Бесплатно

Helene

Текст
iOSAndroidWindows Phone
Куда отправить ссылку на приложение?
Не закрывайте это окно, пока не введёте код в мобильном устройстве
ПовторитьСсылка отправлена

По требованию правообладателя эта книга недоступна для скачивания в виде файла.

Однако вы можете читать её в наших мобильных приложениях (даже без подключения к сети интернет) и онлайн на сайте ЛитРес.

Отметить прочитанной
Шрифт:Меньше АаБольше Аа

XXXIV

Inßarow erwachte spät, mit dumpfem Schmerze im Kopfe und einem Gefühle von häßlicher Schwäche – so nannte er es – im ganzen Leibe. Er stand aber doch auf.

– Renditsch ist nicht gekommen? war seine erste Frage.

– Noch nicht, erwiederte Helene und reichte ihm die neueste Nummer des »Osservatore Triestino« hin, worin Vieles über den Krieg, die slavischen Länder und die Fürstenthümer enthalten war. Inßarow nahm das Blatt vor, während sie Kaffee für ihn zu bereiten begann. Es klopfte Jemand an die Thür.

– Renditsch! dachten Beide, doch der Klopfende fragte in russischer Sprache: – Ist’s erlaubt? Helene und Inßarow sahen einander befremdet an, und ohne ihre Antwort abzuwarten, trat ein elegant gekleideter Herr, mit kleinem, spitzem Gesichte und frechem Blicke herein. Er war ganz freudestrahlend, als wenn er eine große Summe gewonnen, oder eine angenehme Nachricht bekommen hätte.

Inßarow richtete sich etwas in feinem Stuhle empor.

– Sie erkennen mich nicht, redete ihn der Unbekannte an, indem er ungenirt zu ihm hintrat und Helene artig begrüßte. – Lupojarow, erinnern Sie sich, wir haben uns in Moskau bei E . . . s gesehen.

– Ja so, bei E. . . s, sagte Inßarow.

– Ja wohl, ja wohl! Ich bitte Sie, mich Ihrer Frau Gemahlin vorzustellen. Madame, ich habe immer die größte Achtung vor Dmitri Wassiljewitsch . . . (er verbesserte sich ): vor Nikanor Wassiljewitsch gehabt, und bin außerordentlich glücklich, daß ich endlich die Ehre habe, auch Ihre Bekanntschaft zu machen. Denken Sie doch, fuhr er zu Inßarow gewandt fort, – ich habe erst gestern Abend erfahren, daß Sie hier sind. Ich wohne auch in diesem Gasthofe. Was für eine Stadt, dieses Venedig . . . voller Poesie! Was aber schauderhaft ist: auf jedem Schritte die verdammten Austriaci! . . . daß sie der . . . diese Austriacis! Apropos, haben Sie davon gehört, an der Donau hat es eine entscheidende Schlacht gegeben: 300 türkische Offiziere sind geblieben, Silistria ist genommen, Serbien hat seine Unabhängigkeit proclamirt. Nicht wahr, als Patriot müssen Sie darüber entzückt sein? Ich selbst fühle in mir das slavische Blut kochen! Ich rathe Ihnen aber doch, vorsichtig zu sein: ich bin überzeugt, daß man ein Auge auf Sie hat. Es ist schrecklich, wie hier spionirt wird! Gestern trat ein verdächtiger Mensch an mich heran und fragte mich, ob ich Russe wäre. Ich sagte ihm, ich wäre Däne . . . Sie sind aber vermuthlich krank, mein lieber Nikanor Wassiljewitsch. Sie müssen sich behandeln lassen; Madame, Sie müssen Ihren Mann dazu anhalten. Gestern bin ich wie toll in den Palästen und Kirchen umhergerannt . . . Sie sind doch schon im Dogenpalast gewesen? Was für ein Reichthum überall! Besonders der große Saal und die Stelle des Marino Faliero; da steht es: decapitati pro criminibus. Ich bin auch in den berüchtigten Gefängnissen gewesen: das hat mir die Seele empört . . . ich habe von jeher, Sie werden sich vielleicht dessen erinnern . . . eine Vorliebe für sociale Fragen gehegt und mich gegen die Aristokratie erhoben . . . dorthin, in jene Gefängnisse möchte ich die Vertheidiger der Aristokratie führen; Byron hat recht gesagt: »I stood in Venice, on the bridge of sighhs«; er war übrigens auch Aristokrat. Ich bin immer ein Fortschrittsmann gewesen. Das junge Geschlecht ist ganz dem Fortschritt ergeben. Was sagen Sie aber zu den Anglo-Franken? Wir wollen doch sehen, ob sie viel ausrichten werden: Boustrapà und Palmerston. Sie wissen doch, Palmerston ist erster Minister geworden. Nein, Sie mögen sagen, was Sie wollen, mit der russischen Faust ist nicht zu scherzen. Ein ungeheurer Schelm dieser Boustrapà! Wenn Sie wollen, gebe ich Ihnen les Châtiments do Victor Hugo . . . ausgezeichnet! L’aveuir, le gendarme de Dieu . . . etwas kühn gesagt, aber welche Kraft, welche Kraft! Fürst Wäsemski10 hat auch gut gesagt: Europa spricht von Basch-Kadik-Lar, und behält Sinope im Auge. Ich liebe die Poesie. Ich habe auch Proudhon‘s letztes Werk, ich besitze Alles. Ich weiß nicht, wie Sie davon denken, ich bin aber zufrieden, daß Krieg ist; wenn man mich nur nicht zurückberuft, ich will jetzt eben nach Florenz, nach Rom; nach Frankreich geht es nicht . . . darum will ich nach Spanien . . . dort soll es reizende Frauen geben, aber Armuth und viel Ungeziefer. Ich würde auch nach Californien hin, uns Russen kommt es nicht darauf an, ich habe aber einem Redakteur das Versprechen gegeben, die, Handelsfrage in Betreff des mittelländischen Meeres gründlich zu studiren. Sie werden sagen, der Gegenstand sei nicht interessant, speciell, wir brauchen aber, wir brauchen Specialisten, wir haben genug philosophirt, jetzt ist die Praxis, die Praxis nöthig . . . Sie müssen aber sehr krank sein, Nikanor Wassiljewitsch, ich ermüde Sie vielleicht, thut nichts, ich bleibe noch ein Weilchen hier . . .

