Читать книгу: «Paul Guenther und seine Schule in Geithain», страница 3

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1.7 Guenthers soziale Leistungen

Die Ein- und Zweifamilienhäuser in „Germantown“ von Dover, welche von 1900 bis etwa 1920 auf Veranlassung des Fabrikbesitzers Guenther für Arbeiter und Angestellte seiner Betriebe errichtet wurden, stehen fast alle noch und prägen das Stadtbild mit. Sie waren nach modernen Gesichtspunkten, komfortabel und bequem zugleich, gestaltet. Die zunächst vermieteten Häuser konnten von den Bewohnern zu besonders günstigen Bedingungen gekauft werden. Eine Turnhalle mit Räumen für Bowling, Billard, Gymnastik und Tanz entstand ebenfalls in diesen Jahren, wurde sehr lange kommunal genutzt und ist erst in den 1980er Jahren abgerissen worden. Paul Guenther hat die Stadtverwaltung und die Kirche in Dover kontinuierlich finanziell unterstützt. So stellten die Guentherschen Betriebe für die kleine Stadt nicht nur einen wichtigen Wirtschaftsfaktor dar, sondern waren indirekt auch für das kulturelle und gesellschaftliche Leben von Bedeutung. Sein großes Engagement gerade für das Bildungswesen, für religiöse und kulturelle Vereinigungen (z. B. die Deutsche Gesellschaft in New York und die Germanistenvereinigung von Amerika) sowie für Krankenhäuser, z. B. das Dover General Hospital, währte über viele Jahre nach 1900 und endete mit den großzügigen Verfügungen in seinem Testament von 1932. (5, 10, 12)

Das alles war nun keinesfalls selbstverständlich, heute nicht und damals erst recht nicht! Der Unternehmer Paul Guenther in Amerika und seine Art, hartes Management mit sozialem Verantwortungsbewusstsein zu verbinden, ist vielleicht vergleichbar mit dem Wirken von Carl Zeiß und Ernst Abbe in Jena. Natürlich hat es weltweit seit Beginn unseres Jahrhunderts im Verhältnis von Kapital und Arbeit auf den Gebieten Mitbestimmung und Mitbeteiligung sowie bei der sozialen Absicherung der Arbeiter und Angestellten grundlegende Veränderungen gegeben.

Bild 17: Turnhalle für die Angestellten der Guentherschen Fabriken in Dover/N.J., historische Aufnahme

Andererseits bestehen auch heute noch z. B. zwischen Amerika und Deutschland gravierende Unterschiede. Das soziale Netz in Deutschland ist wesentlich enger geknüpft als dort.


Bild 18: Wohnhäuser für die Angestellten, German-District in Dover/N.J., Aufnahme 1996

Kranken- und Arbeitslosenversicherung unter Beteiligung des Arbeitnehmers sind seit Bismarcks Zeiten in Deutschland eine Selbstverständlichkeit. Das gilt für Amerika heute noch nicht – s. Obamas Bemühungen um eine allgemeine Krankenversicherung in den USA – und für die Jahre nach 1900 war es dort völlig undenkbar. Bezeichnend ist auch die Tatsache, dass die Gewerkschaften dort eine andere Entwicklung nahmen und dass es in den USA nie zu einer wirklich handlungsfähigen sozialdemokratischen Partei gekommen ist. Nach wie vor dominiert eine Haltung, jeder könne durch harte Arbeit reich werden und jeder sei seines Glückes Schmied. Die Denkart Paul Guenthers, der ja nun geradezu als Muster des Self-made-Man gelten konnte, ist mit großer Wahrscheinlichkeit ähnlich gewesen. Mit den „Unions“, wie die amerikanischen Gewerkschaften heißen, hatte Paul Guenther nur wenig im Sinn.

