Das einfache Leben

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Из серии: Klassiker bei Null Papier
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Doch fühl­te Tho­mas sich nun durch die­se kind­li­che Erin­ne­rung über die Schran­ken des Al­ters und des Ran­ges leich­ter hin­weg­ge­ho­ben und glaub­te auch alle Wun­der­lich­kei­ten, auf die er vor­be­rei­tet war und de­ren An­fang er nun schon er­fah­ren hat­te, gu­ten Mu­tes über­ste­hen zu kön­nen.

»Hei­ßen Orla?« frag­te die hei­se­re Stim­me, die die Wor­te wie aus ei­ner Ge­wehr­mün­dung her­vors­tieß.

»Ja­wohl, Herr Ge­ne­ral.«

»Ge­dient?«

»Ja­wohl, Herr Ge­ne­ral.«

»De­ko­riert?«

»Ja­wohl, Herr Ge­ne­ral.«

Eine klei­ne Pau­se trat ein, in der der Ge­ne­ral fort­fuhr, sei­nen Be­su­cher gleich­sam durch­boh­rend zu be­trach­ten, nicht etwa aus Miss­trau­en, son­dern aus ei­ner al­ten Übung, die sich ihm vor der er­starr­ten Front un­zäh­li­ger Sol­da­ten­ko­lon­nen als nütz­lich er­wie­sen ha­ben moch­te. Tho­mas war über­zeugt, dass er ein Wai­sen­kind oder ein neu­ge­bo­re­nes Kalb im Stall auf ge­nau die glei­che Wei­se zu be­trach­ten pfleg­te, blieb also un­ver­än­dert in sei­ner gu­ten Hal­tung und wich den blau­en Blit­zen nicht für eine Atem­län­ge aus.

»Gru­ber er­zählt«, fuhr die hei­se­re Stim­me fort, »Steu­er­mann, Ska­ger­rak und der­glei­chen. Miss­trau­isch ge­gen al­les See­fah­ren­de. An­fang mit Schan­de ge­macht. Hof­fe, Re­gel durch Aus­nah­me be­stä­tigt se­hen. Hier nur brau­chen, was in Ge­sin­nung und Hal­tung zu­ver­läs­sig. Zu … ver … läs … sig! Ver­stan­den?«

»Ja­wohl, Herr Ge­ne­ral.«

»Gut … Vor­gän­ger Esel. Gü­ter­tei­lung, Welt­frie­de, rote Fah­ne und der­glei­chen. Kein Lump, aber Esel. Auf Bar­ri­ka­den fal­len. Glo­rio­se Zei­ten für Lum­pen und Esel. In­sel Stütz­punkt Was­ser­sei­te. Vor dem Fein­de fal­len, wenn nö­tig, ver­stan­den?«

»Ja­wohl, Herr Ge­ne­ral.«

Nach die­ser Ver­si­che­rung ent­spann­te das dro­hen­de Ge­sicht sich ein we­nig, und eine zwei­te Pau­se trat ein, in der Tho­mas sich zu er­in­nern ver­such­te, wel­cher der preu­ßi­schen Kö­ni­ge die­se Re­de­wei­se ge­liebt hat­te. Doch be­gann nun, als er des wei­te­ren Ver­lau­fes si­cher war, die In­sel sich wie­der zwi­schen sei­ne Ge­dan­ken zu schie­ben, und un­ver­mit­telt über­kam ihn nach die­sen ru­he­lo­sen und von frem­den Bil­dern über­la­de­nen Ta­gen das war­me Ge­fühl tröst­li­cher Ge­bor­gen­heit, eine glück­li­che Mü­dig­keit, die da­nach ver­lang­te, den Schein des Herd­feu­ers auf den dunklen Boh­len zu se­hen und den Wind um das Rohr­dach ge­hen zu hö­ren.

Zu­vor aber hat­te er noch ein­mal sei­ne Wor­te mit Be­dacht zu wä­gen, um die et­was zö­gern­den Fra­gen des Ge­ne­rals nach Schul­bil­dung, Rei­sen und Fa­mi­li­en­ver­hält­nis­sen zu be­ant­wor­ten; emp­fing dar­auf sei­ne Dienst­an­wei­sung, die sich auf den Jagd­schutz er­streck­te, und un­ter­schrieb schließ­lich den kur­z­en Ver­trag, den sein Bro­therr nach ei­nem al­ten, schon ver­gilb­ten Mus­ter mit großen, al­ter­tüm­li­chen Buch­sta­ben auf­setz­te und ihm hin­schob.

