir beide stark genug, sie unbemerkt über Bord ins Meer zu werfen, hier vor der Küste Griechenlands? Kein Römer soll ihre Gestalt mit höhnischem Blick entweihen!»

«Ich bin dabei!», flüsterte Tyrios, «doch wenn man uns entdeckt, wird es uns schlimm ergehen! Lass mich vorerst nach Wächter und Steuermann Ausschau halten!»

Behende wie eine Katze kroch Tyrios zwischen den verhüllten Figuren hindurch und kam bald mit dem Bescheid zurück:

«Die beiden liegen auf Schaffellen und reichen sich wechselweise den Weinkrug, lachen, grunzen und reden dummes Zeug. Sie sind vollauf beschäftigt. Wir können’s wagen.»

Das Standbild hatte nicht ganz die Größe eines natürlichen Menschen, und da die beiden Burschen sehr kräftig waren, gelang es ihnen ohne viel Mühe, es aufzurichten, wobei die untergeschobenen Tücher verhinderten, dass es auf dem Schiffsboden ein Geräusch gab. Einen Teil der schmutzigen Hüllen warf Tyrios vorab über Bord. Für ihn war das ein willkommener Streich. Für Milon jedoch schimmerte um das Götterbild etwas von erlebter Opferheiligkeit, und ihm war, als ob er für Griechenland und seine Götter eine gute und wichtige Tat verrichte: Aphrodite dem Meer und den Küsten des Peloponnes zu übergeben. Er entsann sich, wie Alkides ihm von der Göttin der Schönheit erzählt hatte, wie sie aus den Schaumfluten des Meeres aufgetaucht sei und Griechenlands Künstler zu schönen Werken inspiriert hätte.

«Aus griechischen Fluten stammst du, in griechische Fluten kehre zurück!», flüsterte Milon bei sich selbst.

Wie die Marmorgöttin nun leicht mit dem Schiffe schwankend in ihrer weißen Schönheit im Mondlichte stand, war er nahe daran, vor dem Bild in Anbetung niederzusinken; doch er fürchtete den Spott des Tyrios. Kräftig umschlossen jetzt die Jünglingsarme die Statue. Vorsichtig, halb schiebend, halb drehend, jedes Geräusch durch die Tücher dämpfend, brachten sie sie an den Schiffsrand heran. Sachte kippten sie die Figur über die Brüstung. Einen Augenblick lag sie in der Waage; dann stürzte sie abwärts in die nächtlichen Fluten. Beim Gleitsturz über den Schiffsrand schlug der Marmorsockel, auf dem die Göttin stand, aufs Holz. Ein lautes Poltern fuhr durch das Schiff zum Entsetzen der beiden Burschen. Wächter und Steuermann sprangen auf. Sie eilten zum Hinterdeck, von wo der Lärm gekommen war. Noch eben konnte Tyrios Milon niederreißen und mit ihm ins Dunkle zwischen die anderen Ballen kriechen. Das mitgezogene Tuch breitete er blitzschnell über sich und seinen Freund. Da standen auch schon Wächter und Steuermann ihnen so nah, dass sie ihre Füße hätten berühren können. Aufgeregt meinte der Wächter:

«Was mag dieser Lärm gewesen sein? Es dröhnte, als ob ein Mast bräche, und geht doch kein Wind.»

Der Steuermann antwortete:

«Kein Mensch hat diesen Lärm verursachen können. Ist wohl eine der Steinfiguren zur Seite gekippt? Aber dann müsste der Wellengang doch viel stärker sein und da liegen sie alle wie … – beim Orkus? Was ist hier? Ein leerer Platz! Lag da nicht heute Abend noch eine der Statuen? – Beim Orkus, hier spukt’s, die ist weg! Ich will ein Licht holen und die Sache näher untersuchen.»

Mit abergläubischem Schreck fiel der Wächter ein:

«Ich gehe mit dir ein Licht holen, hier hat sich was Unheimliches ereignet!»