Bild 19: Ehemaliger Bürgermeister von Dover, Mr. Willard Hedden mit Gattin, 1991

Bei den Besuchen in Dover 1991 (Herr Sommer) und 1996 (Sommer/Senf) lebten verständlicherweise nur noch ganz wenige Menschen, die Paul Guenther persönlich gekannt hatten. Vom Häusermakler Sidney Schwarz war schon weiter oben die Rede. Der ehemalige Bürgermeister von Dover, Mr. Hedden, 92 Jahre alt, gehörte zu jenen Wenigen. Er überraschte mit der Übergabe des Originalrasierbechers Paul Guenthers (s. S. 176). Auch Mr. Anthony Nazzaro war trotz seines hohen Alters noch recht mobil. Er war als 23-Jähriger bei Guenther beschäftigt gewesen. Über die Begegnung 1991 schreibt Herr Sommer: „Dieser alte Herr hatte mit seinen mehr als 90 Jahren noch so viel Pfeffer, dass ich mir gut vorstellen kann, wie er dem alten Paul Guenther auf die Nerven gegangen ist. Für Guenther waren seine Arbeiter Kinder, für die er vorbildlich sorgte, von denen er aber auch unbedingten Gehorsam verlangte. Nazzaro war einer dieser Menschen, die von ‚Partnerschaft‘ träumten, von Verträgen zwischen freien und gleichberechtigten Menschen. Die Arbeiter der Guentherfabrik in einer ‚Union‘ zu organisieren, war für Nazzaro der erste Schritt zu einer Partnerschaft zwischen Kapital und Arbeit. Für Guenther hingegen war es eine persönliche Beleidigung, als sich seine Arbeiter den jungen Nazzaro zum Vertrauensmann kürten. Er soll in seinem Büro geweint haben.“ (19)

Bild 20: Brief von Anthony Nazzaro vom 28. April 1995

Es ist sehr interessant, wie Herr Nazzaro viele Jahrzehnte nach diesen Ereignissen über seinen damaligen Chef urteilt. Nazzaro hatte sich in den 1930er Jahren selbstständig gemacht und besaß selbst eine Textilfabrik. Achtung und hohe Anerkennung gegenüber seinem einstigen Interessengegner sprechen aus jeder Zeile seines Briefes (22) vom 28. April 1995.

1.8 Der Mensch Paul Guenther

Auch wenn wir heute über Paul Guenthers Leben und Schaffen um ein Vielfaches mehr wissen als noch vor wenigen Jahren, wird keine Beschreibung dieses Menschen je vollständig sein. Eine umfassende und treffende Charakteristik der Person wird erschwert, weil der Wirkungsort so weit entfernt und die Geschehnisse zeitlich so weit zurückliegen. Für die Enkelin Virginia Vanderbilt ist es zwar Familiengeschichte, aber eben zwei Generationen zurückliegend! Frau Vanderbilt war noch ein Kind, als ihr Großvater 1932 starb. Ihre Mutter, Frau Margarethe Guenther, nahm am 4. Juli 1923 an der Grundsteinlegung für die Paul-Guenther-Schule in Geithain teil. Sie starb am 16. April 1973.

Dass der smarte Unternehmer Paul Guenther in seinem Büro geweint habe, als die Arbeiter seines Betriebes den jungen Nazzaro zu ihrem Interessenvertreter wählten, schockiert auf den ersten Blick. Bei näherem Hinsehen wird es jedoch verständlich. Guenther war Mitte der zwanziger Jahre schon über 60 Jahre alt. Spürte er vielleicht in diesem Augenblick, dass er etwas von seiner Macht an einen 23-jährigen Arbeiter abgeben musste? Die Jahrzehnte währende Selbstsicherheit, das Gefühl, durch eigene Anstrengungen viel geschafft und auch anderen Menschen damit geholfen zu haben, wich möglicherweise einer Stimmung in der Art „Undank ist der Welt Lohn“. Die betriebliche Mitbestimmung sowie Tarifverhandlungen zwischen gleichberechtigten Partnern erscheinen heute und hier (Unterschiede zwischen den alten und neuen Bundesländern eingedenk) schon fast selbstverständlich. Ganz anders damals!

Natürlich müssen wir den Menschen und Unternehmer Paul Guenther in seiner Zeit betrachten. Den Typ des Unternehmers, wie er heute etwa in Managerseminaren zur modernen Menschenführung dargestellt wird, gab es früher noch nicht. Autoritäres Auftreten – damals die Regel, heute eher verpönt, weil es bei den Mitarbeitern demotivierend wirkt. Nicht Partnerschaft, sondern vielmehr Patriarchat kennzeichnete das Verhältnis zwischen Vorgesetzten und Untergebenen. Paul Guenther machte hier sicher keine Ausnahme. Die Forderungen an seine Arbeiter, immer und überall gewissenhaft und zuverlässig zu arbeiten, stellte er auch an sich selbst. Aber wer gute Arbeit leistete, sollte auch entsprechend verdienen. Und in den Guentherschen Fabriken wurde gut verdient. So zahlte beispielsweise um 1920 die Swiss Knitting Mill in Dover 13,50 Dollar, während in den Guentherschen Fabriken die Arbeiter 20 Dollar verdienten, jeweils pro 50-Stunden-Woche. (22) In regionalhistorischen Veröffentlichungen wird wiederholt betont, dass es bei Guenther nie Kurzarbeit und in all den Jahren nur einen Streik gegeben habe. Das ist umso bedeutsamer, da gerade in der Textilindustrie um die Jahrhundertwende in den USA extrem harte Arbeitskämpfe ausgetragen wurden. (10)

