Читать книгу: «Frühlingsfluthen», страница 8
XXVIII
Sanin schritt bald neben Gemma, bald ein wenig hinter ihr, seine Augen wandte er nicht von ihr ab, hörte nicht zu lächeln auf. Sie schien bald zu eilen . . . bald blieb sie stehen. Die Wahrheit zu sagen, bewegten sich Beide vorwärts, er ganz bleich, sie ganz roth vor Aufregung, wir trunken.
Das, was einige Augenblicke vorher zwischen ihnen vorgegangen war – diese gegenseitige Hingabe ihrer Seelen, war so heftig, so neu, so beängstigend, Alles in ihrem Leben hatte sich so sehr verrückt, so verändert, daß sie Beide nicht zu Besinnung kommen konnten, und daß sie nur den Wirbel, der sie erfaßt hatte erkannten, jenem Windstoße gleich, der sie beinahe einander in die Arme geworfen.
Sanin schritt einher – und fühlte, daß er Gemma sogar anders anblicke: er bemerkte sofort mehrere Besonderlichkeiten an ihrem Gange, in ihren Bewegungen – und mein Gott! wie unendlich theuer und lieb waren sie ihm! Und sie fühlte, daß er sie so anblicke.
Sanin und Gemma liebten zum ersten Mal; alle Wunden der ersten Liebe gingen in ihnen auf. Die erste Liebe – ist Revolution: Der einförmige – regelmäßige Lebenslauf ist in einem Augenblick zerstört, die Jugend steht auf der Barricade, hoch weht ihre lichte Fahne – und was ihr auch in der Zukunft hervorstehen möge – Tod oder neues Leben – sie sendet der ganzen Welt ihren entzückten Gruß.
»Ich glaube, das ist unser Alter,« rief Sanin mit dem Finger auf eine verhüllte Gestalt zeigend, welche schnell dahineilte und sichtbar bestrebt war, unbemerkt zu bleiben.
Mitten im Uebermaß der Glückseligkeit empfand er das Bedürfniß, mit Gemma nicht über Liebe – das war eine abgemachte, heilige Sache – sondern über Anderes zu sprechen.
»Ja, das ist Pantaleone,« antwortete lustig und glücklich Gemma. »Er ist wahrscheinlich mir nachgefolgt; schon gestern paßte er auf jeden meiner Schritte auf . . . Er ahnt es!«
»Er ahnt es!« wiederholte Sanin mit Wonne. Was hätte Gemma sagen können, das ihn nicht mit Wonne erfüllt hätte?
Dann bat er sie umständlich zu erzählen, was gestern vorgefallen war.
Und sie fing sofort zu erzählen an, eilend, sich verwickelnd, lächelnd, kurze Seufzer ausstoßend und mit Sanin kurze, lichte Blicke wechselnd.