Also eilten die beiden nach vorn, um dort unter Deck, wo stets zwei Ampeln brannten, Licht zu holen. Diesen Augenblick benutzten Tyrios und Milon, um in der Steuermannsluke zu verschwinden, wobei sie nicht vergaßen, den Rest der Tücher über Bord zu werfen, um alle Spuren ihrer Tat zu verwischen.

Als sie unten in Sicherheit lagen, schlugen ihre Herzen bis zum Hals. Tyrios war von unbändiger Freude über das gelungene verwegene Abenteuer erfüllt, sodass er vor Übermut seinem Freund noch einige Rippenstöße mit Faust und Ellenbogen versetzte. Milon war, als sich seine Aufregung langsam beruhigte, von tiefem Glück durchdrungen, die Göttin der Schönheit für Griechenland gerettet zu haben.

Droben auf dem Hinterdeck irrten noch eine Weile zwei Gestalten mit einem schwankenden Licht umher, leuchteten jeden Winkel aus und hielten wiederum am leeren Platze der entflohenen Göttin an. Scheu umherblickend meinte der Wächter:

«Sie ist weg und bleibt weg! Ich glaube, hier lag Aphrodite, die als besonders kostbar bezeichnet wurde. Mir ahnt nichts Gutes für unsere Überfahrt. Mit Korn und Öl, mit Wein und Hölzern bin ich oftmals übers Meer gefahren, doch nie mit Götterbildern. Mir bangt um unsere Ankunft in Italien.»

Der Steuermann fügte bei:

«Beim Orkus und dem Höllenhund Cerberus, das ist nicht mit natürlichen Dingen zugegangen. Wer weiß, ob uns nicht jede Nacht so einer aus den Tüchern auf und davon geht! Mir ist schon bange für morgen Abend. Lass uns wieder nach vorne gehen; das Steuer ist befestigt und bedarf keiner Wartung. Komm, lass die Ampel brennen. Ich fülle einen frischen Krug mit Wein.»

«Einverstanden», meinte der Wächter; «aber das versprich mir, dass von dieser Sache niemand etwas erfährt. Ich meine, eine Göttin mehr oder weniger, darauf kommt’s nicht an, und es wird wohl keiner merken, wenn’s bei dieser einen bleibt. Hilf mir, jene hölzerne Bank von da drüben hierher zu stellen auf den leer gewordenen Platz. So wird auch dem Schiffspatron die Flucht Aphrodites verborgen bleiben. Wenn man in Rom die Tücher abnimmt: wir wissen von nichts!»

Dabei blieb es. Wo Aphrodite geruht hatte, wurde eine roh gezimmerte Bank hingestellt. Abgetakelte Segeltücher fanden darauf Platz, die zuzeiten wieder gehisst wurden, wenn es lauere Winde gab, und niemand bemerkte die Flucht der Göttin.


Ankunft in Stabiae

Die «Augusta» fuhr mit gutem Winde übers Meer und blieb von Unwetter verschont. Als sie sich der großen Insel Sicilia näherte, um durch die Meerenge von Messina zu fahren, blickten die Seeleute immer wieder hinüber zu dem hohen Berg dieser Insel, auf dessen Gipfel, trotz wolkenlosem Himmel, eine mächtige Rauchsäule stand. Tyrios hörte zufällig, wie der Schiffspatron zu einem Aufseher äußerte:

«Das innere Feuer der Erde ist unruhig. Vulcanus schmiedet wacker in der Unterwelt.»

Als er kurz danach zu Milon trat, der ganz in den Anblick des mächtig rauchenden Berges versunken war, wiederholte er die gehörten Worte, die er nicht zu deuten wusste. Milon versetzte: «Ich kann nur sagen, was ich von Alkides weiß, dass Hephaistos, den die Römer Vulcanus nennen, der Schmied der Götter ist, der im Feuer der Erde wohnt. Dieser Berg muss ein Heiligtum des Hephaistos sein. Hier in der Nähe befinden sich die Inseln und Klippen, die der berühmte Odysseus auf seinen Irrfahrten durch die Meere besucht hat.»