Paul Guenther war Mitglied zahlreicher Clubs und Gesellschaften:

- Direktoriumsmitglied von fünf bedeutenden Geldinstituten, darunter die National Union Bank in Dover

- Anerkanntes und geschätztes Mitglied der Presbyterian Church in Dover

- Präsident der Eagle Fire Insurance Co. in Newark

- Mitglied des Hamilton Club in Paterson

- Mitglied des Republican Club of New York

- Mitglied des Union League Club of New York

- Ehrendoktor der Princeton University

Bild 21: „Villa Margarethe“, das Haus der Guenthers in Rockaway, West-Main-Street, bei Dover, erbaut 1905 inmitten eines vom Hausherrn angelegten großen Parks

Bild 22: Die einstige Auffahrt zur Villa, Reste der Grundstückseingrenzung, Aufnahme 1996

Bild 23: Ehemalige Auffahrt zur Villa, oben die auf dem einstigen Villengrundstück in den 1950er Jahren erbaute Morris Hills High School, Aufnahme 1996

Bild 24: Das Haus der Bediensteten befand sich in unmittelbarer Nähe der Villa. Es blieb beim Bau der Schule erhalten. Aufnahme 1996


Bild 25: Paul Guenther im Park seiner Villa, um 1925


Bild 26: Tochter Margarethe und Frau Olga Guenther, Anfang der 1920er Jahre, auf Reisen


Bild 27: Herbert Hoover, 31. Präsident der USA von 1929 bis 1933, befreundet mit Paul Guenther

Hoover betätigte sich zeit seines Lebens karitativ und engagierte sich während und nach beiden Weltkriegen erfolgreich für die millionenfache Lebensmittelversorgung der notleidenden europäischen Bevölkerung, was ihm weltweites Ansehen einbrachte.

(www.wikipedia.de, 22.03.2016)

Eine aktive politische Tätigkeit, so etwa in Wahlfunktionen auf Kommunal- oder Landesebene, ist hingegen nicht nachweisbar. Belegt ist seine Freundschaft mit dem ehemaligen Präsidenten der USA, dem Republikaner Herbert Hoover. Das harmoniert mit Paul Guenthers politischen Anschauungen, die eher denen der Republikaner und weniger denen der Demokraten entsprachen.

Die Quellenlage ist leider zu dürftig, um Meinungen bzw. Haltungen Guenthers zur Entwicklung seines Heimatlandes Deutschland herauszufinden. Da ist die aufstrebende Periode bis zum Ersten Weltkrieg, aber auch die Zeit der Revolution, der Inflation und des Versailler Vertrages, der für viele Deutsche ausschließlich das „Versailler Diktat“ war. Mit großer Wahrscheinlichkeit tendierten Guenthers Sympathien weniger zur neuen deutschen Republik als vielmehr zum untergegangenen Deutschen Kaiserreich. Im breiten politischen Spektrum der Weimarer Republik wäre Paul Guenther wohl am ehesten bei den Deutschnationalen anzusiedeln. Es muss leider bei dieser sehr vagen Einordnung bleiben, weil ganz einfach bis dato zu wenig schriftliche Belege vorliegen. Anlässlich der Einweihung seiner Schule in Geithain ließ Paul Guenther am 29. Oktober 1925 folgende Gedanken übermitteln: „Aus Dankbarkeit gegen meine lieben Eltern … aus Anhänglichkeit an meine ferne Heimat und zur Erinnerung an meine schöne Kindheit habe ich für die heranwachsende Jugend der Stadt Geithain … aus eigenen Mitteln ein Volks- und Berufsschulgebäude errichten lassen. … Das gesamte Schulgebäude … ist vom Tage der Einweihung an rechtmäßiges Eigentum der Stadtgemeinde Geithain. Als Stifter knüpfe ich daran folgende Bestimmungen: … Es ist mein Wille, dass die heranwachsende Jugend Geithains von einer Lehrerschaft erzogen wird, die, selbst von vaterländischem Geist durchdrungen, bemüht ist, die Kinder zu echten Deutschen heranzubilden, zu Männern und Frauen, die ihre Zugehörigkeit zum deutschen Volke als eine Ehre empfinden und jederzeit von nationalem Stolze erfüllt sind, damit das deutsche Volk wieder zu der Stellung gelangt, die es unter den Völkern verdient.“ (2)

