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Helene

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XXX

Unterdessen war das Gewitter« das sich über dem Oriente zusammengezogen hatte, ausgebrochen. Die Türkei hatte Rußland den Krieg erklärt; die Frist, welche für den Rückzug der Truppen aus den Fürstenthümern bestimmt worden, war abgelaufen; schon war der Tag des sinopeschen Flottenbrandes nicht mehr fern. Die letzten Briefe, die Inßarow bekommen hatte, riefen ihn unverzüglich in die Heimath. Seine Gesundheit war noch immer nicht wieder hergestellt. er hustete. war schwach und hatte Anfälle fliegenden Fiebers; dennoch war er fast niemals zu Hause. Seine Seele stand in Feuer; er dachte nicht mehr an seine Krankheit. Beständig fuhr er in Moskau umher, besuchte insgeheim verschiedene Personen, war viele Nächte mit Schreiben beschäftigt und verschwand auf ganze Tage; seinen Wirth hatte er benachrichtigt, er werde die Wohnung bald verlassen und ihm sein anspruchsloses Mobiliar zum Geschenk machen. Helene ihrerseits machte gleichfalls Vorbereitungen zur Abreise. An einem unfreundlichen Abende saß sie in ihrem Stübchen, mit Säumen von Tüchern beschäftigt und lauschte mit unwillkürlicher Schwermuth dem Heulen des Windes. Ihr Kammermädchen trat herein und sagte ihm der Papa wäre in der Mama Schlafzimmer und ließe sie hinbescheiden . . . – Die Frau Mama weint, flüsterte sie Helene zu, – und der Herr Papa sind in Zorn . . .

Helene zuckte leicht mit den Achseln und trat in Anna Wassiljewna‘s Schlafzimmer. Die weichherzige Gattin Nikolai Artemjewitsch’s lag halb hingestreckt in einem Ruhesessel und roch an einem Tuche mit kölnischem Wasser; er selbst stand vor dem Kamin, den Rock bis zum Halse zugeknöpft, in hoher, steifer Halsbinde und gestärktem Kragen, durch seine Haltung etwas entfernt an irgend einen Parlamentsredner erinnernd. Mit einer oratorischen Bewegung der Hand wies er seiner Tochter einen Stuhl, und als diese, seine Bewegung nicht begreifend, ihn fragend ansah, sagte er mit Würde, doch ohne den Kopf zu wenden: – Ich bitte, nehmen Sie Platz. (Nikolai Artemjewitsch sagte zu seiner Frau immer Sie, zur Tochter . . . nur bei außergewöhnlichen Anlässen.) Helene setzte sich.

Anna Wassiljewna schneuzte sich unter Thränen. Nikolai Artemjewitsch steckte die Rechte in den Ausschnitt der Weste.

– Ich habe Sie rufen lassen, Helene Nikolajewna, begann er nach einigem Schweigen, – um mich mit Ihnen zu erklären, oder besser gesagt, um von Ihnen eine Erklärung zu fordern. Ich bin nicht mit Ihnen zufrieden, oder nein: das ist zu wenig gesagt; Ihr Betragen betrübt mich, beleidigt mich . . . mich und auch Ihre Mutter . . . Ihre Mutter, die Sie jetzt vor sich sehen.

Nikolai Artemjewitsch zog nur die Baßregister seiner Stimme auf. Helene sah ihn, dann ihre Mutter schweigend an und wurde bleich.

– Es gab eine Zeit. begann wieder Nikolai Artemjewitsch. – da Töchter sich nicht herausnehmen durften. auf ihre Eltern verächtlich herabzusehen. da elterliche Macht die Störrischen zittern machte. Jene Zeit ist leider vorbei; so wenigstens glauben Viele; ich versichere Sie aber, es bestehen noch Gesetze, die nicht erlauben . . . die nicht erlauben . . . mit einem Worte, es bestehen noch Gesetze. Ich bitte Sie, dieses festzuhalten: es bestehen Gesetze!

– Aber, lieber Vater . . . wandte Helene ein.