Bald erschien zur Rechten der Küstenstreifen Italiens. Als die «Augusta» durch die Meerenge fuhr, war es Milon, als ob er jetzt durch das Tor zu einem neuen Leben einfahre. Athen lag in weiter Ferne. Ein Meer trennte ihn von seinem Heimatland. Das Tor ins Reich der Römer war es, das auf tiefblauem Wassergrund sich vor ihm öffnete.

Milon hatte Auftrag bekommen, verschlungene Segeltaue voneinander zu trennen und harte Knoten aufzuknüpfen. Er arbeitete auf Deck daran und konnte zwischendurch auf das azurne Meer hinter sich und vor sich blicken und auf die sonnenbeschienenen grün-braunen Küsten. Eine Weile später tauchte Tyrios wieder auf, der es verstand, sich neugierig immer wieder irgendwo anzuschleichen, wo man aus Gesprächen Neuigkeiten erfahren konnte. Da er zum Wasser- und Weinschenken bestimmt war, der mit dem Krug zu gewissen Zeiten der römischen Schiffsbesatzung einen Trunk anbieten musste, kam er überall herum und vernahm manches, was den Sklavenohren sonst verborgen blieb. Als er plötzlich mit wichtiger Miene bei Milon erschien, wusste dieser, dass sein Freund etwas Besonderes erfahren hatte.

«Milon», flüsterte er aufgeregt, «ich habe eben hinten beim Steuermann eine wichtige Neuigkeit vernommen. ‹Da wir auf der Fahrt so gute Winde haben›, sprach dieser zu dem Schiffspatron, ‹werden wir morgen schon an Land setzen.› Bevor wir gegen Rom weiterfahren, soll es in einem Hafen namens Stabiae eine Zwischenlandung geben. Der Besitzer der ‹Augusta› wohnt dort und wird unser Schiff und die mitgeführten Waren besichtigen. Er heißt Pomponianus und soll ein fürstlich reicher Herr sein. Er besitzt viele Schiffe und bewohnt eine Villa nahe am Meer. Er muss selbst mit dem Kaiser vertraut sein, da er kaiserliche Güter geladen hat.»

Milon wusste nicht, ob er sich an dieser Neuigkeit freuen sollte. Ihm war bange davor, dass bald ein ungewisses römisches Sklavenleben beginnen würde und dass er auch von Tyrios, seinem jetzt einzig Vertrauten, getrennt werden könnte. Er antwortete daher:

«Tyrios, du bist so geschickt im Umgang mit Vorgesetzten. Wenn es dir gelingen sollte, dass wir zusammenbleiben dürfen, würde ich die römischen Dienste viel besser ertragen.»

«Das werde ich versuchen, Milon. Ich kann mir nicht denken, dass wir zwei getrennt werden sollten», meinte Tyrios. «Wenn nur dieser Pomponianus nicht merkt, dass die Statue der Aphrodite fehlt. Er könnte schlechte Laune kriegen und uns Sklaven alle als Ruderer auf eine Kriegsgaleere verkaufen. Dann wäre unser Leben zunichte. – Milon, übermorgen sind wir vielleicht in Rom!»

Am anderen Morgen wurde das Leben und Treiben auf dem Schiff immer aufgeregter. Der Schiffspatron erteilte brüllend seine Befehle, wo etwas noch zu reinigen und in Ordnung zu bringen war. Geflickte und schmutzige Segelstücke wurden ausgewechselt; das Deck gescheuert. Danach mussten die Sklaven sich waschen und reine Tücher um ihre Lenden binden. Als das Schiff endlich vor Stabiae anlief, war alles in festlicher Reinlichkeit und bereit, Pomponianus zu empfangen.

Als der hohe Herr mit Gefolge von der Villa die Stufen seiner Gärten zum Schiff herabstieg, mussten ihm die aufgestellte Mannschaft und die Sklaven ihr dreifaches «Vivat Pomponianus» entgegenrufen. Auf dem Schiff händigte ihm der Patron drei Pergamentrollen aus; auf einer waren die Sklaven, auf der anderen die Handelsware und auf der dritten die geheime Fracht verzeichnet.