Solcherart Bildungs- und Erziehungsziele sind dem verständlich, der sie aus ihrer Zeit heraus erklärt. Werten wir sie als Ausdruck echter Vaterlands- und Heimatliebe. Dass obiges Zitat in den vergangenen 90 Jahren so manchem „in den Kram“ passte, ist leider ebenso einsichtig. Man hört förmlich den örtlichen NS-Gewaltigen, der nach 1933 im Dritten Reich das Vermächtnis Paul Guenthers auch in Geithain verwirklicht sah. Nach 1945 nutzten die Propagandisten der anderen Couleur das Zitat wiederum, natürlich für ihre Zwecke. Es diente mit dazu, das „große Schweigen“ über den Schulstifter bzw. den „amerikanischen Kapitalisten“ zu rechtfertigen. Und heute sind Bedenken, dass Teile des Zitats abermals missbraucht werden könnten, leider keineswegs abwegig.

Paul Guenther wäre falsch charakterisiert, würde man ihn als bloßen „Moneymaker“ sehen. Herr Sommer, der sowohl die Geithainer Paul-Guenther-Schule, das Geithainer Milieu der 1940er Jahre als auch Dover sowie die Mentalität der Amerikaner kennt, schreibt: „Paul Guenther war mehr als ein gerissener Bursche, der zu Geld kam, er war auch so etwas wie ein Künstler. Er baute nicht nur irgendeine Schule, sondern eine Schule, die als Ganzes ein Symbol der ‚Bildung‘ ist, des ‚geformten‘ Menschen, der kraft seines Wissens keines Herren Knecht ist. … Diese Schule war einmal ein erstaunliches Gesamtkunstwerk aus Architektur, Bildhauerei, Malerei und farbigem Glas … und zeugt vom weitsichtigen, kunstverständigen Blick des Stifters. … Die Krönung von Guenthers Lebenswerk ist die Paul-Guenther-Schule in Geithain.“ (19)

Das Quellenmaterial zur Geschichte des Schulbaus belegt, wie exakt und gewissenhaft Paul Guenther trotz der großen Entfernung Geithain – Dover bei der Auswahl etwa des Architekten vorging. Ein umfassender Schriftwechsel, Telegramme und unmittelbare Kontaktaufnahmen zeugen von der ständigen Kommunikation zwischen ihm und seinen Beauftragten, z. B. seinem Vetter Hugo Clauß in Chemnitz und Henry Fischer, einem Freund und Mitarbeiter aus Dover. Dass der weit über Sachsen hinaus bekannte Architekt Emil Ebert aus Chemnitz gewonnen wurde, ist keineswegs ein Zufall. Ebert hatte bereits vor dem Kriege mit bedeutenden Schulbauten (z. B. die Reformschule und das Realgymnasium in Chemnitz) auf sich aufmerksam gemacht. In einer Würdigung Eberts (20) heißt es: „Mit sicherem Instinkt weiß er sich den gegebenen örtlichen Bedingungen anzupassen, dem Charakter der Ortschaft und Landschaft, den Sonderheiten des Materials; immer wird man seine Bauten an ihrer heiteren und gemessenen Kraft erkennen. … Die Paul-Guenther-Schule in Geithain scheint mir eine seiner kennzeichnendsten Arbeiten zu sein.“

Viele Geithainer sind sich des künstlerischen Wertes ihrer Schule gar nicht bewusst. Das ist aber in erster Linie auf die Jahrzehnte währende offizielle Missachtung, Vernachlässigung, ja sogar Beseitigung architektonisch wesentlicher Details zurückzuführen. Eine verständnisvolle Auflistung und Publizierung, verbunden mit entsprechenden Restaurierungs- und Pflegearbeiten, ist in den letzten Jahren erfolgt. Das waren Stadt und Schule dem Stifter und dessen Nachfahren sicher schuldig. Die Haltung Paul Guenthers zu geschaffenen Werten – ein Wertebewusstsein fernab jeglicher Wegwerf-Mentalität der heutigen Zeit – soll ein Zitat aus der Urkunde der Bruno-und-Therese-Guenther-Stiftung aus dem Jahre 1919 verdeutlichen. Die Stiftungsurkunde (s. S. 53) umfasst zehn Paragraphen auf acht DIN-A4-Seiten. Sie enthält Festlegungen bis ins Detail: „Sollte einer der Obstbäume eingehen, so hat der Wohnungsinhaber (gemeint ist das Geburtshaus Paul Guenthers, G.S.) einen anderen Baum von derselben Güte neu anzupflanzen, wofür er aber das Holz des alten für sich verwenden kann.“ (18)