– Ich bitte, mich nicht zu unterbrechen. Wir wollen uns in Gedanken in die Vergangenheit zurückversetzen. Wir haben Beide, Anna Wassiljewna und ich, unsere Pflicht erfüllt. Wir haben Beide an Ihrer Erziehung nichts gespart, weder Geld noch Mühe. Welchen Nutzen haben Sie aus all’ diesen Mühen, diesen Ausgaben gezogen . . . das ist eine andere Frage; ich durfte jedoch mit Recht erwarten . . . wir Beide, Anna Wassiljewna und ich, durften mit Recht erwarten, Sie würden wenigstens jene moralischen Regeln wie ein Heiligthum bewahren, die wir . . . die wir Ihnen, als unserer einzigen Tochter . . . que nous vous avons inculqués, die wir Ihnen eingeflößt hatten. Wir hatten das Recht, zu erwarten, daß keinerlei neue »Ideen« dieses, so zu sagen unantastbare Heiligthum berühren werden. Und was sehen wir? Nicht von dem Ihrem Geschlechte und Ihrem Alter eigenen Leichtsinn will ich jetzt reden . . . wer aber hätte erwarten können, daß Sie sich soweit vergessen würden . . .

– Papa, sagte Helene, – ich weiß, was Sie sagen wollen . . .

– Nein, Du weißt nicht, was ich sagen will! schrie durch die Fistel Nikolai Artemjewitsch, der plötzlich aus seiner hochfahrenden parlamentarischen Haltung, der gemessenen Wichtigkeit seines Redeflusses und den Baßton seiner Stimme herausgefallen war; – Du weißt es nicht, freches Ding!

– Um Gottes willen, Nikolas, stammelte Anna Wassiljewna, – vous me faites mourir.

– Sagen Sie mir nicht, que je vous fais mourir, Anna Wassiljewna! Sie haben noch keine Vorstellung von dem, was Sie gleich hören werden! Bereiten Sie sich aus das Schlimmste vor, ich sage es Ihnen zum Voraus!

Anna Wassiljewna ward starr vor Schrecken.

– Nein, fuhr Nikolai Artemjewitsch, zu Helene gewendet, fort, – Du weißt nicht, was ich sagen will!

– Ich habe ein Unrecht gegen Sie begangen . . . sagte sie.

– Da, endlich haben wir’s!

– Ich habe ein Unrecht gegen Sie darin begangen, fuhr Helene fort, – daß ich Ihnen nicht schon längst bekannt habe . . .

– Und weißt Du wohl, unterbrach sie Nikolai Artemjewitsch, – daß ich Dich mit einem Worte vernichten kann?

Helene erhob ihre Augen auf ihn.

– Ja, meine Gnädige, mit einem Wortes Starren Sie mich nur an! (Er kreuzte die Arme über der Brust.) – Darf ich Sie wohl fragen. ob Ihnen ein gewisses Haus in der . . .schen Quergasse, unweit der Powarskaja bekannt ist? Sind Sie in jenem Hause gewesen? (Er stampfte mit dem Fuße.) – So antworte, Du Nichtswürdige, denke nicht List zu gebrauchen! Dienstboten, Dienstboten, Lakaien, mein Fräulein, de vils laquais haben Sie gesehen, wie Sie hineingegangen sind zu Ihrem . . .

Helene wurde feuerroth und ihre Augen glänzten.

– Ich habe keine List zu gebrauchen, sagte sie, – ja, ich bin in jenem Hause gewesen.

– Herrlich! Hören Sie, hören Sie, Anna Wassiljewna? Und Sie wissen vermuthlich, wer dort wohnt?

– Ja, ich weiß es: mein Mann . . .

– Dein . . .

– Mein Mann, wiederholte Helene. – Ich bin Dmitri Nikanorowitsch Inßarow‘s Gattin.

– Du? . . . bist verheirathet? . . . stammelte Anna Wassiljewna hervor.

– Ja, Mama . . . Verzeihen Sie mir. Vor zwei Wochen haben wir uns heimlich trauen lassen.

Anna Wassiljewna fiel in ihren Schlafstuhl zurück; Nikolai Artemjewitsch trat zwei Schritte zurück.

– Verheirathet! An diesen Lumpenkerl, diesen Montenegriner! Die Tochter eines Nikolai Stachow, eines alten Edelmannes, hat einen Herumstreicher, einen Plebejer geheirathet! Ohne elterlichen Segen! Und Du denkst, ich werde das dulden? ich werde nicht klagen? ich werde zulassen . . . daß Du . . . daß . . . Ins Kloster mit Dir, auf die Festung, ins Zuchthaus mit ihm! Anna Wassiljewna, haben Sie die Gefälligkeit, ihr auf der Stelle zu sagen, daß Sie sie enterben.

– Nikolai Artemjewitsch, um Gottes willen, stöhnte Anna Wassiljewna.