Tho­mas las, was er an Rech­ten und Pf­lich­ten be­sit­zen wür­de, an Geld­lohn und »Na­tu­ra­li­en«, er­fuhr, dass Mehl, Kar­tof­feln und Win­ter­obst ihm zu­stän­den, wo­bei er das letz­te be­son­ders be­mer­kens­wert fand, dass »ein grau­er Fi­scher­rock nebst ei­nem Paar Was­sers­tie­feln, so bis über die Knie zu zie­hen«, ihm jähr­lich zu­kämen und dass er »al­le­zeit in Treue zu sei­ner Herr­schaft zu ste­hen« habe, wie auch die­se ge­lob­te, ihn »in Be­dürf­nis­sen des Lei­bes und der See­le gut und ge­ach­tet zu hal­ten«. Schi­en ihm also, als er dies lang­sam ge­le­sen hat­te, dass der Ver­trag wohl aus der Zeit je­nes wort­kar­gen Kö­nigs stam­men moch­te, dass aber gleich­wohl Rüh­ren­des in die­sen al­ten Wen­dun­gen lie­ge, mehr als er sonst in Ver­trä­gen mit Haus­wir­ten oder Mie­tern er­fah­ren hat­te, und als er noch ein­mal, be­vor er die Fe­der an­setz­te, in die Au­gen des al­ten Man­nes sah, wuss­te er, dass die­ser Ver­trag noch nie­mals mit bes­se­rem Wil­len und viel­leicht auch mit tiefe­rer Be­rech­ti­gung un­ter­schrie­ben wor­den war als eben nun.

Eine fes­te, brei­te Hand streck­te sich ihm über die Tisch­plat­te ent­ge­gen, und als er auf­sprang und sie er­griff, war es ihm, als könn­te er für die­sen al­ten, wun­der­li­chen Mann, um den eine ver­gan­ge­ne Zeit gleich­sam wie eine Rüs­tung stand, gern, »wenn nö­tig«, vor dem Fein­de fal­len.

»Gute Hal­tung!« sag­te die dro­hen­de Stim­me. »Gleich ge­sehn. Gut aus­kom­men.«

Sie tra­ten an den Ge­wehr­schrank, und der Ge­ne­ral zeig­te ihm die klei­ne Büch­se und Dop­pel­flin­te, die er ihm ins Forst­haus schi­cken wer­de. »Dem Esel ab­ge­nom­men«, sag­te er. »Auf Ei­che ge­stan­den und auf ›Blut­sau­ger‹ ge­war­tet. Bei ar­men Leu­ten Auge mal zu­drücken, bei Lum­pen Fin­ger krumm ma­chen! Den­ken, dass Ei­gen­tum auf­ge­hört hat. Zucht und Ord­nung hal­ten! Selbst dar­in groß ge­wor­den. Sol­dat blei­ben auch im Fi­scher­rock, ver­stan­den?«

»Ja­wohl, Herr Ge­ne­ral.«

Sie ver­ein­bar­ten, dass Tho­mas den Dienst in vier­zehn Ta­gen an­tre­ten soll­te, mit dem Fisch­fang aber nicht vor dem Mai zu be­gin­nen sei. »Mal auf In­sel be­su­chen«, schloss der Ge­ne­ral und streck­te noch ein­mal sei­ne Hand aus. »Kein Welt­meer her­um, aber gu­tes Was­ser. Nicht schlech­tes­te De­vi­se: ›Ich dien.‹«

Dann war Tho­mas ent­las­sen. Der fri­de­ri­zia­ni­sche Rie­se lehn­te schwer­mü­tig an der Ka­no­nen­mün­dung, und Tho­mas hat­te ihn im Ver­dacht, mit sei­ner Nase be­schäf­tigt ge­we­sen zu sein. Doch half er ihm freund­lich in den Man­tel.

»Un­be­quem?« frag­te Tho­mas und deu­te­te auf die Uni­form.