Der Eindruck ist sicher nicht falsch, wenn wir Paul Guenther als Mensch zu denen rechnen, die noch die alten Tugenden von Rechtschaffenheit, Redlichkeit, Fleiß und Sparsamkeit verkörperten. Für manche mag der Vergleich Anna Wimmschneider – Paul Guenther weit hergeholt erscheinen. „Ich bin halt eine vom alten Schlag.“ So bezeichnet sie sich in ihrem Buch „Herbstmilch“. Ohne in falsches Pathos zu verfallen, können wir auch Guenter zu jenen „vom alten Schlag“ zählen.

Es sei aber noch einmal ausdrücklich gesagt: Eine umfassende und treffende Beurteilung des Menschen Paul Guenther ist auch nach Jahren intensiver Forschung nicht möglich. Es gibt Meinungen und Ansichten auf der Grundlage vorhandener und zugänglicher Belege. Unter diesem Gesichtspunkt ist abschließend auch die Meinung Herrn Sommers zu sehen, die er in seinem Brief von Anfang Mai 1996 äußert: „Guenther war in seinem politischen Denken konservativ-patriarchalisch, doch hatte er sonst nichts mit den kommenden Nazis gemein. Wäre er nicht schon 1932 gestorben, hätte er sich sicherlich gegen Hitler und seine Bande ausgesprochen. Sein Leben und Werk zeugt von einer tiefen Menschlichkeit und großer Verantwortung wenigen begabten und begünstigten Menschen gegenüber. Als junger Mensch war er selbst einer, der sich schwer einfügte, und er muss gewusst haben, dass alle bedeutenden Menschen Nonkonformisten sind, die sich in gewisser Beziehung ihre eigenen Gesetze schreiben. Die Grenze zwischen einem verantwortungsbewussten Nonkonformisten und einem wilden und undisziplinierten Abenteurer wie Hitler ist offensichtlich. Da kommt auch Nazzaro (s. S. 36, G.S.) wieder ins Spiel. Guenther erkannte den möglicherweise als sein eigenes jugendliches Selbst. Er weinte, weil Nazzaro ihm als Gegner gegenüberstand und nicht als Freund, die Tragik vieler menschlicher Beziehungen.“ (19)

1.9 Besuche in der Heimatstadt

Über Jahrzehnte hinweg ging man in den verschiedensten regionalen Veröffentlichungen zu Geithain davon aus, dass Paul Guenther nach seiner Auswanderung 1890 erst im Jahre 1919 seine Heimatstadt erstmalig besucht hatte. Mit dem Auffinden eines Dokuments im Kirchenarchiv der Nikolaikirche von Geithain (25) vor wenigen Jahren musste hier eine Korrektur vorgenommen werden.

Im Taufregister von St. Nikolai KB 13, S. 72, steht unter Nummer 46: „Tochter Therese Louise Margarethe, geb. 19. Juni 1896 in Paterson, Staat New Jersey (USA), getauft am 3. Juni 1900 in St. Nikolai

Vater: Paul Guenther, Mutter: Auguste Anna Olga, geb. Mechel von Kirchhein/Niederlausitz

Paten:

Bruno Günther, Bretthändler

Otto Polster, Kaufmann in Ölsnitz

Mimi Mechel, Ehefrau des Kaufmanns Karl Mechel in Milwaukee (USA), vertreten durch Frieda Polster, Näherin hier“

