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Helene

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XXXIII

Es war ein freundlicher Apriltag. Auf der breiten Lagune, die Venedig von dem schmalen Streifen angeschwemmten Landes, Lido genannt, trennt, glitt eine spitzschnabelige Gondel, von den Stößen des über das lange Ruder sich neigenden Gondoliers gleichmäßig gewiegt, dahin. Unter dem niedrigen Deck saßen auf weichen Lederpolstern Helene und Inßarow.

Helene’s Gesicht hatte sich seit dem Tage ihrer Abreise aus Moskau nicht sehr verändert; doch war der Ausdruck desselben ein anderer: er war gedankenvoller und ernster, der Blick kühner geworden. Ihr ganzer Körper war voller, das Haar schien üppiger und dichter die weiße Stirn und die frischen Wangen zu umrahmen. Nur an den Lippen wenn sie nicht gerade lächelten, verrieth ein kaum merkbarer Zug eine geheime, beständige Sorge. Der Ausdruck im Gesichte Inßarow’s war dagegen derselbe geblieben, doch hatten die einzelnen Züge desselben sich auffallend verändert. Er war noch mehr abgemagert, gealtert, bleicher und zusammengefallener; er hatte einen beständigen, kurzen, trockenen Husten, die tiefliegenden Augen glänzten in eigenthümlichem Feuer. Während der Reise hatte Inßarow fast zwei Monate in Wien krank gelegen und war erst gegen Ende März mit seiner Frau in Venedig angelangt; von dort hoffte er über serbisch Zara Bulgarien zu erreichen; andere Wege waren für ihn verschlossen. Schon wüthete der Kampf an der Donau; England und Frankreich hatten Rußland den Krieg erklärt und alle slavischen Länder waren in Gährung und zum Aufstande bereit.

Die Gondel legte am inneren Ufer des Lido an. Helene und Inßarow begaben sich auf einem engen, sandigen Pfade, der mit elenden Bäumchen besetzt war (man pflanzt jedes Jahr neue und sie verdorren regelmäßig), an das äußere Ufer des Lido, ans Meer.

Sie gingen längs dem Ufer hin. Vor ihnen rollte das adriatische Meer seine trübblauen Wellen; schäumend und brausend zogen sie heran und dann wieder fort, kleine Muscheln und Trümmer von Seegras auf dem Ufersande zurücklassend.

– Welch ein trauriger Ort! bemerkte Helene. – Ich fürchte, hier ist‘s zu kalt für Dich; doch ich errathe, weshalb Du hierher kommen wolltest.

– Kalt! erwiederte mit raschem, doch bitterem Lächeln Inßarow. – Ich wäre ein schöner Krieger, wenn ich die Kälte fürchtete. Hierher bin ich aber gekommen . . . ich will Dir sagen warum. Ich sehe dies Meer an und mir dünkt, meine Heimath liege mir näher. Dort ist sie ja, setzte er hinzu, die Hand nach Osten ausstreckend. – Der Wind weht auch von dort.

– Ob nicht dieser Wind das Schiff, das Du erwartest, hierher führt? sagte Helene; – sieh dort das weiße Segel, vielleicht ist dies das Schiff?

Inßarow blickte in die blaue Ferne hinaus, wo Helene hingewiesen hatte.

– Renditsch versprach in einer Woche Alles für uns zu besorgen, bemerkte er. – Auf ihn kann man sich, denke ich, verlassen . . . Hast Du’s gehört, Helene, setzte er mit plötzlicher Aufregung hinzu, – man sagt, die armen dalmatischen Fischer hätten ihre Bleiplatten . . . Du weißt, die Bleigewichte zum Versenken der Netze, geopfert . . . um Kugeln daraus zu gießen! Geld haben sie nicht, sie leben nur von Fischfang; doch mit Freuden haben sie ihr Letztes hingegeben und hungern jetzt. Das ist ein Volk!

– Aufgepaßt! schrie hinter ihnen eine brutale Stimme. Ein gedämpfter Hufschlag ließ sich vernehmen, und ein österreichischer Offizier in kurzem, grauem Waffenrock und, grüner Mütze ritt an ihnen vorüber . . . Sie hatten kaum Zeit gehabt auf die Seite zu treten.

Finster blickte Inßarow ihm nach.