»Nein, Herr, bloß im Dorf ru­fen sie ›Kas­per­le‹ und schmei­ßen mit Pfer­de­äp­peln.« Er lä­chel­te me­lan­cho­lisch und be­glei­te­te den Gast zur Tür.

»Da­mals«, sag­te Tho­mas und zeig­te auf das wei­ße Ban­de­lier,4 »ha­ben sie noch mit an­de­ren Din­gen ge­wor­fen …«

»Ja­woll, Herr, und ich krie­ge sie schon noch ein­mal!«

Als er die Tür öff­ne­te und Tho­mas hin­austrat, kam ein schwarz­ge­klei­de­tes Mäd­chen die Stein­trep­pe her­auf­ge­stie­gen. Es war viel­leicht drei­zehn Jah­re alt, hielt sich sehr ge­ra­de und warf eben mit ei­ner Kopf­be­we­gung das Haar zu­rück, das ihm lose bis auf die schma­len Schul­tern fiel. Ein jun­ger, ha­ge­rer Mann mit ei­ner Bril­le, eben­falls in Schwarz ge­klei­det, be­en­de­te eben einen Satz, aus dem Tho­mas ent­nahm, dass von der Stel­lung der ger­ma­ni­schen Frau im Al­ter­tum die Rede ge­we­sen war.

Bei­de blie­ben ste­hen und sa­hen Tho­mas an, der jun­ge Mann zer­streut und noch mit sei­ner Be­weis­füh­rung be­schäf­tigt, das Mäd­chen auf­merk­sam und ohne Ver­le­gen­heit.

Tho­mas woll­te mit ei­ner leich­ten Ver­nei­gung zur Sei­te tre­ten, doch blieb er ste­hen, nahm den Hut ab und sag­te zu bei­den ge­wen­det, er sei Tho­mas Orla, der neue Fi­scher.

Wäh­rend der jun­ge Mann sich über­rascht ver­beug­te und einen un­ver­ständ­li­chen Na­men mur­mel­te, neig­te das Kind auf eine al­ter­tüm­li­che Wei­se den Kopf, ohne die Au­gen von sei­nem Ge­sicht zu las­sen, und frag­te: »Wie heißt du?«

Tho­mas wie­der­hol­te sei­nen Na­men.

»Ist das ein Name aus ei­nem Mär­chen­buch?«

Nein, das sei sein wirk­li­cher Name.

Das Kind ließ die lin­ke Hand nach­denk­lich über die schwar­ze Holz­per­len­ket­te glei­ten, die es um den Hals trug. »Ich hei­ße Ma­ri­an­ne von Pla­ten«, sag­te es. »Alle Mäd­chen hei­ßen so bei uns. Und das ist mein Leh­rer, Herr Ber­gen­grün … aber ›Or­la‹ habe ich noch nie­mals ge­hört … wirst du mit Chri­stoph zu­sam­men fi­schen?«

Nein, Chri­stoph gehe fort. Er wer­de al­lein auf der In­sel le­ben.

Chri­stoph sei ein ar­mer Mann, sag­te das Kind. Er habe im­mer böse zu ihr sein wol­len und sei im­mer freund­lich ge­we­sen.

Ob es nicht bes­ser sei als um­ge­kehrt, frag­te Tho­mas.

Das wohl, aber am bes­ten sei es doch, freund­lich sein zu wol­len und es auch zu sein, nicht wahr?

Da habe sie si­cher­lich recht.

»Herr Ber­gen­grün«, fuhr Ma­ri­an­ne fort, »sagt im­mer, alle Men­schen sind an­ders, als sie aus­se­hen. Aber ich glau­be das nicht. Herr Ber­gen­grün sieht im­mer aus wie ein auf­ge­schreck­ter Wich­tel­mann, und so ist er auch, nicht wahr, Herr Ber­gen­grün?« Ein lei­ses Lä­cheln be­weg­te ih­ren Mund, und sie leg­te ihre rech­te Hand mit ei­ner zärt­li­chen Be­we­gung auf den Arm des ver­le­ge­nen Kan­di­da­ten.

»Das sind so un­se­re Scher­ze«, sag­te er ent­schul­di­gend, »doch wür­de es uns wohl tun, wenn wir dann und wann auf die In­sel kom­men könn­ten. Mit Chri­stoph hat­te es sei­ne Son­der­hei­ten …«

Mit dir auch, mein Gu­ter, dach­te Tho­mas und sag­te, dass es ihn freu­en wer­de, sie bei sich zu se­hen.