Mimi Mechel ist Frau Olga Guenthers Schwägerin, also eine Tante von Margarethe Guenther. Sie reiste nicht zur Taufe aus den USA nach Geithain, ließ sich aber von Tante Frieda Polster vertreten. Diese ist die Schwester von Otto Polster. Die Mechels wohnten zuletzt, d. h. vor ihrer Auswanderung, zwar in Berlin, stammten offensichtlich aber aus der Niederlausitz. Die Eintragung im Kirchenbuch lässt keinen Zweifel an der Feststellung, dass die Guenthers (beide oder nur Mutter Olga?) mit ihrer vierjährigen Tochter Margarethe im Sommer 1900 die Reise nach Geithain zum Zwecke der Taufe angetreten hatten. Der Wunsch nach einem Wiedersehen und einer Taufe in der alten Heimatkirche, zehn Jahre nach ihrer Auswanderung und vier Jahre nach Geburt der Tochter, ist nachvollziehbar, sowohl bei den Eltern in Amerika als auch bei den Großeltern Bruno und Therese Guenther in Geithain. Wie oben (s. S. 28) dargestellt, erlaubten die materiellen Verhältnisse der jungen Familie durchaus eine solche Reise im Jahr 1900. Der Besuch fand statt, ist aber nicht vergleichbar mit den späteren Besuchen Guenthers in seiner Heimatstadt. Schulfreunde und nähere Bekannte in Geithain werden zwar von dem Aufenthalt gewusst haben, er berührte die Geithainer Öffentlichkeit aber nicht weiter.

Wir befinden uns im Jahr 1900! Die ersten Spenden Guenthers und auch deren Veröffentlichung im Geithainer Wochenblatt erfolgten sechzehn Jahre später! Guenther war ganz einfach im Jahre 1900 für Geithain noch „ein Auswanderer“ und noch nicht der spätere „Wohltäter Geithains“.

Drei Jahre später erlitt Vater Bruno beim Obstpflücken einen schweren Unfall, von dem er sich nie wieder erholte. Mutter Therese pflegte ihn über die lange Leidenszeit hinweg bis zu seinem Tod im Jahre 1912. Pfarrer Wagner würdigte in der Trauerrede (32) Leben und Leiden des Toten. Besonders beeindruckend sind darin die Sätze, welche sich auf den Sohn des Ehepaares Guenther beziehen: „So hast Du mit Deinem nun verewigten Lebensgefährten einen langen Ehestand verbracht, in welchem es an manchem Weh und Ach, an Tränen und Seufzern wohl auch nicht fehlte, dessen größter Schmerz es aber doch wohl war, den einzigen Sohn dauernd in weiter Ferne zu wissen. Es ist ja schön, wenn Eltern aus eigener Erfahrung sagen können: ‚Wohl dem, der Freude an seinen Kindern erlebt!‘ Aber es ist doch betrüblich für solche Väter und Mütter, in der und jener besonderen Stunde ihres Lebens ihr Kind nicht bei sich zu haben … Auch in dieser Stunde fehlt er. Vielleicht träumt er drüben in der neuen Welt gerade jetzt von den Tagen seiner Kindheit und ruft im Traume seinen Vater, wie dieser in seinen letzten Krankheitstagen mehrmals im Traum oder Fieberwahn den Sohn gerufen hat.“

Bild 28: Widmung in der Trauerschrift

Aus heutiger Sicht stellt sich die Frage, warum Paul Guenther die Reise zur Beisetzung seines Vaters nicht angetreten hat. Heute dauert die Reise von New York nach Frankfurt/M. nur wenige Stunden, während damals mit vielen Tagen bis Wochen zu rechnen war. Es muss auch beachtet werden, dass eine Beerdigung nach den damals geltenden Gesetzen innerhalb weniger Tagen nach Eintritt des Todes zu erfolgen hatte. Die Trauerfeier fand am Pfingstsonntag des Jahres 1912 statt. Die Grabrede erschien gedruckt (Druckerei August Wiedner, Geithain) im Juli jenes Jahres mit obiger Widmung.

Therese Guenther lebte noch sieben Jahre lang als Witwe in Geithain. Zwischen ihr und dem Sohn bestanden briefliche Verbindungen. In Geithain lebten viele Verwandte, sowohl eigene als auch Geschwister ihres Mannes mit deren Familien. Sie freute sich an den Erfolgen ihres Sohnes in der Neuen Welt und an den Veröffentlichungen im Geithainer Wochenblatt über seine ersten Spenden für Geithainer Kriegerwitwen und Waisenkinder. Zu gegenseitigen Besuchen kam es, auch durch die vier Jahre Krieg bedingt, nicht. Am 18. November 1918 starb Therese Guenther im Alter von knapp 80 Jahren. Nun, zu Ende des Krieges und in den Wirren der Revolution, wundert es nicht, dass zur Beerdigung zwar viele Verwandte, darunter auch Cousin Oberlehrer Clauß aus Chemnitz (s. S. 67), später die „rechte Hand Guenthers beim Schulbau“, kamen, nicht aber der Sohn aus dem fernen Amerika.