– Er ist nicht daran schuld, sagte Helene« – Du weißt, sie haben hier keinen anderen Ort, um ihre Pferde zuzureiten.

– Er ist nicht schuld, entgegnete Inßarow, – er hat mir aber mit seinem Schreien, mit seinem Schnurrbart, seiner Mütze, mit seinem ganzen Aeußeren das Blut in Wallung gesetzt. Kehren wir zurück.

– Wir wollen zurückkehren, Dmitri. Hier weht es überdies stark. Du hast Dich nach Deiner Krankheit in Moskau nicht in Acht genommen, dafür hast Du in Wien, büßen müssen. Jetzt mußt Du vorsichtiger sein.

Inßarow antwortete nichts, nur das frühere bittere Lächeln umspielte seine Lippen.

– Möchtest Du nicht, fuhr Helene fort, – eine Fahrt auf dem Canal grande machen? Haben wir doch, seit wir hier sind, Venedig noch nicht ordentlich gesehen. Abends wollen wir ins Theater, ich habe zwei Logenbillets. Es soll eine neue Oper gegeben werden. Wollen wir doch den heutigen Tag uns selbst widmen, Politik, Krieg, Alles aus dem Sinn schlagen und nur Eins festhalten: daß wir zusammen leben, athmen, denken, daß wir auf ewig mit einander vereint sind . . . Willst Du?

– Du willst es, Helene, entgegnete Inßarow, – folglich will auch ich es.

– Ich habe es gewußt, sagte Helene lächelnd. – So komm denn, komm.

Sie kehrten zur Gondel zurück, stiegen hinein und ließen sich langsam zum Canal grande hinüberrudern.

Wer Venedig nicht im April gesehen hat, kennt schwerlich den ganzen Reiz dieser zauberreichen Stadt. Die Lieblichkeit und Milde des Frühlings paßt zu Venedig, wie die strahlende Kraft des Sommers zum prachtvollen Genua, wie das Gold und der Purpur des Herbstes zum großen alten Rom. Wie der Frühling rührt Venedigs Schönheit und erweckt sehnsüchtiges Verlangen; sie peinigt und neckt das unerfahrene Herz, wie das Versprechen eines nahen, nicht räthselhaften, aber doch geheimnißvollen Glückes. Alles in dieser Stadt ist hell und klar, und doch wie in einen schmmmeesiißen Duft liebdurchwehter Stille gehüllt; Alles in ihr schweigt und ist freundlich; Alles trägt den Charakter der Weiblichkeit wie ihr Name, nicht umsonst führt diese Stadt allein den Namen der Schönen. Die Masse von Palästen und Kirchen steht leicht und zauberisch da, wie ein harmonischer Traum eines jungen Gottes; es liegt etwas Feenhaftes, etwas eigenthümlich Fesselndes in dem grünlichgrauen Glanze und dem seidenartigen Schiller der stillen Welle des Canals, im lautlosen Dahingleiten der Gondeln, in der Abwesenheit roher städtischer Laute, des Gerassels, des Geräusches, des Tumults. »Venedig stirbt, Venedig ist verödet,« sagen auch die Bewohner; vielleicht aber hat gerade dieser letzte Reiz, der Reiz des Hinwelkens ihm in der höchsten Blüthe, im Triumphe seiner Schönheit gefehlt. Wer es nicht gesehen hat, kennt es nicht; weder ein Canaletto, noch ein Guardi (geschweige neuere Maler) . . . vermögen den Silberton des Himmels, diese verschwindenden und doch scheinbar so nahen Fernen, diesen wunderbaren Zusammenklang der schönsten Linien und verschmelzenden Farbentöne wiederzugeben. Ein Lebensmüder, mit dem Leben Zerfallener soll Venedig nicht besuchen; bitter wird es ihm sein, wie die Erinnerung an unerfüllte Träume früherer Tage; lieblich wird es dagegen Dem erscheinen, der sich gesund fühlt, in dem noch Kräfte schäumen; er trage nur sein Glück unter diesen zauberischen Himmel und wie wonnestrahlend dies Glück auch sei, Venedig wird es ihm noch mit unwelkbarem Glanze vergolden.