Und noch lange schwatzte Lupojarow in dieser Weise fort und versprach beim Fortgehen wiederzukommen.

Ermüdet von dem unerwarteten Besuche legte sich Inßarow auf das Ruhebett.

– Da habt Ihr, sagte er bitter, mit einem Blick auf Helene, – da habt Ihr Eure junge Generation! Es prahlt und brüstet sich Mancher, der im Herzen ein eben solcher Windbeutel ist, wie dieser Patron.

Helene erwiederte ihrem Manne nichts darauf: es verursachte ihr in diesem Augenblick die Schwäche Inßarow’s bedeutend mehr Unruhe, als der Zustand der ganzen jungen Generation Rußlands . . . Sie setzte sich neben ihn und nahm eine Arbeit vor. Er hatte die Augen geschlossen und lag regungslos, bleich und abgefallen da. Helene betrachtete sein scharf geschnittenes Profil, seine vorgestreckten Hände, und plötzliche Angst preßte ihr das Herz zusammen.

– Dmitri . . . redete sie ihn an.

Er fuhr auf. – Was giebt’s? Renditsch da?

– Nein, noch nicht . . . was meinst Du aber . . . Du hast Hitze, Du bist wirklich krank, sollten wir nicht nach einem Arzte schicken?

– Dieser Schwätzer hat Dich bange gemacht. Es ist nicht nöthig. Ich will etwas ausruhen und Alles wird vergehen. Nachmittag fahren wir wieder . . . irgendwohin.

Zwei Stunden vergingen . . . Inßarow lag immer noch auf dem Ruhebett, hatte aber nicht einschlafen können, obgleich er die Augen geschlossen hielt. Helene war nicht von seiner Seite gewichen; ihre Arbeit lag auf ihrem Schooße, sie rührte sich nicht.

– Warum schläfst Du denn nicht? fragte sie ihn endlich.

– Warte, wir wollen es so machen. Er nahm ihre Hand und legte sich dieselbe unter den Kopf. – So ist es . . . gut. Wecke mich gleich, sobald Renditsch kommt. Wenn er sagt, das Schiff sei bereit, fahren wir unverzüglich fort . . . Es muß Alles eingepackt werden.

– Das wird bald gemacht sein, entgegnete Helene.

– Was der Mensch da von einer Schlacht in Serbien geschwatzt hat, äußerte Inßarow eine Weile darauf, – ist wohl Alles seine Erfindung. Wir müssen, müssen aber durchaus fort. Da ist keine Zeit zu verlieren . . . Halte Dich bereit.