»Und wirst du dort wirk­lich fi­schen?« frag­te das Kind.

»Ja, ich habe Chri­stoph ge­sagt, dass ich den Fisch mit der gol­de­nen Kro­ne fan­gen wer­de.«

»Gibt es den?«

»Die Mär­chen sa­gen es.«

»Und dann?«

»Dann will ich ihn dir schen­ken.«

Sie at­me­te ein­mal tief auf, und Tho­mas sah, wie die Per­len­schnur über der zar­ten Keh­le sich ein­mal be­weg­te.

Dann ver­neig­te er sich ernst­haft wie vor­her und stieg die Trep­pe hin­un­ter.

Im Wal­de erst, als er sei­ne Pfei­fe stopf­te, kam ihm zum Be­wusst­sein, dass es nun ge­sche­hen war, ja dass er dar­über hin­aus ge­lobt hat­te, vor dem Fein­de zu fal­len, wenn es nö­tig sei, und eine gol­de­ne­ne Kro­ne zu ver­schen­ken, wenn er sie ge­wän­ne.

Er saß auf ei­nem Baum­stumpf in der Son­ne und be­gann zu rech­nen. Er war im­mer or­dent­lich in die­sen Din­gen ge­we­sen und wuss­te, was ei­nem Mann an Brot, an Fleisch, an Ta­bak und Klei­dung zu­kam. Er wuss­te auch, was er hier nicht brau­chen wür­de und wo die Gren­ze zwi­schen ge­woll­ter Ein­fach­heit und er­zwun­ge­ner Ärm­lich­keit lag. Es zeig­te sich, dass sei­ne Pen­si­on den Sei­ni­gen ohne Ab­zug blei­ben konn­te und dass ihm je­den Mo­nat eine ge­rin­ge Sum­me üb­rig­blei­ben wür­de, um ein paar Bü­cher zu kau­fen oder einen Gar­ten an­zu­le­gen. Dass also selbst in dem grau­en Hau­se Schön­heit oder Freu­de ein­keh­ren dürf­ten, wenn ihn da­nach ver­lang­te. Ja, dass er so­gar Gäs­te mit An­stand wür­de auf­neh­men kön­nen, das ernst­haf­te Fräu­lein, das wahr­schein­lich aus ei­nem Gol­d­rah­men in der Hal­le her­un­ter­ge­stie­gen war, und den bib­li­schen Beglei­ter, der so fei­er­lich sprach, als wäre er schon mit den Erz­vä­tern durch die Wüs­te ge­zo­gen.

 

Er sah nun al­les so weit, als hät­ten sich Jah­re da­vor­ge­scho­ben: das Haus mit den Kie­fern im Vor­gar­ten, die don­nern­den Züge der Un­ter­grund­bahn, den Strom mit den Schiffs­lam­pen, ver­trau­te und frem­de Ge­sich­ter. Er be­dach­te, wie leicht es war, sich von al­lem zu lö­sen, au­ßer von dem Kin­de, und er­schrak dar­über. Ein brü­chi­ges Ge­we­be, das un­ter den Hän­den zer­fiel. Es konn­te nicht nur so sein, dass er von al­lem Ab­schied ge­nom­men hat­te, als sie aus­fuh­ren da­mals, in den ers­ten Näch­ten des großen Krie­ges, dass sie die Fä­den auf­ge­löst hat­ten, die sie mit der Zeit ver­ban­den. Denn sie woll­ten doch wie­der­keh­ren, das hat­ten sie doch alle ge­hofft. Aber es war wohl so, dass sie nun mit an­de­ren Au­gen wie­der­kehr­ten, er we­nigs­tens, und die alte Welt ih­nen selt­sam ver­än­dert war, Men­schen, Mei­nun­gen, selbst das Ge­lieb­tes­te der Erde. Das alte Glück war kein Glück mehr, ein wel­ker Strauß stand da, und man ging um ihn her­um, sah, dass es nicht an Was­ser fehl­te, nicht an Son­ne, und doch blieb er welk. Dies war es: der wel­ke Strauß! Man warf ihn nicht fort, wo die fri­schen Blu­men wuch­sen, ganz an­de­re und noch un­be­kann­te, und den an­de­ren schi­en er auch nicht welk, son­dern glü­hend und leuch­tend wie zu­vor. Sie sa­hen den Wurm nicht, aber er sah ihn. Et­was muss­te falsch ge­we­sen sein, von An­fang an, aber er konn­te es nicht er­klä­ren. Er hat­te ge­fühlt, dass er den Bo­den ver­lor, und nichts war da, an das er sich klam­mern konn­te.