Die Gondel, in welcher Inßarow und Helene saßen, glitt still an der Riva del Schiavoni, am Dogenpalast, an der Piazzetta vorbei und in den Canale grande hinein. Zu beiden Seiten zogen sich Marmorpaläste hin; sie schienen langsam vorüberzugleiten und gönnten dem Blickes kaum Zeit, ihre Schönheiten zu fassen und zu unterscheiden. Helene empfand eine innige Freude, am Blau ihres Himmels stand ein dunkles Wölkchen . . . es entfernte sich: Inßarow fühlte sich an diesem Tage bedeutend besser. Sie fuhren bis an den Bogen der Rialtobrücke und kehrten dann zurück. Helene fürchtete für Inßarow die kühle Luft der Kirchen; sie erinnerte sich jedoch der Akademie Delle belle arti und hieß den Gondolier dahin rudern. Sie waren bald durch alle Edle dieser nicht großen Bilderhalle gegangen. Da sie weder Kenner, noch Dilettanten waren, hielten sie sich nicht vor jedem Bilde auf, thaten sie sich keinen Zwang an: eine anspruchslose Heiterkeit war unerwartet über sie gekommen. Auf einmal dünkte sie Alles possirlich (Kinder kennen diese Stimmung). Zum großen Aergerniß dreier anwesenden Engländer lachte Helene bis zu Thränen über den heiligen Marcus des Tintoretto, der wie ein Frosch ins Wasser vom Himmel herabspringt, um einen gemarterten Sklaven zu retten; Inßarow hingegen gerieth in Extase vor dem Rücken und den Waden jenes energischen Mannes in grünem Gewande, der im Vordergrunde der Himmelfahrt Tizian’s steht und die Arme nach der Madonna ausstreckt; diese Madonna – eine herrliche, weibliche Gestalt, die ruhig und majestätisch zu dem Schooße des Vaters hinaufsteigt – entzückte Inßarow und Helene; ihnen gefiel auch ein strenges, heiliges Bild des alten Cimia da Conegliano. Beim Hinausgehen aus der Akademie blickten sie sich noch ein Mal nach den hinter ihnen gehenden Engländern mit langen Hasenzähnen und hängenden Backenbärten um . . . und lachten; sie sahen ihren Gondolier an und mußten über dessen kurze Jacke und kurze Beinkleider lachen; sie sahen ein Hökerweib mit einem aufgebundenen Zopfe grauen Haares auf dem Scheitel . . . und mußten noch unbändiger lachen; endlich blickten sie einander ins Gesicht . . . und lachten wieder, und als sie nun in der Gondel saßen, drückten sie einander fest, recht fest die Hand. Sie kamen in ihren Gasthof, eilten auf ihr Zimmer und ließen sich das Essen bringen. Die heitere Stimmung verließ sie auch bei Tische nicht. Sie tranken einander zu, brachten Gesundheiten den moskauer Freunden, klatschten dem Cameriere Beifall zu einem wohlschmeckenden Gerichte Fische und verlangten durchaus lebendige Frutti di mari (kleine Weichthiere); der Cameriere machte Gesichter, scharrte mit den Füßen und schüttelte beim Hinausgehen den Kopf, wobei er ein Mal sogar seufzend: Poveretti (die Armen) hören ließ. Nach dem Essen begaben sie sich ins Theater.

Es wurde eine Verdi’sche Oper gegeben, eine im Grunde ziemlich flache Oper, die jedoch auf allen europäischen Bühnen die Runde gemacht hat und uns Rassen gut bekannt ist, die »Traviata«. Die Theatersaison war in Venedig bereits vorüber, und was von Sängern da war, ragte nicht über die Grenze der Mittelmäßigkeit hinaus, ein Jeder schrie nach Kräften. Die Rolle der Violetta führte eine Sängerin aus, die keinen Ruf hatte und, nach dem kühlen Verhalten des Publicums zu urtheilen, wenig beliebt, aber nicht ohne Talent war. Es war ein junges, nicht besonders hübsches, schwarzäugiges Mädchen mit einer nicht ganz fließenden und bereits gebrochenen Stimme. Sie war, naiv genug, ganz bunt und schlecht costümirt: ein rothes Netz umschloß ihr Haar, die Brust war in ein Kleid aus verschossenem himmelblauen Atlas gezwängt, dicke, waschlederne Handschuhe reichten ihr bis an die spitzen Ellbogen hinauf, und wie hätte sie auch, sie, die Tochter irgend eines bergamaskischen Hirten, wissen sollen, wie sich eine pariser Camelie kleidet! Auch hatte sie keine Bühnenkenntniß; es lag aber doch in ihrem Spiele viel Wahrheit und ungezierte Einfalt und ihr Gesang war von jener eigenthümlichen Leidenschaftlichkeit des Ausdruckes und des Rhythmus durchdrungen, die wir nur bei Italienern finden. Helene und Inßarow saßen zusammen in einer dunklen Loge, hart an der Bühne; die heitere Gemüthsstimmung, die in der Akademie Delle belle arti sie befallen hatte, dauerte noch immer fort. Als der Vater des unglücklichen Jünglings, der in das Netz der Verführerin gefallen war, in erbsenfarbenem Frack und verwühlter weißer Perrücke auf der Bühne erschien, den Mund schief aufsperrte und, schon im Voraus resignirt, ausgezischt zu werden, ein dumpfes Tremolo vorausschickte, wären Beide fast in lautes Lachen ausgebrochen . . . Violetta’s Spiel dagegen machte auf sie Eindruck.