Sie erzählte ihm, wie nach ihrem letzten Gespräche die Mutter von ihr etwas Entscheidendes zu erfahren verlangt; wie sie Frau Lenora durch das Versprechen, ihren Entschluß am anderen Tage mitzutheilen, beruhigt habe, wie schwer es aber ihren Bitten gewesen sei, diese Frist zu erlangen; wie ganz unerwartet Herr Klüber erschienen sei, noch steifer, noch mehr gestärkt als sonst; wie er seinen Unwillen über den kindischen, unverzeihlichen und ihn, Herrn Klüber, tief beleidigenden (so hatte er sich ausgedrückt) Streich des unbekannten Russen, – er meinte Dein Duell —« geäußert und verlangt habe, »daß man Dir das Haus verbiete, weil, fügte er hinzu« – und Gemma machte ein bischen seine Stimme und Manier nach – »dies auf mich einen Schatten wirft, als ob ich nicht meine Braut zu schützen im Stande wäre, wenn ich es für nöthig und nützlich halten würde! Morgen wird ganz Frankfurt erfahren, daß ein Fremder sich wegen meiner Braut mit einem Officier duellirt hat – welchen Schein gibt das? Das beschimpft meine Ehre!« Die Mutter war mit ihm einverstanden – denke Dir – doch hier erklärte ich mit einem Male, daß er umsonst um seine Ehre und seine Person bekümmert sei, daß er sich umsonst durch das Gerede über seine Braut beleidigt fühlen würde – denn ich sei nicht mehr seine Braut, und würde nie seine Frau werden! Die Wahrheit zu sagen, wollte ich eigentlich erst mit Ihnen. . . mit Dir sprechen, ehe ich ihm definitiv absagte; doch er war gekommen . . . und ich konnte mich nicht zurückhalten. Die Mutter schrie sogar vor Schreck auf, ich ging aber in das andere Zimmer, brachte den Trauring – Du hast nicht bemerkt, das ich ihn bereits vor zwei Tagen abgenommen hatte – und gab ihm denselben zurück. Er that schrecklich beleidigt; doch da er ungeheure Eigenliebe hat und sehr hochmüthig ist, so sprach er nicht lange – und ging weg. Freilich mußte ich Vieles von der Mutter aushalten, und es that mir sehr Leid zu sehen, wie sie sich unglücklich fühlte – und ich dachte, daß ich mich ein wenig übereile hätte; doch ich hatte ja Deinen Brief – und auch ohne den wußte ich . . .«
»Daß ich Dich liebe,« setzte Sanin hinzu.
»Ja . . . daß Du mich liebst.«
So sprach Gemma, bald sich verwickelnd, bald lächelnd, bald leise sprechend, oder sie verstummte völlig, wenn Jemand ihnen entgegenkam oder an ihnen vorüberging. Und Sanin lauschte entzückt, ergötzte sich am Klange ihrer Stimme, wie er den Abend vorher ihre Schrift bewundert hatte.
»Die Mutter ist sehr betrübt,« fing Gemma wieder an, und rasch entströmte ihr ein Wort nach dem anderen – »sie will gar nicht berücksichtigen, daß Herr Klüber mir widerlich werden konnte, daß ich nicht aus Liebe heirathen sollte, sondern nur wegen ihren beständigen Bitten . . . Sie hat Verdacht auf Sie. . . auf Dich; das heißt, sie ist überzeugt, daß ich mich in Dich verliebt habe, und das ist um so schrecklicher für sie, weil sie noch vor drei Tagen nichts Aehnliches ahnte und sogar Dir auftrug, mich zu bereden . . .«
»Es war ein sonderbarer Auftrag – nicht wahr? Jetzt nennt sie Dich . . . Sie, einen schlauen, falschen Menschen, sagt, daß Sie ihr Zutrauen betrogen, und weissagt mir, daß Sie mich auch betrügen werden. . . «
»Aber Gemma.« rief Sanin, »hast Du ihr denn nicht gesagt . . .«
»Nichts habe ich gesagt! Welches Recht hatte ich dazu, ohne Sie gesprochen zu haben?«
Sanin schlug die Hände zusammen – »Ich hoffe Gemma, daß Du ihr jetzt wenigstens Alles gestehen wirst, Du wirst mich zu ihr führen . . . Ich will Deiner Mutter beweisen, daß ich kein Betrüger bin.«
Die Brust Sanins erweiterte sich beim stürmischen Wogen hochherziger, brennender Gefühle.
Gemma heftete auf ihn ihre beiden Augen – »Sie wollen wirklich jetzt mit mir zu der Mutter gehen? Zu der Mutter, die mich versichert, daß . . . daß dies Alles zwischen uns unmöglich sei – und sich nie erfüllen werde?« Es gab ein Wort, das auszusprechen Gemma sich nicht entschließen konnte . . . Es brannte auf ihren Lippen, doch desto williger sprach es Sanin aus.