Nachdem der Herr die Sklaven gemustert und dem Patron ein Kompliment gemacht hatte, dass so viele junge Leute dabei wären, die in Rom besonders gute Preise hätten, begab er sich in den Schiffsbauch, um die Öl- und Weinfässer zu besichtigen. Zuletzt setzte er sich mit seinem Gefolge auf das Hinterdeck, wo die Statuen gelagert waren. Nun hatte der Schiffspatron Tyrios beauftragt, sich dort mit Krug, Bechern und süßem griechischen Wein bereitzuhalten und Pomponianus und seinem Gefolge gleich beim Betreten des Hinterdecks Wein anzubieten. Tyrios hatte Milon als Schankgehilfen mitgenommen. Während Letzterer den Krug halten und die Becher füllen musste, brachte Tyrios sie zu den Besuchern und verneigte sich beim Anbieten anmutig vor Pomponianus und den Seinen, wie er es in Athen gelernt hatte. Der Trunk schmeckte den Gästen vorzüglich, immer wieder musste Milon nachfüllen.

Plötzlich zeigte der hohe Herr auf die verhüllten Statuen und begehrte eine zu sehen. Nach dem Aufknüpfen der Stricke und dem Entfernen der Tücher kam eine Faungestalt zum Vorschein, oben Mensch, unten Ziegenbock, ein Bein zum Tanze erhoben. Seine Hände hielten eine Flöte vor den Mund. Pomponianus, vom Wein schon in gute Laune versetzt, brach in schallendes Gelächter aus und rief:

«Diesen Kerl lass ich dem römischen Kaiser nicht! Der bleibt in Stabiae und kommt in meinen Garten. Da kann er meinen Fischen im Teich zum Tanze blasen!»

Beflissen ließ der Schiffspatron die Figur wieder in die schützenden Tücher wickeln und sie zum Ausladen an den Rand des Schiffes tragen. Unter Verwendung von Stricken, Brettern und Stangen mussten starke Sklaven das Paket an Land schaffen und es zur Villa hinaufbefördern. Andere trugen ein Fass mit griechischem Wein nach. Dieses Schauspiel lenkte Pomponianus von einer Kontrolle der Liste der Statuen ab, und er bemerkte nichts von der verschwundenen Göttin Aphrodite.

Bevor Pomponianus von Bord ging, ließ er den Patron wissen, dass er in seine Dienerschaft gern noch ein oder zwei junge Sklaven aufgenommen hätte. Er bemerkte, dass die beiden Weinschenken ihm gefielen. Er nehme sie gleich mit. So kam es, dass im Gefolge des Zuges der Herrschaft, die Treppen aufwärts, auch Tyrios und Milon mit dabei waren. Ihre geringen Habseligkeiten trugen sie in einem Bündel auf dem Rücken. Auf einer Terrasse angekommen, wendete sich Pomponianus noch einmal zurück, um die Abfahrt des Schiffes zu verfolgen. Gehisste Segel, winkende Flagge, es stach in See, Richtung Rom. Tyrios flüsterte Milon zu:

«Schade, ich wäre lieber mitgefahren, hätt’ ich mich doch auf dem Schiff versteckt gehalten!»

Milon antwortete:

«Dieser Herr ist gutartig, die Gegend wundervoll. Dort hinten die Stadt am Fuß des Berges erinnert mich ein wenig an Athen. Ich bin mit meinem Los zufrieden. Vor Rom hegte ich ein unheimliches Gefühl, eine unerklärliche Furcht.»

In diesem Augenblick trat aus dem Gefolge ein dicker, kleiner Mann zu den beiden Neulingen und redete sie auf Griechisch an:

«Nun, meine Burschen, ich bin der Aufseher der Sklaven, auch in Griechenland geboren. Ihr nennt mich Fuscus. Von heute ab lernt ihr die römische Sprache. Arbeit werde ich euch anweisen. Seid ihr fleißig und brav, soll’s euch gut gehen. Seid ihr faul und widerborstig, so gibt es schmiegsame römische Peitschen.»