 

– Diesem armen Mädchen wird fast gar kein Beifall geklatscht, sagte Helene, – und doch habe ich sie tausend Mal lieber als irgend eine selbstgefällige Berühmtheit zweiten Ranges, die blos grimassiren und die Glieder verrenken würde, um Effect hervorzubringen. Diese da scheint Ernst aus der Sache zu machen; sieh’ nur sie schenkt dem Publikum gar keine Aufmerksamkeit.

Inßarow beugte sich über den Rand der Loge und blickte Violetta scharf an.

– Ja, sagte er, – sie nimmt es ernst, es riecht nach Tod.

Helene verstummte.

Der dritte Act begann.

Der Vorhang ging in die Höhe . . . Helene schrak zusammen beim Anblick des Bettes, der herabgelassenen Gardinen, der Arzneifläschchen, der Lampe mit dem Lichtschirm . . . Jüngst Vergangenes fiel ihr sein . . . »Und die Zukunft? und die Gegenwart?« fuhr es durch ihren Kopf. Wie eine Antwort auf den erkünstelten Husten der Künstlerin, ließ sich in der Lage der hohle, ungekünstelte Husten Inßarow’s hören . . . Helene warf insgeheim einen Blick nach ihm und nahm sogleich eine unbesorgte, ruhige Miene an; Inßarow hatte sie verstanden, zeigte ein lächelndes Gesicht und stimmte ganz leise in den Gesang ein.

Er hörte jedoch bald auf. Violetta’s Spiel wurde immer besser, immer freier. Sie hatte alles Fremdartige, alles Ueberflüssige abgeworfen und sich selbst wiedergefunden; ein seltenes, das höchste Glück für den Künstler! Sie hatte mit einem Male jene Grenze übersprungen, die zu bezeichnen unmöglich ist, hinter welcher jedoch die Schönheit thront. Das Publikum kam in Bewegung, staunte und verwandte keinen Blick. Das unschöne Mädchen mit der gebrochenen Stimme fing an auf die Zuhörer zu wirken, sie zu fesseln. Aber die Stimme der Sängerin klang jetzt nicht mehr wie gebrochen; es war Wärme und Kraft in dieselbe gekommen. »Alfredo« trat auf; der Freudenschrei Violetta’s rief fast jenen Sturm hervor, der fanatismo genannt wird und gegen welchen all unser nordisches Beifallsgeschrei nichts bedeutet . . . Ein Augenblick und das Publikum wurde mäuschenstill. Das Duett begann, diese beste Partie der Oper; in welcher es dem Componisten gelungen ist, den ganzen Schmerz leichtsinnig vergeudeter Jugendkraft und den letzten Kampf verzweifelter und ohnmächtiger Liebe auszudrücken. Hingerissen, getragen vom Sturm des allgemeinen, Beifalls, mit Blicken, die von künstlerischer Freude und wirklichen Leiden in Thränen schwammen, gab sich die, Sängerin der Brandung, die sie emporgehoben hatte, hin, ihr Gesicht hatte sich verklärt, und vor dem grauenhaften Gespenste des plötzlich herannahenden Todes, entrissen sich ihrer Brust, mit solch himmelanflehender Macht die Worte: »Lascia mi vivere . . . morir si giovane« (laß mich leben . . . so jung sterben!)« daß das ganze Haus von wüthendem Beifall und begeisterten Rufen erzitterte.