Nun also wür­de er fort­ge­hen, und nur als von ei­nem Nar­ren wür­de von ihm ge­re­det wer­den. Sein Va­ter wür­de es wis­sen, aber sein Va­ter war tot. Man muss­te es nun al­lein wis­sen. Sich abends mit fro­hem Her­zen nie­der­le­gen kön­nen, das war viel­leicht das gan­ze Ge­heim­nis. Froh, wenn man an den ge­we­se­nen Tag, und froh, wenn man an den kom­men­den Tag dach­te. Kei­ne Er­leb­nis­se, kei­ne Hel­den­rol­le, kein Glanz um die Stirn. Die Net­ze aus­le­gen und wie­der ein­zie­hen, Haus und In­sel sau­ber­hal­ten, ein paar Sei­ten le­sen und abends am Was­ser sit­zen und in die Ster­ne se­hen. Den Ver­trag er­fül­len, den man un­ter­schrie­ben hat­te.

Wann war er froh ge­we­sen zur Nacht? Er leg­te Jahr auf Jahr bei­sei­te und kam wie­der bis zu sei­ner Kin­der­zeit. Der Va­ter, der gute Nacht sag­te, das of­fe­ne Fens­ter, durch das die lei­sen Geräusche des Guts­ho­fes ka­men, der Zi­gar­ren­rauch aus dem Ne­ben­zim­mer, wo der Va­ter noch über den Rech­nungs­bü­chern saß oder in ei­nem Band Fon­ta­ne las. Die Bil­der, die sich im­mer mehr ver­wirr­ten … der Wei­zen­schlag mit der bren­nen­den Son­ne … der Wald­see mit den al­ten Hech­ten … das Pferd, das er ritt, im­mer mit et­was klop­fen­dem Her­zen … die Uhr auf dem Hof, die ihre Schlä­ge über die neb­li­gen Fel­der schick­te, und der letz­te Schlag tön­te lan­ge nach, Wel­le auf Wel­le, im­mer mehr erster­bend … fro­hen Her­zens, so war er ein­ge­schla­fen und wie­der auf­ge­wacht.

Aber dann nicht mehr. Nicht als Ka­dett und nicht als Leut­nant. Dienst und Pf­licht im­mer wie eine Rüs­tung auf der Brust, und manch­mal schmerz­te die Rüs­tung … die Se­gel, der Mast­korb und dann die Ge­schüt­ze, die Na­vi­ga­ti­on, Zah­len, For­meln, Kur­ven, Rech­nun­gen, Ge­sich­ter, die fei­er­lich oder höh­nisch oder spöt­tisch wa­ren … und dann der Krieg, Men­schen­le­ben und Boo­te, die in sei­ner Hand la­gen, und die Hand war nicht im­mer stark, nein, nicht im­mer … kein fro­hes Herz, auch nicht un­ter den Ka­me­ra­den, ein Son­der­ling, still, scheu, ver­schlos­sen … der Krieg, ein bit­te­res Hand­werk, ohne Glanz, tö­ten und ver­nich­ten … und dann das Ende und die Lee­re der Tage und Näch­te, wie ein Brett auf dem Ozean, auf … ab. auf … ab … wie ein Ge­schwätz …

Dies aber war gut, die ho­hen, grau­en Stäm­me, ernst wie Mas­ten; die Wip­fel, aus de­nen der Dampf ver­gan­ge­nen Re­gens stieg; der Specht, der hin­ter dem Hü­gel häm­mer­te, flei­ßig wie ein ein­sa­mer Haus­va­ter; der See, der durch die Bäu­me blitz­te, und Vö­gel rie­fen über sein Glän­zen hin; Wol­ken, hoch im blau­en Raum, durch den die Kei­le der Kra­ni­che sich dräng­ten. Gut und still. Alte Ge­set­ze, de­nen die Krea­tur ge­horch­te, die den Tag ein­schlos­sen und die Nacht. Krieg auch hier, Lei­den auch hier, aber aus Ge­setz und nicht aus Will­kür.