Er schlief ein und es wurde still im Zimmer.

Helene hatte den Kopf an die Rücklehne des Stuhles gestützt und blickte lange zum Fenster hinaus. Das Wetter hatte sich verändert; es war windig geworden. Große weiße Wolken zogen rasch am Himmel hin, in der Ferne schaukelte ein dünner Mast, ein langer Wimpel mit rothem Kreuze flatterte beständig, vom Winde gehoben, in Schlangenwindungen durch die Luft, sank, und ward von Neuem hinaufgeschnellt. Der Pendel der alten Uhr schnarrte schwer und müde. Helene schloß die Augen; sie hatte schlecht geruht und verfiel allmählich in Schlaf.

Sie hatte einen sonderbaren Traum. Sie schwamm in einem Boote mit unbekannten Leuten auf dem zarizinischen Teiche. Schweigend und regungslos sitzen sie da, es rudert Niemand; das Boot treibt allein dahin. Helene bangt nicht, doch ist sie traurig; sie möchte erfahren, wer diese Leute sind, warum sie sich unter ihnen befindet? Da sieht sie, der Teich wird breiter, die Ufer verschwinden . . . es ist kein Teich mehr, sondern ein bewegtes Meer: große azurblaue Wellen wiegen lautlos und majestätisch das Boot; es steigt etwas Schreckliches mit lautem Donner ans der Tiefe, die unbekannten Gefährten springen auf, schreien, bewegen die Arme . . . Helene erkennt sie, ihr Vater ist unter ihnen. Da zieht aber ein heftiger, weißer Wind über die Wogen . . . überall Wirbel und Alles ein Chaos . . .

Helene wirst einen Blick umher: Alles ist weiß wie vorhin; es ist aber Schnee, Schnee, unabsehbarer Schnee. Sie sitzt auch nicht mehr in einem Boote, sondern fährt, wie einst aus Moskau, in einem Reiseschlitten; sie ist nicht allein, neben ihr sitzt ein kleines Wesen, in einen alten Mantel gehüllt. Helene sieht es an: es ist Katja, ihre arme Jugendfreundin. Helene wird Angst. – Ist sie denn nicht gestorben? denkt sie.

– Katja« wohin fahren wir?

Katja giebt keine Antwort und hüllt sich fester in ihr Mäntelchen; sie friert. Helene friert auch; ihr Blick schweift den Weg entlang, durch den Schneestaub sieht sie eine Stadt in der Ferne. Hohe, weiße Thürme mit silbernen Kuppeln . . . – Katja, Katja, das ist Moskau? Nein, denkt Helene, – das ist das solowetzkische Kloster, da sind viele, viele kleine, enge Zellen, wie in einem Bienenstocke; darin ist es dumpf und eng . . . Dmitri sitzt dort gefangen. Ich muß ihn befreien . . . Plötzlich thut sich ein dunkler gähnender Abgrund vor ihr auf. Der Schlitten stürzt vor, Katja lacht. »Helene, Helene!« ruft eine Stimme aus dem Abgrund.

– Helene! tönte es deutlich an ihr Ohr. Rasch hob sie den Kopf in die Höhe, wandte sich um und erstarrte: Inßarow, weiß wie der Schnee ihres Traumbildes, hatte sich halb auf dem Ruhebett erhoben und sah sie mit großen, hellen, schrecklichen Augen an. Sein Haar hing wirr um die Stirn, die Lippen standen ganz sonderbar offen. Schrecken, mit einer eigenthümlichen stehenden Rührung vermischt, sprach aus seinen plötzlich verwandelten Zügen.

 

– Helene! sagte er, – ich sterbe.

Mit einem Schrei fiel sie auf die Knie und drückte sich an seine Brust.

– Es ist Alles aus, sagte Inßarow, – ich sterbe . . . Lebe wohl, meine Arme! Lebe wohl, meine Heimath! . . .

Er fiel zurück auf das Ruhebett.

Helene stürzte aus dem Zimmer, rief nach Hilfe, der Cameriere rannte nach einem Arzte. Helene brach über Inßarow zusammen.

In diesem Augenblick erschien an der Schwelle ein breitschulteriger, von der Sonne gebräunter Mann, in weitem Paletot von Fries und niedrigem Hute aus Wachsleinwand. Er blieb befremdet stehen.