Es überlief Helene eiskalt. Ihre Hand suchte nach der Inßarow’s, fand sie und drückte sie heftig. Er erwiederte den Druck; doch blickte weder sie ihn, noch er sie an. Jetzt war der Händedruck ein anderer, als der, den sie vor wenigen Stunden in der Gondel mit einander getauscht hatten.

Wieder durch den Canale grande kehrten sie in ihren Gasthof zurück. Die Nacht, eine helle, wilde Nacht, war bereits hereingebrochen. Dieselben Paläste kamen ihnen entgegengezogen, doch erschienen sie ihnen anders. Die vom Monde beleuchteten glänzten in weißlichem Goldschimmer, in welchem alle Einzelheiten der Ornamente und die Umrisse der Fenstereinfassungen und Balcone gleichsam verschwammen; während Alles deutlicher hervortrat an den Gebäuden, die, der leichte, gleichmäßige Schattenflor einhüllte. Die Gondeln mit ihren kleinen, rothen Lichtern, schienen noch lautloser und schneller hinzugleiten; geheimnißvoll glitzerten ihre gezackten, stählernen Schnäbel, geheimnißvoll hoben und senkten sich die Ruder in dem silbernen Glanzlichte der durchfurchten Wellen; von Zeit zu Zeit hörte man den kurzen und getragenen Ruf der Gondeliere (sie singen jetzt niemals); andere Laute wurden fast nicht vernommen. Der Gasthof, in welchem Inßarow und Helene wohnten, befand sich an der Riva dei Schiavoni; sie verließen etwas früher ihre Gondel und gingen einige Male auf dem Marcusplatze unter dem Bogengange umher, wo vor den kleinen Kaffeehäusern eine Menge unbeschäftigter Besucher versammelt war. Mit einem geliebten Wesen in einer fremden Stadt, unter fremden Menschen zu wandeln, gewährt ein eigenthümliches Vergnügen; Alles dünkt uns schön und bemerkenswerth, Allen wünschen wir Alles Gute, Frieden und das Glück, das uns selbst beseelt. Helene konnte sich jedoch nicht mehr dem Gefühle ihres Glückes sorglos überlassen: ihr Herz, durch die jüngsten Eindrücke erschüttert, vermochte sich nicht zu beruhigen; und als sie am Dogenpalast vorüberkamen, wies Inßarow schweigend auf die Schlünde der österreichischen Kanonen, die aus dem unteren Bogengange hervorgähnten und drückte den Hut tiefer in die Stirn. Er fühlte sich ermattet und . . . nachdem sie einen letzten Blick auf die Kirche des heiligen Marcus und deren Kuppeln geworfen hatten, die im Lichte des Mondes in ihrer bläulichen Bleibekleidung wie von Phosphor leuchtend erschienen, kehrten sie in ihren Gasthof zurück.