„Sofort nach Wiederaufnahme des unmittelbaren Dampferverkehrs mit Deutschland reiste ich … im November 1919 in meine Heimatstadt.“ (18) Nach Jahren traf er sich mit den vielen Verwandten in Geithain und in der Chemnitzer Gegend. Auch „offizielle“ Treffen mit Geithains Bürgermeister Dr. Focke und Stadträten fanden statt. Man bedankte sich natürlich für die Spenden Guenthers während der Kriegsjahre. Neu aber – und für Stadt, Kirche und Schule von höchster Bedeutung – ist die Mitteilung Guenthers, eine Stiftung zu errichten. „Ich reiste in meine alte Heimat, um meinen Landsleuten Hilfe zu bringen. Diese Hilfe sollte aber keine vorübergehende sein. Ich errichtete deshalb zugunsten meiner Vaterstadt eine Stiftung und bestimme über deren Verfassung und Verwaltung Folgendes: … 1. Die Stiftung führt zum Andenken an meine Eltern den Namen Bruno-und-Therese-Guenther-Stiftung.“ (18, mehr zur Stiftung s. S. 53 ff.). Nach diesem Besuch wurden die Verbindungen zwischen Geithain und Guenther wesentlich intensiver. Mit dem folgenreichen Brief des Schulleiters Petermann vom 22.08.1922 an Guenther begann die noch bedeutsamere Phase der Spenden- und Stiftertätigkeit Paul Guenthers. Der Schulbau wird im Kapitel 2.2 gesondert beschrieben. In diesem Abschnitt stehen die Besuche aus Amerika in Geithain im Mittelpunkt.

Zur Grundsteinlegung der Schule am 4. Juli 1923 reiste Tochter Margarethe nach Geithain, überbrachte die Grüße ihres Vaters und wünschte für die nächsten Monate gutes Gelingen. Alle, sowohl Paul Guenther selbst als auch die Geithainer, rechneten fest damit, dass der Schulstifter an der reichlich zwei Jahre später erfolgten Schulweihe teilnehmen würde. Zum Ablauf der Weihefeier steht in der Weiheschrift (1) u. a. der Satz: „Übergabe des Hauses an den Vertreter der Stadtgemeinde Geithain, Herrn Bürgermeister Dr. Focke, durch Herrn Paul Guenther.“ Die Festschrift zur Feier am 29. Oktober 1925 war natürlich vor diesem Termin gedruckt worden. Es wird Oberlehrer Clauß nicht leicht gefallen sein, bei der Begrüßung der Festversammlung das Telegramm Paul Guenthers „… bedaure unendlich meine Abwesenheit …“ verlesen zu müssen. Dringende geschäftliche Gründe erlaubten keine lange Reise nach Deutschland. Nun musste Clauß auch die laut Programm dem Schulstifter zugeschriebenen Parts stellvertretend übernehmen.

Drei Jahre nach der Schulweihe ist es wieder Tochter Margarethe, inzwischen Frau Margarethe Osgood, die Geithain am 18. Oktober 1928 einen Besuch abstattet und die Ehrungen der Stadt für den Schulstifter entgegennimmt. Über den Ablauf des Besuchstages existiert ein anschaulicher Bericht (33):

„Unsere Paul-Guenther-Schule prangte am Donnerstag im Flaggenschmuck anlässlich des Besuches der Tochter des Schulstifters aus Amerika. Um 11 Uhr fand die Begrüßung von Frau Margarethe Osgood, die von Herrn Oberlehrer Clauß aus Chemnitz, dessen Gemahlin und Schwester begleitet war, im Amtszimmer des Schulleiters statt, wobei Herr Direktor Petermann erwähnte, dass fast 400 Mütter aus Geithain und Umgebung ihre Kinder täglich in diese schöne Schule schickten, in dem Bewusstsein, dass sie in solchen Räumlichkeiten gut aufgehoben seien und dass die Stadt diese herrliche Stiftung der Großherzigkeit ihres Vaters zu verdanken habe. Anschließend erfolgte eine Vorstellung des Lehrerkollegiums im Lehrerzimmer. Ins Gästebuch trug hier Frau Osgood ein: ‚Zur freundlichen Erinnerung an meinen Besuch in der Paul-Guenther-Schule. Ich bin stolz darauf, was mein guter Vater hier geschaffen hat.‘ Alsdann wurden dem Besuch im Festsaal die Kinder vorgestellt. Die Klassenerste der Konfirmandinnen, Ilse Meinel, überreichte dabei einen Blumenstrauß, worauf Herr Kantor Andreas mit seinem Schulchor einige Heimatlieder bot. Nachdem sich Frau Osgood bei den Kindern bedankt hatte, trat sie einen Rundgang durch das Schulhaus an. Besonderes Interesse widmete sie hierbei dem Handarbeitssaal, dem Gesangszimmer und dem Bad. In der Berufsschule besichtigte sie die Schulküche und den Speisesaal und kostete vergnügt von dem Gebäck, das Frau Roppenecker mit ihren Kochschülerinnen in aller Eile, aber wohl gelungen, hergestellt hatte. Nach beendigtem Rundgang erfolgte eine fotografische Aufnahme vor dem Eingang des Schulgebäudes.