Und der Ver­trag, der ihn ein­schloss in die­se Welt, der ihm die Stun­de er­füll­te und die ge­öff­ne­ten Hän­de. Ein ein­fa­ches Werk, in dem die Rä­der sich kreuz­ten und über­schnit­ten, ein Werk, das nichts brauch­te als Fleiß und gu­ten Wil­len und Ge­hor­sam vor der Ord­nung der Din­ge. Zu er­fül­len auch von de­nen, die noch die al­ten Waf­fen tru­gen, de­ren Sinn nach dem Ein­fa­chen trach­te­te, weil sie fremd wa­ren im Ver­wi­ckel­ten der Zeit. Die ein Dach woll­ten, einen Herd, eine Ar­beit und ein fro­hes Herz.

Es fiel ihm ein, dass er die Mön­che im­mer ge­liebt hat­te, ob­wohl er an­de­ren Glau­bens war. Die aus der al­ten Zeit, die den Wald ur­bar mach­ten und beim Ker­zen­licht die großen Buch­sta­ben auf gel­be Per­ga­men­te mal­ten. Die das Schwert nah­men, wenn es um den Acker ging oder um Gott, aber es wie­der fort­stell­ten, wenn der Acker und Gott ge­ret­tet wa­ren. Fern rausch­te ih­nen die Welt, ein Strom hin­ter Wei­den, aber sie woll­ten nichts von ihr. Sie woll­ten den Pflug und das Bild der Hei­li­gen Mut­ter und den Ker­zen­schein über der wei­ßen Zel­len­wand. Sie woll­ten sein wie die Stei­ne auf dem Grund, und das Werk ih­rer Hän­de sprach im­mer noch, hin durch die Jahr­tau­sen­de. Kein ver­ta­nes Le­ben, kein Aufruhr, kein Ge­schwätz. Ge­treue Knech­te, die un­ter Stein­plat­ten schlie­fen, aber der Haus­va­ter hat­te ihre Na­men ge­sam­melt und be­wahrt.

Wenn sie äl­ter ist, dach­te Tho­mas und stand auf, wird sie wis­sen, dass die gol­de­ne Kro­ne un­sicht­bar ist, und viel­leicht wird auch Joa­chim es wis­sen. Dass es nur das Letz­te des Le­bens ist, sein wah­rer Sinn, her­auf­ge­zo­gen mit dem Netz, an dem das Le­ben ge­spon­nen hat. Güte und Weis­heit und nichts ha­ben wol­len. Frie­den schlie­ßen, aber den Frie­den, hin­ter dem kein Krieg mehr steht … viel­leicht ge­win­ne ich es, dass ich es ih­nen zei­gen kann, nur ihr und ihm … zwei Men­schen sind schon viel, und ich selbst bin der drit­te … drei … was für eine große Zahl, was für eine Rie­sen­zahl für eine Men­schen­hand … Es war schwer, das Kind dort zu las­sen, schwe­rer als al­les an­de­re, aber es gab Wege, die man ohne Kin­der ge­hen muss­te, ohne Frau und auch ohne Kind. Erst muss­te man fest ste­hen wie der Mann im Zir­kus, be­vor man Frau und Kind auf sei­ne Schul­tern he­ben konn­te. Und er wür­de Joa­chim bei sich ha­ben, ein paar­mal im Jahr. Er wür­de ihn er­fül­len mit dem, was er in­zwi­schen ge­won­nen ha­ben wür­de. Er wür­de ge­treu­lich tei­len. Nur das Ge­rings­te wür­de er für sich selbst be­hal­ten wol­len. Er ging schon zu Tal, aber das Kind wür­de fort­zu­set­zen ha­ben, in das neue Le­ben hin­ein …

Der Förs­ter stand am Zaun und wink­te ihm. »Ein gu­tes Jahr, lie­ber Herr. Die Saat steht schön, und auf der In­sel wird es wie­der le­ben­dig sein. Ein Geist hat da ge­wohnt, und nun zieht der Mensch wie­der ein. Ein gu­tes Jahr …«