»Dich zu heirathen, Dein Mann zu sein – eine höhere Seligkeit kenne ich nicht!«
Seine Liebe, seine Großmuth, seine Entschlossenheit, kannten keine Grenzen mehr. Gemma die fast stehen geblieben war, beschleunigte ihre Schritte, nachdem sie diese Worte vernommen . . . Sie schien diesem allzugroßen, unerwarteten Glücke entfliehen zu wollen!
Doch plötzlich versagten die Füße ihr den Dienst. Hinter der Ecke einer Querstraße erschien einige Schritte vor ihr Herr Klüber, mit neuem Hut, neuem Rock, kerzengerade, wie ein Pudel frisirt. Er sah Gemma, sah Sanin, schnaubte vor innerer Wuth, und seine schlanke Gestalt zurückbiegend, ging er ihnen zierlich entgegen. Sanin fuhr zusammen; doch das Gesicht Klübers betrachtend, dem sein Besitzer, so weit er es vermochte, das Aussehen eines verächtlichen Staunens, selbst Mitleids, zu geben sich abmühte – dies rothe, gemeine Gesicht betrachtend, fühlte er eine Anwandlung von Zorn – und ging vorwärts.
Gemma ergriff seine Hand, reichte ihm mit ruhiger Entschlossenheit ihren Arm und blickte dem gewesenen Bräutigam frei ins Antlitz . . . Dieser klemmte die Augen, zog sich zusammen, sprang zur Seite, zischte durch die Zähne – das alte Ende vom Liede – und entfernte sich mit demselben zierlichen, ein wenig hüpfenden Gange.
»Was bat der Schuft gesagt?« fragte Sanin und wollte sich ihm nachstürzen, doch Gemma hielt ihn zurück und ging mit ihm weiter, ihren ihm gereichten Arm nicht mehr zurückziehend.
Die Conditorei von Roselli zeigte sich. Gemma blieb stehen.
»Dimitri, Monsieur Dimitri,« sagte sie; »wir sind noch nicht hereingegangen, haben die Mutter nicht gesehen . . . Wenn Sie sich überlegen wollen, wenn . . . Sie sind noch frei, Dimitri.«
Statt einer Antwort drückte Sanin ihre Hand fest an seine Brust und zog sie vorwärts.
»Mutter!« rief Gemma mit Sanin in das Zimmer tretend, in welchem Frau Lenora saß – »da bringe ich den Rechten!«
XXIX
Hätte Gemma erklärt, daß sie die Cholera oder den Tod selbst mitbringe, so hätte, wie man annehmen darf, Frau Lenora diese Nachricht mit keiner größeren Verzweiflung vernehmen können. Sie setzte sich sofort in eine Ecke des Zimmers, das Gesicht der Wand zugekehrt und zerfloß in Thränen, schrie beinahe wie eine russische Bauersfrau am Sarge ihres Mannes oder Kindes. Gemma gerieth anfangs so aus der Fassung, daß sie nicht einmal auf die Mutter zueilte und mitten im Zimmer wie eine Bildsäule stehen blieb; Sanin war ganz verblüfft, er wäre beinahe selbst in Thränen ausgebrochen! Eine ganze Stunde dauerte dieses untröstliche Weinen – eine ganze Stunde! Pantaleone hielt es für nöthig, die Straßenthür zu schließen, damit kein Fremder eintrete, gut daß es noch so früh war. Der Alte war unschlüssig, jedenfalls mißbilligte er die Eilfertigkeit, mit welcher Gemma und Sanin verfuhren, doch war er bereit, ihnen nöthigen Falls seinen Schutz angedeihen zu lassen: er haßte eben Klüber allzusehr! Emil hielt sich für den Vermittler zwischen seiner Schwester und seinem Freunde und war stolz darauf, daß Alles so prachtvoll ausgefallen war! Er konnte gar nicht verstehen, warum die Mutter sich so gräme, und entschied sofort in seinem Innern, daß die Frauen, selbst die besten, an Mangel der Urtheilskraft leiden!