Bei diesen Worten rollte Fuscus seine Augen, dass die Athener kaum das Lachen verbergen konnten. Doch Tyrios lenkte sogleich ab:

«Verehrter Fuscus, wir werden uns alle Mühe geben, deine Zufriedenheit zu verdienen; aber sage mir, wie heißt dort drüben die große Stadt?»

«Was, ihr kennt Pompeji nicht, die Blüte der römischen Städte? Vor sechzehn Jahren ist ein Teil durch Erdbeben verwüstet worden, nun aber neu und schöner erstanden als zuvor.»

Fuscus schien durch den süßen griechischen Wein gesprächig geworden zu sein. Er fuhr fort:

«In den nächsten Tagen gehen wir einkaufen nach Pompeji; da könnt ihr als Träger mitkommen. Ihr werdet staunen, was es alles in Pompeji gibt, Kaufläden, Handwerker und Weinschenken. Zwanzigtausend Seelen bewohnen die Stadt!»

Mittlerweile begab sich Pomponianus mit den Faunträgern zum Fischteich, einem großen steinernen Becken, in dem prächtige Fische umherschwammen. Die Statue des Tänzers wurde aus ihren Tüchern befreit und am Uferrand auf eine Mauer gestellt. Sie spiegelte sich in der leicht bewegten Wasserfläche, sodass es schien, als ob sie sich bewegte. Wohlgefällig betrachtete ihr Besitzer den Tiermenschen, der grinsend, auf einem Fuß stehend, immerzu die Flöte blies. Milon meinte zu Tyrios:

«Wie gut, dass nicht Aphrodite hier den Römern preisgegeben ist und begafft wird. Der Faun passt besser zu ihnen; sie nehmen das Leben wohl auch wie ein leichtes Glücksspiel.»

Für sich dachte er weiter: «Aphrodite schläft verborgen in den ionischen Fluten vor dem Peloponnes; vielleicht wird sie von glänzenden Fischen umschwommen, die sie bewundern.»

Tyrios zog Milon am Arm und weckte ihn aus seinen Träumen:

«Komm, Fuscus winkt. Er rollt schon wieder die Augen. Er will uns Arbeit anweisen.»


Einkäufe in Pompeji

Über zwei Wochen waren im Hausdienst beim reichen Pomponianus vergangen, den die Neulinge als freundlichen älteren Herrn achteten. Sie hatten mit Fuscus und dem Gärtner zu seiner Zufriedenheit dem Faun beim Fischteich eine erhöhte Mauer gebaut, und es verging kein Tag, an dem Pomponianus nicht unter einem Schattenbaum in der Nähe ruhte. Der Dienst in Haus und Garten war angenehm, nur etwas eintönig nach dem Leben in Athen und der erlebnisreichen Meerfahrt. Oft schauten sie hinüber nach Pompeji und zu dem dahinter liegenden Hügelberg Vesuvius hin. Gar zu gerne hätten sie schon längst diese Stadt besucht; aber diese Gelegenheit mussten sie abwarten. Endlich kam der Tag, wo Fuscus ihnen unvermittelt verkündigte:

«Heute geht’s nach Pompeji. Die vier jüngsten Burschen rudern das Boot. Unser Herr kommt auch mit. Rüstet Körbe und Krüge. Es gibt mancherlei einzukaufen.»

Bei den Jüngsten waren natürlich auch Tyrios und Milon dabei. Unten am Flusse Sarnus bestiegen sie das Vierruderboot, das Pomponianus für solche Fahrten nach Pompeji benutzte. Es war mit bunten Farben bemalt, hatte am Bug eine vergoldete Schnitzerei und sah sehr stattlich aus.

Es ging gegen Ende des heißen Monats August. Aus dem Gespräch zwischen Fuscus und Pomponianus war zu entnehmen, dass der Herr die Fahrt deshalb für heute angeordnet hatte, weil ihm zu Ohren gekommen war, dass am Vortage in Pompeji einige Häuser Schaden genommen hätten durch ein leichtes Erdbeben, das man auch in Stabiae verspürte. Den Fluss Sarnus, der unweit Pompeji ins Meer führt, hatte man vor der Stadt zu einem Bootshafen erweitert, wo nach kurzer Überfahrt das Vierruderboot angebunden wurde. Nach dem Aussteigen gebot Pomponianus:

«Wenn du deine Einkäufe in der Stadt besorgt hast, Fuscus, kommst du mit den Burschen wieder hierher. Gönne dir aber in den Thermen ein Bad. Es mag mehrere Stunden dauern, bis ich vom Besuch meiner Freunde zurück bin.»