– Renditsch! rief Helene, – Sie sind es! Kommen Sie, um Gottes willen, ihm ist schlecht! Was hat er? O Gott, guter Gott! Gestern noch ist er ausgegangen, eben sprach er noch mit mir . . .

Renditsch sagte nichts und trat nur auf die Seite. Ein kleines Männchen mit Brille und Perücke schlüpfte gewandt an ihm vorbei, es war der Arzt, der in demselben Gasthofe wohnte.

Er trat zu Inßarow.

– Signora, sagte er nach einigen Augenblicken, – der Herr Reisende ist gestorben . . . il signore forestiere e morto . . . an Aneurysma . . .

XXXV.

Am folgenden Tage, in demselben Zimmer, am Fenster, stand Renditsch; vor ihm saß, in einen Shawl gehüllt, Helene. Im Nebenzimmer, in einem Sarge, lag Inßarow. Helene’s Gesicht drückte Schrecken und Erschöpfung zugleich aus; an der Stirn, zwischen den Augenbrauen, zogen sich zwei Fältchen hin: sie verliehen den Augen einen gespannten, harten Ausdruck. Auf dem Fensterbreite lag ein geöffneter Brief von Anna Wassiljewna. Sie lud ihre Tochter nach Moskau ein, und wäre es auch nur für einen Moment, klagte über ihre Einsamkeit, über Nikolai Artemjewitsch, grüßte Inßarow, erkundigte sich nach seinem Befinden und ließ ihn bitten, seine Frau ziehen zu lassen.

Renditsch war ein Dalmatier, ein Seemann, dessen Bekanntschaft Inßarow während seiner Reise in die Heimath gemacht und den er nachher in Venedig ausgesucht hatte. Er war ein abgehärteter, ungeschliffener, kühner und den slavischen Interessen ergebener Mann. Er verachtete die Türken und haßte die Oesterreicher.

–– Wie lange müssen Sie in Venedig bleiben? fragte ihn Helene italienisch. Und ihre Stimme war ohne Leben wie ihr Gesicht.

– Einen Tag, um Ladung einzunehmen und keinen Argwohn zu erregen, und dann gerade nach Zara. Keine frohe Nachricht bringe ich den Landsleuten. Man wartete schon längst auf ihn; auf ihm ruhte unsere Hoffnung.

– Auf ihm ruhte unsere Hoffnung, wiederholte Helene mechanisch.

– Wann wollen Sie ihn bestatten? fragte Renditsch.

Helene vermochte nicht sogleich: »Morgen« zu sagen.

– Morgen? ich bleibe dann; ich will eine Handvoll Erde in sein Grab werfen. Auch muß ich Ihnen beistehen. Aber besser wäre es, er ruhete in slavischem Boden.

Helene warf einen Blick auf Renditsch.

– Capitain, sagte sie, – führen Sie mich mit ihm hinüber über’s Meer, fort von hier. Geht das an?

Renditsch bedachte sich. – Es geht schon an, es ist aber Scheererei dabei. Man wird mit der hiesigen verdammten Obrigkeit zu thun haben. Aber gesetzt, wir bringen Alles zu Stande, beerdigen ihn dort« wie schaffe ich Sie wieder hierher zurück?

– Es wird nicht nöthig sein, daß Sie mich zurück schaffen.

– Wie so? Wo wollen Sie denn bleiben?

– Ich werde schon einen Platz für mich finden, nehmen Sie uns nur mit, nehmen Sie mich mit.

Renditsch kratzte sich hinter den Ohren. – Das ist Ihre Sache, es wird aber viele Scheererei geben. Ich gehe, will es versuchen; erwarten Sie mich hier in zwei Stunden.

Er ging fort. Helene begab sich in das Nebenzimmer, lehnte sich gegen die Wand und blieb lange wie versteinert stehen. Dann ließ sie sich auf die Knie nieder, konnte aber nicht beten. Kein Vorwurf stieg in ihrer Seele auf; sie wagte nicht, die Frage in ihrem Innern laut werden zu lassen, warum Gott ihn nicht verschont, nicht Erbarmen gehabt, ihn nicht erhalten, für eine Schuld eine so übermäßige Strafe verhängt habe, wenn wirklich eine Schuld vorhanden gewesen sei? Jeder von uns ist schon dadurch schuldbelastet, daß er lebt, und es giebt keinen noch so bedeutenden Denker, keinen noch so großen Wohlthäter der Menschheit, der durch den Nutzen, den er stiftet, Anspruch erheben dürfte auf das Recht zu sein . . . Helene konnte aber nicht beten: sie war wie versteinert.