Sanin ging es am schlechtesten. Frau Lenora schrie und wehrte mit beiden Händen ab, sobald er sich ihr näherte, und umsonst bemühte er sich, aus der Entfernung ihr laut zuzurufen: »Ich bitte um die Hand ihrer Tochter!« Frau Lenora war namentlich darüber böse, daß sie so blind sein konnte und nichts bemerkt hatte! »Wäre doch mein Giovan‘ Battista am Leben!« wiederholte sie unter Thränen, »nichts Derartiges hätte sich ereignet!« – »Gott! was ist denn das?« dachte Sanin – »Das ist ja schließlich – dumm!« Weder er wagte Gemma, noch sie ihn anzublicken. Sie begnügte sich, die Mutter, welche anfangs auch sie weggestoßen hatte, geduldig zu pflegen.
Endlich allmählig legte sich der Sturm. Frau Lenora hörte zu weinen auf, erlaubte Gemma, sie aus der Ecke in die sie sich verborgen hatte, hervorzuführen, sie in einem Sessel Platz nehmen zu lassen, ihr Wasser mit Orangenblüthe zu reichen; sie erlaubte Sanin – nicht sich ihr zu nähern . . . o nein! – aber im Zimmer zu bleiben (vorher hatte sie beständig verlangt, daß er das Zimmer verlasse) – und unterbrach ihn nicht, wenn er sprach. Sanin benützte sofort die eingetretene Windstille und legte eine bewundernswürdige Beredtsamkeit an den Tag: Kaum wäre er im Stande gewesen, mit solchem Feuer und solcher Ueberzeugungskraft seine Absichten und Gefühle vor Gemma auszulegen. Diese Gefühle waren die aufrichtigsten, diese Absichten die reinsten, wie die des Almaviva im Barbier von Sevilla. – Er verbarg weder Frau Lenora, noch sich selbst die schwachen Seiten dieser Absichten: doch diese schwachen Seiten waren nur scheinbar! Allerdings: er ist ein Ausländer, man hat ihn erst kennen gelernt, man weiß nichts Bestimmtes von seiner Persönlichkeit, noch von seinen Mitteln; doch er sei bereit alle nöthigen Beweise zu liefern, daß er ein anständiger Mensch und in keiner dürftigen Lage sei, er wolle die unleugbarsten Zeugnisse seiner Landsleute beibringen! – Er hoffe, daß Gemma mit ihm glücklich sein und er im Stande sein werte, ihr die Trennung von den Verwandten zu versüßen! . . . Die Erwähnung der Trennung, dies eine Wort »Trennung« hätte beinahe Alles wieder verdorben. Frau Lenora zitterte förmlich, warf sich hin und her . . . Sanin beeilte sich zu bemerken, daß die Trennung nur kurz und daß sie wahrscheinlich gar nicht stattfinden würde! . . .
Die Beredtsamkeit Sanins ging nicht verloren. Frau Lenora blickte ihn an, zwar mit Bitterkeit und vorwurfsvoll, doch nicht mehr mit Abscheu und Zorn; dann erlaubte sie ihm an sie heranzutreten und sich neben sie zu setzen (Gemma saß auf der andern Seite). Dann sing sie an, ihm Vorwürfe zu machen – nicht mit Blicken allein, sondern auch mit Worten, was bereits auf eine gewisse Milderung ihres Zornes deutete, sie fing sich zu beklagen an, und ihre Klagen wurden immer stiller, milder; sie wurden mit bald an die Tochter, bald an Sanin gerichteten Fragen untermischt; dann erlaubte sie ihm ihre Hand zu ergreifen, ohne sie sofort zurückzuziehen . . . dann brach sie in Thränen aus – doch in Thränen ganz anderer Art . . . Sie lächelte traurig, klagte, wie sehr ihr Giovan’ Battista fehle, doch in ganz anderem als dem vorigen verworfsvollen Sinne . . . Es verging noch ein Augenblick und beide Verbrecher Sanin und Gemma knieten ihr zu Füßen und sie legte die Hände abwechselnd auf ihre Köpfe; noch ein weiterer Augenblick und die Beiden umarmten und küßten sie – Emil kam mit vor Entzücken glänzendem Gesicht hereingelaufen und warf sich ebenfalls zu der fest verschlungenen Gruppe. Pantaleone blickte in das Zimmer, lächelte und verfinsterte sich zu gleicher Zeit, und öffnete die Straßenthür der Conditorei.