Sie hat­ten ein schweig­sa­mes Mahl, und dann war Tho­mas den gan­zen Nach­mit­tag auf dem Was­ser. Er fuhr das Ufer ab. Bucht für Bucht und Schilfrand nach Schilfrand. Er be­trach­te­te den Grund, Sand und Moor, See­ro­sens­ten­gel und ver­wit­ter­te Baum­stäm­me, de­ren Äste hin­auf­grif­fen, einen schma­len Pfad im ho­hen Gras und die Ot­ter­spur, die sich weich in den Bo­den drück­te. Er fuhr um die Wal­de­cke und wei­ter bis zum Fließ, hin­ter dem der zwei­te See be­gann. Und über­all Wald und Wie­se, Er­len­ge­hölz und Feld, ein grau­es Dorf vor ei­nem bläu­li­chen Kie­f­ern­strei­fen, ein Land ganz für sich, mit ei­nem ho­hen Him­mel, un­ter dem nur der Wind lei­se tö­nend ging.

Er sah Chri­stoph ab­fah­ren und das Boot an der ho­hen Fich­te ver­las­sen. Er trug einen Sack auf dem Rücken, sein gan­zes Hab und Gut, und grau und ge­beugt ver­schwand er im Ufer­wald, die Fah­ne si­cher­lich um den Leib ge­bun­den, ein Mann nach ei­ner ver­lo­re­nen Schlacht.

Nun war nie­mand auf der In­sel. Die Son­ne sank hin­ter die Ei­chen­wip­fel, Ge­wit­ter­wol­ken ho­ben sich bläu­lich über den Wald, über dem Schorn­stein hing kein Rauch, ein großer Vo­gel kreis­te über dem grau­en Dach und ver­schwand im dunklen Ge­wölk.

Tho­mas hol­te das lee­re Boot und fuhr zur Förs­te­rei zu­rück. Sie woll­ten zu­sam­men das Haus an­se­hen und was ge­än­dert wer­den soll­te, so­lan­ge Tho­mas wie­der fort war. Am nächs­ten Mor­gen woll­te er fah­ren und nach zwei Wo­chen wie­der­kom­men.

Es war nie­mand auf dem Hof, aber aus dem klei­nen Gar­ten hör­te er wie­der den lei­sen, schlaf­wand­le­ri­schen Ge­sang. Die Frau stand über der frisch­ge­gra­be­nen Erde, im schwar­zen Kleid wie bis­her, ein Tuch um die Schul­tern, und streu­te Sa­men in die neu­en Bee­te. Aber es war nichts in ih­rer Hand. Die Hand war leer, und nur die Ge­bär­de war vol­ler Sinn. Das Lied ging ein­tö­nig durch die Stil­le, ein­fach und fast hei­ter, wie ein Kin­der­lied oder ein Lied über kind­li­chem Schlaf. Und Tho­mas mein­te ihn dort kni­en zu se­hen, den das Feu­er im dunklen Turm ver­sengt hat­te, zu Staub und Asche ver­wan­delt, eine klei­ne Ge­stalt, die nach den Sa­men­kör­nern griff, und sie wuss­te noch nichts von der kom­men­den Ern­te der Zeit.

Die Luft war schwül wie am Abend zu­vor, die Wol­ken hat­ten die Son­ne be­deckt, und ein ge­dämpf­tes Licht fiel von den glü­hen­den Rän­dern über die Erde. In die­sem Licht ging der schwar­ze Arm der Frau lang­sam hin und her, die Rei­hen der Bee­te auf und ab, eine arme, kind­li­che Müh­le, die das tote Le­ben streu­te.

Wie­der frös­tel­te es Tho­mas, und er ging lei­se ins Haus. »Ja, ein frü­hes Ge­wit­ter kommt«, sag­te der Förs­ter. »Dann ist sie un­ru­hig und bleibt nicht im Hau­se. Sie kann das große Feu­er nicht se­hen über dem Wald, und doch bleibt sie auf, so­lan­ge das Wet­ter leuch­tet, die Hän­de vor den Au­gen. Sie sieht ihn wohl im Feu­er, lie­ber Herr …«