Der Herr wollte allein seiner Wege gehen, und so nahm Fuscus alle vier mit sich, die Einkäufe zu besorgen.

Vor dem Weggehen vom Flusshafen betrachtete Milon die Fischerboote und kleinen Warenschiffe. Am meisten aber erregten einzelne vergoldete Ruderschiffe sein Interesse, die reichen Bürgern von Pompeji gehörten.

Bald betraten sie die Innenstadt durch ein hohes Tor. Verglichen mit den Straßen Athens kamen Milon die pompejanischen mit ihrer großen Pflasterung eher schmal vor. Wenn ein Wagen herannahte, musste man auf den fast kniehohen Bürgersteig hinaufspringen, da der Fahrweg viel tiefer lag und der Wagen nicht ausweichen konnte. Nach den Straßen zu lagen offene Kaufläden, und überall waren Handwerker fleißig bei ihrer Arbeit. Hier wurde Leder genäht und zu Gürteln und Schuhen verarbeitet. In einer Metallwerkstätte sah man Kupfer hämmern, und in den Auslagen waren die schönsten Gürtelschnallen, Haarfibeln, aber auch Ringe und Ketten ausgestellt. Schenkwirte schöpften aus riesigen Steinkrügen roten und goldgelben Wein in Trinkschalen und boten dazu Brot mit gebratenen Hühnchen oder gebackenen Fischen an. Hier waren Öllampen in verschiedenen Größen zu kaufen, und ein Töpferweib saß nebenan in einem Heer von Vasen und Töpfen, die sie mit lauter Stimme anpries. Ein geschäftiger Verkäufer schwenkte bunte Tücher in der Luft herum und reichte sie bereitwillig neugierigen Damen, sie an sich selber auszuprobieren.

Bei einem Ziehbrunnen hatten sich mit Krügen und Eimern ärmere Frauen versammelt, in deren Häuser keine Wasserleitung fließendes Wasser herantrug. Milon hörte, wie sie erregt die Schäden des gestrigen Erdbebens besprachen. Eine wies dabei angstvoll auf eine Rauchwolke, die über dem Berg Vesuvius erschienen war. Eselskarren führten vom Lande Gemüse und Früchte herbei, die in der Markthalle auf grobe Tücher ausgebreitet und feilgehalten wurden. Bei einem Händler ließ Fuscus einen Krug mit Fischtunke füllen, bei einem andern kaufte er Mehl. Milon bekam in seinen Korb eine große Zahl von Eiern, die zwischen Weinblättern weich gelagert wurden. Tyrios trug zwei schwere Krüge mit Öl, die man bei einer Ölmühle hatte auffüllen lassen.

Als Fuscus mit seinen Burschen beim großen Platz des Forums ankam, durften sie einen Augenblick die Lasten ablegen und die Tempel und andere Gebäude betrachten. Tatsächlich, da und dort lagen als Zeugen des gestrigen Erdbebens herausgebrochene Steine umher. In einer Seitenmauer des Gebäudes der Stadtregierung klaffte ein Riss von oben bis unten. Milon war nicht erstaunt, bei den Tempeln griechische Säulen zu finden; hatte ihm doch Alkides berichtet, wie die Römer dies von den Griechen übernommen hätten.

Fuscus winkte, begab sich mit ihnen hinüber zur Markthalle an einen schattigen Platz und sprach:

«Legt hier alles auf den Boden. Ich begebe mich für eine gute Weile in ein Badehaus. Die zwei Neulinge dürfen sich die Stadt ansehen. Vesonius und Vargo, bleibt bei unseren Waren und ruht euch aus, bis ich zurück bin!»