– Und wann, wie ist das geschehen? Wer hat Euch getraut? wo? wie? Mein Gott! Was werden jetzt unsere Bekannten, was wird die Welt sagen! Und Du, schamlose Heuchlerin, konntest nach einer solchen That unter dem elterlichen Dache bleiben! Du fürchtetest nicht . . . die Blitze des Himmels!

– Vater, sagte Helene (sie zitterte am ganzen Körper, doch war ihre Stimme fest), – es steht Ihnen frei, mit mir zu machen, was Ihnen beliebt, Sie thun mir aber Unrecht, wenn Sie mich der Schamlosigkeit und Heuchelei beschuldigen. " Ich habe Ihnen nicht . . . vor der Zeit Kummer bereiten wollen, doch hätte ich Ihnen in diesen Tagen nothgedrungen Alles sagen müssen, denn in der nächsten Woche reisen wir Beide, mein Mann und ich, von hier fort.

– Ihr reist fort? Wohin denn?

– In seine Heimath, nach Bulgarien.

– Zu den Türken! rief Anna Wassiljewna, und fiel in Ohnmacht.

Helene stürzte auf die Mutter zu.

– Fort! rief Nikolai Artemjewitsch, und faßte seine Tochter bei der Hand, – fort, Nichtswürdige!

Doch in diesem Augenblick ging die Thür des Schlafzimmers auf und es zeigte sich ein bleiches Gesicht mit leuchtenden Augen, es war Schubin.

–– Nikolai Artemjewitsch! rief er mit lauter Stimme, – Augustine Christianowna ist zurückgekehrt und läßt Sie rufen!

Nikolai Artemjewitsch wandte sich wüthend um und streckte drohend gegen Schubin die Faust aus, blieb dann einen Augenblick unschlüssig und verließ rasch das Gemach,

Helene fiel zu den Füßen ihrer Mutter nieder und umschlang deren Knie.

* * *

Uwar Iwanowitsch lag auf seinem Bett. Ein Hemd ohne Kragen, mit großem Knopfe, umfaßte seinen fleischigen Hals, bedeckte in weiten, nachlässigen Falten seine fast weiblich geformte Brust und ließ ein großes Kreuz von Cypresseholz und ein geweihtes Säckelchen durchblicken. Eine leichte Decke verhüllte seine stämmigen Glieder. Ein Licht brannte matt auf dem Nachttische neben einer Kanne mit Kwas; zu den Füßen Uwar Iwanowitsch’s, auf dessen Bett saß Schubin in Gedanken versunken.

– Ja, sagte dieser nachdenkend, – sie ist verheirathet und will davonreisen. Ihr lieber Neffe lärmte und schrie durch das ganze Haus; um es still abzumachen, hatte er sich im Schlafzimmer eingeschlossen, aber nicht blos Diener und Dienstmädchen . . . selbst die Kutscher haben Alles hören können. Auch jetzt noch ist er von rasender Tobsucht erfüllt, wäre fast über mich hergefallen und trägt sich herum mit seinem väterlichen Fluche, wie ein Bär mit seinem Klotze; doch ist das Alles nicht von Wichtigkeit. Anna Wassiljewna ist niedergeschmettert, und die Abreise der Tochter bekümmert sie bedeutend mehr, als die Heirath derselben.

Uwar Iwanowitsch machte Fingerbewegungen.

 

– Mutterherz, sagte er, – nun . . . und Anderes, noch?

– Ihr Neffe droht mit dem Metropoliten, fuhr Schubin fort, – mit dem Generalgouverneur, will beim Minister eine Klage einreichen, das Ende davon wird sein, daß sie doch davonfährt. Wer wird seine eigene Tochter ins Verderben stürzen! Bläht sich wie ein Hahn und läßt, doch bald die Flügel hängen!

– Sie haben kein Recht . . . bemerkte Uwar Iwanowitsch und that einen Schluck aus der Kanne.