In jener Nacht stieß ein breites Boot von dem Gasthofe ab, wo Inßarow‘s gewohnt hatten. In dem Boote befanden sich Helene und Renditsch und eine lange Kiste, mit schwarzem Tuch bedeckt. Ungefähr eine Stunde währte die Fahrt. Sie erreichten ein kleines zweimastiges Schiff, das hart an der Ausfahrt des Hafens vor Anker lag. Helene und Renditsch stiegen auf das Schiff; Matrosen schafften die Kiste hinein. Um Mitternacht erhob sich ein Sturm; früh Morgens hatte das Schiff den Lido bereits hinter sich gelassen. Im Laufe des Tages stieg der Sturm zu furchtbarer Gewalt, die erfahrenen Seeleute in den Comptoirs des »Lloyd« schüttelten den Kopf und erwarteten nichts Gutes. Das adriatische Meer zwischen Venedig, Triest und dem Ufer Dalmatiens ist äußerst gefahrvoll.

Drei Wochen nach Helene‘s Abreise aus Venedig erhielt Anna Wassiljewna in Moskau einen Brief folgenden Inhalts:

»Meine lieben Eltern! Ich nehme für immer von Euch Abschied. Ihr werdet mich nicht mehr wiedersehen. Dmitri ist gestern gestorben. Für mich ist Alles aus. Ich fahre heute mit seiner Leiche nach Zara. Ich werde ihn der Erde übergeben, was aus mir wird, weiß ich nicht! Ich habe jetzt keine andere Heimath, als die Dmitri’s. Es wird dort ein Ausstand vorbereitet, man rüstet sich zum Kampfe; ich will unter die barmherzigen Schwestern treten; werde die Kranken, die Verwundeten pflegen. Ich weiß nicht, was aus mir werden wird, ich bleibe aber auch nach Dmitri’s Tode dessen Andenken und der Aufgabe seines Lebens treu. Ich habe Bulgarisch und Serbisch gelernt. Wahrscheinlich werde ich es nicht ertragen . . . um so besser. Ich bin an den Rand eines Abgrundes gezogen worden und muß hinabstürzen. Uns hat das Schicksal nicht umsonst vereint: wer weiß, vielleicht bin ich an seinem Tode schuld; jetzt ist an ihm die Reihe, mich nach sich zu ziehen. Ich habe Glück gesucht . . . und werde vielleicht den Tod finden. Es mußte wohl so kommen; es muß wohl eine Schuld gewesen sein . . . Der Tod deckt und sühnt Alles . . . nicht wahr? Vergeben Sie mir allen Kummer, den ich Ihnen verursacht habe; es hat nicht in meiner Macht gestanden, ihn abzuwenden. Nach Rußland zurückkehren . . . weshalb. Was sollte ich in Rußland machen?

Empfangen Sie meine letzten Küsse und Segenswünsche und verdammen Sie mich nicht.

H . . . . . «

Seit jener Zeit sind fast fünf Jahre verflossen und es ist keine weitere Nachricht über Helene eingegangen. Erfolglos sind alle Briefe und Erkundigungen geblieben; fruchtlos blieb auch eine Reise, die Nikolai Artemjewitsch nach Abschluß des Friedens persönlich nach Venedig und Zara unternahm; in Venedig erfuhr er, was der Leser bereits weiß, und in Zara vermochte Niemand ihm sichere Auskunft über Renditsch und das von diesem geführte Fahrzeug zu geben. Einem dunklen Gerüchte zufolge sollte vor einigen Jahren das Meer nach einem heftigen Sturme einen Sarg ans Ufer geworfen haben, in welchem ein männlicher Leichnam sich befunden . . . Nach anderen, glaubwürdigeren Nachrichten war jener Sarg nicht von dem Meere ausgeworfen, sondern von einer fremden Dame, die ans Venedig herübergekommen war, ans Ufer geschafft und daselbst der Erde übergeben worden; es erzählten Einige, jene Dame wäre später bei der Armee, die sich damals in der Herzegowina zusammenzog, gesehen worden, und beschrieben sogar ihren Anzug, schwarz vom Kopf bis zu den Füßen. Wie dem nun sei, Helene’s Spur ist für immer und unwiderruflich verschwunden, und es weiß Niemand, ob sie noch am Leben, ob sie sich irgendwo verborgen hält, oder ob das kleine Spiel des Lebens zu Ende ist, ob der leichte Gährungsproceß desselben aufgehört und der Tod sein Recht geltend gemacht hat. Es kommt vor, daß Mancher beim Erwachen mit unwillkürlichem Erstaunen die Frage an sich stellt: ob er denn wirklich schon dreißig . . . vierzig . . . fünfzig Jahre alt sei? Wie denn das Leben so schnell vergangen, wie doch der Tod um so viel näher gerückt sei? Der Tod gleicht dem Fischer, der einen Fisch in seinem Netze noch eine Zeit lang unter Wasser hält: der Fisch schwimmt wohl noch, doch ist er vom Netze umstrickt und der Fischer zieht ihn heraus . . . wann es ihm gut dünkt.