XXX
Der Uebergang von Verzweiflung zum Gram und von diesem zur stillen Resignation vollzog sich bei Frau Lenora ziemlich rasch – doch auch diese Resignation ging bald in innere Zufriedenheit über, welche jedoch aus jede Weise verborgen und zurückgehalten wurde. Sanin hatte vom ersten Tage an Frau Lenora gefallen; als sie sich an den Gedanken, ihn zum Schwiegersohn zu haben, gewöhnt hatte, konnte sie auch nichts Unangenehmes an ihm finden, obgleich sie es für ihre Pflicht hielt, auf ihrem Gesichte einen gekränkten oder richtiger, besorgten Ausdruck zu unterhalten. Ueberdies war ja Alles, was sich in den letzten Tagen zugetragen, so ungewöhnlich . . . Eines zum Andern! Als praktische Frau und Mutter hielt Frau Lenora es für ihre Pflicht, Sanin den verschiedenartigsten Fragen zu unterwerfen, und Sanin, welcher, zum Stelldichein mit Gemma eilend, nicht einmal an die Möglichkeit einer Heirath mit ihr gedacht hatte – es ist wahr, er hatte an gar nichts gedacht und sich vollständig dem Triebe seiner Leidenschaft überlassen – Sanin erfaßte mit voller Bereitwilligkeit, man kann sagen mit Verwegenheit seine Rolle als Bräutigam und antwortete auf alles Ausfragen umständlich genau, willig. Als Frau Lenora zur Ueberzeugung gelangt war, daß er ein echter, wirklicher Edelmann, und sich sogar ein wenig wunderte, daß er kein Fürst sei, nahm sie eine ernste Miene an, und erklärte ihm in Voraus, daß sie mit ihm ganz aufrichtig, ohne jede Ceremonie sprechen werde, daß die heilige Mutterpflicht ihr dies auferlege! – worauf Sanin erwiederte, daß er dies von ihr erwartet habe, und sie inständig bitte, ihn nicht zu schonen!
Frau Lenora bemerkte dann, daß Herr Klüber (bei diesem Namen seufzte sie leise, biß sich auf die Lippen und hielt inne) – daß Herr Klüber, der gewesene Bräutigam Gemmas, jetzt schon acht Tausend Gulden Einkommen habe und mit jedem Jahre wachse diese Summe, welches Einkommen habe er, Sanin?
»Acht Tausend Gulden,« wiederholte Sanin langsam . . . »Das ist beinahe fünfzehn Tausend Rubel in Assignaten . . . Mein Einkommen ist viel kleiner. Ich habe ein kleines Gut im Gouvernement von Tula . . . Bei guter Bewirthschaftung kann es – und wird es mir reichlich fünf bis sechs Tausend eintragen . . . Und wenn ich in den Staatsdienst trete – kann ich leicht zweitausend Rubel Gehalt bekommen.«
»Dienst in Rußland?« rief Frau Lenora. »Ich muß mich also von Gemma trennen!«
»Ich kann die diplomatische Carrière ergreifen,« rief Sanin, »ich habe einige Verbindungen . . . Dann werde ich hier im Auslande dienen. Man kann auch Folgendes machen, und das wird das Beste sein: ich verkaufe mein Gut und lege den Kauferlös bei einem vortheilhaften Unternehmen an, z. B. könnte man Ihre Conditorei in Stand setzen.« Sanin fühlte, daß er ungereimtes Zeug spreche, doch es hatte sich seiner ein unerklärlicher Muth, bemächtigt.Er blickte Gemma an, welche jedesmal, wenn das »praktische« Gespräch begann, aufstand, im Zimmer auf- und abging und sich wieder setzte, er blickt Gemma an – und er kennt keine Hindernisse, er ist bereit, Alles sofort auf das Zweckmäßigste einzurichten, nur daß sie sich nicht beunruhige.