– Wahr, wahr. Aber welch, einen Sturm von Klatschereien, Kritteleien, Gerede wird das in ganz Moskau geben! Sie hat keine Furcht davor gehabt . . . Sie setzt – sich über Dergleichen hinweg. Und fährt davon . . . und wohin? es schaudert Einen bei dem Gedanken! Ans Ende der Welt, in die Wildniß! Was harrt ihrer dort? Ich stelle sie mir vor, wie sie bei Nacht, im Schneegestöber bei dreißig Grad Kälte, aus irgend einer Fuhrmannsherberge abführt. Verläßt Heimath und Eltern, und doch begreife ich sie. Wen läßt sie hier zurück? Mit wem ist sie zusammengekommen? Mit Kurnatowsky’s, mit Berßenjew’s und Unsereinem, und das sind noch die Besseren. Um wen sollte sie trauern? Eines aber ist schlecht; es heißt, ihr Mann . . . hol’ es der Teufel, man möchte das Wort nicht über die Lippen bringen . . . es heißt, Inßarow speie Blut; das ist fatal. Ich habe ihn neulich gesehen; welch, ein Gesicht! er könnte zu einem Brutus sitzen . . . Sie wissen, wer Brutus war, Uwar Iwanowitsch?

– Was weiß ich? Ein Mann.

– Richtig; »ein ganzer Mann« war er. Ja, ein superbes Gesicht, aber nicht gesund, gar nicht gesund.

– Um sich herumzuschlagen . . . bleibt sich gleich, brachte Uwar Iwanowitsch vor.

– Um sich herumzuschlagen, freilich; Sie drücken sich heute sehr richtig aus; um aber zu leben, bleibt sich‘s nicht gleich. Sie möchte aber gewiß gern mit ihm das Leben genießen.

– Nun natürlich, die Jugend! erklärte Uwar Iwanowitsch.

– Ja wohl, Jugend, Ruhmdurst und Kraft, Leben, Tod, Kampf, Sturz, Sieg, Liebe, Freiheit, Heimath . . . Schön, schön. Wir wollen es Jedem wünschen! Das ist etwas Anderes, als bis zum Halse in einem Sumpfe stecken und sich den Anschein geben, es käme uns nicht darauf an, wenn uns in der That nichts darauf ankommt. Dort aber . . . sind die Saiten gespannt, laß sie schallen durch die ganze Welt oder zerreißen!

Schubin senkte den Kopf.

– Ja, fuhr er nach einer Pause fort, – Inßarow ist ihrer werth. Doch nein, Unsinn! Es ist Niemand ihrer werth. Inßarow . . . Inßarow . . . Wozu die falsche Bescheidenheit? Ich will gern glauben, daß er ein ganzer Kerl ist, daß er für sich einstehen wird, obschon er bis jetzt dasselbe, was Unsereiner geleistet hat . . . aber sind wir denn in der That ohne jedes Verdienst? Zum Beispiel ich, bin ich denn so ganz ohne Werth, Uwar Iwanowitsch? Wäre ich denn wirklich so ganz von der Vorsehung vernachlässigt worden? Hätte sie mir alle Fähigkeit, alles Talent versagt? Wer kann wissen, vielleicht wird Pawel Schubin’s Name mit der Zeit berühmt? Da liegt auf Ihrem Tische ein kupferner Groschen. Wer weiß, vielleicht irgend einmal, in hundert Jahren, wird dieses Kupfer zu einer Statue Pawel Schubin’s verschmolzen werden, die, ihm zu Ehren, eine dankbare Nachwelt errichtet?

Uwar Iwanowitsch stützte sich auf den Ellenbogen und blickte den erhitzten Künstler an.

– Das liegt noch weit im Felde, sagte er endlich, mit obligatem Fingerspiele; – es ist von Anderen die Rede, und Du . . . sprichst . . . von Dir.

– O großer Philosoph russischer Erde!t rief Schubin aus. – Jedes Ihrer Worte ist gediegenes Gold, und nicht mir . . . Ihnen muß eine Statue errichtet werden, und das übernehme ich. So wie Sie jetzt daliegen, in dieser Stellung . . . von welcher man nicht weiß, was in ihr verwaltet . . . ob Trägheit« oder Kraft? . . . ganz so will ich Sie gießen. Durch ihre gerechte Ermahnung haben Sie meiner Selbstsucht und meiner Eigenliebe einen Stoß versetzt! Ja! ja! wir wollen nicht von uns sprechen; wollen nicht großthun. Wir haben noch Niemand, wir haben keine Männer, wohin wir nur blicken.