Sie fuh­ren schwei­gend über den See und tra­ten ins Haus. Es war so leer wie zu­vor, und es war nicht zu se­hen, dass ein Mensch es ver­las­sen hat­te. Sie sa­hen al­les an, und Tho­mas schrieb sich die Maße in sein Buch. Er wuss­te gleich, was er brauch­te, und sie rech­ne­ten die Prei­se aus. Ein Fuß­bo­den soll­te ge­legt, ein klei­ner Herd zum Ko­chen im Ne­ben­raum ge­setzt und das Fens­ter soll­te hö­her und um das Vier­fa­che ver­brei­tert wer­den. Al­les an­de­re soll­te un­ver­än­dert blei­ben, und der Förs­ter woll­te zu­se­hen, dass in zwei Wo­chen al­les fer­tig wäre. »Ein Palast, lie­ber Herr«, sag­te er lä­chelnd, »und im Win­ter wer­de ich das Licht durch die Bäu­me se­hen … Gott seg­ne Ihren Ein­zug, lie­ber Herr!«

Ja, Tho­mas woll­te noch ein we­nig auf der In­sel blei­ben. Er sah das Boot zu­rück­fah­ren, in die Däm­me­rung hin­ein und ver­schwin­den. Das Licht über dem See war schon er­lo­schen, und hin­ter den Ufer­wäl­dern flamm­te das Wet­ter schon röt­lich auf.

Tho­mas ging um die In­sel her­um über Sand und brau­nes Gras, am Schilf ent­lang, des­sen Hal­me sich lei­se an­ein­an­der rie­ben, und wie­der zu­rück. Er war so ein­sam wie auf dem Ozean. Sein Herz schlug, wie es vor der Schlacht ge­schla­gen hat­te, aber was vor ihm lag, war schö­ner als eine Schlacht. Er fand eine Stel­le auf der West­sei­te des Hü­gels, un­ter­halb der Ei­chen, wo Hei­de­kraut und jun­ge Fich­ten sich zum Ufer senk­ten. Dort konn­te man auf ei­nem Baum­stumpf sit­zen und weit über das Was­ser se­hen. Es war wie auf ei­ner Brücke, und hin­ter ihm rag­ten die Mas­ten auf.

Es dun­kel­te jetzt über den Wäl­dern, und das Feu­er hin­ter den Wol­ken blitz­te scharf und röt­lich über das Was­ser hin. Der Wind strich nied­rig über das Schilf, und wenn er erstarb, hör­te Tho­mas das lei­se er­ze­ne Dröh­nen hin­ter der Wol­ken­wand. Mit­un­ter tas­te­te nur ein fah­ler Schein über die In­sel und den Wald, da­zwi­schen aber flamm­te es böse und dro­hend auf, wie von lan­gen Roh­ren über grau­er Pan­zer­wand, ein grel­ler Strahl schoss den Him­mel hin­auf, und lan­ge hin­ter­her, aus be­gra­be­ner Fins­ter­nis, roll­te der fer­ne Don­ner lan­ge nach und be­weg­te die Erde, auf der Tho­mas saß.

 

Er sah mit weitof­fe­nen Au­gen in das Licht hin­aus. Er sah die grau­en Lei­ber vor­wärts­stür­men und die zer­wühl­te See zwi­schen ih­nen. Er hör­te Glo­cken, Si­gna­le und ver­we­hen­den Schrei. Er saß wie in ei­nem Traum, und vor sei­nen Au­gen und Ohren zog es vor­bei, die Sum­me ver­gan­ge­nen Le­bens, die Pro­be vie­ler Jah­re, die Ent­schei­dung jun­ger und be­ben­der Her­zen: die Schlacht.

Dann hör­te er die Flü­gel der großen Vö­gel rau­schen und den hei­se­ren, schwan­ken­den Schrei. Er sah sie im nächs­ten Leuch­ten über sich, den schma­len Hals ge­ho­ben, und wie die tro­ckenen Wip­fel un­ter ih­nen er­beb­ten.

Da ging er lei­se fort, zum Ufer hin­un­ter und an die­sem ent­lang bis zu sei­nem Boot. Ein paar Trop­fen fie­len, warm und schwer, und er stand noch eine Wei­le, be­vor er ab­fuhr, das Ge­sicht zu ih­nen auf­ge­ho­ben, mit of­fe­nen Au­gen, in de­nen die Blit­ze sich spie­gel­ten.

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