»Herr Klüber wollte mir ebenfalls eine kleine Summe zur Verbesserung der Conditorei geben,« sagte nicht ohne Zögern Frau Lenora.
»Mutter! um Gottes willen! Mutter!« rief Gemma italienisch.
»So was muß man in Voraus besprechen, liebe Tochter,« antwortete Frau Lenora in derselben Sprache.
Sie wandte sich wieder zu Sanin und fragte ihn aus über die Gesetze, welche in Rußland hinsichtlich der Ehe bestehen, ob die Ehe mit Katholiken keine Schwierigkeiten habe wie in Preußen? (Um jene Zeit der vierziger Jahre war noch in ganz Deutschland die Erinnerung an den Zwist der preußischen Regierung mit dem Bischof von Köln wegen der Mischehen gegenwärtig) Als aber Frau Lenora hörte, daß ihre Tochter, einen russischen Adeligen heirathend, selbst adelig werde – legte sie eine gewisse Zufriedenheit an den Tag. »Doch Sie müssen ja erst nach Rußland fahren?«
»Wozu?«
»Und wie anders? Um die Erlaubniß Ihres Kaisers einzuholen . . . «
Sanin erklärte ihr, daß das gar nicht nöthig sei . . . doch daß er wahrscheinlich vor der Hochzeit auf ganz kurze Zeit nach Rußland werde fahren müssen, er sprach diese Worte und sein Herz war schmerzlich beklommen; Gemma, die ihn ansah, fühlte es, erröthete und wurde nachdenkend – daß er diese Gelegenheit benützen werde, sein Gut zu verkaufen, jedenfalls werde er Geld mitbringen.
»Ich würde Sie bitten, mir gutes Krimer Fell zu einer Mantille zu bringen,« sagte Frau Lenora. »Es soll in Rußland so wunderschön und so billig sein!«
»Ganz sicher bringe ich es Ihnen und Gemma ebenfalls!« rief Sanin.
»Bringen Sie mir ein kleines Saffian-Hütchen mit Silber gestickt,« rief Emil, den Kopf durch die Thüre steckend.
»Gut, ich bringe es Dir. . . und Pantaleone bekommt Hausschuhe.«
»Wozu das? wozu?« bemerkte Frau Lenora. »Wir sprechen jetzt von ernsten Sachen. Noch etwas,« fügte die praktische Dame hinzu: »Sie sagen, Sie wollen das Gut verkaufen. Wie machen Sie das? Sie werden also auch die Bauern verkaufen?«
Sanin fühlte sich getroffen wie von einem Stiche, Er erinnerte sich, daß er im Gespräche mit Frau Roselli und ihrer Tochter über Leibeigenschaft, welche nach seinen Worten ihm den größten Widerwillen einflößte, unzählige Male versichert hatte, daß er nie und in keinem Falle seine Bauern verkaufen würde, weil er einen solchen Verkauf für unmoralisch halte.
»Ich werde mich bemühen, mein Gut einem Manne zu verkaufen, den ich von guter Seite kennen werde,« sagte er nicht ohne Stocken, »aber vielleicht werden die Bauern selbst sich loskaufen wollen.«
»Dies wäre am besten!« meinte Frau Lenora, »denn Menschen zu verkaufen . . . «
»Barbari!« brummte Pantaleone, der mit Emil an der Thüre erschienen war, bewegte sein Toupé und verschwand.