Alles . . . entweder schofeliges, grämliches Pack, kleine Hamlets, Selbstverzehrer, oder dumpfe Nacht, unterirdisches Dunkel der Unwissenheit, oder Pflastertreter, Strohdrescher und Trommelschläger! Dann giebt es auch noch solche Leute, die sich selbst bis auf ihre geringsten Niederträchtigkeiten studirt haben, jeder ihrer Regungen den Puls fühlen und sich selbst den Bericht erstatten: das hier sind meine Gefühle, das hier sind meine Gedanken. Eine nützliche, kluge Beschäftigung! Nein, wenn es unter uns gescheidte Leute gäbe, wäre dies Mädchen nicht von uns gegangen, diese empfängliche Seele wäre nicht, wie ein Fisch im Wässer, entschlüpft. Nun, Uwar Iwanowitsch? Wann wird die Reihe an uns kommen? Wann werden bei uns die rechten Leute erscheinen?

– Gieb Zeit, erwiederte Uwar Iwanowitsch, – werden schon kommen.

– Werden schon kommen? O Mutterland!t O Schwarzerde! Du hast gesagt, sie werden schon kommen? Merken Sie sich’s, dies Wort schreibe ich auf. Warum löschen Sie aber das Licht aus?

– Ich will schlafen, gute Nacht.

XXXI

Schubin hatte nicht übertrieben. Die unerwartete Nachricht von Helene’s Heirath hätte Anna Wassiljewna beinahe umgebracht. Sie mußte das Bett hüten. Nikolai Artemjewitsch hatte von ihr verlangt, sie solle ihre Tochter nicht vor sich lassen; es schien ihm dieser Vorfall geeignet, sich als unumschränkten Herrn im Hause zu zeigen, seine Macht als Oberhaupt der Familie geltend zu machen; er schrie und donnerte beständig gegen die Dienstboten, und drohte jeden Augenblick: – »Ich will Euch zeigen, wer ich bin, ich will Euch lehren . . .wartet nur!« So lange er zu Hause war, sah Anna Wassiljewna Helene nicht und begnügte sich mit der Anwesenheit Zoë’s, die sich überaus dienstfertig bezeigte, dabei auch gelegentlich dachte: – Diesen Inßarow vorziehen . . . und wem?! Sobald jedoch Nikolai Artemjewitsch das Haus verließ (und das war ziemlich oft der Fall, da Augustine in der That zurückgekehrt war), kam Helene zu ihrer Mutter . . . und diese betrachtete ihre Tochter lange, mit Thränen in den Augen. Dieser schweigende Vorwurf drang tiefer in Helene’s Herz, als alles Andere; es war nicht Reue, was sie in solchen Augenblicken empfand, aber doch ein der Reue nahekommendes tiefes, grenzenloses Bedauern.

– Mütterchen, liebes Mütterchen! sagte sie, ihr die Hände küssend, – was sollte ich denn thun? Es ist ja nicht meine Schuld, ich liebte ihn, ich konnte nicht anders handeln. Beschuldigen Sie das Schicksal, es hat mir einen Mann zugeführt, der Papa nicht gefällt, und der mich Ihnen entführt.

– Acht unterbrach sie Anna Wassiljewna, – erinnere mich nicht daran. Wenn ich blos daran denke, wohin Du reisen willst, preßt es mir das Herz ab!

– Liebes Mütterchen, entgegnete Helene, – möge Ihnen das wenigstens ein Trost sein, daß es ärger hätte kommen, daß ich hätte sterben können.

– Auch ohnedies hoffe ich nicht mehr, Dich wiederzusehen. Entweder wirst Du dort irgendwo unter einem Zelte Dein Leben lassen (sie dachte sich Bulgarien ungefähr wie eine sibirische Moorstepper – oder ich werde die Trennung nicht ertragen . . .

– Reden Sie nicht so, gutes Mütterchen, wir werden uns noch sehen, mit Gottes Gnade. In Bulgarien giebt es ja Städte ganz wie hier.

– Was für Städte giebt es da! Jetzt ist dort Krieg; jetzt wird dort, denke ich, überall mit Kanonen geschossen . . . Du willst bald fahren?

–Bald . . . wenn nur Papa . . . Er will eine Klage einreichen, er droht uns mit Scheidung.

Anna richtete den Blick gen Himmel.

– Nein, Lenotschka, er wird nicht klagen. Ich selbst würde niemals meine Einwilligung zu dieser Heirath gegeben haben, ich wäre lieber gestorben; was geschehen, kann aber nicht geändert werden und meiner Tochter werde ich keine Schmach anthun lassen.