Die Fenster ihres Zimmers gingen aus den Theil der großen Lagune hinaus, der von der Riva dei Schiavoni bis an die Giudecca reicht. Ihrem Gasthofe fast gegenüber ragten die spitzen Thürme San Giorgios empor; rechts glänzte hoch in der Luft die goldene Kugel der Dogana . . . und prangte geschmückt wie eine Braut, das Meisterwerk Palladio’s, die Kirche del Redentore; links ragte ein dunkles Gewirre von Masten, Raen und Dampfschiffschornsteinen empor; hin und wieder hingen, gleich riesigen Flügeln, halbgereffte Segel und Wimpel, kaum vom Winde bewegt, herab. Inßarow setzte sich ans Fenster, Helene gönnte ihm aber nicht lange den Genuß der Aussicht; es stellte sich bei ihm plötzlich Hitze und ermattende Schwäche ein. Sie brachte ihn zu Bett und nachdem sie gewartet hatte, bis er in Schlaf versunken war, kehrte sie leise ans Fenster zurück. O wie still und lieblich war die Nacht, welch’ eine selige Milde wogte in dieser blauen Luft, wie mußten alle Leiden, alle Schmerzen verstummen und verschwinden unter diesem hellen Himmel, unter diesen heiligen, keuschen Strahlen! – O Gott! dachte Helene, – warum giebt es einen Tod, warum Trennung, warum Krankheit und Thränen? oder warum diese Schönheit, dieses beseligende Hoffen, warum das beruhigende Bewußtsein einer sicheren Zufluchtsstätte, eines untrüglichen Schutzes, unsterblichen Beistandes? Was sollen dieser lächelnde, segenspendende Himmel, diese beglückte, ruhende Erde? Ist denn Alles dies nur in uns, und außerhalb uns nur ewige Kälte und ewiges Schweigen? Sind wir denn allein . . . allein . . . und dort rund herum, in allen jenen unergründlichen Fernen und Tiefen . . . wäre Alles, Alles uns fremd? Warum denn aber jener Durst und jene Freude des Gebetes? (»Morir si giovane . . .« klang, es in ihren Ohren.) Läßt sich’s denn nicht erflehen, abwenden, retten . . . O Gott, mein Gott! darf ich denn nicht an ein Wunder glauben? Sie legte den Kopf auf die gefalteten Hände. – Genug? flüsterte sie. – Wäre es wirklich schon genug! Ich bin glücklich gewesen, nicht einige Augenblicke nur, nicht Stunden, auch nicht ganze Tage . . . nein, Wochen hindurch bin ich es gewesen. Und mit welchem Rechte? Es faßte sie ein Schauer vor dem eigenen Glück. – Wenn’s aber nicht sein kann? dachte sie. – Wenn’s nicht umsonst geboten wird? Es war ein Himmel . . . und wir sind nur irdische Geschöpfe, Menschen, arme sündhafte Menschen . . . Morir si giovane . . . O düsteres Gespenst, hebe Dich hinweg! Nicht für mich allein muß er leben!

– Wenn’s aber . . . eine Strafe wäre, dachte sie dann weiter, – wenn wir jetzt vollen Ersatz zu leisten hätten für unsere Schuld? Mein Gewissen schwieg, es schweigt auch jetzt, ist das aber ein Beweis der Schuldlosigkeit? Oh Gott, haben wir uns denn so sehr vergangen! Wolltest Du, der diese Nacht, diesen Himmel erschaffen, uns dafür strafen, daß wir einander geliebt haben? Und ist es so, ist er schuldig, bin ich schuldig, setzte sie in plötzlicher Aufwallung hinzu, – dann laß ihn, o Gott, dann laß uns Beide, wenigstens eines ehrenvollen Todes . . . dort, auf den Gefilden seiner Heimath sterben, nicht hier in diesem dumpfen Zimmer.

– Aber der Schmerz einer armen, vereinsamten Mutter? fragte sie sich, und fand keine Antwort. Helene wußte nicht, daß das Glück jedes Menschen im Unglücke Anderer begründet ist, daß sein Vortheil, sein Behagen, gleich wie die Statue eines Piedestals, des Nachtheils und des Unbehagens Anderer bedürfen. »Renditsch!« murmelte Inßarow im Schlafe.

Helene trat auf den Zehen zu ihm, beugte sich über ihn und trocknete den Schweiß von seinem Gesicht. Er warf sich einige Augenblicke auf dem Kissen hin und her und wurde dann ruhig.

Sie trat von Neuem an’s Fenster und verfiel wieder in Gedanken. Sie versuchte, sich selbst zu beruhigen, sich einzureden, daß kein Grund zu Befürchtungen vorhanden sei. Sie begann sogar sich ihrer Muthlosigkeit zu schämen. – Wo wäre denn die Gefahr und ist ihm denn nicht besser, sagte sie vor sich hin. – Wären wir heute nicht im Theater gewesen, so kämen mir all’ diese Gedanken nicht in den Kopf. In diesem Augenblicke wurde sie hoch über dem Wasser eine weiße Möve gewahr; ein Fischer vermuthlich hatte das Thier aufgeschreckt und nun flog es mit ungleichem Flügelschlage, als suchte es einen Ort, um sich niederzulassen. – Kommt die Möve hierher geflogen, dachte Helene, – so ist’s ein gutes Vorzeichen . . . Die Möve kreiste an einer Stelle herum, zog die Flügel ein – und ließ sich, wie angeschossen, mit kläglichem Schrei weit hinter einem dunkelen Schiffe nieder. Helene fuhr zusammen, und schämte sich gleich darauf dieser Regung; ohne sich auszukleiden, legte sie sich halb auf‘s Bett neben Inßarow, der schwer und kurz Athem holte.

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