* * *

Was ist ans den übrigen Personen unserer Erzählung geworden? Anna Wassiljewna ist noch am Leben und hat nach dem Schlage, der sie betroffen, sehr gealtert; sie klagt weniger, ist aber viel niedergeschlagener als früher. Nikolai Artemjewitsch hat auch gealtert, ist grau geworden und hat, sich von Augustine Christianowna getrennt. Er zieht jetzt gegen alles Ausländische zu Felde. Seine Haushälterin, ein hübsches Weib von dreißig Jahren und russischer Abkunft« kleidet sich in Seide und trägt goldene Spangen und Ohrgehänge. Kurnatowsky, als Mann von Temperament und als energischer Brünetter, ein Freund lieblicher Blondinen, hat Zoë geheirathet; sie ist ihm sehr ergeben und hat, sogar aufgehört, deutsch zu denken. Berßenjew befindet sich in Heidelberg; er ist auf Kosten der Regierung hingeschickt worden; er hat Berlin und Paris besucht, und verbringt seine Zeit nicht nutzlos; aus ihm wird ein tüchtiger Professor werden. Zwei seiner Aufsätze haben die Aufmerksamkeit des gelehrten Publikums auf sich gezogen: Ueber einige Eigenthümlichkeiten des altgermanischen Rechtes in Bezug auf das gerichtliche Strafverfahren und: Von der Bedeutung des Stadtgemeindewesens als civilisirendes Element; man würde jedoch in beiden Aufsätzen den etwas schwerfälligen Styl und die Menge von Fremdwörtern gern vermissen. Schubin befindet sich in Rom; er ist ganz seiner Kunst ergeben und erfreut sich des Rufes eines der hervorragendsten und vielversprechendsten jungen Bildhauer. Strenge Puristen wollen finden, er habe nicht hinreichend die Antike studirt, es fehle ihm der »Styl«; sie zählen ihn zu der französischen Schule; er ist mit Bestellungen für Engländer und Amerikaner überhäuft. In der letzten Zeit hat eine Baechantin von ihm viel Aussehen erregt; der russische Graf Boboschkin, durch seinen Reichthum bekannt, hätte das Bildwerk beinahe für 1000 Scudi gekauft, er zog es indessen vor, einem anderen Bildhauer, einem Franzosen pur sang, 3000 Scudi für eine Gruppe zu zahlen« die »eine junge Bäuerin« vorstellte, »welche vor Liebe an der Brust des Genius des Lenzes stirbt«. Von Zeit zu Zeit tauscht Schubin Briefe mit Uwar Iwanowitsch, der allein ganz unverändert geblieben ist.

»Erinnern Sie sich,« schrieb er ihm unlängst, »was Sie mir in jener Nacht sagten, als die Heirath der armen Helene bekannt ward, ich auf Ihrem Bett saß und wir jene Unterhaltung mit einander hatten? Erinnern Sie sich, ich fragte Sie damals, ob wohl einmal bei uns rechte Leute erstehen würden? und Sie gaben mir die Antwort: »Sie werden schon kommen.« O, Schwarzerdenkraft! Da frage ich Sie nun noch einmal von hier, »aus dieser schönen, fernen Gegend«: Was glauben Sie, Uwar Iwanowitsch, werden Sie kommen? Nachdem Uwar Iwanowitsch diesen Brief gelesen hatte, spielte er mit seinen Fingern und richtete einen fragenden Blick in die Ferne.

10Russischer Schriftsteller.
Купите 3 книги одновременно и выберите четвёртую в подарок!

Чтобы воспользоваться акцией, добавьте нужные книги в корзину. Сделать это можно на странице каждой книги, либо в общем списке:

  1. Нажмите на многоточие
    рядом с книгой
  2. Выберите пункт
    «Добавить в корзину»