So vergingen einige Tage. Endlich faßte Anna Wassiljewna ein Herz und verschloß sich eines Abends in ihrem Schlafzimmer mit ihrem Manne allein. Alles im Hause war still geworden und horchte. Anfangs war nichts zu hören; dann ertönte Nikolai Artemjewitsch’s Stimme, hernach entspann sich ein Wertstreit, man vernahm Geschrei, wollte sogar Gestöhn vernommen haben . . . Schon wollte Schubin mit den Dienstmädchen und Zoë zu Hilfe eilen; der Lärm im Schlafzimmer wurde jedoch allmählich schwächer, ging in Gemurmel über und härte auf. Nur selten ließen sich schwache Anfälle von Schluchzen vernehmen . . . und auch diese hätten auf. Ein Geklirr von Schlüsseln ward vernommen, dann ein Geknarr des geöffneten Schreibpultes . . . Die Thür ging auf und Nikolai Artemjewitsch kam heraus. Er warf grimmige Blicke auf Jeden, der ihm in den Weg kam und fuhr in den Club. Anna Wassiljewna ließ Helene zu sich bescheiden, umarmte sie herzlich und sagte mit bitteren Thränen:

– Alles ist in Ordnung gebracht, er wird keinen Lärm machen und kein Hinderniß steht Dir im Wege, Du kannst reisen . . . uns verlassen.

– Sie werden erlauben, daß Dmitri hierher kommt, Ihnen zu danken? fragte Helene ihre Mutter, als diese sich etwas beruhigt hatte.

– Warte, mein Herz, ich kann den Bösen, der uns von einander trennt, noch nicht sehen. Vor der Abreise wird sich dazu noch Zeit finden.

– Vor der Abreise, wiederholte Helene betrübt.

Nikolai Artemjewitsch hatte eingewilligt, »keinen Lärm zu machen«; doch sagte Anna Wassiljewna ihrer Tochter nicht, welchen Preis er darauf gesetzt hatte. Sie sagte ihr nicht, daß sie ihm das Versprechen, alle seine Schulden zu bezahlen, gegeben und ihm sofort tausend Rubel eingehändigt hatte. Dann hatte er außerdem noch Anna Wassiljewna entschieden erklärt, er wünsche nicht mit Inßarow zusammenzutreffen und nannte ihn immer nur den Montenegriner; im Club jedoch hob er ganz ohne jeden Anlaß an, mit seinem Mitspielenden, einem Ingenieurgeneral außer Diensten, von der Heirath seiner Tochter zu sprechen. – Haben Sie gehört, warf er mit affectirter Nachlässigkeit hin, – meine Tochter hat vor lauter Gelehrsamkeit einen Studenten geheirathet. Der General sah ihn über die Brille an, brummte ein »Hm!« und fragte ihn dann, – was spielen Sie aus?

XXXII

Der Tag der Abreise rückte unterdessen heran. November war fast vorüber und ein längerer Verzug unmöglich. Inßarow hatte schon längst alle seine Vorbereitungen beendigt und brannte vor Begierde, Moskau sobald als möglich zu verlassen. Auch der Arzt drang in ihn: – Sie müssen in ein wärmeres Klima, sagte er zu ihm, – hier können Sie nicht gesund werden. Auch Helene quälte die Ungeduld; Inßarow’s Blässe und abgefallenes Aussehen machten ihr Sorge. Beim Anblicke seines veränderten Aeußeren beschlich sie oft eine unwillkürliche Furcht. Ihre Stellung im elterlichen Hause war unerträglich geworden. Die Mutter jammerte über sie, wie über eine Hingeschiedene und der Vater, behandelte sie mit verächtlicher Kälte; die bevorstehende Trennung verursachte auch ihm geheimen Kummer, er hielt es jedoch für Pflicht, als beleidigter Vater seine Gefühle, seine Schwäche geheim zu halten. Endlich äußerte Anna Wassiljewna den Wunsch, Inßarow zu sehen. Er ward in aller Stille durch die Hinterthür zu ihr eingelassen. Als er in ihr Zimmer getreten war, vermochte sie lange nicht das Wort an ihn zu richten, und konnte sich nicht einmal entschließen, ihn anzusehen; er setzte sich neben ihren Lehnstuhl und erwartete mit ruhiger Ehrfurcht ihr erstes Wort. Helene saß auch dort und hielt die Hand ihrer Mutter in der ihrigen. Endlich erhob Anna Wassiljewna die Augen und sagte: – Gott möge Ihnen vergeben, Dmitri Nikanorowitsch . . . und sie hielt inne; die Vorwürfe erstorben auf ihren Lippen. – Sie sind ja aber krank, rief sie, – Helene, er ist ja krank!