So begaben sich Milon und Tyrios auf Entdeckungen und schlenderten durch die belebten Straßen. Sie bewunderten schön bemalte Häuserfassaden, wie sie sie von Athen nicht kannten. Aus dem hohen Portal einer Villa traten eben prächtig gekleidete Menschen heraus, die Damen in Gold- und Silberschmuck und buntfarbigen Tüchern. Übermütiges Lachen hallte von den Hauswänden wider. Die beiden Freunde traten in eine Mauernische zurück, von wo aus sie die schönen, glücklichen Menschen beobachten konnten, die vor das Portal strömten. Kinder mit Körbchen waren dabei, die einem eben heraustretenden Paar Blumen zuwarfen, sodass das Steinpflaster wie ein Blütenteppich aussah.

«Eine Hochzeit!», bemerkte Tyrios; «in solchem Glück und Reichtum möcht’ ich auch Bräutigam sein!»

Der Zug setzte sich Richtung Forum in Bewegung. Im Vorbeiziehen verbreiteten sich Wohlgerüche von Duftwässern, mit denen man die Gewänder besprengt hatte. Aus den wieder gefüllten Körben streuten die lieblichen Kinder unermüdlich nach allen Seiten Blüten. Eine Rose fiel vor Tyrios’ Füße. Rasch hob er sie auf und sog ihren Duft ein. Dann wendete er sich zu Milon:

«Arme Teufel sind wir! Welch ein Glück, reich zu sein!»

«Es gibt ärmere als wir», versetzte dieser. «Sieh, wie hinter dem Zuge Krüppel und elende Bettlergestalten nachhinken, um da und dort eine Bronzemünze vom Boden aufzuheben, die die Hochzeitsgäste übermütig in die Luft werfen.»

Eine Weile verfolgten ihre Blicke den schwindenden Festzug; dann setzten die beiden ihren Entdeckungsweg fort. Sie gelangten in eine Gasse, wo der Geruch frischen Brotes ihnen entgegenwehte; zugleich ließ sich ein merkwürdiges Knirschen vernehmen, das immer lauter wurde, je weiter sie gingen. Als sie um eine Hausecke bogen, bot sich ihnen ein seltsamer Anblick: Bei hohen Steinzylindern gewahrten sie Männer, die mit eingesteckten Stangen eine Art von Steinhauben drehten, wobei das laute Knirschen erzeugt wurde.

«Das sind Mühlen!», rief Milon. «Sieh unten das weiße Mehl!»

Da vier der Müllerburschen eben eine kurze Drehpause machten, indes ein fünfter oben frisches Korn einschüttete, fragte Tyrios:

«Wie lange dreht ihr diese Ungetüme?»

«Von Sonnenaufgang bis Sonnenuntergang. Die Pompejaner vertilgen Berge von Brot!»

Ganz nah hinter diesen Mühlen zog eben der Bäcker aus einem riesigen Steinofen dampfende Brote heraus, die seine Gehilfen in verschiedene Körbe warfen, je nach Größe.

«Ich kaufe ein kleines», sprach Tyrios.

Und wirklich, er klaubte eine Münze aus seinem Gürtel und handelte beim Bäcker rasch ein frisches Brot ein.

«Wo hat er wohl wieder das Geld her?», dachte Milon. «Bei ihm steckt immer wieder etwas im Gürtel.»

Bereitwillig teilte Tyrios mit seinem Freund das Gebäck und meinte:

«Herrlich ist frisches Pompejanerbrot, wenn man sich auch beim Abbeißen das Maul verbrennen kann!»

So kehrten sie, Brot kauend und genießend, zurück zum Forum, wo sie Fuscus erwarten sollten, bis er vom Besuch des Badehauses zurück wäre.

Auf einem Platze, den die beiden überquerten, blieb Milon vor einer Hauswand stehen. Auf dem Kalkverputz war mit roter Farbe eine Inschrift angemalt, die er entzifferte. Plötzlich begann er schallend zu lachen. Tyrios, der nicht lesen konnte, fragte:

«Was gibt es Lustiges? Schreiben die Pompejaner Witze an ihre Häuser?»