Nachmittags vier Uhr trug Konzertsängerin Susanne Petermann in schöner Vollendung den Weihegesang ‚Halleluja‘ von Hummel vor, der zur Schulweihe dargeboten worden ist. Auf allseitigen Wunsch sang sie noch das Lied ‚Der Vogel im Walde‘ von W. Taubert mit Koloraturen, auf dem Flügel begleitet von Herrn Oberlehrer Clauß.

Gegen 6 Uhr stellten sich die Kinder vor der Schule zu einem Lampionumzuge, der unter Klängen einer Musikkapelle (Musikvereinigung Geithain) seinen Weg durch die Eisenbahn- und Bahnhofstraße auf den Markt nahm. Hier hielt Herr Schuldirektor Petermann an Frau Osgood, die auf dem beleuchteten Eckbalkon des Hotels ‚Stadt Altenburg‘ stand, folgende Ansprache:

‚Hochgeehrte gnädige Frau! Die Jugend Geithains huldigt Ihnen. All die brennenden Lichter sind Flammen der Dankbarkeit und Verehrung für das Haus Guenther. Herr Guenther hat uns in seiner Heimatliebe und Herzensgüte das herrliche Schulhaus geschenkt, das wir täglich mit immer neuer Freude betreten. Möge es dem Hause Guenther wohl ergehen! Es lebe hoch!‘

Die Lampions bildeten auf dem Marktplatz ein reizvolles Bild. Am Schluss brachten die Kinder ein dreifaches Hoch auf das Haus Guenther aus, worauf sich der Zug auflöste. Unsere Schuljugend aber wird noch lange von dem ereignisvollen Tag erzählen. Abends halb 10 Uhr fuhr Frau Osgood nach Chemnitz zurück, nachdem sie sich wiederholt über ihren Aufenthalt in Geithain sehr befriedigt ausgesprochen hatte. Sie ist gewillt, im nächsten Jahre mit ihrem Vater Geithain zu besuchen. Die Dame wird sich in einigen Tagen nach Berlin begeben und Anfang November zu ihrem Gatten nach Amerika zurückreisen.“

Der im Bericht angekündigte Besuch Paul Guenthers in Geithain erfolgte tatsächlich ein Jahr später, am 19. September 1929, abermals ein Donnerstag. (6) Nach einem Kuraufenthalt in Deutschland kam er nach Chemnitz und Geithain. Dem Besuch in der Schule schloss sich eine Kutschfahrt durch die Stadt in Begleitung des Bürgermeisters Dr. Rudolf Focke und des Schulleiters Petermann an. „Mit besonderer Rührung las der Auswanderer in den alten Kirchenregistern von seiner Geburt und Konfirmation. Ein eindrucksvolles Ende fand der unvergessliche Tag mit einem gewaltigen Fackelzug von 600 Schulkindern.“ (15) Eine Reihe älterer Geithainer (Werner Pechstein, Elsbeth Ladegast, Frau Rademann, Manfred Wermann u. a.) erinnerten sich in Gesprächen um 1995 an die Rede des Schulstifters vom Balkon des Hotels „Stadt Altenburg“. Dass sowohl die Tochter Margarethe 1928 als auch Paul Guenther ein Jahr später den Besuch in Geithain mit einem Besuch der Verwandten und Bekannten in der Chemnitzer Gegend verbanden, ist sehr verständlich. Hier war von 1878 bis 1890 sein Lebensmittelpunkt.

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23 декабря 2023
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9783960086444
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