– Ich bin krank gewesen, Anna Wassiljewna, entgegnete Inßarow, – und bin auch jetzt noch nicht völlig – genesen; ich hoffe indessen, die heimathliche Luft wird meine Kräfte vollends wieder herstellen.

– Ja . . . Bulgarien! ließ Anna Wassiljewna hören und sie dachte dabei: – Mein Gott: ein Bulgare, halb todt, die Stimme wie aus einer hohlen Tonne, die Augen groß wie ein Teller, ein ganzes Skelett, der Rock als gehöre er nicht ihm, gelb wie eine Hundscamille . . . und sie, seine Frau, und sie liebt ihn . . . das muß doch ein Traum sein . . . Sie fand sich aber gleich zurecht. – Dmitri Nikanorowitsch sagte sie – Sie müssen durchaus . . . durchaus fortreisen?

– Ja, durchaus, Anna Wassiljewna.

Anna Wassiljewna blickte ihn an.

– Ach, Dmitri Nikanorowitsch, gebe Gott, daß Sie die Leiden nicht erdulden, die ich jetzt ertragen muß . . . Sie geben mir aber das Versprechen, sie zu beschützen, sie zu lieben . . . Noth werdet ihr nunmehr, so lange ich am Leben bin, nicht zu leiden haben!

Thränen erstickten ihre Stimme. Sie breitete die Arme aus, Helene und Inßarow fielen an ihre Brust.

 
* * *

Der verhängnißvolle Tag war endlich gekommen. Es war abgemacht worden, daß Helene von ihren Eltern zu Hause Abschied nehmen, sich aber dann aus Inßarow’s Wohnung auf den Weg machen sollte. Die Abreise war aus zwölf Uhr angesetzt. Eine Viertelstunde vor dieser Zeit stellte sich Berßenjew ein. Er vermuthete, er werde bei Inßarow dessen Landsleute, die demselben das Geleite zu geben wünschten, antreffen; sie waren aber alle schon vorher abgereist; ebenso auch die dem Leser bewußten geheimnißvollen zwei Unbekannten (sie waren bei Inßarow’s Hochzeit Zeugen gewesen). Der Schneider empfing mit einem Bücklinge den »lieben Herrn«; er hatte sich vor Betrübniß, vielleicht auch vor Freude, daß die Möbel ihm verblieben, stark angetrunken. Seine Frau führte ihn bald fort. Im Zimmer war bereits Alles zurecht gelegt: ein Mantelsack, mit Schnüren zusammengebunden, lag aus dem Fußboden. Berßenjew, versank in Gedanken: viele Erinnerungen tauchten in seiner Seele auf!

Zwölf Uhr war längst vorbei und der Fuhrmann bereits mit den Pferden da, die »Neuvermählten, zeigten sich noch nicht. Endlich wurden hastige Schritte auf der Treppe laut, und Helene, von Inßarow und Schubin gefolgt, trat herein. Ihre Augen waren von Thränen roth, sie hatte ihre Mutter ohnmächtig zurückgelassen; die Trennung war sehr schwer gewesen. Schon mehr als eine Woche hatte Helene Berßenjew nicht gesehen, er war in der letzten Zeit selten zu Stachow’s gekommen. Sie erwartete nicht, ihn anzutreffen. – Sie! rief sie, – ich danke Ihnen! sie warf sich ihm mit Ungestüm um den Hals; Inßarow umarmte ihn ebenfalls. Ein unbehagliches Schweigen trat ein. Was konnten diese drei Menschen einander sagen, was ging in diesen drei Herzen vor? Schubin erkannte die Nothwendigkeit, einen Ton, lebendige Worte in diese Stille zu bringen.

– Wieder sind wir drei versammelt, begann er, – und zum letzten Male! Wir wollen uns den Fügungen des Geschickes unterwerfen, uns im Guten des Vergangenen erinnern, und mit Gott . . . ein neues Leben beginnen! »Mit Gott hinaus ins Weite,« stimmte er an und hielt inne. Er fühlte sich plötzlich verwirrt und verlegen. Eine Sünde war es, dort zu singen, wo ein Todter sich befand, und in diesem Augenblicke, in diesem Zimmer, wurde jene Vergangenheit, von der er redete, die Vergangenheit derer, die dort versammelt waren, zu Grabe getragen. Sie wurde zu Grabe getragen, wenn auch um zu neuem Leben aufzuerstehen . . . abgestorben war sie aber doch.