Milon erklärte:

«Du siehst hier zweierlei Inschriften. Die obere, groß und schön geschrieben, meldet, dass demnächst in der Arena der berühmte Gladiator Satrius Valens kämpfen wird, der bis jetzt als unbesiegbarer Liebling der Götter jeden Feind niederkämpfte. Darunter steht mit ungelenken Buchstaben eine zweite Inschrift als Kommentar dazu: ‹Es ist ein Wunder, o Mauer, dass du unter der Last dieses geschriebenen Unsinns nicht einstürzest!› – Sicher hat dies ein Feind von Satrius Valens daruntergeschrieben, um ihn beim Publikum lächerlich zu machen. – Diese zwei möchte ich kämpfen sehn in der Arena! Es sind Ringkämpfer.»

Inzwischen war das warme Brot verzehrt, und die beiden gelangten wieder zum Forum zurück, an dessen Säulenhallen sie entlangschlenderten. Auf schattigen Treppenstufen sah Milon einige vornehme Jünglinge sitzen; vor ihnen saß ein Magister, der sie offenbar unterrichtete. Zu Tyrios meinte er:

«Schleichen wir uns hinter die Säulen, dann können wir vernehmen, was sie lernen!»

«Mich interessiert das nicht. Ich gehe zurück zur Markthalle, zu den anderen. Fuscus kann bald vom Bade zurückkehren. Vale Milon!»

Als Tyrios wegging, dachte Milon: Pompeji hat ihm wohl mächtig imponiert, dass er mich plötzlich mit römischem Gruß verabschiedet.

Unauffällig schlich er in die Nähe der Treppenschule hinter eine der hohen Säulen. Eben vernahm er, wie der Magister vom Kampf der Römer gegen die Barbaren erzählte.

«Wir Römer sind dazu berufen, alle Völker der Erde unter unsere Macht zu zwingen. Ein Volk, das Rom gehorcht, ist wie ein Schiff, das vom wilden Meer in den Hafen zurückkehrt. Rom ist von den Göttern dazu bestimmt, die Erde zu beherrschen. Jeder Römer muss wissen, dass dies unser Stolz, unser täglicher Gedanke sein muss: das große, ewige Rom!»

Milon hatte genug gehört. Versonnen schritt er die Säulenhalle entlang in Richtung des Apollo-Tempels, von wo ihn griechische Säulen grüßten. Als er auf den Vorplatz kam, bemerkte er eine Gruppe von Händlern, die miteinander feilschten. Elende Bettlergestalten lungerten auf den Treppenstufen. Einige spielten mit Würfeln und kreischten gelegentlich auf. Weiber gingen herum und priesen Wein und Essbares aus Krügen und Körben zum Verkauf an. Hinter diesem Wirrwarr erhoben sich die schlanken Säulen, die Milon an die Akropolis denken ließen. Aber dort hatten sich nur stille, verhaltene Schritte dem Tempel genähert; niemand wäre es eingefallen, vor einem Tempel zu zechen, zu würfeln, zu handeln. Auf einmal ließ sich der Klang von Bronze vernehmen. Zwei dicke Priester erschienen auf der Tempeltreppe, den Beginn des Opfers zu melden. Nur wenige erhoben sich lässig aus der Menge und erstiegen die Stufen. Nicht Andacht, eine gewisse Neugier ließ Milon in den Vorraum des Tempels treten. Zu gern hätte er einen Blick in den inneren Raum der Celia geworfen, die Marmorgestalt des Apollo von Weitem zu schauen. Er hatte Glück. Die beiden hohen Tore zur Celia standen offen. Er begab sich etwas näher hinzu, als auch in Pompeji üblich war. Aus dem Halbdunkel schimmerte eine weiße Marmorfigur hervor. Es war eine wundervolle griechische Götterstatue, die die Römer sicher aus Griechenland hierher entführt hatten. Nun stand Apollo da drinnen, gefangen in der Dunkelheit, vergessen im geschäftigen Treiben der Stadt.

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9783772542497
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