»Fatal!« dachte Sanin und sah Gemma verstohlen an. Sie schien die letzten Worte nicht gehört zu haben. »Thut nichts!« dachte er wieder.
In dieser Weise dauerte das praktische Gespräch bis zum Mittag.
Frau Lenora war schließlich ganz zahm geworden – sie nannte Sanin Dimitri, drohte ihm freundlich mit dem Finger, nahm sich vor, seinen Verrath an ihm zu rächen. Lange und umständlich fragte sie ihn über sein Vaterland aus, »das ist ebenfalls sehr wichtig« sie verlangte selbst, daß er die Ceremonie der Eheschließung, wie sie nach russischem Ritus gebräuchlich sei, beschreiben solle – und war in Voraus über Gemma im weißen Kleide und goldener Krone auf dem Haupte entzückt.
»Sie ist mein schönes Kind, schön wie eine Königin,« rief sie mit mütterlichem Stolze, »solche Königinnen gibt es nicht einmal!«
»Eine andere Gemma gibt es nicht auf der Welt!« rief Sanin.
»Ja, darum ist sie auch Gemma« (bekanntlich heißt so italienisch Edelstein).
Gemma warf sich der Mutter zu Füßen . . . sie schien jetzt frei zu athmen – die sie bedrückende Last schien ihr von der Seele genommen zu sein.
Sanin aber fühlte sich so glücklich, sein Herz war von so kindlicher Freude beim Gedanken erfüllt, daß endlich doch die Schwärmereien, denen er noch unlängst in demselben Zimmer sich überlassen, sich verwirklicht hatten, sein ganzes Wesen frohlockte so sehr, daß er sich nach der Conditorei begab; er wollte durchaus, er ließ sich nicht davon abbringen hinter dem Ladentische verkaufen, wie vor einigen Tagen . . .
»Ich habe jetzt volles Recht dazu! ich bin ja Hausgenosse!«
Und er stellte sich wirklich hinter dem Ladentische auf und handelte wirklich, d. h. verkaufte an zwei eingetretene Mädchen ein Pfund Confecten, statt dessen er zwei verabreichte und die Hälfte des Preises nahm.
Beim Mittagessen saß er officiell als Bräutigam neben Gemma. Frau Lenora setzte ihre praktischen Gespräche fort. Emil lachte beständig und bat Sanin, ihn mit nach Russland zu nehmen. Man beschloß, daß Sanin nach zwei Wochen abreisen solle. Pantaleone allein ging finster umher, was sogar Frau Lenora ihm vorwarf: »Und Du noch der Secundant!« – Pantaleone warf ihr einen finsteren Blick zu.
Gemma schwieg beinahe die ganze Zeit über, doch noch nie war ihr Gesicht schöner und leuchtender. Nach dem Mittagessen rief sie Sanin auf einen Augenblick nach dem Garten, und an derselben Bank, wo sie vor drei Tagen die Kirschen auflas, stehen bleibend, sagte sie: »Dimitri, werde nicht böse; doch ich will Dir wiederholen, daß Du Dich nicht für gebunden halten sollst. . . «
Er ließ sie nicht ausreden . . .
Gemma wandte ihr Gesicht ab. »Was aber die Mutter erwähnte – Du erinnerst Dich? – von der Verschiedenheit der Religion – da nimm! . . . «
Sie ergriff ein kleines Kreuzchen aus Granaten, das an feiner Schnur an ihrem Halse hing, zog stark an der Schnur, zerriß sie – und gab ihm das Kreuz.
»Wenn ich Dein bin, so ist auch Dein Glaube —, mein Glaube!«
Die Augen Sanins waren noch feucht, als er mit Gemma in das Haus zurückkehrte.
Gegen Abend kam Alles ins alte Geleise. Man spielte selbst Tresette.
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