– Nun« Helene, sagte Inßarow, zu seiner Frau gewandt, – jetzt, denke ich, ist Alles in Ordnung. Alles bezahlt, Alles eingepackt. Nur dieser Mantelsack muß hinuntergeschleppt werden! Heda! Wirth!

Der Wirth trat mit Frau und Tochter ins Zimmer. Er hörte, etwas taumelnd, Inßarow’s Befehl an, lud sich den Mantelsack auf die Schulter und lief rasch, mit den Stiefeln lärmend, die Treppe hinunter.

– Jetzt, nach russischem Brauch, müssen wir uns setzen.

Sie setzten sich: Berßenjew ließ sich auf dem kleinen Divan nieder; Helene nahm neben ihm Platz; die Wirthin mit ihrer Tochter hockten an der Schwelle nieder. Alle schwiegen, lächelten gezwungen und Niemand wußte warum. Jeden trieb’s, zum Abschied ein Wörtchen zu sagen, und Jeder (Wirthin und Tochter natürlich ausgenommen, die blos die Augen weit aufrissen) fühlte, daß in solchen Augenblicken nur etwas Plattes gesagt werden könne und daß jede gediegene, oder kluge, oder auch blos herzliche Rede nicht an ihrem Platze, fast eine Unwahrheit sei, Inßarow erhob sich zuerst und bekreuzigte sich . . . »Lebe wohl, du unser Stübchen!« rief er.

Küsse wurden ausgetheilt, schallende, doch kalte Abschiedsküsse, Glückwünsche auf die Reise, halb ausgesprochene Bitten, Versprechungen, einander zu schreiben, und die letzten, halb unterdrückten Abschiedsworte . . .

Helene bestieg mit weinenden Augen den Reiseschlitten; Inßarow bedeckte ihre Füße sorgsam mit einem Teppiche; Schubin, Berßenjew, der Wirth, dessen Frau und Tochter mit dem unausbleiblichen Tuche auf dem Kopfe, der Hausknecht, ein fremder Handwerker in gestreiftem Schlafrocke – sie standen Alle vor der Treppe, als plötzlich ein kostbarer Schlitten, mit einem raschen Traber bespannt, in den Hof fuhr und, den Schnee vom Kragen des Mantels schüttelnd, Nikolai Artemjewitsch heraussprang.

– Noch nicht fort, Gott sei Dankt rief er, und lief zu dem Reiseschlitten. – Da nimm, Helene, sagte er, sich unter das Schlittendeck vorbeugend und ein kleines Heiligenbild in Sammetfutteral aus der Rocktasche hervorlangend, – unseren elterlichen Segen noch zuletzt aus den Weg, – und er hängte ihr das Bild um den Hals. Sie brach in Thränen aus und bedeckte feine Hände mit Küssen; unterdessen holte der Kutscher aus dem Vordertheile des Schlittens eine halbe Flasche Champagner und drei Gläser hervor.

– Nun, sagte Nikolai Artemjewitsch und helle Tropfen rollten ans seinen Augen auf den Biber des Mantels, – zum Geleite . . . unsere Wünsche . . . Er goß den Champagner ein; seine Hände zitterten, der Schaum ergoß sich über den Rand und fiel aus den Schnee. Er nahm ein Glas, gab die beiden anderen Helene und Inßarow, der bereits neben ihr Platz genommen hatte. – Gott verleihe Euch . . . fing Nikolai Artemjewitsch an, und vermochte nichts weiter zu sagen . . . er stürzte sein Glas hinunter; die Anderen thaten es gleichfalls. – Jetzt solltet Ihr eigentlich, meine Herren, sagte er, zu Schubin und Berßenjew gewandt . . . doch schon trieb der Fuhrmann die Pferde an. Nikolai Artemjewitsch lief noch etwas neben dem Schlitten her. – Vergiß nicht, uns zu schreiben, sagte er mit gebrochener Stimme. Helene streckte den Kopf vor und sagte: – Leben Sie wohl, Väterchen, Andrei Petrowitsch, Pawel Jakowlewitsch, lebt Alle wohl, lebe wohl, Rußland! und sie fiel auf ihren Sitz zurück. Der Fuhrmann schwenkte die Peitsche und pfiff, die Schlittensohle knurrte, der Schlitten bog rechts zum Thore hinaus und verschwand in der Ferne.

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